Kapitel 1
In dieser Fanfic habe ich versucht, einmal André zu Wort kommen zu lassen, der hinter Oscar manchmal ein bisschen in den Schatten tritt. Ich habe mir eine Situation ausgedacht, in der André über seine bedingungslose Liebe zu Oscar nachdenkt.
Der Regen prasselte gegen die Scheibe. Draußen wurde es langsam dunkel, André konnte gerade noch die Silhouetten der vom Sturm gebeutelten Bäume sehen. Hin und wieder klatschten Zweige gegen sein Fenster.
Ein Kontrast bildete nur das Feuer, dessen wohlige Wärme den nassen Umhang über einem Stuhl trocknen ließ. Leise knisterten die Holzscheite.
Alles in allem machte das Zimmer einen gemütlichen Eindruck. An einer Seite unter dem Fenster saß André, vor ihm eine Flasche Wein und ein halbvolles Glas. In seiner Hand hielt er eine Miniatur von Oscar. Heimlich hatte er damals ein Bild aus einem entlegenen Korridor entwendet und einem Maler das kleine Bildchen in Auftrag gegeben. Es hatte ihn nicht gerade wenig gekostet, aber so konnte die Frau, mit der er schon so lange unter einem Dach lebte, immer an seiner Seite sein.
Fast ein wenig melancholisch betrachtete er das Amulett, das an einer silbernen Kette befestigt war. Normalerweise hielt er es in seinem Tisch verschlossen, aber wenn er abends nach getaner Arbeit bei einer Flasche Wein mit sich selbst saß, dann holte er das Bild hervor und betrachtete es. Im warmen Feuerschein schien Oscar noch mehr zu lächeln als sonst.
Er liebte sie. Schon lange. Wusste sie es? Nein, natürlich nicht. Oscar war nicht die Sorte Mensch, die Gefühle offen zur Schau stellten. André gehörte auch nicht dazu. Genauso wenig würde Oscar es bemerken. Nie hatte er sich anders verhalten, hatte immer so getan, als ob Oscar ein Mann wäre. Immer, schon seit er denken konnte. Doch seit einiger Zeit nagte ein gewisses Gefühl, eine Mischung aus Angst und Verzweiflung an ihm. Denn seit gut drei Wochen ging vermehrt ein junger adliger im Palais ein und aus. Girondelle hieß er. Klar, er war hübsch, kam aus einer angesehenen Adelsfamilie, diente im gleichen Regiment... Und André hatte gleichzeitig das dumme Gefühl, dass dieser Offizier nur wegen Oscar kam. Er, André, würde keine Chance gegen ihn haben. Und der alte General de Jarjayes schien sich auch damit angefreundet zu haben, dass Oscar vielleicht im Frühjahr aus der Garde Francaise austreten und diesem Mann das Jawort geben würde.
Bei diesem Gedanken zuckte André zusammen und sah in die Saphirblauen Augen des Portraits.
Oscar, fragte er innerlich, warum liebst du mich nicht? Warum bin ich nicht adlig und kann dir stolz und öffentlich einen Antrag stellen? Aber - würde sie diesen dann auch annehmen? Würde sie?
Von Zweifeln geplagt legte André den Kopf auf seine Arme und zählte die Wochen, die ihm noch bis zum Frühjahr mit Oscar blieben. Neulich hatte er ganz zufällig den General belauscht, wie er mit Girondelle über einen Hochzeitstermin im Mai sprach. Traurig ging André die Rechnung in seinem Kopf durch. Jetzt hatten sie Oktober, also blieben ihm noch sechs Monate. Dann würde Oscar für immer fort sein. Denn selbst sie konnte sich nicht dem Willen ihres Vaters entziehen. Wehmütig strich André dem Portrait über die Wange. Dann tat er etwas, was niemand von ihm gedacht hätte: Er weinte. Und so hörte er auch nicht die Tür, die sich öffnete, die Schritte, die zu ihm kamen, und spürte erst die Hand auf seiner Schulter. Er drehte sich ruckartig um und sah in das Gesicht seiner Großmutter.
Sie verstand ihren Enkel spätestens, als sie das Bild in seiner Hand sah. Leise strich sie ihm übers Haar. Dann raffte sie die Röcke und ging aus dem Zimmer.
Niedergeschlagen verharrte André mit dem Kopf auf den Armen. So wachte er am nächsten Morgen auf.