Zum Inhalt der Seite

Die Weiße Schlange

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Trauer

Sie wusste nicht, wie viel Zeit seitdem vergangen war.

Die abgrundtiefe Verzweiflung, die sie um den Verstand zu bringen und sie mit schwarzen Schwingen zu ersticken gedroht hatte, war einer erneuten, diesmal noch größeren Betäubung gewichen. Da hatte sich ein schwarzer, bodenloser Abgrund in ihr aufgetan. Und momentan ging sie an dessen Rand entlang, noch unschlüssig ob sie springen oder zurücktreten sollte.

Irgendwann, sie hatte jedes Zeitgefühl verloren, hatte sie Takeos Körper zu Boden gleiten lassen. Sie rief nach Akuma und das treue Tier war nur Sekunden später bei ihr. Sie hatte keine wirkliche Ahnung, wie sie es geschafft hatte das Pferd dazu zu bewegen, sich auf den Boden zu legen. Nur auf diese Weise war es ihr wohl gelungen, Takeos Leichnam auf seinen Rücken zu heben.

Jetzt, wo sie sich in einem langsamen Schritt-Tempo von der Stadt und damit auch vom letzten Feuerschein, der zu ihnen herüberdrang, entfernten, war sie mit einem Mal unendlich müde. Tief über Takeos Leichnam gebeugt saß sie auf dem Rücken Akumas, dessen nachtschwarzes Fell nahtlos mit der Umgebung zu verschmelzen schien. Helle Schleierwolken zogen vor dem Mond dahin und

ließen es wieder dunkler werden.

Als sie den Waldrand erreichten, der in vollkommener Schwärze vor ihnen lag, flüsterte Madoka dem Pferd leise Worte ins Ohr.

"Bring mich zurück, Akuma. Bitte. Bring mich zu Shido und den anderen..."

Sie beugte sich vor und legte den Kopf an seinen Hals. Akuma schnaubte leise.

Madoka schloss die Augen. Nur am Rande bekam sie mit, dass das Pferd sich nun einen Weg durch das Dickicht des Waldes zu suchen begann.
 

Stimmen.

Da waren Stimmen. Und verschwommene Bilder um sie herum. Hände griffen nach ihr und sie wurde in irgendetwas Warmes gebettet. Sie hörte ein Pferd wiehern. Dann herrschte wieder Dunkelheit. Und als Madoka wieder zu sich kam war es heller Tag. Die Sonne schien durch die Zweige des Baumes über ihr, der zwar deutlich weniger Blätter trug als das letzte Mal, als die darunter wach wurde, jedoch noch immer genug Schutz bot, sodass Madoka nicht gegen die jähe Helligkeit blinzeln musste.

Und dann schlug die Erinnerung wie eine alles erstickende Woge über ihr zusammen. Und es tat weh.

Mit einem Ruck setzte sie sich auf, fühlte eine Ader an ihrer Schläfe hektisch und unangenehm pulsieren. Die alte Decke, in die sie gehüllt gewesen war, rutschte von ihren Schultern.

Es konnte noch nicht lang nach Sonnenaufgang sein. Tautropfen bedeckten das hohe Gras auf der Lichtung und Früh-Nebel waberte in feinen Schwaden über den Boden.

Sie hörte jemanden verhalten weinen. Als sie nach rechts, in Richtung des Wasserlaufes sah, konnte sie an dessen Ufer eine zusammengesunkene Gestalt kauern sehen.

Es war Shido-san. Seine Trauer war beinahe greifbar.

"Er hat die ganze Nacht nach dir gesucht.", sagte eine sanfte Stimme neben ihr und als Madoka den Kopf wandte konnte sie Aurinia sehen. Die Yosei saß neben ihr ihm Gras und schaute traurig hinüber zu Shido-san.

"Dann hat er sich auch noch verirrt. Wenn Yasha ihm nicht gefolgt wäre..."

Madoka ließ ihren Blick langsam über die Lichtung schweifen. Sie fand Yasha nicht weit entfernt bei Sayan-sama unter einem anderen Baum sitzen. Er schien zu dösen, hatte sein Schwert Tessaiga neben sich und die Stirn leicht gegen das Heft gelehnt.

Dann fiel ihr Blick auf zwei mit löchrigen, alten Decken verhüllte Körper, die nur wenige Schritte neben ihnen im Gras lagen. Der Schmerz nahm augenblicklich zu, als sie einen dunkelroten Haarschopf unter einer der Decken hervorschauen sah. Ihr schwindelte und sie bemerkte gar nicht, dass ihre Hände zu zittern begonnen hatten. Eine Million ungeweinter Tränen verlangten nach ihrem Vorrecht - doch Madoka konnte nicht weinen. Sie, die sie immer schon ein sehr emotionaler Mensch gewesen war, sie konnte plötzlich keine Gefühle mehr zeigen. Sie WOLLTE keine Gefühle mehr zeigen - denn alles, was man mit der Öffnung seines Herzens, der Offenbarung seiner Gefühle, erreichte war verletzt zu werden. Da entstanden Wunden, so nachhaltig und tiefgründig, dass sie niemals mehr

verheilen würden.

Madoka versuchte des Chaos in ihrem Inneren Herr zu werden. Sie wusste einfach nicht, ob sie je wieder würde lachen können. Momentan war die Welt für sie schwarz. Eine Schwärze in allen nur möglichen Schattierungen. Ihr Herz existierte nicht mehr.

Es hatte scheinbar gemeinsam mit Takeos aufgehört zu schlagen.

Aurinia schien zu wissen, dass es vollkommen gleich war, was sie nun an tröstenden Worten hervorbrachte - es würde den Schmerz der Freundin nicht lindern können. Aber sie wollte ihr zeigen, dass sie in diesem Moment nicht allein war. Daher rückte sie nun näher an die junge Frau heran und legte den Arm um sie.

"Es ist in Ordnung, Madoka-chan. Du darfst jetzt loslassen. Weine ruhig, wenn dir danach ist. Ich bleibe hier bei dir."

Madoka schüttelte in stummem Trotz den Kopf und presste die Lippen zusammen, ließ es jedoch zu, dass Aurinia sacht die Hand hob und ihren Kopf mit sanftem Druck an ihre Schulter lehnte, ihr immer wieder tröstend durchs Haar strich. Lange Zeit sagte niemand von ihnen ein Wort.

"Aurinia...?", flüsterte Madoa schließlich - und erschrak vor ihrer eigenen Stimme, die brüchig und wie die einer alten Frau klang.

"Ich möchte nach Hause. Ich... kann hier nicht bleiben, wo mich alles an... an ihn erinnert..."

... und jeder Schritt den sie tat Schmerz bedeutete, einen Schmerz, der dem der Meerjungfrau gleichkam, die ihres Liebsten zuliebe zum Menschen wurde und als Bezahlung für die Verwandlung bei jedem Schritt den sie tat Messer in ihre Füße schneiden fühlte, um fortan blutige Fußabdrücke zurückzulassen wohin auch immer sie ging.

Der Vergleich war gar nicht so weit hergeholt. Sie hatte das Gefühl zu bluten - denn ihr Leben schien aus ihr herauszufließen, wie aus einer körperlichen Wunde das Blut fließen würde.

"Ich... verstehe.", war alles was Aurinia erwiderte. Sie sah ihre Freundin von der Seite her an.
 

Traurig wandte Madoka den Blick ab. Sie sah zu den beiden abgedeckten Körpern hinüber und verspürte erneut einen tiefen Stich in der Brust. Diese... Körper... Das waren weder Takeo noch Mamoru. Diese Körper waren bloß nur noch eine Hülle dessen, was die beiden jungen Männer ausgemacht hatte, und die zurückgeblieben war als es verschwand. Wohin auch immer.

Manchmal war das Schicksal grausam. Sie, die sie hier geblieben war, litt nun unerträgliche Qualen.

Aber was auch geschah, sie konnte noch immer das sanfte Lächeln auf den Lippen Takeos vor sich sehen als er starb und war sich sicher, wohin auch immer er gegangen war - es konnte dort nicht schlecht sein. Und ihm war verziehen...

Takeo hatte seine dunkle Seite besiegt. Letztenendes hatte er die Schatten seiner mörderischen Vergangenheit aus seinem Herzen vertrieben und die Stimmen, die nach Rache verlangten, zum Verstummen gebracht. Kurz vor seinem Tod war er wahrhaftig frei gewesen. So frei, wie es der kleine Junge gewesen sein musste, den damals Muto Koji bei sich aufgenommen hatte.

Und er hatte Mamoru wiedergesehen im Augenblick seines Todes. Er war nicht allein. Und - Madoka war sich sicher - er war erleichtert, vielleicht sogar glücklich.

Doch dadurch fühlte sie sich bedauerlicherweise nicht besser. All dieses dumme Gerede, dass man die geliebte Person für immer im Herzen tragen würde und sie dadurch weiterlebte... Konnte das wirklich der Gedanke sein, der sie über die Einsamkeit, die Kälte und den Schmerz des Verlustes

hinweg tröstete? Es waren nur Worte! Sie vermochten sie nicht zu halten, zu wärmen oder zu trösten. Welcher Idiot hatte sich bloß diesem MIST ausgedacht? Würde dieser brennende, beinahe schon körperliche Schmerz je enden? Madoka wusste, dass ihre Gedanken eine gefährliche Richtung einschlugen. Wenn sie zuließ, dass die Verzweiflung sie übermannte, dann konnte sie gleich von

der nächsten Klippe springen.

Noch immer haftete ihr Blick auf den zwei Decken und sie konnte fühlen, wie ihr Herz wieder schneller schlug. Sie fühlte etwas in sich heranwachsen. Doch noch immer war sie nicht bereit für die befreienden Tränen.

"Wir werden sie begraben. Hier, unter diesem Baum.", flüsterte Aurinia leise, als sie ihrem Blick folgte. Madoka erwiderte nichts. Was sollte sie auch sagen.

Leere und Schwärze. Das war alles, was sie empfand und was sie umgab. Würde sie je wieder das

Licht der Sonne sehen?

Sie wollte tatsächlich etwas sagen, öffnete den Mund - und schloss ihn dann wieder. Sie wusste, sie würde eine innerliche Barriere überschreiten, wenn sie nun ihre Gefühle in Worte kleidete, eine Barriere, die bislang erfolgreich dafür gesorgt hatte, dass sie nicht weinte. Jetzt, wo sie ihre Gefühle das erste Mal überhaupt in Worte zu fassen versuchte, wo sie auch nur daran GEDACHT hatte es zu tun, fühlte sie den Knoten in sich abrupt heranwachsen, der ihr tatsächlich sowohl das Atmen, als auch das Reden erschwerte. Sie schloss gepeinigt die Augen und krümmte sich leise wimmernd zusammen, eine Hand scheinbar hilfe- und haltsuchend um Aurinias Handgelenk geklammert. Sie WOLLTE einfach nicht weinen.
 

Die Yosei legte ihre andere Hand über die der Freundin und musste plötzlich selbst mit den Tränen kämpfen. Sie setzte sich auf und zog Madoka in ihre Arme. Und Madoka... konnte noch immer nicht weinen. Sie rang nach Luft und atmete für einige Sekunden beinahe hektisch, doch sie verlor nicht eine Träne.

Aurinia fühlte sich hilflos, ungleich hilfloser als in dem Moment, wo sie in Hijikatas Gewalt gewesen war. Es konnte nicht gut sein, dass Madoka ihre Trauer nicht herausließ. Die Yosei konnte mit heimtückischen Angriffen umgehen, selbst mit Krieg und Folter wurde sie fertig - und auch mit einem gewissen, manchmal unberechenbaren, Halbdämon. Was sie jedoch nicht konnte - zumindest noch nie hatte tun müssen - war, jemandem in Trauer zur Seite zu stehen. Sie tat ihr Bestes - aber Worte fand sie keine. Vielleicht war dies jedoch auch nicht das, was Madoka jetzt brauchte.

Angesichts dieser auch körperlich sichtbaren, abgrundtiefen Verzweiflung kapitulierte selbst die ruhige Ausgeglichenheit einer Yosei. Sie spürte, wie ihr selbst plötzlich doch die Tränen über die Wangen liefen.

Hilflos sah Aurinia auf die Freundin in ihren Armen hinab und fragte sich einmal mehr, warum sie nicht von Anfang an allem Einhalt geboten, alles abgewendet hatte. Sie hätte es gekonnt.

Letztendlich kümmerte sie es doch einen Dreck, welche Auswirkung diese Ereignisse auf die Zukunft haben mochten, aus der Madoka stammte. Wenn sie in das Gesicht ihrer Freundin schaute und die tiefe Verzweiflung in ihren Augen gewahrte, dann war sie sich sicher, dass es dies alles niemals wert

gewesen sein konnte.

Takeos Tod war unvermeidlich gewesen. Aber Madoka... Gott, sie hätte die junge Frau niemals...

Es tat ihr unendlich Leid.

Doch noch gab es Hoffnung... Wenn nur...

Wie eine besorgte Mutter bei ihrem kranken Kind legte Aurinia der Freundin nun die flache Hand auf die Stirn, fühlte ihre Körpertemperatur an Stirn und Wangen. Madoka hatte kein Fieber, doch sie atmete immer noch flach und sehr rasch. Aurinia redete beruhigend auf sie ein. Dann legte sie die Handfläche auf ihr Herz, lauschte dem hysterischen, flatternden Schlag. Sie musste sich beruhigen!

Aurinia schloss die Augen und legte ihre Hände sacht an die Schläfen der Freundin. Ihre gemurmelten, ruhigen Worte wurden zeitweilig lauter, eindringlicher. Madoka wehrte sich nicht.

Beinahe augenblicklich konnte die Yosei spüren, dass sich der Pulsschlag der jungen Frau beruhigte. Er war zwar noch immer schnell, aber er jagte nun nicht mehr an der Grenze eines Nervenzusammenbruches entlang. Aurinia war sich nicht einmal sicher, ob Madoka diese kleine Untersuchung wirklich mitbekam.

Schließlich ließ die Yosei ihre Hand auf dem Unterleib der Freundin ruhen, runzelte konzentriert die Stirn. Möglicherweise...

Madoka fuhr zusammen und Aurinia zog beinahe erschrocken die Hand zurück. Doch die junge Frau sah sie nicht einmal an. Mit einer unbewusst unwilligen Geste wehrte sie die Yosei ab und stand plötzlich recht abrupt auf. Sie ging leicht schwankend hinüber zum Bach.
 

Sie fror. Die Sonne schien durch die Zweige und gewann an Kraft, doch die Kälte in ihr rührte nicht von außen, sondern sie kam aus ihrem Inneren. Dort, wo ihr Herz gewesen war, war nun ein eisiger, steinharter Klumpen, der schmerzhaft und beständig wachsend ihr gesamtes Inneres auszufüllen begann.

Sie ließ sich schwer am Ufer nieder, beugte sich vor und schöpfte mit beiden Händen eiskaltes Wasser in ihr Gesicht. Der Schock, als das kalte Nass ihre heißen Wangen berührte, hätte ihren Kopf

klären sollen. Doch das genaue Gegenteil war der Fall. Mit einem Mal ließ der Druck in ihrem Inneren nach und sämtliche Schleusen in ihr öffneten sich, ließen die Tränen nun endlich zu, die sie zuvor

beinahe krampfhaft zurückgehalten hatte. Doch jetzt... jetzt...

Noch in der Hocke taumelte sie nach vorn, fiel und fing sich mit einer Hand im Wasser ab. Ihr Körper krümmte sich wie unter schmerzhaften Krämpfen. Die Tränen fluteten nur so über ihr Gesicht, fielen ins Wasser. Sie rang nach Atem und konnte dem ersten, verzweifelten, seltsamerweise jedoch völlig lautlosen Schluchzen nichts entgegensetzen. Alles verschwamm vor ihren Augen. Sie presste die andere Hand auf ihre Brust, krallte die Finger in den vor Nässe triefenden Stoff des Kimonos als wolle sie sich allein dadurch Luft verschaffen und den brennenden, unaufhörlichen Schmerz in ihrem Inneren zum Verstummen bringen, indem sie sich die Kleidung vom Leib riss.

Dann, endlich, endlich, konnte sie einatmen. Das tat beinahe noch mehr weh - aber nun konnte sie alles herauslassen. Sie weinte wie nie zuvor in ihrem Leben.

Jetzt zeriss ihr lautes Schluchzen die Stille auf der Lichtung, langgezogen und so traurig, dass es einem Schauer über den Rücken jagte.

Schließlich fühlte Madoka starke Arme, die sie ergriffen und scheinbar mühelos aus dem Wasser hoben, sie behutsam am Ufer niederlegten. Sie wusste nicht, wer das war und es war ihr auch gleich.

Als die Arme sie an eine breite und warme Brust zogen vergrub sie ihr Gesicht in der Kleidung und schrie und weinte ihren grenzenlosen Schmerz hinaus, schlug wild mit den Fäusten um sich. Die Arme legten sich so fest um sie, dass sie erneut kaum Luft bekam - aber auch das registrierte sie nur am Rande.

Und in den Schatten der Bäume stand Aurinia. Auch über ihre Wangen liefen Tränen. Sie sprach leise Worte in einer fremdartigen, uralten Sprache, die ungehört in dem Raunen und Wispern der Blätter und Zweige um sie herum verklangen. Ein Totengesang der Yosei, der so alt sein mochte wie die Welt selbst.

"Mein Körper gehört dieser Erde. Aber meine Seele gehört nur dir. Auch wenn mein Leben endet, meine Seele wird dich ewig beschützen. Auch von der nächsten Welt aus..."
 

~~~oOo~~~
 

Es mochten Stunden vergangen sein und Madoka meinte keine Tränen mehr zu haben, die sie weinen konnte. Nach wie vor lag sie in den Armen der Person, die sie aus dem Wasser geholt

hatte. Ab und zu strich sie ihr liebevoll durchs Haar. Madoka starrte mit leerem Blick und vollkommen ausdruckslos...

"Es... tut weh...", flüsterte die junge Frau plötzlich.

"Ja.", erwiderte die Stimme Shido-sans sehr leise und ganz nah an ihrem Ohr. Die Wärme seines Atems streichelte sie. "Es ist grauenvoll..."

"Oh, nein..., grauenvoll...", Madoka schüttelte den Kopf ohne aufzusehen, "… grauenvoll... ist nicht das richtige Wort. Ich... ich würde am liebsten sterben, so weh tut es..."

Die Tränen stürzten erneut aus ihren Augen. Ihre kalten, schlanken Finger krallten sich hilflos in seine Kleidung.

"Ich bekomme keine Luft, Shido... Ich habe das Gefühl, als würde ich ersticken..."

Sie weinte und weinte, als würde sie alle Tränen der Welt an diesem einen Tag und in diesem einen Moment weinen wollen. Der Schmerz war noch da und vielleicht würde er niemals ganz vergehen.

Aber sie konnte fühlen, wie mit jeder Träne, die sie weinte, der saugende Abgrund in ihr, die Schwärze und die Dunkelheit langsam wichen. Und sie machten noch etwas anderem, vielleicht schlimmerem Platz: Resignation.
 

~~~oOo~~~
 

Der Wind war kalt geworden. Zwar fing es den ganzen Tag über nicht ein einziges Mal mehr an zu regnen, aber der im Gegensatz zu den vorherigen Tagen wieder ungetrübte Sonnenschein konnte nun nicht mehr über den nahenden Herbst hinwegtäuschen.

Madoka stand am Grab Takeos. Mamoru hatten sie schon beigesetzt und der Hügel von dunkler Erde schien wie ein schweres Grabtuch oder gar ein Sargdeckel über der Leiche des jungen Mannes zu liegen. Gedankenverloren strich sich Madoka das Haar aus den Augen, mit dem der Wind spielte.

Taktvoll hatten Aurinia, Yasha und Shido ihr den Vortritt beim endgültigen und letzten Abschied gelassen. Sie standen in einiger Entfernung und schauten traurig zu, wie die junge Frau nun bei Takeos Leichnam niederkniete, der neben dem für ihn ausgehobenen Grab lag.

Lange saß sie nur da und schaute auf sein ruhiges und friedliches Gesicht hinab. Shido hatte sich die Mühe gemacht und das Blut von seiner Haut gewaschen. Furchtbar tiefe Wunden waren dadurch sichtbar geworden. Aber Takeo würde sie nicht mehr spüren müssen.
 

Madoka hasste Abschiede. Und lange Abschiede hasste sie noch mehr.

Der Schmerz war ohnehin unerträglich genug. Man musste ihn nicht unnötig verlängern, indem man die geliebte Person tot vor sich liegen sah und diesen Moment auch noch hinauszögerte. Behielt sie ihn besser so in Erinnerung, wie sie ihn kennengelernt hatte: Als einen wilden, rothaarigen Teufel auf einem nachtschwarzen Pferd, als einen begnadeten Schwertkämpfer und dennoch zärtlichen Liebhaber.

Sie beugte sich hinab und küsste sanft die gesprungenen, kalten Lippen.

"Ich liebe dich, Takeo. Immer. Wo du auch bist.... ich werde dich nie vergessen."

Sie strich durch sein dunkles, rötliches Haar.

"Leb wohl..."

Sie stand auf und drehte dem Körper, der nicht mehr Takeo war, und dem Grab augenblicklich den Rücken zu. Sie taumelte mehr als dass sie ging, als sie sich auf den kleinen Bachlauf zubewegte, wo sie vorhin ihren Nervenzusammenbruch in Shidos Armen durchlebt hatte. Doch wirklich sehen, wohin sie ging, tat sie nicht. Alles war gleichgültig geworden. Sie wollte nur noch heim.

Nach Hause.

Absurderweise wünschte sie sich gerade innig, sich bei ihrer jüngeren Schwester ausheulen zu können. Oder bei ihrer besten Freundin... Sie fühlte, wie ihre Beine nachgaben und sank in die Knie.
 

~~~oOo~~~
 

Der Übergang war fließend und nicht nachvollziehbar.

Selbst wenn sie sich im Nachhinein unzählige Male noch ins Gedächtnis zurückrief, was nun geschah, dann konnte sie sich nicht erinnern irgendetwas Außergewöhnliches gespürt oder tatsächlich gefühlt zu haben.

Von einer Sekunde zur anderen war sie zurück. Eben noch gaben ihre Beine nach, kapitulierte ihr Körper vor der Wucht und Schwere der Traurigkeit, die sie niederringen wollte, und im nächsten Moment kam sie mit den Knien auf dem Teppich in ihrem Schlafzimmer auf, verlor das Gleichgewicht nach vorn und fing sich mit einer Hand am Boden ab, um nicht schlichtweg vornüber auf der Nase zu landen vor Überraschung. Ungläubig blieb sie einige Sekunden in dieser unmöglich Pose, sah vollkommen fassungslos, wie ihre Hand in dem weichen, tiefen Teppich versank, mit dem ihr Zimmer in der Gegenwart ausgelegt war. Sie konnte ihr Herz heftig schlagen hören und spürte ihren Puls jagen. Das Blut rauschte in ihren Ohren und an ihrer Schläfe begann eine Ader nervös zu pochen.

Was zum Teufel...?

Wie war das möglich?

Dermaßen unvermittelt ihren momentan innigsten Wunsch erfüllt zu sehen erfreute Madoka keineswegs - sie war einfach nur entsetzt! Was für... eine Macht konnte SO ETWAS bewerkstelligen? Wie um alles in der Welt...

Sie blinzelte und hob endlich den Kopf, beinahe schon darauf wartend, dass es sich hierbei um nichts anderes als um eine Halluzination handelte und sie sich wieder auf der Lichtung befand umgeben von unendlich alten, knorrigen Bäumen. Doch das Bild blieb dasselbe.

Sie war wieder zu Hause. Wusste der Himmel wie und warum - aber sie war zurück.

Zitternd setzte sie sich auf und blickte an sich herab. Wenn alles was sie erlebt hatte nur ein Traum gewesen war, dann ein sehr realistischer - denn ihre Kleidung, ein ehemals blütendweißer Kimono, war nach wie vor blut- und dreckbesudelt, zerrissen und rußgeschwärzt.

Blutbesudelt.

Takeos Blut...

Ihre Hände krampften sich in den Stoff des Kimonos.

Jetzt, wo sie zurück war, so vollkommen unerwartet und ohne sich von ihren neuen Freunden verabschieden zu können, war sie einfach nur vollkommen verwirrt. Herausgerissen aus der einen und unvermittelt in die andere Zeit zurückgeworfen wusste sie einfach nicht was sie nun tun sollte, wie sie sich verhalten sollte.

Wie viel Zeit war hier inzwischen vergangen? Hatte man nach ihr gesucht? War vielleicht sogar die Polizei auf der Suche nach ihr? Oh Gott, was würden ihre Eltern sagen, wenn sie urplötzlich und in dieser Aufmachung aus ihrer kleinen Wohnung unter dem Dach und die Treppe zur Wohnung ihrer Eltern herunterkommen würde?

Doch die Entscheidung wurde ihr abgenommen.

Polternde Schritte drangen von draußen herein und dann wurde die Tür zu ihrem Zimmer so heftig aufgerissen, dass das Türblatt der Person, die nun im Türrahmen abrupt stehen blieb, zitternd aus der Hand gerissen wurde und gegen die Wand flog.

Es war Madokas Schwester.

Rhyan stand einfach nur da und riss Mund und Augen auf, starrte sie an, als wäre sie ein Geist. Ihre Lippen formten Worte, die sie noch nicht im Stande war auszusprechen.

Madoka sah ihre Schwester an und erst jetzt, erst jetzt begann sie WIRKLICH zu realisieren, dass sie wieder zu Hause war. Ihr schossen die Tränen in die Augen. Sie sprang im selben Moment auf, in dem Rhyan loslief. Madoka war sich nicht sicher, aber sie glaubte auch ihre Schwester weinen zu hören, als sie sich heftig um den Hals fielen. Sie umarmten sich fest und sehr lange, Madoka schluchzend, Rhyan etwas vor sich hin murmelnd, was wohl nicht einmal sie selbst verstand.

Dann fand sie wohl anscheinend ihre Stimme wieder, ließ Madoka jedoch nicht los und sprach praktisch in ihr Haar hinein als sie nun mit bebender Stimme sagte:

"Madoka... Mein... Was... Wo WARST du denn nur? Es... Eben hörten wir ein Geräusch von oben und ich hab Mam gesagt dass ich mal nachsehen werde... Wir… haben uns solche Sorgen gemacht! Und nach all der Zeit dachten wir... Ich bin so froh! Ich bin so froh, dass du wieder da bist!"
 


 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 


 

Höhöö...^^
 

Hallo, ihrs^^!

Ich wollte mit der überbordenden Trauer von Madoka-chan ausdrücken, wie unendlich viel ihr Takeo bedeutet hat. Trauer dauert oft Wochen, Monate, Jahre an. Ich konnte ihre Trauer einfach nicht in ein paar Sätzen abhandeln. Also verzeiht mir die ganze Heulerei, ja?^^

Und zum Schluss ein kleines Schmankerl für meine Rhyan^^. Oder würdest du als Chara lieber anders heißen??? Sags mir, ich änders noch^^.

Ist ja nur ein Spaß.

Ich dachte mir so, dass unsere Mama vielleicht eine Japanerin und unser Papa ein Europäer ist? So erklären sich vielleicht auch unsere so unterschiedlichen Namen^^.

Wünsch euch was!

Und NEIN hiermit ist es auch IMMER noch nicht zu Ende!

Denjenigen, denen die Rückkehr zu abrupt war kann ich sagen, dass das Ende noch eine völlig andere Richtung einschlagen wird. Ich hab den Übergang so abrupt gemacht, da ich Zauberkram wie einen Knall, eine Rauchwolke oder ähnliches einfach zu lächerlich gefunden hätte in diesem Zusammenhang.
 

Grüße!

Mado-chan^^



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Schalmali
2007-03-19T21:01:51+00:00 19.03.2007 22:01
Und am Ende war sie plötzlich genauso schnell da wie sie hergekommen ist... das muss ja toll sein *hüstle - ironie* Traurig traurig das ganze aber kanns sein dass Takeo ihr ein kleines Andenken ans Abenteuer zurückgelassen hat? *grins*
Von:  Rogue37
2007-02-08T11:21:10+00:00 08.02.2007 12:21
Okay, Trauer. EIn tolles Thema. Du weißt ich leibe Trauer, Verzweiflung und all den düstern Kram. Und du hast das sehr schön umgesetzt. Arme Mado. Besonders gut gefiel mir, dass sie erst nicht weinen wollte. Das trifft doch den Nagel auf den Kopf. Fängt man an zu weinen, beginnt man zu trauern und damit wird etwas real, was einem momentan noch wie ein Albtraum vorkommt. von daher ist das eine tolle Überlegung von dir gewesen. Bei einem so tiefen Verlust kann man erst einmal nicht verstehen, dass er wahr ist. Ich meine man fühlt es, aber man begreift es nicht. Und das ist durch diese kleine TAtsache super deutlich rübergekommen. Und dann wenn der Verstand anfängt zu arbeiten und das Ausmaß der Ereignisse deutlich wird, bricht man zusammen und wenn man irgendwann zu erschöpft zum weinen, zu erschöpft zum trauern ist, dann gibt man auf. Eine natürliche REaktion. Eindrucksvoll nacherzählt.

Shidos Trauer, obwohl nur am Rande erwähnt, ging mir auch sehr zu Herzen. Diese Greifbarkeit seines Schmerzes ... Armer Kerl. Ich mein er ist ein großer starker Mann, ihn an einem Fluss sitzen zu sehen und zu weinen, so etwas geht mehr zu Herzen als jede andere Szene dieser ERde.

Und dann dieser abrupte Wechsel. GEfällt mir eigentlich sehr gut. Find ich sogar glaubwürdiger als alles andere mit langem Abschiedsschmerz und so. Von jetzt auf nachher schon wieder aus etwas herausgerissen. Arme Mado, das ist wirklich ein wahrer Albtraum. Wer weiß da schon noch was real ist.

Und wieso wunderts mich eigentlich nicht, dass du deien Sis eingebaut hast <lach>

"Mein Körper gehört dieser Erde. Aber meine Seele gehört nur dir. Auch wenn mein Leben endet, meine Seele wird dich ewig beschützen. Auch von der nächsten Welt aus..." Hast du dir den selbst ausgedacht? Der ist echt klasse!!!


Zurück