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Die Monochroniken

02 :: Der Junge und das Seil
von

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Schlangenbisse

Schlangenbisse
 

Die Kälte kam mir seltsam unwirklich vor, als ich mühselig und langsam durch den Wald schritt. Meine Fußsohlen waren zerstochen und brannten. Ich hätte Hal's Schuhe nehmen sollen. Aber die Aussicht auf die Magiedusche ließ mich den momentanen Schmerz erdulden. Es war wohl die längste Reise durch den Wald, die ich je unternommen hatte. Immer öfter musste ich Pausen einlegen, mein Leib zitterte, drohte allen Moment zusammenzubrechen. Aus Vorsicht, einem der suchenden Leute zu begegnen, hatte ich einen weiten Bogen gemacht um den Fluß. Ein Wunder, dass ich mich tatsächlich zurechtfand, da ist diesmal aus einer etwas anderen Richtung kam. Aber es bereitete mir erstaunlich wenig Probleme, vielleicht war noch ein Rest Magie übrig geblieben, der mir den richtigen Weg zeigte.
 

Am See endlich angekommen, erwartete mich eine Überraschung. Auch hier fand ich nun bei Licht ganz deutliche Spuren von Hallen. Zertretenes Gras hinter einem Gebüsch, ein paar seiner hellen Haare an einem störrischen Strauch. Ich hatte mich also vor ein paar Tagen doch nicht wegen eines Igels aufgeregt. Warum hatte Hallen mich nie darauf angesprochen? Wenn er doch alles schon gewusst hatte..

Der See war spiegelglatt, ein paar einsame Magiefunken tanzten über der Oberfläche, waren aber ungemein schwerer zu erkennen als nachts. Ich streckte gerade meinen Fuß ins Wasser, als mir mein Spiegelbild auffiel, das durch die kleinen Wellen etwas verzerrt wurden. Ich kniete mich hin, um mein Gesicht zu betrachten. Der Anblick war verstörend. Es war noch viel schlimmer geworden seit dem Blick in den Handspiegel. Meine Augen lagen in tiefen Höhlen und glommen darin wie dunkle Sterne. Meine Wangenknochen traten jetzt so deutlich hervor, als hätte jemand die bloße Haut über den Knochen gespannt. Mein Hals erschien mir so dünn, al könnte er kaum meinen Kopf tragen! Und meine Haare... was war nur mit meinen Haaren passiert?! Ich wagte kaum mir mit den Fingern durchzufahren. Es waren so wenige! Was sollte das? Warum waren mir die Haare ausgefallen? Die paar Strähnen hingen schlaff und dünn am Kopf, dass ich aussah wie ein unfertiger Puppenkopf.

Aber ich sollte mich deshalb nicht aufregen. Deshalb war ich schließlich hier. Vielleicht würde ich mir in ein paar Tagen schon die schönste Haarpracht zaubern können.
 

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Der Stein leuchtete mir von Weitem schon entgegen und ich empfand die gewohnte Freude, als ich die Hände an den Stein legte und meinen Körper mit der ersehnten Magie versorgte. Ich nahm auf, soviel ich mir zumuten konnte und stieg gemächlich wieder auf. Es war eine gute Idee gewesen, zuerst hierher zu kommen. Ich verspürte weder Hunger noch Durst. Die Magie hatte all meine Bedürfnisse gestillt, keine Schmerzen, keine Schwäche. Ich fühlte mich frisch und kräftig, meine Gedanken waren ebenso schnell wie meine Schritte. Ich musste zu Hallen zurück. Mir fiel auf, dass ich erst jetzt wieder klar denken konnte. Was ich getan hatte. Hal hatte Recht gehabt, ich hatte mich heute morgen völlig vergessen. Ich war so voller Zorn und Hass gewesen, dass ich nicht bemerkt hatte, was ich eigentlich anstellte. Meine Güte, Hallen war schliesslich mein bester Freund! Wahrscheinlich hatte er mir wirklich nur helfen wollen. Aber er verstand das natürlich nicht. Wie sollte er auch, vielleicht hätte ich genauso reagiert, wenn er an meiner Stelle sich so seltsam verhalten hätte, wie ich in seinen Augen. Ich hoffte von ganzem Herzen, dass Hal nichts passiert war.

Ich überlegte weiter, was ich mit ihm machen sollte. Nach alledem konnte ich nicht von ihm verlangen, freiwillig weiter bei mir zu bleiben, bis morgen nacht der Stoff fertiggewebt und der Magier kommen würde, um ihn abzuholen. Danach konnte alle Welt erfahren, was ich gemacht hatte, ich würde ja doch nicht mehr da sein. Denn mein Wunsch festigte sich immer mehr. Kaleb der Magier sollte mich ausbilden und mitnehmen. Das ist es, was ich mir wünschen würde. Und danach könnte ich Hal endlich alles erklären, meiner Familie, Tante Gilda, die sicher schon ganz verzweifelt war, nachdem sie erst mich und dann auch noch ihr zweites Goldstück Hallen verloren hatte. Ich wäre so froh, wenn denn alles schon vorbei wäre...
 

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Die Tür quietschte, der helle Kopf zuckte erschrocken und senke sich zwischen die Schultern. Es tat mir unendlich leid ihn so zu sehen, ich hätte ihn nie so behandeln dürfen, egal wie wütend! Er hatte jetzt bestimmt wahnsinnige Angst vor mir..

"Hal?" fragte ich leise, um ihn nicht noch weiter zu ängstigen. Ich ließ mich auf die Knie und zog meinem Freund den Knebel aus dem Mund. Er begann tief Luft zu holen, stockte aber mitten im Atmen und zitterte wieder. Er wagte nicht, mich anzusehen.

"Hal, es tut mir leid, ich bin..."

"Du warst wieder im See?"

Ich dachte nicht, dass er so einfach zugeben würde, mir nachspioniert zu haben. Ich fragte mich immer noch, wieso er mich nie darauf angesprochen hatte, wenn er doch alles schon vorher gewusst hatte. Und warum war er letzte Nacht hierher gekommen?

"Woher weißt du davon?" fragte ich so sanft ich konnte, doch ich bemerkte, dass er sich am Liebsten immer weiter in sich verkriechen wollte.

"Ich bin dir nachgegangen.. vor ein paar Tagen. Ich war am See und hab dich da gesehen.. du bit so lange unter Wasser geblieben, ich wäre dir fast nachgesprungen. Aber dann kamst du raus und da war dieses eine Glühwürmchen.."

Oh, ich erinnerte mich. Ja, als ich dieses Ding das erste Mal in meiner Haut verschwinden sah, dachte ich auch ich würde verrückt..

"Und dann bist du losgerannt, ich konnte dir nicht folgen.."

Richtig. Nach dem magischen Bad war ich immer schnell wie der Wind aus dem Wald. Plötzlich fiel mir ein, dass ich in der Nacht, als ich so hungrig gewesen war, jemanden in die Scheune habe gehen sehen! Also war es doch Hallen gewesen.. Himmel.. er hatte die ganze Nacht dazu gebraucht, den Rückweg aus diesem Wald zu finden...
 

"In der nächsten Nacht bin ich dir hierher gefolgt.. und hab gesehen was du machst.. und was passiert ist mit dir, während du gewebt hast.. und in der Nacht darauf hast du durchgeschlafen. Ich habe den Wahrsager gesucht.."

Ich hörte mir an, was Hal beim Wahrsager erfahren hatte. Gefahr, böses Omen, rette deinen Freund. Ich konnte es Hal kaum verübeln, dass er mich davon abhalten wollte, weiterzumachen. Ich an seiner Stelle hätte genau dasselbe getan. Aber er wusste eben zu wenig! Er wusste nicht, was es für mich bedeutete, Magiebegabter zu sein! Dass ich diesen Wunsch brauchen würde, um ein richtiger Magier zu werden. Dass ich dafür auch gerne die Nacht durcharbeitete. Das würde Hal nicht verstehen, aber ich durfte ihm nichts verraten darüber. Noch nicht. In einem Tag und zwei Nächten würde das alles vorbei sein. Allein das verriet ich ihm. Aber er schüttelte nur schwerfällig den Kopf, er schien ihm noch weh zu tun.

"Nanik, bis dahin wirst du dich kaputtgearbeitet haben.. als ich dich heute morgen wachgerüttelt habe.. du warst wie tot! Ohnmächtig! Deine Hände, deine Finger voller Blut! Hats du dich angesehen? Du bist ein Gespenst!" Hal wurde lauter, obwohl er immer noch eine Riesen-Angst vor mir hatte. Aber ich würde ihn nicht schlagen, denn er hatte recht. Vielleicht hatte ich so heftig gearbeitet, dass ich die Besinnung verloren hatte. Aber es lohnte sich so unendlich für mich. Nur konnte ich das Hal nicht erklären.

"Es ist alles in Ordnung. Ich weiß, was hier passiert. In zwei Tagen ist alles vorbei und ich werde der glücklichste Mensch der Welt sein, Hal! Gönne mir das doch! Ich bin bereit, dafür Opfer zu bringen, wirklich!"

"Und wenn das Opfer dein Leben ist?" Hal flüsterte nur noch, ich hörte, wie er zwischen den Worten weinte. Wie gerne hätte ich ihm erzählt, was da vor sich ging. Seine Freundschaft ging mir sehr nahe. Obwohl ich ihn so brutal zusammengeschlagen hatte, versuchte er doch immer wieder, mich zu schützen. Aber vor was denn, Hallen. Ich hatte mir diesen Auftrag selbst zuzuschreiben und musste damit leben. Ich seufzte und senkte den Kopf.

"Ich... ich werde weitermachen. Nur noch zwei Nächte Hallen. Kannst du solange bei mir bleiben?" Zum ersten Mal seit ich hereingekommen war, hob er den Kopf und sah mich an. Seine rechte Seite, Auge, Schläfe und Wange waren dunkel und geschwollen, seine Augen feucht und verheult. Er warf mir einen fast schon flehenden Blick zu.

"Lass mich gehen.. bitte.." hauchte er und neue Tränen rannen ihm über die Backen.

"Ich lasse dich dann gehen, wenn du mir hoch und heilig versprichst, dass du nicht versuchen wirst mich aufzuhalten! Weder du noch sonst irgendjemand!" Das war ein großes Risiko, aber ich wusste, dass Hallen sich lieber die Zunge abbeißen würde, als jemals zu lügen. Er schwieg.

"Hallen! Versprich es mir! Komm mir hier nicht mehr in die Quere! Du bist mein Freund und ich weiß, ich kann dir vertrauen!"

"Und du bist mein Freund und ich lasse dich nicht einfach im Stich!"

"Oh bitte! Du lässt mich im Stich, nein, du verrätst mich, wenn du mich daran hinderst meinen Traum zu verwirklichen!"

"Ich kann nicht! Du siehst das nicht, was mit dir passiert! Ich wünschte du könntest es einmal miterleben, wie sehr du dich veränderst!"

"Ich bin doch immer noch derselbe!"

"Nein! Nein!"

"Warte... ich werde dir zeigen, dass hier etwas geschieht, das gut ist!"

Ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte, doch ich wollte es mit aller Kraft. Ich berührte Hallen an der Brust, der zurückzuckte, als hätte ich ihn verbrannt.

"Lass mich! Fass mich nicht an, ich will das nicht!" schrie Hal gellend und wand sich hektisch, um meiner Hand zu entgehen.

"Halt still, ich will dir doch nur helfen! Bitte!! Es ist nichts Schlechtes!!" Er konnte sich nicht weiter verdrehen durch die noch angebundenen Hände, aber er wehrte sich noch mit den Beinen, als wollte er um jeden Preis verhindern, dass ich ihn anfasste.

"Ich will diese Kraft nicht haben! Geh weg! Bitte! Bitte Nanik!" Ich wollte ihm nicht noch mehr weh tun, aber irgendwie musste und wollte ich ihm beweisen, dass Magie etwas sehr Gutes war. Er hatte keine Chance gegen meinen Griff, mit dem ich seine Beine gegen den Boden drückte und mich kurzerhand daraufsetzte. Er zog und zerrte an Armen und Beinen, ich wollte ihn nur noch beruhigen, denn durch sein Gezappel tat er sich nur selbst weh.

"Hör auf, lass es dir doch zeigen! Ich weiß du hast Angst, aber das brauchst du nicht!"

"Ich will das nicht! Hör auf, hör doch auf!" seine Stimme wurde zu einem gequälten Keuchen, die gebrochene Rippe bohrte sich schmerzhaft in seine Lunge und er verzog das Gesicht zu einer grässlichen Fratze, als er sich das nächste Mal bewegte.
 

Es fiel mir leichter, als ich zu hoffen gewagt hatte. Nachdem ich meine beiden Hände auf seinen Brustkorb gelegt hatte, wünschte ich mir mit ganzer Seele, seine Schmerzen mögen aufhören. Zuerst passierte nichts, ich fühlte nur Hal's rasendes Herz, zitternde Lungenflügel und ein ekelhaftes Knacken, wenn sich der Brustkorb senkte. Es musste wirklich höllisch wehtun. Und um so heftiger wollte ich, dass Hallen das erspart bliebe. Ich dachte nur noch daran und bemerkte erst, dass etwas geschah, als es schon fast vorbei war. Meine Hände waren warm und ich hörte Hallen schreien. Es wandelte sich zu einem qualvollen Jammern, je wärmer meine Hände wurden und verebbte irgendwann. Meine Handflächen waren jetzt fast so heiß, als hätte ich sie ins Feuer gehalten, und als ich sie von seiner Brust nahm, erkannte ich meine zwei Handabdrücke, die seine Haut an den Stellen verdunkelt hatten. Hallen selbst war nun völlig ruhig, sein Puls ging gleichmäßig. Er war eingeschlafen.
 

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Als Hallen das nächste Mal aufwachte, war ich gerade dabei, den schon fertigen Stoff zu einem Umhang zusammenzunähen. Es fehlte noch ein ganzes Stück und ich fragte mich, ob ich ihn wirklich bis morgen Abend fertig haben würde. Es war ein wundervolles Stück. Es war sicher das schönste, seidigste und glänzendste Kleidungsstück der Welt. Hal brauchte wohl eine Weile, sich zurechtzufinden, er schaute etwas verstört drein, als müsste er sich besinnen, wo er denn war. Ich hatte ihn vom Webstuhl gebunden und ihm mit viel Gras und Zweigen eine Art Schlafplatz gemacht, in dem er bis jetzt geschlafen hatte. Seine dunklen Flecken im Gesicht waren schon fast verschwunden und ich war neugierig, wie es um seine Rippe stand. Aber er war eine ganze Weile sprachlos und bewegte sich nur zögernd, als ob er befürchtete auseinanderzufallen. Es musste ihm wirklich sehr viel besser gehen, denn ich las keinerlei Schmerz aus seinem Gesicht. Aber er war nicht froh darüber. Im Gegenteil, er starrte verbissen zu mir herüber.

"Was hast du mit mir gemacht? Ich sagte, ich will das nicht!" rief er giftig und wunderte sich gleichzeitig, dass er völlig frei auf dem Waldbett lag.

"Wie geht's dir?" Ich nähte weiter an dem Umhang, als ob nichts ungewöhnlich wäre. Hallen's bissiger Einwurf überhörte ich einfach. Dieser drehte sich wütend zur Seite, aber ich sah aus den Augenwinkeln, wie er sich verstohlen über die Brust fuhr und auf seiner heilen Rippe herumdrückte. Er konnte sein Staunen kaum verbergen, egal welche Mühe er sich gab und das amüsierte mich. So ein Sturkopf. Aber nun wusste er wenigstens, dass diese Kraft, für die ich hier meine Nächte um die Ohren schlug, etwas Wundervolles war, wofür es sich auf jeden Fall lohnte etwas zu opfern. Aber Hallen blieb stumm und starrte düster gegen die Wand. Ich wollte es ihm leichter machen, mir nicht mehr böse zu sein und fragte ihn, wie ich am geschicktesten nähen sollte.
 

"Für wen ist das?" fragte er, nachdem er eine Weile auf meine Frage geschwiegen hatte.

"Darf ich nicht sagen."

"Und woher hast du das Garn dazu? Gestohlen?"

"Wo denkst du hin, das hat er mir selbst gegeben!"

"Aha. Also war es ein ,er'!"

"Hör auf, ich darf es dir nicht verraten!"

"Kenne ich ihn?"

"Ich sagte: Hör auf damit!"

"Was tust du, wenn ich's nicht mache? Trittst du dann wieder nach mir? Brichst mir meine Rippen und flickst sie anschließend wieder mit deiner tollen Macht, damit ich ja erkenne, wie toll sie doch ist und darüber vergesse, dass sie aus dir ein Monster macht?"

So kannte ich Hal gar nicht. Er war noch nie sarkastisch gewesen, aber wir hatten auch noch niemals eine ähnliche Situation zusammen erlebt. Es war sein Recht so zu reden. Ich hatte Hal verletzt und ihn wieder geheilt. Klar sah das für ihn nach Angeberei aus.

"Hör mal, ich habe mich doch schon dafür entschuldigt! Ich war einfach.. überreizt. Das alles ist für mich auch nicht einfach und ich war eben so wütend, dass du fast mein Leben ruiniert hast.."

"Dieser Mensch, der dein Leben ruiniert, bist du selbst. Du bist nicht mehr derselbe!"

"Ja und? Menschen verändern sich schliesslich auch mal!"

"Aber nicht so schnell und nicht so zum Schlechten hin!"

"Ich habe mich nicht zum Schlechten verändert! Ich sehe die Sache eben anders!"

"Ich sehe die Sache so, dass du dein Leben auf's Spiel setzt und ich dein Gefangener bin und zusehen muss, wie du dich selber fertigmachst!"

"Du bist nicht mein Gefangener! Ich hab dich doch losgebunden! Du kannst sofort gehen, wenn du willst!" Hallen stand aprupt auf und machte einen Schritt in Richtung Tür, als ich meinen Satz vollendete: "Wenn du mir dein Wort gibst, nichts gegen mich und meine Arbeit hier zu unternehmen oder jemandem auch nur was davon zu erzählen!"

Hal hielt inne und stand in der Mitte vom Raum. Er kämpfte mit sich, das erkannte ich genau. Aber er würde nicht lügen. Seine Miene wurde eine Spur vorsichtiger.

"Was würdest du machen, wenn ich einfach abhauen würde? Wenn ich irgendwann, wenn du nicht aufpasst, an dir vorbeirenne, hinunter in die Stadt, deinen Onkel hole?"

"Du würdest nicht an mir vorbeikommen, Hal. Ich schlafe nicht, schon vergessen?"

"Du kannst nicht immer auf mich aufpassen!"

"Und wenn schon.. ich hätte dich schneller eingeholt, als dass du ein paar Meter gelaufen wärst. Mach es uns doch nicht so schwer, Hal! Es ist doch nicht für lange!" Hal drehte sich und setzte sich wieder auf sein behelfsmäßiges Bett. Ich wusste, es ging ihm nicht darum, hier festgehalten zu werden. Er wollte, dass ich hier aufhörte. Aber den Gefallen konnte und wollte ich ihm nicht machen.

"Dieser Wunsch.." fing er nach einer Weile wieder an und ich legte das genähte Zeug zur Seite. "Dieser Wunsch, den du dir erfüllen willst.. hat sicher was mit der Kraft zu tun?"

"Magie. Ja, damit hat es etwas zu tun. Überleg doch.. du hast gesehen, was man damit tun kann, wie vielen Menschen man helfen könnte.."

"Aber es kann genauso gut gefährlich sein!"

"Da hast du recht. Sicher, es kommt ja immer darauf an, was man damit bezweckt. Aber verstehst du nicht Hal.. das ist ein Geschenk! Eine Gabe, es wäre ja fast schon ein Verbrechen, diese Fähigkeit nicht einzusetzen!" Ich bemerkte, dass ich fast diesselben Worte benutzte, die der Magier Kaleb gewählt hatte, um mich zu überzeugen. "Ich will wirklich nicht angeben, aber ich bin nun einmal etwas Besonderes und könnte damit so vieles erreichen.."

"Du bist doch schon längst etwas Besonderes. Du bist der beste Weber der ganzen Stadt, wahrscheinlich noch einer der besten des ganzen Landes! Was willst du denn noch mehr, du bewirkst doch schon so viel. Die Menschen kommen extra von weit her, um sich Kleidung von dir machen zu lassen! Und jeder Mensch braucht Kleidung. Warum wirst du nicht etwas Besonderes als Weber?"

"Ach Hal, was soll das denn jetzt! Was ist denn schon ein Weber gegen einen.."

"So"

"Nein, nein, das meine ich nicht! Ich meine nur, wenn ich die Wahl haben kann zwischen jemand, der gut in seinem Fach ist und jemand, der wirklich etwas bewirken kann! Der eine Aufgabe haben kann. Dann fällt mir die Wahl leicht."

"Nanik, du glaubst doch nicht, dass du jeden Menschen, den du triffst, von seinem Leid befreien kannst. Das können nicht einmal Magier. Du stellst dir das alles viel zu einfach vor und vergisst dabei, dass du so viel verlieren kannst!"

"Du bist ein Miesmacher. Du hast keine Ahnung, was dahinter steckt."

Damit war für mich das Thema vom Tisch. Aber für Hallen nicht, das sah ich ihm an. Es ehrte mich zwar, dass er sich solche Sorgen um mich machte, aber in seinem Fall fand ich das Ganze viel zu übertrieben. Ich war schließlich kein Kind mehr und konnte mir mein Leben aussuchen, das ich wollte.
 

[ # ]
 

Wenig später dämmerte es. Ich würde vorsichtshalber noch einmal zum See laufen. Diesmal würde es ungleich schneller gehen, da meine Magie noch nicht verbraucht war, obwohl ich in der Zwischenzeit ein bisschen damit geübt hatte. Irgendwann hatte sogar Hallen, der der Sache immernoch feindlich gegenüberstand, nicht aufhören können, zuzuschauen. Mittlerweile beherrschte ich den Blitz recht gut. Ich hatte herausgefunden, dass es nicht der Hass war, den ich einsetzen musste, sondern allein der intensive Gedanke daran. Es kam mir seltsam vor, dass es so einfach ging, denn die Magier, von denen ich bisher gehört hatte, gebrauchten zum Zaubern gewöhnlich Formeln oder Sprüche, die sie aufsagen mussten. Vielleicht hatte Kaleb, der Magier recht gehabt. Ich war vielleicht etwas Besonderes. Unter den Besonderen. Ich konnte nichts dagegen tun, stolz darauf zu sein, ich fand es auch gar nicht weiter schlimm.
 

Worauf ich weniger stolz war, hatte mit Hallen zu tun. Ich konnte ihn unmöglich mitnehmen. Hierlassen konnte ich ihn auch nicht, er würde weglaufen, wie er es schon prophezeiht hatte. Ich hatte gar keine andere Wahl, als ihn wieder festzubinden. Ich teilte ihm meinen Entschluß mit, er reagierte unerwartet gefasst, er hatte es wohl schon vermutet. Er hielt nichts von dem Versprechen, nicht wegzulaufen, meinte er. Er könnte sich nicht daran halten. Dieser Junge war unglaublich. Eine ehrlichere Haut hatte ich nie getroffen. Also band ich ihn wieder an den Webstuhl, verzichtete aber auf den Knebel. Um diese Zeit war hier niemand mehr unterwegs. So ließ ich ihn wieder zurück.

Der Hinweg zum See verlief diesmal im Eiltempo. Auch der Tauchgang dauerte nicht annähernd so lange wie sonst, da ich ja nicht vollkommen "ausgepumpt" war, als ich zur Quelle tauchte. Trotzdem kam es mir vor, als könnte ich jede Nacht mehr Magie aufnehmen als zuvor. Wie sonst auch fühlte ich mich zum Bersten voll mit neuer Energie und konnte kaum erwarten zu beginnen. Aber noch war es nicht dunkel. Ich nutzte die restliche Zeit, um im Obstgarten des Alten so viel Früchte zu stehlen, wie ich nur tragen konnte. Hallen hatte schliesslich auch lange nichts gegessen und mein Hunger würde am Morgen sicher auch wieder sehr groß sein.
 

So traf ich, beladen mit allen Sorten Früchten im Arm, wieder in der Hütte ein. Hallen war eingedöst, ich sah ihn durch das Fenster. Nun, gleich würde er wach werden. Das Rattern des Webstuhls würde aber später vielleicht sogar einschläfernd auf ihn wirken. Bevor ich mich endlich daran machte zu weben, aßen wir beide noch ausgiebig. Er seufzte nur enttäuscht, als ich ihn abermals aufforderte, sich hinzusetzen, dass ich ihn anbinden konnte. Aber das Risiko, ihn und alles um mich herum zu vergessen und nicht zu beachten, wenn er ausbüxte, war mir zu groß. Aber dann ging es los. Es verlief alles reibungslos.

Ich begann zu weben, das Schiffchen sauste, der Giebel klackerte, alles schnurrte im selben Takt. Bald schon vergaß ich Hallen, der mit offenem Mund meine Arbeit beobachtete, die wahnsinnige Geschwindigkeit, die perfekten Reihen, das Muster, das sich ganz von selbst in den Stoff schrieb. Meine Hände wurden zu schnell, um sie noch zu erkennen, meine Augen zu träge, um den Bewegungen zu folgen, mein Körper wusste schon ganz genau, was er zu tun hatte und ich überließ ihm einfach alles. Und die Magie floß. Wie ein Rinnsaal tropfte es durch meine Finger und legte sich um jeden Fetzen Garn, jeden Minimeter Schnur, der durch meine Hände glitt. Ich wurde noch schneller, der Webrahmen vibrierte. Mein Geist verschluckte sich selbst, ohne zu sehen, zu hören oder zu fühlen arbeitete ich Stunde um Stunde.
 

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Ich erwachte nicht wie beim letzten Mal neben dem Webstuhl. Der Boden fühlte sich kalt und feucht an. Ich erinnerte mich, wie es das vorige Mal gewesen war, als ich versuchte die Augen zu öffnen. Deshalb konzentrierte ich mich darauf, meinen Geist zu wecken, der die Augen dazu bewegen sollte, wieder zu sehen. Aber nichts tat sich. Ich lag einfach nur da. Das Denken selbst fiel mir ungeheuer schwer. Ich registrierte Kälte und Nässe, mehr nicht. Und das ging eine lange Zeit so. Kälte. Nässe. .. Kälte... Nässe.. Es genügte mir, über diese zwei Zustände zu denken.
 

Stunden später erwachten meine Augen aus ihrer Betäubung. Sie sahen erst das Dunkel, nach unendlichen Minuten wurde das Bild schärfer und heller. Noch immer konnte ich keinen Muskel rühren. Kurz nach den Augen erwachten die Ohren, bescherten mir aber lange nur ein wildes Pfeifen. Aber dafür konnte ich jetzt erkennen, wo ich mich befand. Ich lag mitten in einem Wald. Zwischen Steinen, Blättern, Gras und Tieren. Wie bin ich hierhergekommen? War die nächste Frage. Sie beschäftigte mich eine weitere Stunde, während meine Ohren sich normalisierten. Dann folgte langsam der restliche Körper. Ich begann zu fühlen. Aber was ich fühlte, ließ sich nicht in Worte fassen. Denn obwohl ich sicher war, etwas fühlen zu können, spürte ich dennoch nichts. Alles war wie taub, gefühllos, leer. Irgendwann konnte ich meinen Arm bewegen und führte ihn zu meinem Kopf, da ich das dringende Gefühl hatte, dass eine Schnecke über meine Backe kroch. Wäre mein Gesicht nicht noch so gelähmt, ich hätte geschrien vor Angst. Das konnte nicht ich sein..!



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  HorusDraconis
2005-11-21T13:01:31+00:00 21.11.2005 14:01
An dieser Stelle maufzuhören ist nicht sonderlich nett... aber ich kann mir denken wies weitergeht. Magie hat ihren Preis.

Ich freue mich, wenns weiter geht.

Cya

Horus


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