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Magenta I

Willkommen in der World of Warcraft
von

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Herzholz

Dohan Karhan hatte Magenta den Weg nach Ratchet gewiesen und nach einigen Stunden Fußmarsch erreichte die junge Hexenmeisterin die kleine Hafenstadt um die Mittagszeit. Staubige Palmen standen zwischen niedrigen Häusern die mit wenig Liebe aus dem hart gebackenen Boden gestampft worden waren. Straßen folgten einem nicht erkennbaren Plan und die Auslagen der Geschäfte quollen über von Waren, die um diese Zeit keiner kaufen wollte. Schweißige Trägheit hing wie eine schwere Wolke über dem Ort, einzig unterbrochen von dem quietschenden Klappern einer Windmühle und dem gelegentlichen Klang einer dumpfen Explosion aus einem der abgelegeneren Gebäude. Von dem regen Treiben, das sich nach Sonnenuntergang in den engen Gassen entwickeln würde, zeugten lediglich die schlecht zusammen gekehrten Abfälle an einer Straßenecke und das laute Schnarchen eines Betrunkenen, der seinen Rausch in Umarmung mit einer Straßenlaterne ausschlief.

Trotzdem war Ratchet nicht ohne Leben. Unter wenigen neugierigen und vielen feindseligen Blicken, die sie aus halb geschlossenen Fensterläden und Türöffnungen heraus verfolgten, schlich Magenta über den zentralen Platz des Ortes, der aus unerfindlichen Gründen von einem riesigen, rostigen Anker beherrscht wurde. Einen kurzen Moment lang fragte Magenta sich, wie groß wohl ein Schiff sein müsse, dass ein solchen Anker benötigte, doch dann bemerkte sie einige Gestalten, die sich auffällig unauffällig in ihrer Nähe herumdrückten. Unsicher sah sie sich nach den wenigen, wenngleich auch schwer bewaffneten Goblinwachen um, die wahrscheinlich die einzige Garantie für ihre leibliche Unversehrtheit darstellten. Beunruhigenderweise war gerade die einzige Patrouille in Sichtweite um die nächste Hausecke verschwunden und in der Hand eines drahtigen Trolls, der aus dem Nichts erschienen war, blitzte unmissverständlich ein Messer auf. Denn man durfte nicht vergessen, dass dies immer noch das Gebiet der Horde war. Und noch etwas beschäftigte Magenta.
 

„Spürst du das?“, fragte sie an Pizkol gewandt, während sie den Troll nicht aus den Augen ließ. Sie hatten den Wichtel beschworen, nachdem er sie mit dem Rezitieren dämonischer Gedichtbände in ihrem Kopf halb wahnsinnig gemacht hatte und in dieser feindseligen Umgebung keine Veranlassung gesehen, ihn wieder zu entlassen.

„Was meinst du?“ nölte er missmutig. „Die Blasen an meinen Füßen, die Kletten in meinem Fell oder den Sand zwischen meinen Zähnen.“

„Ich rede von Dämonen.“, gab Magenta ungehalten zurück. „Irgendetwas geht hier vor, das spüre ich genau.“

„Och das.“ Winkte Pizkol ab und zog sich mit spitzen Fingern eine Klettwurzel aus der Schwanzquaste. „Die werden zu den Hexenmeistern dort drüben gehören. Die aufgeblasenen Angeber protzen selbst im nicht beschworenen Zustand mit ihren Auren herum, dass einem schlecht werden kann.“

Magenta folgte Pizkols vorwurfsvoll ausgestrecktem Arm mit den Augen und erblickte eine Gruppe von finsteren Personen mit dunklen Kapuzenmänteln, die sich in einer Ecke herumdrückten.

„Auffälliger ging es wohl nicht.“, höhnte die junge Hexenmeisterin leise.

Pizkol sah auf und verdrehte die Augen. „Doch nicht die…DIE!“

Etwas irritiert bemerkte Magenta noch zwei weitere Personen; einen Mann und eine Frau, die scheinbar unbeteiligt die Waren eines Tuchhändlers betrachteten. Sie waren unauffälliger gekleidet, wenngleich der Man auch einen roten, spitzen Hut trug, der Magenta ein wenig an einen ihr bekannten Magier erinnerte. Auf den ersten Blick ließ sich nichts Außergewöhnliches an ihnen entdecken. Ihre Ausstrahlung hingegen war unbestreitbar Respekt einflößend und der flüchtige Blick, mit dem die Frau Magenta streifte, ließ ein Kribbeln auf der Haut der jungen Hexenmeisterin zurück. Die Frau sprach den Mann an, der daraufhin zu Magenta hinüber sah. Seine Augen taxierten sie und Pizkol, dann ruckte sein Kopf in einem grüßenden Nicken nach unten und auch die Frau neigte mit einem wissenden Lächeln den Kopf. Magenta blinzelte überrascht, doch als sie erneut hinüber sah, waren die beiden verschwunden und die Waren, die sie eben noch begutachtete hatten, lagen wie unberührt in ihren Auslagen.

Unwirsch schüttelte Magenta den Kopf. Sie hatte keine Zeit in einer fremden Stadt mit fremden Leuten Versteck zu spielen, auch wenn es sie brennend interessiert hätte, wer die beiden gewesen waren. Der Troll mit dem Messer lungerte jedoch immer noch in ihrer Nähe herum und hatte inzwischen Gesellschaft von zwei bulligen und äußerst muskulösen Orks bekommen. Es wurde Zeit, von hier zu verschwinden.

Etwas gehetzt und mit einem misstrauischen Blick über ihre Schulter eilte Magenta daher durch die Gassen, bis sie hinter einer Hausecke auf einem mit Gerümpel vollgestellten Platz endlich das fand, was sie schon die ganze Zeit gesucht hatte: einen Greifenmeister.
 

Ein strenger Raubtiergeruch schlug ihr aus der Höhe entgegen und als sie den Kopf nach oben wendete, blickte sie direkt in die gelbgrünen Augen eines fremdartigen Tieres. Im ersten Moment glaubte sie, einem Exemplar der wilden Löwen gegenüber zu stehen, die das Brachland bevölkerten, doch dann bemerkte sie die riesigen, ledernen Flügel, die das Tier zu beiden Seiten an seinem Sitzplatz herunterhängen ließ. Auch die Ohren des Wesen waren viel länger als die eines normalen Löwen und statt eines schlanken Schwanzes mit einem puscheligen, braunen Quaste reckte sich der gifttriefende Stachel eines Skorpions angrifflustig in Magentas Richtung. Das Tier fauchte und bohrte seine handlangen, schwarzen Krallen in das splitternde Holz. Ängstlich stolperte Magenta einen Schritt zurück und stieß gegen einen Haufen wertlosen Schrotts, der daraufhin mit ohrenbetäubendem Lärm zu Boden fiel. Wildes Kreischen war die Antwort darauf und einen kleine, grüne Gestalt stürzte wie ein Wirbelwind aus einer kleinen Bude hervor.

„Hey, Ihr da!“, schnauzte der Goblin, der einen albernen, schwarzen Zopf auf seinem sonst kahlen Schädel trug und dessen Beine aus viel zu kurzen, violetten Stoffhosen hervorragten. „Geht weg von den Flügeldrachen oder wollt Ihr, dass sie Euch in Stücke reißen. Wer soll denn die Schweinerei dann nachher wieder wegmachen? Ich etwa?“

Immer noch starr vor Schreck beobachtete Magenta, wie der unfreundliche Goblin geschäftig an ihr vorbei eilte und anfing, beruhigende Worte in die Ohren des hässlichen Katzenkopfes zu säuseln. Dazu kraulte er das Tier in der struppigen Mähne und kramte aus einem Beutel etwas hervor, das dem Geruch nach zu urteilen, drei Jahr alter Fisch sein musste, von dem Flügeldrachen aber mit größtem Genuss verschlungen wurde.

„So eine Unvernunft.“, zeterte der Goblin in Magentas Richtung. „Wieso ihr arroganten Allianzler es nicht in euren Kopf bekommt, dass die Flügeldrachen sehr viel wilder und feindseliger sind, als eure zahmen Reitgreife. Nicht, dass an denen etwas auszusetzen ist. Sie sind dagegen sehr viel zuverlässiger und halten mehr aus. Trotzdem ist es mir unbegreiflich, wie man den Unterschied zwischen einem Flügeldrachen und einem Greif nicht erkennen kann.“

„Aber ich…“, begann Magenta, wurde jedoch von dem wutschnaubenden Goblin unterbrochen.

„Ach papperlapapp.“, keifte er weiter. “Verschwendet nicht meine Zeit. Wollt Ihr nun einen Flug oder nicht?“

„Ich möchte nach Astranaar.“, antwortete Magenta eingeschüchtert.

„Na bitte, wer sagt´s denn.“, murrte der Goblin schon etwas versöhnlicher. „Ihr nehmt besser einen von diesen da.“ Er wies auf einige grob zusammen gezimmerte Nester von denen zwei von einem Greifen besetzt waren, die sie aus klugen Raubvogelaugen musterten.
 

Ohne sich über den unverschämten Preis des Goblins zu beschweren oder noch einmal einen Blick auf den immer noch Gift und Galle spuckenden Flügeldrachen zu werfen, bezahlte Magenta ihren Flug, entließ mit einem Murmeln Pizkol und kletterte mit etwas zittrigen Knien auf den goldbraunen Rücken des Allianz-Greifen. Das Tier zwickte ihr mit dem harten Schnabel aufmunternd in den Fuß und schwang sich dann mit kräftigen Schlägen seiner Adlerflügel in den Himmel empor. Zwei Augenpaare verfolgten den Flug des Greifen, der sich schnell in nordwestlicher Richtung von der Küste weg bewegte und dabei den großen Turm passierte, der auf einer Anhöhe etwas außerhalb der Stadt lag.

„Eine viel versprechende Kandidatin.“, mutmaßte die Frau. „Findest du nicht, Strahad?“

Strahad Farsan nahm seinen Hut ab und betrachtete nachdenklich die breite, rote Krempe. „Wir hatten schon oft viel versprechende Kandidaten, Menara. Und wie viele von ihnen sind wirklich groß geworden. Und wie viele von ihnen haben über den Besitz ihrer Macht nicht den Verstand verloren?“

Menara Voidrender blickte wieder in die Richtung, in der der Greif verschwunden war und seufzte. „Es war schon immer ein schmaler Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Wir werden sehen, ob wir noch einmal etwas von ihr hören werden. Wenn wir inzwischen nicht von einem wütenden Mob gelyncht worden sind. Hexenmeister sind nicht besonders populär.“

Strahad Farsan stutzte einen Augenblick, dann brach er in schallendes Gelächter aus. „Menara, Menara…du wirst bald genau so eine Schwarzseherin wie Babagaya sein. Dabei ist das so unnötig. Denn weißt du, was ich an Ratchet so liebe?“

Er trat an den Rand des Plateaus und sah auf die Stadt hinab, die zu seinen Füßen lag. Am Hafen legte gerade ein Schiff an; den Flaggen nach zu urteilen kam es aus Booty Bay. „Ich liebe die furchtbare Gleichgültigkeit seiner Bewohner. Ratchet ist eine Hure, die jeden, der sie bezahlt, an ihren Brüsten säugt. Du wirst niemanden finden, der nicht wenigstens ein bisschen Dreck am Stecken hat, und deswegen kehren alle lieber nur vor ihrer eigenen Haustür. Sei also unbesorgt. Sollte irgendjemand versuchen, uns in unserem Turm auszuräuchern, so wird er bald feststellen, dass das nicht so einfach ist, wie er gedacht hat. Jetzt komm, die Akolyten erwarten uns zu ihrem Unterricht.“
 

Während in Ratchet dunkle Worte der Macht durch die Hitze des Sommertages waberten, brachte der Greif Magenta immer näher zum Ziel ihrer Reise. Schon bald wurde die weite Graslandschaft unter ihr von den Felsen des Steinkrallengebirges abgelöst, die kurz darauf in die üppigen Wälder Ashenvales übergingen. Als die letzten Sonnenstrahlen die Violet- und Grüntöne des Waldes in einen blutroten Schein tauchten, landete Magentas Reittier am Rand von Astranaar, der Nachtelfenstadt, um die Magenta bei ihrem ersten Besuch eine so großen Bogen gemacht hatte. Die Greifenmeisterin, eine große Nachtelfe mit kurzen, weißblonden Haaren und dunklen Tätowierungen, die fast ihr gesamtes Gesicht bedeckten, nahm Magenta den Greifen ab.

„Hier.“, sagte sie zu einer zweiten Nachtelfe. „Füttere und tränke ihn, damit wir ihn noch vor Anbruch der Nacht zurückschicken können.

Die andere Nachtelfe - sie war kleiner und hatte grüne Haare - nickte ergeben. „Ja, Meisterin Daelyshia.”

“Ihr schickt Ihn zurück?”, fragte Magenta, noch bevor sie darüber nachgedacht hatte, ob es klug war ein Gespräch anzufangen.

Daelyshia nickte. “Die Goblins bestehen darauf, dass die Greife Ihnen gehören. Sie fordern sie stets zurück und wir halten uns an diese Vereinbarung. Deswegen werdet ihr niemals einen Greifen in einer Nachtelfenstadt finden.“

„Aber ihr seid doch eine Greifenmeisterin.“, antwortete Magenta verblüfft.

Die Nachtelfe grinste. „Sicherlich. Ich züchte nun schon seit Jahrzehnten die kräftigsten Hippogreife in ganz Kalimdor. Wenn ihr bessere finden wollt, müsst Ihr losgehen und Euch eines der wilden Exemplare in Feralas oder Azshara fange. Doch ich sage Euch, dass Euer Reitvergnügen dann ungleich kürzer und schmerzhafter ausfallen wird.“

Erst jetzt bemerkte Magenta die Nester, die sich ein wenig abseits des Landeplatzes befanden. Die meisten von ihnen waren leer, doch in einem von ihnen thronte ein großes Tier. Es hatte den Kopf eines Raben oder einer Krähe, der von einem Hirschgeweih gekrönt wurde. Sein gesamter vorderer Körper, sowie die mächtigen Schwingen waren mit glänzenden, blauschwarzen Federn bedeckt und die gelben Vogelaugen zeugten von äußerster Wachsamkeit.

Die Nachtelfe schnalzte mit der Zunge und der Hippogreif antwortete ihr mit einer Mischung aus einem Brüllen und einem Krächzen. Elegant erhob er sich aus seinem Nest und zeigte nun auch seine kräftigen Hinterbeine, die, wie der Name versprach, die eines schwarzen Pferdes waren. Das Tier scharrte unruhig mit den kräftigen Krallen der Vorderbeine und spannte die Flügel, als wolle es jeden Moment in die Luft steigen. Und dann sah Magenta, warum das Tier so aufgeregt war. Auf dem Boden des großen Nestes lag ein gewaltiges, hellgrünes Ei. Erstaunt wollte Magenta näher treten, doch der Hippogreif schob sich mit einem warnenden Laut zwischen sie und das Nest. Sein schwarzer Schweif peitschte unruhig hin und her und Magenta sah, dass zwischen den seidigen Rosshaaren auch einige, lange Federn in dunklem Grün glänzten.

„Seid vorsichtig“, warnte de Greifenmeisterin. „Hippogreife können sehr gefährlich werden, wenn man sie reizt Andererseits beschützen sie den, den sie lieben, bis zum Tod.“
 

Den sie lieben…die Worte hallten in Magentas Kopf wieder und erinnerten sie spöttisch daran, dass sie weit Wichtigeres zu tun hatte, als hier Unterricht in fremder Zoologie zu erhalten.

Etwas überstürzter, als höflich gewesen wäre, verabschiedete sie sich von der Nachtelfe und lief in der anbrechenden Dämmerung geradewegs in den Wald hinein. Sie hörte noch, wie die Greifenmeisterin ihr etwas nachrief, doch sie verstand es nicht mehr und zog es auch vor, nicht darauf zu achten. Als Astranaar außer Sichtweite war, rief sie Pizkol herbei.

„Schön, dass du dich mal wieder an mich erinnerst.“, maulte er, sobald seine Füße den Boden berührt hatten.

„Hätte ich dich vielleicht vor den Augen der Nachtelfen beschwören sollen?“, konterte Magenta. „Ich bin sicher, der Hippogreif wäre begeistert gewesen.“

Beleidigtest Schweigen antwortete ihr als Bestätigung, dass sie Recht gehabt hatte. Die Nacht fing viel versprechend an.
 


 


 

Ein energisches Klopfen ließ Abbefarias Ohren im Schlaf zucken. Als er nicht weiter reagierte, folgte ein erneutes, lautes Klopfen und schließlich hämmerte jemand mit voller Kraft und einem Besenstiel gegen das helle Holz der Tür, die zu einer Schlafkammer im Gasthaus von Lakeshire gehörte. Ärgerlich brummte der Nachtelf eine höchst ernst gemeinte Bemerkung darüber, wohin sich der Urheber des Lärms seinen Besenstiel stecken konnte, drehte sich herum und zog sich die Decke über den Kopf. Um nichts in der Welt würde er diese kuschelige, warme Höhle verlassen.

„Ich schlafe!“, rief er nicht ganz wahrheitsgemäß unter dem Federbett hervor.

Unverständliches Gemurmel antwortete ihm, dann schlurfte jemand zur nächsten Zimmertür und zog dabei einen Eimer hinter sich her. Nach Abbefarias Einschätzung extra laut. Der Jemand polterte an die nächste Tür, die diesmal geöffnet wurde.

„Ja bitte?“ hörte Abbefaria Ceredrian fragen.

„Zimmer-Service!“, schnauzte die Person, die offensichtlich nicht nur weiblich, sondern auch extrem schlecht gelaunt war. „Und weckt Euren Freund. Wenn er noch zehn Minuten länger schläft, müsst Ihr eine weitere Übernachtung bezahlen.“

Ich werde sehen, was ich tun kann.“, antwortete der Priester und schenkte der jungen Frau sein charmantestes Lächeln. Es perlte an ihr ab wie Wasser an einer Speckschwarte.

Eigenartig, dachte Ceredrian bei sich. Normalerweise würde sie jetzt kokett lächeln oder mit einem rosigen Schimmer auf den Wangen die Augen niederschlagen. Im Moment sieht es allerdings eher so aus, als würde sie das Kopfkissen erwürgen.

Der Nachtelf betrachtete die junge Frau noch einen Moment lang irritiert, dann zuckte er mit den Schultern und machte sich daran, sich und seinen Freunden etwas Gold zu sparen, indem er Abbefaria noch vor dem zwölften Mittagsglockenschlag von seinem Bett in die Schankstube beförderte.
 

Easygoing begrüßte sie wortkarg. Der Nachtelf trug den rechten Arm in einer sauberen Schlinge und bemühte sich verbissen, mit der anderen Hand einem Stück Hartwurst Herr zu werden. Allerdings glitt sein Messer immer wieder an der fettigen Oberfläche ab und versah stattdessen die Tischplatte mit einer Kerbe nach der anderen. Schließlich bohrte er das Messer mit einem missgelaunten Grunzen in das schartige Holz und biss kurzerhand so ein großes Stück aus seinem zweiten Frühstück heraus. Das erste war etwa eine halbe Stunde her.

„Wach?“, mampfte er und stieß Abbefaria den gesunden Arm zwischen die Rippen.

Sein Freund quittierte das mit einem zornigen Blick und einem Kopfnicken auf Ceredrian. „Der da hat ja nicht locker gelassen.“

„Also hört mal.“, empörte sich der Priester und nahm gleichzeitig dankend eine Tasse Tee von der Wirtin entgegen. „Immerhin sind wir hier, weil ihr etwas sucht. Ich begleite euch lediglich aus Spaß an der Freude.“

„Ruhe.“, knurrte Easygoing und rollte vielsagend mit den Augen in Richtung der Wirtin, die jedoch höfliches Desinteresse an den Gesprächen ihrer Gäste bekundete und sich stattdessen um ihr leibliches Wohl kümmerte.

Sie wandte sich lächelnd an Abbefaria. „Nun, mein Herr. Was kann ich Euch Gutes tun.“

„I-ich weiß nicht.“, stotterte der verlegen. Ihm wurde erst jetzt richtig bewusst, wo er sich befand und dass er und seine Freund die einzigen Nachtelfen in dem nicht schlecht besuchten Gasthaus waren. Nicht wenige neugierige Blicke huschten immer wieder zu ihnen hinüber. Es war offensichtlich, dass sie beobachtet wurden.

„Möchtet Ihr vielleicht etwas essen oder trinken?“, versuchte die Wirtin ihm auf die Sprünge zu helfen.“

„Nun vielleicht eine Versifarbenleckerei.“, würgte er hervor. „Ich bin nicht sehr hungrig.“

„Eine was?“ Die Wirtin sah ihn fragend an. „Von so etwas habe ich noch gehört.“

„Dann vielleicht etwas wilden Reiskuchen und ein Glas Milch.“, fragte Abbefaira zögernd.

„Also Milch könnt Ihr bekommen.“, lachte die Wirtin. Es amüsierte sie offensichtlich, dass der Nachtelf nicht wusste wohin mit sich. „Und ich hätte Kirschkuchen im Angebot. Oder möchtet ihr vielleicht unseren köstlichen Käse probieren. Wir haben gerade eine neue Lieferung Stormwind-Brie bekommen. Und eine ganze Ladung Zwergenmild. Ich werde Euch etwas davon bringen.“

Die Wirtin verschwand um kurz darauf mit einem großen Glas Milch und einer Platte voller eigenartiger Dinge zu erscheinen. Misstrauisch beäugte Abbefaria das Servierte. Er schnüffelte und zog die Nase kraus.

„Das riecht wie schlecht gewordene Milch.“, urteilte er.

Die Wirtin stemmte die Hände in die Hüften und lachte aus vollen Hals. „Aber das ist genau genommen auch schlechte Milch. Nur wurde sie einer speziellen Behandlung unterzogen, weswegen man sie jetzt trotzdem essen kann. Versucht es nur! Es ist eine Spezialität.“

Immer noch nicht ganz überzeugt steckte sich Abbefaria ein Stück dessen in den Mund, das die Wirtin „Zwergenmild“ genannt hatte. Er kaute vorsichtig und verzog das Gesicht.

„Das schmeckt wie Zwergenfüße.“, beschwerte er sich.

Nun brachen auch die anderen beiden Nachtelfen in schallendes Gelächter aus.

„Dein Gesicht.“, kicherte Ceredrian und wischte sich die Augen. „Ich wünschte, ich hätte ein Bild davon.“

„Was würdest du damit machen wollen?“, grinste Easygoing. „Eier abschrecken?“

Endlich hatte die Wirtin ein Einsehen mit dem jungen Druiden, dessen Gesicht inzwischen eine dunkelviolette Farbe angenommen hatte. „Ich werde Euch ein Gewürzbrot mit Honig bringen. Das sollte Euren Geschmack treffen.“

Abbefaria nickte dankbar und konzentrierte sich auf sein Glas Milch. Die Platte mit dem Käse schob er zu seinen Freunden herüber, die jedoch die Leckereien ebenfalls nicht anrührten und immer noch verhalten grinsten. Abbefaria brummte unfreundlich und zog es vor, sich unauffällig im Gasthaus umzusehen. Vielleicht würde er so einen besseren Einblick in die Sitten und Gebräuche der Menschen bekommen.
 

Allem Anschein nach war keiner der Gäste allein unterwegs. Wo immer er hinsah, konnte er mehrere Personen an einem Tisch sehen. Auch neue Gäste, die gerade erst in das Gasthaus kamen, setzten sich wie selbstverständlich auf einen freien Platz. Sie grüßten und begannen ein Gespräch, obwohl Abbefaria aus der Unverbindlichkeit der Gesprächsthemen - die Menschen schienen vor allem vom Wetter fasziniert zu sein - schließen konnte, dass sie sich untereinander nicht oder nur flüchtig kannten. Vielleicht lag es an den Räumlichkeiten. Sie wirkten auf Abbefaria klein und gedrungen und waren kein Vergleich zu der luftigen, ästhetischen Bauweise der Elfen, die helle, freundliche Farben und vor allem große Fenster bevorzugte. Wahrscheinlich spürten die Menschen dies ebenfalls und rückten daher unwillkürlich näher zusammen. Und obwohl Abbefaria diese Tatsache faszinierend fand, war er sich nicht sicher ob ihm diese Eigenart wirklich angenehm war.

Eine weitere Konsequenz der kompakten Architektur war die merkliche Geräuschkulisse, die mit jedem Gast noch weiter anschwoll. In einem Gasthaus der Nachtelfen hätte es schon brennen müssen, um eine derartige Lautstärke zu erreichen. Geklapper von Teller und Schüsseln, das Klirren und von Gläsern mischte sich mit den Gesprächen der Gäste zu einem für den Nachtelfen schon fast unangenehmen Lautstärke.
 

Zu all dem Lärm polterte nun noch eine junge Frau mit einem hellbraunen Pferdeschwanz die Treppe zur Gaststube herunter. Offensichtlich war sie diejenige, die fast Abbefarias Zimmertür eingeschlagen hatte. Mit gesenktem Kopf hastete sie durch die Gaststube.

„Hey, Brianna!“, rief ein Gast quer durch den Schankraum. „Hast du noch was von dem Redrigde-Gulscha da?“

Die junge Frau zuckte zusammen und ließ den Henkel ihres Wischeimers los, der zu Boden krachte und seinen Inhalt überall verteilte. Das Gesicht der Frau war schneeweiß und ihre Augen hatten rote Ränder. Als sie sah, wie sich das dreckige Wasser über den Fußboden ausbreitete, erschrak sie so sehr, dass sie auch noch den Besen fallen ließ, sich umdrehte und schluchzend in die Küche flüchtete. Kopfschüttelnd blickte ihr die Wirtin hinterher.

„Ich möchte mal wissen, was mit Darcy los ist. Sie war immer so zuverlässig.“, murmelte sie und fügte laut hinzu: „Eine Portion Gulasch kommt sofort!“

„Sie hat Liebeskummer.“, sagte jemand direkt neben Abbefaria. Er fuhr herum und blickte in Ceredrians Gesicht. In seinen Augen lag ein belustigtest Funkeln.

„Vielleicht solltest du die Gelegenheit nutzen und sie ein wenig trösten.“, lächelte er. „Ich würde das tun.“

„Ich habe keinerlei Interesse an ihr.“, wehrte Abbefaria ab.

„Sagte der Nachtsäbler, dem die Mondbeeren zu hoch hingen.“, grinste Ceredrian. „Aber wahrscheinlich hast du Recht. Dieser Fall würde ein Fingerspitzengefühl erfordern, dass dir wahrscheinlich noch fehlt. Wir werden etwas Geeigneteres für dich finden.“

„Vielen Dank auch.“, grollte Abbefaria und zwang sich zu etwas wie einem Lächeln. Er wusste ja, dass Ceredrian es nur gut meinte. Trotzdem ging ihm sein Freund in solchen Moment gehörig auf die Nerven.

„Wenn ihr fertig seid, um euch um Weiberröcke zu kümmern, könnten wir eigentlich aufbrechen.“, unterbrach Easygoing das Gespräch der beiden. „Wir sollten nicht mehr Zeit verlieren als nötig.“
 

Die Nachtelfen ließen sich von der freundlichen Wirtin noch ein paar Vorräte einpacken, bezahlten ihre Zeche und machten sich auf den Weg. Heller Sonnenschein erwartete sie, als sie aus der Gaststube traten und für einen Moment musste Abbefaria geblendet die Augen schließen. Als er sie wieder öffnete, blickte er über eine idyllische Berglandschaft aus rotem Gestein. Mit kurzem Gras bewachsene Hügel schwangen sich sanft zu allen Seiten empor und formten so eine natürlich Auffangschale für die kristallklaren Fluten eines Wasserfalls. Ein breiter See bedeckte daher große Flächen des Tals und sein fischreiches Wasser glitzerte in hellem Blau in der gleißenden Mittagssonne. Gewaltige Ulmen bildeten den größten Teil des Baumbestandes, doch für Abbefaria fühlten sie sich trotz ihres Alters fremd an. Fremd aber nicht unfreundlich. Aus einem Reflex heraus neigte er den Kopf in Richtung eines besonders ausladenden Exemplars.
 

Sie überquerten eine breite, steinerne Brücke, die sie auf die andere Seite des Sees brachte und folgten der Straße, die laut eines Wegweisers nach „Elwynn“ führte. Dahinter, so hatte ihnen die Wirtin beim Abschied glaubhaft versichert, würden sie endlich nach Westfall gelangen.

Kurz nachdem sie eine Wegbiegung hinter sich gelassen hatten, trat ein Wachposten auf die Straße und versperrte ihnen den Weg. Die blitzende Rüstung des Mannes wurde von einem goldenen Löwenwappen auf blauem Grund geschmückt.

„Halt, im Namen des Königs?“, rief der Mann und zückte sein Schwert.

Beruhigend hob Ceredrian beide Hände. „Wir sind friedliche Reisende und wollen passieren.“

„Ich muss Eure Taschen durchsuchen.“, erklärte die Wache mutig und ungeachtet der Tatsache, dass seine Gegenüber ihm zahlenmäßig überlegen und zudem noch jeder mindestens einen halben Kopf größer waren als er. „Ihr könntet gefährlich, schwarzmagische Artefakte mit Euch führen. Oder gar Spione der Horde sein.“

„Guter Mann.“, lachte Easygoing und ignorierte die flehentlichen Blicke seines Cousins, etwas Taktgefühl gegenüber jemandem zu beweisen, der mit einer scharfen Waffe in der Hand vor ihrer Nase herum wedelte. „Wenn wir das wären, würden wir uns dann nicht an Euch vorbei schleichen? Hier wäre genug Platz um eine Armee an Euch vorbei zu schleusen, ohne dass Ihr es merken würdet.“

Die Wache schwieg einen Augenblick lang verdutzt. Dann seufzte sie schwer und nahm ihren Helm ab. Darunter kam ein junger Mann mit leicht verstrubbelten, braunen Haaren zum Vorschein.

„Ihr habt ja Recht.“, klagte er und ließ sich auf einen Felsen am Wegesrand fallen. „Aber irgendwer muss ja schließlich hier stehen. Und was sollte ich sonst machen?“

„Ihr könntet Mittagspause machen.“, schlug Ceredrian freundlich vor. „Wir kommen gerade aus dem Gasthaus. Mir scheint, das wäre zu dieser Stunde ein guter Ort um sich dort aufzuhalten.“

„Jaah.“, antwortete der junge Mann gedehnt. „Da bin ich jetzt normalerweise auch. Aber wisst ihr, es gibt da dieses Mädchen…“

„Nicht noch einer bitte!“, stöhnte Easygoing, doch Ceredrian schnitt ihm das Wort ab.

„Erzählt uns davon, junger Freund.“, bat er.

Der junge Wachposten sah etwas betraten zu Boden. „Mein Name ist Parker und ich gehe normalerweise jeden Mittag ins Gasthaus am See um dort mein Mittagsessen zu mir zu nehmen. Am liebsten eine schöne Portion Redridge-Gulasch. Aber seit einigen Tagen bricht die hübsche Kellnerin, Darcy, jedes Mal in Tränen aus, wenn ich es bestelle. Ihr trauriges Gesicht zu sehen macht mich ganz krank.“

„Habt Ihr sie denn einmal gefragt, was mit ihr los ist?“, hakte der Priester nach.

„Ich habe es versucht.“, antwortete die Wache. „Aber da hat sie mit lediglich ihr Wischtuch an den Kopf geworfen. Ich habe keine Ahnung, warum sie so wütend auf mich ist.“

Ceredrian überlegte kurz, dann lächelte er nachsichtig. „Wisst ihr, Parker, ein weiser Mann hat mal gesagt: Wenn eine Frau weint, ist es nicht wichtig warum. Es ist nur wichtig, dass ihr zu ihr hingeht und Euch bei ihr entschuldigt.“

„Aber ich aber doch gar nichts gemacht.“, warf Parker ein. „Zumindest nichts, von dem ich wüsste.

„Das ist unwichtig und spielt für eine Frau auch überhaupt keine Rolle.“, erklärte Ceredrian schulmeisterlich. „Wichtig ist nur, dass sie offensichtlich der Meinung ist, ihr hättet etwas getan.“

Der junge Mann wand sich auf seinem Stein. „Ich glaube, das wage ich nicht. Was, wenn sie mich auslacht?“

„Dann ist doch lediglich euer Stolz verletzt.“, tröstete ihn Ceredrian. „Die Hauptsache ist doch, dass Euer Herz dann wieder im Reinen ist.“

„Das finde ich nicht.“, mischte sich nun auch Easygoing ein. „Er kann sich doch nicht zum Gespött der Leute machen, nur weil sie sich einbildet, er hätte ihr irgendwas angetan.“

„Also schön.“, sagte Ceredrian mit einem bösen Seitenblick auf seinen Cousin, der seine Lektion so nachdrücklich durcheinander brachte. „Dann schickt ihr ein Geschenk. Das wird sie auch dann aufheitern, wenn ihr gar nicht an dieser Sache Schuld seid.“

„Wie wäre es mit Blumen.“, bemerkte Abbefaria, der sich irgendwie außen vor gelassen vorkam.

„Eine gute Idee.“, lobte Ceredrian mit gönnerhaftem Lächeln. „Nicht sehr originell, aber klassisch.“

Parker schien inzwischen neuen Mut gefasst zu haben. Dann allerdings kamen ihm Zweifel. „Aber ich kann doch nicht einfach in das Gasthaus spazieren und ihr Blumen überreichen.“, jammerte er. „Wie würde das aussehen. Könnt Ihr nicht vielleicht…?“

„Nein.“, fauchte Easygoing nun endgültig am Ende mit seiner Geduld. „Geht hin und kauft ihr das Gemüse selber. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns und könnten nicht für andere Leute Liebesboten spielen. Am Ende wollt Ihr noch, dass wir ganz bis nach Stormwind laufen, um Euch die Blumen zu holen.“

„Ich hatte nur an den Kräuterladen von Martie Jainrose gedacht.“, antwortet Parker kleinlaut. Er ist gleich neben dem Gasthaus.“

Drei Augenpaare richteten sich auf Easygoing, ein vorwurfsvolles, ein neugieriges und ein bittendes. Dieser geballten Macht konnte selbst der bärbeißige Druide sich nicht entziehen.

„Also schön.“, knurrte er. „Etwas Bewegung wird meinem Arm gut tun. Wartet hier, ich bin gleich zurück.“

Vor den staunenden Augen der Wache verwandelte Easygoing sich in eine nachtschwarze Katze. Sie maunzte ein wenig kläglich, als sie mit der rechten Vorderpfote auftrat. Aber sie hielt sich tapfer und sprang in lange, eleganten Sätzen über den nahe gelegenen Hügel davon. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis die spitzen Ohren der Katze wieder in Sichtweite kamen.

Aufgeregt lief Parker dem Druiden entgegen. „Was hat sie gesagt? Ist sie noch böse auf mich?“

Easygoing verwandelte sich zurück und starrte die Wache und sein Freunde grimmig an. „Ich hab ja gesagt, es ist eine blöde Idee.“

„Sie hat sich nicht über die Blumen gefreut?“, wunderte sich Ceredrian.

„Doch zuerst schon.“, erklärte der große Druide „Und dann faselte sie etwas davon, dass Narzissen nicht ihre Lieblingsblumen seien, sondern die von der Frau aus dem Kräuterladen und dass sie die nicht leiden können und schnatter, schnatter, schnatter.“

„Dann war alles umsonst.“, sagte Parker traurig und ließ den Kopf hängen.

„Na so schlimm ist es auch wieder nicht.“, brummte Easygoing etwas versöhnlicher. „Sie verzeiht Euch trotzdem und lässt Euch ausrichten, Ihr sollt zum Essen kommen.“

„Juhu!“ , gellte ein Freudenschrei durch das sonst so beschauliche Tal.

Parker vergaß fast seinen Helm mitzunehmen, so eilig hatte er es zum Gasthaus zu kommen. Dann erinnerte er sich, sprintete er noch einmal zurück, stammelte einen hastigen Dank, klaubte das Rüstungsteil vom Boden auf und ließ die drei Nachtelfen in einer Staubwolke stehen.

„Hach, junge Liebe.“, seufzte der Priester, während er dem davon eilenden Jüngling nachsah. „Ist es nicht schön, wenn zwei sich so nacheinander sehnen.“

„Ja, Mutter Ceredrian.“, flachste Easygoing und brachte sich schnell vor einem gezielten Stockschlag seines Gefährten in Sicherheit. „Na los, wenn wir uns ein wenig ranhalten, können wir noch heute Abend in Westfall sein.“

So folgten die drei Nachtelfen der Straße, die sie schnurstracks in den freundlichen, sonnenbeschienenen Wald von Elwynn führte.
 


 


 

In den Tiefen der nächtlichen Wälder Ashenvales hingegen, war eine gewisse junge Hexenmeisterin gar nicht mehr so zuversichtlich und gut gelaunt. Den ausgewiesenen Weg hatte sie schon vor geraumer Zeit verlassen, als er sie gefährlich nahe an einer Nachtelfensiedlung vorbei geführt hatte. Es musste sich dabei um eine Art Außenposten handeln, dessen Laternenschein sie jedoch schon lange hinter sich gelassen hatte. Jetzt stolperte sie mühsam durch das Dickicht des Waldes und hoffte dabei, nicht auf einen Bären oder gar ein Rudel Wölfe zu treffen. Ihre einzige Lichtquelle, ihr Wichtel, war dabei leider ebenso wenig zuverlässig wie hilfreich.

„Leuchte heller!“, schnauzte sie nun schon zum wiederholten Male. „Und hüpf vor allem nicht so herum.“

„Ich bin keine Leselampe.“, gab der Wichtel patzig zurück. „Und wenn es dir nicht passt, wie ich laufe, kann ich ja gehen.“ Sprach´s und verschwand mit einem großen Satz hinter einem Busch.

„Pizkol! Komm sofort zurück.“, rief Magenta wütend, doch der Wichtel zog es vor verschwunden zu bleiben.

Die Hexemeisterin wusste zwar, dass er nicht sehr weit weg sein konnte, doch sie hätte den kleinen Kerl lieber in Sichtweite gehabt und das nicht nur, weil es ohne den Schein seines Feuermantels stockfinster war.

„Verfluchter Dämon!“, schimpfte sie leise vor sich hin. „Ein Sack Flöhe hüten ist sicher einfacher, als auf diese kleine Missgeburt aufzupassen.“

Die einfache Lösung des Verschwundener-Wichtel-Problems wäre gewesen, Jhazdok zu beschwören, doch diese Genugtuung wollte Magenta dem kleinen Aas nicht geben. Stattdessen tappte sie lieber weiter im Dunkeln durch den Wald, stieß sich die Knie an Felsbrocken und umgestürzten Bäumen, trat in unsichtbare Pfützen und stürzte fast eine Böschung hinunter, die plötzlich vor ihr auftauchte. Dabei lauschte sie halb aufmerksam, halb ängstlich den Geräuschen um sie herum.
 

Der Nachtwind fuhr wie eine riesige Hand durch die dichten Blätterkronen der Bäume überall raschelte und knackte es. Ein Vogel schrie und schwang sich mit klatschenden Flügelschlägen in die Luft. Irrlichter tanzten zwischen den Stämmen im Takt einer unhörbaren Musik und der langsam aufgehende Mond malte bizarre Muster auf den mit Laub bedeckten Waldboden.

Plötzlich erblickte Magenta einen hellen, hüpfenden Punkt nur ein paar Meter von ihr entfernt. Sofort erkannte sie den charakteristischen Schein ihres Wichtels, noch bevor ihre restlichen Sinne ihr die Rückkehr des Dämons angekündigt hatten. Mit einigen schnellen Schritten hatte sie die Distanz zwischen sich und dem Wichtel überwunden und stand nun am Rande einer großen Lichtung. Der Geruch von frisch geschlagenem Holz lag in der Luft

„Hab ich dich.“, frohlockte sie stolz, doch die Worte blieben ihr buchstäblich im Halse stecken. Der Dämon, der da vor ihr im feuchten Gras hockte, war zwar ein Wichteldiener, aber es war nicht Pizkol.

“No shi rakir re lok ante kamil fir.”, schrie der Wichtel und reckte drohend seine feurige Faust. Nicht, dass Magenta ihn verstanden hätte, aber der Feuerball, den er seiner Tirade folgen ließ, war mehr als deutlich. Er verfehlte Magenta nur um Haaresbreite.

„Wie kannst du es wagen.“, brauste sie auf. Ein fremder Wichtel, der ihr Ärger machte, hatte ihr gerade noch gefehlt. „Ich werde dich lehren mich anzugreifen!“

Sie wich einem zweiten Feuerball aus und zielte im Gegenzug mit einem Schattenblitz mitten in sein Gesicht. Der kleine Kerl wurde von der Wucht des Zaubers ein Stück weit nach hinten geschleudert, überschlug sich zweimal und blieb dann auf dem Rücken liegen.

„Das war doch noch gar nichts.“, grinste Magenta zufrieden, als ein panischer Pizkol neben ihr aus dem Wald geschossen kam.

„Halte ihn auf!“, rief er und stürzte sich mit einem gackernden Kampfschrei auf den fremden Wichtel, der sich auf wundersame Weise wieder erholt hatte und mit großen Sprüngen davon zu eilen versuchte. Die beiden Wichtel fielen übereinander her, Sie traten, bissen, spuckten und keiften, Feuerbälle flogen nach allen Richtungen und das Gras um sie herum begann zu schwelen. Es dauerte jedoch nicht lange, da hatte der fremde Wichtel Pizkol zu Boden gerungen.

„Der dunkle Strang wird von Eurer Anwesenheit erfahren.“, hohnlachte er meckernd, versetzte Pizkol noch einen letzten Kinnhaken und wandte sich dann zur Flucht.
 

Du musst ihn bannen, hörte Magenta die Stimme ihres Wichtels in ihrem Kopf. Nur so kannst du ihn aufhalten.

Bannen? , dachte Magenta verzweifelt. Aber wie?

Hast du das Kapitel in deinem Lehrbuch denn nicht gelesen? , stöhnte Pizkol. Bei allen Höllen! Aus dir wird nie eine richtige Hexe.

Angestrengt dachte Magenta nach. Sie hatte etwas über das temporäre Verbannen von Dämonen oder Elementarwesen in einer Art Energiefeld gelesen, hatte den Spruch allerdings für sinnlos gehalten. Wer brauchte schon eine halbe Rückwärtsbeschwörung, die…

„JETZT!“

Pizkols Schrei riss Magenta aus ihren Überlegungen. Sie hatte keine Zeit mehr, sonst würde der Wichtel entwischen. Ohne weiter darüber nachzudenken, hetzte sie dem fremden Dämon einen Zauber nach.

Der Effekt des Zaubers war…interessant. Leider verschwand er nicht, wie Magenta beabsichtig hatte, halb aus dieser Welt. Allerdings war er stehen geblieben, was die Hexenmeisterin schon einmal für ein gutes Zeichen hielt. Ganz langsam drehte der Wichtel sich um. In seinen Augen glomm der Wahnsinn, die kleinen Hände öffneten und schlossen sich rhythmisch, seine Flammenaura pulsierte vor Energie. Er sah auf merkwürdige Art größer aus als zuvor.

„Ihr werdet sterben.“, verkündete er mit unheilschwangerer Stimme.

„Das glaube ich kaum.“, erwiderte Pizkol und formte einen weiteren Feuerball. „Hier fang!“

Der Feuerball raste auf den fremden Wichtel zu, doch der tat nichts, um der drohenden Gefahr auszuweichen. Mit gleichgültigem Gesicht sah er der heranrasenden Katastrophe entgegen. Er schien grimmig zu lächeln. Bruchteile von Sekunden später explodierte er und ließ nichts als ein Häuflein Asche zurück.

„Ich schätzte, das war der falsche Zauber.“, mutmaßte Magenta unglücklich. „Ich wollte ihn doch bannen. Aber warum ist er nur so einfach stehen geblieben.“

„Typischer Fall von Selbstüberschätzung.“, urteilte Pizkol zufrieden und verteilte die Asche gleichmäßig auf dem Waldboden. „Ich tippe mal auf Fluch der Tollkühnheit. Der soll ja schon so manchen das Leben gekostet haben. Was aber viel wichtiger ist: Wo ist der Meister dieses Hampelmanns? Wenn er herausfindet, dass sein Dämon das Zeitliche gesegnet hat, wird er versuchen herauszufinden, warum.“

„Ich glaube, da müssen wir nicht lange suchen.“, antwortete Magenta und schluckte. „Sieh mal dort hinten.
 

Etwa einen Steinwurf weit entfernt, auf dem jenseitigen Ende der Lichtung breitete sich ein Lager aus. Magenta konnte Zelte erkennen, Wachen, die in regelmäßigen Abständen patrouillierten und mehrere Lagerfeuer, die Licht in die Dunkelheit der Nacht sandten und ein Anschleichen unmöglich machten. Und sie spürte noch etwas.

„Dämonen.“, flüsterte sie und ließ sich unwillkürlich in die Hocke sinken. „Eine solch große Ansammlung habe ich noch nie gesehen.“

Pizkol nickte nachdenklich „Der Dunkle Strang, von dem der Wichtel gesprochen hat, vermute ich. Ich habe schon von diesen Kultisten gehört. Sie scharen sich um Athrikus Narassin, ein sehr mächtigen Hexenmeister. Er ist einer der wenigen Überlebenden Hochgeborenen. Man erzählt sich, er habe sogar einen Pakt mit den Sartyren geschlossen.“

„Wir müssen sie irgendwie umgehen.“, überlegte Magenta. „Es sei denn…“

Ihr Blick fiel auf die Überreste von mehreren Gebäuden, die am Rande des Lagers verteilt im hohen Gras lagen. Einige der Zelte hatten die Felsbrocken als Schutz genutzt. Im Feuerschein konnte man die verwitterten Spuren elfischer Architektur erkennen.

„Das müssen die Ruinen von Ordil'Aran sein.“, wisperte Magenta verdrossen. „Na herzlichen Glückwunsch. Unser Ziel liegt mitten in diesem Lager. Wie sollen wir nur dort hinein kommen?“

Pizkol legte den Kopf schief. „Du könntest dich ihnen anschließen.“

„Was?“ Völlig entgeistert starrte Magenta ihren Wichtel an.

„Naja.“, erklärte er. „Athrikus ist mächtig. Und sicher genauso eitel, wie man es den Hochgeborenen nachsagt. Du könntest ihm schmeicheln; ihm sagen, dass du dich ihm anschließen und ihm dienen willst. Wir warten eine Weile ab, dann schnappen wir uns das Herzholz und verschwinden wieder.“

„Und du glaubst, das ist ein guter Plan?“, meinte Magenta zweifelnd.

„Auf jeden Fall ist es das, was du der Delegation von zornigen Kultisten sagen solltest, die dort auf uns zukommt.“

„Oh Mist.“
 


 


 


 

Der Erste Maat Krazz rieb sich die Hände. Baron Rivelgaz hatte ihm aufgetragen, die Gefangenen zu filzen und sie dann in die Kombüse zu schicken, damit sie Krazek in der Küche halfen. Der Smutje und gleichzeitiger Chefingenieur des Herrn von Booty Bay hatte zurzeit Wichtigeres zu tun als Kartoffeln zu schälen. Krazz spuckte hörbar auf den Boden.

„Also schön, ihr Landratten.“, bellte er. „Dann woll´n wir mal seh´n, was ihr so in euren Taschen habt.“

Er schnippte mit den Fingern und zwei Haudraufs kamen herbeigeeilt. Sie durchsuchten das gesamte Gepäck der vier Unglücklichen, ohne sich um deren Protest zu kümmern, und legten alle Waffen, die sie fanden, auf einen Tisch. Dann schafften sie einen zweiten Tisch herbei und deponierten dort die restlichen Waffen, die sie dem Zwerg abgenommen hatten. Bevor sie jedoch noch einen dritten herbeitrugen, wedelte Krazz ungeduldig mit der Hand.

„Das reicht, ihr nichtsnutzigen Haifurze.“

Er trat ganz nah an Schakal heran und musterte den Zwerg aus zusammengekniffenen Augen. „Du bist wohl´n ganz Schlauer. Aber ich mach´ dir ´nen Vorschlag. Du rückst alle deine Waff´n freiwillig raus und ich lass dich nicht mit ´ner aufgeschnittenen Kehle am höchsten Mast aufhäng´n. Verstand´n?

Schakal nickte gelassen. „Bin ja nicht taub.“, brummte er und begann seine Taschen auszuleeren. Kurz darauf stand der Goblin bis zum Hals in einem Haufen von Schwertern, Dolchen, Wurfwaffen, Rapieren, Bögen, Armbrüsten, Schlagstöcken und Streitkolben.

„N-nett.“, krächzte Krazz. „Aber du hast noch ´n Gewehr. „

Schakal nahm die doppelläufige Schrotflinte vom Rücken und betrachtete sie, als sähe er sie zum ersten Mal. „Aber das ist doch keine Waffe.“, erklärte er dann. „Die ist zum Angeln.“

„Zum Angeln?“, fragte der Goblin verblüfft.

„Ja wartet, ich zeig´s Euch.“

Bevor jemand Schakal hindern konnte, war er vor die Tür und an den Rand des Stegs getreten, der vor der kleinen Hütte kurz über der Wasserfläche entlang lief. Er legte an, es gab einen gewaltigen Knall und zwei Sekunden später schwamm ein silbriger Fisch mit dem Bauch nach oben im Wasser.

„Seht Ihr.“, grinste er den fassungslosen Goblin an. „Ist ne Angel. Ne Zwergenangel.“

Ein Glitzern erschien in den Augen des Ersten Maats. „Das war ja noch gar nix.“, quäkte er missgünstig und holte eine kleine, etwa eine Hand lange Stange aus seiner Hosentasche. „Jetzt zeig ich dir mal, wie Goblins angeln.“

Krazz riss ein Streichholz an der Wand einer Hütte an, hielt ihn an die kleine Schnurr, die aus der Stange herausragte und warf das Gebilde in die Bucht. Es passierte gar nicht. Grummelnd nahm der Goblin eine zweite Stange und wiederholte die Prozedur. Diesmal ließ er die Lunte noch ein wenig länger brennen und warf sie erst wenige Millimeter vor ihrem Ende ins Wasser.

Es gab einen lauten Knall, eine anderthalb Meter hohe Fontäne bäumte sich auf und bespritzte alle Anwesenden mit salziger Gischt. Als sich Gestank und blauer Dunst wieder verzogen hatten, und alle es wagten, vorsichtig über den Rand des Steges zu spähen, stiegen am Ort der Explosion mehrere Fisch nach oben. Neben ihnen trieben träge einige gesplitterte Holzstücke und eine kleine, grüne Gestalt in der Uniform der Haudraufs von Booty Bay.

„Ups.“. bemerkte der Erste Maat. „Muss ´n Taucher gewes´n sein.“
 

Ein Räuspern ließ die Anwesenden herumfahren. Der mächtige Taure mit dem grauen, geflochtenen Kinnbart stand auf einer höheren Ebene und sah streng zu ihnen herunter.

„Hör mit der Kinderei auf, Krazz. Der Smutje wartet schon auf die vier.“

„Aye, aye!“, antwortete der Goblin pflichteifrig und wandte sich an die Gefangenen. „Na los, Ihr habt Flottenmeister Seeahorn gehört. Geht, sonst mach ich Euch Beine, ihr nichtsnutzigen Kojenkotzer. Und lasst die Angel hier!“

Murrend verstaute Schakal die Angel zwischen seinem restlichen Arsenal und folgte Emanuelle, Risingsun und Bladewarrior in die Taverne ´Zum Salzigen Seemann`. Sie wurden durch ein schummriges Halbdunkel geführt. Musik und Gläserklirren untermalten die lautstarken Gespräche der durch die Bank weg angetrunkenen Gäste. Es gab in der ganzen Kneipe niemanden, dem man weiter als bis zur nächsten Straßenecke getraut hätte und wahrscheinlich noch nicht einmal so weit. Die zwielichtigen Gestalten saßen allein oder zu dritt an den Tischen, frönten dem Alkohol, spielten Karten oder würfelten darum, wer die nächste Runde bezahlen musste. Als Risingsun den Raum betrat, wurden Rufe und Pfiffe laut. Alles grölte und schrie durcheinander. Die Paladina nahm es gelassen und lächelte kräuterseelig in die Runde.

Besorgt betrachtete Emanuelle Bladewarrior. „Ich glaube, wir sollten hier ganz schnell verschwinden. Wer weiß, wie lange das gut geht.“

In der Tat sah der junge Krieger so aus, als würde er sich gleich auf den nächstbesten Kneipengast stürzen und ihn im hohem Bogen in die Bucht werfen, ohne sich vorher die Mühe zu machen, dafür ein passendes Fenster zu suchen. Nur mit vereinten Kräften konnten die Gnomin und der Zwerg ihn an der johlenden Menge vorbei in das obere Stockwerk lotsen, wo sie ein weiterer Goblin erwartete.

Die Hände des kleinen, grünen Kerls steckten in gewaltigen Handschuhen und sein Gesicht war vollständig von einem eckigen Gesichtsschutz aus Metall verdeckt, in dem nur einen kleine, verglaste Sichtluke eingelassen war. Er flitzte wie eine wildgewordene Hornisse mit einem klappernden Gürtel voller Werkzeug um einen eckigen Kasten herum, auf dessen Vorderseite eine dunkle Glasscheibe zu sehen war. Die offene Rückseite strotzte nur so von Spulen, Röhren, Kabeln und Schrauben.

„Ah, die billigen Arbeitskräfte.“, rief er dumpf hinter der Maske hervor, als er den Tauren mit den Gefangenen entdeckte. „Am besten schaffst du sie gleich wieder runter in die Küche. Ich gehe mal davon aus, dass sie wissen, wie man Gemüse putzt und Fisch ausnimmt.“

„Ist nicht meine Aufgabe.“, widersprach der Flottenmeister mit dunkler Stimme. „Ich hab sie hergebracht, der Rest ist dein Bier, Krazek.“

„Aber ich arbeite.“, fauchte der Goblin. „Verstehst du das nicht du haariger, hohlköpfger Hufträger?“

„Nana!“, kam eine Stimme aus dem Hintergrund. Baron Rivelgaz trat aus dem Schatten einer Holztreppe, die sich noch in ein weiteres Geschoss hinaufwand. „Du hast immer zu arbeiten, Krazek. Und ich glaube manchmal, dass du vergisst, für wen eigentlich. Und was bitte soll das da schon wieder sein.“

Krazek klappte seinen Gesichtsschutz nach oben und warf sich stolz in die Brust. „Das ist ein umgekehrtes, tragbares Wahrsageportel.“

„….ein was?“

Krazek lächelte nachsichtig darüber, dass der große und mächtige Beron Rivelgaz ihn nicht verstand. Mächtige hatten es oft schwer, sich an neue Ideen zu gewöhnen. Zum Beispiel die Idee, dass sie nicht mehr mächtig waren. Oder dass jemand anders klüger war als sie. Krazek war sogar so klug, sich seine überlegene Intelligenz nicht anmerken zu lassen. Zumal ihn die Herrschaft über Booty Bay sowieso nicht interessierte.

„Damit“, erklärte er langsam, “ werden wir die Welt revolutionieren. Mit diesem Gerät können alle Leute auf der ganzen Welt Euch sehen und Ihr könnt zu Ihnen sprechen.“

„Aber wozu soll das gut sein?“, zweifelte nun auch der Flottenmeister. Er langte mit seiner großen Hand nach dem Gerät auf dem Fußboden, nur um sie schnell wieder zurück zu ziehen. Krazek hatten mit einem Schraubenschlüssel darauf geschlagen. Beleidigt steckte der Taure die geschundenen Finger in sein Maul.

„Sehr Ihr, Baron, Ihr könntet Nachrichten auf diese Weise sehr schnell verbreiten.“, bot Krazek an. „Das wird spektakulär.“

„Aber wenn man dadurch sehen kann, was ich tue.“, argwöhnte Baron Rivelgaz. „Wie kann ich dann verhindern, dass jemand dieses Ding nutzt, um mich auszuspionieren?“

„Nun, dafür wird es ein zweites Gerät geben.“, sagte Krazek schnell, denn er hatte das mörderische Glitzern in den Augen des anderen Goblins gesehen. „Und nur, wenn Ihr dieses einschaltet, wird man Euch sehen und hören können.“

Rivelgaz schien zwar etwas beruhigt, aber nicht besonders überzeugt. Lauernd sah er Krazek an. „Ich sehe trotzdem nicht den Vorteil für mich darin. Vielleicht solltest du mir noch einmal erklären, warum genau ich dir mein Gold in den Rachen stopfe, wenn du nur solchen Unsinn erfindest.“

Krazek lächelte breit. Er wusste, dass er gewonnen hatte.

„Nun, …“, erklärte er unterwürfig. „Jeder, der euch hören und sehen will, wird ein Gerät von Euch kaufen müssen.“

Dieses Argument schien den Baron wenigstens einigermaßen zu beruhigen. „Man wird sehen, ob die Leute so etwas kaufen wollen. Vielleicht müsste man einen Anreiz bieten. Etwas, was sie wirklich sehen wollen.“

„Nackte Mädchen.“, muffelte der Taure mit den Fingern im Maul. „So was will jeder sehen.“

„Zum Beispiel.“, fiel Krazek ein, dem anzusehen war, dass er solcheSachen nicht gemeint hatte. „Aber wenn ich jetzt nicht weiter arbeite, wird das Ding nie fertig. Also bitte, lieber Seahorn, sei doch so gütig und bring die Leute in die Küche.“

Auf ein Kopfnicken des Barons hin, brummte der Taure und schubste die vier Gefangenen wieder in das untere Stockwerk. Eine wacklige Treppe führte hinunter in die Küche des Gasthauses. Dort roch es nach fauligem Gemüse, getrocknetem Fisch und brackigem Wasser.

„Da!“, befahl der Flottenmeister. „Hinsetzen, Klappe halten, Kartoffeln schälen! Und lasst euch ja nicht einfallen, die Küchenmesser zu stibitzen. Ich hab die alle gezählt.“

Damit ließ er die vier Unglücklichen in der dunklen, unordentlichen Küche zurück.
 

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Emanuelle, nachdem der Taure die Tür hinter sich abgeschlossen hatte und seine wuchtigen Tritte auf der Kellertreppe verklungen waren.

„Naja, wie´s aussieht haben wir nicht viel Auswahl.“, antwortete Schakal und sah sich in dem wirren Durcheinander von Lebensmitteln und Küchengeräten um. „Wir werden wohl kochen müssen.“

„Aber ich kann nicht kochen.“, jammerte Emanuelle.

„Ich auch nicht.“, sagte Risingsun, deren Blick langsam wieder klarer wurde.

„Und was ist mit dir?“, fragte Schakal Bladewarrior, der in stummer Verbissenheit die massive Holztür anstarrte, als könne er sie so aus den Angeln heben.

„Was?“

„Ob du kochen kannst.“, wiederholte Schakal.

„Naja es geht.“, nuschelte Bladewarrior. „Wenn ich ein Rezept habe vielleicht.“

„Bei Bronzebeards Bart.“, stöhnte Schakal. „Na dann passt mal auf.“

Der Zwerg teilte Emanuelle dazu ein, die Kartoffeln von ihrer Schale zu trennen. Die Gnomin war zwar zunächst nicht besonders begeistert davon, dann entdeckte sie jedoch einen Topf, ein Reibeisen und ein paar Messer und war kurz darauf in eine wilde Bastelei vertieft. Risingsun wurde beauftragt, den Fisch auszunehmen.

„Das erfordert Fingerspitzengefühl.“, erklärte Schakal der jungen Frau, die die Nase über diese Aufgabe rümpfte. „Außerdem riecht frischer Fisch überhaupt nicht.“

„Und was mache ich?“, wollte Bladewarrior wissen. „Bin ich für´s Fleisch zuständig?“

„Bier und Braugerste nein.“, wehrte Schakal entsetzt ab. „Nirgends kann man so vie verkehrt machen wie beim Fleisch. Du wirst Brennholz hacken und den Ofen in Schwung bringen. Und dann zeigen wir denen mal, wie man kocht.“
 

Wenig später stieg ein köstlicher Duft aus den Tiefen der Tavernenküche empor. Einige der Gäste, die der Kellertür am nächsten saßen, unterbrachen ihr Saufgelage und hoben schnuppernd die roten Nasen.

„Wassn das?“, fragte einer der Säufer und unterdrückte einen Rülpser.

„Weisichaunich.“, antwortete sein Gegenüber. „Hey Wiaad! Kriecht man hiea jezz auch wassu essn?“

Der Goblin hinter dem Tresen hielt darin inne sein Glas zu putzen und schnarrte böse: „Es gab hier immer schon was zu essen, du Holzbirne. Aber ihr wolltet ja immer nur Rum.“

„Jaaba sons riech das ja auch nich so.“, lallte der Säufer. Er versuchte aufzustehen, blieb mit dem Knie an der Tischkante hängen und fiel bäuchlings auf die Erde. Sofort trabten zwei Haudraufs herein und zerrten den Halbbewusstlosen aus der Tür. Sie verzichteten allerdings darauf, ihn in Hafenbecken zu werfen. Man hatte entdeckt, dass ertrunkene Kunden nur selten wiederkamen und die Kadaver in der tropischen Sonne nur all zu schnell anfingen zu stinken.
 

Jetzt hämmerte jemand mit großem Nachdruck an die Kellertür.

„Wenn ich nicht sofort hier raus komme, wird der Dschungeleintopf kalt, das seltsam schmeckende Omelette fällt zusammen und das Drachenodemchili brennt ein Loch in die Treppe. Außerdem glaube ich nicht, dass unser Krieger noch lange die Finger vom Kuchen lässt. Also macht gefälligst auf!“

Als der Wirt neugierig öffnete, erschien zunächst ein Zwerg mit rotem Gesicht und gesträubtem Bart. Er trug eine große Suppenschüssel vor sich her und stieß den Goblin grob beiseite. Mit wieselflinker Geschwindigkeit eilte er die Terrine auf einer Hand balancierend die Treppe hinauf und verschüttete dabei nicht einen einzigen Tropfen des herrlich riechenden Inhalts. Ihm folgte eine lächelnde Schönheit, die ein hauchzartes Gebilde aus Eischnee und Gewürzen trug, dessen verführerischer Duft nur noch durch ihr strahlendes Lächeln übertroffen wurde. Die Holde wurde von einer Gnomin abgelöst, die an dem staunenden Goblin vorbei wanderte und etwas in den dick behandschuhten Händen trug, das kochte und blubberte und ab und an kleine Flammen über den Rand des rußgeschwärzten Topfes spuckte. Den krönenden Abschluss bildete der muskelbepackte Krieger, der mit sichtlicher Konzentration und Willenbeherrschung den saftigsten, größten und wahrscheinlich kalorienreichsten Schokoladenkuchen auf einer Platte balancierte, den Azeroth je gesehen hatte. Die Zunge zwischen die Zähne geklemmt wich er den gierig ausgestreckten Händen der Gäste aus, verpasste einem von ihnen noch einen Tritt, der ihn quer durch die halbe Gaststube beförderte und folgte dann der Reihe der Köstlichkeiten nach oben.

„Da brat mir doch einer nen Raptor.“, murmelte der Wirt. „Der Zwerg kann tatsächlich kochen.“
 


 


 


 

Magentas schauspielerische Fähigkeiten waren atemberaubend gewesen. Umzingelt von den Anhängern des Dunklens Strangs, die mit Fackeln und anderen unschönen Dingen bewaffnet gewesen waren, hatte sie die Nerven behalten. Auf die Aufforderung des Anführers, eines dunkelhaarigen Mannes mit einem brutalen Gesichtsausdruck, hatte sie ihnen das Blaue vom Himmel herunter gelogen. Sie hatte ihnen erzählt, sie hätte von ihrem Ruhm und ihrer Macht gehört, dass sie auch eine Hexenmeisterin sei und dass sie sich ihnen unbedingt anschließen wolle. Sie hatte geredet und geredet und als krönenden Abschluss verlangt zu Athrikus Narassin gebracht zu werden. Und die Kultisten waren beindruckt gewesen und hatten ihr geglaubt…jedenfalls hatte Magenta das angenommen. Als die Schar jedoch in Hohngelächter ausbrach, Magenta anschließend fesselte und sie zu guter Letzt in ihrem Lager an einen Baum fesselten, dämmerte es der jungen Hexe, dass dies nicht gerade einer ihrer besten Einfälle gewesen war. So saß Magenta nun und haderte mit ihrem Schicksal.

Es ist nicht fair, maulte sie. Sie sind Hexenmeister wie ich. Sie sollten mich nicht so behandeln.

Irrtum, sie sind nicht wie du, antwortete Pizkol. Seine stimme hallte eigenartig dumpf in Magentas Kopf wieder, so als spräche er vom Grund eines tiefen Brunnens zu ihr. Wahrscheinlich hing das damit zusammen, dass einer der Kultisten ihn gebannt hatte und er jetzt gefangen in einem undurchdringlichen Magiefeld neben seiner Herrin in der Luft hing.

Wie meinst du das? , wollte Magenta wissen und versuchte in einigermaßen bequeme Lage zu rutschen. Einer der beiden Elfen, die zu ihrer Bewachung abgestellt worden waren, quittierte das mit einem spöttischen Blick.

Nun sie haben´s drauf, erklärte Pizkol in missbilligendem Ton. Ich gebannt, du gefesselt; wahrscheinlich werden wir noch diese Nacht geopfert. Das hat einfach Stil. Du hingegen…

Der Wichtel sprach nicht weiter, aber das war auch gar nicht nötig. Magenta wusste, dass er Recht hatte. Sie war eine erbärmliche Hexenmeisterin. Sie war zu nett…nun ja nicht unbedingt nett, aber sie hasste es, anderen weh zu tun. Sie mochte kleine Tiere - wenn man einmal von Ratten, Spinnen und ähnlichem Getier absah - und konnte sich nicht vorstellen, sie nur ihres Blutes wegen aufzuschlitzen. Außerdem hatte sie es noch nicht einmal zu einer Sukkubus gebracht.

Tief in Selbstmitleid getränkt lehnte sie den Kopf zurück und betrachtete den Sternenhimmel. Die Nacht war angenehm lau und die weißen Steine der Ruinen schimmerten im Schein des riesigen Mondes, der über den Baumwipfeln hing wie ein riesiger Käse. Erschöpft schloss sie die Augen, um ein wenig zu dösen. Ihr Kopf brummte vom vielen Nachdenken und sie hätte dringend etwas Schlaf gebraucht. Aber irgendetwas störte Magenta und das hatte nichts mit dem Umstand zu tun, dass sie möglicherweise noch diese Nacht sterben musste. Irgendetwas war eigenartig.
 

Plötzlich riss Magenta die Augen auf. Ich bin so dämlich.

Dem kann ich im allgemeinen schon mal zustimmen, frotzelte Pizkol. Und warum jetzt speziell?

Der Baum, dachte Magenta aufgeregt. Er ist warm!

Ich habe gar nicht bemerkt, dass sie dich auch unter Drogen gesetzt haben.

Ärgerlich rollte Magenta mit den Augen und tastete nach dem Stamm in ihrem Rücken. Das Holz schien tatsächlich eine Art Eigenwärme zu besitzen und als sie den Kopf ein wenig drehte, konnte sie einen leichten Glanz erkennen, den das Holz auszustrahlen schien. Es war nicht mehr als ein zarter Schimmer, aber doch zu viel, als nur vom Mondlicht herzurühren.

Das muss er sein, jubelte sie innerlich. Das ist der Herzholzbaum.

Pizkol hingegen war skeptisch. Wenn das tatsächlich der Baum ist, warum haben die Anhänger des Dunklen Strangs ihn dann nicht längst gefällt und eine Armee von Sukkubi beschworen? Immerhin steht er direkt vor ihrer Nase.

Ich hab keine Ahnung, gestand Magenta. Aber vielleicht wissen sie ja nichts von dem Baum. Oder sie haben ihn einfach nicht erkannt.

Wie wahrscheinlich ist das? , höhnte der Wichtel, doch Magenta kam nicht mehr dazu, ihm zu antworten.
 

Ein Zwerg mit dunkler, fast schwarzer Haut war an die beiden Wächter herangetreten. Hinter ihm ragte ein Leerwandler auf. Die Gestalt des Dämons wirkte in der Nacht fast schwarz und nur die Augen brannten wir glühende Kohlen Löcher in die Dunkelheit. Er wirkte ungleich beeindruckender als Jhazdok.

„Meister Magthrull ist eingetroffen.“, knurrte der Zwerg. „Ich soll die Gefangene holen.“

Die Elfen, die, wie Magenta jetzt bemerkte, eigenartig helle Haut hatten, lösten ihre Fesseln, zerrten sie auf die Füße und schleppten sie zur Mitte des Lagers, wo ein großes Feuer einen unnatürlichen, roten Schein auf den Kreis der Anwesenden warf. Einer von ihnen, ein Orc mit struppigen Haaren und einem verfilzten Bart, trat auf sie zu, als die Wachen Magenta grob vorwärts stießen. Eine herrische Geste ließ die beiden Elfen zurücktreten, so dass sich der Kreis hinter der jungen Hexenmeisterin schloss. Unsicher sah Magenta sich um.

Sie stand inmitten eines Kreises aus vermummten Gestalten, die Köpfe größtenteils unter dunklen Kapuzen verborgen. Sie spürte die Hitze des großen Feuers ebenso unangenehm in ihrem Gesicht, wie sich die Blicke von allen Seiten in sie zu bohren schienen. Am schlimmsten von allen war der Ork, Ilkrud Magthrull, dessen raues Lachen Magenta verspottete. In der eigenartigen, orange und braun gemusterten Robe, die er trug, hätte er lächerlich wirken müssen. Eine muskelbepackte, grüne Gestalt in einem Stück Stoff, das Magentas Großmutter hätte gehören können. Doch er war alles andere als lächerlich. Seine kleinen, tief liegenden Augen glitzerten gefährlich, als er langsam näher kam.

Magenta konnte den Blick nicht von ihnen losreißen. Irgendetwas band sie, machte sie handlungsunfähig und raubte ihr jeden Willen. Selbst als sie wahrnahm, dass der Ork ganz offensichtlich eine Waffe zog (es war übrigens ein, krummer runenverzierter Dolch, mit dem der Hexenmeister Menschopfer zu bringen pflegte), hielt sein Blick sie fest und Magentas Gedanken schwammen in einer trüben Soße aus klebrigem Honig. Panisch versuchte sie zu orten, wo sie dieses Gefühl schon einmal gehabt hatte, doch auch dieser Gedanken entglitt ihr, bevor sie ihn richtig erfasst hatte.

Es ist eine Sukkubus, schrie Pizkol in ihren Gedanken.

Wie nett, dachte Magenta nur und störte sich nicht weiter an den wilden Flüchen, die ihr Wichtel daraufhin von sich gab. Mit ihr war alles in bester Ordnung. Der nette Ork dort, würde sie jetzt den dunklen Gottheiten des endlosen Nethers opfern und daran war überhaupt nichts auszusetzen.

Magenta spürte, wie ihr heiß wurde. Ihre Haut schien zu brennen und ohne darüber nachzudenken begann sie, ihre Kleidung abzustreifen. Schweiß perlte von ihrer Stirn, während Hülle um Hülle unbeachtet auf den Waldboden fiel. Der Blick des Orks saugte sie ein und hielt den ihren fest, während das anhaltende Murmeln unter den Kutten lauter wurde.
 

Etwas Kleines schwebte plötzlich vom Himmel herab. Es tanzte und taumelte, drehte eine anmutige Pirouette und landete schließlich auf der Nase des Orks. Irritiert blinzelte der grüne Hexenmeister. Da folgte etwas Zweites dem Ersten. Anstatt Magenta mit Hilfe seiner Sukkubus zu hypnotisieren, starrte der Ork abgelenkt auf das kleines, weiße Ding, das dort vor seine Augen herum tanzte. Es kam immer näher, bis er schließlich schielen musste, um das Ding noch mit den Augen zu verfolgen. Dann landete auch dieses Etwas auf der Nase des Hexenmeisters und schmolz.

Ilkrud Magthrull hob die freie Hand und wischte sich über das Gesicht. Er grunzte, als er die Feuchtigkeit fühlte, die ihm sagte, dass er sich die Schneeflocke gerade nicht nur eingebildet hatte. Der Ork hatte schon eine Menge gesehen; vieles davon war finsterer, als die meisten neuen Anhänger des Kultes sich überhaupt vorstellen konnten. Er hatte Menschen, Tiere und Dämonen auf bestialische Weise hingemetzelt. Er hatte die Kunst studiert, Seelen in Edelsteine zu bannen um sich ihrer Macht zu bedienen. Zusammen mit seinem Lehrmeister Athrikus Narassin hatte er einen Pakt mit den Sartyren geschlossen, den einstigen Hochgeborenen, die durch gewaltige, finstere Mächte in ziegenhufige Dämonen mit verwandelt worden waren. Sie versorgten ihn freiwillig mit Wasser aus ihren verderbten Mondbrunnen und unfreiwillig mit ihren Hörnern, die Ilkrud ihnen abschnitt, nachdem er sie ermordet hatte, um daraus tödliche Gifte und potente Tränke zu brauen. Doch eines hatte der Orks in seinem von Machthunger und Magie geprägten Leben noch nicht gesehen: Dass es in Ashenvale schneite.

„Was ist das?“, sagte er mehr zu sich selbst. Wütend sah er sich im Kreis um. „Wer war das?“

Die Anhänger des Dunklen Strangs blickten sich ratlos um. Immer mehr Schneeflocken begannen um sie herum zu fallen. Zunächst schmolzen sie noch in der großen Hitze des Feuers, das fauchte und spuckte, doch mit der Zeit begann die Wärme zu weichen und der Schnee bildete kleine Häufchen auf dem Boden, die rasch größer wurden.

Die Sukkubus, ein betörend schöner, weiblicher Dämon, dessen üppige Kurven in ein enges Lederkorsett geschnürt waren, trat neben ihren Meister und legte ihm die Hand auf den Arm. Auf den ledrigen Schwingen auf ihrem Rücken hatte sich etwas Schnee gesammelt und ihre gespalteten Hufe standen bereits bis zu den stachelbewehrten Knöcheln in der weißen Pracht.

„Meister.“, hauchte sie aufreizend. „Ich glaube, wir haben Besuch bekommen. Ein Magier.“

Ilkrud knurrte ärgerlich. „Findet diesen Magier. Schwärmt aus! Sucht ihn! Und bringt ihn mir lebend!“

Die Anhänger des Dunklen Strangs überschlugen sich fast, dem Befehl des Orks nachzukommen. Sie wussten, dass, wenn sie versagten, ihre Strafe schlimmeres als der Tod sein konnte. Noch viel schlimmer würde es werden, wenn er dies an seinen Meister weiter meldete. Gerüchte besagten, dass der ehemalige Hochgeborene ein Opfer länger als eine Woche am leben erhalten konnte, bis er seine grausame Folter schließlich mit einem erlösenden Tod beendete. Und manche sollten noch nicht einmal diese Gnade erhalten haben. Es war also kein Wunder, dass die Kultisten und Adepten, die Auftragsmörder und Vollstrecker und sogar die Ausgräber, die im Auftrag ihres Herren in den Ruinen nach dunklen Artefakten suchten, wie ein Haufen aufgeschreckter Hühner auseinander stob, um den Fuchs in ihrem Bau ausfindig zu machen und ihm die Augen auszuhacken.

Ilkrud blieb allein mit seiner Sukkubus und der immer noch leicht betäubten Magenta zurück. Der Schnee um ihn herum fiel immer dichter. Eisstücke mischten sich unter die weichen Flocken und trafen den Orks mehr als einmal schmerzhaft im Gesicht. Das Feuer war inzwischen erloschen und unter einem Schneeberg begraben. Unwirsch schüttelte Ilkrud den Kopf. Der Schnee biss mit eisigen Zähnen in seine Haut und flog ihm in die Augen. Er blinzelte und packte sein Opfer am Arm.

„Willst du die hier?“, rief er in die verschneite Dunkelheit hinaus. „Dann komm und hol sie dir. Aber du musst dich beeilen, denn sie wird nicht einmal mehr Zeit haben zu schreien.“

Mit diesen Worten zückte er den runenverzierten Dolch und holte aus, um Magenta die Kehle durchzuschneiden. Wie aus dem Nichts erschien ein Mann neben ihm.

„Ich das nehmen.“, sagte er ruhig und schlug dem verblüfften Ork die Waffe aus der Hand.

Der Ork blickte in das bärtige Gesicht mit den stahlblauen Augen und begann zu grinsen. „Das war ein Fehler, Mensch.“

Er stieß Abumoaham vor die Brust, so dass dieser einen Schritt rückwärts taumelte. Eine lederne Peitsche wickelte sich aus dem langsamer fallenden Schnee um seinen Knöchel und zog ihm das Bein weg. Hilflos plumpste der Magier auf den Rücken und ein Huf setzte sich auf seine Brust.

„Guten Abend, mein Schöner.“, gurrte die Sukkubus. „Ich glaube, du willst gar nicht wieder aufstehen, nicht wahr?“

Doch Abumoaham war vorbereitet. „Schweig, Dämon!“, donnerte er und machte eine beschwörende Geste. Die Sukkubus griff sich entsetzt an ihren Hals. Der Zauber, mit dem sie den scheinbar wehrlosen Menschen hatte belegen wollen, war ihr buchstäblich in der Kehle stecken geblieben. Sie hustete und würgte, kam ins Straucheln und musste ihr Opfer loslassen. Sofort war der Magier wieder auf den Füßen.

„Magenta!“, rief er. „Komm schnell. Wir wenig Zeit.“

Mit dem Schweigen der Sukkubus schwand auch der Zauber, der die junge Hexenmeisterin in ihrem Bann gehalten hatte. Wie aus einem bösen Traum erwachte sah sie an sich hinab. Sie trug nicht viel mehr als ihr Unterkleid und stand knietief im kalten Schnee.

„Was zum…“, begann sie, als Abumoaham sie kurzerhand packte und mit sich zog.

„Bleibt stehen!“, brüllte Ilkrud Magthrull und schleuderte einen Zauber hinter ihnen her. Er verfehlte die Flüchtenden und zersprengte eine der marmornen Säulen. Die Luft war erfüllt von Geschrei und Staub. Von überall stürmten die Anhänger des Dunklen Strangs herbei, angelockt von dem Lärm und den lautem Rufen ihres Meisters.

Gleich drei der Kultisten sprangen auf Abumoaham und Magenta zu. Der Magier zögerte nicht. Er wob einen Zauber und Sekunden später waren die Angreifer zu Eis erstarrt. Ein Schattenblitz schlug direkt neben Magentas Füßen ein und schleuderte Schnee und Erde in die Luft. Sie rutschte aus, kam in Stolpern und fiel zu Boden. Ein stechender Schmerz in ihrem Knie ließ sie aufschreien, dann färbte rotes Blut das kalte Weiß. Mit einem wilden Schrei warf sich der nächste Anhänger des Dunklen Strangs auf die am Boden kauernde Hexenmeisterin. Ein gezielter Faustschlag änderte just seine Flugbahn, so dass er etwa einen halben Meter an seinem Ziel vorbeischoss und betäubt liegen blieb.

„Du aufstehen.“, drängte der Magier. „Wir hier wegmüssen. Schnell.“

„Zu spät!“, verkündete eine weibliche Stimme.

Abumoahams Blick wurde leer. Wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte, stand er mitten im Kampfgetümmel. Die Sukkubus hatte ihn bezaubert.

„Nun stirbst du, Magier!“, brüllte der Ilkrud Magthrull triumphierend und begann einen Zauber zu wirken.

Magenta wusste, dass sie nur einen Versuch hatte. Sie sprang auf, schubste Abumoaham aus dem Weg und rezitierte einen Formel, die Sukkubus fest im Blick. Dann passierten mehrere Dinge gleichzeitig.

Die Sukkubus schrie auf, als das Energiefeld sie einschloss und aus der realen Welt verbannte, Abumoaham erwachte aus seiner Bezauberung und der für ihn bestimmte Schattenblitz traf Magenta. Eine Explosion aus kaltem Feuer leckte über Magentas Haut. Zauber traf auf Zauber, einander verzehrend wie hungrige Raubtiere. Die Hexenmeisterin wankte unter dem Aufprall des Zaubers, doch der Schattenschutz, den sie um sich gelegt hatte, hielt dem Angriff stand. Sie grinste den fassungslosen Ilkrud Magthrull an.

„Ihr habt die falsche Zauberschule gewählt, um eine Hexe zu töten. Vielleicht wäre Feuer die bessere Wahl gewesen.“

Mit aller Magie, die ihr zur Verfügung stand, wob sie einen Feuerbrand um den Ork-Hexenmeister. Er brüllte vor Schmerz und Überraschung, als die Flammen an ihm emporschossen und seine grüne Haut schwarz färbten. Der Übelkeit erregende Geruch von verbranntem Fleisch und versengten Haaren erfüllte die Luft.

Der Ork wankte, drohte zusammen zu brechen, aber er tat es nicht. Die Flammen verloschen und Ilkrud Magthrull lebte immer noch. Magentas Lachen verflüchtete sich. Damit hatte sie nicht gerechnet. Der Ork knurrte wie ein wildes Tier und stürmte auf sie zu.

Eine Wolke aus Schnee und Eis hüllte den Hexenmeister ein und fegte ihn von den Füßen. Violette, arkane Blitze durchzuckten die Nacht. Sie trafen den am Boden liegenden mitten ins Herz und verhinderten, dass er jemals wieder aufstand. Schwelend lag sein Körper in einer Lache aus geschmolzenem Schnee.

Schwer atmend trat Abumoaham neben Magenta. „Wir jetzt besser gehen schnell.“

Magenta nickte mechanisch. Sie raffte ihre Kleider zusammen, die völlig durchnässt am Boden lagen. Dann fiel ihr jedoch noch etwas ein.

„Ich muss noch etwas holen.“, erklärte sie Abumoaham.

Der Magier schüttelte entschieden den Kopf. „Wir keine Zeit.“

„Doch.“, beharrte Magenta. „Ich erkläre es dir später. Warte hier.“

Sie drückte dem verdutzten Mann ihre Kleidung in die Hand, raffte den Unterrock und lief so schnell sie konnte zu dem Platz, an dem die Kultisten sie gefesselt hatten.

Ach, kommst du mich doch noch holen? , empfing Pizkol sie. Das wird ja Zeit.

Tut mir leid, dafür habe ich keine Zeit, entschuldigte Magenta sich und rannte an dem fassungslosen Wichtel vorbei.

Willst du mich etwa hier lassen? , empörte er sich und hämmerte mit seinen kleinen Fäusten gegen das Energiefeld, das ihn gefangen hielt.

Du wirst freikommen, sobald derjenige, der dich gebannt hat, vergisst den Zauber regelmäßig zu erneuern. Und glaub mir, die haben jetzt andere Sorgen.

Wie um ihre Worte zu bestätigen, fiel in ihrer Nähe eine der maroden Marmorsäulen in sich zusammen und begrub gleich mehrere Kultisten unter sich. Möglicherweise war dem Stein die ungewohnte Kälte nicht bekommen. Magenta achtete jedoch nicht weiter darauf, sondern machte sich an dem Baum zu schaffen, an dessen Fuß immer noch ihre Fesseln lagen. Sie brachen einen Trieb von einem der unteren Äste ab und betrachtete das Stück Holz, aus dem zwei zartgrüne Blätter sprossen.

„Na hoffen wir, dass das reicht.“, murmelte sie und stopfte das Stück Herzholz tief in ihren Ausschnitt. Dann beeilte sie sich, Abumoaham zu folgen, der ungeduldig am Rande des Lagers auf sie wartete Gemeinsam flohen sie in das dichte Unterholz und ließen die Ruinen von Ordil´Aran so weit wie möglich hinter sich.
 

Blättern und Zweige peitschten Magenta ins Gesicht, während sie durch das Unterholz hinter ihrem Retter herlief. Dessen breiter Rücken steckte inzwischen in einer neuen, himmelblauen Robe. Unvermittelt wurde dieser Rücken größer und sie prallte dagegen, als der Magier stehen blieb um zu lauschen.

„Wa...“, begann Magenta, doch Abumoaham hielt ihr kurzerhand den Mund zu.

„Still!“, flüsterte er. „Wir immer noch in Nähe von Lager. Wenn sie uns hören, wir nicht mehr so leicht entwischen. Meine Magie aufgebraucht für Augenblick.“

Mit klopfendem Herzen lauschten die beiden in die Dunkelheit, doch sie hörten nicht außer den eigentümlichen Geräuschen des Nachtelfenwaldes und seiner natürlichen Bewohner. Schließlich nahm der Magier seine Hand wieder von Magentas Mund.

„Das knapp gewesen.“, lächelte er. „Alles in Ordnung sein mit dir?“

„Ich…ja.“, stotterte Magenta. „Bisschen nass vielleicht.“

Die junge Hexemeisterin wurde sich mit einem Mal bewusst, wie nahe die beiden beieinander standen und dass sie in höchstem Maße unpassend gekleidet war. Doch eigenartigerweise machte ihr das gerade ebenso wenig aus wie die Tatsache, dass Abumoaham sie näher an sich heran zog und ihr mit dem Daumen über die Wange fuhr.

„Du Ruß in Gesicht.“, erklärte er ein wenig heiser. Dann beugte er sich vor und seine Lippen berührten ihre. Wie selbstverständlich erwiderte Magenta den Kuss.

Als sie sich wieder voneinander lösten, räusperte der Magier sich vernehmlich. „Wir besser gehen, bevor finden uns.“

Magenta wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. „Machst du uns ein Portal?“, fragte sie, um überhaupt etwas zu sagen.

„Ich gedacht, wir vielleicht machen kleinen Umweg nach Darnassus?“ Fragend sah Abumoaham sie an. Die Farbe seiner Augen passte genau zu seiner Robe.

„Einverstanden.“, nickte die Hexenmeisterin. „Aber vorher sollte ich mir etwas anziehen.“

„Hier, du nehmen Mantel.“ Der Magier zerrte eilig einen Reiseumhang aus seinem Gepäck hervor und legte ihn Magenta um die Schultern. Dankbar lächelnd sah sie ihn an.

Er erwiderte ihr Lächeln. „Wir besser gehen. Es weiter Weg bis Darnassus.“

Galant küsste er diesmal ihre Hand und sie brachen auf. Mit sicheren Schritten führte Abumoaham Magenta weiter hinein in das Dickicht des Eschenwaldes und die Hexenmeisterin folgte ihm, als hätte sie nie etwas Anderes getan. Sie war sich sicher, dass ihr dieser Weg nicht zu lang werden würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Eyefish
2008-02-20T14:15:41+00:00 20.02.2008 15:15
>Aber das ist doch keine Waffe.“, erklärte er dann. „Die ist zum Angeln.“
"Dwarves aren't known for their subtlety. Goblins neither." Mein einziger Kommentar dazu :D (Grob übersetzt: "Zwerge sind nicht für ihre Unauffälligkeit bekannt. Goblins auch nicht.")

>„Da brat mir doch einer nen Raptor.“, murmelte der Wirt. „Der Zwerg kann tatsächlich kochen.“
Hehe :D

Sehr geiles Kapitel :D
Aber.... Hm, wie bringt Magenta Abumoaham nur bei, daß sie ne WL is...?^^
Von:  Joka
2008-02-19T23:40:00+00:00 20.02.2008 00:40
„Dein Gesicht.“, kicherte Ceredrian und wischte sich die Augen. „Ich wünschte, ich hätte ein Bild davon.“
„Was würdest du damit machen wollen?“, grinste Easygoing. „Eier abschrecken?“

XDDD
das war geil. ich hab mich beömmelt.
wieder mal ein super kap ^^!
es war echt lang, aber spannend, darum hab ich jetzt bis zu so später stunde gelesen @~@
freu mich wenns weiter geht ^-^
gruß, dat Tod


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