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Eine Woche

Die Liebesabenteuer des Marc Terrence
von

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Samstag

Samstag

Jah! Juhuu! Super! Klasse! Affenscharf! Das wollte ich schon immer mal haben! Geil!

So!

Das wars.

Genug der Begeisterung.

Ich kann mich nicht durchringen irgendetwas anderes zu fühlen als grenzenlosen Hass auf Adam und grenzenlose Freude über meine (hoffentlich) angehende Beziehung zu Kyle. Ich hoffe... ich meine... hoffentlich bilde ich mir nicht zu sehr darauf ein, dass er ab und zu mal auf meine Avancen reagiert hat. Positiv, denke ich, oder? Was, wenn... wenn er mich nur mag und es ganz nett findet, wenn man ihm Komplimente macht, oder indirekt zeigt, dass man ihn mag. O mein Gott! Was, wenn... ! Er liebt mich gar nicht! Ich weiß es ganz genau. Und ich zwinge ihn dazu, so viel Zeit mit mir zu verbringen... ich bin ein mieses Arschloch. Aber wenn er mich doch... naja... liebt? Ich tus doch. Ja, ich weiß: es ist verrückt. Ich kenn ihn ja grade mal vier, nein; fünf?, oder doch vier? Egal. Jedenfalls kenn ich ihn doch gerade mal vier bis fünf Tage lang. Darf man da überhaupt schon verliebt sein? Kann man das? Gibt es irgendein Gesetz, das besagt, dass man erst nach sieben Tagen verliebt sein darf? Oder nach sechs? Vielleicht sogar erst nach zwei Wochen! Aber dann wäre ich ein Gesetzesbrecher. Ein Ganove... ein Verbrecher... mmh... das hört sich gut an. Ich wollte schon immer mal verwegen wirken.

Was die Leute wohl sagen würden, wenn ich auf sie zukommen würde und meinen würde: "Hey! Ich bin schon nach ein paar Tagen verliebt in einen Kerl, den ich kaum kenne!" Würden sie dann die Pozilei rufen? Ach nein, das heißt ja Polizei. Das kommt davon, wenn man zuviel Zeit mit der kleinen Cousine verbringt.

Obwohl sie ja eigentlich ziemlich süß ist. Mit diesem Tinki-winki T-shirt und so...

Iih! Tinki-winki! Wie komme ich auf die Teletubbies? Po finde ich ja immer am besten, wenn ich Vormittags frei habe... hatte... nicht weiß, was ich mit der Zeit anfangen soll und deshalb vorm Flimmerkasten sitze. Kindersendungen sind sowieso das beste zum abschalten. So schön verblödet, kunterbunt und irgendwie regt man sich immer tierisch über diese dämliche Sprache auf! Na gut, wohl doch nicht so toll zum abschalten... aber Bambi ist trotzdem super.

Als ich meine Augen öffne erschließen sich mir unbekannte Weiten in Form einer Decke, die gelb angestrichen ist und in deren Mitte eine kunstvolle Lampe angebracht wurde. Am Schirm ebendieser hängt irgendetwas. Entweder Toilettenpapier, Unterwäsche oder etwas undefinierbares, das ich gar nicht erst definieren will. Aber zurück zu meinem Problem: wo bin ich hier? Wie gesagt kenne ich die Decke nicht. Meine ist weiß...

Also erst einmal den Kopf umdrehen. Gar keine so schlechte Idee. Was sehe ich denn da? Schuhe. Aha. Flaschen. Müll. Sessel. Eine umgeworfene Stehlampe. Alles eindeutige Anzeichen für eine Party. Bei genauerem Hinsehen stellt es sich als eine Party bei Jo heraus und allem Anschein nach hat sie bereits ein Ende gefunden. Und was mache ich hier?

Langsam kommt die Erinnerung zurück. Adam, Levis, Restaurant, Arschloch, Daniel, Party, Seelensorge und Schluss. Eine ziemlich verwirrende Bildabfolge tanzt in meinem Kopf den Cha-Cha-Cha und ich beschließe mich erst einmal aufzusetzen und vielleicht irgendetwas sinnvolleres zu machen, als hier zu liegen und Jo's Einrichtung anzustarren. Obwohl... der Sesselüberzug würde mir gefallen, wäre da nicht dieser große, braune Fleck der höchstwahrscheinlich von irgendeinem alkoholischen Getränk herrührt. Lecker, lecker, lecker. Saitenbacher Müsli. Buäh, das schmeckt grauenhaft. Aber der Werbeslogan ist ein Ohrwurm. Definitiv.

Als ich mich endlich aufgesetzt habe, stellt ich fest, dass ich immer noch vollständig angezogen bin. Hose, Schuhe, Socken, Hemd, Pulli... ich hasse es in Kleidung zu schlafen. Danach fühle ich mich immer eklig durchgeschwitzt und irgendwie klebrig. Kann ich hier duschen? Mein Blick bleibt an einem Paar Schuhe hängen, die selbst noch an einem menschlichen Körper befestigt sind und mein Verstand erkennt messerscharf; nein, kann ich nicht. Will niemandem in die Arme laufen, wenn ich halbnackt nach Klamotten suche. Mal abgesehen davon, dass ich nur die Sachen dabei hab, die an mir dran hängen/kleben und Jo wohl kaum Männermoden in meiner Größe im Schrank hängen hat.

Also neuer Plan: zuerst einmal nach Hause gehen (nach einer ihrer Partys ist Jo entweder total daneben, total genervt oder total schlafend, weshalb ich sie nicht erst aufsuchen werde), duschen - JA! -, frische Sachen anziehen und dann... ach du je! Heute habe ich ein Date mit Kyle! Kyle - Date - Date - Kyle! Wow, allein diese beiden Worte in einem Satz zu verwenden ist schon berauschend. Gut gelaunt setze ich mich auf und lasse mich schlagartig wieder in die Sofapolsterung fallen. Ahh, mein Kopf. Ich hab einen Kater... na toll. Hoffentlich sehe ich nicht so scheisse aus, wie ich mich fühle.

Sofort breitet sich in mir die Sorge aus, dass ich auch heute Abend noch so scheisse aussehen könnte, woraufhin sich sofort die Frage in meinen Kopf schleicht, wieviel Uhr es eigentlich ist? Mein Körper sagt mir "Definitiv zu früh!", aber mein Verstand und das Wetter von draussen lassen so auf 10 oder 11 Uhr Morgens schließen. Na, danke. Wie komme ich eigentlich nach Hause?

'Aufstehen Klappe die Zweite' hat schon ein weitaus ansehnlicheres Ergebnis. Immerhin sitze ich jetzt aufrecht und hatte keinen Schwindelanfall, was natürlich nicht heißt, dass mein Kopf sich nicht anfühlt, als hätte eine Horde Schweizer Touristen auf meinem Haupt den Rumba getanzt. Habe ich schon mal angemerkt, dass ich Schweizer Touristen nicht mag? Da war mal so eine Gruppe im Fotoshop, die... nein, da will ich jetzt nicht dran denken! Sagen wir mal; es war zum abgewöhnen.

Gott, seit wann bin ich selbst in Gedanken so höflich, wenn ich morgens aufwache - noch dazu mit einem Kater? Hat Jo irgendwas in die Drinks gemischt? Ich hoffe nicht...

Unsicher stehe ich auf und versuche erst einmal das Gleichgewicht auf meinen Puddingknie zu halten. Alkoholnachwirkungen sind manchmal echt übel. Ob ich heil nach Hause komme? Diese wankenden Wände machen mir Sorgen. Hey, seid wann ist der Kleiderständer so neckisch und zwinkert mir zu? Hat Jo ihm das beigebracht? Verdammt, ich halluziniere schon wieder. Euch soll gesagt sein, dass mir das nicht zum ersten Mal passiert. Je mehr Alkohol ich mir einverleibe, desto wirrer und makaberer werden meine Halluzinationen. Einmal hab ich mal um die Hand einer Hundedame angehalten, weil sie mir so unheimlich sympathisch war (viel gelacht, Witze gerissen und mich charmant angelächelt). Ich kann nur beten, dass meine lieben Freunde die Klappe halten, wenn sie mal auf Kyle treffen und ihm nichts - aber auch wirklich GAR NICHTS! - davon erzählen. Wer will schon mit jemanden zusammen sein, der einmal ernsthaft in Erwägung gezogen hat eine Promenadenmischung zu ehelichen? Nicht dran denken, Marc, nicht dran denken!

Konzentrieren wir uns erstmal auf die momentane Problembewältigung; meine Jacke suchen und, wenn möglich, nach Hause gehen. Ein Schritt, zwei Schritt, drei Schritt, die Hürde Menschenbeine wird mit einem ganz großen genommen, taumeln, fünf Schritt, sechs Schritt - ah, meine Jacke! - anziehen, sieben Schritt, über Bierflaschen springen, acht Schritt, Tür aufmachen und... draussen! Puh, ich atme erleichtert aus und wische mir den Schweiß von der Stirn. Eine Dusche muss her, und das schnell. Wer sich jetzt fragt: "Was? Acht Schritte und schon Schweiß auf der Stirn?", dem soll gesagt sein, dass Jos Wohnung nach einer Party mehr einem Schlachtfeld gleicht als irgendetwas anderem. Einer der Gründe, warum ich mich immer selbst zu irgendwelchen Partys einlade, anstatt selber eine zu veranstalten. Bin eh schon unordentlich genug, da brauch ich das nicht. Also, die Unordnung, meine ich selbstverständlich.
 

Draussen ist es kalt und eissig. Gevater Frost steht vor der Tür und lädt zu rot angelaufenen Nasen bei Minusgraden ein. Nein, danke. Natürlich habe ich keinen Schal dabei und meine Jacke ist auch nicht unbedingt die Wärmste. Scheiss Kälte aber auch. Meine Beine tragen mich direkt zur nächsten Bahnstation, wo ich frierend und hibbelnd auf den Zug warte, der mich nach Hause fahren soll und - wie nicht anders zu erwarten ist - 20 Minuten Verspätung hat, obwohl er sonst nie aufgehalten wurde. Na, nach dem Anfang dieses Tages dürfte es eigentlich nur noch besser werden.

Ich meine ja nur.

Sicherlich.

Hunderptrozentig.

Da gibt es keinen Zweifel.

... oder?

Ach, diese verdammten Komplexe! Manchmal wünschte ich wirklich, ich wäre ein ausgemachter Optimist, so wie Kev, der wirklich alles durch eine rosarote Brille sieht. Würde ER rausgeschmissen werden, dann würde er sich bestimmt nicht so ärgern wie ich, sondern nur meinen, dass so etwas nunmal passierte und er sich eben einen neuen Job suchen müsse. Jetzt komme ich mir irgendwie dumm vor. Diese (von meinem Hirn und keineswegs von dem von Kev produzierte) Einstellung wirkt so richtig, dass meine Reaktion darauf... nun ja... wirklich plump erscheint.

Murrend knurre ich einen Teenager an, der einen Meter neben mir steht und mir daraufhin einen Blick schenkt, der ganz deutlich aussagt, für wie merkwürdig er mich hält. Na, mir soll es egal sein. Bin nur glücklich, dass ich keine solche Hormonschleuder mehr bin. Armer Junge.

Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus. Na also! Warum nicht gleich so! Denke optimistisch. Na gut, nicht wirklich, aber wenigstens hab ich meinen - gelinde gesagt: seltsam anmutenden - Humor zurück. Melinda hat einen tollen, trockenen Humor, bei dem man automatisch mitlachen muss. Wenn ich dagegen mit jemanden allein bin, dann lacht der nur über mich und nicht über meine Witze.

"Ah! Endlich! Geliebte Angelina!", schmachte ich die Bahn an, deren Lichter gerade etwas weiter entfernt im trüben Licht eines bedeckten Tages erschienen sind. Das hat zwei Auswirkungen: aufgrund meiner Worte nimmt der Jugendliche neben mir einen Drei-Meter-Sicherheitsabstand ein und aufgrund den Lichtern des Zuges werden mir meine stechenden Kopfschmerzen wieder voll bewusst.

Gepeinigt schließe ich die Augen und reibe mir über die Lieder. Alles in mir schreit nach einer Familienpackung Aspirin und Schlaf. Viel Schlaf. Ganz viel Schlaf. Aber natürlich nicht SO viel Schlaf, damit ich bei allen Eventualitäten noch fit genug bin, um diese mitzumachen. Eventualitäten... eine schleimende Vermieterin, die mir und Kyle einen heißen Dreier anbietet - Den ich persönlich niemals annehmen würde! Gott behüte! - , Nahrungsaufnahme in der Höhle des Löwen, dem Abend mit Kyle, Ausweichen von Miss Helena, Sex mit Kyle... ohhh jaaa! Besonders der letzte Aspekt gefällt mir doch besonders gut... mmh...

Wieder grinse ich - diesmal jedoch eher anzüglich -, lecke mir über die Lippen und schalle mich halbherzig dafür, dass ich schon erotische Fantasien in Bezug auf einen Mann habe, den ich gerade mal seit Dienstag kennen. Oder seit Montag? Ehrlich, ich weiß es nicht mehr. Mein Gedächtnis schon wieder... aber ich glaube... Montag? Ah, man, scheissegal! Was mach ich mir DARUM Gedanken? Wie sinnvoll.

Nach zwei Haltestellen verlasse ich das königliche Gefährt, welches nach gewissen, körperlichen Ausscheidungen und -dünstungen riecht, die man lieber nicht näher erleutert haben will, und gehe die kurze Strecke zu meiner Wohnung, wo ich keine Nachbarn und vor allem keine Vermieterin treffe, die mich daran hindern mich in das sichere Reich meiner Wohnung zu flüchten. JAH!

Endlich in meinem Heim schleudere ich mir förmlich die Schuhe von meinen Füßen, ziehe mich noch im Flur aus und wage mich ins Bad, wo ich heißes Wasser in die Badewanne laufen lasse. Das wird mir gut tun, meine Muskeln lockern, Lebensgeister wecken und meine Kopfschmerzen hoffentlich abklingen lassen. Aber ich darf nicht zu lange drin bleiben, weil ich sonst eindöse und schlussendlich einschlafe. So eine Macke von mir. Die Badewanne ist ja auch sooo gemütlich. (Wers glaubt... )

Nach dem Bad ziehe ich mich an und... habe nichts mehr zu tun. Na toll. Vielen Dank Beschäftigungsfee, für deine tollen Einfälle! Ich bin total beschäftigt, echt. Dabei ist es gerade mal halb zwei. Gereizt lasse ich mich in meinem Sessel fallen und sehe mich um. Nach einigem sinnlosem Hin und Her gestarre - würden meine Möbel leben, hätten sie sicherlich schon längst die Flucht vor mir ergriffen - fällt mein Blick auf das Telefon und ein Grinsen breitet sich auf meinen Lippen aus. Ha!

Wozu habe ich Kyles Nummer, wenn ich sie nicht sinngemäß verwende? Ich meine, wir sehen uns zwar heute Abend schon wieder, aber ich könnte ja sagen mir sei langweilig und ich wollte einfach so mal mit ihm sprechen... stimmt sogar.

Schnell springe ich auf, schnappe mir ein Kissen und fuchtel damit in Richtung des Telefons. "Ergib dich, jämmerlicher Elektronikhaufen!", fordere ich verbissen und schmeisse den schnurlosen Apparat von der Kommode, lache laut und triumphierend auf. Ich siege eben immer.
 

Eilig hole ich mir das scheintote Telefon wieder, tippe Kyles Nummer ein - ich hab so lange davor gesessen und sie angestarrt, bis ich sie auswenig konnte - und warte, während ich mich wieder auf mein Sofa werfe. Au, mein Rücken! Ah, da hat jemand abgenommen!

Freudestrahlend erwarte ich Kyles Stimme und werde herb enttäuscht.

"Morgan?", meldet sich jemand am anderem Ende der Leitung. Meine Mundwinkel sacken jäh ab.

"Levis", stelle ich trocken fest.

"Terrence...", erwidert er ebenso. Uh, ich wusste gar nicht, dass mein Telefon eine Klimaanlage hat - irgendwie wirds grad ziemlich kalt um mein Ohr herum. Ich beschließe ausnahmsweiße mal nicht so kindisch zu sein und ganz normal zu telefonieren. Wie man das eben von einem intelligenten Erdenbürger erwartet.

"Richtig geraten", sage ich und lächle freundlich, obwohl Kyles Bruder das nicht sehen kann. "Ist Kyle zuhause?"

"Nein, ist er nicht", kommt wie aus der Pistole geschossen. Die Temperatur hat - nebenbei bemerkt - nicht abgenommen. Wieso kauf ich ihm das bloß nicht ab?

"Ok", besänftige ich mich selbst. "Könntest du ihm ausrichten, dass ich angerufen habe?"

"Nein". Meine Augen fallen raus. Hastig sammle ich sie wieder ein und halte meinen Telefonapparat etwas von mir weg, um ihn fassungslos anstarren zu können, bevor ich ihn wieder näher ziehe.

"Ähm... nein?", wiederhole ich ungläubig. Wer hätte gedacht, dass Psychopathen so psychopathisch sein können?

"Nein", bestätigt Levis. Oder besser gesagt: seine Stimme.

"Nein?" Ich muss das jetzt einfach sicher wissen.

"Ja, gottverdammt!", zischt Levis. Oh, da ist aber einer schlecht gelaunt.

"Also doch?", frage ich hoffnungsvoll.

"NEIN!", schreit er in den Hörer. Ich verziehe mein Gesicht und halte den meinen abermals von mir weg - diesmal jedoch um keinen Hörschaden zu erleiden.

"Musst ja nicht gleich so giftig werden", schmolle ich grummlig und stütze meinen Kopf auf der Sofalehne ab. "Ist er wirklich nicht da?"

"Ja", bestätigt Levis schon mächtig genervt. Was denn? Immerhin bleibe ich nett, oder? Oder?

"Kann er mich zurückrufen?", frage ich weiter.

"Können schon...", sagt Kyles Bruder und ich kann ein fettes, gemeines, gehässiges Grinsen aus seiner Stimme hören. Wah, der ist sowas von fies!

"Was hast du eigentlich gegen mich?", will ich jetzt endlich mal wissen. Verdammt, das stimmt aber auch! Dieser Typ behandelt mich wie den letzten Arsch, mit roter Harley Davidson... mit Stickern bestickt selbstverständlich und Indiana-Jones-Schnüren am Lenker und echtem Wildleder bezogen und mit Silberfelgen und... äh... egal.

"Da fragst du noch... Marc?" Unheimlich, wie der meinen Namen betont...

"Öh... ja? Ich kann ehrlich keinen Grund finden, ausser, dass ich dich in meinem Hausflur angefaucht habe, weil ich gerade auf dem Weg zu etwas war, was ich überhaupt nicht ab kann und da eigentlich auch keine Passanten rein dürfen... UND noch das im Laden, aber ich glaube, das war völlig berechtigt!", meine ich überzeugt.

Stille.

Leere.

Nichts.

Mein Telefon ist ein Schwarzes Loch.

"Hallo? Noch wer zuhause? Alles fit im Schritt? Macho Nacho Cheese? Hasen auf dem Mond? Der Verteidigungsminister tanzt Cha-Cha-Cha in der Wallstreet? Keine Kekse mehr mit Hundezusatz? Lachen ist gesu-"

"Ja, ja, ja, ja!", kommt es entnervt vom anderem Ende der Leitung.

"Na bitte!", rufe ich erfreut und grinse in mich hinein. So klappte das bisher immer.

"Ok, ich gebe zu, mein Verhalten ist nicht berechtigt", wird leise genuschelt. Ich muss die Hörmuschel an mein Ohr pressen, um zu verstehen, was Levis da vor sich hin murmelt.

"Super", strahle ich und springe auf. "Dann noch mal von vorn: ist Kyle zuhause?

"Äh... uhm... j-ja..." Scheint dem guten Levis unangenehm zu sein, dass er mich angelogen hat... HAHAHAHA!

"Super!", wiederhole ich mich noch viel enthusiastischer und springe auf der Couch auf und ab. "Kannst du ihn ans Telefon holen? Mir ist langweilig".

Das nächste was ich höre ist ein Lachen. Ein lautes Seehunde-bellen-zu-der-Brunftzeit-Lachen. Ein Levis-Lachen eben. "Dir... dir ist langweilig?", gluckst er.

"Ja", gebe ich ehrlich zurück. "Was dagegen? Kann ich jetzt endlich mal mit -"

"Levis, mit wem telefonierst du da eigentlich?", höre ich gedämpft. Hey, war das nicht Kyles Stimme?

"Mit niemandem!", sagt Levis sofort und ich knurre in die Sprechmuschel hinein. Na, warte!

"ICH BINS: MARC!", brülle ich in den Hörer hinein. Ok, das dürfte Kyle jetzt gehört haben, denke ich zufrieden und grinse siegessicher in mich hinein. Bin nunmal der Beste...

"Au, willst du, dass ich mit 60 taubstumm bin?", jammert Levis mir entgegen und diesmal ist es an mir ihn auszulachen.

"Ich hätte nichts dagegen", gebe ich meine Meinung kund.

Plötzlich ertönt ein lautes Rascheln, Kruscheln und Klappern. "Marc?", höre ich Kyles Stimme.

"Kyle!", strahle ich überglücklich und schwebe augenblicklich jenseits aller bekannten Sphären.

"Wieso rufst du an?", will er verwundert wissen, was ja auch sein gutes Recht ist.

"Mir war langweilig", gestehe ich reuevoll.

"Dir war... was? Marc... du hast eindeutig zu wenig zu tun", stellt er fest.

"Zur Erinnurung: Ich bin arbeitslos. Freust du dich nicht, dass ich anrufe?", jammere ich und appeliere dabei an sein Schuldbewusstsein.

"Was? Doch, natürlich tu ich das", bekräftigt er auch sofort. Klappt immer wieder.

"Dann ist ja gut! Ich wollte dir nämlich noch was sagen", fange ich an, werde aber von ihm unterbrochen.

"Einen Moment bitte, Marc. Levis! Hau ab! Nein, ich werde dich nicht mithören lassen. Verschwinde, verdammtnochmal! WAS? NEIN! Argh!" Lautes Gekruschel schallt mir aus dem Hörer entgegen. Anscheinend eine Auseinandersetzung mit dem lieben Psychopathen, oder was?

"Sorry, mein Bruder hat gestört", erklärt Kyle ein wenig aus der Puste und ich höre im Hintergrund leises Rascheln.

"Ziemlich neugierig der gute", grinse ich und lasse mich wieder auf das Sofa fallen.

"Das kannst du laut sagen", grummelt mein Angebeteter - Wow, ich will dieses Wort öfters im Zusammenhang mit Kyle benutzen! - und fährt dann fort: "Sag mal, hat er dich nochmal belästigt?"

"Bis darauf, dass er mich zuhause besucht hat, war eigentlich alles in Butter".

"Lev war bei dir ZUHAUSE? Oh Gott... das ist mir so peinlich! Entschuldige ihn bitte".

"Ach was. Ich... war ja auch nicht wirklich nett zu ihm", ich räuspere mich verlegen.

"Wie?"

"Ähm... naja... ich hab ihn richtiggehend angefaucht und alles und im Laden war ich ja auch nicht der Netteste, verstehst du?"

"Klar, ich fass ihn ja auch nicht mit Samthandschuhen an. Kann ne richtige Nervensäge sein".

"Das hab ich gehört!", ruft jemand im Hintergrund und ich muss lachen.

"Levis! Geh weg, verdammt!", fordert Kyle auch nicht gerade leise, was mein Lachen nur noch mehr anschwellen lässt.

"Jaja, ich geh ja schon", erklingt es gedämpft, eine Tür schlägt zu. "Puh", seufzt Kyle ins Telefon. "Was sag ich? Nervt, wie immer..."

Mir fiel etwas ein. "Sag mal, du...?"

"Ja?"

"Wie alt bist du eigentlich?"

"23", antwortet er mir nach kurzem Zögern. Ich strahle glücklich in mich hinein. Perfekt!

Das sag ich ihm auch. Er lacht daraufhin, was mich schmollen lässt.

"Perfekt?", gluckst er schließlich in den Hörer.

"Perfekt für mich", grinse ich, was er selbstverständlich nicht sehen, dafür aber umso deutlicher in meiner Stimme hören kann.

"Wo wir grad dabei sind... wie alt bist DU eigentlich?", will er auch sogleich neugierig wissen. Erstaunlich - dafür, dass wir eigentlich so wenig voneinander wissen, kommen wir wunderbar miteinander aus.

"22", lass ich ihn wissen.

Ein entzücktes "Perfekt!" erreicht mein Ohr und ich muss schon wieder lachen. "Sag ich doch".

"Du, wann soll ich dann eigentlich heut Abend noch mal zu dir kommen?", fragt er mich dann und ich muss kurz überlegen, bevor mir die genaue Uhrzeit wieder einfällt. "Um Sechs, oder?"

"Ich glaube auch...", erwidert er. "Moment! Sechs? Ouh, Mist! Ich muss noch zu meiner Mutter fahren!"

Seine Stimme klingt ziemlich gehetzt, sodass ich erstaunt die Stirn runzel. "Ähm... wo wohnt sie denn?"

"In einem der Vororte. Entschuldige, aber wenn ich es noch rechtzeitig zu dir schaffen möchte, muss ich jetzt los. Sorry. Bis dann, klar? Schönen Tag noch!"

Ich komm gar nicht dazu irgendetwas zu antworten, da mir auch schon das Freizeichen aus der Hörmuschel entgegen schallt. Ähm... hallo? So eilig hat er es? Wir haben erst halb drei. Etwas neben der Spur lege ich den Hörer beiseite, drücke mein Lieblingskissen an mich und starre an die gegenüberliegende Wand. Ok... was tu ich jetzt? Entweder schlag ich stillschweigend und überaus gelangweilt die Zeit mit einer sinnlosen Beschäftigung wie Fehrnsehgucken tot, oder ich besuche einen meiner Freunde, oder ich lasse mich besuchen, oder... ja, ich glaube, das wars auch schon.

Aber... irgendwie hatte ich nicht wirklich Lust dazu, jemanden einzuladen... oder mich einladen zu lassen. Wie wärs? Ich gammle irgendwo auf ner Bank rum, rufe irgendwelchen schwarzen I-wanna-be-Hippedihoppern "Ey,yo, was geht, ihr *****?" zu und lasse mich somit in eine Schlägerei verwickeln, aus der ich entweder nicht lebend wieder raus komme, oder danach mein restliches Leben im Krankenhaus fristen muss, weil ich noch nie gut mit meinen Fäusten umgehen konnte. Mh... nein, keine so tolle Idee. Ich setze mich vor den Fernseher und schaue Sesamstraße.
 

Irgendwie schaffe ich es die restlichen Stunden hinter mich zu bringen, ohne es wirklich zu merken. So kommt es, dass ich zwanzig Minuten, bevor Kyle hier ankommen soll, hektisch durch meine Wohnung renne, aufräume und mich frage, was ich gottverdammmich bitteschön anziehen soll! Es muss auf jeden Fall etwas sein, dass sexy wirkt, aber nur auf Kyle und nicht auf Miss Helena, was wirklich fatal wäre... nein, daran will ich jetzt nicht denken!

Aber leider erweist sich diese Aufgabe als unmöglich, es sei denn, Kyle würde mich auch im Schlabberlock sexy finden, was ich ehrlich bezweifle. Also ziehe ich mich ganz normal an - nur eben ein bisschen edler, was heißt, dass kein einziges Loch in meiner Jeans und mein schwarzes Pulli weder verknittert, noch verkleckert oder etwas dergleichen ist.

Da klingelt es auch schon. Mir selbst Mut machend schreite ich zur Tür, bleibe mit meinem Ärmel an einem Regenschirm hängen, der im Schirmständer im Flur steht, werfe diesen um, entdecke zwischen den nun herumfliegenden Schirmen und Gehstöcken, die mir mein Opa vererbt hat, einen alten Porno, den ich mir vor Urzeiten einmal ausgeliehen hatte und stolpere vor Schreck automatisch über einen nicht vorhandenen Hubbel meines Laminatbodens, bevor ich die Ehre habe, ihn zu knutschen - meinen Boden.

Hektisch springe ich wieder auf, werfe mich auf den Porno und lasse diesen unter meinen Schuhschrank schlittern. Eiligst richte ich den Schirmständer wieder auf, wobei ich mir fast ein Auge am herausragenden Ende eines Schirms aussteche, und stopfe alle herumgeflogenen Utensilien dort hinein.

O mein Gott, was denkt Kyle nur, wenn ich ihn so lange warten lasse?

Panisch sprinte ich zur Tür, rutsche abermals aus und greife Halt suchend nach der Türklinke, die ich auch zu fassen bekomme. Klar, dass die Tür - wegen meines Schwunges - nach innen aufgeht. Und das so schnell, dass sie mir volle Kanne ins Gesicht schlägt. Unwichtig zu sagen, dass ich wegen der sich öffnenden Türe so oder so schon meinen Halt verloren habe und nun mit schmerzhaft pochender Nase auf dem Boden sitze.

Vor mir steht...
 

... der Postbote.
 

Ach man, geht denn heute alles schief? Unsicher stehe ich auf und fasse mir an die Nase - Autsch, tut das weh!

Den etwas entsetzten Blick des Postboten ignoriere ich lieber mal, während ich ihn leicht näselnd frage, was denn sei.

Ohne viele Worte reicht er mir ein Paket, das ich dankend annehme, bevor ich noch meine Unterschrift auf so ein komisches, elektronisches Ding setzen muss und der Postbote wieder verschwindet. Seufzend lasse ich die Türe zufallen. Und wieder jemand, der mich für vollkommen bescheuert hält.

Langsam setze ich mich in Bewegung und gehe ins Wohnzimmer, wo ich mich auf das Sofa setze und das Paket begutachte. Es ist von meiner Tante Trude, die in Amerika wohnt. Amerika... ein schönes Land. Aber nichts für mich.

Neugierig schüttel ich den Karton - kein Geräusch. Sicher hat sie es entweder gnadenlos vollgestopft oder da ist irgendwas drin, das mit massig Zeitungspapier vor dem kaputtgehen bewahrt wird. Ich hoffe es ist etwas, das mich für meine sicherlich ziemlich rote Nase entschädigt.

Als ich das Paket dann aber schließlich geöffnet habe, schlage ich es errötend wieder zu. Tante! Zögernd öffne ich den Karton wieder und ziehe mehrere, hübsch mit Schleifen verpackte, Männerstrings hervor. Ehrlich: ich hätte ihr niemals erzählen sollen, dass ich schwul bin. Niemals!

Wirklich... wer eine weltoffene, nette, verständnisvolle und durch und durch kumpelhafte Tante hat, kann mich verstehen!

Wobei ich allerdings bezweifle, dass mir ein Kumpel Stringtangas schenken würde. Kurz und schmerzlos: ich verzweifle immer wieder an ihrer Art. Meiner Tante scheint wirklich GAR NICHTS peinlich zu sein! Und wenn ich das sage, dann mein ich das auch so...

Skeptisch ziehe ich aus dem Tanga-Knäuel einen roten, besonders knappen hervor und beäuge ihn kritisch. Na, ob das so eine gute Idee von Trude war...

Ich wage es ihre ausserordentliche Genialität zu bezweifeln und sehe schon ihr tadelndes Gesicht vor mir, wie sie mit dem Zeigefinger wackelt und mit ihrer hohen, aufgedrehten Stimme sagt: "Jetzt zier dich nicht so, Schatzi. Du hast einen sexy Hintern und ich könnte schwören, dass 9 von 10 schwulen Männern ihre Seele dafür verkaufen würden, bloß um mal mit dir zu schlafen".

Trude hat echt nen Knall.

Wieder klingelt es. Vor Schreck lasse ich den String fallen, den ich gehalten habe, und zucke zusammen. Puh, ist das schon wieder der vermaldeite Postbote? Noch was vergessen, oder was?

Gereizt stapfe ich zur Tür und reisse sie auf. Wirklich erst im allerletzten Moment kommt mir der Gedanke, dass die Person, die geklingelt hat, theoretisch auch Kyle sein könnte. Meine Ahnung wird zur Gewissheit, als ich besagten, jungen Mann auf meiner Türschwelle entdecke.

"Kyle!" O mein Gott! Sitzt meine Frisur? Ist der Flur aufgeräumt? Alles da, wo es hingehört? Hab ich was zwischen den Zähnen?

"Hey, Marc. Kann ich reinkommen?", lächelt Kyle, beugt sich ein wenig vor und drückt mir einen Kuss auf die Wange.

Ich spüre, wie mir das Blut ins Gesicht schießt und ziehe Kyle schnell in meine Wohnung, bevor zwischen uns noch so eine peinliche Stille entstehen kann, wie sie für solche Augenblicke berühmt ist. Im Flur nehme ich ihm die Jacke - die ihm natürlich ausgezeichnet steht (überhaupt steht ihm alles) - ab und hänge sie an die Gaderobe.

"Ähm... willst du was trinken?", biete ich ihm unbeholfen an. Scheisse, ich benehme mich wie ein vorpupertäres, verpickeltes Schulmädchen mit Zahnspange im Mund, das gerade von ihrem Schwarm gestreift wurde! Kann man das irgendwo abstellen? So einen Schalter könnte ich jetzt super gebrauchen. Hey, große Klappe, wo bist du? Anscheinend nicht in meinem Universum. Okay, ich werds auch so überleben!

"Gerne. Ein Wasser reicht, danke", erwidert Kyle. Kommt nur mir das so vor, oder seht ihr auch diesen unverschämt selbstzufriedenen Ausdruck in seinem Gesicht... ? Was das wohl zu bedeuten hat? Fragen über Fragen...

"Okay... uhm... dann warte doch erst einmal im Wohnzimmer. Ich komme dann gleich, 'kay?" Wo kommt diese nervtötende Nervosität her? Keine Ahnung, aber jedenfalls ist sie Schuld, dass ich fingerknetend vor meinem Angebetenen stehe. Na toll...

Macht sicher einen wunderbaren Eindruck. Ich strotze ja geradezu vor Selbstsicherheit. Haha... Sarkasmus Ahoi!

"Klar", willigt Kyle ein, zwinkert mir zu - Selbstbeherrschung, Selbstbeherrschung, Selbstbeherrschung! Ommm! - und dreht sich zur Wohnzimmertüre, um kurz darauf hinter dieser zu verschwinden.
 

Damit wäre dieses Hindernis (Begrüßung) überwunden. Schnell hetze ich in die Küche und schenke Mineralwasser in ein Glas ein. So, und damit jetzt zurück in die Stube zu Kyle und...

In der Tür zu besagtem Raum bleibe ich wie angewurzelt stehen. Bitte, lieber Gott (oder was auch immer), mach, dass das nicht wahr ist! Bitte, bitte, bitte, bitte verschone mich vor diesem peinlichen Moment, dem ich gegenüber stehe! In meiner Schulzeit hatte ich beileibe genug davon!

Der Grund meines inbrünstigen Flehens?

Kyle plus Stringtangas. Ich bin tot. Ich bin sowas von tot! Nein, Tante Trude ist tot! Und den Postboten bringe ich bei Gelegenheit gleich mit um! Hab ich nicht noch ein bisschen Dynamit für die Post im Keller?

Auf meiner Couch sitzt Kyle, derjenige, dem ich mein Herz an die Birne geklatscht habe, in jeder Hand einen Männerstring, und grinst mich an. "Wusste gar nicht, dass du auf sowas delikates stehst", schnurrt er. (Bei seiner Tonlage läuft mir ein heiß-kalter Schauer über den Rücken. Klang er schon immer so verdammt sexy?) Tu ich auch nicht, aber für ihn würd ich jederzeit sowas anziehn.

Aus einem Reflex heraus rufe ich allerdings sofort: "Die gehören mir nicht!"

Augenscheinlich nimmt er mir das nicht besonders gut ab, denn er grinst immer noch so verboten... verboten... verboten anzüglich.

Moment... ! Anzüglich? Ich bin im Himmel. Liebe Güte, nein. In der Hölle. Eindeutig!

Wild fuchtel ich mit meinen Händen herum, wobei Wasser aus dem Glas für Kyle schwappt. "Ähh... nein... also... ähm... !", stammele ich verwirrt und unsicher zugleich. Wetten ich bin rot wie eine Tomate? Gott mag mich nicht, nein, das tut er nicht...

Kyle legt die Strings beiseite und steht auf. Langsam kommt er auf mich zu und ich... ich stehe da, schlucke unentwegt, weil mein Hals aus irgendeinem anormalen Grund trocken wie die Sahara ist, und bete innerlich, dass das hier bitte nicht noch peinlicher wird, als es eh schon ist. Was denkt er bloß von mir? Sicher hält er mich für ein männliches Flittchen. Wuah... !

Bei mir angekommen, nimmt er mir das Wasserglas aus der Hand - ich bin viel zu unsicher, um mich jetzt zu bewegen und am Ende noch irgendwas falsch zu machen -, stellt es auf die Kommode, neben mir und legt dann seine Arme um meine Taille. Ich nehm alles zurück: Gott liebt mich!
 

Verwirrt sehe ich ihn an und erwarte garantiert nicht, das, was mich erwartet. Okay, vielleicht habe ich schon den ein oder anderen Gedanken daran verschwendet (allein seine Blicke deuten darauf hin!), aber so... also, ich dachte... eben... genau!

Jedenfalls sieht er mir in die Augen, bevor er seine schließt, sich vorbeugt und mir einen kurzen, zögernden Kuss auf die Lippen haucht. Ich seufze lautlos. Bitte lass das kein Traum sein!

Fühlt sich allerdings ziemlich echt an. Als Kyle sich wieder von mir entfernen will, weiß ich das erfolgreich zu verhindern.

"Na, erst reizen und dann verschwinden wollen?", grinse ich, ehe sich meine Arme wie von selbst um seinen Hals schlingen, ich mich ein wenig strecke und diesmal wiederrum seinen Mund in Beschlag nehme. Strike!

Wie schön das Leben doch sein kann...

Jedoch wird unser Eheglück (Eheglück? Langsam werden mir meine Fantasien selbst fast zu unheimlich... ) durch ein Klopfen an der Tür gestört.

Sofort fahren wir auseinander, wie zwei schüchterne Teenager, die der Vater beim knutschen erwischt hat. Okay, wir haben geknutscht bzw uns geküsst, aber das da an der Tür ist hundertprozentig nicht mein Vater!

Allerdings kommt die Person ebenso ungefragt in die Wohnung, wie es ein Elternteil machen würde und allein schon der Anblick lässt mich schaudern; Miss Helena!

Sitzen meine und seine Haare? Irgendwelche zerknitterten Kleidungsstücke? Nein? Gott sei Dank!

"Guten Abend, meine Herren", flötet meine Vermieterin unberechtigt froh, wenn man mal den Ich-werde-dich-noch-vor-10-Uhr-töten-Blick von mir beachtet. "Es ist schon 5 nach 6, darum bin ich kurz nachschauen gekommen, wann ihr denn kommt." Wie schafft es diese Frau in einen solch banalen Satz so viel Perversität zu legen?

"Ääh... wir wollten uns gerade auf den Weg hoch machen", stammele ich und entferne mich unauffällig noch einen Schritt weiter von Kyle, damit bloß kein Verdacht geschöpft wird und wo ich außerdem noch unaufällig die Sicht auf die immer noch vor dem Sofa liegenden Strings verdecke. "Aber... uhm... wie kommen Sie überhaupt in meine Wohnung?" Hab ich vergessen die Tür hinter dem Gott, der momentan neben mir steht, zu schließen?

"Oh, ich habe einen Ersatzschlüssel, schließlich gehört diese Wohnung mir!", gibt Miss Helena entzückt kund und schwenk auch sogleich mit besagtem Fortenöffner vor meiner Nase herum. "Ich würde dann mal sagen, Sie folgen mir einfach nach oben. Es ist schon alles vorbereitet." Hat sie wirklich bei dem letzten Satz auffälig unauffällig mit den Augenbrauen gewackelt, oder war das Einbildung? Nicht darüber nachdenken, nicht darüber nachdenken!

Kyle schenkt mir einen halb zweifelnden, halb aufmunternden Blick, den ich mit einen Lächeln erwidere, als meine Vermieterin sich umgedreht hat. Mit mehr gutem Willen als Verstand (und einer sehr, sehr schönen Erinnerung an ein Ereignis, das nicht allzu lang her ist) setzen wir uns ebenfalls in Bewegung und folgen dem personifiziertem Grauen in das enge, zugige Treppenhaus und nach oben.

Was uns erwartet, lässt mich ein bisschen überrascht inne halten. Miss Helena hat sich wirklich Mühe gegeben, das muss ich zugeben. Obwohl die Wohnung eher wie ein Puff, als ein normales Heim aussieht. Aber ich kann nicht einschätzen, ob das nicht vielleicht der Normalzustand ist, schließlich bin ich zum ersten Mal hier. Neugierig sehe ich mich also um, nachdem ich hinter meiner Vermieterin und vor Kyle über die Schwelle trete. Die vorherrschenden Farben sind Rot, Ocker und Orange. An allen möglichen und unmöglichen Stellen (Auf der Spitze des Hutständers? Wie hat sie die da hin bekommen?) stehen brennende Kerzen herum. Irgendwo zündelt ein Räucherstäbchen, denn es riecht unangenehm intensiv nach Weirauch (oder so). Hunderpro hab ich heute Nacht, wenn wir endlich hier weg sind, Kopfschmerzen... und was für welche.

Daran wird aber nicht nur der fremdländische Geruchstouch Schuld haben, sondern auch unsere liebe Gastgeberin, die sich just in dem Moment aus ihrem Pulli schält, als ich mich zu ihr umdrehe. Darunter kommt ein rotes, enges, glänzendes (O Gott, das ist doch nicht etwa LATEX?!) Oberteil zum Vorschein, das mehr als nur provokant geschnitten ist. Schluckend frage ich mich, was in aller Herrgottsnamen sich die Frau für diesen Abend überlegt hat, während ich einen hilfesuchenden Blick zu Kyle schicke, der diesen allerdings blöderweise nicht bemerkt, da er selbst damit beschäftigt ist, eine glatte Holzskulptur zu bewundern, die vor der offenen Tür zum Esszimmer steht und sich elegant um sich selbst schlingt.

Miss Helena tritt von hinten an ihn heran und beugt sich über seine Schulter. "Na?", säuselt sie verdächtig lasziv in sein Ohr. Er zuckt zusammen. "Gefällt dir der >Ekstasische Tanz<?"

Bemüht, nicht laut loszuprusten, drehe ich mich um, verschlucke mich beinahe an meinem Glucksen und beisse mir mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf die Unterlippe, um jeglichen verräterischen Ton, der aus meiner Kehle zu entfleuchen versucht (entfleuchen klingt toll poetisch, was?) schon im Keim zu ersticken.

Nach einigen unauffälligen Beruhigungsübungen - Atmung usw. - und einem gestammelten "Äh... äh... ja, sehr... schön... hrrm!" seitens Kyle fühle ich mich wieder imstande mich umzudrehen, ohne so auszusehen, als würde ich die anwesenden Personen auslachen. Was für ein rücksichtsvoller Mensch ich doch bin.

Miss Helena lächelt und entfernt sich wieder etwas von meinem Angebetenen. Recht so! Wenn ich es nämlich genau überdenke, sollte sie ihm gar nicht erst zu nahe kommen. Schließlich gehört er ab heute mir - hihi! Ich hoffe, das sieht er auch so, ansonsten kriegen wir uns nochmal heftigst in die Haare.

Den aufdringlichen Gedanken verscheuchend, lasse ich meinen Blick nochmal von oben bis unten an meinem 'Fang' entlang gleiten. Die ausdrucksstarken Augen, die dunklen Haare, dieser wunderbare Mund, die Nase, die kurz vor der Wurzel einen kleinen Hubbel hat, was ihn gleich noch attraktiver macht, die Wangenknochen, der Hals, der Oberkörper, der Bauch, die Arme, die sehnigen Hände, die Hüfte, der... mmh... Po (ich muss mich davon abhalten mich hier in aller Öffentlichkeit - okay, nur vor Miss Helena, doch das ist ja wohl öffentlich genug - an diesem Prachtstück zu vergreifen), die Oberschenkel, die Knie, die Waden, die Knöchel, die Füße, die in irgendwie elegant aussehenden Schuhen stecken... ich glaube, ich könnte ewig so weitermachen. Als meine Augen allerdings wieder zu denen von Kyle finden, färben sich meine Wangen unverhofft dunkelrot. Ups... da hat mich wohl jemand beim Gaffen erwischt! Schnell und äusserst peinlich berührt, wende ich meine Aufmerksamkeit der Hausherrin zu, die uns bereits breit anlächelt.
 

"Und übrigens: nennt mich doch bitte nicht Miss Helena, sondern Maria, ja?", flötet sie gut gelaunt. "Ich darf euch doch auch beim Vornamen nennen, Marc und...?" Sie bricht den Satz ab und sieht mein Mitbringsel auffordernd an, das auch sofort supergut erzogen reagiert: "Entschuldigung; Kyle. Kyle Morgan. Sehr erfreut."

Stolz bin ich versucht, ihm den Kopf zu tätscheln und ein Leckerlie zu überreichen, lasse es dann aber doch. Trotzdem muss ich daran denken, wie es wohl mit Kyle als Hund wäre... dagegen hätte ich im Grundprinzip nichts einzuwenden. Doggy-style mag ich ja sowieso.

Ein dreckiges Grinsen ziert kurz mein Gesicht, was Kyle mich etwas perplex ansehen lässt. Miss He... ups... äh... Maria hingegen scheint dieses Zeichen lüsterner Gedanken innerhalb meines Denkomats völlig falsch aufzufassen, also auf sich selbst zu beziehen. Denn sie klimpert mich geradezu auffordernd an, was ich natürlich nicht gutheißen kann. Setzen, sechs, ab ins Bett, Maria. Argh! Nein! Alleine, bitteschön!

Ich kichere vergnügt, was Kyle - der aus seinem Schock-Zustand nun wirklich erwacht zu sein scheint - dazu veranlasst mir einen Stoß mit dem Ellbogen zu geben und einen eifersüchtigen Blick in Richtung meiner Vermieterin zu senden. Ich grinse ihn bloß an und... Halt! Hab ich das gerade richtig verstanden? Kann mal jemand ein bisschen zurückspulen? Ja? Danke.

Also: >...ock-Zustand nun wirklich erwacht zu sein scheint - dazu veranlasst mir einen Stoß mit dem Ellbogen zu geben und einen eifersüchtigen Blick in Richtung meiner Vermieterin zu senden. Ich gri...<

HAHA! Habt ihrs gesehn? Habt ihr? HABT IHR? Eifersüchtig! Das ist er! Hehehe! Mein kleiner Kyle ist eifersüchtig. Ach, wie goldig.

Oh je, was sag ich da? Ein heiß-kalter Schauer läuft mir über den Rücken, während ich diesen Blickwechsel zwischen ihm und Maria mitverfolge. Wah, Kyle ist tatsächlich eifersüchtig! Ich kann es nicht fassen! Ich wette, ich schwebe grad mindestens 10 Zentimeter über dem eigentlich zum Gehen gedachten Boden. Ein einziger Gedanke beherrscht das Reich meines Gehirns: Ich. Will. Ihn. Zu. Tode. Knutschen!

Dabei ist es eigentlich überhaupt nicht gut, wenn er eifersüchtig ist. Es gibt mir nur so ein Gefühl des Wichtigseins. Naja, ist das etwa nicht gut?

Nach diesen anfänglichen Schwierigkeiten fordert Maria uns auf doch Platz zu nehmen, was wir natürlich liebend gern tun. Ich jedenfalls, denn wenn ich sitze fühle ich mich nicht so schutzlos. Klingt komisch, ist aber so.

Maria sitzt am Kopfende des kleinen Tisches, Kyle links und ich rechts neben ihr. Eines muss man ihr lassen: Sie hat das Ganze wirklich wunderschön drapiert. Eine weiße, kunstvoll gefaltete Serviette thront auf jedem der drei Teller, die sich warm anfühlen, als wären sie im Ofen erwärmt worden. Auf dem Tisch steht eine große Platte mit geschnittenem Fleisch, wahrscheinlich Rind, und zwei Schalen mit Beilagen - Kartoffelbrei und Gemüse.

Meine Vermieterin ist sehr freundlich zu uns und gibt erst mir, dann Kyle und zuletzt ihr selbst auf, schenkt einen vollen, aromatischen Rotwein aus und eröffnet das Essen dann mit den Worten: "Auf einen schönen Abend, der uns allen noch im Gedächtnis bleiben wird."

Diesen Trinkspruch finde ich ein wenig besorgniserregend, weiß ich doch nicht, auf welche Weise sie sich an den Abend erinnern will. Aber schließlich entscheide ich mich dazu einfach nicht mehr daran zu denken - ich meine; allein das Aussehen und einige merkwürdige Eigenheiten einer Person zeigen der Aussenwelt ja nicht gleich, welcher Charakter sich unter der Schale verbirgt. (Hoffe ich...)

Das Fleisch schmeckt ausgezeichnet, als ich mir jedoch gerade etwas Kartoffelbrei mit dem Messer auf die Gabel schiebe, berührt mich etwas am linken Knöchel. Erstaunt halte ich kurz inne, denke aber nicht, dass in dieser Berührung etwas absichtliches steckt. Aber als das Gleiche nochmals passiert und ich diesmal unverkennbar einen Fuß an meinem Unterschenkel fühlen kann, sehe ich mich fassungslos um. Da füsselt doch einer mit mir!

Den Übeltäter kann ich allerdings nicht enttarnen. Miss Helena sowie Kyle sehen beide unbekümmert auf ihre Teller hinunter, sitzen in vollendeter Haltung auf ihren Stühlen und sehen auch sonst so aus, als würde keiner von ihnen gerade mit seinen Zehen mein Hosenbein hochschieben. O. Mein. Gott.

Schluckend ziehe ich schnell mein Bein weg. Mal ganz im Ernst: Ich hab keine Ahnung, ob das jetzt meine Vermieterin oder Kyle war, aber bitte! Ich hasse füsseln! Das ist sowas von unerotisch. Ich sitze sozusagen in einer Zwickmühle. Wenn Miss Helena das war, hab ich den ultimativen Beweis, dass sie gruselig ist und auch noch was von mir will (bitte nicht).

Wenn es aber Kyle war, der mich mit seinem Fuß angetatscht hat, dann werde ich ihm wohl mal eine Lektion in Sachen 'Gute&Schlechte-Berührungen' geben müssen (bitte nicht).

Auf mein Fuß-ausser-Reichweite-ziehen reagiert jedoch keiner der beiden nennenswert, was heißt, dass ich wahrscheinlich werde fragen müssen, aber DAZU bringen mich nicht mal 3 Hunde, denn schließlich wäre das mehr als peinlich.

Allerdings, wenn ich es mir recht überlege... wenn man mir tatsächlich drei knuddelige Welpen schenken würde, bloß, damit ich frage, wer von den beiden mir eben da am Bein rumgemacht hat, würde ich das ehrlich in Betracht ziehen...

Seufzend entschließe ich mich erstmal weiter zu essen, die Beine brav hinter den Stuhlbeinen verschränkt, und konzentriere mich auf das, was ich mit meiner Gabel umbringe. Huh, toter Kartoffelbrei! Schließlich aber wird es den anderen wohl auch zu still, denn Maria fängt ein Gespräch an. Und das mit den äusserst vielversprechenden Worten: "Schmeckt es ihnen denn?"

Wir bejahen brav und kriegen als Dankeschön auch gleich noch einen kleinen Nachschlag. Och nee, ich bin ja nicht mal mit dem einen Teller schon fertig...
 

Kaum zu glauben, aber nach zwei Stunden, sitzen wir zusammen auf der Couch und unterhalten uns angeregt über Urlaub. Beziehungsweise: Kyle und Miss Helena unterhalten sich und ich höre neidisch zu. Denn, zu meiner Schande, bin ich erst einmal aus England raus gekommen und das auch nur für eine Woche. Damals waren meine Eltern nach Frankreich geflogen und ich durfte gnädigerweise mitkommen - so als kleiner, vierjähriger Bengel.

Tatsächlich wars wohl sehr schön, ich kann mich bloß nicht mehr dran erinnern. Also lausche ich den Ausführungen Kyles, der ziemlich lebhaft schildert, wie er am Amazonas Piranhas gefischt hat und Marias Erzählungen, die wohl mindestens schon in der Hälfte aller Länder der Welt gewesen war. Woher haben die nur das Geld, bitteschön? Geschweige denn mal von der Zeit... "Aaach, das ist unfair!", gebe ich also irgendwann zum besten. "Ich will auch mal so einen aufregenden Urlaub machen."

Mein Liebster (muha) und Miss Helena drehen sich zeitgleich zu mir und antworten völlig synchron: "Wenn du willst, nehm ich dich mal mit!"

Überrascht sehen sie sich an... und war das da eben nicht ein Funke, der aus Kyles Auge gesprungen ist?

"Äh... gerne... ", versuche ich die Situation ein wenig aufzulockern. Nur mit dem Unterschied, das ich tatsächlich gerne mit Kyle wegfahren würde, aber meiner Vermieteri in dieser Hinsicht ja mal überhaupt nicht über den Weg traue. Wer weiß, was das dann für ein Urlaub wird? Brrr, es schüttelt mich!

Allerdings stürzt diese sich auf den ihr hingeworfenen Happen. "Wirklich? Das ist ja wunderbar! Vielleicht kann ich es arrangieren, dass wir zusammen nach Südafrika fliegen und eine Wildlife-Tour in einem Reservat machen", schlägt sie Feuer und Flamme vor.

"Ääh...", stammle ich.

Doch Kyle scheint nicht gewillt zu sein, so leicht aufzugeben. (Irgendwie macht sich in meiner Brust grad so ein Gefühl breit, als würde sich die ganze Welt nur um mich drehen - sehr schlimm, ich sollte mich mal unter Personen begeben, die auch mit sich selbst beschäftigt sind... ). "Ich habe vor kurzem in einem Prospekt von einer Reise nach Thailand gelesen. Soll sehr schön dort sein. Es gibt nicht nur Reservate, sondern auch wunderbare Hotels und eine Menge zu sehen - vor allem das alltägliche Leben zieht angebliche viele Menschen an", sagt er - allerdings ohne mich anzusehen. Stattdessen brennt er meiner Vermieterin die Augen aus.

"Ha!", springt diese darauf an. "In Thailand soll doch die Kriminalitätsrate sehr hoch sein und fahren da nicht viele Europäer hin, um sich mit jungen Thailänderinnen zu vergnügen? Das wollt ihr euch ansehen? In Afrika könnten wir Löwen und andere Wildtiere in ihrer freien Wildbahn beobachten, das ist sicher wunderschön!"

"Äh...", stammle ich wiederholt. Das wird gerade unangenehm...

"Alles Gerüchte!", wischt Kyle ihre Argumente vom Tisch. "Es gibt wunderschöne Wasserfälle in Thailand, Strände, wohin das Auge reicht, Sehenswürdigkeiten und Naturspektakel. Wenn du willst, könnten wir mit Delphinen schnorcheln, Marc."

"Klingt schön...", stimme ich ein wenig unangenehm berührt zu. So schön es auch ist, Aufmerksamkeit en masse zu genießen; irgendwann ist es dann auch mal gut.

Triumphierend blickt er meine Vermieterin von oben herab an, die seinen Blick wütend erwiedert. "Äh, uhm, wo ist denn hier die Toilette?", schalte ich mich schnell ein, bevor das Ganze hier am Ende noch ausufert.

Maria sieht mich an. "Einfach den Flur entlang, die zweite Tür links, gleich neben der Haustür."

"Danke" - schnell mach ich mich vom Acker. Nicht, dass ich tatsächlich aufs Klo müsste. Es ist nur, dass mir die Atmosphäre in diesem Zimmer ein wenig zu dick wird. Egal, wer sie aus welchen Grund so heraufbeschworen hat (und der ist ja wirklich schmeichelhaft...).

In gewünschtem Zimmer angekommen, schließe ich die Tür hinter mir ab und sehe mich erst einmal um, nachdem ich den Lichtschalter ertastet habe. Draussen ist es inzwischen schon dunkel geworden und durch das kleine Fenster kann man, wenn man den weißen Spitzenvorhang zur Seite zieht, über die Dächer der näheren Umgebung sehen. Schließlich befinden wir uns in einer Wohngegend, die höheren Häuser befinden sich ein paar Viertel weiter. Ich kann aber nur wenig erkennen, weil das Glas das Licht der Badezimmerlampe spiegelt, darum mache ich das Fenster auf und genieße die kühle Nachtluft und die wenigen Sterne, die ich am Himmel erkennen kann. Unten auf der Straße fahren mehrere Autos entlang, dort hinten läuft ein Pärchen gemächlich in Richtung der Bars. Wieder einmal wird mir bewusst, wie gerne ich doch hier lebe - trotz der Abgaße und dem ständigen Stadtstress.

Dann jedoch wird mir meine gegenwärtige Situation wieder bewusst und seufzend schließe ich das Fenster. Was mache ich eigentlich so einen Aufstand? Ich könnte das alles doch ganz schnell beenden, schließlich dreht sich diese kleine Auseinandersetzung um mich und so schlimm war sie ja nun auch wieder nicht!

Der Tarnung wegen betätige ich die Klospülung und wasche mir die Hände. Ein Bild hängt direkt über der Toilette, am Fenster eine exotische Pflanze und durch den Spiegel über dem Waschbecken sieht mich ein gepflegter, junger Mann an. Ausnahmsweiße sehe ich mal ganz passabel aus. Also dann...

Frischen Mutes schließe ich die Tür auf und gehe hinüber ins Esszimmer. Wie ich ein bisschen erleichtert erkennen kann, haben Maria und Kyle ihren Streit aber inzwischen beigelegt und plaudern ein bisschen über dies und jenes. Meine helfende Hand wird also gar nicht mehr benötigt.

Ich setze mich neben Kyle und beteilige mich am Gespräch. Es ist nett. Wirklich, ich hätte nicht gedacht, dass es so nett sein könnte, bei Miss Helena zu Abend zu essen. Obwohl wir einige eindeutige Angebote erhalten, umgehen wir diese immer wieder geschickt - hach, wir sind so gut - und schaffen es gegen Mitternacht schließlich unbehelligt in meine eigene Wohnung - mit deutlich höherem Alkoholspiegel als wir sie verlassen haben, soviel ist sicher.

"... und dann", kichere ich albern, während ich mir die Schuhe achtlos von den Füßen trete (sie kommen irgendwo neben dem Schuhregal auf dem Boden auf), "hat er gesagt: 'Mister, ich kann nicht erlauben, dass Sie' - haha, sorry - 'dass Sie das hier mit reinbringen, es könnte andere Passanten verletzen'!" Ich lache und obwohl ich mir sicher bin, dass Kyle wahrscheinlich keine Ahnung hat, worüber ich gerade rede, hat sich auch auf sein Gesicht ein breites Grinsen gelegt.

Ich schwanke und halte mich aus einem Reflex an dem nächstbesten Gegenstand fest, der natürlich ganz zufällig mein neuer Freund ist (yeah!) und bringe somit auch ihn zum Stolpern.

"Whowhow! Immer langsam, Kleiner", lacht er und stützt mich. Naja, eigentlich stützen wir uns gegenseitig, da wir beide etwa gleich viel intus haben. Irgendwie hab ich allerdings ein Gefühl, als ob Kyle damit ein bisschen besser zurecht kommt, als ich, denn er wirkt noch viel zu nüchtern.

Zusammen schwanken wir ins Wohnzimmer und lassen uns gemeinsam auf die Couch fallen. Meine Augen entdecken die immer noch nicht weggeräumten Strings und meine Wangen werden heiß. Uh-oh! Trude blüht echt was, wenn ich sie irgendwann mal wieder sehe... !

Auch Kyle scheint sich durch ihren Anblich erinnert zu fühlen, denn er fischt einen aus der Schachtel hervor - er ist getigert... - und hält ihn mir vors Gesicht. "Na, wie wärs? Willst du dich nicht mal für mich umziehen?", schnurrt er in mein Ohr und unwillkürlich rücke ich ein bisschen näher, trotz der Tatsache, dass wir schon fast aufeinander hocken. "Liebster", säusele ich, auf das Gesagte einsteigend, "für dich würde ich doch alles aus- äh, anziehen. Aber stehst du wirklich auf getigerte Strings?"

Erst jetzt besieht er sich den geangelten Tanga genauer und wirft ihn über seine Schulter. "Nein, du hast recht... ", meint er, während er schon wieder in dem Karton rumwühlt. "Aber... wie wärs mit... uhm... dem?" Diesmal hält er mir ein bordeauxrotes Stück Unterwäsche vor die Nase.

"Schon besser", lobe ich grinsend, strecke meine Hand aus und nehme ihm den String ab. Allerdings benutze ich das nur als Vorwand, um meine Finger mit seinen zu verflechten. Zwischen unseren Handflächen klemmt der Tanga, aber das ist im Moment echt eine sowas von unwichtige Nebensache...! Irgendwie ist Kyle unbemerkt noch viel näher an mich ran gekommen und kaum, dass ich merke, wie winzig der Abstand zwischen unseren Gesichtern ist, werden meine Lippen auch schon von den seinigen in Beschlag genommen. Ein wunderschönes Gefühl! Sie sind so weich und nachgiebig, aber dennoch fest und fordernd. Dieser Art der Kommunikation kann ich natürlich nicht widerstehen und schon bald finde ich mich auf seinem Schoß wieder, seine Hände an Po und Nacken und meine Arme um seinen Hals geschlungen, während meine Finger sich in sein Haar verirrt haben.

Er scheint den Kuss vertiefen zu wollen, denn schnell hat er meinen Mund mit Zunge und Lippen geöffnet. Aber dagegen hab ich ja nichts, war ja schließlich ein Bestandteil meiner alltäglichen Träumereien, seit ich ihn getroffen habe. Ich seufze zufrieden in den Kuss hinein und bekomme fast nicht mit, wie er sich halb dreht und mich auf das Sofapolster hinunter drückt. Langsam öffne ich meine Augen, die ich im Laufe des Kusses geschlossen habe, und sehe mir an, was ich da so glücklich ersteigert habe. Das Oberlicht des Wohnzimmers ist nicht an, sondern nur eine Stehlampe, die gemütliches, atmosphärisches Licht im Raum verbreitet. Alles wirkt ein bisschen schummrig und da Kyle sich so über mich beugt, ist sein Körper vor Schatten dunkel und kaum zu erkennen. Nur seine Augen blitzen mir entgegen. Ein wirklich unvergesslich erotischer Anblick...

Ach, was habe ich doch für ein Glück!

Wieder werde ich geküsst und küsse eifrig zurück. Eine Hand schiebt sich unter meinen Pullover und über meinen Bauch, während meine Finger damit beschäftigt sind, sein Hemd aufzuknöpfen, wobei ich dabei versuche seine Haut so oft wie möglich mit den Fingerspitzen zu berühren. Ihm, wie mir, läuft ein Schauer über den Rücken. Rrrr...

Als er mir den Pullover über den Kopf zieht, helfe ich ein bisschen nach, aber als er sich daran macht, meine Hose zu öffnen, lege ich meine Hand widerstrebend über seine und halte ihn so auf. Ein halb überraschter, halb enttäuschter Blick trifft mich, aber ich lächle ihn beruhigend an.

"Lass uns ins Schlafzimmer wechseln", biete ich atemlos an, denn soeben hat sich mein letzter Rest Verstand zurück gemeldet. Sex auf dem Sofa kann ganz aufregend sein, aber es ist auch ein wenig unbequem und außerdem ungeeignet, wenn es schon so spät ist, dass man danach höchstwahrscheinlich einschläft.

Also rappeln wir uns auf und ich führe ihn durch das Zimmer und über den Flur in mein Schlafgemach. Allerdings kann ich nicht verhindern, dass ich ihn so oft berühre, wie es mir möglich ist und darum geht der eigentlich kurze Weg auch nur relativ schleppend voran. Endlich angekommen wirft Kyle mich beinahe aufs Bett, was mich zum Lachen bringt. Da hat es aber jemand eilig. Andererseits kann ich nicht verleugnen, dass auch mir inzwischen die Geduld ausgeht.

Hastig entkleiden wir uns halb selbst, halb gegenseitig, bis wir die Haut des anderen gegen unsere spühren. Ein wilder Kuss fängt meine Gedanken ein.

Im Lichtschein, der aus dem Flur ins Zimmer scheint, lieben wir uns die ganze Nacht.
 

~
 

Hey.
 

Entschuldigung an alle, die so lange warten mussten, bis ich endlich hochgeladen habe. Inzwischen ist das ja auch schon fast ein Jahr her! Herrgott!

Ich hatte nur sehr viele Probleme mit meinem Computer und zwischenzeitlich noch eine Schreibblockade im Bezug auf diese Story. Noch dazu kam, dass sich mein Schreibstil ebenfalls verändert hat, was sich vielleicht in diesem Kapitel widerspiegelt. Ich hoffe allerdings, dass es nicht allzu offensichtlich ist. ;)
 

Viele liebe Grüße,

Nanashi.



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