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Die Weiße Schlange

von

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Takeos Entscheidung

Als er das erste Mal zu sich kam hatte Takeo das Gefühl zu schweben. Eine seltsame, schwerelose Leichtigkeit hatte von ihm Besitz ergriffen und er spürte weder seine Verletzungen, noch die Tatsache, dass er auf einem weichen Futon gebettet lag.

Er war nicht allein. Doch es war wie mit den Gefühlen. Er registrierte zwar, dass da noch andere

Personen mit ihm im Raum waren, aber er tat es aus einer seltsamen Distanz heraus, so als wäre es nicht er, der hier lag und auf den die besorgten Gesichter hinabblickten. Und er glitt zurück in eine tiefe, traumlose Bewusstlosigkeit, bevor er erfassen konnte, wer die Personen bei ihm waren.

Als er das zweite Mal erwachte waren die Schmerzen da. Vielleicht waren sie sogar der Grund für sein Erwachen. Sein ganzer Körper bestand praktisch aus einem einzigen, nicht enden wollenden Schmerz - nicht nur äußerlich. Denn mit dem Schmerz und seinem vollen Bewusstsein kehrten auch die Erinnerungen zu ihm zurück. Die Tatsache, dass er im Kampf die Nerven verloren und erneut zum Hitokiri geworden war bedeutete nicht etwa, dass er sich nicht mehr seiner Taten entsann - es war vielmehr so gewesen, als wenn der Attentäter in ihm die Überhand gewonnen und den Vagabunden in ihm zurückgedrängt hatte. Dieser zurückgedrängte Takeo hatte hilflos mit ansehen müssen, was er sowohl seinen Feinden, als auch seinen Freunden hatte antun wollen - oder angetan hatte.

Er dachte an Madoka. Er hatte sie niedergeschlagen. Was mochte sie nun von ihm denken? Was musste sie empfunden haben, als er es getan hatte? Wenn Shido nicht gewesen wäre, hätte er sogar erneut getötet, dessen war er sich ganz sicher. War er psychisch wirklich dermaßen labil, dass er sogar Angst haben musste, seine engsten Freunde zu verletzen? Anscheinend war dem so. Und die für Takeo logische Konsequenz hieraus war, dass er so schnell wie möglich hier fort musste, fort von den Menschen, die ihm so wichtig waren, damit er ihnen nicht noch mehr schaden konnte.

Dieser Gedanke schmerzte ihn schlussendlich mehr, als es die äußerlichen Verletzungen jemals imstande gewesen wären.

Doch als er sich stöhnend aufzurichten versuchte, um gleich in die Tat umzusetzen, was er nun beschlossen hatte zu tun, da trat ein älterer, gebeugter Mann mit ergrauendem Haar an seine Liegestatt und drückte ihn sanft, aber bestimmt, in die Kissen zurück.
 

Wie er schon bald erfuhr handelte es sich um den Arzt der Kurtisanen des "Aka-Chochin", in dem er sich befand.

Und dann eröffnete ihm dieser Arzt beinahe beiläufig, dass er niemals wieder würde kämpfen oder ein Schwert führen können, wenn er nicht Gefahr laufen wollte selbst zu sterben. Das war einer der seltenen Momente im Leben des jungen Mannes gewesen, in denen er so erschüttert und verzweifelt war, dass er das Gefühl hatte ein schwarzer, bodenloser Abgrund würde sich vor ihm auftun, um ihn zu verschlingen.

Das Schwert war sein Leben. Hier ging es nicht darum, dass es sich in erster Linie um eine Waffe handelte, die Leben forderte. Schon seit seiner Kindheit liebte er es, dem Kendo, dem "Weg des Schwertes" zu folgen, genoss die pure Ästhetik und Reinheit der Bewegungen, die Art, sich von jedem Gedanken an weltliche Dinge zu lösen und inneren Frieden in der körperlichen Betätigung zu suchen und zu finden. Bushido. Mit allem in Gleichklang sein und eins werden mit der ihn umgebenden Welt. Stärker zu werden, nicht nur körperlich, sondern auch im Geiste. Stark genug jene zu schützen, die er liebte. Und jetzt...

würde er niemals wieder diesen Frieden, diese innere Ausgeglichenheit erfahren? Niemals wieder imstande sein, seine Freunde zu schützen? Erst später, zwar immer noch Kind aber doch bereits heranwachsend, als man ihm auf brutale Weise alles genommen hatte, was ihm etwas bedeutete, verlor er jene Ausgeglichenheit und innere Ruhe mit jedem Tag den er fortan als Attentäter tötete mehr und mehr aus den Augen, wurde zu einem anderen, sehr viel verbitterteren und unberechenbareren Menschen, zu jemandem, vor dem er sich selbst beinahe fürchtete. Wenn man ihm sein Schwert nahm, nahm man ihm auch die Möglichkeit jemals wieder zu seiner anfänglichen Rein- und Ausgeglichenheit zurückzufinden. Er würde nie wieder gutmachen können, was er getan hatte - das hätte er ohnehin niemals gekonnt, aber er hätte die Menschen nun schützen und für sie

kämpfen können, ein wenig - und hier war ihm auch bewusst, dass es im Grunde egoistisch war - sein Gewissen erleichtern können, um die Albträume, die ihn Nacht für Nacht quälten, eines Tages wenn schon nicht verschwinden, dann doch leichter ertragen lassen zu können.
 

Und dann...

tat sich der schwarze Abgrund vor ihm so lautlos wieder zu, wie er sich zuvor geöffnet hatte.

Es war ganz einfach. Er würde NICHT gehen. Er WÜRDE weiterkämpfen. Es war ihm gleich, was mit ihm geschah. Sollte er sterben. So würde er für seine Sünden sühnen. Und dies war der allergrößte Unsinn, den er überhaupt denken konnte. Denn nun war es ja nicht mehr so, dass er nur für sich selbst kämpfte. Sollte er tatsächlich sterben, dann würde er Menschen, die ihn liebgewonnen hatten,

sehr weh tun. Es wäre egoistisch zu glauben, dass er damit seine Schuld tilgen könne und dann alles gut wäre.

Madoka würde traurig sein. Und Shido-san... Der beste Freund, den er jemals gehabt hatte. Und dann dieser dickschädlige Halbdämon nebst seiner reizenden Gefährtin... Er KONNTE sie nicht im Stich lassen.

Auf der anderen Seite...

Madoka würde diese Epoche wieder verlassen. Es war nur eine Frage der Zeit, dann würde sie wieder aus seinem Leben verschwinden - und er wusste nicht, ob er ohne sie überhaupt noch leben WOLLTE...
 

Ihn überraschte die Intensität seiner Gefühle. Noch vor ein paar Tagen war er fest entschlossen gewesen, die junge Frau zu vergessen - schon um ihrer selbst willen. Aber er hatte sich etwas vorgelogen. Denn er konnte seine Gefühle für sie nicht verleugnen. Wenn sie ging nahm sie einen Teil von ihm mit - und ohne diesen Teil wäre er nicht mehr fähig dem Leben noch irgendetwas abzugewinnen.

Es galt noch einen einzigen, letzten Kampf auszufechten - und es würde der schwerste seines Lebens sein. Er würde seinen Bruder stellen. Zunächst würde er versuchen mit ihm zu reden - das schwor er sich. Sollte dies nicht genügen, um ihn zur Vernunft zu bringen, würde er mit ihm kämpfen. Und wenn er dabei starb und Mamoru, der, ebenso wie er selbst, so viel Leid über die Menschen gebracht hatte mitnahm, dann wäre sein Tod nicht umsonst. Und Madoka wäre frei zu gehen, könnte gehen ohne zurückzublicken. Nicht, dass er sie daran gehindert hätte, sollte er das Glück haben sein Leben neu zu beginnen. Aber er spürte, dass die innere, unsichtbare Bindung zwischen ihnen schon beinahe zu stark war, um sie zu durchtrennen. Sein Ende würde sie jedoch freigeben.

Und Shido? Und die anderen?

Doch er MUSSTE eine Entscheidung fällen. Die Alternative hätte bedeutet, nie wieder ein Schwert zu führen. Er würde vielleicht alt und grau werden - aber ohne SIE. Denn sie würde gehen.
 

Wie er es auch drehte und wendete, seine Gedanken kehrten immer wieder zu Madoka zurück. Er würde bei seinem ersten Entschluss bleiben, und ihr niemals sagen, was er für sie empfand. Er hatte sich nun innerlich mit der damit verbundenen Qual einer unerfüllten Sehnsucht abgefunden, denn so würde er sie nicht an sich binden. Sie würde in ihrer Zeit glücklich werden.

Sie hatte noch ein ganzes Leben vor sich. Er hatte nicht das Recht ihr das zu nehmen.

Und deshalb war es richtig, wenn er es zu Ende brachte. Wenn er mit sich und der Welt insofern ins Reine kam, als dass er zumindest seinen Bruder zu retten versuchte.

'Mamoru...

Mein Bruder... Du hast so viel durchlitten und ich habe dich im Stich gelassen. Verzeih mir. Auch wenn es zu spät ist. Verzeih...'

Sein Hass auf den Bruder war im selben Moment geschwunden, in dem der Hitokiri in ihm einmal mehr starb. Und Takeo wusste, dass er nicht mehr so leicht zurückkommen würde. Der Attentäter in ihm würde womöglich nie mehr wiederkehren. Er war in dem Moment gestorben, als er die Hand gegen die Menschen erhoben hatte, die er liebte: Madoka und auch Shido-san. In dem Moment, wo der innere Dämon ihn dazu getrieben hatte, seinen eigenen Bruder töten zu wollen, hatte er sich selbst der Handlungsgrundlage beraubt, war zum Ausdruck eines blinden Hasses geworden, den er vorschob, um seine wahren Gefühle und sein verletzliches Ich zu verbergen. Dieser Dämon hatte sich selbst getötet. Denn die Beweggründe, aus denen er geboren wurde, waren erschüttert worden. Er wollte beschützen und rächen - und hatte verletzt, diejenigen, die er schützen wollte ohne nachzudenken verwundet. Er würde für alles die Schuld auf sich nehmen, wenn Mamoru ihm letztendlich verzieh.

Diese Konfrontation hatte er noch vor sich - egal wie sie aussehen mochte. Er würde nicht davonlaufen, nur weil möglicherweise sein Körper zu schwach war den Kampf zu überstehen.

Er hatte seine Entscheidung getroffen. Und er betete das erste Mal seit seiner Kindheit, dass die Götter ihm vergeben mögen. Was er getan hatte und auch was er noch tun würde.

'Madoka...

Ich muss es tun. Bitte verzeih auch du mir...'

Dann sank er erneut in einen dieses Mal sogar ruhigen und erholsamen Schlaf.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Schalmali
2007-03-19T17:02:43+00:00 19.03.2007 18:02
Typisch Mann ^^ Nein Scherz ... aber wenn er von Anfang an Kämpfer war legt man das nicht einfach ab bzw. nicht Kämpfer aber damit seine Ruhe fand... Er schließt in Gedanken sogar nicht nur Aurinia mit ein sondern auch den Halbdämon das fand ich putzig *grins* aber hauptsächlich natürlich Madoka ^^
Von:  Rogue37
2006-09-26T10:31:11+00:00 26.09.2006 12:31
<schweigend hier sitz und Bildschirm anstarr>
Gott, weißt du wann eine GEschichte wirklich gut? Oder auch nur ein Kapitel. Wenn du vollkommen darin versinkst, wenn dich das GEschriebene packt und vergessen lässt wo du gerade bist. Geht mir bei diesem Part gerade so. Takeos Seelenheil, seine Etnscheidung, seine Gedankengänge sind derartig intensiv, dass sich mein magen zusammenkrampft, während ich das gelesen habe. Einerseits möchte ich den kerl eine scheuern, weil das typisch Kerl ist. Der eigene Stolz, das bewusstsein, was er für richtig hält. Die Konsequenz mit der er diese Regeln einhält. Ich bewundere diese Art an einem Mann (so jemanden kenn), aber es macht jedem Menschen, der an ihm hängt unmöglich da mithalten zu können.

Selbst wenn ich dich nicht kennen würde, wüsste ich jetzt mit welcher Hingabe du dich dem Leben eines Samurais hingibst. Wie sehr du dich damit schon beschäftigt hast. Die Erzählung, was das SChwert für Takeo bedeutet, der innere Frieden und all das, der Inbegriff der Philosophie die durch das Schwert gelehrt wird. Das ist so unglaublich schön geschrieben und erzählt, dass es mir die Tränen in die Augen treibt (sehr toll, da ich grad auf der Arbeit bin), aber es ist wirklich so. Du schilderst die absolute Schönheit. Eine die man eigentlich nicht sehen kann, die aber da ist. ich liebe die Schönheit deiner Worte ^^


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