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Was Andre gedacht haben könnte

Diese fic bezieht sich mehr auf Andre, aber natürlich ist auch Oscar wieder mit von der Partie.
von

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Kapitel 1

In dieser Fanfic habe ich versucht, einmal André zu Wort kommen zu lassen, der hinter Oscar manchmal ein bisschen in den Schatten tritt. Ich habe mir eine Situation ausgedacht, in der André über seine bedingungslose Liebe zu Oscar nachdenkt.
 


 

Der Regen prasselte gegen die Scheibe. Draußen wurde es langsam dunkel, André konnte gerade noch die Silhouetten der vom Sturm gebeutelten Bäume sehen. Hin und wieder klatschten Zweige gegen sein Fenster.

Ein Kontrast bildete nur das Feuer, dessen wohlige Wärme den nassen Umhang über einem Stuhl trocknen ließ. Leise knisterten die Holzscheite.

Alles in allem machte das Zimmer einen gemütlichen Eindruck. An einer Seite unter dem Fenster saß André, vor ihm eine Flasche Wein und ein halbvolles Glas. In seiner Hand hielt er eine Miniatur von Oscar. Heimlich hatte er damals ein Bild aus einem entlegenen Korridor entwendet und einem Maler das kleine Bildchen in Auftrag gegeben. Es hatte ihn nicht gerade wenig gekostet, aber so konnte die Frau, mit der er schon so lange unter einem Dach lebte, immer an seiner Seite sein.

Fast ein wenig melancholisch betrachtete er das Amulett, das an einer silbernen Kette befestigt war. Normalerweise hielt er es in seinem Tisch verschlossen, aber wenn er abends nach getaner Arbeit bei einer Flasche Wein mit sich selbst saß, dann holte er das Bild hervor und betrachtete es. Im warmen Feuerschein schien Oscar noch mehr zu lächeln als sonst.

Er liebte sie. Schon lange. Wusste sie es? Nein, natürlich nicht. Oscar war nicht die Sorte Mensch, die Gefühle offen zur Schau stellten. André gehörte auch nicht dazu. Genauso wenig würde Oscar es bemerken. Nie hatte er sich anders verhalten, hatte immer so getan, als ob Oscar ein Mann wäre. Immer, schon seit er denken konnte. Doch seit einiger Zeit nagte ein gewisses Gefühl, eine Mischung aus Angst und Verzweiflung an ihm. Denn seit gut drei Wochen ging vermehrt ein junger adliger im Palais ein und aus. Girondelle hieß er. Klar, er war hübsch, kam aus einer angesehenen Adelsfamilie, diente im gleichen Regiment... Und André hatte gleichzeitig das dumme Gefühl, dass dieser Offizier nur wegen Oscar kam. Er, André, würde keine Chance gegen ihn haben. Und der alte General de Jarjayes schien sich auch damit angefreundet zu haben, dass Oscar vielleicht im Frühjahr aus der Garde Francaise austreten und diesem Mann das Jawort geben würde.

Bei diesem Gedanken zuckte André zusammen und sah in die Saphirblauen Augen des Portraits.

Oscar, fragte er innerlich, warum liebst du mich nicht? Warum bin ich nicht adlig und kann dir stolz und öffentlich einen Antrag stellen? Aber - würde sie diesen dann auch annehmen? Würde sie?
 

Von Zweifeln geplagt legte André den Kopf auf seine Arme und zählte die Wochen, die ihm noch bis zum Frühjahr mit Oscar blieben. Neulich hatte er ganz zufällig den General belauscht, wie er mit Girondelle über einen Hochzeitstermin im Mai sprach. Traurig ging André die Rechnung in seinem Kopf durch. Jetzt hatten sie Oktober, also blieben ihm noch sechs Monate. Dann würde Oscar für immer fort sein. Denn selbst sie konnte sich nicht dem Willen ihres Vaters entziehen. Wehmütig strich André dem Portrait über die Wange. Dann tat er etwas, was niemand von ihm gedacht hätte: Er weinte. Und so hörte er auch nicht die Tür, die sich öffnete, die Schritte, die zu ihm kamen, und spürte erst die Hand auf seiner Schulter. Er drehte sich ruckartig um und sah in das Gesicht seiner Großmutter.

Sie verstand ihren Enkel spätestens, als sie das Bild in seiner Hand sah. Leise strich sie ihm übers Haar. Dann raffte sie die Röcke und ging aus dem Zimmer.

Niedergeschlagen verharrte André mit dem Kopf auf den Armen. So wachte er am nächsten Morgen auf.

Wein - Tränen aus Blut?

Die Sonnenstrahlen kitzelten ihn. Langsam hob er den Kopf von den Armen, sah sich um, entdeckte die leere Weinflasche. Das Portrait lag vor ihm. Lächelte Oscar noch? André schien es, als würde sie ihn besorgt ansehen. Aber gestern Abend hatte sie doch noch so siegesgewiss gelächelt. Siegesgewiss? Welcher Sieg? André schüttelte den Kopf. Es musste sein Kater sein. Nein, ein Portrait konnte sich doch nicht verändern. Widerwillig stand er auf, stieß dabei die Weinflasche um. Zwei rote Tropfen bahnten sich langsam ihren Weg vom Flaschenhals über die runden Lippen und tropften auf den Tisch. André stellte die Weinflasche hin. Die roten Tropfen sahen aus wie Tränen. Tränen aus Blut. André erinnerte sich nur zu gut an eine Sache vor zwei Jahren. In Paris hatte ein junges Mädchen so lange den Tod ihres Verlobten beweint, bis ihre Tränen zu Blut wurden. Gewiss, ein Schauermärchen. Aber dennoch - Tränen aus Blut - eine zwar wenig reizvolle, aber dennoch wirkungsvolle Alternative zum gewöhnlichen Salzwasser. André musste lächeln, nein, blutende Augen konnte man doch nicht haben. Es sei denn...... wie ein Blitz durchfuhr es ihn. Langsam tastete sich seine Hand über die Wange bis zu seinem linken Auge. Er hörte noch den Peitschenknall, seine eigenen Schreie, die von Oscar. In jener Nacht war er glücklich gewesen, dass nicht Oscar ihr Auge verloren hatte. Er seufzte. Sein schwarzes Haar lag seitdem so, dass man die Narbe nicht mehr sehen konnte. Nein, es machte ihm nichts aus, solange Oscar gesund war. Aber dennoch - schließlich will man so etwas ja nicht öffentlich zeigen.
 

Schweren Schrittes stolperte es zur Tür. Gerade überlegte er, ob er nicht doch lieber noch einmal ins Bett gehen sollte, als die Tür aufschwang. Unglücklicherweise ging sie nach innen auf. Sie traf André mit voller Wucht an der Stirn, die Klinke rammte sich in seinen Magen. Mit einem leisen "Oouuhhhh!" hielt er sich Stirn und Bauch. Oscars blonde Haare wehten mit einem leichten Herbstwind herein.

"Ah, `tschuldigung, stör' ich?" André schüttelte den Kopf, was ein heftiges Schädelbrummen auslöste. "Ah, dann ist ja gut." Oscar kam herein und schloss die Tür. Als sie sah, dass André sichtliche Probleme mit dem Gleichgewicht hatte, drückte sie ihn in einen Sessel vor dem erloschenen Kamin. "Hör' zu. Heute kommt Girondelle. Und na ja... so wie sich das angehört hatte, will er wohl, dass ich ihn heirate." Sie lachte leise. Aber selbst in seinem momentanen desolaten Zustand erkannte Oscars Freund, dass die Heiterkeit nur Mittel zum Zweck und aufgesetzt war.

"Aha. Und, was habe ich damit zu tun?" André klang abweisend und mürrisch, sodass Oscar innerlich zusammenzuckte. Hatte sie nicht erkannt, dass Girondelle der wunde Punkt war? Oscar ging zum Schreibtisch und warf ein Stück Papier unachtsam darauf.

"Also." Sie beugte sich darüber und nahm Feder und Tinte aus einer Schublade der kleinen Kommode. "Wir fälschen einen Brief, der mich leider... unabkömmlich macht." Sie kicherte wie ein kleiner Junge, der seinem Magister einen Streich gespielt hat. "Ja, genau das machen wir." André stand schwerfällig auf und beugte sich ebenfalls über den Tisch. Dann legte er eine Hand auf Oscars Stirn. Und er schnupperte. "Oscar, bist du krank?" Oscar riss die blauen Augen auf. "Nein, du bist nicht krank." Stellte André ernüchtert fest. "Du hast ne Fahne." Er musste lachen. "Ich und ne Fahne? Nie im Leben! Ich bin absolut nüchtern!" Verteidigte sich der Commandeur. Dann sah sie die leere Flasche auf dem Tisch. "Aber wenn den Wein die Katze gesoffen hat, heiß' ich Marie Antoinette. Hahaha!" André nickte. "Tja, musste ich alleine trinken, hat ja niemand mitgetrunken." In seiner Stimme schwang Traurigkeit mit. Oscar kritzelte eilig einige Zeilen aufs Papier. Dann unterschrieb sie. "Fertig." Meinte sie zufrieden und faltete das Papier sorgfältig zusammen. Sie zündete eine Kerze an, erhitzte Siegelwachs und ließ es auf das Papier tropfen. Zum Schluss drückte sie ihren Siegelring in den roten Klecks. Strahlend richtete sie sich auf und präsentierte André ihr Machwerk.

"He, André, worauf wartest du noch? Zieh dir was schickes an, sattel' die Pferde und wir sind weg, bevor Girondelle überhaupt ans Aufstehen denkt!" Als sie noch einmal auf den Tisch sah, entdeckte sie die silberne Kette. Gerade wollte sie daran ziehen, als André das Bild verdeckt und sich die Kette um den Hals legte. Oscar sah ihn komisch an, stellte aber keine Fragen mehr. Wie ein Wirbelwind schoss sie aus der Tür. André kniff sich in den Arm. Träumte er? Nein, das war kein Traum. Oscar hatte sogar ihr königliches Siegelwachs auf dem Tisch liegen lassen.

Ritt ohne Ziel

Noch während André mit den Pferden beschäftigt war, passte Oscar draußen auf der Landstraße einen Jungen ab. Sie drückte ihm den Brief und einen Livre in die Hand.

"So, Junge. Du läufst jetzt da zu dem Palais mit dem Brief und gibst ihm dem General. Reynier de Jarjayes. Verstanden? Und erzähl' ihm bloß nicht, dass ich ihn dir gegeben habe. Du kommst aus der Kaserne, klar?"

Der Junge nickte und starrte Oscar an. Sie trug Paradeuniform und sah mit den langen blonden Haaren hinreißend aus. Der Junge nahm die Füße unter den Arm und lief schnurstracks wie befohlen auf das Palais zu. Oscar lachte. Ihr Plan schien aufzugehen. Dann beeilte sie sich. Schließlich wollte sie André und die freien Stunden, die vor ihnen lagen, nicht warten lassen. Und als sie bei den Ställen ankam, staunte sie nicht schlecht. André hatte den reichverzierten Festtagsrock an mit den schwarzen Seidenhosen. Schließlich überwand sie sich doch und umarmte ihn stürmisch.

"André, danke, dass du das hier mitmachst. Könnte nämlich meinem Vater nicht im Geringsten gefallen."

Noch während sie dastanden, rollte eine Kutsche vor den Haupteingang. Girondelle stieg aus. Auf den Augenblick hatte Oscar gewartet. Sie schwang sich auf ihr Pferd und ritt unter das Fenster ihres Vaters. Der schien gerade den Brief zu lesen. Oscar konnte sehen, wie er die Stirn runzelte, die Tür ging auf, Girondelle kam und setzte sich - und - Oscars Vater knallte den Brief auf den Tisch. Er lief rot an. Sprang auf, entdeckte Oscar vor dem Fenster, Girondelle folgte seinem Beispiel, und beide machten ein derartig blödes Gesicht, dass Oscar vor lauter Lachen fast aus dem Sattel rutschte.

Als sie merkte, dass André hinterherkam, gab sie ihrem Pferd die Sporen und jagte mit André vom Hof.

Nach einer kurzen Zeit fiel sie in einen gemütlichen Trab und schließlich in den Schritt. André lenkte sein Pferd dichter neben sie.

"Oscar, verrate mir doch bitte, was an diesem Brief so komisch war." "Ahaha... das kann ich dir sagen!" Wieder verfiel Oscar in einen Lachkrampf.
 

Zur gleichen Zeit im Palais Jarjayes:

Der General trank seinen zweiten Whisky, drehte und wendete das Blatt. "Das gibt es nicht." Stammelte er immer wieder. "Das - das ist alles nur ein Traum." Girondelle, der mal wieder nichts begriffen hatte, angelte sich den Brief und las:
 

An den General Reynier de Jarjayes:

Der Commandeur Oscar François de Jarjayes muss auf meinen Befehl hin wegen einer dringenden geheimen Sache abkommandiert werden. Fragen gnädigst nicht weiter, Rückkehr ungewiss.
 

Hochachtungsvoll, Oscar François de Jarajyes.
 

Girondelle legte den Brief zurück und setzte sich. "Ich kann warten, General."
 

Wieder zurück zu André und Oscar..........
 

Oscar fühlte sich endlich wieder so glücklich wie damals, als die Dauphine nach Frankreich gekommen war. Sie war frei, sie war jung, und sie spürte ihr Blut hei durch die Adern pulsieren. Die frische Herbstluft wehte ihr um die Nase, ihre Blonden Haare strömten hinter ihr wie in Fluss aus Gold - und André ? Er war selig. Aber diese Geschichte handelt ja mehr von André, und nicht von Oscar.
 

André ritt stillschweigend neben Oscar her. Noch nie war Versailles, war das Palais so weit weggewesen. Und noch nie war Oscar so nah bei ihm gewesen. Nicht räumlich, nein. Aber geistig. Er konnte sie fast spüren. Und wie sie so den Vögeln zurückpfiff sah er in ihr nicht den Commandeur, sondern einen fröhlichen jungen Menschen. André überlegte. Wann war er das letzte Mal so grundlos glücklich gewesen? Als kleiner Junge? Oder damals, als Oscar ihm im zarten Alter von neun Jahren ihr gesamtes Vertrauen geschenkt hatte. Sie erzählte ihm davon, wie gerne sie auch einmal General werden würde. Er sei ihr bester Freund, und nie würde sie sich von ihm trennen. André musste schmunzeln.

War er noch ihr bester Freund? Hatten sie sich nicht auseinandergelebt? Als sie erwachsen wurden, hatten sich ihre Gedanken voneinander getrennt. Oscar dachte als pflichtbewusster Offizier. Nur manchmal bezog sie ihre menschliche Seite mit ein. André musste mit ansehen, wie Oscar sich in Fersen verliebte. Nachts hatte er vor Wut geweint. Hatte Fersen verflucht, hatte Oscar verflucht. Und es gleich wieder zurückgenommen. Hatte Fersen die Pest an den Hals gewünscht. Hatte sich gewünscht, er würde aus Amerika nie mehr wiederkehren. Und Fersen kehrte nicht zurück. Geschockt musste André sehen, wie Oscar bleicher und schmaler wurde. Von Tag zu Tag nahm sie ab. Wurde aggressiv und niedergeschlagen. André betete, Fersen würde zurückkehren. Und nur eine Woche später stand er wohlbehalten in der Tür.
 

An all diese Dinge musste André denken, während die letzten warmen Sonnenstrahlen des Jahres sich ihren Weg durch die verfärbten Blätter bahnten. Noch nie war er auf diesen Wegen geritten. Seite er bei der Familie lebte war er oft alleine durch den Wald gegangen. War ganz alleine mit sich und seinem unendlichen Schmerz gewesen. Hatte sich überlegt, ob er sich von einer nahen Felsklippe stürzen sollte. Was niemand wusste: in seinem Tisch war eine Giftflasche versteckt. Der Inhalt reichte für zwei. Falls Oscar wirklich Girondelle versprochen werden sollte, würde er sich und Oscar vergiften. Um nicht mit dem Schmerz leben zu müssen. Er war sich im klaren, das er damit ein unschuldiges, viel zu kurzes Leben beenden würde. Aber so war er wenigstens im Tod mit Oscar vereint.
 

Oscar bemerkte den bedrückten Zustand ihres Freundes.

"André, was ist los?"

"Ah? Ach, nichts." André senkte den Kopf. Oscar sollte nicht sehen, wie er den Tränen nahe war. "Oscar, wo reiten wir hin? Diesen Waldweg kenne ich nicht."

"Ich auch nicht."

"Was? Du weißt nicht, wo wir hinreiten? Vor zwei Stunden sind wir am letzten Dorf vorbeigekommen. Was sagt dein Vater, wenn wir nicht zurückkommen?"

Oscar schwieg und biss sich auf die Lippen.

"Oscar, wo reiten wir hin? Weiß dein Vater etwas davon?"

Oscar sah ihn an. Erschrocken musste André feststellen, dass ihr Tränen über die Wangen rollten.

"Das ist mir egal! Ich will weg! Raus aus meiner Welt. Aber das verstehst du nicht. Ich - soll - ich - soll verschachert werden wie ein Stück Vieh!"

Die letzten Worte hatte Oscar aus sich herausgeschrieen. Sie gab ihrem Pferd einen heftigen Stoß in die Flanke. Es setzte voraus und verschwand nach kurzer Zeit zwischen den dichten Zweigen. André konnte kaum mehr sehen, wo er hinritt. Die Zweige schlugen ihm ins Gesicht. Tief gebeugt saß er im Sattel und hielt die Arme nahe am Körper. Nach einiger Zeit verlangsamte er den Ritt. Von Oscar keine Spur. Stundenlang suchte er sie. Und von Minute zu Minute ergriff das Gefühl, dass Oscar schwer verletzt war, immer mehr Besitz von ihm.

bissle verdammt kitschig geworden

Wie in Trance ritt André durch den Wald. Die Bäume standen immer dichter, schienen ein einziges Meer aus dunklen Geistern zu sein, die Astlöcher Mäuler, ihre Zweige Arme. Die Hufe des Pferdes stimmten ein dumpfes Trommeln an, begleitet von den seltsamsten Geräuschen des Waldes. André konnte Oscar nirgends entdecken. Sollte sie doch umgekehrt sein? Aber dann rief er sich in Erinnerung, dass dieser Wald wahrscheinlich der Grenzwald zwischen Paris und Versailles war. Hunderte Quadratmeilen groß, unendlich tief. Er würde Tage brauchen, um sie zu suchen. Selbst wenn sie sich nicht mehr bewegen konnte würde es die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen werden. Und schlimmer noch - falls sie sich nicht mehr bewegen konnte war vielleicht sowieso alles zu spät.

Den Tränen nahe hielt André sein Pferd an. Orientierungslos und verzweifelt rutschte er aus dem Sattel und lief benommen durch das Unterholz. Immer wieder rief er ihren Namen. Seine Stimme schien sich in den Weiten des Waldes zu verlieren.

Er war schuld. Egal, wer davon geritten war, er war schuld. Er hatte Oscar nicht gestoppt. Er hatte sie nicht schnell genug gefunden. Die Tränen rannen ihm jetzt wirklich die Wangen hinunter, tropften auf sein Revers und hinterließen nasse Spuren auf seiner Haut. Blind setzte er einen Fuß vor den Anderen, bemüht, nicht zu stürzen. Er wusste schon gar nicht mehr, ob er Oscar vor einer Stunde oder vor zehn Minuten verloren hatte. Es schien ihm so unendlich lang. Wenn ihr etwas geschah, würde er sich ein Leben lang die Schuld dafür geben.

Vor seinem inneren Auge tauchte Oscar auf, sie lag genauso wie sein Vater, als dieser sich bei einem Sturz das Genick gebrochen hatte. Arme und Beine weit von sich gestreckt, das Gesicht nach rechts gedreht, der Hals verrenkt. Die Augen leicht geöffnet, der Mund so, als hätte sie einen überraschten Laut von sich gegeben.

Als ob der Himmel Andrés Verzweiflung spüren konnte, fing es an zu regnen. Dicke Tropfen fielen auf das Blätterdach, ließen das rote Laub geheimnisvoll und zugleich beruhigend rascheln. Einige der gefärbten Blätter bahnten sich ihren Weg nach unten, immer zuckend wenn sie von einem Regentropfen getroffen wurden.

Wie Schüsse, dachte André. Wie ein kleiner, zarter Körper, der von Schüssen getroffen wird. Eines der Blätter fiel auf seine Schulter. Rot und grün und gelb. Leuchtende Farbenpracht, dem Tod geweiht. André kam der Vers eines alten Volksliedes in den Sinn.
 

Fahr wohl!

O Blättlein, dass nun fallen soll;

Dich hat rot angestrahlet

Der Herbst, im Tod gemalet:

Fahr wohl!
 

Fahr wohl,

all Liebes, das nun scheiden soll!

Und ob es so geschehe,

dass ich dich nicht mehr sehe,

fahr wohl, fahr wohl!
 

Wieder bahnte sich eine Träne den Weg über sein Gesicht. Wie konnte ihn ein so schönes Blatt nur so traurig machen? Er drehte den Kopf zur Seite, um den kleinen Besucher auf den Waldboden zu schnipsen. Doch noch bevor er ihn anfassen konnte, nahmen ihn zwei zarte Finger. Ein Tropfen Blut rann an ihnen herunter.

Ruckartig drehte er sich um. Hinter ihm stand Oscar, das Hemd zerrissen, eine Platzwunde am Kopf, aber lebendig.

"Du lebst! Oscar, du lebst!"

Nur flüsternd, aber für beide laut genug hatte er es gesagt.

"André, ich bin so froh. Ich wollte das nicht!"

"Mein Gott, du lebst!"

Er schloss sie in die Arme.

"Bitte glaub mir, ich wollte das alles doch gar nicht. Nur weil ich durchgegangen bin!"

"Das habe ich schon vergessen."

"Nein, wirklich, ich hätte dich in Gefahr bringen können."

"Hast du aber nicht. Du bist verletzt, nicht ich."

Oscar atmete erleichtert auf.

"Das ist nur halb so schlimm - André..."

"Mh?"

"Du hast geweint. Wegen mir?"

André antwortete nicht.

"Sag schon, du musst wegen mir geweint haben."

"Ach, das war nur der Regen und so - und..."

Oscar sah ihn schief an.

"Nein, du hast recht, ich habe wegen dir geweint."

"Bin ich dir so wichtig?"

André löste die Umarmung. Ja, sie war ihm wichtig, verdammt wichtig sogar.

Er sah ihr in die Augen, durchbohrte sie mit seinen Blicken dass sie unwillkürlich zusammenzuckte.

"Hättest du wegen mir geweint?"

Oscar nickte. "Ja, das hätte ich."

"Oscar, du bist mir wichtig. Ja, du bist mir wichtiger als alles andere auf der Welt."

Sie packte ihn an den Schultern.

"André, stimmt das? Sag mir, dass das stimmt!"

"Oscar, ich sage die Wahrheit! Ich liebe dich."

Oscar wischte sich Regen und Blut von der Stirn, während sie den Griff ihrer linken Hand lockerte.

"Das gibt es nicht. Das darf nicht wahr sein!"

André schwieg und strich ihr eine nasse Strähne aus dem Gesicht.

"Doch. Ich liebe dich. Ich liebe dich, schon seit vielen Jahren!"

Oscar schluchzte und lächelte zugleich. "Warum habe ich das nur nie gesehen! Warum musste ich meine Augen so fest vor der Liebe verschließen?"

André küsste sie leicht. "Das ist egal. Jetzt weißt du es ja."

"Ja, jetzt weiß ich es, und ich werde es nie wieder vergessen." Wie in Zeitlupe kamen sich ihre Gesichter immer näher, für Oscar gab es nur noch André, seine Blicke, seine Liebe.
 

Wie lange die beiden so im Wald standen und sich küssten, wusste später keiner mehr. Aber das war ja auch nicht wichtig....



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Kommentare zu dieser Fanfic (15)
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Von: abgemeldet
2005-08-22T21:48:44+00:00 22.08.2005 23:48
Ich kann Lady_Oscar nur zustimmen! Ich find's auch nicht kitschig - obwohl ich mir vorstellen könnte, dass andere da anderer MEinung sind. Und ich finds auch zum heulen schön!
Von:  Lunatrixa
2005-08-22T06:41:54+00:00 22.08.2005 08:41
Also ich finde es überhaupt nicht kitschig, wenn man es so liesst kommen einem ja fast die Tränen, ich finde es sehr schön geschrieben.
Von: abgemeldet
2005-08-19T11:31:23+00:00 19.08.2005 13:31
aaaalso, danke erst mal für die netten kommis *froi*, vllt kommen ja noch n paar mehr. Das nächste Kapi ist schon seit ner Woche auf der Warteliste, aber man kann ja nicht alles haben. Dafür ist jetzt endlich das 12. Kapi von "Ein Spanisches Duell" on.
Noch viel Spaß beim Lesen, Kris
Von: abgemeldet
2005-08-03T09:19:24+00:00 03.08.2005 11:19
hm, immer hört's auf wenn's spannend wird... wie fies! ;) also bin gespannt auf die fortsetzung!
Von: abgemeldet
2005-08-02T23:21:07+00:00 03.08.2005 01:21
Wie kannst Du denn jetzt bitte aufhören??? Schreib bitte weiter, es ist furchtbar, nicht zu wissen, was mit Oscar ist!
Von: abgemeldet
2005-08-02T17:29:53+00:00 02.08.2005 19:29
Wieder super geschrieben! Oscars "flucht" kann man gut nachvollziehen. Mir würde es auch nicht gefallen zu einer Heirat gezwungen zu werden bzw. jemanden heiraten zu müssen den ich nicht liebe. Hoffentlich findet Andre seine Oscar unverlezt wieder! Schrei bitte weiter! Freu mich schon aufs nächste Kapi!
Von: abgemeldet
2005-07-29T12:20:26+00:00 29.07.2005 14:20
dachte eigentlich gar nicht, dass Du weiterschreiben würdest und bin jetzt total angenehm überrascht. das ist echt super geschrieben. Das mit den blutigen Tränen gefällt mir gut. und dass Oscar jetzt ins Spiel kommt, ist auch klasse. Die Idee mit der Kette finde ich übrigens total schön.
Nur bei der wörtlichen Rede wäre es gut, wenn Du hinter jeder Aussage einen Absatz machen könntest. So ist es schwierig zu unterscheiden, wer was sagt.
Von:  Lunatrixa
2005-07-29T07:15:07+00:00 29.07.2005 09:15
Eine super Story, gefällt mir sehr gut :) hoffe es geht bald weiter bin total gespannt *s*
Von: abgemeldet
2005-07-28T22:33:04+00:00 29.07.2005 00:33
echt gut... Oscar's Reaktion gefällt mir!
Von: abgemeldet
2005-07-20T13:09:17+00:00 20.07.2005 15:09
Es ist wirklich Wunderschön geschrieben. Man kann irgendwie sogar irgendwie mitfühlen und sich in ihn hinein versetzen! Ich jedenfalls. Schreib doch bitte weiter. Ich würde mich echt drüber freuen!


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