Zum Inhalt der Seite

Die Sicht der Dinge

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Gut

Die Sicht der Dinge: Gut von Nudel

======================================
 

Fortsetzung zu "Momente".

Vorwort: Ich weiß, ich hab euch warten lassen. Aber mir kam da 'ne Grippe und 'ne Klassenfahrt dazwischen. Dafür ist das der längste Teil überhaupt. Aber er muss jetzt auch für eine Weile herhalten, denn morgen schon fahre ich in den Urlaub, an einen Ort, wo ich nicht einmal Zugang zu einem Computer hab. Leider. Und ich werde dort drei Wochen lang bleiben. Ich bin begeistert.(<- ironisch gemeint!)

Disclaimer: Alle nicht meine.

Warnung: Keine

Widmung: Geht diesmal an das größte Arschloch, das ich kenne. Und ein Feigling ist er auch noch dazu. Meine Widmung geht an meinem ehemals besten Freund Lian. Ich hoffe du wirst glücklich, mit dem, was du weißt und weitab der Realität.
 

Viel Spass!
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Fahles, lebloses Licht fällt auf mich hinunter, auf die hellgrauen Plastikstühle, auf den dunkleren, ebenfalls grauen Linoleumboden. Die Geräusche hier sind furchtbar. Das Laufen der Schwestern und Ärzte, das Schlurfen der Patienten, das Piepsen und Poltern der Maschienen hier... Das alles hallt in diesem Gang, scheint dadurch nur an Lautstärke zu gewinnen, sosehr, dass es in meinen Ohren dröhnt. Nur das leise Wimmern neben mir bleibt leise, und wird doch nicht übertönt.

Ich sitzte zusammen mit Kari hier im Krankenhaus, halte einfach nur ihre Hand. Mehr kann ich nicht tun. Ich sie nicht einmal ansehen. Es ist unerträglich. Sie so zu sehen, sich hin und her wiegend, mit Tränen in den Augen, die sie doch nie verlassen, fast schon winselnd.

Es war einfacher, als sie noch geschrien hat.

...als sie noch geschrien...

...geschrieen...

Als ich sie hab' schreien hören, bin ich sofort zu ihr gerannt. Das, was ich sah... ich hätte selbst am liebsten bloss geschrien. Da war überall Blut. Auf dem Teppich. Auf dem Boden. Auf Kleidung. Auf Tais Kleidung. Auf Tai. Es war noch rot...

Ich schüttele den Kopf. Ich will nicht daran denken. Weder an das, was ich sah, noch an das, was ich fühlte. Aber diese Gedanken kommen immer wieder zu mir zurück.

Ich fühlte mich so hilflos. Vor mir lag der leblose Körper Tais, neben mir schrie Kari. Sie schrie einfach. Sie rief weder meinen noch Tais Namen. Sie schrie und zitterte. Und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich stand da, starrte mal Kari, mal ihren Bruder an.

Ich weiß nicht, wie lange ich gebraucht habe, bis ich begriffen habe, dass ich Hilfe holen muss. Aber ich weiß noch, wie ich an das Telefon rannte, beinahe hinfiel, den Hörer abhob und wählte. Irgendwie schaffte ich es, beim Notruf zu landen, aber ich kann mich an das, was ich sagte, nicht mehr erinnern.

Danach ging ich wieder zu Kari. Sie sass vollkommen verloren in der Blutlache und wimmerte. Ich wollte versuchen, sie aus den Zimmer zu ziehen, aber all das Blut dort...

Ich konnte nicht. Ich konnte es ganz einfach nicht.

Manchmal, in bestimmten Momenten, fühlt man sich, als wäre man gerade erst sieben Jahre alt, auch wenn man eigentlich doppelt so alt ist.

Ich setzte mich auch auf den Boden, aber möglichst weit weg von dem Blut.

Wir haben lange gewartet. Zumindest kam es mir da so vor. Wahrscheinlich waren es nur ein paar Minuten. Aber als ich die Sirene hörte, bin ich rausgerannt.

Ich wollte die Sanitäter hinführen. Ich konnte ihnen nur noch sagen, auf welches Stockwerk sie mussten, dann wurde alles schwarz. Ich war nur noch sieben Jahre alt, und ich habe es nicht ausgehalten.

Das nächste, woran ich mich erinnern kann, ist das kahle Zimmer, in dem ich wach wurde. Es war ein schmaler, kleiner Raum, dessen einzige Ausstattung eine Liege war. Ich lag da, und neben mir stand eine Krankenschwester. Sie war schon etwas älter, lächelte mich an.

"Geht's dir wieder besser?" fragte sie. An meine Ant wort erinnere ich mich nicht. Ich hatte immer noch meine eigene Kleidung an, also stand ich auf.

"Wo ist Kari?" Das war das erste was mir einfiel.

Sie sagte gar nichts, sondern nahm mich an der Hand und führte mich durch belebte Gänge in einen anderen Raum. Dort lag sie schlafend in einem grossen, grauen Bett. Ruhig.

"Sie hat Beruhigungsmittel erhalten, müsste aber bald wach werden." Kari hatte eins dieser Krankenhaushemden an. Es war ihr zu gross, und sie wirkte dadurch nur noch zerbrechlicher.

"Tai?" Daraufhin folgte ein trauriger Blick der Schwester. Ich glaube, das war das erste mal, dass ich Angst hatte. Soviel auch vorher geschehen war, Angst habe ich nicht gehabt. Ich bin nicht dazu gekommen, mich zu ängstigen. Ich war wohl zu schockiert.

"Er lebt, aber es ist nicht sicher, ob er es schafft." Dann lächelte sie. Traurig. Sie hielt wohl nichts davon, den Kindern Ammenmärchen zu erzählen, damit sie sich nicht zu sehr sorgten. Ich glaube, soetwas konnte sie gar nicht. Ich wünschte mir, sie hätte mich angelogen. Zu klein kam ich mir vor. Immer noch.

Sie zog leicht an meiner Hand.

"Wir müssen noch einiges klären." Freundlich sagte sie es. Und ganz sanft.

Und wir gingen wieder in einen anderen Raum, diesmal wartete dort eine wietere Schwester.

Sie fragte nach Namen, dem Alter, den Eltern. Sie wollte wissen, wo Tais und Karis Eltern waren. Ich wusste es nicht. Und fing an mich noch elender zu fühlen, als ich es eh schon tat. Sie fragte, wie man ihnen Kontakt aufnehmen konnte. Ich wusste es nicht. Und ich fühlte mich noch schlechter. Sie fragte, ob vielleicht irgendwer anders das wissen könnte. Mir fiel nur Matt ein. Aber an seine Nummer konnte ich mich nicht mehr erinnern. Sie schnaubte, und ich schloss die Augen. Tränen brannten darin, doch ich wollte nicht, dass irgendwer sie sieht.

Da nahm die ältere Krankenschwester mich wieder an die Hand, meinte zu der anderen, mir würde es beim Wählen sicherlich einfallen, und führte mich an die Rezeption.

Dort herrschte Leere. Es war wohl ziemlich spät.

Sie stellte ein Telefon vor mich, drückte mir den Hörer in die Hand. Und ich wählte. Wählte sogar richtig. Aber was ich wählte, weiß ich nicht mehr.

Matt meldete sich. Ich versuchte ihm zu erklären, was los war, aber alles endete in Schluchzern. Und doch nahm die Schwester mir den Hörer nicht, ließ mich reden, ließ mich weinen. Dabei wollte ich nicht weinen. Matt war fast schon in Panik, als ich mich endlich beruhigte. Ich weiß, ich habe immer nur Tais und Karis Namen geschluchzt.

"Um Gottes Willen! Was ist passiert?" "Zuviel." war meine Antwort. Dann erklärte ich ihm, dass sie die Handynummer von Tais Eltern brauchten. Und dass wir in einem Krankenhaus waren. Ich bin mir nicht sicher, ob ich auch sagte, in welchem, ich glaube aber schon.

"Ich werde sie suchen. Aber was zum Kuckuck..."

"Bitte Matt." Ich war wieder den Tränen nahe.

"Ich werde kommen." Dann hatte er aufgelegt.

Und wieder nahm die Schwester mich an der Hand, und führte mich zu diesen grauen Stühlen. Und sie führte auch Kari hierher.

Ich sah Angemon sterben. Es hatte höllisch wehgetan. Ich dachte damals, ich würde mit ihm sterben, so sehr.

Jetzt tut es nicht so sehr weh. Tai lebt. Aber dafür ist alles andere unerträglich. Diese Umgebung mit ihrem grau in grau, diese Geräuschkulisse mit all den lauten und leisen Tönen, diese Leute mit ihrer Gleichgültigkeit. Und Kari. Ich wünschte, ich könnte ihr helfen. Am meisten tut weh, sie so zu sehen. Und all das Blut. Tais Blut. Ich werde es nie vergessen.

Wieder spüre ich meine Augen brennen, wieder wird meine Sicht verschwommen. Wieder bin ich nur sieben Jahre alt.

"TK?" Matt taucht vor mir auf. Schaut mich erschrocken an. Er hat mich lange nicht mehr weinen gesehen. Und er schließt mich in seine Arme. Ich weine wieder, diesmal aber werde ich gehalten.

"Er... hat versucht... sich...um..."

"Scht. Alles wird gut, du wirst es sehen." Ich nicke. Ja, alles wird gut werden.

Er lässt mich los, wendet sich Kari zu. Zum ersten Mal, seit sie neben mir sitzt, sehe ich sie mir an. Sie starrt auf den Boden, scheint nicht zu bemerken, was um sie vorgeht. Sie sitzt da, mit zerzausten Haaren und in diesem grauen Hemd, den Blick starr auf den Boden gerichtet. Und sie zittert.

Auch Matt bemerkt es, denn er zieht seine Jacke aus und legt sie ihr auf die Schultern.

Und langsam, ganz langsam, hebt sie den Kopf, sieht ihn mit feuchten Augen an und fragt.

"Tai?" fragt sie. Eine Träne kullert ihre Wange herunter, die erste heute, kullert weiter bis zu ihrem Kinn, dann taucht die zweite auf, auf der anderen Seite. Und sie fängt an zu weinen.

"Es geht ihm gut." Matt sagte das. Ich hab' keine Kraft mehr zum Sprechen.

Er steht auf, nimmt jetzt sie in die Arme, hebt sie hoch und setzt sich auf ihren Stuhl, mit ihr auf dem Schoß. Und sie weint immer noch. Er legt einen Arm um mich, zieht mich näher. Warum hat die Schwester sie eigentlich hierher gebracht?

Jetzt liegt auf Matts einer Schulter Karis Kopf, auf der anderen meiner. Es tut gut, ihm so nahe zu sein. Und Kari hat aufgehört zu weinen.

"Ich hab' unsere Mum angerufen. Sie kommt her und holt uns ab."

Ich möchte schlafen. Nur noch schlafen. Alles vergessen. Und mich nie wieder erinnern.

"TK, Matt, geht es euch gut?" Die leicht verängstigte Stimme meiner Mutter holt mich in die Wirklichkeit zurück. Und wieder spricht nur Matt.

"Ja." Müde klingt er. Wie spät es wohl ist?

"Gut." Auch sie ist müde. "Bring die beiden schon mal ins Auto. Ich werde mich um den Rest kümmern." Sie geht an den Empfang, während ich versuche auf zu stehen. Es ist anstrengend.

Ein weiteres Mal heute werde ich an die Hand genommen, diesmal von Matt. Und an der anderen Hand führt er Kari.

Ich sehe meiner Mutter nach, als wir gehen. Verrenke mir fast den Hals, bis wir aus dem Gebäude treten. Die Tür schließt sich, und ich kann sie nicht mehr sehen. Und ich fühle mich noch schwächer, noch kleiner. Ich blicke zu meinem Bruder, sehe zu, wie er sich umsieht, unser Auto entdeckt und uns dahinführt. Er schaut weder zu mir noch zu Kari. Als wäre er selbst ganz woanders, sieht er aus. Er setzt mich neben Kari auf die Rückbank, nimmt selbst vorne Platz. Ich glaube, Kari bemerkt das alles nicht einmal. Er ist jetzt so weit weg. Ich fühle mich plötzlich so verlassen. So alleine. Mum kommt, setzt sich ans Steuer, wir fahren los. Ich weiß nicht, wohin wir fahren. Ich bringe es nicht fertig, meinen Kopf zu wenden, um aus dem Fenster zu schauen. Stattdessen starre ich Matt an. Er wirkt so fern. Wie ein Bild aus einer anderen Welt. Oder einer anderen Zeit. Er sieht zwar nach vorne, auf die Strasse, doch ich bin mir sicher, er sieht sie nicht.

Er erschreckt genauso wie ich, als wir stehenbleiben. Wir stehen vor einem Wohnblock. Vor dem, in dem Matt wohnt. Und während Matt sich um Kari kümmert, holt mum mich aus dem Wagen. Ich schaue immer noch an der Fassade hoch. Ich bin nicht oft hier gewesen. Und ich fühle mich, als wäre ich zum ersten Mal hier. Vielleicht weil ich zum ersten Mal von meiner Mutter an der Hand hineingeführt werde?

Ich werfe einen Blick hinter mich, auf meinen Bruder und das Mädchen, das er führt. Es kommt mir vor, als würde keiner von den beiden etwas von seiner Umwelt registrieren. Sie beide blicken leer in die Welt. Es tut weh, Menschen die man liebt, mit fast toten Augen zu sehen. Und es macht Angst.

Schweigend fahren wir mit dem Fahrstuhl hoch, und ebenso schweigend gehen wir in die Wohnung. Kari wimmert nicht mehr. Warum fällt mir das erst jetzt auf? Weil sie zum ersten Mal zurückblickt? Mit kalten Augen? Nein, sie sind nicht kalt. Nur leer. Und leblos.

Sie blickt nicht zurück. Sie sieht durch mich hindurch. Was sie wohl wirklich sieht? Tai? So wie sie ihn heute sah? Oder so, wie an allen Tagen davor? Sieht sie ihn stark? Oder ist er jetzt schwach für sie? Ist er schwach?

Als kleine Schwester oder kleiner Bruder neigt man dazu, zu glauben, dass der grosse Bruder stark ist, dass ihn nichts umhauen kann, dass er immer da sein wird. Man vergisst leicht, dass auch ältere Geschwister nur Menschen sind. Und auch genauso zerbrechlich, wie jeder andere Mensch. Kann Matt auch zerbrechen? Oder ist er das schon?

Ich sehe mich um. Wir, das heißt ich und Matt, stehen im Bad. Ich hab nicht bemerkt, wie wir hergekommmen sind. Und auch nicht, dass Matt mich umgezogen hat. Ich habe jetzt eins seiner T-Shirts an. Er sieht mich an. Nicht durch mich hindurch. Traurig. Und plötzlich bin ich mir sicher, dass er etwas weiß, dass er mich nicht sagen möchte. Oder möchte, aber nicht kann. Er schüttelt den Kopf, versucht zu lächeln.

"Es wird schon irgendwie gehen." Er sagt das nicht zu mir. Oder?

Das Lächeln verschwindet, er steht auf, nimmt wieder meine Hand.

Wir gehen in sein Zimmer. Ich sehe Kari, sie liegt in seinem Bett und schaut. Oder auch nicht. Wahrscheinlich sieht sie immer noch nichts. Er setzt mich aufs Bett, schaut mich wieder an.

"Du solltest schlafen. Es ist schon spät." Dann legt er mich ins Bett, deckt mich zu. Und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Ich glaube, dass er das nie zuvor gemacht hat. Jetzt ist er wieder ganz nah. Und er wird es bleiben. Und ich bin keine sieben mehr.

"Gute Nacht." flüstert er noch, ehe er geht und das Licht ausmacht. Lächelnd.

Ich drehe mich zu Kari. Sie ist traurig. Ich sehe es nicht, ich spüre es.

Ich rücke näher zu ihr hin, lege einen Arm um sie. Jetzt kann ich ihr helfen.

"Tai ist stark. Er wird es schaffen. Er hat sich doch noch nie von etwas unterkriegen lassen."

Vielleicht irre ich mich, aber ich glaube an das, was ich sage.

Und Kari rutscht noch näher heran, so Nahe, dass sie mir ins Ohr flüstern kann.

"Danke." Und auch sie lächelt, ich höre es an ihrer Stimme.

Ja, alles wird gut.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

"Die Leidenden sind die Träger der Hoffnung."

Leutz, egal, was passiert, gebt niemals die Hoffnung auf. Denn wenn die Hoffnung stirbt, stirbt auch der Mensch.
 

Eure Nudel (bagnudel@web.de)



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2002-08-03T20:02:38+00:00 03.08.2002 22:02
Na da Animexx jetzt ja mal wieder richtig funktioniert kann ich dir endlich ein Kommentar schreiben. ^^ Mir gefällt deine Geschichte, aber irgendwie habe ich immer Probleme mit der reihenfolger der Teile. Könntest du nicht eine Nummer oder sowas hinter die Titel schreiben? Das wäre echt gut. Ansonsten ist aber alles ok. Schreib' weiter!
Bye ^^


Zurück