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Walking proud

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1

Walking proud
 

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Autor: Clea

Pairings: Lasst euch überraschen *träller*^^

Kommentar: Mir gefällt einfach die Vorstellung von Visus an deutschen Schulen ^.~
 

Teil 1
 

"Ach sch-----!!"

Toshiya knallte seine Haarbürste wütend auf das Waschbecken, das mit einem sehr ungesunden Knacken antwortete.

"Hör auf zu toben und komm runter, du kommst zu spät!", drang die gereizte Stimme seiner Mutter durch die verschlossene Badtür.

" Hai, sofort!", brüllte der Schwarzhaarige wütend zurück und versuchte ein letztes mal verzweifelt die wirren Strähnen auf seinem Kopf zu bändigen. Wieso klappte das nur bei seinen Haaren nie?! Und warum sahen sie ausgerechnet dann wenn er in die Schule musste am grauenvollsten aus?

"Leg nen Zahn zu, ich muss auch noch da rein!"

Und das war sein Bruder.

".......außerdem.........", kam ein Flüstern (in Kombination mit einem leisen, fiesen Lachen) von draußen, "....wirst du es sowieso nie schaffen, gibs auf. Es wird immer scheiße aussehen......"

Schritte entfernten sich von der Tür, bewegten sich den Flur entlang und die Treppe hinunter.

" Klappe Uruha.......", murmelte Toshiya mit zusammengebissenen Zähnen und Tränen in den Augen. " Du und Saki, ihr habt ja kein Probleme mit eurem Aussehen.......und ihr seid beliebt.......ach zum Teufel!!"

Einige Minuten später schlich ein (noch sehr zerzaust aussehender) Toshiya die Treppe hinunter und verließ (nach einem kurzen Zwischenstopp in der Küche um sein bento einzupacken) das Haus. Ohne die Anderen auch nur ein einziges mal anzublicken.

Uruha verfolgte durchs Küchenfenster die zusammengesunkene Gestalt seines Bruder mit den Augen bis er außer Sichtweite war. Langsam und bedächtig nippte er an seinem Kaffee.

"Heiß.........Sah schon wieder ein wenig verpennt aus, unser Totchi, ne...und diese Frisur....."

Er schüttelte grinsend den Kopf, nahm noch einen Schluck aus seiner Tasse und setzte sich dann zu seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder an den Tisch.

"Ihr solltet damit aufhören, ihn auszulachen. Beide. Ihr wisst wie sensibel er ist", entgegnete die Mutter scharf und blickte ihre beiden Söhne durchdringend an.

"Mamas Liebling", nuschelte Sakito in seinen Kakao und Uruha setzte ein noch breiteres Grinsen auf, was den beiden nur einen weiteren tadelnden Blick von Seiten ihrer okaasan einbrachte.

Schließlich stand Sakito auf, packte sein Bento ein und flüsterte kichernd in das Ohr seines älteren Bruders: "Er ist eben nicht so kawaii wie ich...."

Uruha trank unbeeindruckt seinen Kaffee aus.

" Ja.......so klebrig........", flüsterte er schließlich zurück und platzierte die leere Tasse mit einem lauten Knall mitten auf dem Tisch.

"Uruha!", rief seine Mutter erschrocken aus, doch besagter Junge war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr anwesend.

" Hat sich ins Bad verzogen um "seiner Frisur den letzten Schliff zu geben" wie er immer sagt.....", erklärte Sakito der verwirrten Frau mit gewichtiger Mine.

" Gütiger Himmel", stöhnte seine Mutter zur Antwort und schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. Warum ausgerechnet ihre Söhne? Was kamisama hatte sie nur falsch gemacht?

<<Womit hab ich das verdient......>>

Sakito seinerseits hatte schon in Windeseile seine Tasche gepackt, die Jacke angezogen, seinem großen Bruder, der wieder oben an der Treppe erschienen war die Zunge rausgestreckt, ein "Ja, ne" zurück über die Schulter geworfen und war aus dem Haus gestürmt.

Bereits nach kurzer Zeit hatte er Toshiya eingeholt, der mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern im Schneckentempo vorantrottete.

" Jetzt warte doch, du Heulsuse!!"

Toshiya blieb abrupt stehen.

" Bitte?!"

Er warf dem Kleineren einen vor Wut funkelnden Blick zu. Dieser lächelte entschuldigend.

" Auf was anderes hörst du ja nicht ..."

Toshiya schnaubte wütend und setzte seinen Weg fort, diesmal mit längeren, schnellen Schritten.

" Bist du jetzt sauer?"

Keine Antwort.

" Sei doch nicht so empfindlich!"

Nur die festen Schritte auf dem Asphalt.

" Es ist mir wichtig, wie es dir geht, bin doch dein Bruder ...."

Keine regung.

" Ach verdammt, mach doch was du willst! Die kann man echt nicht mehr helfen ...."

Sakito blieb stehen und schaute seinem Bruder wütend nach. "Ich nehm nen anderen Weg, das is ja nicht auszuhalten ..."

Noch ein paar Meter bis zum Schulhof. Toshiya konnte bereits das Gewirr hunderter Stimmen hören. Er schritt durch das große Schultor und blieb einen Moment stehen.

" ......ist es dir nicht ....."

Dann lief er schnell über den von Schülergrüppchen bevölkerten Hof, drängte sich durch die Menschen und verschwand im Schulgebäude.
 

" Notieren Sie das bitte."

Ein missmutiges Murren von der Klasse.

" Hara-san, haben Sie die Hausaufgabe aufgeschrieben?"

Tadelnde Blicke in Toshiyas Richtung, der zusammengesunken in seinem Stuhl hing und auf den Boden starrte.

" Und setzten Sie sich richtig hin, wir sind ja hier nicht im Kindergarten."

Unterdrücktes Kichern von der Klasse.

" Hai .... Camui-sensei ....", antwortete der Angesprochene kaum hörbar mit brechender Stimme und errötete. Dass dieser Lehrer ihn pausenlos bloßstellen musste! Er war schließlich nicht der einzige, der mit den Gedanken nicht ganz bei Englisch war.

Es läutete.

" Kami-sama, arigatou ...", murmelte Toshiya und erhob sich seufzend. Doch noch bevor er sich mit seine, bento bewaffnet in Richtung Tür bewegen konnte, hatte sich ein großer Junge mit nachtschwarzen Dreadlocks vor ihm aufgebaut. Sein hübscher, geschminkter Mund kräuselte sich zu einem bösen Lächeln.

" Interessante Frisur, Hara ...", sagte er laut und erntete damit ein paar hämische Lacher von den hinteren Reihen.

" Ausm Weg, Hakuei ...", murmelte Toshiya ohne den Anderen anzublicken. Er spürte schon wieder Tränen in sich aufwallen und diesen Triumph wollte er seiner Klasse nicht gönnen.

" Sag mal ... wieso sitzt du eigentlich als einziger hier alleine?" Mit gespielter Verwunderung musterte er den zusammengesunkenen Jungen vor sich.

" Ach, stimmt ja ..." Er schlug sich entsetzt vor den Kopf.

" Da will ja niemand sitzen! Kann ich sogar verstehen .....", und er beugte sich zu Toshiyas Ohr und fügte flüsternd hinzu, " hässliche Kröte .... wenn ich du wäre, würde ich mich echt umbringen ....." Hakueis Freunde gröhlten vor Schadenfreude, als Toshiya zur Tür hinausstürmte.
 

Erst als er sich in einer Kabine auf dem Klo eingeschlossen hatte, kam er wieder einigermaßen zur Ruhe. Fünf Minuten später hatte er dann sein seelisches Gleichgewicht wiedergefunden (von Gelassenheit konnte trotzdem keine Rede sein), verließ die Kabine und drehte den Wasserhahn auf. Gedankenverloren wanderten Toshiyas Augen über sein verquollenes Gesicht, das ihm aus dem Spiegel vor ihm entgegenstarrte. Nein, nicht besonders schön ......wo war nur die Seife hier? Ah, genau, keine da wie immer. Langsam wurde der Wassherhahn zugedreht. Der Schwarzhaarige hing in gedanken noch immer bei Hakuei. Verdammt, wie machte er das mit der coolen Frisur. Und diese Gelassenheit! Insgeheim beneidete er den Anderen um Beliebtheit und Aussehen. Toshiya selbst stand morgens bereits Todesängste vor dem ersten Blick in den Spiegel aus, was seine Brüder absolut übertrieben fanden. Das einzige, was einigermaßen akzeptabel an ihm war, das war seine Figur. Aber die zu zeigen traute er sich nicht (so à la oben ohne, oder hautenger Pulli oder so).

<<Bin doch kein Mädchen, also echt.>>

"Hey ..... äh ..... nimms nicht so ernst, die meinen das nicht so....."

Toshyia wirbelte herum.

Woher kam die denn auf einmal?

Neben ihm wusch sich nun ein sehr schlankes Mädchen mit goldblond gefärbten Haaren die Hände und lächelte ihn schüchtern an.

"Äh, nani?"

Er war im Augenblick zu perplex um depressiv zu sein. Was meinte sie mit die meinen das nicht so?

" Naja ..... hakuei und so ....."

" Genau, Shinya hat Recht, lass dich von diesen Kröten doch nicht verarschen....", stimmte ein sehr sympathisch aussehender Junge mit feuerroten Haaren, der neben das Mädchen getreten war. Er kaute an einem Wurstbrot. Toshiya errötete schlagartig. Also hatte es sich mal wieder rumgesprochen? Er war doch wirklich das Gespött der ganzen Schule.

" Woher.....", begann er heiser, obwohl er die Antwort schon wusste.

" Er hats von nem Freund gehört, der in deine Klasse geht", erklärte Die mampfend.

" Aha", gab Toshiya zurück.

Dann stutze er.

Und blinzelte.

Moment mal.

Richtig.

Da war doch was.

Männertoilette.

Er.

ER???!!!!!

Noch einmal schaute der Schwarzhaarige hin und jetzt sah er es auch. Wie konnte er Shinya nur mit einer Frau verwechseln. Normalerweise pflegte er Visus zu meiden, aber das war ja auch kein Problem, da es meistens er war, der gemieden wurde. Er musste sich also fast nie die Mühe machen. In diesem Falle allerdings .....

Er überlegte kurz. Dann brachte er ein schiefes Lächeln zustande.

" Arigatou."

" Geht doch!", rief Die freudig aus und schlug ihm mit der flachen Hand so kräftig auf den Rücken, dass nach vorne über das Waschbecken fiel.

" Ups", grinste der Rotschopf verlegen und schob sich den Rest des Brötchens in den Mund.

Shinya bedachte seinen Freund mit einem strafenden Blick und sagte dann zu Toshyia gewandt: " Du musst ihn nicht beachten. Viele hier führen auf diese Weise ein ruhiges und angenehmens Leben. Was Hakuei angeht: Kaoru Niikura, der in deine Klasse geht, hat uns erzählt, wie er dich behandelt. Nimms nicht so schwer, gibt noch andere Menschen auf der Welt."

Es läutete.

Der Blonde schenkte Toshiya ein warmes Lächeln, das irgendwas in seinem Herzen löste. Im war auf einmal zum Heulen zumute - vor Erleichterung.

" Übrigens: Ich bin Shinya - das Teil ist Die!", rief er dem Schwarzhaarigen noch zu, bevor beide aus der Toiletten und in das nächste Klassenzimmer rannten.

<<Und ich sollte auch nicht zu spät kommen>>, beschloss Toshiya und machte sich auf den Weg in den eigenen Klassenraum, ganz am Ende des Ganges.

<<Shinya und Die>>

Die beiden waren ihm nie wirklich aufgefallen. Dabei gab es an ihrer Schule gar nicht so viele Visus. Irgendwie nett.

Als er sich in seine Bank fallen ließ, überhörte er auch Hakueis Kommetar zu seinem Abgang. Er war im Augenblick einfach nur froh.
 

Kaoru Niikura.

So unauffällig wie möglich versuchte Toshiya sich umzudrehen. Das war doch der Kerl der hinter ihm saß.

" Würden Sie sich bitte zur Tafel wenden Hara-san!", fuhr ihn der Lehrer gereizt an. Toshiya versank ins seiner Bank und errötete. Das Rätsel um Shinyas und Dies Freund musste er wohl oder übel nach dem Unterricht lösen.

Zwölf Uhr fünfzig und dreißig Sekunden.

Zwölf Uhr zweiundfünfzig, fünzehn Sekunden.

Genau zwölf Uhr vierundfünfzig.

Noch dreißig Sekunden.

Zwanzig.

........ drei ........

Es läutete zum letzten mal an diesem Montag. Die gesamte Klasse seufzte laut hörbar auf. Ihr Lehrer warf ihnen noch einen endgültigen, irritierten Blick zu und verkrümelte sich aus dem Klassenzimmer.

" Der is wirklich immer der erste der geht", hörte Toshiya plötzlich eine leise Stimme neben sich. Als er den Kopf ein Stück zur Seite wandte, blickte er direkt in das feine, anmutige Gesicht von Kaoru Niikura. Knallviolette Strähnen, zerrissene Jacke, dunkelblaue Chucs - er war es wirklich. Toshiya hatte ihn sich noch nie so genau angesehen, so antwortete er ziemlich überrumpelt: " Äh, stimmt. Man könnte meinen er hat Angst."

Schüchternes Lachen.

Kaoru zog sich einfach einen Stuhl vom Nachbartisch heran und ließ sich darauf nieder. Eine Weile sprach keiner von beiden, sie beobachteten nur, wie sih das Klassenzimmer leerte. Toshiya schielte hinüber zu seinem Klassenkameraden. Seine Art hatte etwas absolut beruhigendes.

<<Irre Ausstrahlung>>, dachte er verwirrt.

" Es tut mir leid, was heute passiert ist", sagte Kaoru mit seiner leisen Stimme.

" Äh? Wie bitte?"

Toshiya starrte den Jungen an.

" Das war ja wohl echt nicht deine Schuld!"

Kaoru lächelte traurig.

" Ja, aber ich hätte es verhindern können. Gomen nasai."

" Mh, schon okay", gab der Schwarzhaarige sehr verwirrt zur Antwort.

<<Wasn schräger Typ! Entschuldigt sich für Dinge, die er nicht getan hat!>>

Kaoru lächelte wieder sein beruhigendes Lächeln, seufzte laut, erhob und streckte sich.

" Wenn du willst, gehen wir ein Stück zusammen. Du wohnst doch in der gleichen Richtung. Mann war das ein Tag!"

Toshiya konnte nur Nicken, mehr brachte er einfach nicht fertig. Einige Augenblicke später waren die Beiden schon auf dem Nachhauseweg, Toshiya in seinem üblichen, schleppenden Gang, Kaoru mit gleichmäßigen Schritten, den (von tausend Bildern geschmückten) Eastpak lässig über die linke Schulter geschwungen. An der zweiten Straßeneke verabschiedeten sie sich und jeder ging seines Weges.
 

Wie im Traum schloss Toshiya kurze Zeit später die Haustür auf. Etwas derartiges war ihm seit dem Kindergarten nicht mehr passiert. Gleich drei Leute hatten ihn freundlich angesprochen, Kaoru wollte sich anscheinend zusätzlich noch mit ihm anfreunden. Und weil er bisher keinen richtigen Freund gehabt hatte, war Toshiya so aufgeregt und glücklich wie ein kleines Kind an seinem Geburtstag.

" Was geht denn mit dir?"

Sakito, der eben die Küche betreten hatte, warf seinem Bruder einen scheelen Blick zu und stellte dann zwei große Tüten auf dem Tisch ab. Den Kommentar ignorierend, half Toshiya dem Jüngeren dabei, die Einkäufe zu verräumen, immer noch mit einem beseelten Grinsen auf dem Gesicht.

" Lass das, man kann deine Zähne sehen", stellte Sakito fest und schlug die Kühlschranktür zu.

" Giftzwerg!", kommentierte Toshiya, schloss aber augenblicklich seinen Mund.

Eine Weile wurde er von Sakito aufmerksam gemustert, dann seufzte der Kleinere und knallte eine Packung Gemüse auf den Tisch.

"Hier, machen wir uns was zu essen."

Und dann: " Nun sag schon, warum bist du so glücklich?"

" Darf ich das nicht sein?", kam promt die totzige Antwort zurück.

Sakito begann an einer Möhre rumzuschälen und beäugte den Anderen misstrauisch.

" Hakuei ist tot?"

Toshiya starrte ihn an. Dann begriff er.

" Nein, das nicht. Besser." Er wägte kurz ab, ob er seinem Bruder von seinem Tag und den neuen Bekanntschaften erzählen sollte und beschloss dann, dass der Kleine ihm eigentlich nichts böses wollte.

" Hakuei hat mich aufgezogen, aber in der Pause hab ich zwei Jungen getroffen, Die und Shinya. Sie haben mir echt Mut gemacht und waren total freundlich." Er unterbrach sich.

" Was los?"

Sakito starrte seinen Bruder mit großen Augen an, während er noch das letzte Drittel der Karrotte in den Abfalleimer schälte.

" Ni-nichts", erwiderte er schnell und schnappte sich ein neues Gemüse. Toshiya runzelte kurz die Stirn, fuhr dann aber fort.

" Und nach der Schule hab ich mich mit Kaoru aus meiner Klasse unterhalten. Wir sind zusammen nach Hause gegegangen. Und- WAS IST LOS??" Verärgert warf Toshiya einen Blick auf den Apfel (wieso Apfel???), dessen Schale inzwischen kleine, feine Löcher in Sternchenform zierten.

" Uh -oh", machte Sakito mit erschrockenem Blick auf seine Hände, halbierte die Frucht schnell und warf sie dann kurzer Hand in die Pfanne zum anrösten.

" Jetzt noch Öl", murmelte er und begann fieberhaft in den Schränken zu kramen. Toshiya stand daneben, innerlich aufgewühlt von einer Mischung aus Freude und Trotz. Und Belustigung. Nein. Kochen konnte der Kleine wirklich nicht.

" Warum reagierst du so? Sag schon!", drängt er den Jüngeren.

Sakito warf ihm einen kurzen Seiteblick zu.

" Naja ....", setzte er an und ließ drei Kirschen in die Pfanne fallen. Dann pulte er noch schnell ein halbes Kilo Erbsen und gab sie dem Mischmasch hinzu. Mit offenem Mund beobachtete Toshiya wie sich die Kirschen mit den Erbsen zu einem grau-lila Brei vermengten (ja, Sakito matscht das alles zusammen; dabei ist er sonst so ein guter Junge y.y).

" ..... Also .....Die und Shinya sind sehr bekannte Visus. Sie sehen echt toll aus, haben ihren ganz persönlichen Look und nen riesen Fanclub."

" Fanclub??"

" ..... und Kaoru. Kaoru ...... er ...... sieht ..... auch toll aus ..... isn interessanter Kerl. Jeder Mensch dieser Welt wäre glücklich von ihm angesprochen zu werden, glaub mir, selbst Hakuei. Leider will Kaoru mit dem nichts zu tun haben. Er sucht sich seine Freunde gut aus. Kannst dich also mehr als geehrt fühlen", brabbelte Sakito beschäftigt ohne Luft zu holen.

Erneut legte Toshiya die Stirn in Falten.

" Woher weißt du das alles von Kaoru?"

" Intuition", gab Sakito mit einem halben Lachen zurück. Dann eine kurze Stille in der nur das Brodeln der Pampe zu hören war.

" ...... gomen, ne ...... wegen heut morgen ......", murmelte Sakito verlegen und fixierte die Pfanne in der sich nun große Blasen bildeten.

" Schon gut. Habs überlebt", sagte Toshiya achselzuckend. " Du, ich glaube deine Apfelkerne brennen an."

" Ups, du hast recht, oh nein!!"

Zu spät, das Etwas kochte bereits über und verteilte sich gleichmäßig auf dem Herd.

Pling.

Verwundert drehte Sakito sich um und schaute zu, wie sein Bruder aus dem Herd eine dampfende Fertigpizza hervorzauberte.

" Komm essen. Das da auf Herd machen wir nacher weg ... wenn es dann noch nicht mutiert ist", grinste er und stellte die Pizza auf den Tisch.

" Wie-"

" Naja, du warst so beschäftigt, da dachte ich, ich könnte mich anderweitig nützlich machen."

Sakito stutze - und schenkte seinem Bruder dann ein breites Lächeln.

" Ich hatte Unrecht. Du kannst echt süß sein, wenn du willst", kicherte er und setzte sich an den Tisch.
 

Der Unterricht am nächsten Tag verlief größtenteils reibungslos. Toshiya ließ die Lehrer in Ruhe und die Lehrer ließen ihn in Ruhe.

<<Das nenne ich Gegenseitigkeit>>, dachte er zufrieden und ließ seinen Kopf auf die Arme sinken. Heute war der Schwarzhaarige unbschreiblich müde, da er die halbe Nacht wach gewesen war und sich Gedanken um Gott und die Welt gemacht hatte. Trotzdem wusste er noch immer nicht, wie er sich Kaoru und den anderen beiden gegenüber verhalten sollte, um nicht sofort wie ein Idiot dazustehen. Der Gedanke, dass er vielleicht bald gute Freunde haben würde, machte ihn furchtbar nervös. Endlich läutete es zur ersten Pause. Toshiya ignorierte Hakueis hämischen Kommentar zu seinem verpennten Auftreten und packte seine Englischsachen weg. Auf einmal landete ein dunkelblauer Eastpak auf seinem Tisch.

" Hier is doch frei, ne", fragte Kaoru und blickte Toshiya mit einem warmen Lächeln an.

" Na-nani?", gab der Andere irritiert zurück.

" Ich würde mich gerne neben dich setzten", erklärte Kaoru schlicht und ließ sich ohne eine Antwort abzuwarten in den Stuhl neben Toshiya fallen. " Von hier aus sieht man viel besser auf die Tafel ...... und außerdem ist es nicht richtig, dass du das ganze Jahr über alleine sitzt."

Toshiya hatte heulen können.

" Würden Sie sich wohl in die Pause begeben", hallte die gereizte Stimme des Lehrers durch das Klassenzimmer. " Na los, Niikura-san, Hara-san, ein bisschen schneller, wenn ich bitten darf!"

" Komm", sagte Kaoru und zog Toshiya schnell mit sich, vorbei an ihrem wütenden Englischlehrer, in Richtung Männerklo. Als sich Toshiya kurz umdrehte, sah er Hakuei vor dem Klassenzimmer stehen, einen Discman-Stöpsel im linken Ohr, und ihnen fassungslos nachblicken.

" Da seid ihr ja!", rief Shinya freudig aus, als Kaoru mit Toshiya im Schlepptau die Toilette betrat. " Wenn wir hier bleiben, werden wir in der Pause nicht in die Kälte rausgeschmissen", erlärte Die kauend und klopfte den Ankömmlingen zur Begrüßng auf die Schulter.

Toshiya hörte den aufgeregten Gesprächen seiner drei neuen Freunde interessiert und glücklich zu. Zwar traute er sich nicht, sich richtig in die Gespräche einzubringen, aber es reichte ihm, einfach dabeizustehen und sich zugehörig zu fühlen. Nach fünf Minuten allerdings wurde die Tür aufgestoßen und ein zierlicher Junge mit kinnlangem, schwarzem Haar betrat ängstlich die Toilette.

" Ähm,'tschuldigung", meldete er sich schüchtern zu Wort und die vier Jungen unterbrachen ihre Gespräche und wandten sich ihm überrascht zu.

" Ihr ....äh .... müsst in der Pause raus. Yoshiki-sensei schickt mich ..."

Die schluckte entnervt den letzten Bissen seines Brötchens hinunter und zog dann ein neues aus der rechten Jackentasche.

" Ich wusste es doch", nörgelte er, " der Typ hat uns hier verschwinden sehen und jetzt schickt er arme Mädchen aus der 5ten um uns rauszuschmeißen .... typisch ...feige, wie eh und je unser lieber Direktor...."

Shinya warf dem Jungen einen kurzen Blick zu und legte Die beschwichtigend den Arm auf die Schulter.

" Schon gut, Die. Wir gehen einfach mal raus, die frische Luft wird uns net umbringen, ne."

Der Junge schnekte Shinya ein dankbares, sehr schüchternes Lächeln und wollte gerade wieder verschwinden, als Kaoru ihn anredete.

" Du bist Ryutaro aus der zehnten, ne?" Ein Nicken von Seiten des Jüngeren bestätigte seine Annahme.

" Zehnte?", überlegte Toshiya auf einmal laut, als er sich mit den anderen auf den Weg zum Pausenhof machte.

" Sag mal, kennst du Sakito Hara?"

Ryutaro nickte.

" Hai. Er geht in meine Klasse." Wieder lächelte er schüchtern.

" Ich bin sein Bruder, Toshiya", erklärte Toshiya dem Kleinen. Der nickte erneut und schaute betreten zu Boden.

" Er ist so cool. Aber er kann mich nicht ausstehen", sagte er leise und senkte den Kopf, sodass sein Gesicht gänzlich von schwarzen Haaren bedeckt wurde. Eine kurze Pause entstand, dann strömte plötzlich die ganze Welt in Richtung Schulgebäude.

" Na toll!!", schimpfte Die. " Das hats jetzt gebracht! Jetzt kann ich nicht mal mein Pausenbrot fertigessen! Super!"

"'tschuldigung", murmelte Ryutaro noch einmal, dann verschwanden sie alle in die betreffenden Klassenzimmer.
 

Zuhause angekommen, verschwand Toshiya gedankenverloren im Bad. Er hatte mit Kaoru noch einige Worte gewechselt und war dann wie schon am Tag zuvor gemeinsam heimgelaufen. Es war wie ein Traum. Diese drei Jungen kümmerten sich rührend um ihn. Hakuei hatte in den gesamten Tag in Ruhe gelassen. Aber weshalb wollten sich Kaoru und die Anderen gerade mit ihm anfreunden? Er, der von der ganzen Klasse gehänselt wurde und neben den sich niemand setzten wollte? Mit gemischten Gefühlen musterte er also sein Spiegelbild in der Hoffnung eine Antwort auf seine Frage zu finden. Die Haare waren viel zu lang, langweilig schwarz und hatten keine bestimmte Form. Dann diese Klamotten. Er trug jeden Tag das gleiche, weil er sich nicht traute etwas neues oder anderes auszuprobieren. Für diese Feigheit hasste er sich selbst. Wenn er genauer darüber nachdachte fiel ihm auf, dass sich auch Ryutaro, dieser schüchterne, schmächtige Zehntklässler, der eher aussah, wie ein Mädchen als ein Junge, visu-mäßig kleidete. Seine Haare waren zwar nicht gefärbt, aber der Haarschnitt ziemlich cool. Außerdem trug er Ohrringe.

<<Ich möchte auch so aussehen! Einmal in meinem Leben möchte ich schön sein ...>>, dachte er traurig. Und Sakito, ganuso wie Uruha, waren beide sehr hübsch. Wieso hatte er nur nichts davon abbekommen. Wenigstens ein bisschen Ähnlichkeit musste doch da sein.

Die Badtür ging auf. Sakito starrte seinen Bruder an.

" Oh, sorry, wusste nicht, dass du hier bist", sagte er überrascht.

" Normal hört man durchs ganze Haus, wo du dich gerade aufhälst."

" Ah ja?", gab Toshiya zerstreut zurück.

" Is irgendwas?", wollte der Jüngere wissen und runzelte die Stirn. Toshiya war seit gestern so verändert. Ihn umgab zur Abwechslung mal keine depressive Atmösphäre, er war nicht mies gelaunt, aber so verdammt neben der Kappe. Da stimmte doch was nicht.

" Kennst du Ryutaro?", fragte Toshiya und folgte seinem Bruder ins Esszimmer. Saktio verzog angewidert die Miene.

" Ryutaro? Klar kenn ich den. Is in meiner Klasse. Gott, das is so'n langweiliger, peinlicher Spinner. Fast so wie du."

" Oh, danke", bemerkte der Schwarzhaarige kalt. Da riss dem Anderen der Geduldsfaden.

" Teufel noch mal, diese Spannung halte ich nicht aus! Jetzt sag schon, worüber denkst du nach!!", rief Sakito und folgte seinem Bruder aus dem Badezimmer, die Treppe hinunter und in die Küche.

Toshiya lächelte auf einmal geheimnisvoll und setzte sich an den Tisch.

" Sei nicht so neugierig. Wann kommt Uruha?", antwortete er, schnappte sich seinen Teller und beäugte ihn misstrauisch.

" Gegen fünf. Er wollte doch heute seinen Freund mitbringen." Und als er den angewiderten Blick seines Bruder bemerkte, fügte er trotzig hinzu: "Ich hab gekocht...."

" Ich seh's ......" Toshiya starrte auf dem Teller. Wenn er sich nicht irrte, hatte sich gerade irgendwas im Kartoffelbrei bewegt.

" Sei mir nicht böse, ja, aber ich hab grad keinen Hunger." Er schob den Teller von sich und stand auf. An der Treppe packte er seine Schultasche und schwang sie über die Schulter. Gerade eben hatte er einen wichtigen Entschluss gefasst.

" Ich koch uns heut Abend was, ok?" Mit diesen Worte stürmt er nach oben und verschwand in seinem Zimmer. Sakito blickte schmollend auf den Teller, den sein Bruder verwaist auf dem Tisch zurückgelassen hatte.

" Was hat er denn, schmeckt doch", schnaubte er und begann zu essen.

Nach einer Stunde war die Übelkeit wieder einigermaßen verflogen und der Junge erhob sich schwerfällig und stöhnend vom Sofa.

<<Aber es war nicht so übel, wie das letzte mal. Ich mache Fortschritte, muss nur eisern üben. Morgen probier ich mal lasagne aus .......>> Mit dem Plan erst ein wenig Hausaufgabe zu erledigen und dann seine Haare zu färben, schleifte er sich die Treppe hinauf. Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen. Was war das denn? Aus dem Zimmer seines Bruders drang Musik. Laute Musik. Und es klang nicht wie Busted (Anmerkung d. Autorin: Uääääääääääh *würg*, ich HASSE Busted!!!) oder Yvonne Catterfeld (Anmerkung d. Autorin: Keine echte Alternative, aber immer noch besser als Busted ...).

" Kagerou?!", hauchte Sakito und mit drei großen Schritten war er an der geschlossenen Zimmertür und drückte sein Ohr dagegen. Tatsächlich, das war eindeutig XII Dizzy. In seinem eigenen Zimmer dann bemerkte er auch, woher sein Bruder das Album hatte.

" Dieser verdammte..... er war an meinen CDs ..... aber wieso nur? Er hat sich doch noch nie was aus visual kei und jrock gemacht....." Verwirrt stellte Sakito fest, dass außerdem eine X Japan CD, das Déspairs ray Minialbum, etliche Baroque Singles und einige anderen Dinge fehlten. Doch ausmahmsweise wollte er seinen bruder diesmal nicht zur Schnecke machen. Ihm war klar, dass er keine Lust hatte, mit seinem kleinen Bruder den Grund für sein plötzliches Verlangen nach visual kei zu diskutieren.

<<Aber wenn er das noch einmal tut, kann er was erleben...>>, dachte Sakito grimmig bei sich und vertiefte sich dann widerwillig in seine Mathehausaufgabe.
 

Als es um fünf Uhr, zehn Minuten und zweiunddreißig Sekunden klingelte, sprang Sakito auf und stürmte mit flatternder Schürze in den Flur. Toshiya, der vor seiner Zimmertür erschienen war, verfolgte lächelnd mit, wie der Jüngere an die Tür stürzte.

<<Er liebt Hausarbeit, obwohl er ne absolute Niete ist. Gekocht hab ich. Aber das muss Uruha ja nicht unbedingt wissen .....>> Seufzend schlurfte er die Treppe hinunter, Stufe um Stufe, die viel zu langen Ärmel seines verwaschenen Jogging-Anzugs schlabberten ihm um die Arme. Jetzt ging die Schikane schon wieder los und Uruha hatte sich auch noch Verstärkung mitgebracht. Eigentlich wollte er in die Küche, und sah nur aus den Augenwinkeln wie Sakito die Tür öffnete und zu einem fröhlichen " Konban wa" ansetzte. Plötzlich erstarrte er und gab einen keuchenden Laut von sich. Toshiya blieb augenblicklich stehen und beobachtete erstaunt, wie Sakitos Miene versteinerte. Einen Augenblick später wünschte er sich, er wäre in seinem Zimmer geblieben, denn Uruha und sein neuer Freund standen jetzt im Flur und warfen ihre klatschnassen Mäntel (draußen regnete es) übers Treppengeländer. Der Gast schaute sich interessiert um, erblickte der Schwarzhaarigen vor der Küchentür und grinste böse.

" Hallo Toshimasa Hara", flötete er und legte Uruha besitzergreifend den Arm um die Hüfte.

Toshiya bewegte sich wieder in Richtung Treppe.

" Hallo ..... Hakuei .....", antwortete er steif. Im nächsten Augenblick war er nach oben verschwunden.

Dieser Abend würde gewiss die Hölle werden.
 

feedback, ne *liebguck* ?!

2

Walking proud
 

Autor: Clea

Pairings: Lasst euch überraschen *träller*^^ (hab da schon interessante Ideen; natürlich darf niemand leer ausgehen)

Kommentar: Wo bleibt Kyo ist eine gute Frage *gg* .... keine Sorge, vergessen hab ich ihn nicht ..... hähä, lasst euch überraschen!

Vielen Dank für euere Kommentare, Leute^.~ , hat mich sehr gefreut zu wissen, dass sich jemand meine kranken Gedanken antut ... hier ist der zweite Teil
 

Teil 2
 

Die vier Jungen saßen schweigend am Tisch. Sakito rührte mit finsterer Miene in seinem Auflauf herum. Toshiya kämpfte mal wieder mit den Tränen. Hakuei aß zufrieden seinen Teller leer, er hatte den Klassenkameraden ein weiteres mal nach Herzenslust schikaniert. Uruha seinerseits nippte grinsend an einem großen Glas Cola. Deswegen liebte er diesen Jungen. Hakuei war stark, megacool und die halbe Schule flüchtete panisch, sobald er sich blicken ließ. Außerdem, er hatte Geschmack.

Unter der Tischplatte legte Sakito Toshiya die Hand auf den rechten Oberscheknel um ihn zu trösten. Natürlich ließ er auch ab und zu mal bissige Kommentare fallen, was das Aussehen seines Bruders anging, das war aber niemals verletzend gemeint, Bruder ist Bruder.

::Allerdings::, dachte er mit finsterem Blick über den Tisch, ::das was Uruha hier treibt ist einfach nur schäbig. Wieso ausgerechnet Hakuei? Dabei weiß er doch ganz genau, wie sehr dieser Typ Toshiya fertigmacht und ich selbst kann ihn auch nicht ausstehen. Allein schon aus Liebe zur Familie hätte er ihn mal von unserem Haus fernhalten können!::

Der Jüngste war zum Teil furchtbar wütend und zum Teil unfassbar schockiert, so eine Gemeinheit hatte er nicht mal Uruha zugetraut. Während des ganzen Essens hatten die beiden Toshiya mit vereinten Kräften zusammengestaucht. Was sollte das eigentlich?

"Das war gut, Kleiner!", seufzte Uruha zu dem Jüngsten gewandt und lehnte sich zurück. Sakito schreckte aus seinen Gedanken auf.

::Wenn du wüsstest!::, dachte er wütend bei sich und warf Toshiya einen prüfenden Seitenblick zu.

Eine Weile war es still. Die beiden Jüngeren räumten mit Grabesmienen den Tisch ab, während Uruha von Hakuei auf den Schoß gezogen wurde. Die beiden begannen sich in einen langen ausgiebigen Kuss zu vertiefen. Dann fing Hakuei an, neckisch am Hals des Anderen herumzulecken und ihn mit kleinen Küssen zu bedecken. Uruha kicherte und versuchte seinen Koi mit der Hand wegzuschieben.

"Das kitzelt, lass das ..."

" Wo ist dein Zimmer? Dann zeig ich dir das mal richtig ....", erwiderte Hakuei mit schmutzigem Grinsen. Also erhoben sich die beiden Turteltauben und schlenderten (Hand in Hand natürlich) zur Tür. Sakito bemühte sich, kein Würgegeräusch von sich geben zu müssen und knallte stattdessen die Teller so heftig in die Spülmaschine, dass kleine Scherben aus den weißen Porzellanrändern bröckelten.

"Habt ja n nettes Haus ...", teilte Hakuei an der Tür mit.

"Wenn da nicht dieses schmutzige Pack wäre .... aber irgendein schwarzes Schaf muss es in jeder Familie geben ..." Er bedachte Toshiya mit einem vernichtenden Blick und schloss schnell die Tür, einen kurzen Augenblick zu früh, um den schmutzigen Spüllappen abzubekommen, den Sakito wutentbrannt dagegenschleuderte.

"Dieser Arsch, was bildet der sich ein, dieser arrogante, kleine!!!!!!! ..... und Uruha!!! Wie konnte er nur!!!! Dieses verdammte Arschloch!! Na wartet......"

Mit gefährlich funkelnden Augen und sadistischem Grinsen begann er im Kühlschrank herumzuwühlen.

"Ich mach den beiden Süßen einen kleinen Snack...", flötete er und warf einen Blick, der wie das Höllenfeuer loderte, in Richtung Zimmerdecke.

Toshiya brachte ein halbes Lächeln zustande.

"Lass mal .... du würdest sie umbringen ...."

"DESWEGEN JA!!!!", brüllte Sakito und schmetterte wahllos alles was er finden konnte in eine große blaue Schüssel und verrührte es anschließend zu einer klebrigen mintfarbenen Masse. Toshiya zuckte traurig die Achseln.

"Schon ok ... ich bin selbst Schuld, ich wehre mich ja nicht ...", flüsterte er und schniefte leise. War er wirklich so ..... häßlich und schlecht? Na toll, er war schon wieder drauf und dran in einem Pfuhl aus Minderwertigkeitskomplexen und Selbstmitleid zu versinken.... Eine Sekunde später hatte sich sein kleiner Bruder vor ihm aufgebaut und schrie ihm wütend ins Gesicht.

" Pass auf, jetzt erzähl ich dir mal was!!! Als wir noch im Kindergarten waren, wurdest du von allen verhätschelt und gelobt, weil du so ein talentiertes Kind warst! Und hübsch obendrein!! Ich wette, du hast Ma noch nie danach gefragt, wie es war, als wir klein waren, ne?! Mensch Totchi, was glaubst du, _warum_ Uruha dich seit Jahren fertig macht?! Er ist verdammt eifersüchtig, die eingebildete, hinterhältige Kröte!!! Du warst damals nämlich immer viel gefragter als er, Mutter war so stolz, weil sie ständig auf dich angesprochen wurde .... und unser kleiner Uru-chan fühlte sich völlig vernachlässigt!! Er konnte es nicht ertragen, dass sein Bruder so viel beliebter und begabter war, als er ... seitdem hat er Angst davor, dass es wieder so werden könnte .... ich dachte ja, das tut alles nichts zur Sache, aber jetzt hat er den Bogen eindeutig überspannt. DAS. IST. ZUVIEL!! Lass mich jetzt alleine, ich muss mich konzentrieren!"

Resolut wurde ein verwirrter Toshiya zur Tür rausgeschoben und diese hinter ihm zugeknallt. Er konnte nur noch gedämpft die Stimme seines kleinen Bruders hören:

"Davon *SCHEPPER* .... hahahaaaaaa.... und ein wenig davon *KNALL* ...hihi und hiervon......jajajahahaaaaaaaaa *MATSCH* uahahaaaaa ....."

Den Blick immer fest auf die Tür gerichtet entfernte sich Toshiya sehr langsam, rückwärts von der Küche. Mit Sakito in diesem Zustand war nicht zu spaßen.

Als er an Uruhas Zimmer vorbeikam, vernahm er nur unterdrücktes Stöhnen und Kichern von drinnen, er ging schnell weiter, bevor er sich noch eine Bild dazu ausmalen konnte und er riskierte, dass ihm vor Übelkeit sein Essen wieder hochkam. In seinem eigenen kleinen Reich angekommen, warf er die Tür hinter sich zu und drehte erlöst den Schlüssel um. Endlich allein. Müde ließ sich der Schwarzhaarige an der Wand hinunter zu Boden gleiten und verbarg sein Gesicht in den Händen. Aus irgendeinem Grund allerdings war ihm das Weinen vergangen. Er fühlte sich besser. Was hatte Sakito da gesagt? Als sich Toshiya die Worte seines Bruders noch einmal durch den Kopf gehen ließ, musste er laut aufkeuchen. Wenn das stimmte ..... Er erhob sich schwerfällig, schlenderte zum CD-Player und legte baroque auf. Dann fläzte er sich auf sein Bett und ließ die Musik alle unangenehmen Gedanken auswischen. Toshiya brauchte jetzt einfach nur einen klaren Kopf. Und einen Plan.
 

Wie lange er so auf dem weichen Bett gelegen und an die Decke gestarrt hatte wusste Toshiya nicht mehr, als ein lauter Knall ihn brutal aus den Gedanken riss. Erschrocken schleuderte der junge Japaner seine Zimmertür auf und stürzte beinahe die Treppe hinunter. Aus der Küche hörte er Sakito schon von weitem vor sich hin maulen:

" Verdammt, verdammt, verdammt, verdammt, verdammt, verdammt ..."

Nach kurzem Zögern öffnete Toshiya vorsichtig die Tür, während er noch versuchte sein wild klopfendes Herz zu beruhigen. Die Küche sah ziemlich übel aus. Auf dem Boden kniete sein kleiner Bruder und wischte eine undefinierbare Flüssigkeit mit einem großen, braunen Lappen auf. Als er den Anderen bemerkte, schaute Sakito kurz (mit sehr irren Augen) auf und murmelte: " Zuviel HCL....."

Toshiya starrte ihn an.

" HCL?", wiederholte er verwirrt.

" Salzsäure", antwortete Sakito düster und verfiel dann wieder in sein " Verdammt, verdammt, verdammt, verdammt"- Geflüstere.

" Ich ... äh ... lass dich dann mal allein, ne ....."

Erschaudernd schloss der Schwarzhaarige wieder die Tür. Ganz schön beängstigend so ein kleiner Bruder .....
 

" Moin!", schallte Toshiya an einem trüben Mittwoch morgen entgegen, als er müde das Klassenzimmer betrat. Irritiert nahm er einen Stöpsel seines Discmans aus dem rechten Ohr und erblickte Kaoru, der ihn ferundlich anlächelte.

" Oh, ach so, morgen ....", antwortete er und zeigte ebenfalls ein Lächeln.

" Was hörst du da", wollte der Violetthaarige wissen und beäugte neugierig den Discman in Toshiyas Hand.

" Mmh? Ah so, Kagerou ..."

" Woah, ich liebe Kagerou! Aber seit wann magst du die denn?"

" Seit gestern", antwortete der Schwarzhaarige mit verschmitztem Grinsen. Kaoru lachte kurz und laut auf.

" Du bist irgendwie schräg", nuschelte er und begann dann die Bücher für die erste Stunde auszupacken. Nach einer Weile blickte er wieder auf Toshiya, der irgendwie gar nichts mehr sagte. Er stand nur neben seinem Pult und schien über irgendwas nachzugrübeln. Kaoru wartete ruhig darauf, dass der Andere den Mund auftat und ihn an seinen Gedanken teilhaben ließ.

"Ähm, Kaoru", meinte der Schwarzhaarige schließlich leise. Auf ein Nicken seines Freundes hin, fuhr er fort.

"Könntest .... könntest du mir einen Gefallen tun?"

Kaoru nickte.

"Klar! Worum geht's denn, spucks schon aus." Leider betrat in genau diesem Augenblick (wie immer zehn Minuten zu früh) ihr Englischlehrer Camui die Szene .

"Ääh? Wir ham Englisch?", stutze ein Junge neben Toshiya. Dieser zuckte nur die Achseln und stellte sich hinter sein Pult. Ihm war ziemlich egal, was sie jetzt hatten, etwas viel wichtigeres brannte ihm auf der Seele. Mit ein paar Zeichen kritzelte er erklär ich dir später auf Kaorus Block. Der Andere nickte langsam, lächelte und schrieb zurück wenn du nichts dagegen hast, sind shinya und die auch dabei. Vorne legte ihr Lehrer schon ohne Begrüßung oder Gebet los.

::Na klar::, dachte Toshiya und nahm Platz, ::jetzt macht Hakuei schon blau, was eigentlich auf einen angenehemen Tag hoffen ließe, und dann ist yoshiki-sensei krank und wir haben zwei Stunden Englisch. Toll::

Düster beobachtete er seinen Lehrer, der wie immer einen eleganten Anzug ohne Krawatte trug, die obersten Knöpfe seines weißen Hemdes provokativ geöffnet, und schrieb schnell auf den Block klar, warum nicht. in der Pause dann. und danke. Das letzte Wort unterstrich er fett.

::Ich ziehe das durch! Ich will endlich anders werden ...::
 

"Ok, worum geht's, Kleiner?", fragte Shinya, nachdem sie zwei Stunden später wieder an ihrem Treffpunkt auf der Toilette zusammengekommen waren. "Und was is mit dir schon wieder?!" Er drehte sich genervt zu Die um, der Shinya aus den Augenwinkeln mit zusammengekniffenen Augen musterte und dabei laut schmatzend einen Apfel verzehrte.

Der Rotschopf schluckte und antwortete.

"Du genießt es, andere so anzureden, ne Shin-chan?", sagte er ernst, was ihm einen heftigen Stoß in die Rippen einbrachte. " Itai! Wofür war das denn schon wieder?"

Eine Weile grummelte Shiyna entnervt vor sich hin, dann brachte er wieder ein Lächeln zustande, wobei er das Wort erneut an Toshyia richtete.

"Entschuldige die Unterbrechung. Wo waren wir stehengeblieben?"

"Grmpf, in Wahrheit bist du ein kleiner Teufel, Shin-chan ....", murmelte Die, hielt sich die schmerzende Seite und schälte seine Banane.

Als Toshiya geendet hatte, sagte Shinya begeistert: "Das ist wunderbar. Leider hab ich nachmittags keine Zeit, Totchi-chan, aber ich kann dir, wenn du willst abends ein paar Dinge vorbeibringen ...."

Errötend blickte Toshiya zu Boden und murmelte glücklich: "Das wäre supernett .... vielen Dank euch allen .... ne Kaoru ...."

Kaoru lächelte wieder sein warmes Lächeln und sagte leise: " Dazu sind Freunde doch da Toshiya-kun ....."

Wäre in diesem Augenblick nicht die Tür aufgegangen und hätte einen zutiefst verschüchterten Ryutaro hereingelassen, hätte der Schwarzhaarige einige Tränen der Rührung mit Sicherheit nicht mehr zurückhalten können.

"Du schon wieder?!", rief Die aus und alle drehten sich zu dem schmächtigen Jungen um, der in der Tür der Toilette stand und um Worte rang.

"'tschuldigung ...", nuschelte er in seinen karierten Schal. Dann begann er zu weinen. So bitterlich, dass Die um ein Haar sein Stück Wassermelone fallen gelassen hätte. Die vier starrten den Zehntklässler erschrocken an, dessen Körper ununterbrochen von immer heftigeren Schluchzern geschüttelt wurde.

"Hey, kein Grund in Tränen auszubrechen, so hab ichs nicht gemeint!", rief Die erschrocken aus, nachdem ihm Shinya einen zutiefst strafenden Blick zugeworfen hatte.

"Er weint nicht wegen dir, Die", murmelte Kaoru und kniete sich zu Ryutaro, der auf dem Boden zusammengesunken war. Die atmete laut auf.

" Kami-sama! Und ich dachte schon ..." Er steckte sich schnell den Rest der Birne in den Mund und begann dann sich noch eine Banane zu schälen.

"Du bist so ein Trampel", zischte Shinya und hockte sich ebenfalls zu dem kleinen Jungen auf den Boden.

"Was?!", schmollte Die und beobachtete Ryutaro misstrauisch. Toshiya stand daneben, in seinem Kopf tausend Gedanken, in seinem Herzen ein riesiges Gefühlswirrwar. Als er Ryutaro am Boden sitzen sah, erkannte er sich selbst wieder. Wie sehr er sich manchmal gewünscht hatte, jemand wäre da und würde versuchen ihn zu verstehen. Aus diesem Grund stieg der Drang in ihm hoch, dieses kleine, elende Etwas einfach in die Arme zu schließen und zu trösten, aber dank seiner vermaledeiten Feigheit konnte er sich einfach nicht von Fleck rühren.

" Camui-se-sensei *hick*....", hauchte Ryutaro und starrte mit großen Augen zu Boden.

" E-er ... m-mich ......"

Toshiya schnappte entsetzt nach Luft. Dieser Lehrer, er hatte ja gleich gewusst, wie der tickt!! Während die anderen noch verzweifelt versuchten den Kleinen zu beruhigen und die Wortfetzen die er ihnen hinwarf zu begreifen, glaubte er zu verstehen.

::So etwas musste ja mal passieren, verdammt!!::

Mit einem Satz war er bei Ryu auf dem Boden und zog ihn in die Arme. Kaoru und Shinya beobachteten die Szene erstaunt, Ryutaro eher erschrocken, Die stöberte in seiner Tasche nach mehr Trauben.

" .... was wollte er von dir", fragte er leise und umschloss die zitternden Schultern des anderen fest.

"Er hat gesagt", flüsterte Ryutaro apathisch, " dass er mich will. Nach der Schule .... wartet er... nicht entkommen ---- mich in Ruhe ... ich ..."

Shinya klappte der Mund auf. Und Toshiya spürte, wie langsam aber sicher lodernede Wut von ihm Besitz ergriff. Er hatte es satt so unbeschreiblich feige und schwach zu sein. Solange es nur um ihn selbst ging, war es in Ordnung. Aber der Junge in seinen Armen, das hätte ebensogut Sakito sein können. Solange er anwesend war, sollte so etwas nicht mehr geschehen, er würde es nicht zulassen. Jetzt, da er endlich Freunde gefunden hatte, die ihm sehr wichtig waren, konnte er nicht zulassen, dass sie verletzt wurden. Natürlich gehörte Ryutaro eigentlich nicht wirklich zu seinen Freunden, er wusste rein gar nichts von ihm (naja, von Die, Shinya und Kaoru eigentlich auch nicht, aber hey: besser als alles, was er vorher gehabt hatte!), aber er fühlte sich dem zerbrechlichen, blassen Zehntklässler auf irgendeine Weise verbunden.

"Ryu, sollen wir dich nach Hause begleiten? Dann können wir mal mit deiner okaasan reden ...", sagte Toshiya sanft, woraufhin sich Kaoru, Shinya und Die einen sehr erstaunten Blick zuwarfen.

Toshiya hatte das Wort ergriffen! Dazu in so einer Situation.

"Meine Mutter ist nicht zu Hause", flüsterte der Kleine zur Antwort und verbarg seinen Kopf an Toshiyas schützender Schulter. "Vater hab ich nicht."

"Dann kommst du mit zu mir", beschloss Toshiya kurzerhand.

"Kaoru und ich sind sofort nach Unterrichtsschluss vor deinem Klassenzimmer. Was hast du in der sechsten?"

"Musik ...", nuschelte Ryutaro und schniefte.

:Stimmt, Sakito, die kleine unbegabte Nudel, hat schon nach der vierten aus, weil er Kunst gewählt hat ....::

"Bis dann", sagte Toshiya, sprang auf und verließ die Toiletten, die anderen folgten ihm verdutzt. Am Vorbeigehen wuschelte Die dem Kleineren, der immer noch auf dem Boden saß kurz durch die Haare und schloss dann umsichtig die Tür hinter sich. Völlig erstaunt blickte Ryutaro dem Rotschopf nach.
 

Toshiya trug den restlichen Schultag einen furchteinflößenden Blick zur Schau, Kaoru wagte kaum, ihn anzusprechen. Alles, was sich in den letzten Monaten aufgestaut hatte, die gesamte Erniedrigung, die Spötteleien von Hakuei und seiner Clique, Uruhas Generve, die Lehrer, die ihn auf dem Kieker hatten, das alles bahnte sich seinen Weg nach draußen. Endlich war er an einem Punkt angelangt, da es ihn nicht mehr kümmerte, was die anderen dachten. Voller grimmiger Wut, beschloss Toshiya, dass er endlich mal den Kopf heben würde. Und es allen zeigen. UAHAHAAAAAAAA.

Er schrieb etwas auf einen kleinen Zettel, faltete ihn und reichte ihn unauffällig an Kaoru weiter. Der öffnete ihn und las erstaunt, was darauf stand: willst du bei mir übernachten? Kaoru flüchtete hinter die trigonometrischen Funktionen in seinem Mathebuch, um dem wachsamen Lehrerblick zu entwischen und flüsterte zurück: "Gerne."

"Ok, dann um fünf bei mir ...."
 

Kurz vor Unterrichtsschluss entfloh Toshiya dem öden Stoff mit der Ausrede, er müsse noch einmal dringend aufs Klo. Ihr Religionslehrer Tatsuro sensei ( stellt euch mal vor, wie Tatsu aus der Bibel zitiert >.< göttlich!) war senil genug ihn gehen zu lassen ungeachtet der Tatsache, dass die Schule sowieso in fünf Minuten zu Ende sein würde. Der Junge machte sich augenblicklich auf den Weg zu Ryutaros Klassenzimmer und passte ihn an der Tür ab, nachdem es zu Schulschluss geläutet hatte. Auf dem Weg nach draußen wurden die beiden von Kaoru eingeholt, der Toshiya seine Büchertasche überreichte und dann flüsternd berichtete:

"Dieser Camui Typ kam eben an mir vorbei, der war auf dem Weg zu deinem Klassenraum, Ryu. Wir schauen besser, dass wir verschwinden ..."

Die Anderen nickten und schoben sich ein wenig schneller durch den Schülerstrom, der zähflüssig Richtung Ausgang floss und dann in Form lärmender Schüler langsam auf den Pausenhof tröpfelte.

"Hey, ihr da!! Sofort stehenbleiben!!!!" Die Stimme ihres Lehrer hallte durch den Flur. Einige Jungen und Mädchen blieben stehen und drehten sich erstaunt um. Toshiya fasste Ryutaro schnell an der Hand und zog ihn mit sich.
 

"Puh, das war knapp!"

Kaoru lehnte sich kurze Zeit später aufseufzend gegen eine Hausmauer.

"Arigatou .... dass ihr mir helft ...", flüsterte Ryutaro kaum hörbar. Beide Hände hatten sich um den Gurt seiner Tasche geklammert, er blickte zu Boden. Eine Weile musterte Kaoru den Kleineren scharf und sagte dann: " ... aber jetzt hast du Angst, dass dieser Typ so wütend sein könnte, weil du abgehaun bist, dass er sich an dir rächt und alles noch schlimmer kommt."

Ryutaro blickte überrascht in das ernste Gesicht des Lilahaarigen. Dann schluckte und nickte er kaum merklich.

"'tschuldigung", murmelte er beschämt.

"Keine Sorge", flüsterte Toshiya und berührte vorsichtig die Schulter des Jüngeren, "das werde ich nicht zulassen ..."

Wieder einmal schenkte Kaoru seinem Freund ein warmes, beruhigendes Lächeln, dieser errötete leicht und fügte schnell hinzu: "Ich meine, es wird langsam Zeit, dass ich mal was tue, ne? Also ..."

"Schon gut, das muss dir nicht peinlich sein. Tu einfach mal das, was du für das Beste hältst", erwiderte Kaoru und umarmte Toshiya zum Abschied, Ryutaro klopfte er aufmunternd auf die Schulter. Die drei trennten sich, Kaoru bog in eine Seitenstraße ein.

Eine Weile trottete trottete Ryu nachdenklich neben Toshiya her.

"Ich verstehe, was du meinst ...", sagte er schließlich mit seiner leisen Stimme.

"Hm?", machte Toshiya und schreckte aus seinen Gedanken auf.
 

"Ich mein ... alle erwarten, dass du dich auf eine bestimmte Weise verhältst ... und daher fügst du dich einfach, weil du nicht den Mut aufbringst anders zu sein ..."

"Hai, sou desu ... du triffst den Nagel auf den Kopf ...", murmelte Toshiya und richtete den Blick auf seine Turnschuhe.

"Aber ich mein .... also .... diese - Feigheit geht mir ... naja ... langsam selbst auf die Nerven und ..... weiß nich ...", fügte er nach einer Weile hinzu, als der Andere nichts erwiderte.

::Mutig .... das ist mutig von dir ... ich wünsche dir, dass du der Mensch wirst, der du sein möchtest ...::, dachte Ryu nur und lächelte stumm vor sich hin.

Zwei Straßen entlang, Reiehnhäuser, Blumentöpfe an den Fenstern, kleine schmucke Vorgärten, identische Briefkästen. Hausnummer 7a.

"Hier wohn ich ... mein Bruder müsste schon da sein .... und ... eventuell hat er gekocht. Nein, sogar sehr wahrscheinlich. Das bedeutet ich mach uns jetzt was zu essen."

Mit diesen Worten fischte Toshiya einen kleinen silbernen Schlüssel aus einer Jsckentasche und steckte ihn ins Hausschloss.

"Häh?", machte Ryutaro verwirrt, doch Toshiya war bereits eingetreten.

"Saki, bist du da?", rief der schlanke Junge in die düsteren Tiefen des Hausflures und ließ seine Tasche fallen. Seine und Ryus Jacken warf er achtlos in irgendeine Ecke, dann zog er seinen Gast hinter sich her in die Küche. Als er die Tür aufstieß kam den beiden Jungen blass-lila Nebel entgegen, der schwach nach Zitronenminze roch.

"Tag, Totchi", brabbelte Sakito von irgendwoher aus dem Dunst.

"Hab uns Kartoffeln gemacht!"

"Tschernobilkartoffeln ...", murmelte Toshiya erschaudernd und starrte mit mulmigem Gefühl in der Magengegend auf die leuchtend hellgrünen Objekte, die in einem großen wassergefüllten Topf auf dem Herd herumschwammen.

Zuerst öffnete er das Fenster, dann holte er drei fertig belegte Brötchen aus dem Kühlschrank und platzierte sie auf dem Esstisch. Schließlich schob Toshiya Ryutaro, der verschüchtert in der Tür stehengeblieben war, in die Küche und verkündete:

"Hab jemanden mitgebracht, Saki, ich denke ihr kennt euch ..."

"Häh??"

Sakito drehte sich um. Die anderen beiden starrten ihn sekundenlang wortlos an. Dann nahm Toshiyas kleiner Bruder die angelaufenen Schweißerbrille ab um den Gast etwas näher in Augenschein zu nehmen.

Die Freude wich augenblicklich aus seinem Gesicht, wie Schnee, der in der Wüstensonne schmilzt, als er seinen Klassenkameraden erkannte. Allerdings, auf Toshiyas drohenden Blick hin, antwortete er nur: "Ach du bists, hi Ryutaro ..."

"Hm, hallo", nuschelte der Andere in seinen Schal. Er spürte genau, wie unerwünscht er in gerade war, Sakito war nur schlicht zu höflich um seinen Gedanken mit Worten Ausdruck zu verleihen.

"Setz dich doch!", sagte Toshiya mit radioaktivem Strahlen (das liegt an dieser Küche, Leute, glaubt mir!) um die entstandene Stille zu überbrücken.

"Wir essen jetzt mal ... ich meine etwas, dass uns nicht sofort tötet", grinste Toshiya mit kurzem Seitenblick auf die Dinge, die im Topf auf dem Herd miteinander reagierten.

"Hmpf ...", machte sein kleiner Bruder beleidigt, krallte sich ein Brötchen und begann noch vor den anderen zu essen.

Nachdem die drei eine Weile schweigend an den Sandwiches herumgekaut hatten, erhob sich Toshiya schließlich.

"So. Und wenn ihr fertig seid, brauch ich euere Hilfe", eröffnete er.

"M-meine auch?", stotterte Ryu verwirrt, der damit beschäftigt war, seine strampelnde Tomate festzuhalten (sie muss im Kühlschrank irgendwo neben Sakitos Chemikalien gelegen haben).

"Ich hab dir gesagt, dass du heute abend allein kochen darfst ...", stellte Sakito mit hochgezogenen Augenbrauen fest und ignorierte seinen Mitschüler einfach mal.

"Immerhin habe ich mittags gekocht ..."

"Ja, aber wir haben davon nichts gegessen (schließlich wollen wir nicht sterben) ...", gab sein großer Bruder zurück..

"Ja, aber davon war auch nie die Rede gewesen ... du hast nur gesagt ,koch was' und nicht ,koch was essbares', ne ... aber guter Tipp ...", murmelte Sakito nachdenklich und begann Pläne für ein Nachtmahl zu schmieden, radioaktive Radieschen würden eine nicht geringe Rolle dabei spielen.

"Ok, gehen wir", plapperte Toshiya schnell und in Gedanken fügte er hinzu: ::Bevor dem Kleinen noch ein interessanter Einfall für einen Nachtisch kommt ... ::
 

Eine halbe Stunde später betraten ein aufgekratzter Toshiya, ein äußerst missgelaunter Sakito und ein Ryutaro, der sich einfach nur fehl am Platz fühlte, einen kleinen, schmucken Friseursalon mitten in der malerischen Altstadt. Die drei Jungen stellten die einzige Kundschaft in dem winzigen Laden dar.

"Was stellen Sie sich denn so vor?", leierte ein großer, schlanker Junge mit penetrant pinkem Kaugummi im Mund und einem auffälligen Piercing in der Lippe. Er trug ziemlich abgefahene Dienstkleidung und eine stylische Frisur, seine großen dunklen Augen, die unter nachtschwarzen Haarsträhnen katzenhaft hervorlugten, ließen auf japanische Herkunft schließen.

"Öh, ich?", brabbelte Toshiya verwirrt zurück und ließ sich ermattet von so vielen neuen Eindrücken, in dem bequemen Sessel nieder, der ihm hingeschoben wurde. Der junge Friseur runzelte die Stirn.

" Wollen Sie nun nen Haarschnitt oder nicht?"

" J-ja, doch, a-aber, ich weiß nicht-", begann der Schwarzhaarige aufgeregt, doch Sakito fiel ihm ins Wort.

" Die Trantüte hier will nen richtig schicken, sexy Haarschnit mit viel Farbe blah blah, is nur leider zu unsicher, sich für irgendwas zu entscheiden etc. etc., also entscheide ich", stellte er genervt fest, zog sich einen Plastikstuhl heran und setzte sich dann neben seinen Bruder.

"Was hälst du von ner dunklen Farbe?", schlug der Friseur vor und betrachtete sein Opfer aufmerksam mit seinen Katzenaugen.

" Mmmh", machte Sakito und rieb sich den Kopf, " also vielleicht violett oder so.... aber auf gar keinen Fall blond...."

" Nene, das is auch zur Zeit ziemlich out!" Der große Junge nickte bestätigend.

"Mh, also äh, ich...ich fände blau sehr schön .... also dunkelblau ....wollte ich nur sagen....", meldete sich Ryutaro schüchtern zu Wort. Obwohl er das Gefühl nicht los wurde, dass Sakito ihn am liebsten auf den Mond schießen würde, wollte er sich ein Beispiel an Toshyia nehmen und selbst etwas für sein Glück tun. Sein Klassenkamerad warf ihm einen du-bist-ja-immer-noch-da-Blick zu, aber der Friseur quietschte begeistert.

" Ja, hai hai haiii, das ist es! Kleiner du hast den Riecher! Nachtblau, ist DIE Farbe!!"

Ohne lang auf Zustimmung zu warten verschwand er in einer Tür, die in die Tiefen des Ladens führte und kehrte auch sogleich bewaffnet mit allen mögliche Tuben, Scheren, Messern, Tupfern und Skalpellen wieder zurück.

"Darf ich vielleicht auch noch ein Wort mitreden?!", murmelte Toshyiya leicht verärgert in Richtung seines Bruders, der ihn nur böse angrinste.

" Nix da! Du wolltest ne neue Frisur, also kriegst du eine und wenn schon, denn schon, ne!", entgegenete er und Ryutaro lächelte nur hilflos.

"Jetzt zur eigentlichen Frisur...", setzte der Friseur an, dessen Namen im Übrigen Miyavi war (er trug auf einmal ein kleines, silbernes Namensschild, das er sich im Vorrübergehen angesteckt haben musste).

"Also äh", Versuchte Toshiya, doch Sakito war wieder schneller.

"Mach einfach, wir vertrauen deinen Künsten", sagte er und machte eine genervte Geste in Richtung Bruder.

"Arigatou", grinste Miyavi und machte sich ans Werk.
 

Zwei Stunden später bekam Toshiya einen rot-schwarzen emily the strange-Spiegel (gibt's sowas überhaupt?) in die Hand gedrückt, Miyavi betrachtete seine Arbeit mit zufriedenem Strahlen.

"Sieht super aus!", stellte Sakito fest und nickte anerkennend, seine Laune war zwar nicht Himmel hoch jauchzend, hatte sich aber in den vergangenen Stunden erheblich gebessert. Er hätte im Leben nicht gedacht, dass sein großer Bruder, das fade Mauerblümchen, tatsächlich eine schöne Seite hatte. Eine außerordentlich schöne.

" Toshiya? Ähm .... möchtest du nicht deine Augen aufmachen? Ich meine .... so siehst ja gar nichts...."

" Klar Ryu-kun, äh, sofort", antwortete Toshiya und brachte ein nervöses Lächeln zustande. Er hob gaaaaanz langsam und voller Angst die Augenlider und starrte dann auf das Spiegelbild, das vor seinen Augen erschien. Im ersten Augenblick erkannte er sich selbst nicht im Spiegel, dann klappte ihm die Kinnlade runter.

"Na? Wie findest du's?", bohrte Sakito und musterte den Älteren voller Erwartung.

"Das hättest du jetzt nicht erwartet, hab ich recht?"

Absolut sprachlos.

"Bin ... das echt ich?" Mit der zitternden linken Hand streifte sich Toshyia eine tiefblaue Strähne aus den Augen. Die längsten Haare reichten bis zu seinen Schultern, darüber eine kürzere, etwa kinnlange Schicht, schwarz-blau, mit fransigem Pony, der ihm halb ins Gesicht hing. Das sah einfach nur genial aus.

"Und morgen früh stylen wir das noch ein wenig mit Haarspray, ne ...", schlug Sakito vor.

"Cooooool ...", hauchte sein großer Bruder und sank glücklich in seinem Sessel zurück. Sakito und Ryutaro konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen, sie bezahlten Miyavi, der zurückgrinste und sich bedankte, und schleiften dann den total abwesenden Toshiya hinter sich her aus dem Laden.
 

Als sie eine halbe Stunde später zu Hause ankamen, lehnte ein unförmiges Bündel an der Haustür. Sakito hob es mit angewidertem Blick auf.

"Uäääääh, sieht ja versifft aus! Is übrigens für dich, Totchi." Er schnippte mit dem Finger einen kleinen weißen Zettel, geziert mit der Aufschrift viel Spaß, Toshiya! Von Shin, an und drückte es seinem Bruder in die Hand. Der nickte nur grinsend.

"Könnt ihr beiden Jungs euch ne Weile allein beschäftigen? Kao kommt gleich vorbei ...." Ohne eine Antwort abzuwarten, schloss er behände die Tür auf, pfefferte seine Jacke irgendwo in die Ecke und wetzte die Treppen hinauf. Als die Tür von Toshiyas Zimmer zuknallte, seufzte Sakito zum hundertausendsten mal an diesem Tag genervt auf.

"Bleibt mir ja nix anderes übrig", maulte er leise vor sich hin und entledigte sich ebenfalls seines Mantels und den Schuhen. Zögernd gefolgt von einem sehr eingeschüchterten Ryutaro schlurfte der Junge in die Küche. In diesem Augenblick erschien Toshiya noch einmal an der Treppe und rief seinem Bruder "und Ryu schläft auch in deinem Zimmer, ne" zu.

"Jajajajajajaaaaaa-haaaaaaa", nörgelte Sakito, dem nun entgültig die Geduld ausging. Toshiya wusste doch genau, wie wenig er diesen Kerl ausstehen konnte?! Soviel zu Bruderliebe und Rücksicht .... und wieso genau hatte er Ryutaro nochmal hergebracht? Irgendwie hatte Toshiya vergessen das zu erwähnen ....

"Setz dich _da_ hin", schnappte er und drückte Ryutaro auf einen der Stühle.

"Ich mach uns was zu essen ...."

Mit diesen Worten band sich Sakito eine niedliche Schürze mit Hamburgermuster um und machte sich ans (ziemlich tödliche) Werk.
 

Um zwei nach fünf klingelte es an der Haustür. Aus der Küche kamen neben dem Geklirr und Geschepper von dem Sakitos Kochaktionen immer begleitet wurden keinerlei Anzeichen, dass die beiden die Tür gehört hatten, also sprang Toshiya die Stufen hinunter und ließ Kaoru herein, der entschuldigend lächelte.

"Sorry, bin zu spät."

Er trat ein und Toshiya nahm ihm seine Jacke ab.

"Es ist kurz nach fünf, Kaoru", bemerkte der (inzwischen) Blauhaarige, "ahso, verstehe, wenn du sagst du bist um fünf da, dann bist du auch um fünf da, oder?"

Kaoru grinste breit und erwiderte: "Sieht klasse aus. Wahnsinn Toshiya. Echt!"

"Arigatou", nuschelte der Andere errötend.

"Wes-weshalb hast du dich denn ...äh ... verspätet? Also wenn ich fragend darf?"

"Hab noch nen Freund besucht, Daishi, vielleicht kennst du ihn, er geht in die dreizehnte....."

"So ein schlanker Kerl mit schwarzen Haaren, trägt nur weiß und schwarz ?", antwortete Toshiya während er Kaoru in sein Zimmer führte. Dieser nickte grinsend.

"Der, der aussieht wie ein lebendiges Schachspiel, ja."

Er ließ sich aufs Bett fallen und Toshiya tat es ihm gleich.

"Tolles Zimmer hast du hier", bemerkte Kaoru und blickte sich neugierig um.

"Richtig gemütlich. Da fehlen zwar noch n paar Poster, aber sonst ..." Er grinste wieder und Toshiya grinste zurück.

"Schenk mir doch welche", kicherte er.

"Kein Problem!"

Kaoru begann in der Tasche zu wühlen, die er mitgebracht hatte und der Andere beobachtete ihn dabei mit großen Augen.

"Übrigens hat Daishi nen kleinen Bruder, der genauso alt ist, wie deiner ... ziemlich lebhaft eigentlich und vorlaut .... hab allerdings schin seit Wochen nichts mehr von ihm gehört .... er geht in die elfte Klasse, wie Sakito, die beiden müssten sich eigentlich kennen ... irgendwie mach ich mir Sorgen um den Kleinen, er ist seit einiger Zeit total .... verändert ....irgendwie ....", sagte Kaoru vertieft und zauberte einen Stapel nagelneuer Poster aus der Tasche, die irgendwelche jrocker zeigten.

"Woah und die darf ich echt haben?", staunte Toshiya und beäugte den Stapel fasziniert.

"Echt."

"Oh danke!", rief er aus und drückte Kaoru stürmisch.

::Jetzt zeigst du endlich mal dein wahres Gesicht und verhälst dich so, wie du wirklich bist::, dachte Kaoru nur und lächelte still vor sich hin.

Als der Blauhaarige die Poster aufgehängt hatte und gemeinsam mit seinem Freund die Klamotten von Shinya durchging, sagte Toshiya plötzlich: "Mmh und du sagst, das ist nicht normal? Komisch ... hat dir dein Freund Daishi denn nichts erzählt?"

Kaoru schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht angesichts des Rüschenwunders, das er eben aus Shinyas unförmigem Sack gezaubert hatte.

"Wie heißt Daishis Bruder denn, vielleicht kenn ich ihn ja."

"Probier das mal an!" Kaoru hielt Toshiya einen sehr knappen, schwarzen Lackrock hin. "Wie? Oh, äh, er heißt Tooru ..... aber sein Bruder nennt ihn nur Kyo."
 


 

Na seht ihr, da bleibt Kyo^^ (er ist der Bruder vom Psycho-le-Cému Sänger hahaaaaaaa, ist das nicht wunderbar?! ^^" *drop*) .... hab es tatsächlich geschafft, ihn im letzten Satz noch mit einzubringen *drop*.... übrigens hat das Essen in dieser fanfic eine zentrale Bedeutung ^.^

Ich hoffe dieses Kapitel war nicht zu schwerfällig und ausführlich u.u, ich hab irgendwo mal den Faden verloren^^" und ja, Rechtschreibfehler, gomen ne .....

3

Walking proud
 


 

Autor: Clea

Pairings: Na, schon ne Ahnung?

Kommentar: Vielen Dank für euere lieben Kommentare, schreibt nur weiter fleißig Kommis^^ ...

An alle, die Sakitos Rezepte möchten: Glaubt bloß nicht, dass er die genialen Rezepte irgendwo aufgeschrieben hat, der Junge macht das nach Gefühl, tsts, keines von euch untalentierten Wesen wird das jemals so hinbekommen wie er, pah ^.^ ...

Zu Die und seinem Essen: *gg* Tja, da gibt es eine einfache Erklärung: Habt ihr schon mal die Bilder im WARE-Photobook gezählt, in denen Dir en grey am Essen sind? Ich habe es getan. Ergebnis: Auf fast der Hälfte aller Bilder sind die Dirus bei irgendwelchen Mahlzeiten zu sehen und ratet mal, wer am häufigsten ... genau, Die ...

Wo der Kerl das lässt weiß ich auch nicht, ich denke er gehört zu den Leuten die alles essen können ohne zuzunehmen ...

Und zu der Frage, ob denn keine anderen Leute in der ersten Pause auf dem Klo sind: Nein. Aus Gründen, die ich nicht ermitteln kann verirrt sich selten jemand in die Männertoilette, vermutlich aus Angst vor durchgeknallten Personen, die dort abhängen ... es ist übrigens eine sehr saubere Toilette, sie wird ja nie benutzt ...

Dieses Kapitel widme ich meiner Betaleserin ChipmunkShake *knuff*, danke fürs Fehlerlesen, ich bin echt ein Legastheniker u.u
 


 

Teil 3
 


 

"Kyo?"

Toshiya ließ das Spitzentop, das er in den Händen hielt, nachdenklich sinken.

"... von dem ... hab ich schon einmal gehört, glaub ich ..."

Er runzelte die Stirn.

Sein violetthaariger Gegenüber nickte bestätigend.

"Jup, gut möglich. Er ist ein Sonderling, war er schon immer. Kyo ist strange, in jeder Hinsicht!"

Er lachte leise.

"Er ist so ein Träumer ... immer völlig verplant ..."

Eine Weile war es still, dann räusperte sich Kaoru und zog Toshiya resolut das spitzenbesetzte Oberteil aus den Händen.

"Das nicht, bitte ... nichts mit Schleifchen oder Rüschen, das ertrage ich nicht ...", gab er zur Auskunft und verstaute alle Klamotten, die von derartigen Dingen geziert wurden, schnurstracks wieder in dem Beutel.

"Ich habe Shinya diese Dinge noch nie tragen sehen!", sagte Toshiya und runzelte leicht die Stirn.

"Und das wirst du auch nie. Ganz einfach - Die verabscheut Rueschen und niedliche Kleidchen", antwortete Kaoru und schob Toshiya einen Haufen schwarzer Kleidungsstücke hin.

"Ich übrigens auch", fügte er hinzu. "Aber das hier ist schon eher mein Geschmack." Er deutete zufrieden nickend auf den Kleiderstapel, welchen Toshiya nun an sich nahm und interessiert durchging.

"Und nur weil Die sowas nicht ausstehen kann, zieht Shin es nicht an? Ich dachte, er sei selbst bewusst und könne sich Die gegenüber durchsetzten ...", sagte Toshiya erstaunt. Kaoru jedoch lachte laut auf.

"Oh, da täuscht du dich aber gewaltig. Aber ich habe auch nicht erwartet, dass du das mitbekommst, immerhin schnallen es nicht mal Die oder Shinya selbst ...", entgegnete er grinsend.

"Häh? Was genau meinst du?", fragte Toshiya und musterte sein Gegenüber mit erstauntem Gesichtsausdruck.

"Naja, es ist so ... Daidai und ShinShin sind - einfach ausgedrückt - total ineinander vernarrt. Sie treffen sich ständig, telefonieren miteinander, machen alles gemeinsam, aber keiner der beiden will sich eingestehen, dass es mehr als nur Freundschaft ist ..."

"Sie sind ... verliebt?"

Kaoru schmunzelte.

"Wenn sie es nicht sind, dann schmeiße ich sofort die Schule und lasse mich als Einsiedler in Tibet nieder."

Toshiya gelang es nicht, etwas entgegenzusetzen, er brach bei dem bloßen Gedanken an seinen Freund in Mönchstracht in unkontrolliertes Kichern aus, das Kaoru nur mit hochgezogener Augenbraue zur Kenntnis nahm.

"Nein, du sollst es dir nicht vorstellen", sagte er, die Gedanken des Anderen erratend.

"Ach komm schon, Glatze würde dir sooooo gut stehen!!"

Der Blauhaarige spranng auf, riss irgendeinen Schlafanzug aus seinem Kleiderschrank und war im Bad verschwunden noch bevor sein entrüsteter Freund etwas erwidern konnte.
 

Der schwarze Funkwecker in Toshiyas Zimmer begann am nächsten Morgen, wie sonst auch, um Punkt 6:00 Uhr erbarmungslos zu schellen. Einen Augenblick später tasteten vier Hände im Dunkeln ungeschickt nach dem lärmenden Objekt, um es sofort abzuwürgen.

Genau 54 Minuten und 31 Sekunden später stieß Toshiya die Tür zur Küche auf und mehrere Dinge passierten auf einmal: Uruha, der Kaffee trinkend am Kühlschrank gelehnt hatte, ließ beim Anblick seines Bruders die Tasse fallen. Ryutaro, dessen Augen auf Uruha geruht hatten und der beobachtet hatte, wie diesem die Tasse entglitt, machte eine schnelle Bewegung in Richtung Kühlschrank in der Hoffnung das Gefäß noch zu retten, wobei er versehentlich einen Stuhl umstieß. Sakito sprang ebenfalls vom Tisch auf und versuchte den Herd, auf dem ein großer Topf Milchreis vor sich hinzischte, mit einem einzigen Sprung zu erreichen, stieß mit Ryutaro zusammen und beide landeten auf dem Boden. Vor dem Fenster fiel ein Vogel vom Baum, leider lässt sich nicht feststellen, ob dieses Ereignis auch von Toshiyas Auftreten herrührt.

Kurzum, es dauerte einige Sekunden bis sich die Anwesenden wieder so weit gefangen hatten, dass sie sich zu dem neuen Erscheinungsbild des Blauhaarigen äußern konnten, der, dicht gefolgt von Kaoru, zögernd die Szene betrat. (Der Vogel allerdings blieb liegen, wahrscheinlich war er tot.)

"Ohayoo", murmelte Toshiya scheu und wuselte schnell zu irgendeinem Schrank um irgendetwas herauszuholen. Das war so verdammt peinlich, wieso musste Kaoru auch gerade einen so auffälligen Aufzug auswählen? Und die Haare ... ja, Toshiya _war_ begeistert gewesen, als sein Freund ihm an diesem Morgen einen Spiegel vor das Gesicht gehalten hatte, damit er Frisur und Make-up begutachten konnte (für das die beiden immerhin gut 50 Minuten gebraucht hatten), aber vielleicht war das ganze doch zu auffällig, mit diesen Spikes, die in alle Richtungen abstanden und blau-schwarz schillerten ...

Völlig verunsichert stapelte Toshiya also eine Weile Teller im Schrank aufeinander, schaute Tassen von innen an, rieb sie aus und stellte sie wieder zurück, nur um den anderen nicht das vor Scham errötete Gesicht zuwenden zu müssen.

Eine Weile war es völlig still in der Küche. Draußen trug ein großer Junge mit schwarzen Haaren, auffälligen Tätowierungen und Lippenpiercing Zeitungen aus. Dann sprach Sakito.

"Hey, Kaoru, guten Morgen, äh, willst du Milchreis?", sagte er fröhlich und errötete leicht, als sich der Violetthaarige ihm zuwandte. Ryutaro, der sich wieder an den Küchentisch gesetzt hatte und still seinen Kakao schlürfte, beobachtete seinen Klassenkameraden aufmerksam. Kaoru musterte den Jüngeren ebenfalls kurz und blinzelte.

"Sakito? Darf ich dir eine Frage stellen? Warum sind deine Haare angesengt?", sagte er und starrte auf ein paar rauchende Strähnen, die in Sakitos Stirn hingen.

"Wieso angesengt? Das sieht nur so aus, ich habe sie vorgestern gewaschen, vielleicht sind sie noch nass", gab Sakito zurück, drehte sich zu seinem Topf um und begann seelenruhig darin herumzurühren.

"Deine Haarspitzen glimmen ...", stellte Kaoru fest.

"Tun sie nicht. Möchtest du jetzt Milchreis oder nicht?", gab der Andere leicht beleidigt zurück.

Er füllte etwas von der qualmenden Materie aus dem Topf in eine Schale und hielt sie dem Besucher entgegen, der sie zögernd annahm. Kaoru ließ sich auf einen der Stühle fallen und starrte sekundenlang auf den verkokelten Reis. Dann musterte er erneut Sakitos Haarspitzen, die zwar nicht mehr rauchten, aber immer noch ziemlich rußig aussahen.

"Was ... ist mit seinen Haaren passiert?", raunte Kaoru Ryutaro leise zu, ohne dass Sakito, der sich wieder eifrig am Herd zu schaffen machte, etwas mitbekam.

"Er hat sich nur über den Topf gebeugt und seine Haarspitzen haben Feuer gefangen", flüsterte Ryutaro zurück und nippte schnell an seiner Tasse, um die Mundbewegung zu verstecken.

"Oh", machte Kaoru und schob den Milchreis etwas von sich. "Äh, Saki, äh ... ich ... glaube ich möchte doch lieber - etwas trinken ..."

"Kein Problem!", erwiderte der Jüngere fröhlich und begann die Küchenschränke in Windeseile nach etwas Trinkbarem durchzustöbern.

"Die hier hab ich selbst getrocknet", sagte er einen Herzschlag später, warf ein paar Teeblätter in eine große, gelbe Tasse und goss heißes Wasser darüber. Vielleicht hätte Kaoru auch den Tee höflich ablehnen und sein kurzes, wertloses Leben retten können, hätte Uruha, der langsam wieder aus seinem Schockzustand erwachte, ihm nicht die Gelegenheit dazu genommen, indem er das Wort an Toshiya richtete.

"Neue Frisur?", bemerkte er und warf seinem Bruder einen kalten Blick zu.

"Mmh, hai ...", murmelte der Angesprochene errötend und schlich zum Waschbecken, griff sich einen Lappen und begann den Kaffe am Boden zusammenzuwischen und die Trümmer von Uruhas Tasse aufzulesen.

"Ganz schön bescheuert so viel Geld für ne Frisur auszugeben, die dann nicht mal gut aussieht", sagte Uruha knapp, holte sich ein neues Trinkgegfäß aus dem Schrank und schenkte sich wieder Kaffee ein. "Ach, und morgen, Kaoru ..."

Der Violetthaarige, Sakito und Ryutaro starrten Uruha an. Toshiya jedoch hielt seinen Blick nach unten gerichtet, er schluckte nur und sammelte dann weiter Splitter und Scherben auf.

Sakito hob eine Augenbraue und warf seinem ältesten Bruder, der gelassen sein Getränk schlürfte, als ob nichts gewesen wäre, einen verärgerten Blick zu.

"Die Frisur ist super und sie steht Toshiya ausgezeichnet. Und wie wärs, wenn du ihm helfen würdest das da am Boden zu beseitigen, immerhin hast du die Tasse fallen gelassen", bemerkte er und stellte einen Pott mit dampfendem Tee vor Kaoru auf den Tisch ohne jedoch die Augen von Uruha zu nehmen.

"Wer hat dich denn gefragt? Halt dich da raus!", zischte Uruha gereizt und sprach dann wieder Toshiya an.

"Und diesen Aufzug-", er deutete auf das nachtblaue Lackkleid seines Bruders und die blau-schwarz geringelte Strumpfhose, "würde ich an deiner Stelle auch wieder ausziehen, ist ziemlich unvorteilhaft. Einfach nur lächerlich, dieser Lippenstift (ich hasse Himbeerfarben)."

Er wurde von einem platschenden und dann einem zischenden Geräusch unterbrochen.

Sakito hatte den Kochlöffel in den Topf fallen lassen, dieser löste sich nun blubbernd im Milchreis auf. Der Junge kümmerte sich jedoch nicht darum, er starrte seinen ältesten Bruder nur mit einem Ausdruck tiefster Entrüstung auf dem Gesicht an.

"Sag mal, spinnst du? Was Totchi anhat kann dir doch völlig egal sein, wie kannst du ihn so fertig machen du #~+§&%##", wütete er los und funkelte seinen Bruder mit lodernden Augen an. Dieser warf dem Jüngeren einen erst überraschten, dann verletzten Blick zu.

"Du bist also auf seiner Seite?! SCHÖN!", rief er, knallte seine Tasse auf die Anrichte, so dass Kaffe in alle Richtungen spritzte und verließ die Küche, nicht ohne vorher Wut entbrannt die Tür zuzuschmeißen.

"Seite? Was labert der denn von <<meine Seite>>, <<seine Seite>>, ich bin auf niemandes Seite, was fällt dem eigentlich ein, dieser #*.§$@##", rief Sakito seinem Bruder hitzig nach. Dann wandte er sich seinem treuen Topf zu, griff nach einem neuen Kochlöffel (von dem alten war weit und breit nichts mehr zu sehen) und begann wild im Milchreis herumzurühren, beständig leise vor sich hinfluchend.

Am Tisch warfen sich Ryutaro und Kaoru einen kurzen Blick zu. Der Violetthaarige nickte leicht und beide erhoben sich. Ryu trat zu Sakito an den Herd um legte ihm verschüchtert die Hand auf die Schulter.

"Also ... äh ... vielleicht be-beruhigst du dich ... äh bitte", nuschelte er, seinen ganzen Mut zusammennehmend. Sein Klassenkamerad schüttelte die Hand ab, entgegnete "ICH BIN RUHIG!!!!!" und schlug dreimal heftig gegen den Topf, so dass das Geschirr im Spülbecken daneben laut und protestierend klirrte. Kaoru hatte sich zu Toshiya auf den Boden gekniet, der mit gesenktem Kopf am Kühlschrank kauerte und mit den Tränen kämpfte.

"Hey ... du weißt, dass das nicht stimmt ...", sagt er sanft und legte seinem Freund den Arm um die Schultern. Dieser schniefte und hob die Hand um sich das Gesicht zu reiben, doch Kaoru hielt ihn zurück und tupfte mit seinem eigenen Ärmel vorsichtig die Tränen aus Toshiyas Augen.

"Du musst aufpassen, dass das Make-up nicht verschmiert ... das wäre schade, es sieht nämlich so hübsch aus", sagte er und lächelte, als sein Freund ihn erstaunt anblickte. Schließlich nickte Toshiya, flüsterte "Danke, Kao", erhob sich tapfer uns zupfte sein Kleid zurecht. Der Violetthaarige wollte gerade etwas hinzufügen, als es an der Tür klingelte.

"Geh schon", sagte Sakito immer noch etwas gereizt, aber wesentlich ruhiger als zuvor, doch noch bevor er sich in Richtung Tür bewegen konnte, ging diese auch schon auf und ließ einen großen, rothaarigen Junge herein, der an einem Schokocroissant kaute

"Dein Bruder hat mich rein gelassen, Totchi, woah, hatte DER einen mörderischen Blick drauf ...", plapperte Die und trat in die Küche. Für einen kurzen Augenblick starrten ihn die vier Anderen verständnislos an. Sakito regte sich (mal wieder) zuerst.

"Du bist Die, nicht wahr? Willst du was essen?", fragte er und hielt dem Ankömmling mit unschuldigem Augenaufschlag die Schale Milchreis hin, die Kaoru verschmäht hatte.

"Gern, danke!!", antwortete Die strahlend, nahm das Schüsselchen an sich und begann zu essen bevor dsie Anderen etwas erwidern konnten.

Toshiya schlug sich die Hand vor den Mund. Ryutaro hielt sich die Augen zu. Sakito lächelte zufrieden und verfeinerte die Mahlzeit im Topf mit Tabasko.

"Was ... tust du hier, Die?", sagte Kaoru um die nervöse Stille, die entstanden war, zu überbrücken. Angstschweiß legte sich auf seine Stirn, als er beobachtete, wie sein Freund Löffel um Löffel zum Mund führte.

"Ich war so gespannt auf Totchis Frisur, dass ich vor der Schule einfach noch mal vorbeikommen musste. Sieht super aus, echt!", mampfte der Rotschopf grinsend

"Danke, Die", murmelte Toshiya errötend und fühlte sich noch besser.

"Dieser Lippenstift ist toll, ich wünschte, Shinya würde so was auch mal tragen, aber er hasst ja Make-up ...", fuhr Die fort und hielt Sakito die leere Schale hin, welcher ihm fröhlich pfeifend noch einmal Milchreis hineinschaufelte.

"Das schmeckt echt gut Kleiner ...", wandte sich Die an den jungen Koch, was ihm einen ungläubigen Blick von Seiten Ryutaros einbrachte, "aber was ist das?"

"Haha, das tut doch nichts zur Sache, Die!", winke Sakito lachend ab.

Kaoru dagegen erhob sich, zögerte kurz und drückte seinem rothaarigen Freund dann die Tasse mit dem inzwischen kalten Tee in die Hand, die er nicht angerührt hatte.

"Weißt du ... hier. Zum ... Runterspülen", sagt er und lächelte schief, als sein Freund das Gefäß freudig entgegennahm und auf einen Satz leerte. Dann packte er Toshiyas Hand und zog ihn mit den Worten "Komm, wir machen dein Make-up noch mal, es ist äh zerlaufen" schnell hinter sich her aus der Küche.

Ryutaro hatte eigentlich auch vor, den Raum zu verlassen, aus Furcht vor eventuellen Nebenwirkungen, die sich bei Die aufgrund von Sakitos Essen zeigen könnten (z.B. sein Tod), aber er brachte es nicht fertig seine Augen von dem Rotschopf zu nehmen, der gierig und ohne Anzeichen auf Atemnot, Ausschlag oder Lepra den Milchreis verschlang. Außerdem wollte er bei Sakito bleiben. Der Klassenkamerad mochte ihn schließlich nicht wirklich und vielleicht würde er nie wieder so in seiner Nöhe sein können. Er seufzte traurig auf und dachte daran, wie Toshiyas kleiner Bruder beim Gespräch mit Kaoru errötet war.

"na, wie geht's, Ryu-kun? Von dem Schock erholt?", unterbrach Die, der neben ihm Platz genommen hatte und ein belegtes Brötchen mit Salatblättern verspeiste, auf einmal seine Gedanken.

"Äh? Mmh, ach so, äh ja ...", stotterte Ryutaro und senkte bei dem Gedanken an seinen Lehrer beschämt den Kopf.

"Schock? Welcher Schock?", wiederholte Sakito Stirn runzelnd und räumte das zerschmolzene Überbleibsel von Dies Schale in die Spülmaschine.

"Hast du ihm nichts erzählt?", sagte Die ungläubig und versuchte sich eine Olive in den Mund zu werfen, verfehlte jedoch, die kleine, grüne Frucht prallte wie ein Gummiball an seiner linken Wange ab, fiel zu Boden und kullerte unter den Kühlschrank.

"Verdammt", kommentierte der Rotschopf frustriert, stopfte sich schnell den Rest des Sandwiches in den Mund und machte sich anschließend daran die verunglückte Olive zu retten.

"Wir haben noch Oliven, nimm doch eine von denen!", bot Sakito an während er beobachtete, wie Die verzweifelt mit einem Löffel im schmalen Spalt zwischen Kühlschrank und Boden herumstocherte. "Was hat Ryu mir nicht erzählt?"

"Ich will aber die hier!! ... er ist gestern von seinem Englischlehrer ziemlich [oh fuck!] heftig belästigt worden, stimmt's nicht, Ryu? Der Kleine hatte [verflixt!] wahnsinnige Angst [komm schon!!] und da bei ihm niemand daheim ist [verdammte Olive, komm schon!!] hat Totchi ihn mit zu euch genommen ... wo hast du denn geschlafen, Ryu?", sagte Die und versuchte den Kühlschrank anzuheben.

Sakito starrte Ryutaro nur an, der leise antwortete: "Auf dem Sofa im Wohnzimmer. Sakito hat mir einen Pyjama geliehen, das war so nett!"

Er schenkte seinem Klassenkameraden ein dankbares Lächeln, dieser erwiderte es jedoch nicht.

"Warum hast du nichts gesagt?", fragte Sakito geradeheraus und blickte dem kleinen, zierlichen Jungen in die Augen, während Die kurzzeitig mit der Hand unter dem Kühlschrank stecken blieb und diese erst nach einem harten Kampf wieder frei bekam.

Der schwarzhaarige Junge zuckte nur die Achseln und senkte den Blick auf die Tischplatte. Er erwartete, dass Sakito mit seinem hitzigen Temperament wieder einen Wutausbruch, einen Kochanfall oder ähnliches bekam, doch dieser holte nur etwas aus dem Kühlschrank (wobei er versehentlich auf Die trat) und ließ sich dann in einen Stuhl gegenüber von Ryutaro fallen.

"ich habe ja auch nicht gefragt, stimmt ...", murmelte Sakito nachdenklich, mehr zu sich selbst. Verdutzt hob der Andere den Kopf.

"Du musst echt keine Angst haben, wenn du willst kannst du heute Nacht auch noch hier bleiben, das ist kein Problem für Totchi und mich", fuhr Sakito fort und lächelte seinen Gegenüber süß an.

Als Ryutaro nicht antwortete, fragte er: "Magst du Schokolade?" Die hab ich zwar nicht selbst gemacht, ist aber trotzdem gut ..."

Er schob dem blassen Jungen ein Stück hin.

"Ich liebe Schokolade!", antwortete Ryutaro freudig, nahm die Rippe (also Schokoladenrippe, ne? Mir fällt gerade kein anderes Wort ein u.u") an sich und biss eine Ecke davon ab.

In diesem Augenblick war er so unbeschreiblich glücklich, dass er am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre. Einen Herzschlag später jedoch standen Kaoru und Toshiya wieder in der Tür und machten die Anderen darauf aufmerksam, dass sie bereits ziemlich spät dran waren, schälten den fluchenden und tobenden Die vom Kühlschrank, vertrösteten ihn mit einem Netz Orangen und verließen fünf Minuten später eilig das Haus.

An einem Dachfenster stand ein hübscher Junge mit blondgefärbten Haaren, der Toshiya mit den Augen folgte, wie er mit seinen Freunden die Straße entlanglief. Als die Meute um die Ecke verschwunden war (mit Ausnahme von Die, der immer wieder versuchte, sich von Kaorus Griff loszureißen und zum haus zurückzukehren und dem Violetthaarigen, der den anderen mit zunehmender Ungeduld wieder einfing), drehte sich Uruha vom Fenster weg, hob den Telefonhörer neben seinem Bett ab und wählte aus dem Gedächtnis eine Nummer.

"Daishi, bist du's? Hier ist Uruha ... nein, ich komme heute nicht zur Uni, mir geht's nicht so besonders ... aber könntest du heute Abend vielleicht mal vorbeikommen? Ich muss mit jemandem reden ... wie? ... is egal, bring ihn einfach mit ... ja, bis dann, baibai."

Damit knallte er den Herr etwas fester als beabsichtigt auf die Gabel, ließ sich auf sein Bett sinken und vergrub das Gesicht in den Händen.

"Das ist nicht fair, Toshiya ..."
 

Durch das Tor über den Pausenhof. Die großen Türen auf und in den breiten Schulflur. Toshiya und seine neuen Freunde mischten sich unter die Schülermassen, die auf den Gängen vor ihren Klassenzimmern herumdümpelten. Sakito zeigte sich zuerst wenig begeistert mit Ryutaro im Schlepptau zum Unterricht zu erscheinen, willigte jedoch ein, als er den traurigen Gesichtsausdruck des anderen bemerkte und ging zerknirscht in Richtung 10. Klasse voraus, einen verschüchterten Ryutaro hinter sich herschleifend.

Da von Shinya weit und breit nichts zu sehen war, machten sich die anderen drei alleine auf den Weg zu ihren Klassnräumen. Während sie so den Gang entlang schlenderten und sich unterhielten (okay, eigentlich konnte sich Die nicht wirklich an der Konversation beteiligen, da er zum einen völlig frustriert war, zum anderen den Mund voller Orangen hatte), wandten sich viele Schüler um und dutzende von Blicken folgten Toshiya auf seinem Weg zum Zimmer der 12ten Klasse. Diese neuartige Situation nahm er erstaunt, aber auch mit einem gewissen Stolz zur Kenntnis. Nie wieder unsichtbar sein und in der Masse der Menschen untergehen. Er wusste zwar immer noch nicht wirklich, wie er sich verhalten sollte, aber bisher lief ja noch alles hervorragend. An der Treppe zum zweiten Stock trennten sich Toshiya und Kaoru von Die, der begonnen hatte beim gehen Nüsse zu knacken (probiert das mal aus, das ist echt nicht leicht, aber Die ist eben ein Naturtalent^^), wobei er die Schalen in seiner linken Jackentasche verschwinden ließ.

Als die beiden um die Ecke bogen, erblickte Toshiya augenblicklich Hakuei, der mit dem Rücken zu ihm vor dem Klassenzimmer stand und offenbar in eine angeregte Unterhaltung verwickelt war, diese langen, schwarzen Rastazöpfe waren wirklich unverkennbar. Die anderen zwei Jungen, die mit ihm über irgendetwas diskutierten, beide in voller visual Montur, Make-up, gestylte Frisuren und allem drum und dran, erblickten den Blauhaarigen und verstummten. Dann begannen sie wie wild auf Hakuei einzureden. Toshiya konnte nicht hören, was gesagt wurde, aber aus der Mimik der zwei ging hervor, dass sie ziemlich geschockt waren. Ein paar Sekunden später drehte sich Hakuei um, sein Blick streifte über die vorübergehenden Schüler, blieb an Toshiya hängen und er erstarrte.

Langsam und mit einem mal sehr eingeschüchtert trottete der Blauhaarige hinter Kaoru her, der das Klassenzimmer anpeilte. Als sie bei der Tür angekommen waren, ließ Toshiya ein leises "ohayou" verlauten und wartete auf den bösartigen Kommentar von Hakuei und seinen Kumpels

Der Junge mit den Rastazöpfen starrte ihn nur völlig entgeistert an, so blieb die Bemerkung aus, wofür Toshiya sehr dankbar war. Er ging schnell weiter, bevor Hakuei seine Stimme wieder fand. Insgeheim wusste er, dass er den Spötteleien nur kurzzeitig entkommen war.

Als Kaoru und er den Raum betraten und durch die Klasse auf ihren Tisch zugingen, legte sich einen Moment Totenstille auf das Zimmer. Eine Sekunde später erhob sich ein allgemeines Raunen und Flüstern, Mädchen deuteten auf Toshiya und tuschelten miteinander hinter vorgehaltener Hand, Jungen warfen ihm unauffällige, interessierte Blicke zu.

Der junge Japaner stellte seine Tasche neben den Tisch und ließ sich dann langsam und mit sehr erstauntem Gesichtsausdruck auf seinen Stuhl sinken. Kaoru tat es ihm gleich.

"Hast du erwartet, dass sie lachen?", sagte der Violetthaarige leise zu seinem Freund und grinste, als dieser verdutzt nickte.

"Lass mich raten ... du hast eine derartige Reaktion absolut nicht erwartet? Toshiya, mal im Ernst ... ich glaube du weißt nicht, wie du aussiehst ... diese Leute sind nicht angewidert oder belustigt, die sind schockiert und fasziniert ... jemand, der so aussieht wie du zieht schon genug Blicke auf sich, aber dann auch noch im Kontrast zu deinem früheren Auftreten ... um nichts in der Welt hätte ich diesen Blick von Hakuei verpassen wollen!"

Er kicherte verhalten und begann seine Bücher auszupacken.

Toshiya schwieg eine Weile, das Flüstern seiner Mitschüler klang langsam ab, doch er wurde nach wie vor von allen Seiten gemustert.

"War ich ... so ... hässlich vorher? So ... verabscheuungswürdig?", murmelte er schließlich und senkte bestürzt den Kopf.

"Nein, Totchi, du hast mich falsch verstanden ...", warf kaoru sofort ein, drehte dem nachbar das gesicht zu und betrachtete ihn mit strengem Blick. "Du warst einfach unauffällig, du weißt selbst, dass du alles daran gesetzt hast, möglichst keine Aufmerksamkeit auf dich zu lenken ... einige von denen hier", er deutete mit einem Nicken auf die Mitschüler, die sich nun wieder in normaler Lautstärke unterhielten, " ... nehmen dich heute vielleicht zum ersten mal bewusst wahr ... aber du warst doch nicht <<hässlich>>! Dein neuer Aufzug hebt nur die Dinge hervor, die du vorher schon hattest. Dein hübsches Gesicht und so hattest du immer schon. Ich habe dich schon immer so gesehen", sagte Kaoru sehr ernst und schaute dem Anderen fest in die Augen. Dieser begriff nicht sofort, dann wurde ihm das Kompliment bewusst, er errötete heftig und stammelte: "A-arigatou ... da-das musst du doch nicht sagen ...!"

Kaoru schüttelte nur den Kopf und der Blauhaarige wusste es solle heißen, dass er das nicht nur einfach so dahersagte, um seinem Freund zu schmeicheln, sondern es wirklich so meinte.

"Hey, ich bin dein Freund, ich muss doch sehen, wie du wirklich bist ...", sagte Kaoru warm lächelnd und der Andere spürte deutlich, wie gut ihm solche Komplimente taten. In diesem Augenblick war Toshiya einfach nur glücklich. Auch als der Unterricht längst begonnen hatte, musste er immer wieder darüber nachdenken, dass er einen Menschen, der so ehrlich zu ihm war, so freundlich und ihn so akzeptierte wie Kaoru, vielleicht nie wieder finden würde.
 

In der ersten Pause trafen sich Die, Shinya, Toshiya und Kaoru wie immer auf der Männertoilette, um nicht von umherstreifenden Lehrern auf den Pausenhof und damit in die Kälte geschickt zu werden. Shinya bewunderte eine ganze Weile Toshiyas neue Frisur und sagte dann lachend, dass dem Blauhaarigen die Kleider viel besser ständen als ihm selbst.

"Das liegt nur daran, dass du dich ja nie schminken willst, Shin-chan ...", murmelte Die in seinen Döner.

"Nani?!", sagte Shinya und drehte sich zu dem Rotschopf um, der in einer offenen Kabine auf dem Klodeckel saß und sein Pausenbrot aß. Er wirkte deprimiert und trug ein Gesicht wie zwölf Jahre Regenwetter zur Schau.

Der große Japaner warf seinem Freund einen kurzen Blick zu und antwortete dann: "ich sagte, möchtest du etwas essen? Ich habe keinen Appetit und das Zeug wird alles übrig bleiben ..."

"Iie, danke Die, jetzt nicht, ich muss Toshiyas Eyeliner nachziehen", entgegnete Shinya kopfschüttelnd, schubste den Blauhaarigen sogleich zum Waschbecken und begann eifrig sein Gesicht zu bearbeiten. Ein Siebtklässler, der aus einer Kabine neben Die kam (das erste Wesen, seit vier Jahren, das gewagt hatte, die Toilette im ersten Stock zu benutzen) und an eines der Waschbecken trat um sich die Hände zu waschen, warf den beiden Jungen einen scheelen Blick zu. Als Shinya versehentlich etwas Lidschatten auf den Boden, dicht neben den Fuß des Schülers bröselte, sprang dieser erschrocken einen Schritt zurück und verließ dann fluchartig die Toilette.

Kaoru beobachtete Shinya eine Weile grinsend.

"Du liebst es, andere zu bemuttern, was Shin-chan?", sagte er dann und Die nickte zustimmend: "Sag ich doch ..."

"Was hast du gesagt?", fragte Shinya, bedachte Kaoru mit einem verärgerten Blick und trat einen Schritt zur Seite um Die im Spiegel mustern zu können.

Der Rotschopf seinerseits warf dem Spiegelbild seines Freundes ebenfalls einen kurzen Blick zu und nuschelte: "Ich sagte, willst du echt nichts? Hab noch drei Döner dabei und keinen Hunger mehr ..."

"Zum letzten mal, Daisuke, nein, danke!", sagte der Blonde genervt und hüllte Toshiya in eine Wolke aus Haarspray bei dem Versuch ein paar verrutschte Spikes zu fixieren. Gerade als er dem Blauhaarigen noch seine Kette umlegen wollte, schwang die Toilettentür auf, doch diesmal war es nicht Ryutaro, der eintrat, sondern ein großer, junger Mann mit nachtschwarzen Haaren, sehr vielen Tätowierungen und einem Lippenpiercing, das sofort ins Auge fiel.

"Ich wusste, hier würden sich einige dieser hinterhältigen, fiesen Schülerkreaturen verstecken!", wütete er und warf den vier Jungen, die wie verdattert zur Tür starrten, abwechselnd tödliche Blicke zu.

"Jetzt aber husch-husch in die Pause, frische Luft kann eueren mickrige, verkümmerten Gehirnzellen nur gut tun. Ich hoffe ihr erfriert da draußen!", tobte er weiter und fuchtelte mit den Armen wild in der Luft herum um seinen Worten durch entsprechend wüste Gesten Ausdruck zu verleihen.

Also trollten sich die Junge widerwillig in die Pause, die feuerspuckende Person dicht auf den Fersen.

"Was war DAS denn??", fragte Toshiya kurze Zeit später, als sie ein stilles Fleckchen in einer Ecke des Pausenhofes gefunden und sich dort niedergelassen hatten. Shinya legte die Stirn in Falten.

"Den solltest du aber kennen, Totchi. Das war der Vizerektor, Miyavi-sensei ... immer ein unberechenbares Temperament der Gute, aber im Grunde völlig harmlos ...", erklärte er und zupfte ein Haar von Toshiyas Rücken. Dieser starrte den Anderen nur an.

"Den hab ich hier noch nie gesehen! Wie lange ist er hier schon Lehrer?"

"30 Jahre, Totchi", antwortete Shinya mit hochgezogener Augenbraue, "der hat sogar schon meine Mutter unterrichtet."

Toshiya dachte angestrengt nach. Da war doch irgendetwas.

"Der kommt mir so ... bekannt vor ...", murmelte er langsam woraufhin Shinya nur mit den Augen rollte.

"Vizedirektor! Klar kommt er dir bekannt vor!"

Der Blauhaarige schüttelte den Kopf.

"Das meinte ich nicht. Aber ist auch egal. Wisst ihr was, ich sehe mich mal schnell nach Saki und Ryu um, ich hoffe die beiden sind zusammen und es ist alles in Ordnung ... und Die: mach nicht so ein deprimiertes Gesicht. Du bekommst eine neue Olive, ich versprechs dir!"

Ohne Dies ich-will-aber-die-unter-dem-Kühlschrank-Maulen Beachtung zu schenken, verließ der Blauhaarige seine Freunde, überquerte den Pausenhof in Richtung einer Reihe von kleinen Büschen, hinter der sich meistens eine Gruppe von Zehntklässlern aufhielten und verbotene Dinge taten, wie etwa rauchen.

Seinen kleinen Bruder erblickte Toshiya bereits von weitem, er war von einer Schar Jungen und Mädchen umringt, die redeten und lachten. Einer der Schüler übergab sich in ein Blumenbeet, in seiner Hand hielt er etwas, das stark nach einem von Sakitos selbst gemachten Keksen aussah.

::Beliebt wie eh und je::, schoss es Toshiya durch den Kopf, als er bemerkte, wie die Mitschüler seines Bruders um dessen Aufmerksamkeit rangen, einige sogar todesmutig von seinem (selbst gemachten) Pausenbrot kosteten.

::Auch wenn sich der Kleine dessen überhaupt nicht bewusste ist ... oder vielleicht ist es ihm bewusst, aber völlig egal. Ja, das schon eher, er ist ja ziemlich aufmerksam. Er hat echt ein süßes Lächeln ... und hübsch ...::, dachte der Blauhaarige und musterte seinen Bruder stolz aus der Ferne, wobei ihm natürlich nicht auffiel, dass auch er selbst von einigen der Umstehenden heimlich betrachtet wurde.

::Aber wo ist ... : Mit diesem Gedanken hielt der junge Japaner nach Ryutaro Ausschau und wurde auch sogleich fündig: Der zierliche Schüler saß schweigend auf einer kleinen Mauer in Sakitos Nähe und beobachtete ihn mit seinen sanften, tiefen Augen. Ab und zu drehte sich der Andere um und warf Ryutaro einen kurzen, prüfenden Blick zu, den dieser mit seinem schüchternen Lächeln erwiderte. Toshiya musste bei diesem Anblick einfach grinsen. Er wusste genau, dass es seinem Bruder zuwider war, etwas mit Ryutaro zu tun zu haben, Sakito hatte ihn aufgrund seiner Art nie ausstehen können, doch er war bereit auch einmal über seinen eigenen Schatten zu springen und da Toshiya ihn darum gebeten hatte, kümmerte er sich ein wenig um den verschüchterten Klassenkameraden. Zudem begann er Ryutaro vielleicht sogar ein wenig zu mögen, das konnte Toshiya nicht genau sagen, aber irgendwie hatte er den Eindruck.

::Sakito ist so anders als Uruha ... wenn er erkennt, dass er im Unrecht gewesen ist, ändert er seine Meinung ohne daraus einen Hehl zu machen ... ::

Toshiyas Gedanken wurden mit einem mal abrupt unterbrochen.

Aus den Augenwinkeln nahm er etwas war, das seine Aufmerksamkeit auf sich zog: Ein sehr kleiner, sehr zierlicher Junge lehnte an der Wand des Schulhauses, ganz in seiner Nähe und hielt sich den Bauch, als hätte er heftige Schmerzen. Sein Gesicht war verkrampft und kalkweiß, er rutschte an der Mauer hinunter langsam zu Boden, doch da es anscheinend eben zu Beginn der dritten Stunde geläutet hatte, strömten alle Schüler quatschend und diskutierend Richtung Schuleingang, so dass niemand den blonden Jungen bemerkte. So schnell ihn seine Beine trugen und es die dichte Schülermasse erlaubte, schlug sich Toshiya zu der kleinen, am Boden kauernden Gestalt durch.

"Hey, alles okay?", fragte er, kniete sich neben den Jungen und packte ihn vorsichtig an der Schulter. Dieser hob den Kopf und blickte Toshiya durch trübe, glasige Augen an.

"Hai ...", hauchte er kaum hörbar. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen, er zitterte am ganzen Leib. Die erste Reaktion des Blauhaarigen war, seine Jacke auszuziehen und den zierlichen Schüler um die Schultern zu legen. Vermutlich war er ziemlich krank, Grippe oder so, das war aber auch kein Wunder, bei dem hauchdünnen, engen Shirt, das er trug.

"Soll ich dich ins Krankenzimmer bringen?"

Inzwischen waren alle Schüler in Ihren Klassenzimmern verschwunden und der Pausenhof wie leer gefegt. Als der Junge kaum merklich nickte, griff Toshiya ihm unter die Arme, zog ihn hoch und führte ihn dann langsam an der Mauer entlang zum Schuleingang. Obwohl der dünne Schüler relativ lange, blassgelb gefärbte Haare hatte, die in allen Richtungen von seinem Kopf abstanden, war er viel kleiner als Toshiya selbst. Diese zierliche Statur, aber auch seine blasse Haut, das feine Gesicht und die großen dunkelbraunen Augen, die nun gerrötet waren und tränten, trugen dazu bei, dass man den Japaner beinahe für eine Puppe halten könnte.

Das Krankenzimmer lag im Erdgeschoss, ganz am Ende des Ganges. Auf dem Weg dorthin kam Toshiya, der den Kranken mehr trug, als stützte, eine sehr bekannte Gestalt entgegen: Ein Junge mit langen, schwarzen Rastazöpfen, geschminktem Gesicht und knielangem, rot-schwarz geringeltem Pullover. Anscheinend war er auf dem Weg zur Toilette, der Unterricht hatte längst begonnen, und zum zweiten Mal an diesem Tag blieb Hakuei geradezu geschockt stehen und starrte erst Toshiya und dann das Wesen, das in dessen Armen hing, an. Diesmal jedoch wurde er sich anscheinend sofort seines entgeisterten Gesichtsausdruckes bewusst, er schloss schnell den Mund, drehte sich um und ging die Treppe hoch in Richtung Klassenzimmer wieder davon.

::Seltsam, wollte der nicht auf Klo? Wieso macht der denn so plötzlich kehrt? Dieser Kerl ist echt verplant ... aber egal, jetzt gibt es wichtigeres zu tun ... ::, dachte Toshiya, dem der halb ohnmächtige Junge langsam zu schwer wurde.

:: Zum Glück ist er so klein, sonst hätte ich Schwächling ihn vermutlich keinen Zentimeter bewegen können.::

Endlich vor dem Krankenzimmer angekommen, stieß er die Tür auf, hievte den Anderen, der immer noch in seine dunkelblaue Jacke gewickelt war, aufs Bett und zog eine Decke über ihn. Während er noch darüber nachdachte, warum in drei Teufels Namen Hakueis Gemeinheiten an diesem Tag so lange auf sich warten ließen, öffnete der blasse Junge die Augen und fixierte ihn, diesmal mit sehr klarem Blick, ohne ein Wort zu sagen.

"Soll ich in deiner Klasse bescheid sagen, dass du hier bist?", sagte Toshiya nach einer Weile. Diese Augen machten ihn nervös, sie waren so tief, durchdringend und unendlich traurig. Als könne dieses Püppchen seine tiefsten Gedanken und Gefühle erraten.

"Ich habe mich schon abgemeldet. Ich möchte jetzt alleine sein."

Überrascht von der dunklen, vollen Stimme

"Wie heißt du?"

Der Junge drehte sich auf der Liege um und wandte dem Blauhaarigen den Rücken zu.

Stille.

"Bist du krank? Kann ich dir irgendwie helfen, vielleicht einen Arzt holen?"

Der Kranke machte keine Anstalten, Toshiyas Fragen zu beantworten. Erstaunt musterte dieser den schmalen Umriss des Anderen und überlegte, was er tun könnte.

"Okay, dann eben nicht ... ich frag im Sekretariat nach, die werden wissen, wer du bist und deinen Eltern Bescheid sagen ...", seufzte Toshiya schließlich und drehte sich zu Tür. Er hatte bereits die Klinke hinuntergedrückt und war dabei den Raum zu verlassen, als ihn der Junge plötzlich mit lauter, forscher Stimme anredete.

"Nein!", sagte er bestimmt und der Blauhaarige erstarrte erschrocken in seiner Bewegung und drehte sich wieder um.

"Bitte?", fragte er verdutzt.

"Nein", wiederholte der Schüler, der sich, immer noch reichlich blass, im Bett aufgesetzt hatte. "Danke, dass du mich hierher gebracht hast. Du musst niemanden informieren, die Lehrer wissen schon bescheid. Geh jetzt bitte."

Völlig verdattert starrte Toshiya den Blonden an. Er war nicht in der Lage etwas zu erwidern, diese kalten, tiefen Augen und der entschlossene, grimmige Gesichtsausdruck hielten ihn davon ab. Der kleine Schüler hatte so zerbrechlich und sanft ausgesehen, diese zierliche Statur, hübsches Gesicht - doch nun war er alles andere als kindlich und süß. Er wirkte eher wie ein Erwachsener, in seinen Augen lag etwas, das Toshiya verunsicherte.

Also stammelte der Blauhaarige nur, "J-ja, wenn du meinst!", und verließ dann verwirrt den Raum. Bevor er die Tür schloss, warf er noch einen letzten Blick zurück, die Junge ließ sich wieder auf die Liege fallen, noch bleicher als zuvor und schloss die Augen.

Auf dem Weg zu seinem Klassenzimmer überlegte Toshiya kurz, ob er den Wunsch des zierlichen Schülers missachten und doch im Sekretariat vorbeischauen sollte, entschloss sich aber schnell dagegen, als das aufgebrachte, todernste Gesicht des Anderen vor seinem geistigen Auge auftauchte.

::Gruselig::, dachte der Blauhaarige und konnte nicht verhindern, dass ihm ein Schauer den Rücken hinunter lief, ::echt gruselig der Kleine ... ::
 

Vor seinem Klassenzimmer angekommen zögerte er einen Augenblick, öffnete dann vorsichtig die Tür und trat ein. Alle Schüler wandten ihm überrascht das Gesicht zu. Toshiya setzte gerade errötend zu einer Entschuldigung an, doch seine Lehrerin schüttelte nur lächelnd den Kopf und sagte: "Schon gut, Toshiya, setzen Sie sich, Hakuei hat Sie bereits entschuldigt."

Der große Japaner stutzte und warf besagter Person in der letzten Reihe einen erstaunten Blick zu, doch Hakuei blickte konzentriert aus dem Fenster. Er wandte seine Augen zu Kaoru, doch sein Freund erwiderte den fragenden Blick nur mit einem ebenso überraschten Blick.

Also setzte sich Toshiya auf seinen Platz und schlug seine Bücher auf, doch kaum hatte die Lehrerin den Geographieunterricht fortgesetzt, da schob er Kaoru einen kleinen Zettel hin. Der Violetthaarige entfaltete und las ihn, kritzelte schnell etwas darunter und reichte die Nachricht unter dem Tisch zurück. Toshiya schob das weiße Stück Papier unter sein Heft und holte sie hervor, sobald sich seine Lehrerin von der Klasse abwandte um etwas an die Tafel zu schreiben.

Toshiyas Zeilen lauteten:

Hab gerade einen Jungen, dem es ziemlich übel ging, ins Krankenzimmer gebracht. Das war total komisch, er wollte nicht, dass ich Hilfe hole und hat mich weggeschickt. Hakuei hat mich gesehen, anscheinend hat er mich entschuldigt. Warum tut der das??

Darunter hatte sein Freund in seiner sauberen, feinen Handschrift gesetzt:

Keine Ahnung. Er kam hier nur vorhin rein, hat leise was zur Lehrerin gesagt und sich auf seinen Platz gesetzt. Wer war denn der Junge?
 

"Erzähl ich dir später.", raunte der Blauhaarige seinem Freund zu und begann von der Tafel abzuschreiben, doch seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Hakuei war an diesem Tag nicht er selbst gewesen, er machte einen verplanten Eindruck, doch Toshiya war eigentlich ganz froh, in Ruhe gelassen zu werden. Viel mehr beschäftigte ihn dieser kleine Junge mit den großen, dunklen Augen und die Tatsache, dass er aus irgendeinem Grund jede weitere Hilfe von ihm abgelehnt hatte.

::Ich muss herausfinden, wer er ist ... ::

4

Walking proud
 

Autor: Clea

Pairings: Na, schon ne Ahnung?

Kommentar: Ich freue mich immer über euere Kommentare, schön zu wissen, dass das Ganze jemand liest ...
 

Teil 4
 

"Macht Saki eigentlich jede sechste Stunde blau?", fragte Toshiya schmunzelnd und stieß das Gartentor auf. Der schmale, gepflasterte Weg zum Haus lag gepflegt und mit Blumen gesäumt vor ihnen da.

"Er ist nach Chemie einfach gegangen ... weiß nicht ..."

Ryutaro zuckte die Achseln.

"H-hätte ich ihn aufhalten sollen?"

Er warf dem Blauhaarigen einen schuldbewussten Blick zu, während er ihm die Stufen hinauf zur Haustür folgte. Dieser jedoch machte mit dem Schlüsselbund in der Hand eine abwinkende Geste und erwiderte lachend: "Quatsch, der Kleine wird schon wissen was er tut ... außerdem ist er sowieso so schlau - was soll er da mit Unterricht ..."

Toshiya steckte grinsend den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um. Doch urplötzlich erstarrte er mitten in seiner Bewegung und wandte den Kopf erstaunt zum Gartentor zurück.

Die Straße entlang und durch den Vorgarten wankte ein rothaariger Junge, direkt auf Toshiya und Ryutaro zu. Sein Blick war starr auf die Haustür geheftet, er steuerte zielstrebig an den beiden Jungen vorbei und betrat, ohne ein Wort zu sagen, vor ihnen das Haus.

Toshiya warf dem Schwarzhaarigen einen irritierten Blick zu.

"War das - Die?"

"I-ich weiß nicht ...", kam die unsichere Antwort zurück. "Er sah aus wie Die ... aber ... ha-hast du diese Augen gesehen? Gruselig ..."

Ryutaro schüttelte erschrocken den Kopf. Der Blauhaarige seinerseits zuckte nur die Achseln und trat in den Hausflur.

"Sakiiiiiiiiiiiiiiiiii????!!!! Bist du da-haaaaa??!!", rief er in die unergründlichen Tiefen des Hauses. Ein Koboldmaki, der sich hinter dem Schirmständer verborgen hatte [Anm. der Autorin: Glaubt mir, diese Dinger sind überall, total fies!!] floh, aufgeschreckt durch den Lärm, durch die offene Haustür und rannte direkt in ein fahrendes Auto.

"Oh", kommentierte Toshiya. "Maki is tot." [Anm. der Autorin: YEAH!!! ENDLICH!!! Gott, danke Y.Y ... länger hätte ich das dumme Viech nicht ausgehalten ... da siehst du mal, was passiert, wenn man mich nervt, Levin!]

Langsam streifte er seine Jacke ab und ließ sie zu Boden gleiten. Der andere tat es ihm gleich und gemeinsam gingen sie den Flur entlang zur offenen Küchentür, in der der rothaarige Junge stehengeblieben war.

Toshiya warf einen Blick in die Küche, dann einen Blick auf den schweigenden Die. Er sah aus wie versteinert und stierte mit großen, entsetzten Augen in den Raum hinein. Schließlich bemerkte der Blauhaarige Sakito. Sein kleiner Bruder saß auf dem Sofa im Wohnzimmer (der Raum liegt gegenüber der Küche) und studierte konzentriert ein großes, alt aussehendes Buch, das auf seinen Oberschenkeln lag. Die Bilder von Torten und Gebäck, welche die Seiten zierten, verrieten, dass es sich um ein (dem äußeren Zustand nach zu urteilen ziemlich antikes) Kochbuch handelte.

Toshiya räusperte sich.

"Sakito?"

Einen Moment lang herrschte wieder Stille, dann war das Rascheln von Blättern und ein genervtes "Hmmm?" aus dem offenen Wohnzimmer zu vernehmen.

"Sag ..."

Er räusperte sich ein zweites mal.

"War hier nicht mal früher eine Küche?"

Sakito blickte kurz auf, warf Toshiya einen kritischen Blick zu und senkte die Augen wieder auf seine vergilbten Seiten.

" ... möglich ...", murmelte er zerstreut und blätterte um.

"Die ... alles ok?", flüsterte der Blauhaarige mit besorgtem Blick und legte seinem Freund den Arm um die Schulter. Dieser zeigte mit keinerlei Regung, dass er verstanden hatte.

"Du denkst doch nicht immer noch an diese Olive?"

Dies rechter Mundwinkel zuckte.

"Ach komm, reiß dich zusammen", sagte Toshiya streng und tätschelte seinen Freund am rechten Arm.

"Du hast keine Olive mehr, wir haben keine Küche mehr. Das nenne ich Gerechtigkeit, so ist das Leben eben. Wo ist das Problem? Man kann auch ohne Küche sehr gut auskommen!", rief er vergnügt und trat in den leeren Rraum. Jedes Wort, das gesprochen wurde hallte von den kahlen Wänden wieder. Dort wo Schränke gestanden hatten, waren leicht gräulichen Ränder auf den Fließen zu erkennen. Toshiya schaute sich kurz um, verließ seine Ex-Küche und wollte gerade in Richtung Haustür aufbrechen, als Sakito mit einem gewichtigen Es-gibt-eine-einfache-Erklärung-dafür-Blick den Mund öffnete. Toshiya jedoch schüttelte den Kopf.

"Nein. Ich will es gar nicht wissen."

Mit diesen Worten nahm er seine Siebensachen, die er erst vor fünf Minuten im Flur deponiert hatte und verließ das Haus (vermutlich um eine Pizza essen zu gehen). Ryutaro blieb verloren im Flur zurück.

"Sakito?" Er klopfte leise an die geöffnete Wohnzimmertür um sich bemerkbar zu machen.

"Wo äh ist die Küche hin? Äh, also wenn ich fragen darf ..."

Der Angesprochene schlug abrupt sein Buch zu, warf es achtlos beiseite und sprang von Sofa auf und das alles mit einer einzigen Bewegung, was Ryutaro erschrocken zusammenfahren ließ.

"Rausgeschmissen", erklärte er knapp, streckte sich und gähnte.

Den verwirrten Blick seines Klassenkameraden ignorierend, ging Sakito mit großen Schritten auf die Küche zu, schob Die beiseite, zog ein gelbes Maßband mit kleinen, schwarzen Zahlen hervor und maß den Abstand zwischen Türangel und Boden ab. Dann nahm er einen kleinen Notizblock aus der linken Tasche und vermerkte eine Zahl darauf.

Ryutaro rang verzweifelt nach den richtigen Worten.

"Raus ... geschmissen? W-wie meinst du-"

"Die Küche war doch uralt, da kann doch kein anständiges Essen mehr zustande kommen!", unterbrach ihn Sakito, der dabei war die Breite des Rolladengurtes neben dem Fenster abzumessen.

"Von 1995 ... ich will eine modernere, neuere, also hab ich die alte verkauft."

"V-verkauft?", wiederholte Ryutaro ungläubig. Sakito war also nach der fünften Stunde nach Hause gegangen, hatte in Rekordzeit die Küche ausgebaut und verscherbelt?

"An so nen komischen Vogel mit schwarzen Haaren, Lippenpiercing und Tätowierungen ... geh jetzt bitte, ich brauche Ruhe."

Damit ließ er das Maßband fallen, eilte zur Tür und knallte sie zu. Ryutaro gelang es gerade noch rechtzeitig Die zur Seite zu ziehen.

"Puh, das war knapp ... Die, was ist los? Sag doch was, so hab ich dich ja noch nie erlebt ...", flüsterte der zierlich Junge und warf seinem Nebenmann einen sehr besorgten Blick zu.

Dieser reagierte nicht. In seinen Augen lag ein leerer Blick und seine Lippen formten stumm das Wort "weg". Ryutaro begriff.

"Ach Die ... das tut mir wirklich leid! Ehrlich ... aber ... ich fürchte die siehst du nie wieder ... aber... es war doch nur eine Olive ... nun komm schon ... gehen wir was essen ..."

Der Rotschopf wandte dem Zehntklässler langsam den Blick zu.

"Nur eine Olive? ... sie ... sie war einzigartig ... ich wünschte Sakito hätte mich in der Tür zerquetscht ... dann könnte ich bei ihr sein ..."

Mit einem letzten, irren Blick in Ryutaros Richtung drehte Die sich um und schlurfte mit eckigem Gang davon.

"I-ich ... äh also ...", stammelte Ryutaro, der mutterseelenallein im Flur zurückblieb und dem nichts einfiel um den Rotschopf aufzuhalten. Eine ganze Weile stand er so da, unschlüssig, ob er Die folgen oder wieder zu Sakito in die Küche zurückgehen sollte. Irgendwie schien beides keine wirkliche Lösung zu sein.

"Was ist, kommst du jetzt endlich?"

Toshiyas Gesicht erschien in der offenen Haustür. Anscheinend hatte er draußen gewartet.

"Mach dir mal keine Sorgen um Die, der wird schon wieder. Und Saki ... äh der wird im Normalfall auch wieder ... also hoffe ich. Gehen wir was essen und genießen wir es, solange wir noch können!"

Der Blauhaarige streckte Ryutaro lachend seine Jacke entgegen.
 

"Wie, und Die hat seitdem nichts mehr gegessen?"

Mit schockiertem Blick starrte Toshiya seinen Freund an. Dieser schüttelte nur traurig den Kopf und rührte in seiner Tasse herum.

"Nein, nichts. ... übrigens ... schmeckt gut dieser Tee zum Anrühren", sagte Shinya und lächelte matt. Toshiya grinste schief zurück und erwiderte: "Ich weiß er schmeckt furchtbar ... aber wer weiß, was wir bekommen, wenn Sakitos neue Küche da ist ..."

Der Blauhaarige nahm mit leicht angewidertem Gesicht einen tiefen Schluck aus seiner Tasse. "Und er hat wirklich nichts gegessen? Also so gar nichts? Das ... kann ich mir einfach nicht vorstellen ..."

"Naja ... soweit ich das mitverfolgen konnte hatte er Müsli, drei Pausenbrote, einen Teller Nudeln zum Mittagessen und ein Stück Kuchen. Und einen Apfel. Aber ich meine ..."

Shinya ließ verzweifelt die Schultern hängen.

"Das ist doch fast nichts! Ich bin völlig ratlos. Ich mach mir solche Sorgen, Totchi, was soll ich nur tun?"

Der Angesprochene stellte seine geblümte Tasse auf den Schreibtisch, erhob sich und ging zum Bett hinüber, auf dem Shinya im Schneidersitz saß. Er umarmte seinen Freund kurz und flüsterte: "Ich bin mir sicher, das geht vorüber. Sei einfach für ihn da, ja?"

"Ok ... du hast recht Totchi, ich werde versuchen, stark zu sein ...", antwortete Shinya und nickte tapfer.

"Muss jetzt gehen, ich schau noch mal bei Die vorbei, vielleicht hat sich seine Stimmung schon ein wenig gebessert. Er ist so deprimiert ... machs gut und - danke für den Tee."

Damit erhob sich der schlanke, blonde Junge, durchquerte Toshiyas Zimmer und öffnete die Tür. Die beiden gingen schweigend die Treppe hinunter, Shinya nickte noch einmal stumm zum Abschied.

Kurze Zeit später war Toshiya allein im dunklen, fensterlosen Flur. Er schloss die Augen und ließ die Stille auf sich wirken. Shinyas Schritte auf dem Asphalt des Gehweges waren noch kurz wie aus weiter Ferne zu hören, dann fiel vollkommene Stille über das Haus.

Vollkommene Stille.

Kein Geflüster war zu hören, keine gedämpften Stimmen aus irgendwelchen Zimmern.

Gar keine.

Nicht einmal der Ansatz eines Geräusches.

Toshiya öffnete wieder die Augen und runzelte die Stirn.

Es war ja wirklich absolut still. So ... ganz und gar nicht normal.

"Saki? Ryu? Alles in Ordnung?"

Keine Antwort.

Eigentlich hatte Sakito noch irgendetwas in seiner Küche erledigen wollen und Ryutaro hatte sich sofort dazu bereiterklärt ihm bei der Arbeit zur Hand zu gehen. Dass sich die beiden inzwischen anscheinend besser verstanden, hatte Toshiya mit freudiger Überraschung zur Kenntnis genommen. Sein kleiner Bruder schien die Abneigung, die er für seinen Klassenkameraden hegte, tatsächlich soweit überwunden zu haben.

Langsam näherte sich der Blauhaarige der geschlossenen Küchentür, doch noch immer war nicht der Hauch eines Geräusches zu vernehmen. Kein Kratzen, kein Schaben, keine Schritte, nichts. Irgendetwas hielt Toshiya davon ab, zu klopfen und einzutreten, also legte er vorsichtig sein rechtes Ohr an das kalte Holz, in der Hoffnung irgendeinen Gesprächsfetzen aufzuschappen.

Als seine Mutter an diesem Nachmittag nach Hause gekommen war und wider Erwarten keine Küche vorgefunden hatte, wäre sie vor Entsetzen beinahe umgefallen. Nach einem eindringlichen Gespräch mit ihrem Jüngsten hatte sie sich dann doch wieder einigermaßen gefangen. Das Ganze war trotzdem etwas zu viel für die Arme gewesen, sie hatte sich bereits vor einer halben Stunde mit zwei Schlaftabletten ins Bett gelegt (eine links eine rechts. Sorry, dämlicher Wortwitz =.= es hat mich einfach gepackt).

::Das gibt's doch nicht! Ich höre absolut gar nichts!::

Eine Sekunde rang er mit sich selbst, dann legte Toshiya mutig eine Hand auf die Türklinke und drückte sie gaaaaanz vorsichtig nach unten. Die Tür öffnete sich lautlos. Angst vor dem was ihn da drinnen erwrten könnte beschlich sein Herz.

Vielleicht war sein kleiner Bruder inzwischen zu Menschengerichten übergegangen. Dann würde für Ryutaro jede Hilfe zu spät kommen.

::Mmh, würde zumindest die Stille erklären ...::, dachte Toshiya und ohrfeigte sich im nächsten Augenblick innerlich für derart brutale Gedanken.

Schließlich gab er sich einen Ruck und streckte seinen Kopf zur Tür herein. Doch das Erste was er erblickte waren nicht etwa die Überreste des zierlichen Zehntklässlers. Ryutaro und Sakito saßen in der Mitte des kahlen Raumes auf dem Boden und unterhielten sich in Zimmerlautstärke. In einer der Ecken stand ein Radio, durch die Boxen drang "Reila" von Gazette. Toshiyas kleiner Bruder war in etwas vertieft, das aussah wie ein Plan des Hauses, die Küche war mit einem großen, roten X gekennzeichnet.

"Hi Toshiya. Ist Shinya schon wieder gegangen?", fragte Ryutaro und lächelte den Gast warm an.

"Ja, der ist weg", murmelte Toshiya verwirrt und warf den beiden Jungen auf dem Boden einen scheelen Blick zu.

"Is was?"

Sakito runzelte genervt die Stirn.

"Weil wenn nicht, dann könntest du uns bitte alleine lassen? Wir müssen hier noch eine Menge planen."

Bei dem Wort "wir" kroch ein feines Rot in Ryutaros Wangen, das Toshiya erstaunt zur Kenntnis nahm.

"Schön, dass ihr euch so gut vertragt, aber äh ... habt ihr euch die ganze Zeit unterhalten?", erwiderte der Blauhaarige und starrte seinen Bruder an.

"Nicht immer, wir haben natürlich auch gearbeitet", entrüstete sich dieser, strich den Plan in seiner Hand glatt und schrieb irgendetwas darauf.

"Aber ..."

"Spielst du vielleicht darauf an, dass du uns nicht gehört hast?"

Sakito beobachtete die Reaktion seines Bruders aus den Augenwinkeln. Völlig erstaunt antwortete dieser: "Äh ja! Genau darüber habe ich mich gerade gewundert."

Mit einem theatralischen Seufzen erhob sich Sakito und musterte seinen Bruder.

"Du hast noch nie was von isolierten Häusern gehört, oder?"

Er schüttelte verständnislos den Kopf.

"Ryu und ich haben diese Küche lediglich ein wenig ... nachisoliert. Mit einem speziellen, chemischen Kunststoff. Die Herstellung hab ich aus einem Buch, das ich heute in der Stadt gekauft hab." Mit einem Kopfnicken deutete Sakito auf das alte Kochbuch, das aufgeschlagen am Boden vor ihm lag.

"Da stehen auch ganz gute Rezepte drin, die ich ausprobieren werde, sobald die neue Küche da ist. Fakt ist: Dieser Raum ist jetzt dank unserer Arbeit vollkommen schalldicht. Du könntest hier etwas in die Luft sprengen ohne dass man im Wohnzimmer etwas davon hören würde."

Zufrieden grinsend bückte sich Sakito, nahm seinen Plan erneut in die Hand und begann irgendwelche Zahlen vor sich hin zu murmeln.

Ryutaro lächelte schüchtern zu Toshiya hinauf, der wie angewurzelt in der Tür stand. Die Worte Rezepte drin, die ich ausprobieren werde, sobald die neue Küche da ist in Kombination mit Du könntest hier etwas in die Luft sprengen hallten schrill und bedrohlich in seinem Kopf wieder. Ohne ein Wort des Abschiedes verließ er schleunigst die Küche und eilte ins Bad um sich abzuschminken. Langsam begann er zu begreifen weshalb sich Sakito kurzerhand für eine neue Kücheneinrichtung entschlossen hatte. Jeder verrückte Wissenschaflter brauchte angemessene Gerätschaften. In diesem Augenblick schwor sich der blauhaarige Junge kein Gerät in dieser neuen Küche anzufassen. Sein Instinkt sagte ihm, dass er das bitter bereuen würde. Vielleicht wäre es das Beste den Raum einfach gar nicht mehr zu betreten. Nur um sicher zu gehen.

Na das konnte ja noch heiter werden.
 

Toshiya drehte das Wasser ab.

::Brr, kalt ...::

Er angelte nach seinem Handtuch und begann seine Haut damit trockenzureiben. Anschließend schüttelte er seine Haare nach vorne und schlug sie in ein Frottetuch ein.

::Und jetzt?::

Der Blauhaarige gähnte. Ins Bett gehen wäre fürs Erste mal ein guter Plan. Er hoffte nur inständig, dass Uruha ihn in Ruhe lassen würde. Bevor er ins Badezimmer zum Duschen gegangen war, hatte er von der Treppe aus gesehen, wie sein älterer Bruder an die Tür gegangen war. Anscheinend hatte er mal wieder Besuch bekommen. Hoffentlich nicht Hakuei. Wobei sich dieser heute ganz human ihm gegenüber verhalten hatte.

Toshiya betrachtete sein Gesicht im Badspiegel und runzelte leicht die Stirn. Eigentlich hatte sich ja an seinem Äußeren nicht allzu viel verändert. Wie Kaoru gesagt hatte: Seine Gesichtszüge und Proportionen waren schließlich gleich geblieben. Wieso also entwickelte Uruha plötzliche eine derartige Eifersucht? Und wieso brachte Hakuei kein Wort mehr in seiner Gegenwart heraus? Verständnislos schüttelte Toshiya den Kopf und murmelte vor sich hin: "Irgendwie sind alle verrückt geworden. Uruha hat Besuch ... ich hoffe nur, ich komme unbemerkt in mein Zimmer. Bevor er sich irgendwas überlegt. Ich kenne ihn ..."

Ein Blick auf die hässliche, fischförmige Uhr über der Tür sagte ihm, dass es halb zehn war. Höchste Zeit schlafen zu gehen. Toshiya war hundemüde, aus irgendeinem Grund hatte ihn der Tag wahnsinnig gestresst. Träge schlüpfte er also in ein viel zu großes, schwarzes Band-T-Shirt von Déspairs Ray, das ihm beinahe bis zu den Knien reichte und verließ haarekämmend das Bad. Tatsächlich erreichte er sein Zimmer ohne aufgehalten, beleidigt, überfallen, oder getötet zu werden. Er lag bereits im Bett, als ihm auffiel, dass er irgendwie durstig war.

"Verdammt", fluchte der Blauhaarige leise vor sich hin und erhob sich wieder. Müde taumelnd schlurfte er zur Tür, die Treppe hinunter und öffnete instinktiv die Küchentür.

::Oh! Hatte ich schon wieder vergessen ...::, dachte er, als ihm auffiel, dass da keine Küche mehr war. In diesem Augenblick fragte er sich zum ersten Mal, wo sein kleiner Bruder eigentlich so Dinge wie Gläser, Pfannen, Töpfe, Wasserhahn, etc. verstaut hatte. Die Tassen für den Tee hatte Sakito ihm an diesem Nachmittag äußerst widerwillig ausgehändigt und sie dann sofort wieder eingezogen und an irgendeinem unbekannten, für Menschen unerreichbaren Ort in einer weit entfernten Dimension verräumt.

"Verdammt, Sakito!" Sein Gehirn war einfach zu müde und lahm, um jetzt darüber nachzudenken, wo er am besten ein Glas fand. Aber es ging ja auch ohne Glas. Zu verschlafen um verärgert zu sein, schleppte sich der verdurstende Schüler also wieder die Treppe hinauf und wankte ins Badezimmer. Und hätte Toshiya nicht das vorher das Licht eingeschalten wäre er mit Sicherheit über den Jungen gefallen, der vor dem Waschbecken am Boden kauerte.
 

"Was wollte Toshiya denn da unten?" Verwundert schaute Ryutaro zur Tür durch die leise Schritte klangen, die sich erst entfernt und die Treppe hinunter bewegt hatten und nach kurzer Zeit wieder hinauf in Richtung Badezimmer kamen.

"Tjaaa, gute Frage. Vermutlich sucht er die hier."

Sakito deutete mit einem gelangweilten Kopfnicken auf den zugezogenen Vorhang vor seinem Fenster. Sein Mitschüler blinzelte ihn verständnislos an.

"Er sucht deine Gardinen? Aber wieso kommt er dann nicht gleich zu dir?"

"Ach quatsch, nicht die Gardinen, du kleiner Trottel. Das was dahinter ist."

Sakito sprang von seinem Bett auf und zog den Vorhang mit einem Ruck zu Seite. Es war einfach nur erstaunlich, wie es Toshiyas kleinem Bruder gelungen war die gesamten Küchengeräte plus Gläser, Töpfe, Teller, Kannen, Besteck und Vasen auf seinem Fensterbrett zu verstauen. Man konnte so zwar nicht mehr hinaussehen, aber das kunstvolle Geflecht aus allem, was eine Küche zu bieten hatte, war ein weitaus beeindruckenderer Anblick. Ryutaro starrte mit aufgerissenen Augen auf die Stapel von Geschirr, die ganz links auf dem Mixer und dem Wasserkocher platziert worden waren und mit jedem Luftzug kaum merklich schwankten.

"Ist natürlich nur vorrübergehend ... willst du nen Tee?"

"J-jetzt??", antwortete Ryutaro verwirrt. Langsam fragte er sich, ob mit seinem Klassenkameraden wirklich alles in Ordnung war.

"Na, du musst ja nicht. Also ich hätte jetzt Lust auf Pfefferminztee. Ich liebe Pfefferminze!", teilte Sakito mit und noch bevor der Andere es verhindern konnte, hatte er bereits zwei Tassen aus dem Gebilde herausgeholt, außerdem ein Päcken voller Teebeutel. Zuletzt zog er blitzschnell an dem ganz zuunterst liegenden Wasserkocher. Sakito steckte das Gerät ein und warf es an. Ryutaro hätte zu gerne gewusst woher in drei Teufels Namen Sakito nun das Wasser für den Tee nehmen wollte, doch er brachte nicht den Mut auf danach zu fragen.

Fünf Minunten später hielten die beiden Jungen dampfende Tassen in den Händen. Sakito saß im Schneidersitz auf seinem Bett und schlürfte den heißen Pfefferminztee. Ryutaro hatte auf dem Schreibtischstuhl Platz genommen und beobachtete den Anderen heimlich und mit leicht gerröteten Wangen.

"Da-danke, dass ich hier schlafen darf ...", murmelte er schließlich kaum hörbar und errötete noch stärker.

"Ach quatsch! Is doch selbstverständlich. Hast du deine Mutter erreicht?", erwiderte Sakito und musterte konzentriert die Schlangenhaut, die in seinem Getränk umherschwamm. Er hatte das Gefühl, dass sie den Geschmack nicht wirklich verbesserte.

"Ja ...", log Ryutaro. Eigentlich hatte er nicht einmal versucht, seine Mutter ans Telefon zu kriegen, weil er genau wusste, dass sie sowieso nicht abheben würde. Sie vermisste ihren Sohn nicht. Vermutlich war sie nicht einmal zu Hause.

"Warum möchtest du deine Ma nicht anrufen?", fragte Sakito zerstreut und vermerkte in seinem Gedächtnis, dass er es das nächstes mal vielleicht bei einem einfachen Pfefferminztee belassen sollte. Zumindest passte Schlange absolut nicht in das Getränk. Schon farblich nicht.

"W-was?", stammelte Ryutaro und starrte seinen Klassenkameraden verwirrt an.

"Du hast schon verstanden", gab dieser zurück. "Aber du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst. Na los, jetzt sei doch nicht immer so steif und verklemmt." Sakito klopfte auf die Bettdecke. "Setz dich hier neben mich."

Ohne darüber nachzudenken gehorchte der zierliche Zehntklässler. Er erhob sich von dem Schreibtischstuhl, setzte sich schüchtern neben Sakito aufs Bett und zog die Beine an. Ohne den Anderen anzublicken, nahm er einen Schluck von seinem warmen Tee und versuchte die Röte auf seinen Wangen zu verbergen, indem er den Kopf senkte und die Haare über sein Gesicht fallen ließ. Woher wusste Sakito, dass er seine Mutter nicht angerufen hatte? Und wenn er es wusste, wieso hatte er dann danach gefragt? Und warum schlug sein Herz nur so schnell, wenn er in seiner Nähe war? Im Augenblick war Ryutaro hin- und hergerissen zwischen dem glücklichen Gefühl, dass er hier bei Sakito sein durfte und der grauenvoll beklemmenden Angst, sich zu blamieren oder den Anderen zu verärgern.

Ein Kichern riss ihn aus seinen wirren Gedanken. Erstaunt und ängstlich zugleich hob Ryutaro den Kopf. Sakito war dabei an seinem Tee zu ersticken.

"Du bist so niedlich, wenn du dich schämst ...", kicherte er und wischte sich Lachtränen aus den Augen. Ryutaro starrte ihn an. Dieser Junge wurde ihm immer suspekter. Konnte er seine Gedanken lesen? Seine Wangen färbten sich dunkelrot.

"Ach, gib das her."

Damit nahm ihm Sakito immer noch ziemlich fröhlich die Tasse aus der Hand und stellte sie neben seine eigene auf den Boden neben das Bett.

"Und jetzt halt still", befahl er und wurde plötzlich sehr ernst.

"W-wie?? W-was?", stotterte Ryutaro. Der Andere seufzte genervt auf.

"Tu einfach was ich sage, ja?"

"Äh o-okay ...", antwortete Ryutaro. Na toll. Jetzt hatte er Sakito auch noch verärgert. Wie machte er das nur immer.

::Ich bin einfach zu dämlich ...::, schalt er sich selbst und versank innerlich in Scham. Doch noch bevor er sich weiter Gedanken darüber machen konnte, was dank ihm alles schiefgelaufen war, geschah etwas, dass ihn so sehr überraschte, dass er außer Stande war in irgendeiner Weise zu reagieren geschweige denn sich den Kopf weiterhin über irgendetwas zu zerbrechen.

Sakito hatte sich zu ihm hinübergebeugt und seine Lippen auf die von Ryutaro gelegt. Sanft fuhr er mit der Zunge über dessen Mund, dann lehnte er sich wieder zurück und beobachtete grinsend, wie sein Mitschüler langsam tiefrot anlief.

Er wartete, bis sich Ryutaro wieder so weit gefasst hatte, dass er antworten konnte.

"Was ------?", war das einzige, das er auf die Schnelle richtig herausbrachte. Sakito gluckste vergnügt und erklärte: "Ich habe mich in dich verliebt. Das."

Ryutaro starrte den Anderen einfach nur an. Er hatte zwar gehört, was Sakito ihm eben mitgeteilt hatte, aber von Verstehen konnte nicht im Entferntesten die Rede sein. Das musste er träumen. So etwas konnte gar nicht passieren.

"Und nein, ich will dich nicht hereinlegen. Und ja, natürlich habe ich gemerkt, was du für mich fühlst. Und nein, ich stehe nicht auf Kaoru. Das war nur so eine ... kurzzeitige, dumme Schwärmerei." Sakito seufzte schwer auf. "Tsss, ich war jung und dumm, verstehst du? Aber zum Glück weiß ich immer sehr schnell, was ich will. Und ich will dich."

Ein ganze Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Sakito wartete geduldig auf Reaktion, während sich in Ryutaro alle Gefühle und Gedanken überschlugen.

"Möchtest du mit mir zusammen sein?", hakte Sakito schließlich nach, da es nicht so aussah, als ob sein Klassenkamerad in den nächsten Stunden noch antworten würde.

Ryutaro schloss die Augen und hauchte: "J-ja! I-ich ... bin ..auch in dich-"

Weiter kam er nicht, etwas schnürte ihm die Kehle zu.

"Nun fang doch nicht an zu weinen ...", tadelte Sakito sanft, rückte näher an seinen Mitschüler heran und zog ihn in die Arme. So gern er den Rat des Anderen befolgt hätte, Ryutaro konnte nicht anders. Er vergrub seinen Kopf in Sakitos Schulter und schluchzte leise. Dieser sagte nichts. Er wusste, dass keine Worte nötig waren. Also strich er seinem neuen Freund nur vorsichtig über den bebenden Rücken und hielt ihn fest. Erstaunlich was man herausfinden konnte, wenn man sich die Mühe gab auf sein Herz zu hören.
 

Toshiya unterdrückte einen Schrei. Damit hatte er absolut gerechnet.

"Was zum-", keuchte er und presste die rechte Handfläche auf sein wild klopfendes Herz. Er hätte nicht gedacht, dass er diesen Jungen so schnell wiedersehen würde. Und erst recht nicht in seinem eigenen Haus. Offenbar war er noch in genau der gleichen Verfassung, wie an diesem Morgen, als der Blauhaarige ihn im Krankenzimmer der Schule zurückgelassen hatte.

Auf dem weinroten Badezimmerteppich saß eine zusammengesunkene Gestalt mit hellblond gefärbten Haaren: Der Junge den Toshiya vor ungefähr zwölf Stunden auf dem Pausenhof gefunden hatte. Auf seiner Stirn standen feine Schweißperlen, er sah einfach nur übel aus. Blass wie eine Leiche, gerötete, blutunterlaufene Augen, gerötete Wangen. Eine Weile stand Toshiya einfach nur da und fühlte sich von dem Déjà-vu erschlagen. Im nächsten Augenblick kniete er bereits neben dem zierlichen Jungen und legte ihm die Hand auf die fieberglühende Stirn.

"Oh Gott ... dass du noch lebst ist wirklich ein Wunder ... aber wie zum Teufel kommst du hierher?", murmelte Toshiya vor sich hin. Bevor er jedoch irgendwelche Maßnahmen ergreifen konnte, schwang die Badezimmertür auf. Toshiyas Kopf wirbelte herum. Uruha. Er lehnte cool im Türrahmen, in seinen Augen lag ein eiskaltes Blitzen. Ohne ein Wort der Erklärung ging er auf die beiden Jungen zu, schubste Toshiya grob zu Seiten und packte den Blonden am dünnen Oberarm.

"Heeeee, was machst du da?!", protestierte Toshiya, als sein Bruder den fiebernden Schüler auf die Beine zerrte und hinter sich her aus dem Bad schleifte.

"Er ist krank, siehst du das nicht??"

Keine Antwort.

Wütend versuchte der Blauhaarige seinen Bruder aufzuhalten, er griff nach ihm und bekam ihn gerade noch am Ärmel zu fassen.

"Sag mal, spinnst du?", zischte dieser, drehte sich abrupt um und entriss ihm mit einer zornigen Bewegung den Ärmel.

"Du willst ja nicht hören", keifte Toshiya zurück. Er war plötzlich hellwach. Sein Blick streifte über den kleinen Jungen, der schwankend neben Uruha stand, die großen, glasigen Augen ins Leere blickend.

"Kümmer dich um deinen eigenen Kram", knurrte Toshiyas Bruder, drehte sich wieder um und verschwand, den Blonden hinter sich herzerrend, in seinem Zimmer.

"Gefühlloses Monster", grummelte Toshiya und schlich zur Zimmertür seines Bruders. Zum zweiten Mal an diesem Tag versuchte er zu lauschen. Glücklicherweise hatte Sakito nur die Küche mit seinem hochisolierenden Chemie-Zeugs abgedichtet. Durch die Tür drangen zwei Stimmen an Toshiyas Ohr. So sehr er sich auch anstrengte, er konnte dennoch nicht hören, was gesagt wurde. Verdrossen drehte er sich also um, verschwand in seinem eigenen Raum, legte sich ins Bett und knipste das Licht aus.

Zehn Minuten später knipste er es wieder an. Dass er so nicht schlafen konnte hätte er eigentlich gleich wissen müssen. Die großen Augen des Jungen wollten ihm nicht aus dem Kopf. Toshiya setzte sich im Bett auf und rieb sich die Augen. Halb elf. Morgen war Schule und er einfach kein Nachtmensch.

::Aber ich kann doch nicht einfach so seelenruhig schlafen gehen, während dieser Kleine halb tot im Nebenzimmer liegt.::

Außerdem wollte er endlich herausfinden, wer er war. Und was machte er ausgerechnet hier? Bestimmt hatte das etwas mit Uruhas ominösem Besuch zu tun. Nur, warum sollte jemand einen so kranken Jungen mit sich herumschleppen, wenn er andere Leute besuchte? Toshiya fiel nur ein vernünftiger Grund ein: Der Kranke wurde irgendwie gebraucht und es war bestimmten Personen völlig egal, wie dreckig es ihm ging. Das sah Uruha ähnlich.

::Wenn es nicht so ist, fress' ich nen Besen::, dachte der Blauhaarige grimmig und stand auf. Was soll's. Wer brauchte schon Schlaf. Den würde er sowieso nicht mehr finden, Toshiya hatte es endgültig aufgegeben. Während er gähnend zur geschlossenen Tür von Uruhas Zimmer schlich, legte er sich in seinem Kopf notdürftig einen Plan zurecht.

::Soll ich wirklich ...?::

Zögernd klopfte er an. Im Raum wurde es schlagartig still. Dann sagte die gereizte Stimme seines Bruders: "Hai?" und Toshiya trat ängstlich ein. Die anwesenden Personen starrten ihn an, als wäre er eine Erscheinung. Im Gesicht seines Bruders konnte der Blauhaarige lesen, dass Uruha nicht mit ihm gerechnet hatte. Toshiya schluckte das Gemisch aus Wut und Angst herunter, das ihm den Hals zuschnürte und begann: "Sorry, dass ich störe äh ... ihm geht's ja nicht so besonders gut", er deutete auf den blonden Jungen, der zusammengesunken an Uruhas Bett lehnte, "und äh ich wollte fragen, ob ich ihm vielleicht einen Tee oder sowas bringen kann ..."

Toshiya verstummte, als er den erzürnten Gesichtsausdruck seines Bruders sah. Doch der andere Junge lächelte nur und antwortete: "Du kannst ihn sogar mitnehmen, er stört hier nur ..."

"Wie kannst du es wagen einfach hier reinzukommen ...", knurrte Uruha, seinen Freund ignorierend und machte einen großen, bedrohlichen Schritt auf Toshiya zu. Der Andere hingegen erhob sich und legte dem Blonden beschwichtigend die Hand auf die Schulter.

"Lass ihn doch ... sieh es positiv, dann sind wir beide los", flüsterte er und bleckte die Zähne. Zu Toshiya gewandt fügte er hinzu: "Obwohl ich nichts dagegen hätte, wenn du ein wenig bei uns bleibst." Er setzte ein schmutziges Grinsen auf. "Ich bin Daishi. Toshiya, nicht wahr?"

Der Blauhaarige ergriff zögernd die Hand, die ihm entgegengestreckt wurde. Er wusste genau, dass Uruha ihn in diesem Augenblick am liebsten getötet hätte, sein Blick sprach Bände.

"Wow du bist total heiß ...", flüsterte Daishi und zog Toshiya an seiner Hand zu sich heran. Dieser starrte den schwarzhaarigen Jungen erschrocken an und zog schleunigst seine Hand weg.

"I-ich nehm ihn mit ...", stotterte er, zwang sich an Uruha und seinem Freund vorbei, zog die Gestalt, die am Bett kauerte vorsichtig nach oben und führte ihn zum Zimmer hinaus.

"Tür zu!", fauchte Uruha ihm nach, Daishi lachte nur laut auf, versetzte Toshiya einen Klaps auf den Hintern und zog die Tür hinter ihm zu.

"Das darf doch nicht wahr sein", murmelte der Blauhaarige erschrocken, während er darauf achtete, dass der Kleinere, der neben ihm herstolperte, nicht zu Boden fiel.

So etwas war ihm noch nie passiert - noch nie hatte sich jemand ihm gegenüber so schamlos verhalten. Obwohl eigentlich gar nichts geschehen war, raste Toshiyas Herz vor Angst. Dieser Daishi war ihm absolut nicht geheuer, seine kalten Augen lösten in ihm den Drang aus, so schnell wie möglich das Weite zu suchen.

"So, du kommst erst mal mit mir ...", murmelte er vor sich hin, nicht sicher, ob der Junge überhaupt noch bei Bewusstsein war.
 

Es klopfte zaghaft.

"Häääh? Äh herein ...", nuschelte Sakito schlaftrunken und rieb sich mit der rechten Hand die Augen. Beinahe elf Uhr. Er musste eingenickt sein.

Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit und Toshiyas Kopf erschien. Er sah nicht minder verschlafen aus.

"Sorry, Saki, ich bräuchte vielleicht eine Tasse Tee oder so etwas, ich habe gesehen, dass bei euch noch Licht brennt und da dachte ich-"

Der Blauhaarige verstummte plötzlich als er die beiden Personen auf dem Bett erblickte: Sakito lehnte mit dem Rücken an der Wand, in seinen Armen hielt er den schlafenden Ryutaro, sein linker Arm barg dessen Kopf. Toshiya starrte seinen Bruder entgeistert an. Dann ganz langsam ging ihm ein Licht auf und er begann sehr breit zu grinsen.

"Aaaaber wenn ich stööööre ...", sagte er gedehnt.

Sakito warf ihm einen verärgerten Blick zu, musste dann aber auch lächeln.

"Nee, schon ok ... hey, Ryu ... ich muss mal kurz aufstehen ..." Er fuhr dem Angesprochenen sanft über die Wange. Dieser regte sich und blinzelte ins helle Licht.

"Hmh? Was ist ...?", murmelte er, löste sich aus der Umarmung seines Freundes, setzte sich auf und rieb sich, leicht schwankend, das Gesicht. Als er Toshiya bemerkte, errötete er heftig und senkte sofort den Kopf.

"Heehee ... wie schön, dass zumindest bei euch alles in Ordnung ist ...", flötete Toshiya vergnügt und wuschelte Ryutaro durch die ohnehin schon sehr zerzausten Haare.

"Keine Sorge Brüderchen, wir haben nichts Unanständiges getan", flötete Sakito zurück, "noch nicht." Damit drückte er seinem Bruder eine Tasse heißen Tees in die Hand.

"W-wie hast du- ich meine, woher so plötzlich...", stammelte Toshiya verdutzt.

"Tja, wenn man die Zeit damit verbringt, dumme Sprüche zu klopfen, entgeht einem eben das Wichtigste", gab Sakito schnippisch zurück und ließ sich wieder auf das Bett neben Ryutaro fallen, dessen Gesicht inzwischen eine einigermaßen normale Farbe angenommen hatte.

"Und warum, wenn ich fragen darf, benötigst du zu dieser späten Stunde ausgerechnet von mir eine Tasse Tee?", gähnte Sakito.

Toshiya warf ihm einen missbilligenden Blick zu.

"Aaalso, ganz einfach. Du hast hier das Geschirr gebunkert, also beschwer dich nicht, wenn ich dich deswegen nerve. Und das Andere ... naja ... äh ... das ist kompliziert zu erklären ..."

Toshiya überlegte wie er den beiden am Geschicktesten mitteilte, was vor sich ging.

Mit ein paar kurzen Sätzen umriss er schließlich sein Problem, wobei er auch von seiner Begegnung in der Schule berichtete. Als Toshiya geendet hatte, runzelte sein Bruder nachdenklich die Stirn.

"Sehr klein, zierlich, blond, merkwürdig? Kommt mir verdammt bekannt vor ..."

"Du ... meinst du vielleicht Kyo?", meldete sich Ryutaro plötzlich schüchtern zu Wort.

"Er geht in unsere Parallelklasse und ... ist wahnsinnig unnahbar. Den Meisten macht er Angst ..."

Dass Ryutaro bei "Den Meisten" sich selbst mit einschloss, war Toshiya natürlich klar, der Junge hatte schließlich vor so ziemlich allem eine Heidenangst. Trotzdem konnte der Blauhaarige gut nachvollziehen was ihm da erzählt wurde. Dieser stechende Blick. Gruselig. Als könnte er auf den Grund der Seele sehen.

"Kann gut sein, dass er es ist ...", überlegte Toshiya. "Wie dem auch sei, ich sehe mal, was ich tun kann. Schlaft nur weiter und nochmal sorry, wegen der Störung. Oyasumi."

"Nacht", antworteten die Jungen im Chor. Dann schloss Sakito seinen Freund sofort wieder in die Arme und zog die Decke über seinen Rücken. Ryutaro kuschelte sich an Sakitos Brust und Toshiya hatte den Eindruck, die Beiden waren schon eingeschlafen, noch bevor er das Licht ausschalten und den Raum verlassen konnte. Vor sich hinlächelnd machte er sich auf den Weg in sein eigenes Zimmer.

Wer hätte das gedacht.

Natürlich, Ryutaro hatte schon vorher ziemlich viel für seinen kleinen Bruder empfunden, das hätte ja ein Blinder mit einem Krückstock bemerkt. Aber dass Sakito selbst - Toshiya schüttelte grinsend den Kopf. Sein Bruder war einfach allen immer einen Schritt voraus.
 

Kyo war wach. Vollkommen bei Bewusstsein saß er auf dem Teppichboden gegen die Heizung gelehnt und verfolgte jede von Toshiyas Bewegungen. Dieser hatte leise das Zimmer betreten und den brühend heißen Tee auf seinem Schreibtisch abgestellt. Nun wandte er sich an den zierlichen Jungen.

"Hi, so sieht man sich wieder." Er lächelte ihn aufmunternd an und fügte hinzu: "Schon etwas besser?"

Als ihm der Andere keine Antwort gab, griff er nach der Tasse und hielt sie Kyo entgegen.

"Hier ... ist aber noch sehr heiß."

Der Blonde beäugte erst Toshiya und dann das Gefäß in dessen Händen mit argwöhnischem Blick.

"Nimm schon!"

Zögernd ließ er sich von dem Blauhaarigen die Tasse in die Hand drücken und starrte finster in die dampfende Flüssigkeit darin. Toshiya beobachtete wie er vorsichtig einen kleinen Schluck nahm.

::Mein Gott, er sieht fürchterlich aus. Total fahl und ausgemergelt! Kümmert sich denn gar niemand um ihn?!::, dachte er bei sich. Laut sagte er: "Der Junge da vorhin ... Daishi ... das ist dein großer Bruder, richtig?"

Kyo schaute auf, musterte den Anderen erneut mit undurchdringlichem Blick und nickte dann kurz.

"Wie lange bist du schon so krank?"

Keine Antwort. Der blonde Junge stierte nur mit fiebrigen Augen weiterhin in seinen Tee. Toshiya bemerkte, dass er mit beiden Händen die heiße Tasse umklammerte. Also erhob er sich, holte eine Wolldecke aus seinem Schrank und legte sie dem Jüngeren wortlos über die Beine.

"Hast du Schmerzen?"

Wieder keine Antwort.

Der Blonde starrte Toshiya einen Augenblick an, oder eher durch ihn hindurch. Dann sprang er auf einmal auf, die Decke glitt zu Boden und eilte zum Schrank neben der Tür. Dort hatte Toshiya all die CDs gestapelt, die er von Sakito ausgeliehen hatte. Kyo zog wortlos ein Album hervor und betrachtete es.

"Nightmare", erklärte Toshiya, woraufhin ihm der Kleinere einen Blick zuwarf, der etwa so viel sagte wie Ich weiß was das ist du Trottel.

"Äh soll ich es einlegen?"

Eine Antwort hätte er auch gar nicht erwartet, er nahm dem Blonden die CD aus den Händen und legte sie in seinen CD-Player ein.

"Mein Lieblingslied davon ist Tokyo Shonen", laberte der Blauhaarige in der Hoffnung irgendwie ein Gespräch aufbauen zu können. Bald schon gab er es auf. Kyo ließ sich, wo er war zu Boden sinken, lehnte seinen Kopf gegen das Regal und schloss erschöpft die Augen. Es dauerte nicht lange und er war eingeschlafen.

Toshiya drehte die Musik ein wenig leiser.

::Das muss ich mir merken ...::, dachte er und tätschelte zerstreut die Hülle des Albums, die er in den Händen hielt. Dann betrachtete er den zierlichen Jungen, der auf seinem Boden eingeschlafen war. Eines war sicher, hier konnte er nicht bleiben. Also schüttelte Toshiya kurz seine müden Glieder aus, kniete sich neben den Jungen, biss die Zähne zusammen und hob ihn auf.

::Na super, wohin jetzt?::

Einzelne Haarsträhnen des Blonden kitzelten ihn im Gesicht. Da er ihn sowieso mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit in der nächsten Sekunde fallen gelassen hätte, platzierte ihn Toshiya kurzerhand auf seinem eigenen Bett. Wie konnte jemand, der so klein und zierlich aussah, gleichzeitig so verdammt schwer sein?

Und nun?

Widerwillig verließ der Blauhaarige sein Zimmer wieder und klopfte noch einmal an die Tür seines Bruders. Eigentlich wollte er ja einfach nur schlafen. Vor seinen Augen erschienen flimmernde Punkte und er musste ein Gähnen unterdrücken, als er schließlich ins Zimmer trat. Der erste Anblick, der sich ihm bot, ließ ihn jedoch seine Müdigkeit für einen Augenblick verdrängen.

"Was'n nun schon wieder?", knurrte Uruha, der auf Daishis Schoß saß und offenbar mit dessen nacktem Oberkörper beschäftigt gewesen war.

::Ich dachte er wäre mit Hakuei zusammen?::, dachte Toshiya erstaunt, laut sagte er zu Daishi:

"Dein Bruder ist eingeschlafen und ähm ... er kann in meinem Zimmer bleiben bis du gehst.Wann gehst du denn?"

Daishi musterte ihn lange mit seinen stechenden, schwarzen Augen bevor er antwortete.

"Euere Mum meinte, ich könnte gerne ein paar Tage bleiben ... jetzt, wo unsere Eltern verreist sind ..."

Seine Lippen umspielte ein widerliches Lächeln, das Toshiya innerlich aufschreien ließ. Das Letzte was er wollte, war, diesen Typen ständig um sich herum zu haben.

"Äh gut. Bai", nuschelte Toshiya und schaffte es die Tür zu erreichen, bevor sein Bruder und dessen Freund vor seinen Augen mit irgendetwas Widerwärtigem loslegten.

Ohne noch mal in seinem Zimmer vorbeizuschauen schlurfte Toshiya die Treppe hinunter ins Wohnzimmer, ließ sich auf Sofa fallen und schlief augenblicklich ein.

Was für ein Abend.

5

Walking proud
 


 

Autor: Clea

Pairings: Ryutaro x Sakito, Hakuei x Uruha, Daishi x Uruha und viiiiele andere ^.~

Kommentar: Ich... danke Shions Schachbrettmustertanga mit violetter Naht, der mich zu dieser Geschichte inspiriert hat u.u Er war die treibende Kraft. Außerdem danke ich meinem Lateinlehrer Herrn Greb, der mir bereits in jungen Jahren beigebracht hat, dass man mit flachen Sprüchen und ohne jeglichen Humor sehr weit kommen kann *wichtigtuerisch hüstel*. Ich habe diesen Gedanken natürlich sofort verwirklicht.

Besondere Anliegen: Würde gerne euere Meinung zum Ende dieses Kapitels hören, bzw. Gedanken, wie es nun weitergeht.
 


 

Teil 5
 

Als Toshiya erwachte fielen bereits erste Sonnenstrahlen durch das Wohnzimmerfenster. Er setzte sich aufrecht, schwankte kurz und rieb sich dann die Augen. Was für eine Nacht. Sein Rücken schmerzte furchtbar.

::Häh?::, dachte er, als ihm klar wurde wo er sich befand. ::Wieso bin ich denn hier?::

Stück für Stück fielen dem Blauhaarigen schließlich die Ereignisse der vergangenen Nacht wieder ein.

::Och nöö... und jetzt noch Schule...::

Seufzend ließ er sich zurück auf die Polster fallen.

Die Ruhe währte nicht lange. Geschwister eben. Sakito kam mit der Lautstärke einer ausgewachsenen Elefantenherde die Treppe hinuntergepoltert, Ryutaro schleifte er am rechten Arm hinter sich her.

"Aufstehen, Brüderlein!!", schrie er und riss voller Tatendrang den Vorhang im Wohnzimmer auf.

"Grmblmpf", machte Toshiya und setzte sich wieder auf. Er rieb sich die Augen ein zweites mal (und wieder ohne davon besonders wach zu werden) und versuchte seinem kleinen Bruder einen vernichtenden Blick zuzuwerfen, was ihm aber nicht so ganz gelang, da ihm die Sonne in die Augen schien und er blinzeln musste.

"Du bist furchtbar wenn du fröhlich bist...", murmelte der Blauhaarige düster und wälzte sich vom Sofa auf seine eigenen Füße.

"... und aus irgendeinem Grund bist du immer dann fröhlich, wenn es sonst niemand ist...", fügte er gähnend hinzu und schlurfte in die Küche. Sakito und Ryutaro folgten ihm, doch der Blauhaarige kam ihnen auf halbem Weg bereits wieder entgegen, zischelte "Verdammt, Saki!!" und trollte sich die Treppe hoch ins Bad.

Sein jüngerer Bruder kicherte hinterhältig.

"Schnellchecker. Er könnte sich ja mal merken, dass die Küche gerade mal nicht da ist."

Auf einmal schob er die Unterlippe vor und schaute seinen Freund schmollend an.

"Er mag nicht, dass ich glücklich bin, hast du es gehört? Ist das nicht unfair?"

Ryutaro musste einfach lächeln. Sakito konnte so verdammt süß sein.

"Ach er meint das doch nicht so...", erklärte er mit seiner leisen Stimme und nahm die Hand seines koi. Schüchtern trat er ein wenig näher an ihn heran, hauchte einen sanften Kuss auf seine Lippen und errötete. Sakito grinste ihn zur Atwort breit an, schlang seine Arme um Ryutaros schmale Hüften und zog ihn in einen tiefen Kuss.

"Oho! Na das ist ja interessant!"

Erschrocken ließen die beiden Jungen voneinander ab. Am Fuß der Treppe lehnte Uruha, ein schmutzigen Lächeln umspielte seine sorgfältig geschminkten Lippen.

"Zwei Schwule in flagranti ertappt. Na wenn das mal kein guter Tag wird!"

Grinsend schlenderte er in Richtung Haustür.

Sakito funkelte ihn böse an.

"Lass uns in Ruhe, Uruha! Außerdem: Das musst ausgerechnet du sagen! Wenigstens treibe ich nicht so schmutzige, hinterhältige Spielchen... weiß dein süßer Hakuei von deinem neuen, putzigen Spielkameraden?"

Einen kurzen Moment sah es aus, als ob Sakito seinen älteren Bruder verärgert hätte, doch dieser fing sich sofort wieder und setzte erneut sein hämisches Grinsen auf.

"Tsss, kümmer dich mal um deine eigenen Angelegenheiten, Kleiner. Naja, Ma wird umfallen, wenn sie das erfährt...", flötete er und nahm seinen Mantel vom Kleiderhaken.

"Pff, ich werde nicht so feige sein wie du und es ihr verheimlichen! Du kannst auch nicht ewig so tun, als wärst du hetero... ich liebe Ryu, ist was falsch daran? Ma wird das verstehen..." Er warf seinem Bruder noch einmal einen trotzigen Blick zu und wandte seine Aufmerksamkeit wieder ganz Ryutaro zu, der bei den letzten Worten zutiefst errötet war.

Uruha wollte noch etwas erwidern, doch in diesem Augenblick kam Daishi die Treppe hinunter. Sein Freund warf ihm die Jacke zu.

"Können wir gehen?"

"Jup," antwortete Daishi, streifte sich mit der rechten Hand ein paar Haarsträhnen hinters Ohr und fing die Jacke. "Äh, bin grad deinem süßen Bruder über den Weg gelaufen. Er besteht darauf, dass ich Kyo entschuldige, muss also nacher noch mal in seiner Schule anrufen. Ich kann Toto einfach nichts abschlagen..."

"To... to?", wiederholte Uruha mit gehobener Augenbraue.
 

"Toto?! TOTO??!!", stammelte Toshiya entsetzt vor sich hin während er versuchte sich Eyeliner aufzumalen.

"Ich glaub dieser notgeile, perverse #*%$& hat sie nicht mehr alle... Toto?... geht's noch? Toto!!... argh, verdammt!"

Mit einem frustrierten Seufzen knallte er schließlich den Pinsel auf das Waschbecken und betrachtete sich im Spiegel. Er würde diesen verdammten Strich niemals gerade hinbekommen.

"Dann eben nur Lidschatten... und noch ein wenig Rouge - oder auch nicht!", murmelte er mit Blick auf die Fischuhr.

"Scheiße, ich bin mal wieder zu spät..."

Hastig warf er seine Schminkutensilien (die er teilweise von Shinya hatte, teilweise stammten sie aus den Schätzen seiner Mutter) in ein kleines Täschchen und raste aus dem Bad in sein Zimmer um seine Schultasche zu holen. Dann noch einmal zurück ins Badezimmer um einen letzten, prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen.

::Und sobald ich in die Stadt komme, werde ich eine neue Uhr fürs Bad besorgen::, schoss ihm im Hinausgehen durch den Kopf.

::Wenn ich noch einmal auf diesen Fisch schauen muss, werde ich wahnsinnig... ::
 

"Woah, wie siehst du denn aus?"

Kaoru starrte seinen Freund, der fünf Minuten vor Stundenbeginn ins Klassenzimmer geschneit kam, mit hochgezogenen Augenbrauen an. Dieser knallte seine Tasche auf das Pult und ließ sich erschöpft in seinen Stuhl fallen. Gerade als er zu einer Anwort ansetzte, ertönte plötzlich eine leise Stimme links von Toshiya.

"Na, sind wir auch da? Ich fürchte mit make-up kannst du da auch nicht mehr viel machen... du siehst nun affig und abgefuckt aus... woah, ich hatte ja keine Ahnung dass man das noch steigern kann..."

Die beiden Freunden wandten ihre Köpfe erstaunt nach links. Giftige Kommentare kamen für gewöhnlich immer von hinten. Aber dieses fiese, breite Grinsen war einfach unverkennbar.

"Hakuei?!" Kaoru runzelte die Stirn. "Erstens: Spar dir deine Kommentare, dein Hirn gibt anscheindend auch nicht viel mehr her als die drei oder vier die du so auf Lager hast." Er klang mit einem mal sehr gereizt. "... und zweitens: Seit wann zum Teufel sitzt du da?"

"S-sitzt?", wiederholte Toshiya entgeistert und starrte auf den Jungen mit den schwarzen Rastalocken, der auf dem Stuhl neben ihm Platz genommen hatte.

"Tja, Damian hatte anscheinend keinen Bock mehr unseren Schlumpf länger auszuhalten... ich war so freundlich mit ihm den Platz zu tauschen...", erklärte Hakuei, dem Anschein nach sehr mit sich selbst zufrieden.

"Schlumpf?? Hast du sie noch alle??", brauste Kaoru auf. "Sieh dich doch mal an, du Möchtegern-Visu!!" Ein wirklich seltener Anblick: Kaoru in Rage.

"S-sitzt?", stotterte Toshiya verzweifelt.

"Ich sage nur, wie es ist. Oder glaubst du, nur weil du und deine kleinen Freunde ihn in eine neue Hülle gesteckt haben, hat er auf einmal seinen alten Charakter abgelegt? Der is doch immer noch der gleiche peinliche, langweilige Loser, der er war, jede Wette...", gab Hakuei gelassen zurück, lehnte sich in seinem Stuhl nach hinten und begann in aller Seelenruhe seine Nägel zu feilen.

"S-sitzt?"

"Hast du sie noch alle? Wie kannst du es wagen Toshiya so zu beleidigen!! Ist es nicht genug, was du ihm schon angetan hast? Du bist so jämmerlich Hakuei, du tust mit leid, dass du so etwas nötig hast!"

Kaoru war aufgesprungen. Mit hochrotem Gesicht starrte er seinen Mitschüler an, der ihm weiterhin keinerlei Beachtung zollte. Die Gespräche im Raum waren verstummt, inzwischen verfolgte die gesamte Klasse gespannt mit, was es denn zu streiten gab. Zumindest musste es wirklich ernst sein, Kaoru war absolut nicht der Typ, der leicht die Beherrschung verlor. Es brauchte schon viel, dass er überhaupt gereizt war.

Was Toshiya betraf: Er war für den Moment viel zu überrumpelt um sich Hakueis Erniedrigungen richtig zu Herzen zu nehmen, dieser Teil kam später, das wusste er aus Erfahrung. Nur: Wieso setzte Kaoru sich derart für ihn ein? Es handelte sich doch nur um Hakueis übliche Sticheleien.

Plötzlich ging die Tür auf und ihr Lateinlehrer betrat die Szene. Augenblicklich verstummte Kaoru. Er ließ sich wortlos auf seinen Platz sinken, ließ es sich aber nicht nehmen, Hakuei noch einen warnenden Blick zuzuwerfen, der so viel sagte wie Beleidige Toshiya und du wirst einen langsamen, schmerzhaften Tod erleiden, was bei dem sonst so ruhigen, geduldigen Schüler eine absolut mörderische Wirkung hatte. Leider bemerkte Hakuei diesen Blick nicht.

Die anderen Schüler der Zwölften, die bis eben noch sehr interessiert dem Streit ihrer beiden Mitschüler gelauscht hatten, setzten ihre gelangweilten Latein-Gesichter auf, zehn Jungen schliefen ein noch bevor ihr Lehrer überhaupt mit dem Unterricht beginnen konnte. Toshiya musste an Sakito denken - Latein und Chemie zählten zu seinen Lieblingsfächern.

::Wirklich komisch der Kleine::, dachte er bei sich, schüttelte mental den Kopf, schaltete sein Hirn ab und schlug sein Heft auf.
 

Wirklich komisch der Kleine war bereits wieder auf dem Weg nach Hause. Aus irgendeinem Grund hatte er keine Lust mehr auf Sport gehabt, außerdem hatte er es sowieso nicht nötig. Nun ja, Mathe konnte man auch sausen lassen und wer in drei Teufels Namen brauchte eigentlich Sozialkunde? Vor allem in Sakitos Fall, der, ohne dass es jemand ahnte, einen höheren IQ als Einstein hatte. Allerdings steckte er ihn gänzlich in seine Kochaktivitäten, was niemand wirklich zu schätzen wusste. Einige seiner Gerichte wären für den ein oder anderen Chemiker ziemlich interessant gewesen. Blöderweise landeten sie fast immer im Müll. Verkanntes Genie.
 

"Oh Gott... das war... einfach nur mörderisch...", hauchte Toshiya mit starrem Blick und ließ seinen Kopf auf das Pult sinken. Nach einer Doppelstunde Latein hatte er immer dringend Ferien oder zumindest eine Runde Schlaf nötig. Oder vielleicht eine kleine Gehirnwäsche, wäre das jetzt angenehm... Es war unheimlich anstrengend gewesen, seinem albernen Lehrer zuzuhören und gleichzeitig im Kopf die wichtigen Fakten römischer Kulturgeschichte von dem ganzen unnützen Zeug zu trennen, dass der liebe Mann die ganze Stunde laberte. So beschäftigt hatte der Blauhaarige seine unruige Nacht völlig verdrängt. Er wollte gerade den Mund aufmachen um Kaoru endlich davon zu berichten, als ein Junge, den er noch nie zuvor gesehen hatte, ihn mit dem Ellbogen ziemlich unsanft in die Seite stieß. Müde hob Toshiya seinen Kopf und blinzelte den schwarzhaarigen Schüler durch trübe, verschleierte Augen an.

"Mmmh? Wssls?", nuschelte er [für denjenigen, der errät, was Toshiya in diesem Augenblick sagen wollte, gibt's eine Ausgabe von Sakitos Werk "Der Tod ist süß - Torten und Gebäck zur Sommerzeit" gratis, auch wenn vermutlich sowieso kein lebendes Wesen auf dieser Welt mit dem Fachjargon darin etwas anfangen könnte; außerdem kriegt ihr eh nicht raus, was er sagen wollte]. Mit den Augen blieb er einen kurzen Moment an dem auffälligen Lippenpiercing und den tätowierten Unterarmen des Jungen hängen. Sein müdes Gehirn versuchte verzweifelt die Person zu identifizieren und gab es schließlich auf.

"Da ist jemand für dich draußen, Hara", antwortete der Schwarzhaarige und machte eine Bewegung, als wolle er einen Schwarm fliegen verscheuchen.

"Wer bist du?", fragte der Blauhaarige verwirrt, woraufhin der Andere ihm einen verletzten Blick zuwarf.

"Miyavi. Ich gehe in deine Klasse. Seit acht Jahren. Aber willst du nicht hinaus gehen? So ein Zehntklässler..."

Toshiya runzelte die Stirn, befeuchtete kurz mit seiner Zunge seine trockenen Augäpfel [ne Scherz^^] und ging beinahe drauf bei dem Versuch die Antwort auf zwei Fragen gleichzeitig zu finden, die ihn in diesem Augenblick unter den Nägeln brannten. Erstens: Wer könnte etwas von ihm wollen? Vielleicht Ryutaro oder Sakito? Es war doch hoffentlich nichts passiert. Und zweitens: Wo hatte er diesen Jungen nur schon einmal gesehen?

Der Blauhaarige gähnte ausgiebig und schlurfte zur Tür. Kaoru holte ihn mit drei Schritten ein und sagte grinsend: "Ok, ich geh schon mal zu Die und Shinya. Wir haben jetzt Pause, falls du es nicht mitbekommen hast. Komm dann nach, ja?"

Toshiyas Antwort wurde von einem erneuten Gähnen erstickt.

"Und tu mir einen Gefallen - schlaf nicht beim Gehen ein, ne Totchi?"

Damit war der Violetthaarige durch die Tür verschwunden. Toshiya trat ebenfalls in den Flur hinaus. Während er noch versuchte seine müden Gehirnzellen in Schwung zu bringen, strömten jede Menge agressiver, lärmender Schüler an ihm vorbei, eine Horde von Fünftklässlern riss ihn beinahe von den Beinen. Als sich das Gewühl einigermaßen gelegt hatte und nur noch vereinzelt Jungen oder Mädchen aus den Klassenzimmern auf die Gänge tröpfelten, begann der Blauhaarige sich suchend umzusehen. Wer hatte gleich noch etwas mit ihm besprechen wollen?

"Hallo!", quietschte ein Stimme links von ihm (wo eigentlich die Wand sein sollte) vergnügt. Erschrocken wirbelte Toshiya herum. Alles was er im ersten Augenblick wahrnahm war ein tannengrüner Minirock und vampirartige Eckzähnchen. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte er ein sehr süßes, kleines Mädchen, das scheinbar aus dem Nichts neben ihm erschienen war. Asiatische Gesichtszüge, hellbraun gefärbte und geglättete Haare, die zu einem niedlichen Zöpfchen am Hinterkopf gebunden waren. Verständnislos starrte Toshiya auf das püppchenartige Wesen, das mit blitzenden Augen und betörendem Lächeln vor ihm stand. Sie war so unglaublich süß, dass man fürchten musste, sie würde am Boden festkleben. Langsam schaltete Toshiya.

::Dieser Rock ist wirklich sehr kurz::, dachte er. Dann, als die Kleine ihn weiterhin erwartungsvoll musterte, klickte es.

"Äh ja? Wolltest du mich sprechen?", fragte er laut und befahl seinem Gehirn das Denken für diesen Tag einfach bleiben zu lassen.

Das Mädchen trat von einem Bein auf das andere, wobei ihren Fußspitzen leicht zueinander zeigten, zweifellos eine Masche um niedlicher auszusehen. Sie kicherte wie irre, ihre Augen funkelten und ihr Zöpfchen wippte. Toshiya starrte sie verwirrt an. Das hatte sie ihm sagen wollen? Hihihikchkchkchmhhihihi?

"Ich bin aus der Zehnten, du hast sicher schon von mir gehört", gab das Mädchen zur Auskunft und lächelte wieder ihr strahlendes Liebe-mich-oder-ich-töte-dich-Lächeln, das einen hervorragenden Blick auf die spitzen Eckzähne bot. Toshiya lief ein Schauer über den Rücken.

"N-nein", erwiderte er noch verwirrter. Was zum Teufel wollte sie von ihm?

Der Gesichtsausdruck des Mädchens wechselte zu einem gefährlichen Grinsen.

"Nun ja hihi dann hörst du eben nun von mir. Ich bin Takumi aus der Zehn c. Meine Lieblingsfächer sind Englisch und Biologie, mein Lieblingsgericht ist Nudeln."

"A-ah ja?", stotterte Toshiya und hatte auf einmal den unweigerlichen Drang zu fliehen. Sein Gehirn zumindest hatte sich schon vor ein paar Minuten aus dem Staub gemacht.

"Ja. Ich liebe den Sommer, puh, ganz schön heiß hier, nicht? Naja, das ist egal, ich habe sowieso nach der vierten aus, ich glaub ich werde sofort ins Schwimmbad gehen. Aber was ich eigentlich sagen wollte - wie geht es Kyo?"

Toshiya starrte sie an und versuchte alles zu erfassen, was sie ihm eben mitgeteilt hatte.

"K-Kyo??"

"Ja, genau der. Ich meine, du bist doch in seiner Klasse, oder? Also ich habe gehört dass Daishi und Kyo bei dir zu Besuch waren, also irgendwie bei deinem Bruder, naja und Kyo war gestern auf einmal verschwunden, ich hab mir solche Sorgen gemacht und-"

Ihr Lächeln war wie weggewischt, aus ihren Augen rollte mit einem Mal eine kleine, glänzende Träne.

::Woah::, dachte Toshiya. Er war auf die Stimmungschwankung in Person getroffen.

"- und es ging ihm so schlecht, sein Bruder ist nicht gut zu ihm *schluchz*, diese Bestie, er ist so falsch *schnief*, ich muss es wissen, er ist mein Ex (ich war jung und dumm) und ich hab versucht bei Kyo anzurufen *schluck*, aber er ist nicht rangegangen, dann bei seinem Bruder, der hat gesagt, Kyo sei bei euch zu Hause, Sakito aus der Parallel hab ich nicht gefunden, also dachte ich du weißt vielleicht was mit ihm los ist."

Toshiya starrte sie an. Nach einiger Zeit begriff er, dass sie aufgehört hatte zu reden. Die Worte flogen sekundenlang in seinem Kopf herum und verursachten dort, wo sie auf die Schädeldecke trafen, einen stechenden Schmerz.

"Könntest du nun sagen, wie es Kyo geht?", hakte Takumi nach, von ihren Tränen plötzlich keine Spur mehr, stattdessen lag wieder dieses beängstigend strahlende Lächeln auf ihren Lippen.

"Ä-äh ja, K-kyo genau ... Sekunde bitte", antwortete Toshiya, schloss kurz die Augen und massierte mit den Fingern konzentriert seine Nasenwurzel in der Hoffnung die Kopfschmerzen loszuwerden. Dann blickte er die Schülerin wieder an und zwang sich in ihre blitzenden Augen zu sehen, auch wenn es den hämmernden Schmerz in seinem Kopf aus irgendeinem Grund verstärkte.

"Der ist bei mir Zuhause. Äh, sein Bruder hat ihn gestern Abend mitgebracht und er hatte Fieber und äh... naja, ich hab ihn ins Bett gelegt. Als ich heute morgen gegangen bin, hat er noch geschlafen. Aber äh... bist du mit Kyo befreundet?"

"Jaaaaaaa", quietschte sie vergnügt. "Meine einzige Liebe!! Und er liebt mich auch unsterblich. Auch wenn er das noch nicht weiß."

Sie begann auf und ab zu hüpfen und ihr süßes Köpfchen zu schütteln.

"Ahso."

Plötzlich empfand er so etwas wie Ehrfurcht vor Kyo.

"Du-huuuuuu?", leierte Takumi. "Darf ich dich was fra-gäääääääään? Bittöööööööööööö!"

Ohne auf Zustimmung zu warten plapperte sie weiter.

"Ich möchte unbedingt nach Kyo sehen ich bin sein einziger Freund und da wollte ich wissen weil er ja bei dir ist ob ich nicht nach der Schule mit zu dir kommen kann ich muss ihm eh noch seine Hausaufgaben bringen er fällt sonst durch ich bin zwar nicht so schlau wie Sakito aber trotzdem ganz gut in der Schule vor allem in Englisch und Biologie das sind ja immerhin meine Lieblingfächer-"

Toshiya blinzelte. Beeindruckend. Ohne Punkt und Komma. Auf eine sehr beängstigende Weise beeindruckend.

Takumi holte Luft (auf was der Blauhaarige seit Beginn ihres Monologes gebannt gewartet hatte) und wollte gerade von Neuem ansetzten, als Toshiya hektisch das Wort ergriff.

"Äh-"

Blöderweise hatte er das getan ohne sich vorher zu überlegen, was er denn sagen könnte.

"Bittöööööööööööööööööööööööööööööööööööööööööööööööööö-"

"Ok ok ok! Komm nach der Schule mit, warte hier vor dem Klassenzimmer auf mich. Meine Ma ist eh nicht zu Hause." Und in Gedanken fügte er hinzu ::Zum Glück, sie würde umkippen, wenn sie wüsste, dass die halbe Schule bei uns zu Besuch ist.::
 

Toshiya ließ sich auf seinen Platz fallen, sein Kopf knallte mit einem lauten, ungesunden Geräusch auf die Tischplatte.

"Um Gottes Willen, Totchi, alles in Ordnung?", fragte Kaoru, der eben an seinen Tisch getreten war und packte seinen blauhaarigen Frend an der Schulter. Dieser hob langsam den Kopf und murmelte: "Warum Kao. Warum hat es diese Welt so auf mich abgesehen. Warum will Gott nicht, dass ich schlafe. Ich will doch nur meine Ru-heee..."

Seine Stimmer riss ab und ging in theatralischem Schluchzen unter. Kaoru tätschelte ihm grinsend den Rücken.

"Was wollte Takumi denn von dir?"

"Du kennst Takumi?"

Der Violetthaarige lachte laut auf und ließ sich auf seinen Platz fallen.

"Hey, wer kennt Taku nicht? War schon mit der halben Schule zusammen..."

Schmunzelnd musterte er sein Religionsarbeitsblatt.

"Aber die Frage mit Gott könntest du gleich nochmal stellen, wir haben ja jetzt Reli..."

Toshiya warf ihm einen strafenden Blick zu.

"Das ist überhaupt nicht lustig, Kao...", murmelte er und ließ seinen Kopf wieder auf den Tisch sinken. Leider konnten die beiden nicht mehr ausdiskutieren, ob es nun lustig sei oder nicht, weil Hakuei an seinen Platz trat und leise summend einen Block und ein Mäppchen aus seiner Tasche holte. Kaorus Gesichtsausdruck verfinsterte sich augenblicklich. Nach einer Weile schaute der Junge mit den Rastalocken auf und musterte den Violetthaarigen mit abschätzigem Blick.

"Ja, ich sitze immer noch hier", sagte er schlicht und setzte sich. Als weder Kaoru noch Toshiya reagierten (allem Anschein nach war Toshiya eingeschlafen) fügte er schließlich hinzu: " ...irgendjemand muss dem Deppen da", er deutet mit herablassendem Nicken auf Toshiyas blauen Haarschopf, "ja erklären, welche Seite er aufschlagen muss."

"Hakuei, lass es sein. Ich warne dich", brummte Kaoru grimmig, doch noch bevor er weitersprechen konnte zupfte ihn jemand am Ärmel.

"Kaoru? Wir haben doch Religion, ne? Irgendwie kommt der Typ nicht... ich glaube du solltest mal im Sekretariat nachfragen, vielleicht hat er sich wieder verlaufen, verplant wie er ist..."

Der Angesprochene fluchte leise, wandte sich dann zu seinem Mitschüler um und erwiderte: "Ist in Ordnung, Miyavi, ich geh gleich." Und zu Hakuei gewandt murmelte er: "Nimm dich zusammen, ja?"

"Oh, keine Sorge, Klassensprecher-sama, ich kann mich beherrschen, auch wenn ich nicht so geduldig und gerecht bin wie Ihr", spöttelte der Schwarzhaarige, doch Kaoru war bereits außer Hörweite.

"Klassensprecher?"

Verschlafen hob Toshiya den Kopf. "Kao ist Klassensprecher? Wieso sagt mir das niemand?"

"Mein Gott...", flüsterte Hakuei leise. Jede falsche Fröhlichkeit war von ihm abgefallen. Er musterte seinen blauhaarigen Banknachbar mit einem Blick, den Toshiya nur als abgrundtiefe Abscheu deuten konnte. Innerlich fiel er in sich zusammen. Er wusste was nun kommen würde.

Hakuei beugte sich zu ihm und hauchte ihm ins Ohr: "Du bist wirklich jämmerlich. Ich frage mich wie so ein beschränkter Idiot wie du es fertigbringt nicht sitzenzubleiben... schau dich doch an! Make-up total verschmiert, wie du aussiehst... traurig. Ich hatte Recht. Du hast dich kein Stück verändert. Du tust mir leid, Toshimasa."

Toshiya hörte schweigend zu, dabei starrte er auf seine Haarspitzen, die auf der Tischplatte lagen. Während Hakuei redete stieg ein vertrautes Gefühl in ihm hoch: Scham. So gerne er wollte, er konnte nicht aus seiner Haut. Die alten Komplexe ließen sich nicht mit ein wenig Schminke und einer neuen Frisur ersticken.

Dieser Tag war einfach zu viel gewesen. Kaum Schlaf, diese ständige Hektik, alles tat ihm weh und nun das. Im nächsten Augenblick schüttelten stumme Schluchzer Toshiyas Schultern. Bei dem Versuch seine aufwallenden Tränen zu verbergen, rieb er sich die müden Augen, was zur Folge hatte, dass sein make-up noch mehr verwischte. Jeder Funken Selbstbewusstsein war wie weggefegt, zusammen mit all den glücklichen Gefühlen der letzten Tage. Und alles nur durch einen gezielten Angriff Hakueis. Dabei hatte alles so gut angefangen. Ganz schön labil. Hakuei sagte nichts mehr, er hatte mal wieder erreicht was er wollte und war rundum zufrieden mit sich. Aufmerksam beobachtete er, wie die zierliche Figur seines Mitschülers unter stummen Schluchzern erzitterte.

"Totchi, nun reiß dich aber zusammen! Hakuei, wenn ich dich in die Finger bekomme..."

Kaorus Stimme ließ den Blauhaarigen aufschrecken. Er blickte in die tiefen Augen seines Freundes, der plötzlich vor ihm stand. Wieso mussten heute alle Menschen aus dem Nichts auftauchen? Nun saß er da und heulte wie ein kleines Kind - das war so peinlich. Aber er konnte einfach nicht anders.

"Reli fällt aus!", verkündete Kaoru, was ein lautes Jubeln zur Folge hatte. Dann setzte er sich neben Toshiya. Dieser starrte konzentriert auf die Tischplatte. Heulsuse.

"Hey, nun komm schon...", sagte Kaoru sanft und legte seinem Freund schützend den Arm um die Schulter, "du weißt genau, dass aller Anfang schwer ist. Lass dich doch nicht von dem unterkriegen. Ich finde, dass du sehr tapfer bist. Hab eben Ryutaro getroffen, er hat mir von deiner Nacht erzählt. Und von Kyo. Du hast dich absolut richtig verhalten."

Er lächelte warm und dem Anderen wurde plötzlich leichter ums Herz.

"Naja, du hast Recht, Kao, ich sollte nicht darauf hören... sorry, ich...", begann er kleinlaut, doch Kaoru winkte nur lächelnd ab. Ein Weile sagten sie beide nichts, dann ergriff der Violetthaarige wieder das Wort.

"Aber ich mache mir ernste Sorgen um Kyo. Du weißt ja, sein Bruder ist ein alter Bekannter von mir - Sandkastenfreund sozusagen." Er kicherte spitzbübisch.

"Pah", machte Toshiya auf einmal. Bei dem Gedanken an Daishi wurde er völlig nüchtern.

"Dass du mit ihm befreundet bist... wundert mich", sagte er kühl.

"Naja, befreundet ist zuviel gesagt. Wir kennen uns eben, hab schon lang kein Wort mehr mit ihm gewechselt. Und eigentlich kenne ich Kyo noch weniger, er redet nicht viel, weißt du?"

Toshiya schaute ihn düster an.

"Hab ich gemerkt, ja."

"Gibt's irgendwas?", sagte Kaoru plötzlich ruhig, woraufhin der Blauhaarige ihn erst irritiert anblickte. Dann wurde ihm klar, dass nicht er gemeint war, sondern Hakuei, der auf seinem Stuhl am Nachbartisch saß und anscheinend interessiert zuhörte.

"Komm, wir gehen nach draußen, die Sonne scheint...", murmelte der Violetthaarige und zog Toshiya hinter sich her zur Tür.

"Wir haben Freistunde, du musst mir jetzt diese ganze Geschichte von vorne bis hinten erzählen..."
 

"Wie, ihr wohnt hier in diesem Viertel? Das ist lustig, weil, weißt du, meine Tante hat hier auch mal gewohnt, sie sagte immer: Nur nette Leute hier! Toll, dass ihr auch hier wohnt, ist dein Bruder zu Hause? Wie viele Brüder hast du denn eigentlich? Hach ist das toll, ich will dich aber nicht zu sehr aufhalten, hörst du? Ich nehm nur Kyo und gehe, anderenfalls, wenn"

An diesem Punkt beschloss Toshiya nicht mehr zuzuhören. Er war auf dem Nachhauseweg, neben ihm sprang eine springfidele Takumi her und plapperte wie ein Wasserfall. Seit acht Minuten. Blöderweise war der Blauhaarige an diesem Tag aufgrund seiner bodenlosen Müdigkeit ziemlich langsam zu Fuß. Sein Schulweg dauerte also doppelt so lange wie sonst. Das Leben meinte es wirklich nicht gut mit ihm. Gerade als er mit großer Anstrengung den Blick von der Straße hob um in einem Anflug von Verzweiflung nach seinem Haus Ausschau zu halten, kam ihm ein Junge mit feuerroten Haaren entgegen. Die? Der Blauhaarige blieb erstaunt stehen.

"Was ist? Warum schaust du so entsetzt Totchi-chan, also so schlimm finde ich das mit meinem Grundschulzeugnis jetzt nicht...", sagte Takumi, unruhig von einem Fuß auf den anderen tretend.

"Die?!", sagte Toshiya laut und ging schnellen Schrittes auf seinen Freund zu.

"Warst du bei uns? Du... wolltest doch nicht etwa nach dieser Olive sehen? Oh Die..."

Der Rotschopf blieb stehen und starrte Toshiya mit leeren, seichten Augen an.

"Diese Sonne irritiert mich. Ich hasse Hitze. Das ist alles so furchtbar deprimierend...", murmelte er monoton und schlurfte weiter.

"Ach du Schande...", flüsterte der Blauhaarige erschrocken. "Ich hoffe er wird wieder..."

Plötzlich packte ihn etwas an der Hand und rieß ihn so abrupt nach vorne, dass Toshiya beinahe gefallen wäre.

"Ko-hooomm doch endlich", jammerte Takumi und schleifte den Älteren weiter. "Ich war bei dir und hab schon mal geklingelt, so lange wie du brauchst!"

::Na, dann kann ich mir zumindest die Mühe sparen jetzt in meiner Tasche nach dem Schlüssel zu suchen::, war das einzige was Toshiya dazu einfiel. Für den Augenblick war er viel zu beschäftigt mit seinen Gedanken an Die. Außerdem war ihm aufgefallen, dass Takumis Rock sehr tief saß und alle Welt einen Blick auf ihren Schachbrettmustertanga werfen konnte. Violette Naht. Wieso nicht rot oder blau? Wieso violett? Dieser Tag machte ihn irre.
 

Langsam öffnete sich die Haustüre. Sakito wollte seinem Bruder gerade Worte der Begrüßung entgegenschleudern, als er Takumi erblickte, die mit strahlendem Lächeln leicht auf- und abwippend vor ihm stand. Der Schwarzhaarige wich augenblicklich zwei große Schritte in die Wohnung zurück (taktisch sehr unklug, da Takumi auf diese Art in den Hausflur huschen konnte).

"N-nein!", rief er entsetzt, die Hände schützend vor sein gesicht.

"Weiche! N-nicht du!!"

"Sakiiiiiiiiiiiiiiii!!!! Du bist ja soooo süüüüüüß!!!!", quietschte die Schülerin, hopste auf den verschreckten Sakito zu und drängte diesen an die Wand. Toshiya glaubte in den Augen seines kleinen Bruders einen Ausdruck der bloßen Panik zu erkennen (die der Blauhaarige wunderbar nachvollziehen konnte).

"W-weg!", keuchte Sakito und presste sich an die Wand, mit großen entsetzten Augen auf die Schülerin blickend, die ihm zu Leibe rückte und in seinem Gesicht herumzuzupfen begann.

::Oh-oh::, dachte Toshiya nur. Interessiert beobachtete der Blauhaarige, wie sein Bruder schreinend davonrannte und hinter Ryutaro, der eben in den Flur getreten war, Deckung suchte. Takumi gluckste vergnügte, wippte ein wenig mit den Zöpfchen, schminkte sich nach und begann dann sich suchend umzublicken.

"Kyo, wo ist er?"

"Hier. Leider in deiner Nähe", antwortete ein genervte Stimme über ihnen.[Ja, Kyo ist Gott.]

Verwundert hob Toshiya den Kopf. Am oberen Ende der Treppe stand der zierliche, blonde Junge, immer noch reichlich blass. Allerdings fiel das bei den Tonnen von weißem make-up nicht mehr wirklich auf. Er trug noch immer seiner zerissene Hose und das dünne, hautenge Löchertop. Anscheinend hatte er seine Augen mit der Absicht seine Krankheit zu verbergen kunstvoll mit schwarzen Kajal umrandet. Toshiya musste zugeben, dass Kyo wirklich hübsch war. Er fragte sich, wie ein lebendiger Mensch sich so sauber und perfekt schminken konnte, seinen eigenen verzweifelten Schminkversuch im Hinterkopf.

Der Junge kam die Treppe hinunter, in seinem Gesicht lag ein finsterer Ausdruck. Toshiya gab sich einen Ruck.

"Du kannst ja sprechen...", scherzte er, doch sein Lächeln erstarb wie ein Mücke, die ins Feuer fliegt, als er Kyos mörderischem Blick begegnete.

"Ich gehe. Versuche nicht mir zu folgen, Takumi, es ist zwecklos." Kyo klang verärgert. Gerade als er die Tür öffnen und in die sonnendurchfluteten Straßen hinaustreten wollte, sprach Sakito ihn an.

"Heee, du kannst doch jetzt nicht gehen!" Mit einem Satz war er hinter dem Rücken seines Freundes hervorgesprungen. Anscheinend hatte er seinen Schock was Takumi betraf überwunden. Diese für ihren Teil schwieg. Und zwar so richtig, mit geschlossenem Mund und so. Anscheinend hatte das Mädchen diese Tastache auch eben bemerkt, sie sprang plötzlich auf ihren Schwarm zu und packt ihn am Handgelenk.

"Genau, du kannst nicht gehen, Kyooooo!", jammerte Takumi, nickte heftig und zeigte ihre spitzen Eckzähnchen.

"Weshalb bist du eigentlich hier?", warf Sakito ein, wieder ganz er selbst.

"Iiiiiiich?" Das zierliche Mädchen schenkte dem Schwarzhaarigen ihr unschuldigstes Lächeln.

"Um Kyo abzuholen, er ist mein Freund!"

"Nein, das konnte ich glücklicherweise verhindern", murmelte Kyo augenrollend. Und dann: "Bai."

"Du kannst nicht gehen, ohne etwas zu essen!", brüllte Sakito ihm nach. "Und ohne dich zu bedanken, also ehrlich."

Genervt drehte Kyo sich zu ihm um, die Hand an der geöffneten Tür.

"Für was bitte?"

"Na also hör mal! Totchi hat dich die halbe Nacht gepflegt, er hat kaum ein Auge zugetan! Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er dich alleine in sein Zimmer geschleppt hat."

Kyo seufzte auf.

"Na schön. Und was muss ich tun, um meine wahnsinnige Dankbarkeit auszudrücken?" Er warf Toshiya einen ziemlich beleidigten Seitenblick zu. Dieser brachte kein Wort heraus. Er hätte niemals gedacht, dass der kleine, blasse Japaner so eine selbstsichere, erwachsene Persönlichkeit hatte. Diese Katzenaugen, die ihn forsch musterten. Ein trotziger Blick lag in ihnen. Irgendetwas an Kyo beeindruckte Toshiya. Die lässige, selbstbewusste Art, die er selbst nie gehabt hatte. Der Blick des Blauhaarigen schweifte zu seinem kleinen Bruder, der mit einem Mal hinterhältig grinste.Toshiya fiel auf, dass seine Hand die Ryutaros hielt.

"Etwas essen!", antwortete er und ging voraus zur Küche.
 

"Hübsch hast du's hier...", gab Takumi zur Auskunft und zeigte wieder ihr strahlendes Lächeln. Obwohl Sakito lautstark protestiert hatte, hatte Toshiya sie schließlich auch zum Essen eingeladen. Erstens hielt er es für höflich und zweitens sollten sie einfach für jede Mahlzeit, die sie in diesem Haus überlebten dankbar sein, alles andere war nicht von Bedeutung. Was Toshiya erstaunte war die Tatsache, dass das Mädchen, nun in Kyos Gegenwart, deutlich weniger redete. Anscheinend konnte man sich in Gesellschaft anderer Menschen halbwegs normal mit ihr unterhalten, wenn man von Quietschlauten wie Iiiiieeee!, Eeeeeeeh??? und Ausrufen wie Kawaiiiiiiiii!!!! und Chuuuuuuuu!! einmal absah. Die fünf Schüler saßen also um das Lagerfeuer in der leeren Küche der Haras herum und brieten Würstchen. Eine Weile sprach niemand, sogar Takumi musste zum Kauen und schlucken ihren Mund schließen. Sie räkelte sich lasziv neben Kyo und warf ihm verführerische Blicke zu, die der Andere stur ignorierte.

"Hast du Toshiya nicht etwas zu sagen?", begann Sakito schließlich streng und klang dabei ganz wie seine Mutter. Kyo bedachte ihn mit einem wütenden Blick, wobei er Takumis Hand wegschlug, die begonnen hatte mit dem Finger Kreise auf seinem Oberschenkel zu ziehen.

"Ja, habe ich", schnappte er, "warum hast du mich nicht einfach dort gelassen, wo ich war? War nicht besonders schön in deinem Bett aufzuwachen, weißt du?"

Toshiya errötete und senkte den Kopf.

"Sorry, ich dachte nur... es ging dir so schlecht und..."

"Lass mal", unterbrach ihn der Blonde und biss von seinem Würstchen ab. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund wurde Takumi bei dem Anblick von einem irren Kicheranfall geschüttelt.

"Ich bin das gewohnt, ok? Ich kann auch ganz gut für mich alleine sorgen", fügte Kyo hinzu und beobachtete den Blauhaarigen mit seinen hübschen Katzenaugen. Dieser fühlte sich unter dem Blick gar nicht wohl, er war so fest und bestimmt, dass Toshiya innerlich zusammenschrumpfte, wenn das nach Hakueis heutigem Angriff überhaupt noch möglich war.

Sakito runzelte die Stirn.

"Gewohnt? Was ist das denn für ein Spruch?", sagte er, doch es klang eher nachdenlich, als aggressiv. Er rückte ein wenig näher zu Ryutaro heran, legte seinen Arm um dessen Hüfte und zog ihn an sich. Eine kleine Bewegung, die die anderen vielleicht nicht unbedingt bemerkt hatten (bis auf Ryutaro natürlich, der hochrot wurde und sich schüchtern an seinen Freund lehnte) und die in Toshiya ein tiefes Gefühl der Bewunderung auslöste. Er sah wie Kyos Augen kurz über Sakitos Hand glitten bevor er antwortete.

"Naja, ich bin eben nicht so ein Muttersöhnchen. Das ist alles." Der letzte Satz ging in einem Hustenanfall unter, der die Wirkung seiner giftigen Antwort völlig verdarb und Takumi entsetzt aufkreischen ließ. Bevor sie allerdings seine Stirn fühlen konnte, hatte sich Kyo erhoben und war zur Tür gegangen. Das Feuer prasselte, knisterte und rauchte. In diesem Augenblick, da aller Augen auf Kyo gerichtet waren, kippte Sakito wie zufällig eine klare Flüssigkeit aus einem kleinen Fläschlein in die züngelnden, roten Flammen. Das Feuer nahm augenblicklich eine nachtschwarze Färbung und begann einen starken Lavendelduft zu verströmen. Verdammt. Er hatte Pfefferminze gewollt. Kyo warf dem Schwarzhaarigen einen kurzen Blick zu und runzelte die Stirn.

"Ich gehe", sagte er knapp.

Immerhin ein halber Abschiedsgruß. Dann wandte er sich an Toshiya.

"Du bist viel zu sozial." Sonst nichts. Trotzdem klang es in den Ohren des Blauhaarigen wie Danke. Ohne auf Antwort zu warten verließ Kyo, gefolgt von Takumi, die Küche und zog die Tür hinter sich zu.

"Er ist so... cool!", murmelte Toshiya beeindruckt und biss zum ersten mal von seinem Würstchen. Als er feststellte, dass sein kleiner Bruder irgendetwas an der Flammenfärbung gedreht hatte und das Fleisch nicht mehr nach dem schmeckte, wonach es schmecken sollte, hielt er es wieder ins Feuer und sah gedankenversunken zu, wie es verkokelte.

Sakito schüttelte verständnislos den Kopf.

"Du bist zu sozial, da hat er ganz Recht. Ne echt, Totchi. Der Kleine ist ein ewig shclechgelaunter Kotzbrocken. Mit erstaunlich überzeugenden Argumenten, zugegeben, er weiß was er will. Das schätze ich an ihm. Aber ein Kotzbrocken."

Toshiya klopfte seine Hände aneinander um den merkwürdig schillernden Ruß loszuwerden.

"Ich kann ihn gar nicht einschätzen", murmelte er.

"Ja, ich habe gesehen, wie schockiert du über ihn warst. Du hast ihm so ein selbstbewusstes Auftreten nicht zugetraut, ne? Naiv wie eh und je." Sakito kicherte. "Naja, ich kenne ihn nicht wirklich, aber man hört ja dies und das. Er legt sich mit seinen Lehrern an, ist immerzu gereizt und wortkarg. Total schräg der Typ, steht auf Blut und Gewalt und nimmt bestimmt Drogen oder so." Der Zehntklässler zuckte die Achseln. "Also für mich ein typischer Fall von schlechtem Elternhaus. Der Vater Alkoholiker, die Mutter sonstwo, sein Bruder ein Idiot."

Toshiya ließ sich das Ganze kurz durch den Kopf gehen.

"Und... hat er Freunde? Mit wem ist er so zusammen?" Sakito zuckte nur die Achseln und antwortete: "In seiner Klasse hat er niemanden... also bis auf Takumi, der lässt ihn seit 'n paar Tagen nicht mehr in Ruhe. Brrr *schauder* der Kerl is beängstigend. Kein Wunder dass er sich mit Kyo zusammentut. Ansonsten ist Kyo öfters mit den Älteren zu sehen, die sich den ganzen Tag betrinken und irgendwelche Dinge kaputt machen. Ne, nix für mich."

Er seufzte theatralisch auf. Eine Weile herrschte Stille, dann sprach plötzlich Ryutaro.

"Er respektiert dich, Saki...", sagte er leise. "Bestimmt, glaub mir. Du hast dich doch damals mit ihm angelegt, weil er Miyavi Geld abgenommen und ihn erpresst hat... Ich... ich hatte das Gefühl, er hat dich verstanden. Und er hat's auch nicht wieder getan."

Sakito blinzelte ungläubig.

"Und das weißt du noch?" Er warf zwei Frösche ins Feuer, die grün platzten. Toshiya beschloss nichts mehr zu essen und legte das frische Würstchen, das er sich eben aus der Packung genommen hatte, wieder zurück.

Ryutaro lächelte. Und zwar so, wie Toshiya es noch nie gesehen hatte. Sein Gesicht wurde ganz weich und sanft, in seine Augen trat ein warmes Leuchten.

::Woah, es ist wahr, Liebe macht schön::, dachte Toshiya beeindruckt und beobachtete wie sich der schüchterne Junge zu seinem Freund beugte und ihn mit unendlicher Zärtlichkeit auf die Wange küsste. Dann passierte etwas, das der Blauhaarige in seinem Leben noch nicht gesehen hatte: Sakito errötete. Toshiya beschloss die beiden allein zu lassen. Als er die Küche verlassen und die Treppe hoch ins Badezimmer geschlurft war, fiel ihm wieder auf, wie schwer seine Glieder waren.

"Ach du schxxx", murmelte er düster mit einem Blick in den Spiegel. Und so war er den ganzen Tag lang herumgelaufen? Er sah auch nicht viel gesünder aus, als Kyo. Am Ende hatte er sich angesteckt. Dieser Kyo, seltsame Person. Die Sorte von menschen, die Toshiya niemals verstehen würde. Sein ganzes Verhalten war ihm unverständlich, ganz anders als Kaoru, der ihm vom ersten Augenblick an vertraut gewesen war.

Aufseufzend griff Toshiya zu einem Wattepad und der Flasche Make-up Entferner im Badschrank und begann sich abzuschminken.

Plötzlich fiel ihm etwas merwkürdiges auf.

Verwirrt ließ er die Watte sinken und starrte auf sein Spiegelbild. In seinem Kopf tauchte Sakito auf, der sagte Bis auf Takumi, der lässt ihn seit 'n paar Tagen nicht mehr in Ruhe. Brrr *schauder* der Kerl is beängstigend.
 

... er?
 

ER?
 

Nachdem er sich von seinem Schock wieder einigermaßen erholt hatte, hatte Toshiya auf einmal das furchtbare Bedürfnis mit irgendjemandem zu sprechen. Blick auf die Uhr. Noch nicht einmal halb fünf (es war ein sehr großer Schock; da braucht man natürlich sehr lange um sich zu erholen; Totchi hat zur Entspannung ein wenig Physik Hausaufgabe gemacht). Sein erster Gedanke galt Kaoru. Obwohl er ihn am nächsten Tag in der Schule wiedersehen würde, wollte er mit ihm reden. Toshiya überlegte kurz und zwirbelte dabei gedankenverloren ein blaue Haarsträhne. War es wirklich notwendig seinen Klassenkameraden anzurufen und ihn zu nerven?

//Ja//, beschloss er schließlich, sprang von seinem Bett auf und krallte sich das schnurlose Telefon von seinem Schreibtisch. Immerhin kannte er den Anderen erst seit ein paar Tagen, es gab so viel, was er über ihn noch nicht wusste. Und er wollte alles erfahren. Schließlich hatte er noch nie einen wirklichen Freund gehabt.

Mit flinken Fingern tippte der Junge eine Nummer in den Hörer ein, drückte auf "Abheben" und wartete. Es dauerte nicht lange, bis es klickte und eine tiefe, angenehme Stimme das monotone Freizeichen ersetzte.
 

-Moshi moshi?
 

-Hi, Kaoru, bist du's?
 

-Totchi?
 

-Yo.
 

Toshiya grinste in den Hörer. Er konnte Kaorus verwirrten Gesichtsausdruck beinahe vor sich sehen.
 

-Ist irgendetwas Wichtiges?
 

-Nö, wollte einfach mal anrufen. Störe ich dich gerade?
 

-Äh... sorry, aber ich hab gerade nicht wirklich Zeit, ich muss in zehn Minuten weg und habe keine Ahnung was ich anziehen soll.
 

Kaorus tiefes, warmes Lachen drang durch den Hörer an Toshiyas Ohr. Dieser fühlte, wie ihn ein leises Gefühl der Enttäuschung beschlich.
 

-Oh. Naja, macht nichts, wir sehen uns sowieso morgen... Wohin gehst du denn?
 

-Ich bin mit meiner Freundin verabredet, du kennst sie sicher. Hitomi, so eine schlanke, hübsche aus der Parallel.
 

Er lachte wieder.
 

-Ich war noch nie mit ihr aus, ich bin echt nervös!
 

Toshiya ließ den Hörer sinken. Seine Hand war auf einmal kraftlos und taub.
 

-Totchi? Bist du noch dran?
 

Schnell hob er den Hörer wieder ans Ohr.
 

-J-ja! Mmh, na dann. Viel Spaß. Und nochmal sorry, wegen der Störung. Bai!
 

Kaorus letzte Worte bekam er nicht mehr mit. Er drückte auf "Auflegen", dann ließ er das Telefon aus seiner Hand auf die Bettdecke gleiten.

Was hatte er erwartet? Auf einmal fühlte sich Toshiya hundeelend. War es, weil Kaoru keine Zeit für ihn hatte? Tränen begannen aus seinen Augen zu tröpfeln. Erschrocken über sich selbst wischte er sie schnell mit dem Handrücken ab, erhob sich vom Bett und versuchte darüber nachzudenken was genau es war, das ihm so wehtat. Nach einigen erfolglosen Ansätzen ließ er sich wieder auf die weichen Decken seines Bettes zurückfallen, vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte leise. Aus irgendeinem Grund fühlte es sich so an, als hätte er gerade etwas Wertvolles verloren.
 

Während unser armer Totchi von einem Schmerz gequält wurde, den er noch nie empfunden hatte, bog ein Auto um die Straßenecke fünf Häuser weiter. Es hielt unter Toshiya Fenster und drei bekannte Personen stiegen aus und betraten eine Minuten später das Haus.

Der junge Japaner nahm zur Kenntnis, dass sein Bruder nach Hause gekommen war, höchtswahrscheinlich mit seinem besten Freund und dessen kleinem Bruder im Schlepptau. Toshiya war auf seiner Bettdecke eingeschlafen, als ein weiteres Auto vor dem Haus hielt. Das schrille Läuten der Türglocke riss ihn nicht aus dem Schlaf. Erst das sanfte Klopfen seines jüngeren Bruders an der geschlossenen Zimmertüre holte den zierlichen Japaner aus seinen wirren Träumen.

"Mmh?", murmelte er und rieb sich die Augen. Er fühlte sich noch elender als zuvor. Außerdem taten ihm jetzt noch sämtliche Körperteile weh, da er in einer sehr unbequemen Haltung eingenickt war.

Die Tür öffnete sich einen Spalt und Sakito lugte herein. Eine Sekunde musterte er seinen Bruder aufmerksam, sein Gesicht nahm einen sanften Ausdruck an.

"Möchtest du vielleicht etwas essen?"

"... nein danke. Ich habe keinen Hunger."

Sakito stieß die Tür ein Stück weiter auf.

"Bist du dir sicher? Du hast heute Mittag auch nicht besonders viel gegessen."

Toshiya lachte leise auf. Es klang so freudlos, dass Sakito ihn erstaunt anstarrte.

"Wirklich nicht, aber danke, Kleiner."

Kurze Stille.

"Totchi? War irgendwas?"

"Wie? Neinnein! Alles ok. Ich... bin einfach nur echt müde. Das ist alles."

"Man sieht's." Sakitos Blick glitt über die Augenringe im feinen Gesicht seines Bruders. Die hatte er an diesem Morgen auch schon gehabt. Aber er war zusätzlich reichlich blass geworden.

"Bist du dir sicher, dass Kyo dich nicht mit seiner Grippe angesteckt hat?"

"Ich... denke, ja. Ist er da?"

"Hai. Es geht ihm viel besser, du solltest ihn sehen, überhaupt kein Vergleich zu gestern."

Sakitos Miene nahm einen düsteren Ausdruck an.

"Er ist unausstehlich wie eh und je. Naja, ich lass dich mal alleine..."

Kaum hatte sich die Tür hinter dem jungen Japaner geschlossen, drifteten Toshiyas Gedanken schon wieder in andere Sphären ab. Er seufzte schwer auf und ließ sich mit dem Rücken gegen die Wand fallen. Was war denn plötzlich los?
 

Gegen halb zehn schlich Toshiya leise und verschlafen die Treppe hinunter. Aus dem Wohnzimmer drangen gedämpfte Stimmen. Er hatte nur vor etwas zu trinken und dann wieder in sein Zimmer zu verschwinden. Auf der untersten Treppenstufe fiel ihm dann ein, dass es dort, wo er hinwollte, keinen Wasserhahn mehr gab. Doch noch bevor er wieder umdrehen konnte, hielt ihn der Klang einer Stimme aus dem Dunkel des Flurs zurück.

"So alleine?"

Was für eine dämliche Frage. Toshiyas müdes Gehirn versuchte verzweifelt irgendwelche Synapsen irgendo einrasten zu lassen und so vielleicht herauszufinden wer zu dieser Stimme gehörte. Zu dieser gemeinen, fiesen Stimme die von einem permanenten, hämischen Lachen begleitet wurde. Und von diesem unterschwelligen Sarkasmus. Dem Jungen ging ein Licht auf. Wer sonst würde es fertigbringen um diese Uhrzeit plötzlich in seinem Hausflur aufzutauchen nur um ihn zu beleidigen. Toshiya machte auf dem Absatz kehrt. Einem Wortgefecht mit Hakuei war er jetzt wirklich nicht gewachsen. Er wollte sich gerade wieder die Stufen nach oben schleifen, als ihn etwas am Handgelenk packte und zurückzog. Erschrocken drehte sich der zierliche Junge um und entriss Hakuei mit einer schnellen Bewegung seinen Arm. War dieser Kerl vielleicht ein Phantom oder wieso stand er plötzlich so nah bei ihm?

"Du kannst doch jetzt nicht gehen...", säuselte sein Mitschüler. Das dämmrige Licht, das von dem oberen Stockwerk auf sein Gesicht fiel, ließ Toshiya den für Hakuei typischen, herablassenden Blick erkennen. Der Blauhaarige schnaubte verärgert zur Antwort und zischte: "Lass mich in Ruhe, okay? Lass mich einfach in Ruhe! Wenigstens in meinem eigenen Haus möchte ich meine Ruhe haben!"

"Tssss, du wiederholst dich..." Hakuei schüttelte mit gewichtiger Miene den Kopf. Einen Moment lang beobachtete er seinen schmalen Mitschüler, der mit wutverzwerrtem Gesicht aud der dritten Stufe der Treppe stand und ihn ansah.

"Wo ich doch gekommen bin um dir etwas mittzuteilen...", fügte Hakuei hinzu.

"Was soll das? Ich habe jetzt keine Lust auf deine... deine gemeinen Spielchen! Lass mich", fauchte Toshiya und verfluchte sich im gleichen Augenblick dafür, dass er den Anderen nicht schon längst stehengelassen und sich in seinem Zimmer eingeschlossen hatte. Er musste schon wieder mit den Tränen kämpfen, doch diesmal war es nicht aufgrund von Hakueis Sticheleien. Sein Herz brannte. Merkwürdiges Gefühl. Schmerzhaft.

"Och, nicht weinen, Kleine...", spöttelte sein Mitschüler, woraufhin Toshiya peinlich bewusst wurde, dass seine Augen feucht und wässrig waren und er vermutlich auch sonst völlig verheult aussah. Dieser Typ musste ihn doch wirklich in jeder Lage sehen. Zum Glück war es im Flur zappenduster.

"Du bist so ein sentimentaler Trottel...", kicherte Hakuei.

Wieso konnte er Toshiya nicht einfach in Frieden lassen? Wieso konnte er nicht auf Uruhas Schoß sitzen und sich mit ihm beschäftigen? Wieso musste er ausgerechnet hier im Flur herumhängen, genau dann, wenn Toshiya die Treppe hinunterkam?

Auf einmal riss ihn etwas von den Füßen. Der junge Japaner stolperte die drei Stufen hinunter und stürzte nach vorne, ein leiser Schrei des Entsetzens entwich seinen Lippen. Noch bevor er erfassen konnte, was passiert war, lag er in einer festen, warmen Umarmung. Hakueis Haare streiften über seine Wangen, sie rochen nach Nachtluft. Maßlos entsetzt versuchte der Blauhaarige zu begreifen. Hakuei drückte ihn noch fester an sich, so dass er sich nicht mehr rühren konnte.

"Sei mit mir zusammen. Geh mit mir... ", hauchte er in Toshiyas Ohr. Dann setzte er seine Lippen an den eiskalten Nacken des Anderen und küsste ihn sanft. Sekunden später ließ er Toshiya los. Dieser stolperte ein paar Schritte zurück, krallte sich am Treppengeländer fest um nicht zu stürzen und starrte seinen Mitschüler mit unverhohlenem Entsetzen an.

Hakuei grinste nicht. Kein hämisches Lächeln.

"Nun?", sagte er schlicht.

Einige Sekunden verstrichen bis Toshiya endlich die Bedeutung von Hakueis Worten erfasst hatte. Er dachte kurz an Kaoru. An ihn und seine Freundin. Wieder dieser Stich in seinem Herzen. Plötzlich kam ihm alles vor wie ein Traum. Ein mattes Lächeln legte sich auf seine vollen Lippen, was ihn noch müder aussehen ließ als zuvor. Er klang ruhig als er antwortete.

"... warum nicht."
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Gomen, Leute, bei diesem Kapitel haben mir so richtig die Worte gefehlt... konnte mich absolut nicht mehr ausrücken ^.^" Hoffe das wird wieder besser...

Schreibt mir euere Meinung zu Toshiyas Antwort ^.~

6

Walking proud
 

Autor: Clea

Pairings: Tjaaaa sieht wohl ganz nach ToshiyaxHakuei aus...

Kommentar: Sorry, Leute, dass die nächsten Kapitel ein wenig ernster werden. Kann ja nicht nur bergauf gehen in Totchis Leben, ne ^.^ Aber keine Sorge, das bleibt nicht so... der Kleine braucht einfach nur ein wenig Zeit.

Danke für euere vielen Kommis, hat mich echt wahnsinnig gefreut *euch alle abknutsch*! Schön, dass ihr euch Gedanken macht und ach ja, Yume: *knuff* Herzlichen Glückwunsch, die Antwort war tatsächlich <Was ist los?>!! Leider zerfällt Sakitos Kochbuch zu Staub, sobald es auch nur den geringsten Strahl Sonne abbekommt *im strahlenden Sonnenschein überreich* ... Schutzmaßnahme, ich hoffe du verstehst... es wäre verantwortungslos diese Rezepte an lebende, fühlende Bioformen weiterzugeben, sorry... *Kuss geb* net böse sein, ne?

Dieses Kapitel hat mich echt irre gemacht, es gab irgendwie nie den richtigen Zeitpunkt um aufzuhören ^.^° ...

Ähm, an dem Gedicht da *nach gaaaaanz unten deut* wär ich übrigens beinahe draufgegangen, soviel Kreativität liegt mir ganz und gar nicht... bitte wisst das zu schätzen *räusper*...


 

Teil 6
 

::Was habe ich mir nur dabei gedacht?? Was?!::

Toshiya schlug sich im Dunkel seines Zimmer fest mit der Faust gegen den Kopf. Das durfte einfach nicht wahr sein. Er war mit Hakuei zusammen. Ein Paar! Mit Hakuei! H-A-K-U-E-I!! Egal wie oft er sich das vorsagte, es wollte nicht in seinen Kopf. Eigentlich hatte er vorgehabt früh ins Bett zu gehen und so richtig auszuschlafen. Aber das konnte er jetzt wohl vergessen. Es war bereits nach Mitternacht, doch der Blauhaarige fand weder Schlaf noch überhaupt Ruhe. Innerlich völlig aufgewühlt richtete er sich schließlich im Bett auf und knipste seine Nachttischlampe an. Jeder, der schon einmal ein oder zwei Nächte durchgemacht hat kennt dieses Gefühl: Toshiya war todmüde, so müde, dass er unmöglich schlafen konnte - die Erschöpfung war einem permanenten Aufgedrehtsein gewichen. Seit Stunden ging er immer wieder das Gespräch mit Hakuei in seinem Kopf durch, verzweifelt auf der Suche nach einer logischen Erklärung.
 

Rückschau
 

"Sei mit mir zusammen. Geh mit mir... ", hauchte Hakuei in Toshiyas Ohr. Dann setzte er seine Lippen an den eiskalten Nacken des Anderen und küsste ihn sanft. Sekunden später ließ er Toshiya wieder los. Dieser stolperte sofort ein paar Schritte zurück, krallte sich am Treppengeländer fest um nicht zu stürzen und starrte seinen Mitschüler mit unverhohlenem Entsetzen an.

Hakuei grinste nicht. Kein hämisches Lächeln.

"Nun?", sagte er schlicht.

Einige Sekunden verstrichen bis Toshiya endlich die Bedeutung von Hakueis Worten erfasst hatte. Er dachte kurz an Kaoru. An ihn und seine Freundin. Wieder dieser Stich in seinem Herzen. Plötzlich kam ihm alles vor wie ein Traum. Ein mattes Lächeln legte sich auf seine vollen Lippen, was ihn noch müder aussehen ließ als zuvor. Er klang ruhig als er antwortete.

"... warum nicht."

Es war völlig still im Haus. Totenstill und stockdunkel als Hakueis lautes, schallendes Lachen plötzlich durch den Flur hallte und Toshiya einen gewaltigen Schrecken verstetzte. Sein bösartig hämisches Grinsen wieder gewonne, schloss er mit zwei großen Schritten zu dem Anderen auf. Ohne ihn mit den Händen zu berühren, legte er seine Lippen auf die des Blauhaarigen und fuhr sie schnell mit der Zunge nach. Dann trat er einen Schritt zurück und flüsterte: "Na dann... ich wusste du kannst nicht nein sagen." Er lachte leise.

"Was ist mit meinem Bruder?", krächzte Toshiya.

"Uruha? Ich mach' Schluss mit ihm. Dazu bin ich hergekommen. Ich wollte sowieso nie etwas von ihm, das war nur um an dich ranzukommen." Er lachte wieder laut auf. "Ob du es glaubst oder nicht. Gute Nacht... mein Engel..."

Mit diesen Worten warf er Toshiya im Dunkeln noch eine Kusshand zu, seine Augen blitzten im matten Licht, das aus dem zweiten Stock hinunterschien, dann verschwand er lautlos wie ein Geist in Richtung Wohnzimmer.

Toshiya blieb alleine wie betäubt neben der Treppe stehen, die Hand so fest um das Geländer gekrallt, dass sich feine bläuliche Äderchen auf seinem Handrücken abzeichneten. Langsam drehte sich der junge Japaner um und schlurfte die Treppe hinauf in sein Zimmer.


 

Immerhin, einen postitiven Aspekt hatte das Ganze: Vielleicht war das der einzige und beste Weg um Hakueis Sticheleien ein für alle mal ein Ende zu setzen. Doch diesen erfreulichen Nebeneffekt hatte Toshiya in dem Augenblick eigentlich nicht im Kopf gehabt. Warum also hatte er so leichtfertig eingewilligt? Ihm wurde schlecht wenn er daran dachte, für welches Aufsehen das in der Schule sorgen würde, sollte jemand Wind davon bekommen. Hakuei war ein Mann. (ok, überflüssig das zu erwähnen, aber ich sag es lieber nochmal, ne ^.^°)

::Ich will nicht, dass irgendjemand denkt ich sei schwul! Schließlich bin ich's nicht! Kein Mädchen wird mich mehr ansehen. Er hat mich geküsst... ::

Schwulsein, das kam Toshiyas Meinung zufolge Äussätzigsein gleich. Nicht weil er selbst es verurteilte - sondern weil es allgemein einen perversen, widernatürlichen Beigeschmack hatte. Damit ließe sich an und für sich schon leben - aber ausgerechnet Hakuei?

Wie sollte er nur Kaoru gegenübertreten? Auch Sakito würde seine halbherzige Entscheidung sicher nur missbilligen. Warum also hatte er eingewilligt?

Noch einmal versuchte Toshiya sich dieses Gefühl in Erinnerung zu rufen. Dieses kurze, flüchtige Gefühl, das er empfunden hatte, als er in Hakueis Armen gelegen war. Er hatte ihn fest gehalten. Toshiya konnte sich noch deutlich an die Wärme und den Geruch des Anderen erinnern. Und an seinen Herzschlag. Ohne es zu wollen hatte er dieses wertvolle Gefühl der Geborgenheit unwahrscheinlich genossen. Toshiyas Verlangen nach Zuneigung war wie immer stärker gewesen als sein Verstand. Kaoru würde das sicher nicht verstehen, er hatte genug Freunde und dazu noch ein Mädchen, das ihn liebte.

Wenn er alles so rational betrachtete, fühlte sich der Blauhaarige noch elender als zuvor. Wie schäbig von ihm, Hakuei zu benutzen, nur weil er sich gerade einsam fühlte. Toshiyas Gedanken machten einen Sprung und wieder blieb er an der Frage hängen, ob er Hakuei wirklich etwas bedeutete. Unmöglich.

::Er spielt mit mir::, dachte der Blauhaarige plötzlich und kam sich mit einem Mal unglaublich bescheuert vor. ::Das ist einfach nur die geniale Erweiterung seines gemeinen Spielchens, das er mit mir treibt... sicher steckt Uruha auch dahinter... wie blöd kann man eigentlich sein?!::

Und naiv wie er war, hatte er natürlich keine Sekunde lang daran gedacht, dass dieser Kerl so weit gehen würde, nur um ihn zu verletzen. Würde Hakuei das durchhalten? Weiterhin mit ihm spielen? Ihn wieder küssen? Toshiya erschauderte. Wo er noch nicht einmal eine Freundin gehabt hatte, was schon peinlich genug war.

Mit einer Handbewegung warf er die Decke zurück, sprang aus seinem Bett und begann unruhig in seinem Zimmer auf und ab zu gehen, alle möglichen Gedanken in seinem Kopf herumwälzend.
 

Als erste Sonnenstrahlen durch den Rollanden vor seinem Fenster fielen, schreckte der junge Japaner aus seinem Halbschlaf auf. Vor gut zwanzig Minuten hatte er sich an seinen Schreibtisch gesetzt, zu erschöpft um weiterhin über irgendetwas nachzudenken, und war schließlich doch eingenickt. Das hatte zu Folge dass er sich nun ziemlich krank fühlte. Kaputt bis zum Gehtnichtmehr. Alles tat ihm weh, hinzugekommen waren noch eine permanente Übelkeit und hämmernde Kopfschmerzen. Toshiya erhob sich, schwankte kurz, schnappte sich dann ein paar Kleidungsstücke aus seinem Schrank und begab sich ins Badezimmer. Natürlich könnte er auch einfach einen Tag lang Zuhause bleiben, aber nachdem er die gesamte Nacht lang über Hakuei nachgedacht hatte wollte er die Wahrheit wissen. Er musste ihn in der Schule zur Rede stellen, sonst würde er noch wahnsinnig werden. Außerdem wollte er Kaoru sehen.

Eine halbe Stunde später betrat der Blauhaarige also leicht wankend die Küche. Wie er vermutet hatte, waren sein jüngerer Bruder und dessen Koi bereits auf den Beinen. Die beiden knieten am Boden in der Mitte des Raumes und beugten sich über etwas, das aussah wie eine Wasserpumpe (und hätte Toshiya in seinem kurzen, unschuldigen Leben je etwas von portablen Atomkernen gehört, wäre er sicher nicht so ruhig zu seinem Bruder geschlurft und er hätte mit tausendprozentiger Sicherheit nicht die Tasse Kaffe angenommen, die aussah, als wäre sie über dem großen Gerät erwärmt worden).

"'hayou", murmelte Toshiya schlaftrunken (und das, obwohl er so gut wie keinen Schlaf gehabt hatte) und nahm einen großen Schluck aus seiner Tasse.

"Morgen, Totchi", echoten Sakito und Ryutaro.

"Oh. Wusste gar nicht, dass wir regenbogenfarbene Tassen haben. Hübsch", nuschelte der Blauhaarige weiter und ließ sich auf den Boden fallen, was in dem leeren Raum ein lautes Hallen erzeugte.

"Und was's das?" Er deutete auf die das große, bauchige Etwas, das mitten in der Küche stand und leicht pulsierte.

"Oh, äh das, ach du hast es bemerkt", sagte Sakito und grinste nervös.

"Das ist äh - nach was sieht es denn aus?"

"Nach 'ner Wasserpumpe", murmelte Toshiya und pustete abwesend Blasen in seinen Kaffe.

"Du sagst es!", rief Sakito etwas zu abrupt. "Ne Wasserpumpe. Hähä. Irgendwo müssen wir ja unser Wasser herbekommen, jetzt wo wir mal keinen Wasserhahn haben."

Toshiya dämmerte, dass es sich bei dem Gerät um einen neuen Bestandteil von Sakis super-special Küche handelte (weiß der Teufel woher er es über Nacht aufgetrieben hatte) und dass sein süßer kleiner Bruder lügen konnte ohne rot zu werden. Dummerweise war er viel zu erschöpft um weitere Nachforschungen anzustellen.

"Siehst echt übel aus, Totchi...", bemerkte Sakito auf einmal und warf dem Blauhaarigen einen besorgten Blick zu.

"Ich dachte du wärst wenigstens einmal so vernünftig und würdest bei Zeit ins Bett gehen. Tssss, typisch..."

Vorwurfsvoller Blick.

Toshiya antwortete nicht.

::Wenn du wüsstest... ::

Sein Gesicht verfinsterte sich wieder bei dem Gedanken an den gestrigen Abend. Einen Augenblick lang sprach niemand. Toshiya kauerte am Boden. Ihm war mit einem Mal eiskalt. Beide Hände gegen die heiße Kaffeetasse gepresst, malte er sich Kaorus Reaktionen aus, wenn er herausfand was vor sich ging. Ob es bereits zu spät war, um das Ganze rückgängig zu machen? Gedankenversunken ließ der junge Japaner seinen Blick durch den leeren Raum schweifen, was zur Folge hatte, dass er erneut an dem wasserpumpenförmigen Dingsda hängeblieb.

"Saki? Was bedeuten die Zeichen da?" Mit einer müden Geste deutete der Blauhaarige auf zwei Aufkleber, die unten rechts an dem bauchigen Gerät hafteten.

"Oh, das. Äh... zerbrechlich?", antwortete Sakito und stellte die Kaffekanne vor die Zeichen für "hochexplosiv" und "radioaktiv" an der Unterseite der Wasserpumpe (die einen ziemlich soliden Eindruck machte, zumal sie völlig aus Stahl zu bestehen schien). Ryutaro betrachtete seinen Freund nur wortlos mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. Toshiya wollte gerade etwas erwidern, als er hörte wie sich Schritte die Treppe hinabbewegten. Schnell knallte er seine Tasse auf den Boden, sprang auf und stürmte in den Flur hinaus (und diese unüberlegte Anstrengung kostete ihn den letzten Rest seiner kostbaren Energie).

"Uruha! Warte, ich muss dich sprechen!"

Sein älterer Bruder blieb wie angewurzelt stehen. Er sah ebenfalls sehr müde aus und war reichlich blass, aber natürlich perfekt gestylt wie immer. An seinem rechten Arm baumelte eine Tasche, unter dem linken klemmte seine Jacke. Langsam wandte er Toshiya sein Gesicht zu. Der Jüngere hatte sich die gesamte Nacht lang auf alle möglichen Reaktionen seines Bruders vorbereitet, angefangen von Verwirrung, bis hin zu einem hysterischen Lachanfall. Doch im Gesicht des Blonden stand nur ein Ausdruck des - nun ja, Hass trifft es wohl am besten.

Irritiert ertarrte Toshiya in seiner Bewegung.

"Wie kannst du nur...", flüsterte Uruha. Es klang so fassungslos, dass Toshiya sich für einen Augenblick fragte, wer nun mit wem spielte. Er war sich todsicher gewesen, dass Uruha und Hakuei gemeinsam diese Fiesheit ausgeheckt hatten.

"Wie kannst du nur... wie kannst du mich nur so demütigen?" Der Blonde funkelte Toshiya mit einem Blick der abgrundtiefen Abscheu an. Seine Hand, die die Tasche umklammert hielt, zitterte.

"W-was meinst du?", stotterte der Blauhaarige verwirrt. Sein Bruder ließ plötzlich die Tasche fallen, machte einen großen Schritt auf ihn zu und schlug ihm ohne Vorwarnung so hart ins Gesicht, dass Toshiya drei Schritte zurückstolperte und gegen die Flurwand knallte.

"Wie kannst du mir nur so etwas antun, du... du widerliches Stück Dreck!", spuckte Uruha aus. "Ich verachte dich!" Damit packte er seine Tasche, öffnete die Tür und schritt erhobenen Hauptes aus dem Haus.
 

"Hat er geweint?", ertönte auf einmal eine Stimmer hinter Toshiya.

"Ich glaube, ja...", antwortete eine andere. Ryutaro und Sakito waren im Flur erschienen, beiden stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben.

Ryutaro kniete sich schließlich zu Toshiya auf den Boden und zog vorsichtig seine Hand aus dem Gesicht. Sprachlos kramte er kurz in seiner Tasche, holte ein Tempo hervor und reichte es dem Blauhaarigen. Dieser antwortete nicht. Wie unter Schock starrte er auf den Punkt an dem Uruha gestanden hatte.
 

"Wie kannst du mir nur so etwas antun, du... du widerliches Stück Dreck!... Ich verachte dich!"
 

Langsam ließ er seinen Kopf nach hinten gegen die Wand sinken und schloss die Augen.
 

"Irgendetwas Schreckliches muss geschehen sein", flüsterte Ryutaro, nahm Sakitos Hand und drückte sie. "Oh Gott..." Er verbarg sein Gesicht an der Schulter seines Koi und begann leise zu schluchzen. "Hast du Uruhas Gesichtausdruck gesehen? Wieso tut er so etwas?"

"Ich weiß nicht", antwortete der Andere und schloss seinen Freund fest in die Arme. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was Uruha so verletzt haben könnte, dass er auf Toshiya losging und ihm solche Gewalt antat. Ausgerechnet Toshiya, der normalerweise keiner Fliege etwas zu leiden tun konnte. Unmöglich, dass die Eifersucht seines ältesten Bruders inzwischen ein derartiges Ausmaß angenommen hatte. Was also dann? Der Blauhaarige war ohne ein Wort der Erklärung ins Bad verschwunden. So sehr die beiden Jungen auch versucht hatten etwas aus ihm herauszubringen, er hatte sie nur darum gebeten ihrer Mutter nichts zu erzählen und war gegangen. Glücklicherweise hatte Uruha ihn nicht richtig im Gesicht erwischt, nur an der Wange, also keine aufgeplatzte Lippe oder derartiges.

"Ich hab keine Ahnung was los ist, aber eines weiß ich: Irgendjemand tickt hier nicht mehr ganz richtig. Prügeleien in meinem Haus, ich glaub ich spinne! Da hätte wer weiß was passieren können. Ne echt, Uruha ist zu weit gegangen. Ich weiß noch nicht was abgeht, aber ich werde es herausfinden...", murmelte Sakito wütend und biss die Zähne aufeinander. Wieso war er der einzige Mensch in diesem Haus, der normal war?
 

Als Toshiya auf den Schulhof trat, konnte er Shinya bereits von weitem sehen. Er drängte sich also durch die Schülermassen, in der Hoffnung mit dem Blonden noch einige Worte wechseln zu können. Auf seinem Weg folgten ihm wie auch die Tage zuvor dutzende musternder Blicke.

::Daran gewöhne ich mich nie::, dachte der Blauhaarige mit einem leichten Schaudern. Was für ein Gefühl zu spüren, dass viele dieser Schüler ihn beobachteten und vielleicht über ihn sprachen. An diesem Morgen kein besonders angenehmer Gedanke, zumal die Ohrfeige, die sein Bruder ihm verpasst hatte, langsam aber sicher auf seiner Wange sichtbar wurde. Natürlich war es nur halb so schlimm, Uruha hätte ihn ganz anders schlagen können, dessen war Toshiya sich sicher. Aber im Gesicht tat so etwas immer verdammt weh.

"Hey, Shin!"

"Oh, hey Totchi, Morgen!", sagte Shinya und lächelte seinen Freund an.

"Wie geht es Die?", war Toshiyas erste Frage, als er bemerkte wie traurig und aufgesetzt Shinyas Lächeln aussah. Tatsächlich verblasste es auf diese Bemerkung hin sofort.

"Nya... wie schon... sieh selbst." Er deutete mit einem Kopfnicken auf die Person neben ihm, die sich derartig still verhalten hatte, dass sie Toshiya beinahe nicht aufgefallen wäre. Die kauerte mit hängenden Schultern neben seinem Freund, tiefe Augenringe, fahle Haut.

"Oje...", entfuhr es Toshiya sofort. "Und sein Zustand hat sich wirklich nicht verbessert? Überhaupt nicht?"

Shinya schüttelte traurig den Kopf.

"Ich weiß nicht mehr ein, noch aus", erwiderte er leise.

"Die, wie geht es dir? Tut dir etwas weh?", richtete sich der Blauhaarige nun an seinen Freund. Der starrte ihn nur mit starrem, trüben Blick an und antwortete: "Du irritierst mich. Geh weg. Du bist so deprimierend. Die Welt ist so deprimierend. Ich hasse alles." Damit drehte er sich um, wandte den beiden den Rücken zu und starrte stur in eine andere Richtung.

Toshiya schüttelte fassungslos den Kopf. Irgendetwas musste doch zu machen sein, so konnte es auf jeden Fall nicht weitergehen.

"Oh Gott, Totchi, was hast du denn da gemacht?", rief Shinya plötzlich aus und legte vorsichtig die Finger seiner rechten Hand an Toshiyas schmerzende Wange. Dieser lächelte nur schief.

"Uruha hat mir eine Ohrfeige gegeben." Wieso lügen?

"Wieso das denn?", fragte Shinya und starrte den Blauhaarigen an.(Nur kurz unterbrochen von Die, der, immer noch mit dem Rücken zu ihnen, plötzlich mit leiser, depressiver Stimme sagte: "Diese Gewalt deprimiert mich. Das ist alles so schlecht und böse. Deprimierend. Ich hasse Menschen.")

"Weil ich mit Hakuei zusammen bin, denke ich. Es war sein Freund gewesen und jetzt glaubt er, ich hätte ihm Hakuei ausgespannt. Denke ich." Er zuckte die Achseln.

"Was? Hakuei?! Das... das ist jetzt nicht dein Ernst, ne Totchi?"

"Doch, mein voller Ernst. Gestern Abend stand er auf einmal bei uns im Flur und hat mich überrumpelt." Toshiya lachte kurz und freudlos auf. "Gesagt er wäre nur mit Uruha zusammen gewesen um an mich ranzukommen. Und ich bin ihm auf den Leim gegangen, hab ihm jedes Wort geglaubt. Ich bin so ein Idiot. Dabei empfinde ich noch nicht mal etwas für ihn. Keine Ahnung was ich mir dabei gedacht habe." Jetzt wo er es ausgesprochen hatte, fühlte er sich besser. Shinya starrte ihn weiterhin ungläubig an. Dann nahm er ihn in die Arme, drückte ihn kurz und flüsterte: "Unsinn! Darauf wäre jeder reingefallen, glaub mir. Das ist die mieseste Masche. Gerade jemand wie du..."

"Ihr irritiert mich. Beide. Geht weg", sagte Die mit leiser, depressiver Stimme.

"Ach, mach dir keine Gedanken, Shin." Toshiya befreite sich aus der Umarmung seines Freundes und lächelte, diesmal ein richtiges, ernst gemeintes Lächeln.

"Du hast genug eigene Probleme. Kümmer dich um Die. Aber das muss ich dir nicht sagen. Mach's gut, will noch mit Hakuei sprechen, ich muss wissen, ob er mich nur auf den Arm nehmen wollte, oder... nya, bai!" Er nickte mit dem Kopf und drehte sich um.

"Du hast genug eigene Probleme. Kümmer dich um Die ", äffte Die den Blauhaarigen mit leiser, hämischer Sing-Sang Stimme nach. "So. Das bin ich also. Ein Problem. Ich fühle mich nicht geliebt. Geh weg. Ich hasse dich."

Plötzlich fiel Toshiya etwas ein und er drehte sich noch einmal zu Shinya und dem Rotschopf um.

"Sag Die doch einfach, dass du ihn liebst. Vielleicht hilft es."

Bei Shinyas entgeisterten Gesichtsausdruck brachte der Blauhaarige zum ersten mal seit langem wieder ein richtiges Grinsen auf die Lippen.

"Du hast schon verstanden!", fügte er hinzu, verbeugte sich kurz und verschwand in den Schülerscharen.

"W-wie? Was meint er? Ich verstehe nicht... ", flüsterte Shinya verwirrt.
 

Planlos stolperte der Blauhaarige durch die Massen von Jungen und Mädchen auf der Suche nach Hakuei. Schließlich blieb er irgendwo stehen und sah sich um.

::Welche Ironie::, dachte er plötzlich bitter. ::Ich suche ihn auch noch. Bin ich krank?::

"Ja", bestätigte Miyavi. "Wen suchst du?"

"Äh, nicht wichtig", stotterte Toshiya verwirrt. Er warf dem Gärtner der Schule (der einen riesigen Geranientopf im Arm hatte) einen kurzen, scheelen Blick zu, drehte sich um und nahm seine Suche wieder auf. Noch zehn Minuten bis zu Stundenbeginn. Er betrat das Schulhaus und bog in einen leererern Korridor im Erdgeschoss, wo sich Hakuei und seine Clique manchmal aufhielten (hier stand der Kaffeautomat der Schule).

"Wo ist er nur?", murmelte der Blauhaarige vor sich hin.

"Da entlang", sagte ein Irrer im Vorbeigehen.

"Danke", erwiderte Toshiya und schlug die betreffende Richtung ein.

"Suchst du jemanden? Hoffentlich nicht Kaoru?"

Toshiya wirbelte herum (in Zeitlupe, er war ja immer noch verdammt müde).

Vor ihm stand Hakuei. Nachtschwarze, lange Haare, blasse Haut, blaue Kontaktlinsen, schwarze Lederhose, hämisches Grinsen. Hakuei eben.

"W-wie?"

Der Schwarzhaarige seufzte auf und schlenderte in Richtung Toshiya.

"Ich weiß doch genau wie du auf ihn stehst!"

"N-nani?", stotterte Toshiya und starrte Hakuei entgeistert an.

"Tickst du noch richtig?!", brachte er schließlich wütend heraus.

"Er ist mein Freund, das ist alles. Nur weil du schwul bist, heißt das noch lange nicht, dass ich es auch bin!"

Eine kurze Stille folgte, in der der Schwarzhaarige Toshiya genau musterte. Sein Grinsen wurde von Mal zu Mal breiter. Langsam dämmerte Toshiya, dass er im Moment mit einem Mann zusammen war und er sich damit gerade selbst widersprochen hatte.

"Und ich will nichts von dir, damit du's nur weißt. Ich habe dein dämliches Spielchen längst durchschaut", setzte er, die Augen wütend zu Schlitzen verengt, etwas leiser hinzu.

Hakuei sah ihn an. Wenn er das Grinsen nur lassen würde. Dieser Blick verunsicherte Toshiya. So - durchdringend. Kyo hatte auch einen durchdringenden Blick, doch man bekam den Eindruck er erforsche damit eher Gedanken und Gefühle. Hakuei dagegen zog ihn mit seinen Blicken aus. Auf einmal war sich der Blauhaarige gar nicht mehr so sicher, dass Hakuei ihn nur hatte demütigen wollen.

"Aha. Und du denkst ich habe das nur getan, um dich zu verarschen", stellte er fest und lachte leise. Toshiya starrte ihn erstaunt an. Mit einer direkten Antwort hatte er nicht gerechnet.

"Und jetzt suchst du mich, um herauszufinden, was ich <plane>? Dass dein Bruder nicht dahinter steckt, dürftest du schon bemerkt haben."

Er hob lässig die rechte Hand und deutete auf Toshiyas Wange.

"Woher-", setzte dieser an, doch der Schwarzhaarige unterbrach ihn.

"Ich hab' ihm alles erzählt." Er lachte kurz auf. "Der Arme war zu geschockt um mir zu widersprechen. Er macht zwar ständig mit Daishi rum, aber in Wahrheit hängt er mehr an mir als ihm lieb ist."

"Was willst du damit sagen? Ich - ich verstehe nicht."

Hakuei lachte leise. Ohne auf den Anderen einzugehen, sprach er weiter.

"Du sagst, du bist nicht schwul? Da irrst du dich... Jetzt bist du mein fester Freund. Und du kannst nicht Schluss machen, das erlaube ich nicht. Tust du es, dann sorge ich dafür, dass dein Leben die Hölle wird."

"Mein Leben ist dank dir bereits die Hölle", krächzte Toshiya und dachte an seine pochende Wange, die lange, schlaflose Nacht am Rande der Verzweiflung und den Morgen im Schwimmbecken des Wahnsinns (was allerdings eher Sakitos Probieren-wir-doch-mal-aus-wieviele-Wachteln-in-den-Teig-gehen-bevor-meiner-Familie-die-Augen-ausgehackt-werden-Frühstückspfannkuchen (verbunden mit wilder Wachteljagd und ein paar Luftgewehren) zuzuschreiben war). Der Schwarzhaarige zuckte nur die Achseln.

"Du hast zugesagt. Steh dazu."

Langsam füllte sich der Flur mit Schülern. Toshiya musste immer wieder ausweichen um nicht überrannt zu werden. Türen öffneten und schlossen sich.

"Glaub ja nicht, dass ich feige bin!", sagte er plötzlich aufgebracht. Er hatte noch immer nicht herausgefunden, was Hakuei wollte. Im Gegenteil, Toshiya war nun noch verwirrter, als zuvor. Aber eines wusste er: Er wollte sich nicht unterkriegen lassen. Nie mehr. Die Tatsache, dass er die gesamte Nacht wach gelegen war, von irgendwelchen Gedanken gebeutelt, herumgeschubst von seinen eigenen Gefühlen, überging er. Eigentlich tanzte er sogar im Augenblick noch genau nach Hakueis Pfeife, doch das wollte sich der Blauhaarige nicht eingestehen. Er sprang einen Schritt zur Seite, als ein kleines Mädchen mit wippendem, braunen Zopf an ihm vorbeihüpfte und nur knapp seine linke Schulter verfehlte. Natürlich war er zu beschäftigt um auf irgendwelche Passanten zu achten, aber hätte er Takumi erkannt, hätte er vielleicht bemerkt, dass er neben dessen Klassenzimmer stand, was ihm wiederrum - aus seiner Sicht betrachtet - eine große Peinlichkeit erspart hätte.

"Und glaub nicht, dass du mich vor der ganzen Schule lächerlich machen könntest...", fuhr Toshiya leise fort und biss sich noch im selben Moment auf die Zunge. Wieso brachte er den Anderen auch noch auf dumme Gedanken? Hakuei lachte wieder, doch der Laut ging im Geplapper der Schülerscharen auf dem Gang unter. Einen kurzen Augenblick standen sie sich schweigend gegenüber. Dann läutete es.

"Oh nein!", murmelte Toshiya entsetzt. Ausgerechnet. Er würde zu spät zu Englisch kommen. Und der Blauhaarige hasste es, mehr Aufmerksamkeit als nötig auf sich zu ziehen was seinen Englischlehrer betraf. Seit der Sache mit Ryutaro traute er dem Kerl nicht mehr über den Weg. Er wollte sich gerade umdrehen und in Richung Klassenzimmer davonstürmen (jetzt hatte er auch freie Bahn, der Gang war dank Stundenbeginn urplötzlich wie leergefegt), als ihn jemand am Arm packte und ihn eine Art déjà-vu beinahe erschlug. Der Blauhaarige wirbelte herum und starrte direkt in Hakueis Augen. Einen Herzschlag lang sahen sie sich an, regungslos. Dann schlang der Schwarzhaarige schnell seine Arme um Toshiya, zog ihn in eine schraubstockhafte Umarmung und drückte seinen Mund fest auf den des Anderen. Dieser versuchte seine Lippen zusammenzupressen und sich irgendwie aus der Umarmung zu winden, doch vergeblich. Hakuei drang mit seiner Zunge gewaltvoll in Toshiyas Mund ein und küsste ihn ausgiebig. Als er ihn schließlich wieder freigab, fühlte der sich Blauhaarige noch benommener als am Vorabend. Schnell stützte er sich an der Wand ab, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, alles drehte sich. Hakuei ging gelassen an ihm vorbei, den Gang entlang und die Treppen hoch in Richtung Klassenzimmer. Absolut sprachlos hob Toshiya den Kopf und versuchte seine Gefühle zu ordnen. Völlig umsonst, denn das erste was er sah, als er geradeaus blickte, war ein zierlicher, blonder Junge mit dunklem make-up und hübschen Katzenaugen. Toshiya keuchte entsetzt. Direkt vor ihm im Gang stand Kyo, die Schultasche lässig über der linken Schulter, in seiner Bewegung erstarrt. Er wirkte wie ein Raubtier auf Lauer. Kyo musterte ihn von oben bis unten, setzte sich schließlich in Bewegung, passierte den schreckensstarren Japaner und verschwand ohne ein Wort in seinem Klassenzimmer. Minutenlang starrte der Blauhaarige auf die Tür, in der Kyo verschwunden war. Dann erwachte er langsam aus seiner Erstarrung und begann sich den Gang entlang zu schleppen.
 

::Geküsst!!! Einfach so!!!! Wie - wie kanner nur?? Er hat mich geküsst!!! So richtig!! Schon wieder... Und Kyo hat es gesehen!!! Oh Gott...:: Toshiyas betrachtete sein Gesicht im Toilettenspiegel - es glühte vor Scham. Der zierliche Japaner hatte kurzerhand beschlossen, dass es Unsinn wäre, jetzt noch zur ersten Stunde zu gehen. Außerdem war das letzte, was er wollte, aufgebracht, hochrot und zitternd vor Kaoru zu erscheinen.

Toshiya drehte den Wasserhahn auf und ließ zum sechsten mal eiskaltes Wasser über seine fahrigen Hände laufen. Dann trocknete er sie ab, zog sein Schminktäschchen aus dem Rucksack und begann sich sorgfältig nachzuschminken. Seine Wange hatte sich einigermaßen beruhigt, sie war zwar noch immer gerötet, doch der Schmerz klang langsam ab.

Sein Bruder hatte also wirklich nichts damit zu tun. Und Hakuei... Hakuei wirkte nicht so, als hätte er vor sich über Toshiya lustig zu machen.

::Wieso tut er das? Ist er in mich verliebt?::, überlegte der Blauhaarige verwirrt. Nichts war abwegiger als dieser Gedanke. Warum sollte sich ausgerechnet sein Erzfeind, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, ihn zu demütigen, ihn Toshiya verlieben?
 

"Du sagst, du bist nicht schwul? Da irrst du dich."
 

::Nein, bin ich nicht, nein, tue ich nicht!!::, widersprach der Blauhaarige in Gedanken.

::Und ich werde es auch nicht. Dazu kannst du mich nicht bringen, egal was du tust. Dazu nicht!::

Toshiya verstaute seine Schminkutensilien wieder in der Tasche und betrachtete sich im Spiegel. Tatsächlich wurde er mit der Übung besser. Es läutete zur zweiten Stunde. Er ging schnellen Schrittes los, seine Wangen flammten bei dem Gedanken an Hakueis Küsse wieder feuerrot auf. Und was dachte Kyo? Als Toshiya eine halbe Minute später vor der Tür zu seinem Klassenzimmer stand, überlegte er, dass sein Bruder ihn jetzt wirklich hasste. Und als er schließlich vorsichtig die Tür öffnete, wurde ihm klar, dass er sich nichts sehnlicher wünschte, als eine Umarmung und tröstende Worte von Kaoru. Doch in den Raum tretend sah er auf den ersten Blick Hakuei, der zwei Plätze neben dem Violetthaarigen saß und Toshiya mit wissendem Blick und schmutzigem Grinsen empfing. Hochrot taumelte der Blauhaarige auf seinen Tisch zu, Hakuei stur ignorierend. Kaoru sprang sofort auf und lief ihm entgegen.

"Wo warst du denn, hast du verschlafen?"

::Schlafen? Was ist das?::, dachte Toshiya bitter, antwortete aber nicht.

"Du siehst schrecklich aus! Was ist los, Totchi? Du bist leichenblass, bist du dir sicher, dass du nicht nach Hause gehen möchtest?" Besorgt ließ Kaoru seinen Blick über Toshiyas fahle Haut und seine tiefen Augenringe gleiten. Alles andere hatte der Blauhaarige gekonnt überschminkt.

"Nun sag schon!"

Toshiya sah Kaoru nur an. Ihm war auf einmal furchtbar übel und schwindelig, so dass er sich wortlos in seinen Stuhl sinken ließ. Irgendetwas schnürte ihm die Kehle zu und hinderte ihn so daran, Kaoru einen Tipp zu geben. Wenn er jetzt gestand wie elend er sich fühlte, würde er mit Sicherheit in Tränen ausbrechen, also entgegnete er nur leise: "Schon gut, Kao. Bin nur sehr müde." Auch wenn das nicht direkt Kaorus Frage beantwortete, ließ dieser es vorerst darauf beruhen. Genau in dem Augenblick, da der Violetthaarige Platz nahm, betrat ihre Mathelehrerin den Raum und begann noch zwischen Tür und Angel irgendetwas von Sinus-und Kosinusfunktionen zu labern. Die Stunde an sich verlief mehr oder weniger ereignislos. Kaoru warf seinem Freund hin und wieder einen prüfenden Blick zu, wobei ihm nicht entging, dass Hakuei genau dasselbe tat, auch wenn dem Klassensprecher der Grund dafür absolut schleierhaft war.

::Es hat sich... irgendwie... gut angefühlt... so warm... die Umarmung... ::, dachte Toshiya einmal und ließ entsetzt über sich selbst langsam den Kopf in die Hände sinken. Kein kluger Schachzug. Natürlich wurde er augenblicklich an die Tafel diktiert, damit er, wie seine Lehrerin anmerkte, nicht im Unterricht einschlafe.
 

Den gesamten Vormittag über konnte Toshiya Hakueis Worte nicht aus seinem Kopf und dessen Geschmack nicht aus seinem Mund verbannen. Nicht besonders hilfreich, dass besagter Schüler zu allem Übel auch noch direkt neben ihm saß.

::Wie krank ist das eigentlich??::, dachte Toshyia plötzlich während er verzweifelt versuchte die trigonometrische Funktion y= sin²2π√(25a³b³-⅞cosδ)²̀ x lim2π in sein Heft zu übertragen und auszurechnen.

::Ich bin mit Hakuei zusammen! Wie bescheuert bin ich denn? Ich will nicht, dass er mich anfasst... Das ist so - abwegig ... ich wäre nie im Traum auf die Idee gekommen, dass so etwas passieren könnte! das ist... alles so irre... das kann doch nicht wahr sein...::

Glücklicherweise läutete es in dem Moment, da Toshiya erwog, dem Schulpsychologen einen Besuch abzustatten.

"Die Mathestunde die nie vergeht", murmelte Toshiya ermattet vor sich hin und trollte sich so schnell er konnte aus dem Klassenzimmer, bevor Hakuei noch auf die Idde kam, ihm zu folgen.

(Tatsächlich stammte Toshiyas Mathelehrerin in direkter Linie von einem frommen Uhrmacher nahmes Chronos ab, über den man munkelte, er habe die Fähigkeit die Zeit nach seinem Willen anzuhalten; angeblich nutzte der falsche Hund dieses Talent um Geschäft zu machen: er verhinderte durch einen kleinen, sauberen Zeit-Stop, dass seine Kunden den Laden verließen, ohne etwas gekauft zu haben; seltsamerweise hatte die Urururururureinkelin des Uhrmachers, betreffende Mathematiklehrerin, seit ihrer Kindheit in Momenten der Angst, Bedrängnis oder Müdigkeit immer ein leises, motones Ticken im Ohr, ebenso wie den Satz "Nein, ich möchte keine Uhr kaufen!", was ihr unerklärlich war und in fünf Jahren dazu führen würde, dass man sie in die geschlossene Anstalt einweisen musste; im Augenblick jedoch widmete sie sich noch ganz der Leidenschaft ihren Schülern die Mathematik von ihrer langweiligsten, sprödesten Seite zu vermitteln)
 

"Nun sag schon was los ist, Totchi! Wir sehen, doch, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung ist!"

Kaoru runzelte nachdenklich die Stirn. Er löcherte seinen Freund nun bereits seit fünf Minuten und hatte das Gefühl, dass sie sich im Kreis drehten. Shinya stand schweigend daneben, seine weichen, hübschen Mädchenaugen ruhten auf Toshiya. Die saß auf dem Klodeckel in einer geöffneten Toilettenkabine und strich mit schwarzem Edding in seinem Stundenplan die Fächer an, die ihn am meisten deprimierten.

"N-nein, es - es ist nichts! Wie ich gesagt habe, bin nur echt müde, hab nicht viel geschlafen, ehrlich", log Toshiya.

"Und warum? Was hat dich die ganze Nacht wach gehalten?"

Kaoru ließ nicht locker. Er bedrängte ihn nicht oder stellte keine unverschämten Fragen - er ließ nur einfach nicht locker.

"Ach, nur Schlafstörungen... hab ich immer bei Vollmond...", nuschelte der Blauhaarige und sah betreten zu Boden. Er hatte nicht vorgehabt Kaoru so dreist anzulügen. Andererseits hatte der junge Japaner in den letzten Stunden eine derart höllische Angst vor der Reaktion seines violetthaarigen Freundes entwickelt, dass er sich geschworen hatte kein Sterbenswörtchen zu verraten. Doch jedes Wort, dass sein freundlicher, geduldiger Mitschüler aussprach, versetzte Toshiya einen Stich ins Herz. Anscheinend war es Kaoru sehr wichtig zu erfahren warum es ihm nicht gut ging. Und das entwaffnete den schüchternen Japaner. Hätte sein Freund gleichgültig reagiert, hätte er sich in Selbstmitleid zurückziehen können - doch so schmolz sein letzter, schützender Panzer unter Kaours warmen Lächeln hinweg.

"Bitte... bitte hör auf zu fragen", flüsterte der Blauhaarige mit zitternder Stimme. In ihm kämpfte die schrecklich Angst, Kaorus kostbaren Respekt und sein Verständnis zu verlieren mit dem Drang das eigene Herz zu erleichtern und mit der Sprache rauszurücken. Er warf Shinya einen flehenden Blick zu. Dieser glaubte langsam einiges zu verstehen und lenkte daher auch sofort ein.

"Ähm, ich kann verstehen, dass du geschafft bist. Schule ist ja auch nicht wirklich leicht zur Zeit. Apropos, war nochmal etwas wegen Ryu und diesem Englischlehrer-Typ da?"

Als Kaoru dem Blonden ein Was-weißt-du-was-ich-nicht-weiß-Blick zuwarf, setzte dieser sein unschuldigstes Lächeln auf (bei Shinya eine verboten betörende Wirkung) und hakte nach: "Er lässt ihn in Ruhe, ne?"

"Ja... ja, ich denke schon", gab Toshiya zurück und schenkte Shinya ein dankbares Lächeln. Die hob den Kopf, warf seinen Freunden einen kurzen, matten Blick zu und jammerte: "Niemand beachtet mich. Klar. Ich bin ja nur der rothaarige Klotz am Bein. Rot ist eine so hässliche Farbe. Ich hasse euch." Damit zog er die Beine an, drehte sich auf dem Klodeckel um und begann mit seinem Edding vulgäre Flüche an die graue Kabinenwand zu kritzeln.

Kaoru, Toshiya und Shinya starrten ihren Freund halb verwirrt, halb betroffen an. Schließlich trat Toshiya an seine Seite und begann die Wörter zu überfliegen, die der Rotschopf der Kabine antat.

"Wow, Die! Wo hast du denn solche Wörter gelernt? Cool", flüsterte er beeindruckt anhand der abwechslungsreichen Schimpfwörter, die Die in der Wut über seine drei Freunde aufschrieb.

"Du irritierst mich. Du sollst dich angegriffen fühlen", lamentierte Die und verengte die Augen zu Schlitzen.

"Das ist für dich."

Er kreiste mit seinem Edding ein paar besonders wüste Begriffe ein.

"Woah, das sollte ich mir glatt abschreiben", fuhr Toshiya nur fasziniert fort, woraufhin die Augen seines Freundes noch schmaler wurden.

"Geh weg. Ich hasse dich."

Damit schob er Toshiya aus der Kabine, knallte die Tür zu und schloss ab. In der Stille die darauf folgte war nur das agressive Kratzen von Dies Edding zu hören und sein permanentes Gemurmel: "Hab ich ihnen nicht gesagt, dass sie mich nerven? Aber nein, nicht mal hier kann man seine Ruhe haben. Wie ich sie hasse. Keinen Respekt. Aber ich bin ja auch nur <der rothaarige Depp>. Der dämliche Die. Und all die Wortwitze zu meinem Namen. Widerlich. Ekelhaft. Wie ich es hasse. Sie wissen ja nicht mal wie ich wirklich heiße. Aber ich bin ihnen egal. Shinya kann mich mal xxxxx. Er sollte sofort xxxxxx! Und dann xxxx..."

Als Die begann seine Flüche auszusprechen, erstickte Kaoru beinahe an seinem Pausenbrot und schlug sich augenblicklich die Hand vor den Mund um nicht loszulachen. Er wollte seinen depressiven Freund schließlich nicht reizen, am Ende kam er noch auf die Idee sich in der Kloschüssel zu ertränken.

Es läutete.

Kaoru klopfte Shinya kameradschaftlich auf die Schulter.

"Also wie ich das beurteilen kann, musst du einfach mal Klartext mit unserem guten Daidai reden..." Er grinste breit und flüsterte Shinya etwas in Ohr, was diesen sofort wild erröten ließ. Toshiya konnte sich denken, dass es um die Gefühle ging, die der Blonde für Die hegte. Der Blauhaarige verließ nach Kaoru die Toilette, begleitet von "<Daidai>? Ich hasse ihn. Er irritiert mich. Verniedlichungsformen irritieren mich. Wie ekelhaft-". Als die Tür hinter ihm zuschwang und Dies Jammern im Klo einschloss, schickte Toshiya ein Stoßgebet zum Himmel.

::Bitte, lass sie glücklich werden. Was sie brauchen ist so glasklar, sie weigern sich nur es zu sehen! Ich hoffe Shin erkennt bald, was das beste für ihn und Die ist.::

Als er das Klassenzimmer betrat und Hakuei erblickte, der ihn nur ansah - mit einem durchdringenden Blick, der dem Blauhaarigen einen unbehaglichen Schauer über den Rücken jagte - fragte er sich, wann er selbst erkennen würde, was das beste für ihn sei.
 

Deutsch. Mehr muss nicht gesagt werden. Die zwölfte hatte das unbeschreibliche Glück bis zur zweiten Pause eine Doppelstunde Deutsch genießen zu dürfen. Seit eineinhalb Stunden kauerte Toshiya nun schon in seinem Stuhl und hoffte inständig, dass die Zeit schnell vergehen möge, bevor jemand ernstlich Schaden nahm.

"Ich teile ihnen nun ein Gedicht aus, das Sie bitte bis zu nächsten Stunde (also Morgen, hach wie ich mich freue!) auswendig lernen um es dann vorzutragen", erklärte der Deutschlehrer und knallte voller Elan einen Stapel bedruckter Blätter auf einen Tisch in der ersten Reihe. Als die Zettel ihn erreichten, nahm Toshiyas sich ein Blatt und überflog es. Einen Sekunde später begann er sich (wie merkwürdigerweise zehn weitere Mädchen und Jungen) die Stirn zu massieren. Ohne diese erstaunliche Reaktion seiner Schüler zu bemerken, fuhr ihr Lehrer fort: "Dieses Gedicht ist mit großem Können und Genialität verfasst worden. Es ist Poesie meine Lieben! Poesie! Außerdem enthält es, versteht sich, eine tiefe philosophische Aussage. Ich möchte Sie bitten zu diesem Gedanken Stellung zu nehmen. Notieren Sie bis morgen Stichpunkte in Ihr Heft, weshalb vorliegendes Werk von derartigem dichterischem Wert ist."

Toshiya starrte seinen Lehrer an. Das konnte jetzt nicht sein Ernst sein. Dieser räusperte sich und begann das Gedicht vorzutragen.
 

"Mein Freund der Frosch."
 

Er räusperte sich erneut.
 

"Mein Freund der Froch ist tot -

Platt liegt er auf der Chausee.

Es sinkt die Sonn' im Abendrot.

Er bleibt mein Freund auf alle Tag,

An welchem Reifen er auch kleben mag."
 

Die Minute, die folgte war ausgefüllt von sprachloser Stille.

Es läutete zur zweiten Pause.

"Ihre Hausaufgaben haben Sie. Bitte erledigen Sie sie gewissenhaft, das Gedicht ist nicht unbedeutend für die Deutscharbeit, die Sie nächste Woche schreiben."

Mit diesen Worten schob sich Toshiyas Deutschlehrer die Brille auf die Nase und verließ federnden Schrittes den Raum. Seine Schüler starrten ihm wortlos nach.
 

Die gesamte Pause über gelang es Toshiya sich vor Hakuei zu drücken, der offentsichtlich genau da weiter machen wollte, wo er vor der dritten Stunde aufgehört hatte. Am Ende eines schmalen Ganges im zweiten Stock, der zum Internetcafe der Schule führte, holte ihn der Schwarzhaarige jedoch ein.

"Nun mach mal langsam! Läufst du etwa davon?"

Hakuei schloss seine Finger fest um Toshiyas Handgelenk und fixierte ihn mit seinen dunklen Augen.

"Lass mich los und komm mir bloß nicht zu nahe!", erwiderte der Blauhaarige hitzig und versuchte vergeblich die Hand abzuschütteln. Hakueis lautes, rauhes Lachen ließ ihn erstaunt innehalten.

"Was glaubst du, wer ich bin? Dein Vergewaltiger?", prustete er nach fünf Minuten, als er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Dem Blauhaarigen stieg erneut Schamesröte ins Gesicht.

"Nun mach mal halblang. Siehst du nicht, wie du dich verhältst? Du hast selbst zugesagt und bisher auch nicht den Wunsch geäußert Schluss zu machen. Führ dich nicht so auf, nur weil ich dich küssen will, das tun alle Paare!" Er ließ Toshiyas Hand frei und grinste ihn an, wissend, dass er die Gedanken des Anderen auf den Punkt gebracht hatte. Dieser brachte vor Überraschung und Scham kein Wort heraus. Tatsächlich hatte er mit keinem einzigen Satz erwähnt, dass er die Beziehung nicht wünschte.

::Vergessen. Ich hab es einfach vergessen!::, dachte er erschlagen und überlegte hektisch was er nun antworten könnte ohne auch noch seinen letzten Funken Ehre einzubüßen. Hakuei kam ihm zuvor. Er nahm Toshiyas Hand wieder auf, diemal jedoch weitaus zärtlicher. Der junge Japaner starrte ihn an und errötete noch heftiger. Das verlief alles ganz und gar nicht nach seiner Vorstellung. Und wieso konnte er sich nicht bewegen? Erstarrt musste der Blauhaarige zusehen, wie Hakuei ihn sanft an sich heran zog und ihm die Arme um die schmale Hüfte legte. So unendlich zärtlich. Fast wie Sakito, wenn er seinem Koi einen Kuss gab. Toshiya konnte diese Hände, die ihn so liebevoll hielten nicht wegstoßen, er brachte es einfach nicht über sich. War das wirklich noch Hakuei? Dieser Blick - auf eine gewisse Weise wirklich beängstigend, so hatte er ihn noch nie gesehen. Ohne es zu wollen begann das Herz des jungen Japaners wie wild zu schlagen - noch nie zuvor war er so gehalten oder berührt worden. Der Schwarzhaarige drückte ihm sachte einen Kuss auf die Stirn, dann auf die Nasenspitze, dann auf die vollen Lippen. Auf einmal schüttelten stumme Schluchzer Toshiyas Schultern. Hakuei sah ihn verwirrt an, küsste aber sofort die salzigen Tränen weg, die die Wangen seines Koi herabflossen. Dieser ließ alles mit sich geschehen, unfähig sich zu wehren, unfähig überhaupt irgendwie zu reagieren. Alle Gefühle der vergangenen Stunden brachen geballt auf ihn herein.

Nach einer Weile, er hatte sich wieder einigermaßen beruhigt, blickte er auf und sah zufällig an Hakueis rechtem Ohr vorbei auf den leeren Schulflur (in der Pause wurden die Schüler gewöhnlich hinaus auf den Pausenhof geschickt). Leer trifft es nicht ganz. Eine einzige Person stand mitten auf dem Flur. Ihr Schatten fiel auf den gefließten Boden vor ihr.

Kaoru.

Er stand da wie angewurzelt und starrte das Pärchen mit maßlosem Entsetzen an.

Toshiya starrte zurück, nicht minder entsetzt. Langsam drückte er Hakuei von sich weg. Der Schwarzhaarige drehte sich nun auch um, sein übliches, bösartiges Lachen blieb aus. Interessante Situation! Er beobachtete seinen blauhaarigen Mitschüler, der leichenblass wurde, nach hinten taumelte, sich dann umdrehte und davonstürzte. Seine Schritte flogen die Treppe hinunter, wurden immer leiser bis sie nicht mehr zu hören waren. Hakuei stand dem Violetthaarigen alleine gegenüber. Wortlos schauten sie sich an. Dann seufzte der Junge mit den Ratsazöpfen genervt auf, drehte sich einfach um und ließ Kaoru alleine und ohne Erklärung stehen.
 

::Warum?? Warum musste er ausgerechnet in diesem verdammten Flur auftauchen? Warum hab ich kein Wort rausgebracht? Warum??? Warum werde ausegrechnet ich zweimal am Tag in der gleichen Situation erwischt? Ich bin so ein Iditot-::

Toshiyas Gedanken überschlugen sich als er in Tränen aufgelöst durch das Schulhaus stürzte. Er erreichte die Toilette, die glücklicherweise menschenleer war, schloss schnell die Tür hinter sich und sank schluchzend an der Wand neben dem Waschbecken zu Boden. Er hatte völlig vergessen, dass sie ja noch im Schulhaus waren und jede Sekunde jemand vorbeilaufen und ihn und Hakuei erblicken könnte. Wie bescheuert kann man sein?

Fassungslos überlegte Toshiya was er jetzt tun sollte. Der Mensch, vor dem er diese Beziehung am meisten geheimhalten wollte, hatte alles herausgefunden. Ausgerechnet Kaoru. Gerade an diesem Tag musste es passieren, der Blauhaarige war für ein Wortgefecht überhaupt nicht gewappnet, geschweige denn dafür, sich für eine Sache zu rechtfertigen, die er selbst gar nicht wollte. Was hatte Hakuei vor ein paar Tagen zu ihm gesagt? Er war noch immer der gleiche, peinliche Spinner wie früher?

::Ja... er hatte recht. Ich bin noch so feige wie früher. Und immer wieder verstricke ich mich in dieser Feigheit.:: Toshiya ließ den Kopf in die Arme sinken und schluchzte noch heftiger. Ihm war klar, dass es nie so gekommen wäre, hätte er den Mut gehabt Klartext mit Hakuei zu reden, oder Kaoru sofort mitzuteilen was vor sich ging. Dass Kyo ihn an diesem Morgen in der peinlichen Lage ertappt hatte, hätte ihm eine Lehre ein müssen. Und woher kam nur dieser grässliche Schmerz? Der Blauhaarige meinte, sein Herz würde zerreißen. Kaoru würde ihn sicher verabscheuen: Erst beschützte er ihn vor Hakuei und dann wurde er derart von Toshiya hintergangen und angelogen. Jeder andere Mensch hätte in diesem Augenblick vorbeilaufen können. Wieso musste von den 1200 Schülern, 110 Lehrern, 15 Elektrikern, 3 Hausmeistern, einem Gärtner und 250 Geranien ausgerechnet der Violetthaarige ihn mit Hakuei erwischen? Konnte man ein solches Pech haben?

Toshiya drückte seine Hand auf den Magen. Ihm war plötzlich übel und grauenvoll schwindelig. Schwarze Punkte tanzten vor seinen müden Augen auf und ab. Langsam sank er nach hinten gegen die Wand - und rutschte dann bewusstlos zu Boden.

"Tsssss...", ertönte eine leise, missbilligende Stimme aus einer der Kabinen. Eine Tür wurde aufgeschlossen und heraus trat ein zierlicher, blonder Junge. Kyo musterte die zusammengefallene Gestalt des Blauhaarigen von oben bis unten, bevor er tief aufseufzte, sich auf den Boden kniete, den Anderen - mit erstaunlicher Leichtigkeit - anhob und aus der Toilette trug.

"Zeit mich zu revanchieren..."
 

"Ma? Ich muss mit die reden", sagte Sakito zögernd und betrat die ehemalige Küche der Haras. Seine Mutter, eine elegante Frau in den vierzigern, saß auf dem wasserpumpenförmigen Etwas, schlürfte ihren Kaffee und blätterte einen Katalog durch, den sie auf ihren Oberschenkeln plaziert hatte. Ihre Frisur war etwas verrutsch und von ihren hochgesteckten Haaren hingen einzelne wirre Strähnen weg. Ansonsten machte Sayumi Hara einen seriösen, gelassenen Eindruck. Als ihr jüngster Sohn die Küche betrat, sah sie von ihrer Lektüre auf und beobachtete mit mütterlichem Erstaunen, wie er auf sie zu ging, eingeschüchtert, an seiner Hand hielt er einen sehr zierlichen, hübschen Jungen. Die Mutter blickte verständnislos von einem zum anderen.

"Hai? Möchtest du mir jemanden vorstellen?"

Das tat er doch sonst nicht. Stirnrunzelnd fasste sie den Gast ins Auge. Glatte, nachtschwarze Haare, leicht schräggestellte asiatische Augen, Ohrringe wie ein Mädchen. Innerlich dachte Sayumi, dass die Mutter dieses Kindes in ihrer Erziehung wohl einiges falsch gemacht hatte. Sie selbst war immer stolz darauf gewesen, dass sie es fertig grebracht hatte ihre Söhne ohne Ehemann zu ganzen Kerlen zu erziehen. Gut, der Älteste schminkte sich, aber war das ein Beinbruch? Gut, der mittlere hatte nun auch damit begonnen. Aber Sakito - Sakito war durch und durch Mann. Ein mütterlich-stolzes Lächeln erstrahlte auf ihrem Gesicht, als Sayumi ihren Sohn betrachtete. Dieser trug im Augenblick einen ziemlich verwirrten Gesichtsaudruck zur Schau.

"Mama? Ma, hast du mir zugehört?"

"Äh, wie bitte Liebling? Entschuldige, hast du was gesagt?"

Und nacher sollte sie dringend noch die Mülltonne auf die Straße stellen. Letzten Monat, als sie darauf vergessen hatte, war es so ärgerlich gewesen, man konnte nichts mehr wegwerfen und sie war gezwungen gewesen Sakito zu erlauben den Abfall in einem bio-chemischen Feuer zu verbrennen.

::Er ist ja so schlau::, dachte sie stolz. ::Das hat er ganz von mir.::

"Das ist Ryutaro, mein Freund."

Mit diesen Worten zog Saktio den Schwarzhaarige nach vorne und schob in vor die Nase seiner Mutter. Diese rückte ihre elegante Brille zurecht, blinzelte kurz und lächelte dann freundlich.

"Ah, Ryutaro. Ich kenne deine Mutter, sie ist eine Arbeitskollegin von mir. Sie ist-" Sayumi stockte kurz, die Worte egoistische, widerlich Lästerschlange, die niemandem etwas gönnt lagen ihr auf der Zunge, doch sie überlegte kurz, lächelte weiter und fuhr dann fort: "-eine wunderbare Frau. Auch wenn ich sie nicht besonders gut kenne."

Ryutaro verbeugte sich schüchtern.

"Ryutaro... was denkst du?" Sakitos Mutter hielt ihm den Katalog unter die Nase.

"Die blaue Bettwäsche mit dem Kamelmuster oder die kardinalrote mit dem Aufdruck von Schloss Neuschwanstein?" Sie lächelte wieder.

"Äh, die mit Kamelmuster ist sehr nett, Frau Hara", antwortete Ryutaro schüchtern.

"Ja, nicht war, das dachte ich anfangs auch. Schade nur, dass die Vorhänge in meinem Schlafzimmer eierschalfarben sind, da würde rot doch viel besser passen. Natürlich gibt es da noch diese herrliche smaragdgrüne, hier, sieh mal, auf der Bettdecke ist ein detailgetreuer Plan des Pariser U-Bahnnetztes aufgedruckt..."

"Ma, ich wollte dir meinen Freund vorstellen!", begann Sakito erneut. Seine Mutter sah wieder auf und lächelte verständnislos.

"Aber das hast du doch schon, Liebes."

"Nenn mich nicht so! Nein, du verstehst nicht..."

Sayumi blinzelte von einem zum anderen. Sie hatte das Gefühl, dass sie gleich sehr schockiert sein würde - mütterlicher Instikt - also schlug sie ihren Katalog zu und legte in sorgfältig auf den Boden. Dann holte sie tief Luft und richtete das Wort wieder an ihren Sohn.

"Wie meinst du das, Saki? Was willst du mir sagen?"

Ihr Sohn antwortete nicht. Auf seine Wange legte sich ein Schatten von Rosa, als er die Hand des schwarzhaarigen Jungen fasste und an seine Seite trat. Er verschlang seine Finger mit denen Ryutaros und legte seine linke Hand um dessen Hüfte.

Das Lächeln seiner Mutter hielt an, doch sie sah zunehmend verwirrter aus.

"Wie meinst du das jetzt, Sakito?"

"Ryu ist mein Freund... ich bin mit ihm zusammen", erklärte Sakito, woraufhin ihm ein großer Stein vom Herzen fiel und sein Koi tiefrot anlief.

Es dauerte eine Weile bis die Rädchen in Sayumis Kopf die Worte verarbeitet hatten. Sie lächelte vergnügt weiter und kippte um.

"Ma? Ach nöö...", jammerte Sakito, ließ seinen Freund los, kniete sich zu seiner Mutter und tätschelte ihre Wange. Nach einer Weile schlug sie die Augen wieder auf.

"Aber das ist ja wunderbar!" Sie blinzelte leicht irritiert. "Ryu, du bist natürlich immer willkommen. Sakito, könntest du mir bitte einen Kaffe machen? Einen richtig, richtig starken?"

Sayumi rappelte sich auf, plötzlich verblasste ihr Lächeln.

"Ok, ich hab keinen Bock mehr. Scheiß Tag, die Leute glauben sie können sich benehmen wie Arschlöcher, nur weil ich die dumme Abteilungsleitertusse bin, ne scheiß Frau, aber is ja auch egal und immer muss man dieses bescheuerte Grinsen zur Schau tragen, ich habe ja sowas von die Nase voll." Sie nahm die Tasse entgegen, kippte sie in einem Zug runter, wischte sich mit dem Ärmel über den Mund und fuhr wütend fort: "Nur weil mein jüngster Sohn schwul ist, geht die Welt auch nicht unter, abgefuckte Gesellschaft, die können mich doch alle mal! Weißt du was Saki? Zeig es ihnen allen! Hau ihnen auf die Fresse, wenn's sein muss! Und wenn sie glauben, dass ich nicht hinter dir stehe, dann können sie sich das mit dem netten, geruhsamen Leben gleich in den xxx stecken und-"

Ryutaro starrte die Frau bedröppelt an. Diese erwiderte seinen Blick, richtete ihre Bluse, fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das sich gelöst hatte und holte tief Luft.

"Aber ich denke so weit wird es nicht kommen. Du bist immerhin ein sehr kluger Junge, Sakito, ich bin sehr stolz auf dich", fuhr sie lächelnd fort und war wieder die perfekte Karrierefrau und Mutter in den vierzigern.

"Und könntet ihr mich nun vielleicht ein wenig alleine lassen, Jungs? Das wäre sehr nett. Ihr müsst wissen, dass ich wahnsinnig müde bin... geht doch nach oben und unterhaltet euch..."

"Ja, danke Mama", antwortete Sakito brav, schenkte seiner Mutter ein lammfrommes Schäfchenlächeln und zog seinen Koi hinter sich her zur Tür hinaus.

"Deine Ma...", murmelte Ryutaro geschockt.

"Ja, wie findest du sie?"

"Nett... irgendwie. Aber... äh, hat sie das öfters?"

"Wie? Ach so das. Naja, wenn sie heftig gestresst ist, schlägt ihre Laune schon mal ins Extrem um. Aber sie kann auch ganz normal sein, keine Sorge..." Sakito lachte laut auf und gab seinem Freund schnell einen Kuss auf die Wange. Dieser lächelte zurück und folgte ihm die Treppe hinauf in sein Zimmer, während er darüber nachdachte, dass Sakito auch von sich selbst behauptete er sei normal. Vielleicht war es besser die Mutter nicht allzu gut kennenzulernen - von irgendwem musste ihr Jüngster schließlich seinen merkwürdigen Hang zur Kochkunst geerbt haben.

"Ryu, schau!!", rief Sakito plötzlich und unterbrach die Gedanken seines Koi. Dieser erhob sich erstaunt vom Bett und trat neben den Schwarzhaarigen ans Fenster. Draußen vor dem Haus parkte ein gewaltiger Atommülltransport. Äh nein, auf den zweiten Blick erkannte man, dass es eher ein Möbelauto war (komisches, neongelbes Logo). Sakito hüpfte vor Begeisterung auf und ab wie ein kleines Kind an seinem Geburtstag und seine Augen leuchteten als er flüsterte: "Meine Küche ist da!"
 

Toshiya stöhnte und öffnete die Augen. Wie konnte man sich so krank fühlen... Er machte den schwachen Versuch sich aufzusetzen.

::Richte dich auf, na los, komm schon! Jetzt aber - eins, zwei, drei! Ok, jetzt aber wirklich auf drei...:: (kennt ihr das auch? Mir geht es jeden Morgen vor der Schule so =.= ...)

Als er nach einer Weile zu dem Schluss kam, dass es keinen Sinn hatte (auch wenn er mental schon fünfzehn mal aufgestanden war), dachte er es könnte nützlich sein erst einmal herauszufinden wo er sich überhaupt befand. Der erste Gedanke der ihm kam: ::Eindeutig mein Bett. Aber - warum?::

Nach und nach tröpfelten die vergangenen Ereignisse wie zähflüssiger, klebriger Teer in sein Gehirn. Er war geflüchtet, nachdem Kaoru ihn und Hakuei Arm in Arm erwischt hatte (eigentlich war er bei dem Ganzen völlig passiv gewesen, aber das tat im Moment nichts zur Sache) - davongerannt! Wie peinlich! Wie ein kleines Kind. Er hatte im entscheidenden Augenblick genau falsch reagiert. Kaoru... was er jetzt wohl dachte? Toshiya wollte es gar nicht erst wissen, schon der bloße Gedanke daran verursachte bei ihm ein Gefühl der Übelkeit. Merkwürdigerweise hatte sich der junge Japaner, nachdem er endlich ein wenig Schlaf gefunden hatte, nun wieder einigermaßen beruhigt. Und wäre er an diesem Morgen ausgeschlafen gewesen, wäre alles völlig anders verlaufen. Sein Gehirn hätte noch einigermaßen funktioniert, außerdem sein gesunder Menschenverstand, folglich hätte er sich auch mit Sicherheit nicht wie der letzte Idiot verhalten. Zu spät.

Schlaf... da war doch etwas. Ah ja, genau, die unerklärliche Tatsache, dass er zu Hause in seinem eigenen Bett lag. Toshiya konnte sich nur noch daran erinnern in irgendeine Toilette gestürzt zu sein und dann - Nacht.

Augen langsam öffnen. Blinzeln. Tatsächlich sein Zimmer. Nur wie-

Dem Blauhaarigen blieb für einen Augenblick beinahe der Atem weg. Ob vor Entsetzen, Scham oder einfach nur Überraschung konnte er nicht sagen.

Kyo.

Dieser kleine, blonde Junge mit den Katzenaugen, unberechenbar wie eine angefahrenes Wildschwein, undurchschaubar wie ein Glas Orangensaft.

Hier.

Ausgerechnet hier in seinem Zimmer.

Völlig gelassen als wäre es das natürlichste von der Welt hing er auf Toshiyas Schreibtischstuhl, spielte mit einer Haarsträhne, die in seine Augen hing - was aus irgendeinem Grund etwas Laszives an sich hatte - und warf dem Blauhaarigen einen gelangweilten Blick zu.

"Na endlich", murmelte er genervt, erhob sich von dem Stuhl, schwang sich seine Jacke über die linke Schulter und öffnete die Zimmertüre. Er hob kurz die Hand über den Kopf, deutete wage ein Winken an, trat hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Kyo hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht die Klinke in die Hand zu nehmen.

Für einen kurzen Moment starrte Toshiya auf die geschlossene Tür und kam sich leicht dämlich vor. In der nächsten Sekunde war er auf den Beinen (absolut keine gute Idee) und nahm die Verfolgung auf.
 


 

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Dieses chapter war etwas... äh... komisch. Also noch komischer als alles andere, denn Totchi wird gleich zweimal am selben Tag in der gleichen Situation ertappt. Tja, echt blöd gelaufen, ich fürchte er hat einfach Pech u.u...

7

Walking proud
 

Autor: Clea

Pairings: Mal sehen... also RyuxSaki, HakuxTotchi, ab und zu mal DaishixUruha

Kommentar: Wer keinen Bock hat meinen ausnahmsweise langen Kommentar zu lesen, der kann ihn gerne überspringen ^.^

...

und ewig in der Hölle schmoren!! Wer nicht lesen will, was ich zu sagen habe, soll sich so schnell er kann fort scheren zum Teufel!! Seine Innereien mögen verbrennen und ihn von innen heraus auffressen! *schnauf* Gut, das wäre gesagt....

[Übrigens verdammt seien auch die Wesen, die meine ff lesen und noch nie einen Kommentar geschrieben haben... ne Shi? ... *sigh* love you anyways]

Erst mal arigatou ne für euere zahlreichen Kommis, das treibt mich an, die Geschichte weiterzu-äh-spinnen ^.~ *verbeug* I luv u all.

Tjaa, Clothoid Doll, selbstverständlich bin ich allwissend (ich hoffe natürlich, dass du mit deinem Kommentar darauf anspielen wolltest *ego streichel* ^^ ne, Unsinn) *hüstel*, aber es gibt Dinge, die man eben nicht wissen sollte. Eine davon wäre eben zum Beispiel die Sache, dass du nie einen Parkplatz vor deinem eigenen Haus findest. Würde ich dir das jetzt beantworten, würden immer mehr Leute kommen und die unmöglichsten Dinge wissen wollen, wie zum Beispiel den Sinn ihres Lebens und so einen Stuss. Wo kämen wir denn da hin? Was allerdings immer eine große Rolle in unserer Gesellschaft spielt, und zwar eine viel größere als die Frage selbst, ist die Schuld -> In diesem Fall also, wer hat Schuld daran, dass du nie einen Parkplatz findest? Wenn man mal betrachtet wer in den ganzen vermaldedeiten Fall verwickelt ist, dat wäre dann ergo (das Wort wollte ich unbedingt einsetzen, soll juristisch klingen^^) du, dein Auto und die Autos, die vor deinem Haus parken (die Autos sind aufgrund ihrer mangelnden Identität und ihrer eingeschänkten Entscheidungsgewalt freigesprochen), wird ganz klar, dass ganz allein du diejenige bist, die die volle Schuld und Verantwortung trägt. Schuld muss bestraft werden, tja es tut mir ehrlich leid für dich und ich hoffe die ganze Sache fällt niemandem auf, ansonsten kannst du damit rechnen nicht so leicht davonzukommen. In diesem Sinne... oh mein Gott... Verbrecher lesen meine fanfic... (^.~ net böse sein, ne? Das is meine Art sich für deinen comment zu bedanken. Oh fuck, ejtzt schreibst du bestimmt nie mehr was Y.Y).

Und Hinoto-chan... von dir hab ich, glaube ich, auch schon viele Kommis... thanks, ne. Nö, Die liebt die Olive nicht mehr als Shinya, denn Shinya ist ja- *sich unterbrech* aber lies selbst^^.

@Camui: Lieb, dass du mir trotzdem nen Kommentar schreibst!

.....uuuuuund Yume: *knuff und durchknuddel* ich freu mich immer sooo von dir Kommis zu haben... wenn ich dich schon nimmer seh *gg* warst so nett zu mir *alte pms rauskram*. Meine erste Betaleserin *schnüff**sentimental*.

Und an all die anderen (Shini-baby, Silent-Voice, KaoNiikura ....): Auch danke für euere Kommis, aber ich hab jetzt keine Lust zu allen was zu schreiben (&keine Ideen, ich will auch net immer dasselbe schreiben). Und sagt mir bitte weiter, was ihr davon haltet.

So, alle, die sich bis hierher durchgequält haben, können in Ruhe sterben, weil sie keine Angst haben müssen auf ewig im Höllenfeuer zu schmoren harhar.

*+*+*+*+*+*+*+*+*+*+*

Oh mein Gott, ich höre gerade... Emu~For my Dear (und ich hatte total verdrängt, dass es dieses Lied überhaupt gibt) ... ich höre allen Ernstes Gackt... ich liebe dieses Lied...weiß nicht, aber es passt irgendwie gerade zur Geschichte (oder meiner Stimmung)... Muahahahaaa, dann lasst uns die beiden mal zusammenbringen >.<!!!


 

Teil 7
 


 

Für einen kurzen Moment starrte Toshiya auf die geschlossene Tür und kam sich leicht dämlich vor. In der nächsten Sekunde war er auf den Beinen (absolut keine gute Idee) und nahm die Verfolgung auf. Nun ja, besonders weit kam er nicht. Kaum war der Blauhaarige vor der Tür angekommen, da spürte er plötzlich wie übel er sich fühlte - und wie sehr seine Arme, Beine, sein ganzer Körper schmerzte. Dieses Krankheitsgefühl steckte in jedem Muskel, in seinem Kopf drehte sich alles und seine Augen brannten. Er kam nicht einmal zu dem Versuch sich irgendwo festzuklammern. Überrascht, dass ihn seine Beine nicht trugen, fiel Toshiya nach vorne und landete unsanft auf dem Teppich vor seiner Zimmertür. Kyo, der am Treppengeländer innegehalten hatte, musterte ihn mit verzogenem Gesicht und missbilligendem Kopfschütteln.

"Dir ist sowas von gar nicht zu helfen...", gab er bekannt, drehte sich um und wollte sich gerade weiter die Treppe hinunter bewegen, als Toshiya ihn ansprach.

"Warte! Hast du mich hierher gebracht?", hauchte er und versuchte seinen schweren Kopf so anzuheben, dass er den kleinen blonden Jungen ins Auge fassen konnte. Dieser seufzte nur genervt auf und erwiderte leicht bissig: "Seh ich so aus, als würde ich dich besuchen kommen um dir Blumen vorbeizubringen und dir ne gute Besserung zu wünschen?"

"Nein", gab Toshiya überflüssigerweise zur Antwort. Er zog sich an der Klinke seiner Tür nach oben und blieb dann leicht schwankend an die Wand gelehnt stehen. Es fühlte sich so an, als würde ein Gewicht schmerzend auf seinen Körper drücken, mit der Absicht ihn in die Knie zu zwingen. Vielleicht hatte er sich ja doch bei Kyo angesteckt.

"Aber... wieso?" Toshiya verstummte. Jedes einzelne Wort kostete ihm Anstrengung, daher hoffte er inständig, der andere würde ihm dieses mal richtig antworten.

"Jetzt sind wir quitt", erklärte der Blonde knapp.

So war das also: Kyo hatte ihm geholfen, weil er sich bedanken wollte. Natürlich würde es der kleine zierliche Japaner niemals zugeben, aber er war Toshiya wirklich etwas schuldig. Das war wohl auch der Grund, weshalb er (natürlich nicht ohne noch einmal extrem genervt auszuseufzen) schließlich doch an Toshiyas Seite trat, ihn wieder in sein Zimmer und damit in sein Bett hievte.

"Und jetzt bleib da, kapiert? Noch einmal mach' ich das bestimmt nicht."

Toshiya konnte sich ein mattes Grinsen nicht verkneifen. Anscheinend hatte der Blonde das Herz doch am richtigen Fleck, so eiskalt er auch sein konnte. Dann fiel dem Blauhaarigen schlagartig wieder ein, dass Kaoru ihn nun sicher verabscheuen würde und das Lächeln wich augenblicklich aus seinem Gesicht.

"Oh Gott ...", murmelte er gequält und zog sich die Decke über den Kopf.

"Du bist echt zu bemeitleiden...", sagte Kyo und es klang eher wie Bist du bescheuert!. Der Blonde ließ sich mit dem Rücken gegen die geschlossene Zimmertür fallen und beobachtete Toshiya mit seinen Katzenaugen. Dessen Kopf erschien wieder von unter der Bettdecke. Er warf Kyo einen verwirrten Blick zu.

"Naja, ich meine... wie kann man sich nur zweimal in der gleichen Situation erwischen lassen. Tssss, ganz schön bescheuert... Ich begreife allerdings nicht, warum es dir so viel ausmacht...", fuhr der zierliche Japaner gelangweilt fort und spielte mit einer Sicherheitsnadel herum, die er aus seiner Tasche gezogen hatte. "Nya, hab keinen Bock noch länger hier abzuhängen", er warf dem Blauhaarigen einen strafenden Blick zu, "reicht schon, ich gehe."

"Natürlich macht es mir etwas aus! Was sollen.... was sollen die Leute denken? Oh Gott, ich habe mich bis auf die Knochen blamiert. Ausgerechnet vor Kaoru...." Toshiya verbarg sein Gesicht in den Händen. Er wusste nicht, weshalb er dem Blonden das erzählte, vermutlich einfach nur, weil er mit jemandem darüber reden musste und der zierliche Junge gerade da war.

Kyo seinerseits blieb mitten in der Tür stehen, rollte mit den Augen, drehte sich wieder um und sagte: "Und genau das ist dein Problem! Mir wäre es völlig egal, was andere Leute denken." Seine Katzenaugen blitzten. Toshiya wagte nicht zu erwidern hätte ich deinen Ruf würde ich mich umbringen er murmelte nur: "Ausgerechnet Kaoru..."

"Ich hab keine Lust mir dein selbstmitleidiges Gesülze anzuhören", erklärte Kyo genervt, leckte sich über die geschminkten Lippen (was bei Toshiya ein merkwürdiges Kribbeln in der Magengegend verursachte) und zog die Tür hinter sich zu. Der Blauhaarige starrte auf das Poster, das an der Rückseite der Tür heftete und ihn immer an Kaoru erinnerte, da er es von diesem geschenkt bekommen hatte. Kyo hatte Recht. Was für einen Sinn hatte es, sich noch länger darüber aufzuregen, es war nun einmal geschehen. Auch wenn es ihm unheimlich schwer fiel - er musste wohl oder übel damit leben. Vielleicht gab es doch noch eine Lösung und er konnte Kaoru alles erklären. Toshiya fühlte sich plötzlich eines kleines Stück besser. Er raffte sich von seinem Bett auf, stolperte durch das Zimmer und sah aus dem Fenster. Der kleine blonde Japaner überquerte direkt unter ihm die Straße. Wirklich ein seltsamer Junge. Aber nicht so bösartige wie er auf den ersten Blick wirkte. Toshiya musterte die dünnen Beine, die kleinen Hände, die in den Taschen vergraben waren und die kunstvoll gestylten Haare des Blonden und fragte sich wohin er wohl ginge. Und was ihn wohl zu solch einer gleichgültigen Haltung gebracht hatte. Es war Toshiya unverständlich, woher jemand den Mut und die Gelassenheit nehmen konnte derartige Dinge einfach an sich abgleiten zu lassen. Unten auf der Straße blieb Kyo plötzlich stehen. Er drehte sich um und sah direkt hinauf zu Toshiya. Die großen, dunkelbraunen Augen des Jungen waren undurchdringlich, ohne mit der Wimper zu zucken bohrte er seinen Blick in den Toshiyas. Dann wandte er sich einfach wieder ab und setzte seinen Weg die Straße entlang fort. Toshiya blickte ihm nach, bis er um die Ecke verschwunden war. Diese Augen. Was musste man tun, um sich einen derart durchdringenden Blick anzueignen. Wie er da unten auf dem Asphalt gestanden hatte... wie verloren hatte er da für einen Augenblick ausgesehen. Tausend Dinge lagen in diesem katzenhaften Blick. Plötzlich hatte der Blauhaarige das Bedürfnis zu erfahren, was es mit Kyo auf sich hatte, mit all den Gerüchten die den geheimnisvollen Jungen auf Schritt und Tritt begleiteten, mit seinem Bruder, der ihm so unähnlich war. Der zierliche Junge faszinierte ihn. Entschlossen wandte sich Toshiya vom Fenster ab und schleppte sich hinunter in die Ex-Küche in der Hoffnung seinen kleinen Bruder dort anzutreffen. Der könnte ihm mit Sicherheit einige seiner Fragen beantworten. Außerdem lenkte ihn das alles von Kaoru ab.
 

"Saki? Weißt du vielleicht-"

Weiter kam er nicht. Als der Blauhaarige nämlich in seiner naiven Unschuld unvermittelt die Küchentür aufstieß, begrüßte ihn die neue Küche seines Bruders. Und zwar mit Guten Tag, seien Sie so frei und essen Sie etwas!.

"UUUUUAAAH", brüllte Toshiya und bekam einen Hustenanfall.

"Schrei nicht so, Brüderchen, kein Grund zur Panik! Darf ich dir vorstellen? Meine neue Küche Agatha", sagte Sakito stolz und ging auf seinen Bruder zu. Toshiya beruhigte die Anwesenheit seines Bruders ein wenig. Wenn er den Meister an seiner Seite hatte, würde ihn zumindest nichts angreifen. Erschaudernd blickte er umher. Blinkender, silberner Stahl, so weit das Auge reichte. Vom Fußboden bis zur Decke. Ehrlich gesagt, hätte er nicht gewusst, dass es sich um eine Küche handelte, der Blauhaarige hätte keine Ahnung gehabt, wozu die Einrichtung dienen sollte. Andererseits konnte er das, wenn er genauer darüber nachdachte, auch mit diesem Wissen nicht direkt sagen. Der Raum war mit einer Art silbernen Metallwand ausgekleidet, vielleicht Schränke, vielleicht auch nicht. In der Mitte ein Tisch auf dem etwas stand, das mehr aussah wie eine Waffe, als ein Küchengerät. Unter der Tischplatte, mit Glas verkleidet, das merkwürdige wasserpumpenähnliche Dingsda inmitten von gedärmartigem Kabelgewirr, das man hübsch bunt angemalt, mit niedlichen kleinen Schildern verziert und dann mitten in der Küche platziert hatte, statt es um Mitternacht schweigend in einem tiefen kalten Grab zu versenken.

"Willst du was trinken?", fragte Sakito grinsend.

"Ich h-hätte gern einen Tee", presste Toshiya hervor und fragte sich im selben Augenblick ob das wirklich einen gute Idee gewesen sei.

"Kommt sofort!"

Sakito betätigte einen der Knöpfe neben der Türe (einen grün-blau gemusterten, der bei Berührung penetrant aufschrie) und einen Herzschlag später klappte irgendwo eine winzige Tür aus der metallenen Wand, heraus kam etwas, das stark nach einer Laserkanone aussah. Sakito betätigte einen weiteren Knopf und aus dem Gerät floppte eine Tasse, in die sich ein dampfender grüner Strahl ergoss. Sein kleiner Bruder nahm die Tasse entgegen, die ihm von einem Metallarm des Apparats gereicht wurde und gab sie an Toshiya weiter.

"Äh danke - denke ich...", murmelte dieser, nahm einen Schluck und musste zugeben, dass es zwar nicht nach Tee, aber trotzdem ganz gut schmeckte.

"Bruder, du siehst übel aus", gab Sakito zur Auskunft, woraufhin ihm Toshiya einen finsteren Blick zuwarf.

"Danke. Aber wo hast du deinen Freund gelassen? Ich hoffe, er ist nicht Opfer irgendeines Experiments geworden..."

"Haha", sagte Sakito trocken, "der ist nach Hause gegangen, anscheinend is seine Ma wieder da." Er legte einen Hebel um und der Tisch in der Mitte des Raumes sank in den Boden.

"Ich hoffe es geht ihm gut", fügte er leise hinzu.

"Bestimmt", sagte Toshiya und versuchte aufmunternd zu lächeln, auch wenn ihm gar nicht danach war. Diese Küche schüchterte ihn ein: Sie war nun, da der Tisch im Erdboden versunken war, nichts weiter, als ein Raum mit stählernen Wänden und einer Reihe von Knöpfen neben der Tür.

"Arbeiten du nun solltest", krächzte eine Stimme neben Toshiyas Ohr. Dieser starrte völlig entgeistert auf ein kleines, verhutzeltes Männchen, das anscheinend neben ihm aus dem Boden gewachsen war und an Sakitos Ärmel zupfte.

"Was zum Teufel ist das denn?", flüsterte der Blauhaarige mit bebender Stimme. "Und woher kommt es?" Sakito warf ihm einen tadelnden Blick zu.

"Das ist ein Küchenyoda", erklärte er. Das Männlein musterte den Blauhaarigen misstrauisch.

"Er war bei der Küche dabei. Sowas wie ein Küchenhelfer. Toll nicht?" Der Schwarzhaarige strahlte. "Kochen wir, Yoda", sagte er, drückte einen Knopf und trat an das erscheinende Spülbecken.

"Einverstanden. Zuerst die Zwiebeln kleinschneiden du solltest", krächzte Yoda. "Danach die Milch erhitzen du musst. Doch gewarnt sein du sollst, tapferer Junge: Schnell sie anbrennt, viel zu schnell." Die kleine Gestalt händigte Sakito ein Messer und einen Teller aus.

"Viel Geduld brauchen du wirst, viel Weisheit...", murmelte Yoda weiter und da Sakito seinem Lehrer interessiert lauschte und ihn bereits völlig vergessen hatte, beschloss Toshiya, dass es Zeit war zu gehen. Weeeeit, weeeeit weg...
 

Er schleppte sich also die Treppe wieder hinauf und öffnete seine Zimmertür. Kaum war er eingetreten, erwartete ihn die nächste Überraschung. Erschrocken wich er zurück und stolperte gegen die Wand.

"Was-was tust du denn hier?", keuchte Toshiya und presste die Handfläche auf sein hämmerndes Herz. Er war auch nicht mehr der jüngste (der Statistik nach zu urteilen lebt ein Mensch im Durchschnitt 70 Jahre; man steht also im Alter von 17 sozusagen schon mit einem Fuß im Grabe; traurig aber wahr) und noch mehr Überraschungen würde er mit Sicherheit nicht überleben.

Hakuei grinste sein Ich-liebe-es-dich-zu-schockieren-Grinsen und erhob sich von Toshiyas Bett.

"Ich?" Er versuchte ein unschuldiges Lächeln, scheiterte kläglich, ersetzte es durch seinen üblichen hämischen Blick (der leider nicht annähernd die gleiche Wirkung erzielte) und fuhr fort: "Ich wollte nur sehen, wie es dir geht, nachdem du so... davongestürzt bist... übrigens: Tolles, weiches Bett hast du", der Junge warf seine nachtschwarzen Haare zurück und musterte seinen Freund, der bleich an der Wand kauerte, mit durchdringendem Blick, "es ist sicher schön... darin zu liegen..."

Das Grinsen, das folgte, machte Toshiyas letzter Kraft den Garaus. Mit weichen, zitternden Knien rutschte er zu Boden und starrte den anderen an. Eine Stimme in ihm sagte, dass Hakuei damit nicht ausdrücken wollte, dass er vorhatte sich die gleiche Matratze wie Toshiya zu kaufen. Sein schmutziger Blick sprach Bände. Dem Blauhaarigen schlug das Herz bis zum Halse.

"M-mir geht es gut, bin nur erkältet und ich würde es begrüßen wenn du sowas in der Schule in Zukunft unterlassen könntest", stotterte er und drückte sich noch enger an die Wand. Aus irgendeinem Grund spürte der blauhaarige Japaner beim Anblick seines Klassenkameraden leichte Panik in sich aufsteigen.

"Sowas? Was sowas?" Hakuei schlenderte langsam auf den Kranken zu und kniete sich schließlich neben ihn.

"Meinst du - sowas?"

Damit fasste er ihn an den Schultern und unter den Kniekehlen, hob ihn auf und trug ihn hinüber zu seinem Bett. Toshiya fühlte sich viel zu schlapp und müde um sich großartig zu wehren, er nuschelte nur: "Ja, sowas und die ganzen anderen Sachen. Ich wünschte wirklich du würdest das lassen..."

Hakuei setzte ihn sanft auf dem Bett ab, ließ ihn aber nicht los. Seine linke Hand ruhte noch immer unter Toshiyas Schultern, die Rechte wanderte zu seinem Gesicht.

"Genau das meine ich", hauchte Toshiya. Die Müdigkeit hinderte ihn an jedem weiteren Wort. Als der andere begann, zärtlich über seine Wange zu streichen, wobei er ihm so nahe kam, dass Toshiya den heißen Atem auf seiner Haut spüren konnte, wimmerte er nur: "Bitte, hör auf... ich... bitte... ich mag das nicht..."

"Das glaube ich dir nicht... ich weiß ganz genau, dass du das genießt... oder willst du sagen, dass dich schon einmal jemand anderes so berührt hat", er fuhr demonstrativ mit dem Daumen über Toshiyas Lippen, "oder so gehalten hat..." Hakuei setzte sich neben den Blauhaarigen, legte seine Beine hoch, zog ihn dicht zu sich heran und barg ihn so mit seinem Körper. Toshyia musste zugeben, dass sich diese Wärme gut anfühlte. Und diese Geborgenheit. Hakuei küsste ihn sanft auf die Stirn, dann ersetzte er seine Hand durch seine Lippen und küsste ihn auf die Wange.

"Nein, lass...", begann Toshiya schwach, doch er war viel zu müde, fühlte sich viel zu krank und elend und hatte solche Berührungen viel zu nötig um sich weiterhin dagegen zu sträuben. Trotzdem wusste er, dass es nicht richtig war. Er liebte Hakuei nicht, empfand nichts für ihn und nur weil er ihm ein wenig Sicherheit gab... hin- und hergerissen überlegte er verzweifelt was er tun sollte, während Hakueis Küsse immer aufdringlicher und tiefer wurden. Schließlich, als der andere begann über Toshiyas Schritt zu streichen, stieß ihn dieser mit aller Kraft von sich. Von dem Gefühlschaos in ihm überwältigt, presste sich der junge Japaner an die Wand und zog schützend die Beine vor seinen Körper, wobei er wieder einmal nicht verhindern konnte, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. Diese ganzen Empfindungen waren einfach zu viel, Kaoru, Hakuei, Hakuei, Kaoru... und es schockierte ihn wie sehr ihm die Berührungen seines Klassenkameraden gefielen und erregten. Er fühlte sich nun nicht nur miserabel, sondern auch unsagbar schmutzig.

"Hey, nicht weinen! Nun komm schon! Was soll das?" Hakuei musterte den anderen, kniete sich auf das Bett und versuchte Toshiya wieder in seine Arme zu ziehen. Dieser wehrte sich verzweifelt (wobei er eher gegen seine eigenen Gefühle ankämpfte als gegen seinen Mitschüler).

"Nein, geh weg!", schluchzte er. "Es tut mir leid Hakuei, aber ich kann nicht! Lass mich in Ruhe, bitte! Ich hab keine Ahnung wie du hier herein gekommen bist, aber verschwinde wieder, bitte, ich will nicht mit dir zusammen sein!"

Sein Mitschüler sah ihn verletzt an. Dann verhärtete sich seine Gesichtszüge, er packte Toshiya fest an den Schultern und schloss ihn in eine Umarmung, aus der der andere sich beim besten Willen nicht mehr befreien konnte.

"Hör auf! Wieso machst du es dir selbst so schwer?", begann Hakuei gepresst. Derartige Dinge zu sagen lag ihm eigentlich nicht wirklich, aber was sein muss, muss sein.

"Du musst es ja nicht erwidern! Ich weiß, dass du dich angegriffen und in die Enge getrieben fühlst und - es... es tut mir leid." Toshiya hielt erstaund inne. Er hätte nie geglaubt das einmal aus dem Mund seines einstigen Erzfeindes zu hören. Dieser ließ ihn los und sah ihn gequält an.

"Lass es doch einfach zu, du siehst doch selbst wie sehr du das brauchst. Es ist nichts Falsches daran und nichts Schmutziges, absolut gar nichts."

Erschrocken starrte Toshyia sein Gegenüber an. Er konnte nicht fassen all diese Dinge von Hakuei zu hören. Langsam dämmerte ihm, dass er seinen Klassenkameraden gar nicht richtig gekannt und ihn vermutlich völlig falsch eingeschätzt hatte. Wie dämlich von ihm niemals auf die Idee zu kommen, dass Hakueis nervige, bösartige Art, seine immergrinsende, sarkastische Persönlichkeit vielleicht auch nur aufgesetzt waren. Oder zumindest machten sie nur einen Teil seines Charakters aus.

In diesem Augenblick fasste Toshiya einen Entschluss. Wieso sträubte er sich eigentlich so sehr? Und was sollte Kaoru schon dagegen sagen? Und selbst wenn - er war sein Freund und sollte seine Entscheidung akzeptieren. Was hatte er schon zu verlieren? Außerdem brauchte er es wirklich. Und dem anderen schien ja etwas daran zu liegen. Dieser flehende Blick... wieso sollte er es eigentlich nicht versuchen. Es waren diese Anfälle plötzlichen Wagemuts die Toshiya meistens um Kopf und Kragen brachten, aber vielleicht würde dieses mal etwas positives dabei herauskommen. Zuerst allerdings musste noch etwas klargestellt werden.

"Ich bin nicht in dich verliebt", sagte der Blauhaarige mit fester Stimme und zwang sich dem anderen direkt in die Augen zu sehen. Dieser lachte nur leise.

"Ich weiß... na und?"

Toshiya wurde das unangenehme Gefühl nicht los, dass es nicht richtig war. Trotzdem schloss er schließlich willig die Augen. Hakuei hatte bisher nichts über seine eigenen Gefühle verlauten lassen, doch der zierliche Junge ahnte, dass sein Koi einiges empfand [ach was... nicht möööglich... wie ist er denn darauf gekommen? =.= nur weil er ihn ständig küsst und mit ihm zusammen sein möchte? also sowas...].

Der Schwarzhaarige nahm ihn wieder in die Arme und legte ihn auf den Rücken. Langsam und zärtlich begann er ihn zu küssen.

"Auch wenn du nichts fühlst... bitte... nimm mir das hier nicht...", flüsterte er, worhaufhin Toshiya erschauderte. Vielleicht brauchte Hakuei es sogar mehr als er selbst.

Der Blauhaarige hustete, schloss dann die geschwollenen Augen und schlief nach einer Weile ein. Hakuei löste sich von ihm, erhob sich von dem Bett und deckte seinen neuen Freund zu.

"Und du gehst morgen sicher nicht in die Schule, dafür sorge ich..." Leise nahm er seine Jacke, verließ den Raum und kurze Zeit später auch das Haus.
 

"So ist das also... ich habe alles gehört, dass du's nur weißt Totchi..." sagte Sakito und trat mit argwöhnischem Blick neben das Bett in dem sein Bruder schlief. Obwohl er genau wusste, dass es sich nicht gehörte, hatte er an der Tür gelauscht, lustlos ein wenig gegen seine Schuldgefühle angekämpft und war dann kurz in sein eigenes Zimmer verschwunden, als Hakuei in den Flur trat.

"Tsss, hätte ich das gewusst, hätte ich dem Typ nicht einfach so die Tür aufgemacht... ich dachte er will zu Uruha... dabei ist der nicht mal da, keine Ahnung wo er sich schon wieder rumtreibt." Er musterte Toshiyas schlafende Gestalt.

"Du musst mir nicht antworten! Also echt, kannst du nicht mal aufwachen, wenn ich dir was zu sagen habe?! Naja, Hakuei scheint ja verschossen zu sein... Uruha allerdings auch... ich hoffe du weißt, was du tust..."
 

"Bin ich irre? Ich tue das doch nicht wirklich...", murmelte Shinya vor sich hin, zog seinen Mantel enger um sich und eilte die Straße entlang direkt auf ein scheußliches mintgrün getünchtes Haus zu, in dessen Schaufenstern viele ausgestopfte/getrocknete Dinge standen (Koboldmakis, Hasen, Schweine, Datteln, Schrumpfköpfe...).

"Guten Tag, willkommen bei Miyavis Kostümverleih, was kann ich für Sie tun?", fragte der junge schwarzhaarige Verkäufer mit freundlichem Lächeln als Shinya zögernd an den Tresen trat. Sein Lippenpiercing blinkte in einer sehr irren Art und Weise wenn man die Tatsache betrachtet, dass überhaupt kein Licht darauf fiel.

"Ich... möchte ein Kostüm... leihen...", begann Shinya schüchtern, wurde aber sogleich unterbrochen.

"Nein!!! Ehrlich???!! Nicht möglich!!! Und da kommen Sie ausgerechnet hierher???????????!!!!!!!!", schrie Miyavi und schlug die Hände in gespieltem Entsetzen vor dem Gesicht zusammen.

"Hahaaaa", lachte Shinya trocken. Kleiner Scherzbold was? Auch das noch...

"Was für ein Kostüm hätten Sie denn gerne?"

"Ich.. ei-eine-", der Blonde holte tief Luft, "eine Olive. Ich möchte mich als Olive verkleiden."

Die nächsten fünf Minuten ließ der Schüler geduldig verstreichen. Als sich der Verkäufer schließlich wieder gefangen hatte und dessen Lachkrampf einigermaßen abgeklungen war fuhr er fort: "Größe ist gleichgültig, Preis auch. Haben Sie so etwas?"

Miyavi blinzelte seinen Kunden durch versiegende Lachtränen an.

"Natürlich. Wie hätten Sie's denn gerne? Grün, schwarz? Eingelegt oder nicht? Mit oder ohne Kern?" Wieder brach der Schwarzhaarige in unkontrolliertes Kichern aus.

Shinya massierte seine Stirn mit dem Handballen. Hatte der Wahnsinn denn nie ein Ende?

"Ich werde noch verrückt", murmelte er finster, woraufhin Miyavi, wieder völlig ernst, erwiderte: "Oh das war ich eine Zeit lang, aber ich rate es Ihnen nicht. Gibt nicht viel her, wenn Sie verstehen was ich meine. Dann war ich für eine Weile eine Ananas und hatte meine helle Freude daran mich auf einen Toast Hawaii zu legen und gründlich durchzubacken. Schließlich äußerte mein Psychiater die Meinung, dass Ananas in die Mode kämen und in den nächsten Monaten wohl jeder eine sein würde. Also habe ich diesen schnuckeligen kleinen Kostümverleih eröffnet." Er tätschelte liebevoll einen besonders widerlichen Schrumpfkopf neben der Kasse.

"Wunderbar. Dürfte ich nun bitte das Kostüm leihen? Bitte?"

"Aber selbstverständlich. Öh, soll ich es Ihnen in Frischhaltefolie einpacken oder möchten Sie eine Tüte?"

::Die, wenn das hier rum ist, dann bist du mir wirklich was schuldig...::, dachte Shinya bei sich und kramte entnervt nach seinem Geldbeutel, während Miyavi sich unter einem erneuten (und um zu bemerken ziemlich üblen) Kicheranfall bog.
 

Eine gute Stunde später war der Junge vor dem Haus seines besten Freundes angekommen, im Arm die Tasche mit dem Olivenkostüm (auf der orange und penetrant der Schriftzug Heute schon ein Kind gegessen? Allestraße 15; 3,50€ das Stück prangte). Er presste die Tüte fest an sich, nahm allen Mut zusammen und drückte schließlich auf die Klingel. Von der Mutter eingelassen stand der Blonde kurze Zeit später im Hausflur, ratlos, von Die weit und breit keine Spur.

"Er ist in seinem Zimmer...", flüsterte die pummelige Hausfrau und strich sich ein paar nachtschwarze Strähnen aus der Stirn. Jedesmal wenn Shinya sie anblickte, erkannte er Dies Gesichtsform. Aber die braunen, durchdringenden Augen hatte er von seinem Vater.

"Sein Zustand hat sich kaum verändert." Ayaka Andou ließ verwzeifelt die Schultern hängen. "Wenn du nicht immer vorbeikommen und mit ihm reden würdest Shinya... mein Mann und ich wüssten nicht, was wir tun sollen." Völlig hilflos sah der Blonde zu, wie Dies Mutter sich die aufsteigenden Tränen aus den Augen wischte. Nun stand sein Entschluss endgültig fest.

"Kein Sorge Andou-san... ich kriege ihn wieder hin, glaub mir. Verlass dich auf mich."

Ayaka drückte den schlanke Jungen kurz an sich und seufzte auf.

"Ach Shinya, glaubst du wirklich? Was würden wir nur ohne dich tun, wir stehen tief in deiner Schuld. Du bist wie ein zweiter Sohn."

"Vielen Dank das ehrt mich sehr. Aber ich sollte jetzt Die suchen... ich hatte da eine Idee..."

Die Japanerin nickte tapfer, schluckte alle weiteren Tränen hinunter und ließ Shinya und seine geheimnisvolle Tüte im Flur alleine (den Schriftzug hatte sie nicht gelesen). Gegen die letzten Zweifel ankämpfend stieg er schließlich die Treppen hinauf in den zweiten Stock, schloss sich sofort im Bad ein und begann sich umzuziehen. Glücklicherweise war er hier schon beinahe Zuhause, bei einer anderen Familie hätte er nicht einfach so im Haus herumgeistern und das Badezimmer beanspruchen dürfen. Er kannte Die nun schon seit dem Kindergarten und konnte sich nicht daran erinnern jemals einen anderen derart guten Freund gehabt zu haben. Als sie dann eine höhere Schule besuchten entwickelte Shinya keinerlei Interesse zu Mädchen. All die Dinge, die Mitschüler mit ihren Freundinnen unternahmen konnte er mit Die machen: Sie waren im Kino, in Freizeitparks, auf Konzerten, Einkaufen und so weiter. Eigentlich merkwürdig. Nie hatte der Blonde auch nur annhähernd etwas vermisst. Er hatte immer angenommen die Sache mit den Mädchen würde noch kommen - nun war er zwölfte und sie war immer noch nicht da.

::Ich bin echt außergewöhnlich bescheuert...::, überlegte Shinya, setzte den Stiel auf und steckte ihn gekonnt mit ein paar Haarnadeln fest. Dass Die für ihn alles bedeutete war ihm nie seltsam vorgekommen. Erst seit dem tragischen Zwischefall mit der vermaledeiten Olive - und seit Toshiyas und Kaorus Anspielungen - hatte er begonnen die Beziehung zu seinem besten Freund zu überdenken. Und war zu dem einfachen Schluss gekommen, dass er ohne den Rotschopf nicht mehr leben konnte und dass er von ihm gehalten werden wollte. Gehalten und geliebt. Dann war er eben schwul. Was machte das noch? Er hatte sowieso den Ruf eine Tunte zu sein. Zumidnest war es die genialste und gleichzeitig simpelste Idee um Die für immer an sich zu binden.
 

...............................
 

"Die?"

Dieser bestimmte Gedanke fuhr Shinya wieder durch den Kopf, er lautete in etwa Warum tue ich das? Bin ich irre? Ich könnte ein normales Leben führen. Er faltete ihn zusammen und schob ihn in die Tasche um ihn später dezent zu entsorgen. Kein Rückzieher jetzt. Es war seine allerletzte Chance die Psyche seines besten Freundes wieder zu normalisieren, sollte sein Plan fehlschlagen war alles verloren. Eine weitere Möglichkeit sah der Blonde nicht mehr.

Durch die geschlossene Tür drang ein "Mmmmh?", das zahllose manisch-depressive Irre in ungebremste Bewunderung gestürzt hätte, weil es ihm (äh, also dem "Mmmmh?") gelang, eine derart schwarze, triste Stimmung zum Ausdruck zu bringen, dass jeder Mensch, der ihm ungeschützt ausgesetzt war, augenblicklich Selbstmord beging. Glücklicherweise zerschellte der größte Teil seiner schrecklich deprimierenden Wirkung an der geschlossenen (übrigens schlichten aber dennoch außerordentliche hübschen (die Schönheit liegt bekanntlich im Einfachen)) Eichentür.

[hat jemand diesen Absatz gecheckt????mein Gott, ich werde alt...bin gerade nicht in der Lage kurze pregnante Sätze zu konstruieren...]

"Darf ich reinkommen?"

Die brachte einfach nicht mehr genügend negative Energie für eine zweite derartige Anwort auf, also sagte er nur: "Wenn's denn sein muss..."

Der Blonde gab der (schlichten aber trotzdem außerordentlich hübschen) Eichentür einen sanften Stoß und trat in das Zimmer seines besten Freundes. Einen Moment lang starrte ihn Die mit einem stumpfen Blick an, der keinerlei Anzeichen gab, dass er Shinya erkannt hatte. Dann leuchteten die Augen des Rotschopfes urplötzlich auf und ein Funkeln breitete sich, vom Mund ausgehend, über sein gesamtes Gesicht aus. Wie ein Hypnotisierter, der aus monatelanger Trance erwacht, flüsterte er: "Sh...Shinya?"

Der Blonde schlug sich die Hand vor den Mund um ein lautes Aufschluchzen zu ersticken und trat, Tränen in den Augen, näher. Hinter ihm glitt die (schlichte und dennoch hübsche) Eichentür leise ins Schloss, was Minuten später dazu führen würde, dass die beiden Jungen fälschlicherweise zu dem Schluss kamen, dass sie eingesperrt waren, sie dann überlegten, was sie tun sollten, erkannten, dass sie nichts (Vernünftiges) tun konnten und schließlich, um der Untätigkeit zu entfliehen, gezwungen sein würden Sex miteinander zu haben, doch dies gehört zu den unwichtigen Details, die später (oder gar nicht) behandelt werden sollen.

Der Rotschopf war mit einen Satz auf den Beinen und starrte das grüne Äußere seines Freundes mit glänzenden Augen an. Shinya errötete unter diesen Blicken und zwirbelte verlegen eines seiner Blätter.

"Du bist... wunderschön", hauchte der Rotschopf atemlos, der vor Ehrfurcht kaum Luft zu holen wagte.

"Ich... hab es für dich getan...", wisperte Shinya zurück, noch tiefer errötend.

"Du... du... bist die schönste Frucht die ich je gesehen habe. Warum...? für mich...?"

Shinya blickte verlegen an seinem Olivenkostüm hinunter.

"Weil... ich... dich... liebe..."

Die starrte ihn an. Der übernatürliche Glanz wich aus seinem Gesicht wie Johannes der Täufer um etwas noch Größerem Platz zu machen.[Ich glaube das ist der merkwürdigste Vergleich den ich je verwendet habe O.O°; hat ihn jemand verstanden?]

"Du willst sagen... du verschwendest Unmengen von Zeit um diesen Kostümverleih zu suchen (den man, obwohl es heißt man könnte ihn gar nicht verfehlen, trotzdem erst beim vierten Anlauf findet; fiese Geschichte mit einer Seitengasse, einem irren neurotischen Bauarbeiter und einem vertauschten Straßenschild), gibst eine Menge Geld aus und machst dich zum Affen in dem du dich kleidest wie ein Olive... nur um mir zu gefallen?"

Shinya schlug den Blick beschämt nieder.

"Hai...ich wusste einfach nicht mehr weiter...", murmelte er.

"Das... das ist...", antwortete Die. Weiter kam er nicht, weil Shinya das Warten und Suchen, das er durchgemacht hatte um das Kostüm zu ergattern, satt hatte und schnell seine Lippen auf die des Rotschopfes presste, wo er sie für mindestens fünf Minuten stur beließ.

"Ai shiteru", flüsterte er schließlich. Die schlang seine Arme um den (tonnenförmigen) Körper seines Freundes, knautschte ein wenig das weiche Futter und erwiderte mit einem Ausdruck unendlicher Zärtlichkeit und Liebe die Worte seines besten Freundes.

"Ai shiteru..."
 

Gleiche Sekunde, anderes Stadtviertel.

Inmitten einer lärmende Party sitzen zwei Jugendliche auf einem alten, roten Sofa, der eine ziemlich angetrunken und in Tränen aufgelöst, der andere noch völlig nüchtern (fragt sich nur wie lange noch) und gelangweilt. Er möchte eigentlich nichts anderes als ein wenig Sex haben und sich auszutoben, blöderweise ist sein Freund absolut nicht in Stimmung.

"Mann, ich dachte er bedeutet dir eh nichts! Du hast selbst gesagt du tust es nur, weil er gut im Bett ist?!" Zum tausendstenmal an diesem Abend seufzte Daishi völlig entnervt auf (er konnte das mindestens genauso gut wie sein kleiner Bruder) und kippte sein achzehntes Bier runter.

"Verdammt", fluchte er und schleuderte die leere Flasche in irgendeine Ecke. "Ich werde einfach nicht betrunken zum Teufel aber auch..." Und solange er nicht völlig dicht war, musste er wohl oder übel den Problemen und Beziehungskisten seines besten Freundes lauschen, der ihm sonst unendlich böse wäre.

"Ich habe gelogen", schluchzte Uruha und wischte sich mit einer fahrigen Geste über sein make-up-verschmiertes, tränennasses Gesicht. "I-ich hab doch auch gedacht er wäre mir egal... a-aber er ist so süß... u-und so l-liebevoll und... dieser Nichtsnutz von Toshiya hat ihn mir weggenommen!"

"Bist du dir sicher, dass du dich da nicht ein kleines bisschen sehr hineinsteigerst? Du hast doch auch mit mir rungemacht während du mit Hakuei zusammen warst und es hat dir und ihm nicht das geringste ausgemacht. Also komm, sei lieb und mach's mit m-"

"Du spinnst ja!", erwiderte Uruha plötzlich barsch und erstaunlich nüchtern und schlug skrupellos mit aller Kraft auf die Hand seines besten Freundes, die begonnen hatte die Innenseite seiner Oberschenkel verstohlen zu massieren. Daishi zog seine Finger mit einem wütenden Schmerzensschrei zurück.

"Ich hab jetzt echt was anderes im Kopf als das! Es ist mein voller Ernst. Schön, ich bin vielleicht ein bisschen eifersüchtig auf Toshiya... aber... aber Hakuei hat mir wirklich was bedeutet."

Daishi lachte böse während er versuchte seine rechte Hand wiederzubeleben.

"Jaja genau. Und ich will gar keinen Sex, ich hab nur Lust mit dir ein Brettspiel zu machen."

Er öffnete sich noch eine Flasche Bier (und zwar nur mit der Linken! Versucht das mal!). Solche Gespräche waren absolut nicht sein Ding und eigentlich vermied er genau aus diesem Grund immer eine feste Beziehung. Er war der unumstößlichen Überzeugung, dass folgendes einer der großen Vorteile davon war, schwul zu sein: Unkompliziertheit. Man ersparte sich die ewigen stundenlangen Beziehungsgespräche mit seiner Freundin. Zuerst Sex, dann alles andere (oder auch nicht, dass hängt eben ganz davon ab ob man sich im richtigen Augenblick aus dem Staub macht), ganz einfach. Offensichtlich hatte er sich da gehörig geschnitten. Er nahm noch einen Schluck.

"Aber Hakuei liebt Totchi, er macht da keine Scherze! Er bevorzugt meinen Bruder, kannst du dir das vorstellen?? Eiskalt hat er mir das ins Gesicht gesagt!! *nachäff* Totchi bedeutet mir alles... bla bla... ich liebe ihn bla bla... wie rührend!"

::Ein Königreich für eine gute, handfeste Portion Drogen::, dachte Daishi aufseufzend und begann seine Tasche nach Stoff zu durchsuchen. [Naaain, und jetzt keinen blöden Wortwitz mit Stoff und Tasche und ist ja ne Menge da bitte =.= ... übrigens wurde Daishi ja wirklich wegen Drogen verhaftet (thanks to my darlin' for the (indeed^^) very interesting information)... lustig ne? Ich hatte seinen Charakter schon so geplant, noch bevor ich wusste, dass er auch in Wirklichkeit drogenabhängig ist ^.^; *in Rauchschwaden um eine Kugel herumwaber* Ich sehe die Zukunft*qualmige dramatische Stimme**leichter ausländischer Akzent*...]

"Und was schlägst du also vor Schätzchen?"

"'ch räch' müüch an ihm...", lallte der Blonde (mit einem mal außerordentlich betrunken) und ein dämliches mattes Grinsen trat auf sein Gesicht.

"Au ja, darf ich helfen?"

"Musssssst du sogar...."

"Endlich hast du mal was Anständiges zu sagen... und was schlägst du vor? Uruha? Hey!"

Kopfschüttelnd nahm Daishi zur Kenntnis, dass sein Freund weggenickt war, der Inhalt der halbvollen Bierflasche gluckerte fröhlich auf den Teppich und veranstaltete einen großen unansehnlichen Fleck (und dann eine Tanzparty mit Dinner, aber das ist nun wirklich eine andere Geschichte). Der Schwarhaarige zuckte die Achseln und kippte seinen eigenen Rest Alkohol runter.

"Bin gleich wieder da...", murmelte er zu seinem schlafenden Freund.
 

"Ist das dein Bruder? Wo geht der denn hin?", flüsterte Takumi während er über besoffene und zugekiffte Menschen und jede Menge Müll und Flaschen stieg, mit der Absicht zu Kyo aufzuschließen, der dabei war das Wohnzimmer zu durchqueren.

"Wieso bist du immer noch da?", war die einzige Antwort, die der Blonde für seinen hyperaktiven Freund übrig hatte.

"Abeeeer das waaaaaißt du doch!!", quietschte Takumi und wippte mit seinen Zöpfchen, wurde aber sofort von einem der Halbnüchternen am Boden zurechtgewiesen: "Hör auf zu quietschen, du zerreißt mein Trommelfell. Und lass das Zöpfchengewippe."

"Genau meine Rede", stimmte Kyo zu, latschte ungerührt über den Halbnüchternen hinweg, zog seine Schultasche aus einem Knäul von Armen und Beinen hervor, schulterte sie und beeilte sich das Wohnzimmer wieder zu verlassen. Nach einer Weile hielt er inne. Keine trippelnden Schritte und penetranten Quietschgeräusche? So ätzend er seinen Klassenkameraden auch fand, er hatte keine Lust verantwortlich zu sein, wenn diesem in seiner Gegenwart etwas zustoßen sollte - viel konnte er sich nämlich nicht mehr leisten, er war sowieso kurz davor von der Schule zu fliegen - also drehte er sich um und spähte zurück in den dunstigen, verqualmten Raum. Takumi hatte vor dem Sofa innegehalten und starrte mit verzückt-verklärter Miene auf das, was in den großen, vom Alkohol klammen Polstern lag, als hätte er soeben ein Sonderangebot von drei funkelnden Lippenstiften zum Preis von einem erblickt. In den Dunstschwaden wirkte sein Mitschüler wie ein Drogenengel, wie Kyo mit halbem Grinsen feststellte. Er seufzte auf, schritt energisch zu seinem (wohl oder übel) Anhängsel hinüber (wobei er sich nicht mehr die Mühe machten den herumliegenden Körperteilen auszuweichen), packte ihn am Arm und schleifte ihn, gefolgt von Schmerzensschreien und gelallten Flüchen, über Arme, Beine und (vermutlich) Alkoholleichen in den Flur.

"Wenn du mich schon überallhin verfolgen musst, dann solltest du nicht ausgerechnet da drin damit aufhören."

"A-aber ich habe das Wunderschönste gesehen... das... das meine hübschen großen Augen je erblickten", trällterte Takumi und warf hoffnungsvoll einen Blick zurück ins Wohnzimmer.

Kyo lachte laut und bösartig auf.

"Du meint doch nicht etwa das, was da auf dem Sofa schläft?!"

Takumi nickte wild und mit funkelnden Augen. Er hüpfte auf und ab, fing sich vor lauter Aufregung einen bösen und unwahrscheinlich nervigen Schluckauf ein, bekam den Blonden auf dem Sofa aber trotzdem nicht mehr zu sehen.

"Kennst du ihn? Kyooooo biiiiite, sag mir wer er ist, du bist doch mein Freeeeeund", schluchzte der zierliche Junge und hängte sich mit flehendem Hundeblick (und einem Gewicht das man ihm nicht zugetraut hätte) an Kyos linken Unterarm.

[*pfeif* woah, mach ich viele Klammern in diesem Kapi (erschreckend nicht? (ich finde man verliert wirklich den Überblick)(vielleicht sollte ich damit aufhören und mehr Relativsätze bilden?))]

"Natürlich kenn ich ihn. Der Typ ist Uruha, Toshiya Haras Bruder. Vergiss ihn, mieser Charakter. Und jetzt sayounara." Der Blonde öffnete die Haustür, doch Takumi gelang es statt nach draußen ins Badezimmer zu schlüpfen.

"Ich gehe erst, wenn ich mit ihm reden konnte...", beharrte der braunhaarige Japaner und verschränkte die Arme stur vor der Brust.

"Pfff, das würde ich dir nicht raten, der hat ne üble Laune grad (und ist stockdicht, falls du es nicht mitbekommen hast)... sein kleiner Bruder hat ihm den Freund ausgespannt." Kyo grinste. "Geschieht ihm recht."

"Echt?", fragte Takumi und starrte seinen Mitschüler durch große, verwunderte Augen an, "Totchi? Der hübsche große dunkelhaarige?"

"Genau der."

"Ist schwul?"

"Würde ich nicht drauf schwören."

"Und sein Bruder auch?"

"Darauf allerdings würde ich meine letztes Hemd verwetten."

"Das ist ja groooooßartig!!! Ich werde ihn betören!! Der arme hat sicher schrääklichen Liebeskummer, wie gut, dass ich ihm da gerne helfe... keiner kann mir widerstehen... höhööö!"(<-viel zu männliches Lachen, deswegen bringt er es nur in Augenblicken des höchsten Triumphes an, oder wenn alle Anwesenden sowieso wissen, dass er ein Junge ist.)

Eifrig zog Takumi ein kleines Schminktäschchen hervor und begann sich mit einem folterzangenähnlichen Instrument die Wimpern hochzubiegen, was seine Augen puppenartig aussehen ließ und ihm eine monströs niedliche Wirkung verlieh.

Kyo beobachtete seinen Mitschüler stirnrunzelnd. Er war dabei zu überlegen wie viel ihm Takumi bedeutete, beziehungsweise ob ihm der Junge genug bedeutete, dass er ihn vor seinem Bruder und dessen Freund schützen sollte. Andererseits war das furchtbar anstrengend und nicht seine Sache, wenn Takumi Lust hatte sich in Schwierigkeiten zu bringen.

"Tu was du willst. Ich gehe. Hatte eh nie Bock auf diese Party."

Der Blonde zuckte die Achseln und verließ das Bad.

Außerdem musste er noch arbeiten. Je eher er das Zeug loswurde desto besser. Wie bescheuert die Menschen waren, die Drogen versetzten und selbst abhängig wurden. Sein Bruder Daishi beispielsweise. Durch und durch schwach.

Kyo schnaubte bei dem Gedanken daran, dass der Ältere jetzt wohl in irgendeiner Ecke kauerte und seine Sucht befriedigte. Jämmerlich. Er stieß die Tür auf und verschwand in die Nacht.

Im Wohnzimmer hatte sich Uruha auf dem Sofa aufgerichtet und nahm verschwommen wahr wie ein hübscher kleiner Junge auf ihn zuging und sich auf die roten Polster des Sofas ganz in seine Nähe setzte. Seine Gehirnzellen arbeiteten zwar nur langsam und ganz Verlass war auf sie sowieso nicht, aber der Japaner begriff sehr schnell wenn er angemacht wurde. Und in diesem Fall bot ihm das eine erstaunliche Möglichkeit.
 

"Nein Saki das glaube ich nicht."

"Och komm schon, nur ein wenig!"

"Nein, ich bin zu jung zum Sterben."

"Nun stell dich nicht so an, Brüderchen, mach den Mund auf...."

"Du bist böse und ich weiß es. Du kriegst mich nicht. Will-nicht-"

"...es ist nur zu deinem Besten..."

"-sterben! Kein grausames Ende nehmen, bitte! Ich möchte, dass wenigstens noch was übrig ist von mir, das man-"

"Schau, nur ein Löffel, nun reiß dich zusammen, also echt..."

"beerdigen kann!!!"

"Komm schon."

"Nein!"

"Na los!"

"Nein!!!!"

"Mund auf!"

"Ich will nicht zu einem embryonalen Zellklumpen zusammenschmilzen, Sakito. Echt nicht."

Der junge Japaner erhob sich mit einem entnervten Seufzer vom Bett seines Bruders, wie eine Mutter, deren krankes Kind die Medizin nicht schlucken möchte.

"Aber wieso denn nicht?", erwiderte er trotzig.

"Was ist denn schon dabei? Als Zellklumpen hättest du alle Möglichkeiten! Ich meine, du brauchst keine Kleidung, keine Nahrungsmittel... musst nie stundenlang nach einem Parkplatz suchen! Es hat nur Vorteile!"

"Ich-", begann Toshiya, gab es dann aber auf. Es hatte ja doch kein Sinn, sein kleiner Bruder würde nie verstehen, wieso er keine große Lust darauf hatte sich die Eingeweide von einem Teelöffel aufgemotzter (und verfeinerter) Natronlauge (gemixt mit anderen Dingen die des Seelenfriedens der unschuldigen Leser wegen nicht erwähnt werden sollen) zusammenschmelzen zu lassen.

"Der Geschmack ist jetzt noch besser und hochwertiger, sind auch keine ungesunden Farbstoffe drin, die Lauge ist wirklich so knallrot, ich schwör's!"

"Saki, sieh es einfach so-" Toshiya brach ab.

"Ja?", bohrte der Jüngere lauernd nach. "Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?"

Der Blauhaarige kramte panisch in seinem fiebernden Hirn nach einer Ausrede.

"Ich finde es unfair", begann er schließlich, "dass nur ich die Chance habe meine Innereien einfach und sauber zu einem Klumpen zusammenmatschen zu lassen und alles andere gleich dazu und die armen Kinder in Afrika gehen leer aus."

der Blauhaarige unterdrückte seine Schulgefühle, die armen Kinder in Afrika dafür benutzen zu müssen am Leben zu bleiben und hoffte inständig sein Bruder würde ihm auf den Leim gehen.

"Überleg doch mal: Die haben keine hyperfunktionale Küche mit der sie tödliche Waffen und Giftgetränke produzieren und die ganze Familie auf einen Schluck ausrotten können."

Sakito ließ die Hand mit der Säure sinken und druckste verlegen herum.

"Ich weiß doch... ich will doch nur-"

"Na also, dann sei nicht so unzufrieden! Ich kann da nicht mitmachen, aus Prinzip nicht, denn ich finde jeder sollte das recht auf einen grausamen Tod durch ätzende Chemikalien haben, nicht nur ich. Und solange die anderen das nicht bekommen, verzichte ich lieber. So trage ich zumindest dazu bei, dass diese Welt ein wenig gerechter wird!"

Der ältere musterte Sakito mit tadelndem Blick.

"Verstehst du mich?"

"Jaaaa...", sagte dieser gedehnt. "Ok, du hast ja Recht... ich wollte doch nur- ach was soll's ... dann lass ich dich mal schlafen..."

Mit diesen Worten verdrückte er sich.

::KAMISAMA DANKE!!!::, dachte Toshiya und ließ sich ermattet auf sein Bett zurückfallen. Nicht nur, dass seine Arme und Beine sich anfühlten, als wollten sie zeitgleich in entgegengesetzte Richtungen laufen, der Rest von ihm gar nichts mehr wollte und alles was dazwischen war höllisch wehtat - nein, zu allem Überfluss versuchte sein kleiner Bruder ihn ausgerechnet heute zu töten. Auf eine sehr kreative Art und Weise zugegeben - nicht jeder hatte das Glück den Rest seines Lebens als embryonaler Zellklumpen verbringen zu können - aber da der Blauhaarige sich ohnehin schon übel fühlte sah er keinen Grund sich unnötigerweise noch mehr Schmerzen einzubrocken.

::Bin ja grad nochmal davongekommen! Ich habe ihn überlistet - uhm, glaube ich zumindest...::

Der junge Japaner war sich im Nachhinein nicht mehr so sicher wer von beiden jetzt wen gelinkt hatte, Tatsache war, er lebte. Zumindest so lange er nicht plante etwas zu essen. So wie er sich im Augenblick fühlte, musste er sich allein bei dem Gedanken daran schon beinahe übergeben. Gute Bedingungen also für ein langes Leben.

Toshiya ließ sich diese Theorie noch einmal durch den Kopf gehen. Irgendwie dachte er heute wirklich nicht besonders logisch. Zumindest fühlte es sich nun nicht mehr so an, als würde sein Kopf bei der minimalsten Bewegung zerspringen, da war so eine kleine Fehlfunktion durchaus zu verzeihen.

Er wollte jetzt an nichts mehr denken müssen, nicht an Kaoru, nicht an Hakuei, nicht an Sakito, nicht an Kyo. Nur noch schlafen, um seinem kranken Körper Erholung zu verschaffen, also schloss er die Augen und tat genau das.
 

*+*+*+*+*+*+*+*+*+*+*
 

Sorry Leute, das Kapi war nicht besonders lang und nicht besonders informativ, aber das nächste wird länger, versprochen und die Sach mit Die und Shinya wird natürlich noch ausführlicher behandelt.

8

Walking proud
 

Autor: Clea

Kommentar: Ist schon mal jemandem aufgefallen, dass Totchi nie Wochenende hat, nur Schule? O.~ Das ist mir jedenfalls irgendwie entgangen, naja, er kriegt dann halt mal extra lange Ferien oder so *drop*.

Neeeeein, zwischen Haku und Toto (Haku und Toto? *drop*) war nichts Perverses... noch nicht zumindest...^^

Ihr wollt einen Lemon Teil ihr kriegt einen. Ihr wollt einen ihr kriegt keinen ich will einen ich krieg deinen *dämliches Wortspiel ausweit*...

Was ich eigentlich damit sagen möchte: Ich würde auch gerne nen Lemon part einbauen oder zumindest sowas ähnliches, ich weiß nur noch nicht wann und wie und zwischen wem... gebt mir mal Tips, was meint ihr?

Ich liebe euch alle, danke, dass ihre meine Geschichte lest und mir so viele lange Kommis schreibt, es freut mich jedes mal wahnsinnig sie zu lesen. Würdet ihr mir nicht ständig schreiben, würde ich diese Sache vermutlich nicht fortsetzen (weil ich dann die Lust verlieren würde). Yo, hier kommt das achte Kapitel, das neunte ist schon öhm sagen wir in Arbeit. Viel Spaß^^.


 

Teil 8
 

Die Ruhe währte immerhin bis zum nächsten Nachmittag (ein Samstag für alle die es wissen wollen).

Toshiya schlug also (wie üblich für Leute die aufwachen) die Augen auf, kniff sie dann sofort wieder zusammen, als grelles Sonnenlicht ihn blendete und öffnete sie erneut mit vorsichtigem Blinzeln. Er gähnte und streckte sich ein wenig, stellte dann gelinde verwundert fest, dass er sich ein erhebliches Stück besser fühlte als am Tag zuvor und richtete sich auf. Und nochmal und nochmal. Beim vierten Versuch machte dann auch sein Körper mit und Toshiya sank nicht mehr geschwächt in seine Kissen zurück, sondern blieb tatsächlich aufrecht, wenn auch leicht schwankend, in seinem Bett sitzen. Jetzt fühlte er sich allerdings nicht mehr ganz so gut, in seinem Kopf drehte sich alles und die üblen Halsschmerzen trugen nicht gerade dazu bei, dass er sich gesünder fühlte. Er nieste. Hakuei reichte ihm ein Taschentuch. Toshiya nahm es mit genuscheltem Dank an und tupfte sich damit auch gleich die tränenden Augen ab. Dann schaute er auf.

::Interessant::, dachte er und nieste wieder. Verdammt, sein Hals tat beim Schlucken höllisch weh.

Langsam warf er seine Beine aus dem Bett, erhob sich und schleifte wie ein Marmorblock über den Gruftboden durch sein Zimmer auf die Türe zu. Er öffnete diese, trat hindurch und schloss sie hinter sich, ging ins Badezimmer, zog sich um, putzte ein wenig die Zähne und schlurfte dann wieder zurück in sein Zimmer, diesmal wie der Totengräber, der den Marmorblock zieht um damit einen Sarg zuzudecken. Sobald er wieder im Bett lag, trat der Mann von dem Toshiya sich einbildete er bilde sich nur ein, dass er da sei, an sein Bett. Vorsichtig legte er seine Hand auf die Stirn des Blauhaarigen. Dann tastete er dessen Hals ab.

"Ohayou darling."

Toshiya drehte langsam den Kopf und starrte Hakuei an, der weiter nach den Lymphknoten (oh Gott, wie schreibt man dat bloß) seines Koi tastete.

"Hakuei. Ich versuche dich zu ignorieren. Du machst es mir nicht leicht."

Der Angesprochene grinste breit und dachte gar nicht daran seine Hände vom Hals des anderen zu nehmen.

"Ich weiß."

Eine kurze Pause entstand.

"Was tust du da?", wollte der Blauhaarige nach einer Weile wissen und blickte zweifelnd auf den schwarzen Haarschopf hinunter.

"Ich", nuschelte Hakuei an Toshiyas Hals, "sehe nach ob du Fieber hast. Und Halsschmerzen."

"Hab ich", antwortete Toshiya schnell und schob seinen Mitschüler so gut es ging von sich, "das musst du gar nicht nachprüfen."

Er versuchte ein nervöses Lächeln. Diese neue Situation brachte ihn völlig aus der Fassung. Es war immerhin noch Hakuei. Hakuei, der ihn hasste und ihn abstoßend hässlich und abgrundtief dämlich fand. Der ihn so sehr verachtete, dass sein Wortschatz nicht ausreichte um es auszudrücken und der daher extra einmal in einem Wörterbuch hatte nachschlagen müssen. Hakuei der - Toshiya dämmerte etwas... Hakuei der schon immer erstaunlich viel Zeit geopfert hatte um ihn zu beleidigen. Tatsächlich war er all die Jahre beinahe der einzige seiner Mitschüler gewesen, der sich immer mit ihm beschäftigt hatte. Während ihm diese Tatsache, was auch immer sie bedeutete, völlig bewusst wurde, starrte der junge Japaner schockiert auf seinen verschlagenen Ex-Erzfeind, der ihm mit doppeldeutigem Grinsen gegenübersaß.

Er.

Alleine.

Mit Hakuei.

Vor einer Woche noch Toshiyas Albtraum. Im Augenblick war ihm zwar auch nicht ganz wohl bei der Sache (dieses Grinsen trieb ihn in den Wahnsinn), doch zumindest musste er nicht mehr fürchten gedemütigt und erniedrigt zu werden. Die plötzliche Wandlung war ihm immer noch unbegreiflich.

"W-wieso b-bist du hier und-?"

"Es ist halb zwei, Schlafmütze", entgegnete der Schwarzhaarige beinahe zärtlich, was auf Toshiya eine noch beängstigendere Wirkung hatte, als wenn der andere es gehässig ausgespuckt hätte.

"Ich wollte nur sehen wie es dir geht..."

"Gut!", rief Toshiya aus, unterdrückte einen Hustenanfall und fügte schnell hinzu: "Danke, dass du dir äh Sorgen machst, aber du kannst auch wieder gehen, mir geht es prima!"

Hakuei hob eine Augenbraue.

"Ah ja? Und wie steht's damit?"

Er packte den Blauhaarigen am rechten Arm woraufhin dieser einen Schmerzensschrei nur mit Mühe unterdrücken konnte.

"Du fühlst dich also gut. Und dir tut auch so eine kleine Berührung gaaaar nicht weh...", sagte Hakuei grinsend.

"Klappe", presste Toshiya hervor und hielt sich den Arm.

"Und Halsschmerzen?"

Als der andere schmollend schwieg, fügte Hakuei hinzu: "Na, dann lass mich mal sehen."

Er legte Toshiya vorsichtig die Hände auf beide Schultern, lehnte sich nach vorne und noch bevor der andere wusste wie ihm geschah, spürte er bereits eine Zunge in seinem Mund.

"Mm-mh-mh", machte das Opfer und versuchte kraftlos den Kopf zu drehen.

["Mm-mh-mh" = 1) Hör auf du Idiot!, 2) Du steckst dich an!, 3) Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dir abkaufe, dass du so festellen kannst ob ich Halschmerzen habe Idiot!]

"Was sagt du?", hauchte Hakuei, erstickte allerdings jedes weitere Wort sofort wieder in einem Kuss.

Dann passierte alles sehr schnell.

Die Tür flog auf, ein Junge schneite herein und blieb sichtlich aufgebracht vor dem Bett stehen auf dem Hakuei halb lag, halb saß und seinem neuen Freund küsste.

Toshiyas Augen weiteten sich in blankem Entsetzen.

"Mmh?" Hakuei drehte sich überrascht um, doch noch bevor er eine Chance hatte die Situation zu begreifen wurde er bereits von einer Faust getroffen, die ihn zuerst beinahe k.o. schlug und ihn dann grob packte, vom Bett zerrte und auf den Boden warf.

"Hee-hee, was ist denn los?", murmelte er erschrocken und starrte an der Person hinauf, die sich scheinbar urplötzlich im Zimmer materialisiert hatte.

Kaorus Augen loderten vor Wut. Als er sprach tat er das sehr leise und in seiner Stimme lag ein Zittern, das vermuten ließ, dass er nur mit großer Mühe ruhig blieb.

"Wage. Es. Nie.Wieder."

Er holte tief und schnaufend Luft, dann wurde sein Ausdruck weicher, er wandte sich dem Jungen zu, der wie versteinert auf dem Bett saß und ihn anstarrte. Tränen liefen aus seinen Augenwinkeln, was in Anbetracht der Tatsache, dass er zu schockiert war um irgendeine Gefühlsregung zu zeigen, allerdings eher mit seinem miserablen gesundheitlichen Zustand zusammenhing.

"Toshiya, wie geht es dir? Tss, du bist wirklich bescheuert", sagte Kaoru, doch es klang weder tadelnd noch verletzend, "du bist krank und fühlst dich furchtbar, kommst aber trotzdem in die Schule. Wieso hast du denn nichts gesagt? Du solltest wirklich besser auf dich aufpassen."

Toshiya antwortete nicht. In seinem Kopf klingelte etwas.

Dreimal in der gleichen Situation ertappt.

Das war eindeutig Rekord.

"K-Kao-ru", hauchte er entsetzt. Mehr brachte er nicht heraus und hätte ihn im nächsten Augenblick nicht ein schrecklicher Hustenanfall geschüttelt, so wären seine Augen mit Sicherheit vor lauter Entsetzt-Schauen und Nicht-Blinzeln ausgetrocknet oder ausgefallen und dann hätte er wirklich ein Problem gehabt.

"Totchi, alles ok??", rief der Violetthaarige erschrocken aus und stürzte an die Seite seines Freundes.

"Weg da!", sagte Hakuei barsch, der sich wieder vom Boden aufgerappelt hatte, stieß seinen Mitschüler grob zu Seite und zog Toshiya besitzergreifend in den Arm. Kaoru seinerseits starrte den Schwarzhaarigen einen Moment lang völlig verdutzt an. Der Junge mit den Rastazöpfen und den hübschen Mädchenaugen barg Toshiyas Kopf an seiner Brust und strich ihm beruhigend über den Rücken bis dessen Hustenkrampf abgeklungen war, wobei er mit Kaoru unablässig mörderische Blicke austauschte. Dann brach mit einem mal Hakueis lebensmüde sarkastische Seite hervor, er zog Toshiya noch ein wenig enger an sich und streckte dem Klassensprecher die Zunge heraus.

Er konnte es nicht lassen auch noch mit hochmütigem Lächeln hinzuzufügen: "Nun, Kaoru, es tut mir waaaahnsinnig leid, aber der Kleine ist mein fester Freund. Zieh Leine."

Kaoru blinzelte kurz angesichts dieser Bemerkung. Dann erhob er sich mit mörderischer Ruhe, packte den Schwarzhaarigen mit festem Griff am Genick wie ein Tiger eine Antilope und schleifte ihn vom Bett.

"Hakuei, du bist ein Idiot", stellte er eisig fest und drückte den anderen auf den Boden.

"Ich weiß nicht, was du Totchi alles angetan hast du Ungeheuer, aber was ich gesehen habe reicht mir. Der Junge ist krank. Er ist in der Schule zusammengebrochen und du hast nichts anderes zu tun als ihm so - so etwas anzutun! Glaubst du ich habe nicht gesehen wie Totchi sich dabei fühlt? Musst du ihn auch noch auf diese Art und Weise verletzen? Du... du Schwein!!"

Nun war es Hakuei der den Violetthaarigen überrascht anblinzelte. Diese Sicht der Dinge war interessant - lächerlich ja, aber interessant.

"Kaoru, ehrlich, du tickst nicht mehr richtig."

"Seit wann bin ich den <Kaoru>, du falscher Hund? Wieso heuchelst du auf eimal Nettigkeit?", zischte der andere und bohrte seinen vernichtenden Blick in den Hakueis. Dieser entgegnete, nun auch nicht mehr so gelassen: "Darf ich das nicht? Aber du hast natürlich immer Recht Kaoru-sama. So, wie du sagst, ist es. Wie immer. Du kommst gar nicht auf die Idee, dass dein toller neuer Freund auch Bedürfnisse hat."

Kaoru schnappte empört nach Luft.

"Und nur zu deiner Info", fügte Hakuei düster hinzu, "Toshiya hat dem Ganzen zugesagt. Er war einverstanden. Und wenn ich ihn küsse, dann hat das alles seine Richtigkeit."

Kaoru bebte vor Wut. Er hatte Mühe zu sprechen, so aufgebracht war er.

"Du - das - was hast du - mit - ihm - gemacht? Siehst du nicht - wie du ihn einschüchterst? Wie du ihn vernichtest? Wie - wie - kannst - du"

"Nein", entgegnete Hakuei kühl und erwiderte den tödlichen Blick des Violetthaarigen, "der einzige, der ihn vernichtet, bist du!"

Schön, es war übertrieben, aber Kaoru arbeitete immerhin mit den gleichen Mitteln.

"Du stehst mir im Weg. Du nimmst ihn mir weg. Wenn du kein Interesse an ihm hast, dann lass ihn und mich in Ruhe."

"Ich glaube du hast völlig den Verstand verloren."

"Wenigstens hatte ich mal sowas. Du bist so überheblich, dass du nicht bemerkt hast wie schlecht es ihm ging."

"So ein Stuss! Du behandelst ihn ja wohl wie dein Eigentum, dein Spielzeug!"

"Ist er auch!"

"Du bist ein gefühlloser Arsch. Ein Tier."

"Und du ein rechthaberischer Sack, der so tut als wäre ihm das Wohl der anderen ein furchtbares Anliegen, in Wahrheit geht ihm das eigene Ego über alles. Klassensprecher-sama."

Einen Moment lang regte sich gar nichts. Die beiden Jungen starrten sich hasserfüllt an, dann stürzten sie gleichzeitig aufeinander los und versuchten dem jeweils anderen in möglichst kurzer Zeit möglichst weh zu tun.

Toshiya saß auf seinem Bett, nach wie vor wie versteinert und verfolgte die Szene mit maßloser Verwunderung.

::Kaoru... hasst micht nicht? Er ist wütend auf... Hakuei... nicht auf mich?::, dachte er erstaunt. Dann überlegte er ob er seine beiden (mehr oder weniger) Freunde eventuell trennen sollte, die sich am Boden rauften wie zwei Schuljungen.

Diese Sache erledigt sich allerdings in der nächsten Minute von alleine: Wieder wurde Toshiyas Zimmertür wütend aufgestoßen. Diesmal war es dessen kleiner Bruder der aufgebracht und zu Tode entnervt plötzlich auf der Matte stand.

"Seid ihr noch zu retten?!", schrie er empört und zog zuerst Hakuei und dann Kaoru den Kochlöffel, den er in der Hand hielt, über den Kopf. Die beiden Jungen hielten inne und starrten den Ankömmling an, der sich vor ihnen aufbaute.

"Dieser Junge", er deutete auf Toshiya, "braucht Ruhe, ist das klar? Und wenn ihr beiden Oberaffen euch prügeln müsst, weil ihr nicht wie normale Menschen miteinander reden könnt, dann VERSCHWINDET!! Kaoru, von dir hätte ich das nicht erwartet. Essen gibt's in fünf Minuten." Mit diesen Worten drehte der Junge sich um und fegte aus dem Zimmer.

Zurück ließ er Toshiya, dem das alles viel zu schnell ging und Kaoru und Hakuei die betreten am Boden saßen und sich den Kopf rieben. Nach einer Weile ergriff der Violetthaarige das Wort.

"Sakito hat Recht... wir benehmen uns wie Kinder...", sagte er verlegen.

"Nö, du benimmst dich so, du hast schließlich angefangen...", engegnete Hakuei schnippisch und erhob sich.

"Hakuei, ich warne dich", sagte Kaoru drohend und stand ebenfalls auf.

"Gomen Totchi, dass du das ansehen musstest... ich weiß auch nicht was in mich gefahren ist... ähm aber... könnte mir freundlicherweise mal einer erklären was genau abgeht?", setzte er hinzu, nahm auf Toshiyas Schreibtischstuhl Platz und blickte diesen erwartungsvoll an.

"Pff, das fragt er jetzt, nachdem er auf mich losgegangen ist", murmelte Hakuei sarkastisch und fügte, als der Violetthaarige etwas erwidern wollte, schnell hinzu, "aber du hast Recht, das ist jetzt nicht das Thema. Auch wenn ich nicht sehe weshalb ich mich vor dir rechtfertigen sollte." Damit ließ er sich auf Toshiyas Bett fallen und lehnte sich lässig gegen die Wand.

"Hakuei, könntest du uns bitte mal alleine lassen? Ich muss mit Kaoru reden", ertönte plötzlich sehr leise und heiser Toshiyas Stimme, woraufhin Hakuei ihm einen beleidigten Blick zuwarf, dann allerdings den Raum verließ. Sobald die Tür zugefallen war, begann Toshiya erneut zu sprechen. Dies war endlich die Chance das ganze Missverständnis aufzuklären. Zumindest soweit es sich um ein Missverständnis handelte. Also begann er ohne Umschweife die Geschichte zu erklären.

"Mein Bruder Uruha ist schwul und äh Hakuei auch wie du vielleicht mitbekommen hast, die beiden waren zusammen." Er hustete unterdrückt.

"Ich bin dann vorgestern Abend die Treppe hinuntergegangen und plötzlich stand Hakuei vor mir und behauptete er sei in mich verliebt und wolle mit mir zusammensein. Ich war so überrumpelt, er hat sich auf mich gestürzt und mich geküsst, ich weiß nicht wieso, aber ich habe ja gesagt." Toshiya verbarg sein vor Scham glühendes Gesicht in den Händen. Kaoru blickte ihn besorgt an, erhob sich von dem Stuhl, setzte sich neben Toshiya und strich ihm über den dunkelblauen Haarschopf.

"Hast du dich einsam gefühlt?", flüsterte er, was den anderen entsetzt aufschauen ließ. Er wollte nicht, dass Kaoru ihn durchschaute, das war so peinlich. Jetzt wäre genau der richtige Zeitpunkt um im Boden zu versinken oder sich in ein kleines Loch zu verkriechen und den Rest des Lebens dort zu bleiben.

"W-wieso-"

"Ich hab mit deinem Bruder geredet", unterbrach der Violetthaarige und fuhr fort über Toshiyas Kopf zu streichen. "Ich war gestern Abend da, ziemlich spät, weil ich dich sprechen wollte, aber du hast geschlafen. Saki hat mir einiges erzählt, über dich und Uruha. Und die Sache mit Hakuei. Ich weiß, dass du zugesagt hast, aber du bist doch nicht schwul, nur weil der Typ plötzlich nett zu dir ist. Du hast das nicht nötig, Totchi, du hast ihn nicht nötig! Er ist doch das allerletzte!"

"Nein, ist er nicht", erwiderte Toshiya plötzlich aufgebracht und stieß Kaorus Hand weg. Dieser starrte ihn verwirrt an.

"Wir haben uns in ihm getäuscht, wirklich, er kann so nett sein! Er ist so lieb zu mir, ich glaube nicht, dass er etwas im Schilde führt und mich anlügt!"

"Totchi, sei doch nicht so naiv und denk mal darüber nach wie weh er dir getan hat", entgegnete der Violetthaarige kopfschüttelnd. Hakuei und freundlich? Nie und nimmer.

"Ich bin nicht naiv, hör auf mich so zu behandeln", rief der Blauhaarige hitzig aus. Wieder starrte ihn der andere verwirrt an, doch diesmal entgegnete er nichts.

"Und vielleicht gefällt es mir ja!", redete Toshiya weiter. Er hatte keine Ahnung, wieso er das sagte und was plötzlich in ihn gefahren war. Eigentlich hatte er sich gewünscht, dass Kaoru die ganze Sache genauso sah, wie er das im Augenblick tat. Wieso also machte er dann alles wieder kaputt?

"Und vielleicht weiß Hakuei viel mehr über mich als alle anderen. Er hat sich immer mit mir beschäftigt!"

"Totchi, sei nicht dumm, er hat dich jahrelang fertig gemacht!"

"Und wenn schon? Du hast mich ignoriert!"

Der Blauhaarige wusste sehr wohl wie unfair es war, das zu sagen, aber es war ihm einfach so herausgerutscht. Tränen stiegen ihm in die Augen.

"Vielleicht bin ich ja schwul! Und vielleicht bin ich ja verliebt in einen Mann!"

Er schniefte und rieb sich die geschwollenen Augen.

Kaoru lachte unsicher.

"Ich weiß nicht was du damit meinst. Willst du sagen, du liebst Hakuei?"

"Nein, dich."
 

Eine lange Stille entstand in der sich 55 Menschen mit AIDS infizierten.

(Angeblich fängt sich alle 5 Sekunden ein Mensch dieser Welt den HIV Virus ein)(<-bitte nehmen Sie der Autorin den quälenden Drang mit ihrem lächerlichen lückenhaften Fachwissen anzugeben nicht übel; sie braucht das, weil sie sonst nichts kann)

Kaoru starrte seinen Freund an. Er wusste nicht was er sagen sollte.

Toshiya seinerseits begann zu weinen. Ihm tat alles fürchterlich weh, er konnte kaum sprechen, hinzu kam die Scham die er empfand. Und dann noch dieses Verlangen von einer bestimmten Person gehalten zu werden, das,wie er wusste, nicht befriedigt werden würde. Die Situation war zum Sich-umbringen-und-eingraben.

"Ich - habe mich - in dich verliebt... Kaoru. Aber ich habe keine Chance. Vielleicht habe ich deshalb zu Hakuei ja gesagt. Oh Gott, ich will sterben...", flüsterte Toshiya mit brechender Stimme.

Jetzt, da er es ausgesprochen hatte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Seine Träume zersprangen in tausend Teile. Wieso musste das passieren.

"Kao-"

Toshiya ließ verzweifelt seinen Kopf in die Hände sinken. Der andere starrte ihn noch immer fassungslos an.

"Sag doch was, Kaoru!", schluchzte der Blauhaarige heiser.

"Sag doch irgendwas!"
 

"Jetzt wäre kein guter Zeitpunkt um da wieder rein zu gehen", stellte Sakito fest.

"Was willst du denn hier?", erwiderte Hakuei unwirsch.

"Ich wohne hier."

"Ich weiß. Das meinte ich nicht."

"Ich weiß. Ich kam um euch zum Essen zu holen, aber anscheinend ist das kein guter Augenblick. - NEIN, du gehst da jetzt NICHT rein!"

Hakuei ließ seine Hand von der Türklinke gleiten und drehte sich schmollend zu Sakito um.

"Aber er weint! Ich höre es!"

Sakito seufzte.

"Tja, da muss er eben durch, fürchte ich. Wenn er sich mit Kaoru ausgesprochen hat wird einer von beiden schon rauskommen. Oder-"

Der junge Japaner beäugte den anderen plötzlich mit spitzbübischem Lächeln.

"- oder ... hast du Angst, dass du von meinem Bruder abserviert wirst, wenn sich die beiden noch länger da drinnen unterhalten?"

"Ach sei still", murmelte Hakuei.

"Darf ich dir eine Frage stellen?", wollte Sakito nach einer Weile des Schweigens wissen.

Auf ein Nicken des anderen hin fuhr er fort: "Bist du wirklich in meinen Bruder verliebt oder stehst du nur auf sein neues tolles Aussehen?"

Hakuei ließ sich an der Wand zu Boden rutschen und seufzte schwer auf.

"Weißt du, dass ich über sowas nicht gerne rede?"

"Das ist nicht die Antwort auf meine Frage."

Der Japaner blickte verärgert zu Toshiyas kleinem Bruder auf.

"Na schön Nervensäge", sagte er giftig, "Ja, ich finde er sieht... geil aus. Aber das ist nicht der Grund. Eigentlich... eigentlich..."

"Jaaa?" Sakito blickte den anderen lauernd an, der so wirkte als müsse er sich zu jedem Wort zwingen.

"Er ist unschuldig und so - süß naiv... ich mag seinen verträumten Ausdruck wenn er *Luft hol*- in der Schule aus dem Fenster schaut", nuschelte Hakuei errötend.

::ERRÖTEND??!!::, war Sakitos Gedanke dabei.

"...und ich mag es wenn er weint. Er sieht dann so... hübsch aus und so - ARGH, WAS SOLL DAS?? Weshalb verrate ich dir pubertierenden Rozlöffel solche Dinge?!"

Sakito starrte ihn an.

"Ja, das frage ich mich auch."

Was für ein Geständnis. Und dann ausgerechnet von diesem Kotzbrocken.

Geständnis?

"Oh, warte..."

Er hob seine linke Hand ins Licht.

"Wusste ich's doch! An meinen Händen sind noch Rückstände des Wahrheitsserums dran, das ich vorhin ins Essen geträufelt habe. Die Dämpfe haben dir wohl die Sinne vernebelt, was?"

Sakito feixte. Der Blick des anderen sagte ihm, dass er besser damit aufhören sollte.

"Ins Essen?", wiederholte Hakuei stockend.

"Ach, unwichtig *nervöses Lächeln*. Daher... hast du meinen Bruder also immer so verletzt bis er angefangen hat zu heulen?" Sakito schüttelte tadelnd den Kopf. "Mann, bist du dämlich!"

"Ich weiß!", entgegenete Hakuei forsch, "Halt doch die Klappe, das ist eben meine Art!"

"Pffff... in Wahrheit bist du doch nur zu feige...", begann Sakito, doch noch bevor der Schwarzhaarige wütend zurückschnappen konnte, klingelte es an der Haustür.
 

"Komme!", rief Toshiyas kleiner Bruder, hüpfte die Treppen hinunter an die Tür und zog sie auf.

"Ryu!"

Ein freudiges Strahlen breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er seinen Koi erkannte. Im nächsten Augenblick verblasste es. Ryutaros Haare waren zerzaust und hingen ihm wild ins Gesicht. Den Kopf hielt er gesenkt, trotzdem konnte Sakito erkennen, dass die Wangen des zierlichen Japaners vom Weinen verquollen und rot-fleckig waren. Er sah fürchterlich aus.

Einen Herzschlag lang standen sich die beiden Jungen schweigend gegenüber.

Dann zog Sakito den anderen schnell in den Arm und drückte ihn so fest an sich als hätte er Angst Ryutaro könnte davonlaufen. (Völliger Unsinn, denn:) Dieser stand steif wie eingefroren da und schluchzte in die Brust seines Geliebten.

"Ryu, was um alles in der Welt ist passiert?!"
 

*+*+*+*+*+*+*+*+*+*+*+*+*+*+*+*+*
 

"Sag doch was, Kaoru!"

Toshiya schluchzte verzweifelt auf.

Der Violetthaarige versuchte seine Gedanken zu ordnen. Er räusperte sich.

"U-und was erwartest du von mir? Was soll ich dir antworten?"

Toshiya blinzelte ihn durch verquollene Augen an.

"Ich weiß, dass du... meine Gefühle nicht... erwidern... kannst. Du hast eine Freundin. I-ich weiß doch selbst nicht, was ich will..." Er brach wieder in heftiges Schluchzen aus.

"Toshiya ich- ich", Kaoru hob hilflos die Arme.

Die Tür ging auf und Hakuei stand im Raum.

"Halt die Klappe, Kaoru!", zischte er, "Du hast schon genug angerichtet!"

Er eilte zu Toshiya und versuchte ihn in die Arme zu ziehen doch dieser sträubte sich mit aller Kraft.

"Nein, das ist nicht wahr, Kaoru kann nichts dafür! Es ist alles meine Schuld! Es... tut mir leid..."

Kaoru erhob sich vom Bett und starrte seinen blauhaarigen Freund an.

"Totchi... es tut mir leid, dass ich dir nicht die Antwort geben kann, die- wie du gesagt hast, ich habe eine-... ist vielleicht besser wenn ich jetzt gehe..."

Er klopfte dem anderen kurz auf die Schulter.

"Finger weg", knurrte Hakuei. "Und zieh Leine."

Kaoru entgegenete nichts. Er blickte noch einmal hilflos zu Toshiya hinüber, dann sah er betreten zu Boden und verkrümelte sich wortlos.

"K-Kao-ru-"

"Schsch", machte Hakuei und nahm den anderen endlich in den Arm.

"Dir wird es bald besser gehen. Dann kannst du ihn vergessen. Glaub mir. Bald tut es nicht mehr so weh..." Der Schwarzhaarige lächelte betrübt, jede Spur von Sarkasmus wie weggewischt.

::Dann kannst du mich lieben.::
 

Das Wochenende verlief in diesem Sinne nicht gerade rosig. Um ehrlich zu sein, war es das grauenvollste Wochenende, das Toshiya je erlebt hatte. Das Wochenende des Schreckens. Das Wochenende der betrogenen Gefühle und gebrochenen Herzen. Das Wochenende der blutenden Seelen und tanzenden Teufel. Das Wochenende, an dem ein schwarzes Phantom mit Rüschenröcken und Handschuhen die letzte Phase seines schrecklichen Plans in Angriff nahm. Das Wochenende, an dem Takumi einen riesigen, fatalen Fehler machte. Das Wochenende, an dem Sakito beschloss Plätzchen in Tannenbaumform zu backen obgleich Weihnachten erst in zwei Monate war. (=.= mir scheint ich vernichte gerade die dramatische Stimmung)

Sonntagabend klopfte es an Toshiyas Zimmertür.

"Hai?", hauchte der Junge und richtete sich im Bett auf (das er seit dem vorigen Tag nicht mehr verlassen hatte). Die Türe öffnete sich geräuschlos und Hakuei trat ein. Lange stand er einfach nur da und musterte das bleiche, eingefallene Gesicht seines Koi.

"Du musst etwas essen, Totchi...", begann er schließlich und griff vorsichtig nach der Hand des Blauhaarigen. Dieser antwortete heiser: "Uruha hasst mich."

"Wieso bist du dir da so sicher?", erwiderte Hakuei.

Toshiya zuckte die Achseln.

"Weißnich... ich habe ihn nicht mehr gesehen... vielleicht ist er gar nicht nach Hause gekommen... vielleicht hat er sich... umgebracht!"

Hakuei ließ die Hand seines Koi fallen.

"Nun hör schon auf die solche schwachsinnigen Dinge auszumalen! Komm mit."

Er packte den Blauhaarigen an beiden Schultern und zog ihn auf die wackeligen Beine.

Einen Moment lang betrachtete er ihn. Dann schüttelte er den Kopf.

"Nein, so geht das nicht."

Ohne auf den kraftlosen Protest seines Mitschülers zu achten, nahm ihn Hakuei auf den Arm und trug ihn aus dem Zimmer.
 

"Du schreckst doch auch vor gar nichts zurück, oder?"

Sakito beobachtete mit hochgezogener Augenbraue, wie Hakuei seinen Koi auf einem Küchenstuhl abgesetzte.

"Er muss etwas essen und braucht mal Abwechslung. Wenn er ewig in seinem Zimmer hockt, geht er noch ein", antwortete der Schwarzhaarige schlicht und legte Toshiya eine Decke um die Schultern.

"Ahso, deswegen bringst du ihn hier runter. Wenn es ihn nicht umbringt macht es ihn gesünder."

"Genau."

"Hakuei, mein Bruder ist krank. Er wird nicht gesund, wenn du ihn im Haus herumschleifst! Er braucht Ruhe!"

"Kümmer dich lieber um deinen Freund. Der sieht so aus, als ob er es bitter nötig hätte", erwiderte Hakuei und warf einen Blick auf Ryutaro, der, ebenfalls in eine Decke gewickelt, auf seinem Stuhl saß und apathisch in eine Zimmerecke starrte. Sakito warf Hakuei einen finsteren Blick zu, zog dann aber seinen Koi in die Arme und wiegte ihn sanft hin und her. Ryutaro begann leise zu weinen.

"Schsch, alles wird gut...", murmelte Sakito und strich mit einem Daumen über die weiße Wange seines Freundes. Ryutaro weinte nur noch heftiger. Tränen liefen über Sakitos Finger und tröpfelten auf den Fliesenboden. Das Licht der Hydroperiskopischen Küchenlampen brach sich darin wie auf Kristallsplittern.

"Ich hab solche Angst, Saki...", flüsterte der zierliche Junge mit schreckensstarrer Miene.

"Was ist passiert?" Toshiyas Augen waren nicht mehr von einem glasigen Blick überzogen, sondern blickten geradeaus auf den dunkelhaarigen Jungen, der bitterlich weinte und den Eindruck erweckte, dass jemand ihn in tausend Teile zerrissen hatte. Sakito warf ihm einen Blick zu, als Ryutaro kaum merklich nickte und sich dann enger an seine Brust schmiegte, sagte er leise: "Ryu... wird verfolgt."

"Was?", riefen Toshiya und Hakuei wie aus einem Munde. Der Blauhaarige war auf einmal hellwach.

"Ja, er traut sich nicht mal mehr auf die Straße. Er hat sogar Drohbriefe bekommen."

"Wer tut sowas?", hauchte Toshiya und musterte den zierlichen Jungen mit dem sanften Lächeln und den weichen Augen. Im Augenblick erinnerte Ryutaro jedoch eher an ein verschrecktes Häschen.

"Ich habe keine Ahnung", brummte Sakito, "doch ich werde es herausfinden und wer immer es getan hat wird teuer dafür bezahlen."

"Hast du eine Idee, wer dich verfolgen könnte, Ryu?", fragte Toshiya sanft, woraufhin der schmale Japaner leicht zusammenzuckte.

"Ich erinnere mich an schwarze und dunkelblaue Kleider. Weite Röcke... und Handschuhe. Und an emotionslose kalte Augen...", antwortete Ryutaro kaum hörbar und begann zu zittern.

"Eine Frau?"

Hakuei runzelte die Stirn.

"Kennst du vielleicht irgendwelche Irren oder Perversen?"

"Außer Saki niemanden", gab Ryutaro zur Antwort. Er schniefte leise und wischte sich mit der Hand über sein tränenüberströmtes Gesicht.

"Hab keine Angst, wir beschützen dich, ja?", sagte Toshiya mit einem Lächeln und setzte sich gerade (so gerade wie es bei seinen schmerzenden Gliedern möglich war).

"Ich koche uns erst einmal was", erklärte Sakito, wickelte die Wolldecke behutsam ein wenig enger um die Schultern seines Freundes, dann stand er auf, drückte einen Knopf neben der Tür und öffnete den Kühlschrank, der einen Herzschlag später erschien.

"Was möchtet ihr denn?"

Toshiya rieb seinen schmerzenden Kopf. Die Sache mit Ryutaro hatte ihn von den Ereignissen der letzten Tage und von Kaoru abgelenkt und er zwang sich mit aller Gewalt nicht wieder daran zu denken. Im Augenblick gab es wichtigere Dinge.

"Was ist das da eigentlich wirklich?", fragte er zurück und deutete auf den leicht pulsierenden Apparat in der Mitte des Raumes aus dem unzählige Schläuche heraus und wieder hineinführten.

Sakito warf seinem Bruder einen Blick zu.

"Lenk nicht ab."

"Sag es mir."

"Ich dachte du bist krank."

"Nicht so krank, dass ich bereitwillig mein Leben riskiere. Also, was ist es?"

Sakito seufzte schwer auf.

"Es ist ein atomarer Schneckenkasten mit angeflanschten Hydromotoren."

"Ein was?", stotterte Toshiya und starrte auf die angeflanschten Hydromotoren an den Seiten des Apparates (von denen er natürlich nicht wusste, dass sie Hydromotoren und ausgerechnet auch noch angeflanscht waren).

Sakito seufzte ein zweites mal noch viel schwerer auf, schloss kurz die Augen und antwortete dann langsam mit unheimlicher Qual in der Stimme: "Ein Heizofen."

"Ach so", murmelte Toshiya und war zufrieden.
 

"Saki, was zum Teufel ist das?", fragte Toshiya mit heiserer Stimme. Er war dabei auf etwas sehr Zähem herumzukauen, das einen merkwürdigen Nachgeschmack im Mund hinterließ.

Sakito blickte kurz von seinem Teller auf und musterte Toshiya. Dann senkte er die Augen wieder und aß weiter.

"Fleisch."

"Welches Fleisch."

Sakito warf seinem älteren Bruder wieder einen ausgiebigen Blick zu.

"Gutes Fleisch."

"Ich glaube, er meint welches Tier", erklärte Ryutaro mit seiner leisen Stimme.

Sakito blickte zum dritten mal auf, antwortete aber nicht.

"Und jetzt tu nicht so, also ob du den Mund voll hättest, sondern gib ihm ne Antwort", sagte Hakuei, dem langsam der Geduldsfaden riss.

"Was du nicht weißt macht dich nicht heiß", erwiderte Sakito mit nervösem Lächeln und schob seine letzt Gabel in den Mund. Toshiya starrte seinen kleinen Bruder an.

"So schrecklich? Vielleicht... Yeti?"

"Quatsch, es gibt keine Yetis."

"Archäopterix?"

"Hatten wir gestern."

"Affe?"

Sakito stand auf und trug sein Geschirr zum Spülbecken. Als er in aller Ruhe begann seinen Teller abzuspülen, hakte Hakuei nach: "Also tatsächlich Affe?" Er griff sich an die Kehle.

Sakito drehte sich zu ihm um und lächelte vergnügt.

"Fast."

Er begann eine Melodie zu pfeifen.

"Was denn dann?"

Sakito warf ihm wieder einen kurzen Blick zu.

"Mensch."

Er pfiff weiter.

"Hier." Damit hob er ein Buch hoch, das auf der Anrichte gelegen war, damit die anderen den Schriftzug lesen konnten: 1500 Kannibalische Genüsse.

Ryutaro erbleichte. Hakuei spuckte schnell den Bissen, den er im Mund hatte, in seine Serviette. Toshiya schlug sich die Hand auf die Lippen.

"Ich dachte, das wäre metaphorisch gemeint", nuschelte er durch seine Finger.

"Nun, nein. Wie du siehst nicht."

Als er in die erstarrten grünlich gefärbten Gesichter der anderen Jungen sah, fuhr er fort: "Nun seht mal, es ist auch von freilaufenden Lebewesen, hundert Prozent biologisch, besonders an den Fingern sehr weiches Fleisch, aber bis du das abbekommst, puh, ich sage euch-"

"Danke Sakito. Ich glaube mehr möchte ich nicht wissen." Toshiya schloss die Augen und atmete dreimal tief ein und aus. Dann noch einmal. Sein jüngerer Bruder zuckte nur die Achseln.

"Was hast du denn? Rind und Schwein findest du doch eklig, so viele andere Möglichkeiten gibt es da nicht. Tsss, Weichlinge, dabei nehme ich doch nur welche, die natürlichen Todes-"

"SAKITO!!"

"Ja ja, schon gut..."
 

*+*+*+*+*+*+*+*+*+*+*+*+*
 

"Und du bist dir sicher, dass du in die Schule willst?"

"Sakitos Essen hat mich kuriert, Hakuei", erwiderte Toshiya mit trockenem Lächeln.

"Uh, verstehe, wenn du Zuhause bleibst..."

"...muss ich auch Zuhause essen, genau."

Eine kurze Pause entstand. Toshiya beobachtete die Blätter, die im Herbstwind über den Gehsteig fegten. Nachdem er gestern Abend darauf bestanden hatte Montagfrüh wieder zur Schule zu gehen, hatte ihn Hakuei extra um viertel nach sieben abgeholt, damit sie zusammen laufen konnten. Zwar zitterten seine Beine und er bewegte sich nur sehr vorsichtig und langsam, seine Augen tränten und sein Hals brachte ihn fast um, doch die frische Luft tat ihm gut (schlagendes Argument um mit Grippe in die Schule zu gehen).

"Naja", begann Hakuei plötzlich, "er hätte nicht unbedingt erwähnen müssen, warum der Postbote nicht mehr kommt. Glaubst du, wir haben echt Briefträgerfleisch gegessen?"

"Nein, glaube ich nicht. Ich traue meinem Bruder sehr viel zu, aber das nicht. Ich schätze, das ist seine Art von Humor. Vermutlich war es in Echt Eisbär oder Biesamratte oder so."

Toshiya gluckste. Hakuei verzog angewidert das Gesicht.

"Entzückende Familie, wirklich. Ein Wunder, dass du noch lebst. Du bist dir sicher, dass dein Bruder mit seinen Chemikalien nicht deinen Verstand verwirrt hat?"

"Das hat er einmal versucht, aber ich konnte das Giftzeug noch rechtzeitig ausspucken, bevor es mir das ganze Gehirn weggeätzt hat."

"Oh, na dann..."
 

Auf dem Schulhof tummelten sich hunderte von Schülern, die redeten, stritten und voneinander Hausaufgaben abschrieben. Der Boden war feucht, da es die ganze Nacht geregnet hatte und die Luft duftete nach Erde.

::Ich liebe Herbst::, dachte Toshiya bei sich, als er und Hakuei sich durch die Schülermassen drängten. Der Blauhaarige fühlte sich ein erhebliches Stück besser und er war heilfroh in die Schule gekommen zu sein. Irgendwann musste er Kaoru ja gegenübertreten und wenn er es nicht bald tat wurde er noch wahnsinnig. Kaoru... er konnte nicht aufhören an ihn zu denken. Toshiya beobachtete wehmütig ein Pärchen, das etwas abseits an der Schulmauer stand und sich innig umarmte. Auf einmal spürte er, wie jemand seine Hand nahm.

"Du siehst so traurig aus", flüsterte Hakuei und drückte Toshiyas kalte Finger. Toshiya lächelte matt.

"Ich fühle mich nicht so gut..."

"Das habe ich dir gleich gesagt. Du hättest im Bett bleiben sollen."

Der Blauhaarige zuckte die Achseln. Dann runzelte er die Stirn.

"Hakuei?"

"Hm?"

"Ich habe eine komische Vorahnung."

"Was meinst du?"

"Ich weiß nicht. Ich habe ein furchtbares Gefühl... ich überlege die ganze Zeit ob dieser Englischlehrer etwas mit Ryutaros Verfolgung zu tun hat. Dieser Camui Typ hat ihn schon einmal bedrängt... mich lässt das Gefühl nicht los, das etwas Schlimmes passieren wird..."

Hakuei drehte sich zu Toshiya um und nahm ihn in den Arm. Der Blauhaarige ließ es geschehen. Es fühlte sich gut an, so warm. Aus irgendeinem Grund war es ihm plötzlich gleich, ob ihn jemand sah. Sollten sie doch denken, was sie wollten. Kaoru wusste alles und schlimmer konnte es sowieso nicht kommen.

"Hey! Hara Toshimasa!!"

Toshiya drehte sich verwundert in Hakueis Armen um. Vor ihm stand ein zierlicher kleiner Junge mit schwarzem Haar und blonder Strähne und schaute ihn mit durchdringendem Blick an. Beinahe verletzt. Es begann zu tröpfeln.

"Kyo?"

Toshiya hätte ihn mit der anderen Haarfarbe fast nicht erkannt.

"Hast du Takumi gesehen?"

Vor lauter Überraschung vergaß der Blauhaarige zu antworten. Stattdessen fragte er zurück: "Du suchst Takumi?? Ich dachte du hasst ihn?"

Als Kyos Augen an seinem Körper herabglitten fiel Toshiya auf, dass Hakueis Hände noch immer auf seinen Hüften ruhten.

::Wie peinlich! Na ja, ist eigentlich auch schon egal...::, dachte Toshiya errötend, schob die Hände seines Mitschülers aber trotzdem von sich. Es war ihm unerklärlicherweise ziemlich unangenehm in dieser Situation von Kyo gesehen zu werden.

"Antworte auf meine Frage", entgegnete der Schwarzhaarige scharf und beäugte Toshiya mit seinem Katzenblick.

"Ich habe ihn nicht gesehen. Wieso auch? Warum gerade ich?"

Toshiya hatte das Gefühl, dass etwas Merkwürdiges vor sich ging. Kyo verengte die Augen zu Schlitzen.

"Du bist doch Uruhas Bruder."

Daraufhin drehte er sich um und ging weg - jedoch nicht ohne Hakuei noch einmal von oben bis unten zu mustern.

Toshiya blickte dem schwarzen Haarschopf verwirrt hinterher.

"Uruha? Was hat denn Takumi mit Uruha zu tun?"
 

"Totchi! Toshiya!!"

Das Gesicht des Blauhaarigen hellte sich auf.

"Shinya!"

Der Blonde lächelte vergnügt und verbeugte sich zur Begrüßung. Dann wandte er sich an Hakuei.

"Und du bist..."

"Hakuei", antwortete der Schwarzhaarige knapp.

Shinya warf Toshiya einen fragenden Blick zu, dieser blickte zu Boden.

"Ich muss dir nacher noch was erzählen...", flüsterte er. "Hast du Kaoru gesehen?"

"Der ist krank", sagte eine Stimme hinter Shinya. Toshiya riss überrascht die Augen auf.

"Die?!?!"

Der Rotschopf trat breit grinsend neben seinen blonden Mitschüler und zog ihn eng an sich.

"The one and only."

Nun war es Toshiya, der seinen beiden Freunden einen fragenden Blick zuwarf.

"Naja wir... wir...", begann Shinya errötend, doch Die unterbrach ihn.

"Er möchte eigentlich sagen, dass er meinem unglaublichen Charisma nicht länger widerstehen konnte. Er betet mich an, müsst ihr wissen."

Shinya knuffte dem Rothaarigen mit dem Ellbogen in die Seite.

"Hört nicht auf diesen Idioten", murmelte er hochrot, "eigentlich habe ich ja nur Mitleid mit ihm."

Die grinste frech und legte seine Lippen an Shinyas Hals.

"Sicher doch...", nuschelte er und setzte einen sanften Kuss auf die weiße Haut. Der Blonde schloss die Augen, der rote Hauch, der auf seinen Wangen lag, ließ ihn aussehen wie ein frisch verliebtes Schulmädchen.

Toshiya konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, das ihm jedoch verging als er spürte wie Hakuei ihm wieder die Hände um die Hüfte legte und ihn an sich drückte.

"Siehst du? So geht das. Du musst es erwidern", hauchte er in Toshiyas Ohr.

Der Blauhaarige spürte plötzlich wie etwas Hartes gegen seine Oberschenkel drückte und machte entsetzt einen Schritt nach vorne.

"Das kann ich nicht, das weißt du. Es... tut mir leid..."

Ohne die anderen drei noch einmal anzublicken bahnte er sich so schnell er konnte einen Weg durch die Menge auf das Schulgebäude zu.

Die und Shinya blickten ihm wortlos nach. Als Hakuei Anstalten machte, seinem Koi zu folgen, hielt der Rotschopf ihn an der Schulter zurück.

"Hey, lass mich gehen, ich muss ihm nach! Er ist krank, was wenn er schlapp macht?"

Wütend versuchte der Schwarzhaarige die Hand abzuschütteln, doch Die sah ihn nur einringlich an und erwiderte: "Ich glaube wir sollten uns mal unterhalten."
 

Toshiyas Herz raste und das Blut pochte ihm in den Ohren, doch er dachte nicht daran stehenzubleiben.

::Ich bin Schuld an allem. Ich mache alle anderen nur unglücklich.::

Toshiya lehnte sich, am Schulgebäude angekommen, gegen die Mauer und beruhigte seine zitternden Knie. Hakueis Erregung zu spüren war mehr als er ihm Augenblick ertrug. Vor seinen Augen wurde es schwarz, doch er zwang sich bei Besinnung zu bleiben. Wenn er krank war, kippte er leicht um, also holte er tief Luft und bemühte sich das Schwindelgefühl loszuwerden. Als Toshiya eine halbe Minute später wieder aufblickte, sah er direkt in Kyos Augen. Der zierliche Japaner stand ein paar Meter weiter weg alleine in den Schülerscharen und beobachtete ihn.

::Was-::, dachte Toshiya und richtete sich auf, doch noch bevor er etwas sagen konnte, hatte der andere Junge sich bereits umgedreht und war verschwunden.

::Was sollte das denn? Wie lange hat er mich schon so beobachtet? Wenn er irgendwas wissen will, wieso fragt er dann nicht einfach?::

Völlig verwirrt machte sich der Blauhaarige auf den Weg ins Klassenzimmer, tausend unbeantwortete Fragen im Kopf. Wieso war Kaoru nicht in der Schule? Und was ging nur mit Kyo vor sich? Je häufiger er diesen Jungen erlebte, desto geheimnisvoller und unerklärlicher erschien ihm sein Verhalten. Toshiya kramte seinen Stundenplan hervor und warf einen müden Blick darauf.

"Oh nein!"

Er ließ die Hand stöhnend sinken.

"Mathe. Auch das noch..."
 

"Puh, das Wetter ist echt abgekühlt. Der Wind ist eiskalt..."

Shinya wickelte sich einen Wollschal um den Hals und kuschelte sich in Dies Arme. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zur Männertoilette im zweiten Stock und ein völlig durchnässter Toshiya stolperte herein. Er nieste und putzte sich die Nase.

"Sauwetter."

"Wieso bist du denn so nass? Du siehst aus wie ein begossener Pudel.." Die grinste und knackte eine Pistazie.

"Die!" Shinya warf seinem Koi einen tadelnden Blick zu.

"Ich war auf dem Pausenhof weil die Lehrer uns rausgeschickt haben, kaum waren wir draußen hat ein richtiger Platzregen eingesetzt und wir durften ins Schulhaus zurück", erklärte Toshiya und zog seinen Mantel zitternd enger.

"Ich fühle mich wie eine Orange in einem Wodka Tonic."

Die blinzelte.

"Da sind doch Zitronen drin."

Der Blauhaarige ließ sich an der Wand zu Boden rutschen und blickte trüb vor sich hin.

"Eben", flüsterte er, "total fehl am Platz."

Shinya und Die warfen sich einen Blick zu.

"Hakuei hat uns erzählt, was mit Kaoru passiert ist", begann Shinya vorsichtig und kniete sich zu seinem Freund auf den Boden.

"Wir mussten ihn zwar erst prügeln, aber dann hat er mit der Sprache rausgerückt", warf Die ein.

"Das tut mir so leid, Totchi", flüsterte der Blonde und schloss den anderen fest in die Arme. Toshiyas Augen wurden feucht, doch er hielt die Tränen mit aller Kraft zurück.

"Ich weiß nicht mehr was ich machen soll, oder was richtig ist. Ich habe das Gefühl ich habe alles falsch gemacht. Alles ist meine Schuld. Jetzt hab ich meine Freundschaft mit Kaoru total zerstört, dabei... dabei ist er mir so wichtig. Und Hakuei verletze ich nur durch mein Verhalten. Ich bin so ein Arsch..."

"Stimmt", sagte Die und zog ein belegtes Brötchen aus der Tasche.

"DIE!!", rief Shinya empört.

"Das ist erst mein drittes heute", verteidigte sich Die, doch Shinya rollte mit den Augen.

"Das meine ich doch nicht Idiot! Du kannst von mir aus essen bis du platzt. Ich meine Totchi! Er kann doch nichts dafür. Du hast einfach Pech, ehrlich gesagt wüsste ich in deiner Situation auch nicht wie ich mich verhalten sollte. Aber es war so mutig von dir es Kaoru zu sagen. Die hat ihn gestern besucht..."

"...nicht lange, ich war eigentlich gerade auf dem Weg zu Subway, da hab ich nur kurz mal vorbeigeschaut...", kaute Die.

"...und er hat gesagt, dass Kaoru total fertig aussah. Es geht ihm wirklich nicht gut. Du bist ihm wichtig, Toshiya, sonst würde er sich das nicht so zu Herzen nehmen. Was glaubst du, weshalb er heute nicht in der Schule ist? Er ist auch völlig durcheinander."

"Und ich bin Schuld", schluchzte Toshiya. Stille fiel über die Toilette. Der Blauhaarige rieb sich seine brennenden Augen. Shinya stieß Die mit dem Ellbogen an um ihm zu bedeuten, dass er ihren Freund trösten solle, also kniete sich der Rotschopf auf den Boden und nahm Toshiyas Hand. Und legte ein Sandwich hinein.

"Hier für dich. Iss was, dann geht's besser. Das ist mein letztes."
 

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"Ich dachte es wäre dein letztes gewesen", sagte Shinya stirnrunzelnd, als er, Die und Toshiya nach der Schule über den Pausenhof liefen.

"Mein letztes Sandwich. Das hier ist ein Chow-Mein Brot, das ist etwas völlig anderes", erklärte Die und biss von seinem Brot.

"Ahso."

Eine Weile trotteten die drei Freunde schweigend nebeneinander her.

"Sagt mal... was habt ihr eigentlich zu Hakuei gesagt? Er hat mich heute völlig in Ruhe gelassen. Er hat nicht mal versucht mich zu küssen..."

Shinya legte den Zeigefinger auf seine Lippen und zwinkerte. (gruselige Vorstellung irgendwie O.O)

"Geheimnis", lächelte er.

"Wir haben ihm eingebläut, dass er, wenn du ihm echt so wichtig bist und er sich irgendwas erhofft, die Finger von dir lassen soll. Grob gesagt. Shinyas Wortlaut war eher: Leg noch einmal Hand an ihn und ich schlag dir die Zähne ein", sagte Die und stopfte sich den Rest seines Chow-Mein Brötchens in den Mund.

"DIE!", rief Shinya und kniff seinen Geliebten mit mörderischem Lächeln in die Wange. "Ein Geheimnis ist deswegen eins, weil man nicht verrät, was es ist."

"Du tuft mia weh, Finja."

Der Blonde ließ die Wange seines Freundes los und redete ungerührt weiter: "Jedenfalls: Wenn du nichts von ihm willst, dann lass dich von Hakuei zu nichts zwingen. Tu einfach mal das, was du für richtig hälst. Und Kaoru - ich kenne ihn schon lange, glaub mir, er ist nicht sauer auf dich. Er sitzt jetzt sicher Zuhause und hat die heftigsten Schuldgefühle."

"Oder er fängt Toshiya und seine anderen beiden Freunde, die mehr reden, als ihnen gut tut, nach der Schule ab um eine Lösung zu finden. Oder um sie für immer verschwinden zu lassen. Hee hee."

Die drei Jungen wirbelten herum. Die kaute mit scheelem Blick an seinem Okonomyaki.

"Kaoru? Was für Drogen hast du genommen?"

Kaoru lächelte gequält.

"Das war nur ein Scherz Die... ohne euch würde ich sterben, das wisst ihr doch... Toshiya..."

Der Blauhaarige starrte Kaoru mit klopfendem Herzen an. Wie sollte er sich jetzt nur verhalten?

"Toshiya...", begann Kaoru erneut, trat an seinen Freund heran - und legte ihm die Hand auf die Stirn.

"Du hast immer noch leicht Fieber. Wieso schleppst du dich in die Schule, du bist wirklich bescheuert!", sagte er kopfschüttelnd.

"Tut mir leid", murmelte Toshiya, während er spürte, dass er sich nicht mehr lange beherrschen konnte. Ihm war zum Heulen zumute. Oder zum Schreien.

"Tut mir so leid... alles tut mir-"

"Nun hör schon auf", widersprach der Violetthaarige und schloss seinen Mitschüler in die Arme.

"Dir muss nichts leid tun. Für seine Gefühle kann man nichts. Ich sollte mich entschuldigen, ich habe mich völlig idiotisch verhalten..."

("Stimmt", sagte Die mit vollem Mund.

"Da-hai!", zischte Shinya, "unterbrich sie jetzt nicht. Und den Stiel kann man nicht essen."

"Hmpf", machte Die und warf eine Handvoll Äste, an denen mal Johannisbeeren gehangen haben mussten, auf den Boden.)

"Ich war so überrascht, dass ich nicht wusste wie ich mich verhalten soll. Auch wenn ich deine Gefühle nicht erwidern kann", flüsterte Kaoru so leise, dass nur Toshiya es hören konnte, "...unsere Freundschaft soll die gleiche bleiben. Einverstanden?"

Toshiya schluckte die Tränen hinunter. Es tat so gut von Kaoru gehalten zu werden, auch wenn der andere es nicht so meinte wie er selbst.

"Einverstanden."

"Finger weg."

Hakuei zog seinen Koi aus den Armen des Klassensprechers.

"Bei dir piept's wohl. Er gehört mir. Du wolltest ihn nicht, jetzt ist es zu spät um es sich anders zu überlegen."

Die prustete in seinen grünen Tee.

" Bei dir piept's wohl ? Wo hat er das denn her... wie affig..."

Kaoru warf dem Schwarzhaarigen einen vernichtenden Blick zu.

"Dich wird man echt nie los", brummte er. "Wenn du uns schon belauscht, dann solltest du dir wenigstens die Mühe machen richtig zuzuhören."

"Klappe du Gockel", zischte Hakuei zurück und die folgenden fünf Minuten versuchten die beiden sich gegenseitig mental zu erwürgen.

Bis -
 

"AAAAAAAAAAAAHHHHHHHH!!!!!!!!!"
 

Kaoru und Hakuei drehten sich um. Shinya und Toshiya erstarrten. Die versuchte mit seinen Stäbchen das Gemüse aus seiner Pekingsuppe spezial zu fischen.

"Das... das war Ryutaro!", keuchte Toshiya und noch ehe jemand etwas erwidern konnte, stürzte er bereits in die Richtung aus der der Schrei gekommen war.

Vor dem Schulgebäude dicht bei der Hecke und den Blumenbeeten saß Ryutaro im Matsch. Seine Augen waren vor Schreck geweitet, Tränen rollten über die blassen Wangen. Neben ihm stand ein sehr großer Mann mit vielen Tätowierungen und einem auffälligen Lippenpiercing. In seiner Hand trug er einen Stapel Alubehälter. (ihr wisst schon, solche in denen man Essen warm hält)

Toshiya, gefolgt von Shinya, Die, Hakuei und Kaoru blieb vor dem schmalen Jungen stehen. Der Blauhaarige kniete sich neben Ryutaro in den Schlamm.

"Ryu, was ist passiert?"

Der Japaner antwortete nicht, er starrte nur weiter mit aufgerissenen Augen auf den Boden.

"Echt mal, Junge, wieso schreist du denn so? Entspann dich, mach ein bisschen Yoga...", sagte der große, schwarzhaarige Mann. Die vier Schüler starrten ihn an.

"Und wer bist du?", fragte Shinya mit hochgezogenen Augenbrauen.

"Ich bin Miyavi, Lieferant des Chinesischen Imbisses "Happy" in der Hauptstraße. Will jemand ne Pekingsuppe?"

Er hielt den anderen die Alubehälter unter die Nase.

"Nein danke", sagte Kaoru.

"Ich", sagte Die.

"Was ist passiert?", sagte Toshiya.

"Ich glaube ich nehme gleich zwei", sagte Die.

"Jetzt seid doch mal still", mahnte Toshiya.

Ryutaro hob sehr langsam den Kopf und flüsterte: "Er war da... er wollte mich holen kommen..."

"Wer war da, Ryu?", fragte Shinya leise und kniete sich neben Toshiya.

"ER", antwortete Ryutaro.

"Wie informativ", murmelte Die.

"Und ich sage, Yoga hilft wirklich", erklärte Miyavi.

"Und weiter?" Shinya nahm die schlammigen Hände des zierlichen Jungen in seine eigenen und drückte sie sanft.

"Er hat mich verfolgt... bis in die Schule... und gewartet... vor dem Schulhaus... er will mich holen... kalte Augen...", hauchte Ryutaro mit brechender Stimme und begann furchtbar zu zittern.

"Weißt du, wer er ist?", sagte Toshiya behutsam.

Ryutaro nickte stockend.

"Er... er ist..."

Plötzlich keuchte er. Seine Augen blickten an Shinya und Toshiya vorbei starr geradeaus.

"Er ist..."

Die anderen wirbelten herum. Sogar Die war so überrascht, dass er eine Sojabohne fallen ließ.

Dann sahen sie ihn.

Er stand am anderen Ende des Pausenhofs. Sein nachtschwarzes Haar wehte im Wind. Seine Rüschenröcke raschelten wie verdorrtes Laub auf alten vergessenen Gräbern. Seine Haut war weiß wie Porzellan, seine Augen schimmerten eisig und tödlich. Ein Mensch?

"W-wer?"

Die Jungen starrten erschrocken auf das Wesen, das geräuschlos über den matschigen Boden wandelte und in ein paar Metern Entfernung vor ihnen stehenblieb. Der kalte Blick bohrte sich tief in ihre Augen und Herzen. Aus dieser Nähe konnte man erkennen, dass er ein Gothic Lolita Kostüm trug und seine Lippen stark überschminkt waren. Von seinem linken Arm wehten schwarze Samtbänder auf die in gotischen Buchstaben Mana gestickt war.

"Es ist...", begann Ryutaro wieder, seine Stimme nichts als der Hauch eines sterbenden Lebewesens.

Auf einmal bemerkte Toshiya, dass das Phantom ein Schild in der rechten Hand hielt.

Darauf stand: "Ho ho ho."

Und darunter: "Wart ihr auch alle brav?"

Der Blauhaarige starrte verständnislos auf die Aufschrift, ein kalter Schauer jagte ihm über den Rücken.

"Es ist...", begann Ryutaro erneut mit brüchiger Stimme.

Shinya schrie auf und schlug sich die Hand vor den Mund.

"ES IST DER WEIHNACHTSMANN!!!"
 


 

"Daishi? Was versteckst du da?"

Der Schwarzhaarige sah zu seinem kleinen Bruder auf und grinste belämmert.

"Nichts... gar nichts..."

Kyo betrachtete ihn angeekelt.

"Zu bist ja total dicht. Echt jämmerlich."

Er ließ sich in einen Sessel fallen.

"Und wo wir schon dabei sind: Wem gehört eigentlich die Wohnung hier?"

Daishi grinste bescheuert.

"Das Leben ist ein Swimmingpool des Wahnsinns", antwortete er.

"Gib dir keine Mühe Idiot", murmelte Kyo, stand wieder auf und ging.

"Tsssshihihi, dir wird das Lachen schon vergehen... ich weiß genau was du fühslt... hihi... ich kenne dich gut... ich durchschaue dich kleiner Bruder... und ich werde dir wehtun... ich verletzte die beiden Personen die dir wichtig sind... und du kannst es nicht verhindern...", murmelte Daishi mit irrem Grinsen vor sich hin.
 

"Spinner", zischte Kyo als er aus dem Hochhaus auf die verlassene Gasse trat.

::Aber ich habe ein komisches Gefühl... vielleicht sollte ich ein Auge auf ihn haben...::

Doch zuerst musste er seine Ware loswerden. Der Ort war gut, der Zeitpunkt günstig. Es hatte zu regnen begonnen, bei diesem Wetter trieben sich hier selten Polizisten herum. Sie fuhren dann mit ihren beheizten Autos Streife in der Innenstadt von Imbiss zu Imbiss, also musste man sich als Profi einfach nur Plätze suchen, die in Autos nicht zu erreichen waren. Und diese schmale Gasse mit ihren unzähligen alten Hinterhöfen war perfekt. Auf Kunden würde er nicht lange warten müssen, das wusste er.
 


 

"Oh... oh Gott", keuchte Toshiya entsetzt. Er hatte geahnt, dass so etwas eines Tages passieren würde.

"Ja...", flüsterte Ryutaro mit schreckensstarrem Blick, "der Weihnachtsmann."

Das Wesen im schwarzen Gothic-Lolita Dress hielt ein neues Schild hoch: Sehr richtig. Ich hoffe ihr wart auch brav.

Auf einmal machte es einen Satz nach vorne, was die Jungen erschrocken zusammenfahren ließ. Ryutaro wimmerte leise und Toshiya rann der Schweiß von der Stirn.

Mana - oder auch der Weihnachtsmann - nahm einen großen, braunen Sack von seinem Rücken und holte mit seinen schmalen, behandschuhten Fingern etwas heraus.

"Nein... bitte nicht...", hauchte Ryutaro, als der Mann im Rüschenkleid ihn mit kalten Augen fixierte.

"Nimm mich an seiner Stelle", rief Toshiya plötzlich und warf sich vor den zitternden schwarzhaarigen Jungen. Mana holte aus - Toshiya kniff die Augen zusammen, die anderen hielten verängstigt den Atem an -

Nach einer halben Minuten wagte Toshiya zu blinzeln.

"Er ist weg... es ist vorbei", sagte Shinya leise und holte Luft. Ryutaro begann zu weinen, Kaoru trat hinter ihn und strich ihm über den Rücken.

"Da, schau!", rief Shinya plötzlich aus und deutete auf Toshiyas Brust.

Der Blauhaarige blickte an sich hinab. Vorne an seiner Jacke heftete ein Anstecker auf dem stand: Ich bin ein Spargel.

"Oh Gott wie furchtbar", murmelte Shinya und schlug sich entsetzt die Hand vor dem Mund.

"Ich... ich bin aber keiner", flüsterte Toshiya zitternd.

"Darf ich ihn haben?", fragte Die plötzlich, der fünf leere Alubheälter auf dem linken Arm balancierte. Von Miyavi war weit und breit nichts zu sehen.

"Bitte... wenn du willst...", antwortete Toshiya, woraufhin Die den Button von seiner Jacke nahm und ihn an die eigene heftete.

Hakuei stand einfach nur da und wusste nicht ob er schreien oder lachen sollte oder beides.

"Ich brauch jetzt nen Kaffee", murmelte Toshiya und erhob sich mühsam aus dem Schlamm.

"Von mir aus auch einen aus radioaktivem Pulver, er muss nur stark sein..."
 

Der Wahnsinn hat bekanntlich nie ein Ende.

Als Toshiya an diesem späten Nachmittag völlig ermüdet und ausgelaugt und keineswegs gesund die Tür zu seinem Haus aufschloss, im Schlepptau Ryutaro, der noch immer ein Trauma hatte, Sakito, der seinen Koi nie wieder alleine lassen wollte, Hakuei, der seinen Koi auch nicht alleine lassen wollte und Kaoru, der etwas degegen hatte, wenn Hakuei und Toshiya alleine waren, wartete bereits die nächste interessante Überraschung.

"Mama!", rief Toshiya so laut er konnte in den zappendusteren Flur, "Ich... äh... wir sind da!"

Und etwas leiser: "Wer auch immer wir sind, was auch immer wir wollen... ich glaube ich bin doch ein Spargel..."

Der Blauhaarige fuhr sich mit der Hand über sein glühendes Gesicht. Als seine Mutter einen Augenblick später in den Flur trat, verschwamm ihr Umriss vor seinen Augen.

"Toshiya, Sakito! Wie schön, dass ihr da seid! Oh und ihr habt euere Freunde mitgebracht."

Sayumi lächelte vergnügt und wies mit einladender Geste in Richtung Wohnzimmer.

"Uruha ist auch schon da und er hat seine neue Freundin dabei. Sie ist so ein entzückendes Mädchen!"

Toshiya ließ seine Jacke fallen. Hakuei klappte der Mund auf. Ryutaro und Kaoru starrten Sayumi Hara entgeistert an.

"Wie bitte?", keuchte Sakito. "Wie meint du das, Ma? Freundin wie "feste Freundin"?... oder was?"

"Sakito, nun sei doch nicht so überrascht. Dein Bruder kann sich auch verlieben."

Sie lächelte wieder.

"Kommt mit, ich stelle sie euch vor."

9

Walking proud
 

Autor: Clea

Kommentar: Ich entschuldige mich vielmals für den merkwürdigen Auftritt von Mana in WP 8 u.u... aber ob ihr es glaubt oder nicht, es hat tatsächlich eine Bedeutung und die ganze Sache ist viel ernster als sie auf den ersten Blick wirkt.

Und vielen Dank an meine treuen Leser (Clothoid Doll, Shiny Baby, Adritha, Silent_Voice, Yoshina etc.), die mir sogar dann Kommis schreiben, wenn ich das Kapi total missraten finde *drop*...


 

Teil 9
 

"Verdammt...", fluchte er leise vor sich hin.

Er erhob sich von der Parkbank und sah einen Augenblick lang in den klaren Himmel hinauf. Dann zerknüllte er die Zeitung, die er gelesen hatte, und warf sie in den nächsten Abfalleimer. Das Titelblatt jedoch faltete er sorgsam zusammen und steckte es in die Tasche. Darauf war zu lesen: "Drogenboss Mana alias Der Weihnachtsmann endlich gefasst - Die Polizei ermittelt gegen weitere mutmaßliche Dealer".

In dem Augenblick klingelte sein Handy. Er holte es heraus und klappte es auf.

"Ja, ich bin's, Kyo..."
 

Währenddessen stand Toshiya wie versteinert in seinem Wohnzimmer und versuchte zu erfassen was vor sich ging.

"Takumi?", murmelte Sakito und ging näher an den Jungen heran, als könne er ihn nicht richtig erkennen. Seine Mutter lächelte verwirrt.

"Ihr kennt euch?"

"Ja, sozusagen", antwortete Sakito und fasste seinen ältesten Bruder ins Auge. Dessen Blicke sagten etwa so viel wie Lass mich auffliegen und du bist tot.

Toshiya setzte gerade an etwas zu sagen, als Uruha sich vom Sofa erhob, Takumis Hand packte und ihn zur Tür hinauszog. Als er an Hakuei vorbeikam, blieb er kurz stehen und beugte sich dicht an seinem Ex-Freund heran. Dann ging er weiter. Für einen Augenblick dachte Toshiya erschrocken, sein Bruder habe Hakuei einen Kuss gegeben, eine Sekunde später begriff er, dass er ihm etwas ins Ohr geflüstert hatte. An der Tür drehte sich Uruha noch einmal um.

"Wir gehen, Mama." Dann schob er seinen Freund schnell aus dem Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.

"Wie, schon? Aber wohin denn?"

"Er ist weg, Ma", sagte Sakito. "Und Ryutaro und ich verkrümeln uns auch."

"Wie ihr meint, Jungs. Ich wollte sowieso noch diesen neuen Möbelkatalog durchblättern, die Deckchen im Angebot sind wirklich hübsch..."
 

"FreundIN?! Er hat ihn als seine FREUNDIN vorgestellt??", sagte Toshiya und ließ sich auf sein Bett fallen. Kaoru runzelte die Stirn.

"Vielleicht schämt er sich dafür, dass er schwul ist..."

"Das sicher auch... aber da steckt noch etwas anderes dahinter, da bin ich mir sicher. Ich wüsste zu gerne, was er im Schilde führt."

"Wieso sollte er das denn tun?", gab Kaoru zurück und ließ sich neben Toshiya auf die Decke fallen. Hakuei setzte sich zwischen die beiden.

"Du kennst Uruha nicht", der Schwarzhaarige biss sich auf die Lippe, "alles was er tut hat eine Bedeutung oder soll irgendetwas bewirken. Er ist total durchtrieben, so eine Aktion würde er sicher nicht grundlos starten."

Toshiya dachte einen Augenblick darüber nach, dann sagte er leise: "Dann kenne ich meinen Bruder auch nicht... diese Seite an ihm habe ich noch nie erlebt..."

Nach einer Weile fügte er hinzu: "Hakuei? Was hat Uruha dir eigentlich ins Ohr gesagt?"

Der Dunkelhaarige kaute einen Moment lang auf seiner Lippe herum ehe er antwortete.

"Er sagte... wenn ich das richtig verstanden habe... Du hast mich nicht umsonst erniedrigt."

Kaoru prustete.

"Wie kindisch ist das denn bitte? Erniedrigt? Nur weil du ihn sitzen gelassen hast? Er wird doch nicht so nem Idioten wie dir nachweinen."

"Ist eben nicht jeder so arrogant und unsensibel wie Niikura Kaoru. Auch wenn dir niemand nachtrauern würde, musst du das noch lange nicht auf andere übertragen", zischte Hakuei.

"Spinner", brummte Kaoru.

"Arschloch."

"Ich hasse dich."

"Das freut mich."

"RUHE!!"

Toshiya massierte seine Stirn mit einer zitternden Hand. Für diese Situation konnte er ausnahmsweise mal wirklich nichts.

"Könnt ihr nicht endlich aufhören euch anzugiften? Wenigstens für eine halbe Stunde?"

"Schön, wenn du darauf bestehst. Solange er nicht wieder anfängt." Hakuei verschränkte die Arme vor der Brust.

"Wer fängt hier an?", sagte Kaoru gehässig, "Und wieso sollte Uruha sich so wahnsinnig erniedrigt fühlen? Ich bin mir sicher, er wurde schon mehr als einmal sitzen gelassen."

"Das ist nicht das Problem, Kaoru", sagte Hakuei kopfschüttelnd.

"Du hast nicht verstanden, wie unglaublich eifersüchtig dieser Kerl auf Totchi ist. Und außerdem", er setzte einen hochnäsigen Blick auf, "außerdem war er doch in mich verliebt. Auch wenn er das niemals zugeben würde."
 

*+*+*+*+*+*+*+*+*
 

"Warte hier, Taku, ich muss nur kurz telefonieren."

Uruha ließ seinen neuen Freund stehen, lief ein paar Schritte weiter und klappte sein Handy auf. Takumi errötete.

"Äh, ok. Natürlich, äh, ich warte hier, ja?"

::Er hat mich Taku genannt!!::

Der junge Japaner trippelte zu der nächstgelegenen Straßenlaterne und lehnte sich dagegen. Sein Herz raste jedes mal wie verrückt wenn er Uruha ansah. So verliebt war er noch nie gewesen. Er quietschte vergnügt und ließ seine Zöpfchen ein wenig wippen. Im silbrigen Licht des fahlen Mondes stand sein Koi und telefonierte. Was für ein Wunder, dass er tatsächlich mit ihm zusammen war. Takumi hätte in dem Augenblick, da Uruha in darum gebeten hatte mit ihm gehen zu dürfen, vor lauter Glück einen Luftsrpung machen können. Aber das musste er sich ja nun verkneifen. Sein Koi mochte es nicht, wenn er überdreht und hysterisch war, also gab sich der Braunhaarige nun redliche Mühe einen eleganten, gesetzten Eindruck zu machen. Warum Uruha darauf bestanden hatte, ihn als seine neue Freundin vorzustellen, konnte Takumi nicht verstehen, aber solange der andere bei ihm blieb war es ihm auch völlig gleich.

"Daishi? Ich bin's, Uruha..."

Der Blonde warf einen Blick auf Takumi, der völlig friedlich und mit beseeltem Lächeln an einer Straßenlaterne lehnte und zum Sternenhimmel blickte.

"Ja, er ist da, aber er kann uns nicht hören... Ich kann dir gar nicht sagen, wie nervig er ist. Aber jedesmal wenn ich ihn anschnauze, grinst er nur dämlich und entschuldigt sich. So ein Idiot..." Er schnaubte in den Hörer. Dann senkte er die Stimme noch ein wenig und sagte: "Ich wollte nur noch mal nachfragen, ob du es dir nicht anders überlegt hast... Ja... Genau... Nein, ich würde nichts überstürzen. Fang ihn doch einfach nach der Schule mal ab... Ja... Gut, so machen wir's. Bai."

Er klappte sein Handy zu und ließ es wieder in die Tasche gleiten. Dann lief er seufzend zu seinem neuen Koi zurück, der ihn mit breitem Lächeln empfing.

"Wen hast du angerufen, Schatz?"

Uruha verzog das Gesicht, was angesichts der Dunkelheit verborgen blieb.

::Schatz??... uääääh...::

"Nicht wichtig. Nur einen Freund."

Er trat ins Licht der Straßenlaterne. Takumi blinzelte ihn von unten herauf an.

"Jemand der dir wichtiger ist, als ich?"

::Worauf du wetten kannst, Giftzwerg::, dachte Uruha, laut sagte er: "Unsinn."

In diesem gelblichen Licht sah der feminine Japaner ziemlich hübsch aus mit seinen großen funkelnden Augen und seinem blassen sanft geschminkten Gesicht. Wieso sollte er nicht auch ein wenig Spaß haben, wenn der andere Junge schon so bereit war?

"Wirst du immer an mich denken?", setzte Takumi sein Sag-Mir-Was-Romantisches-Spielchen fort, doch der andere antwortete nicht, stattdessen griff er mit seinen Händen an die Straßenlaterne über Takumis Kopf und legte seine Lippen auf die seines Koi. Dieser schmolz förmlich in den Kuss, was Uruha mit großer Zufriedenheit zur Kenntnis nahm. Er ließ seinen Kopf tiefer gleiten und begann den weißen Hals mit vielen Küssen zu bedecken. Takumi stand nur da, mit geschlossenen Augen und gerröteten Wangen und ließ alles mit sich geschehen.

::Ich bin gut, was?::, dachte Uruha triumphierend. Er war eben doch besser als Toshiya, dieses Kind hier lag ihm ja direkt zu Füßen.

Und bald würde sein lästiger Bruder sowieso das bekommen was er verdiente, dann war es aus und vorbei mit seiner Schönheit.
 

Die folgende Woche verlief relativ ereignislos. Uruha brachte regelmäßig seine neue "Freundin" mit nach Hause die/der, wie Toshiya mit gewaltigem Erstaunen zur Kenntnis nahm, immer ruhiger wurde. Takumi ließ gegen Freitag sogar das lästige Gequietsche, Wiiiiii-Gerufe und Gehüpfe sein. So konnte man ihn beinahe mit einem normalen ziemlich hübschen Mädchen verwechseln. Ansonsten bekam Toshiya von der neuen Beziehung seines Bruders nicht allzu viel mit.

Ryutaro hatte sich von seinem Trauma einigermaßen erholt, auch wenn er noch von Zeit zu Zeit verstört aus dem Fenster blickte. Kaoru und Hakuei zofften sich am laufenden Band, jedoch war keiner von beiden bereit, seinen Platz aufzugeben und Toshiya mit dem anderen alleine zu lassen, was dem Blauhaarigen einerseits schmeichelte, andereseits aber auch völlig entnervte. Seine eigenen Gefühle hatten sich wieder einigermaßen beruhigt, trotzdem könnte manchmal bei Kaorus Anblick noch heulen. Als er am nächsten Montag aus dem Schulgebäude auf den Pausenhof trat, stellte der Blauhaarige mit Erstaunen fest, dass es nicht mehr ganz so weh tat daran zu denken, dass sein bester Freund ihn niemals lieben würde.

"Endlich aus... ich bin so müde...", gähnte Toshiya und streckte sich.

"Dann komm... ich bring dich ins Bett...", sagte Hakuei und umfing Toshiyas schmale Hüfte mit seinen (seit letzten Mittwoch) tätowierten Armen.

"Und dann zeige ich dir was...", flüsterte er, während er seine Hände tiefer gleiten ließ bis sie gefährlich nahe an Toshiyas Schritt lagen.

"Nein, hör auf, du weißt genau, dass ich das nicht mag!", stotterte der Blauhaarige und befreite sich hektisch aus der Umarmung. Ihm dämmerte langsam, dass das nicht ewig so weiter gehen konnte. Hakuei hoffte immer noch darauf, dass Toshiya eines Tages auf seine Anmache einstieg, was er (selbstverständlich) niemals tun würde.

"Ok ok, schon verstanden."

Der Schwarzhaarige streckte ihm die Zunge raus.

"Ich geh dann mal, wenn du es dir doch noch anders überlegst, kannst du ja nachkommen..."

Er grinste noch einmal sein hämisches Grinsen, warf Toshiya eine Kusshand zu und lief über den Pausenhof in Richtung Straße. Der Blauhaarige blickte ihm mit wachsender Verzweiflung nach, während er sich langsam auf die Stufen vor der Schulpforte sinken ließ. Nein, das musste ein Ende haben. Er hatte Hakuei inzwischen als Freund so liebgewonnen, dass es ihm weh tat, dem anderen permanent falsche Hoffnungen zu machen. Es war einfach nicht richtig und das hatte er von Anfang an gewusst.

::Und wenn ich seine Nähe noch so sehr vermissen werde...::, dachte Toshiya, ::...ich muss Schluss machen. Und zwar so bald wie möglich. Es ist einfach nicht fair von mir ihn so zu behandeln. Ich hätte nie darauf eingehen dürfen.::

Er beobachtete wie sein Koi die Straße entlang davonlief, bis er schließlich um die Ecke bog und von Häusern und Bäumen verdeckt wurde.

::Können wir dann trotzdem noch Freunde sein?::
 

Eine Weile saß er einfach nur so da und sann über seine Leben und seine Gefühle nach, vereinzelt übersahen ihn vorbeiströmende Schüler und fielen über ihn drüber.

"Was sitzt du denn hier so alleine rum, mmh? Ist dein Freund schon heimgegangen?"

Toshiya drehte sich um. Als er Takumi erblickte lächelte er.

"Ja... wenn du Hakuei meinst, er ist gegangen. Ich wollte einfach ein wenig alleine sein. Zuhause ist das nicht möglich."

Takumi setzte sich auf die Stufe neben ihn und richtete seinen Rock so, dass er seine Oberschenkel bedeckte.

"Wieso denn nicht, Toto-chan?", fragte er und riss seine großen Augen in Verwunderung auf, wobei Toshiya nicht wusste ob er es süß, erschreckend oder einfach nur affig finden sollte.

Er zuckte die Achseln.

"Naja... weißt du, es gibt keinen Platz an dem ich ungestört bin, weil schlichtweg kein Platz mehr da ist. Sakito hat letztes Wochenende fünfzehn Tonnen Weihnachtsplätzchen gebacken und unser Haus quillt über. In jedem Zimmer stehen Behälter mit Zimtsternen und Kokosmakronen. Sogar in meinem Bett hat er sie gelagert. Er dachte ich merke es nicht."

Takumi kicherte vergnügt.

"Ja, stimmt, das habe ich mitbekommen..."

Eine Weile sprach keiner von beiden. Toshiya brannten viele Fragen auf der Seele, er wusste nur nicht, wie er sie am besten in Worte fassen sollte.

"Takumi..."

"Hai?" Der andere sah in voller Erwarten an, jedoch ohne mit irgendetwas zu wippen oder zu schaukeln.

"Sag mal... ich äh will dir ja nicht zu nahe treten, aber... mein Bruder... du magst ihn wirklich, oder?"

Takumi hob den Kopf um zwei Vögel zu beobachten, die am Himmel gerade einen dritten zerfleischten, dann wandte er sich wieder zu Toshiya und sagte: "Ich liebe ihn."

"W-wie?"

"Es war Liebe auf den ersten Blick... als unsere Blicke sich trafen", seufzte Takumi, "wusste ich, dass ich ihn immer lieben werde. Uruha ist sooo wunderbar. Er ist so stark und männlich, weißt du... ich habe ihn auf einer Party von Kyos Bruder kennengelernt."

"Und du hast ihn sofort gefragt, ob er äh-"

"Nein", unterbrach ihn der Jüngere.

"Er hat mich gefragt ob ich mit ihm gehen möchte. Du glaubst gar nicht, wie glücklich mich das gemacht hat. Ich war noch nie in meinem Leben sooo verliebt."

Takumi kicherte plötzlich wie verrückt und errötete.

Toshiya bereitete dieser Anblick aus irgendeinem Grund Magenschmerzen. Er konnte kaum glauben, dass dem aufgedrehten Jungen so viel an seinem großen Bruder lag. Und er konnte nicht glauben, dass Uruha es ernst meinte.

"Naja, mein Uru-chan mag es nicht wenn ich viel rede oder laut bin. Oder herumzappele", sagte Takumi plötzlich und errötete wieder, diesmal jedoch, wie Toshiya den Eindruck hatte, vor Scham.

"Deswegen reiße ich mich zusammen. Aber ich glaube es wirkt nicht." Er ließ ein wenig die Schultern hängen.

"Doch, doch", warf Toshiya sofort ein, "total, du hast dich richtig verändert! Du bist so äh normal geworden!"

Und dann: "... ich frage mich... ob ich mich auch so ändern würde... für jemanden, den ich liebe..."

In Gedanken fügte er hinzu: Für Kaoru.

"Ja, das würdest du, glaub mir. Wenn du richtig verliebt bist, tust du alles für denjenigen. Ich bin für Uruha sogar zum Mädchen geworden. Eure Mutter und Uruhas Freunde (bis auf Daishi) glauben zumindest ich sei weiblich..."

Toshiya starrte den anderen Jungen an. Tatsächlich. Wenn er darüber nachdachte... hätte er sich für Kaoru als Mädchen ausgegeben? Toshiya war nicht einmal auf die Idee gekommen herauszufinden auf welche Art von Mensch Kaoru stand, geschweige denn so zu werden. Bedeutete das... dass er nicht richtig verliebt war?

"Ich glaube ich sollte nach Hause gehen, mein kleiner Bruder wartet sicher schon mit dem Essen...", murmelte Toshiya und erhob sich. Zu schnell, wie er einen Augenblick später feststellte. Zwar ging es ihm wieder einigermaßen gut, er hatte sich von seiner Grippe erholt, doch völlig gesund war der Blauhaarige noch immer nicht. Er torkelte drei Schritte zurück, gegen die plötzlichen Schwindelgefühle ankämpfend.

Takumi erhob sich ebenfalls.

"Gut, ich geh auch, ich treff mich nacher noch mit Kyo. Oder äh sagen wir ich suche ihn, er war nämlich schon seit ner Woche nicht mehr in der Schule."
 

Eine Viertelstunde später schloss Toshiya, völlig in Gedanken über Kyo, Kaoru, Hakuei und seine eigenen Gefühle versunken, die Haustür auf. Als er zehn Sekunden später die Küchentür aufstieß begrüßte ihn ein merkwürdiger Anblick. Er sah noch einmal hin. Und noch einmal.

"Was macht ihr da?"

Die Anwesenden drehten sich zu ihm um.

"Ich backe Plätzchen...", sagte Sakito vergnügt.

"...um Himmels Willen nein...", murmelte Toshiya.

"...und ich helfe ihm dabei", schloss Ryutaro mit sanftem Lächeln.

"Gott sei gnädig mit diesem Haus, aber das meinte ich eigentlich nicht."

Mit diesen Worten drehte sich der Blauhaarige zum Kühlschrank.

Darunter war ein Spalt.

Ein ziemlich großer Spalt.

Darin lag Shinya.

Er trug ein Olivenkostüm.

Davor hockte Die.

Er wand sich in einem unbeschreiblichen Lachkrampf.

"What the fuck..."

Toshiya überlegte ob er wirklich so scharf darauf war zu erfahren was das zu bedeuten hatte, oder ob er schlafende Hunde lieber schlafen lassen und einfach so tun sollte also ob er nichts gesehen hätte. Noch bevor er sich für die zweite Möglichkeit entscheiden konnte, sagte Sakito: "Oh, das. Naja, sie kamen vorhin hier rein und..."

Shinya räusperte sich.

"...ääh... Totchi... es - es... ist nicht so wie es aussieht..."

"Ach ja?"

Toshiya war sich jetzt ziemlich sicher, dass er nicht wissen wollte worum es ging.

"Naja, erinnerst du dich noch an die Olive, die mal hier drunter lag? In eurer alten Küche? Die rutschte in diese grauenvoll depressive Phase, weil er sie nicht mehr hervorbekam..."

Der Rotschopf kippte vor Lachen von seinen Füßen, rollte über den Boden und schlug mit einem hohlen Klatschen gegen die Wand. Ohne auf seinen Freund einzugehen nuschelte Shinya mit hochrotem Gesicht weiter.

"Vorhin hatte er auf einmal wieder diesen apathischen Blick drauf... und hat mich angestarrt und gemurmelt, ich solle mein Olivenkostüm anziehen und mich unter diesen Kühlschrank legen, damit er mich dann darunter hervorziehen kann. Er sagte er brauche das jetzt. Ich Idiot habe ihm geglaubt und gedacht er wird rückfällig oder so und hab natürlich sofort getan, was er wollte..."

"...und jetzt steckt er da unten fest und kommt nicht mehr raus!", prustete Die, dessen Gesicht vom Lachen inzwischen so rot angelaufen war wie seine Haare.

"Die, das ist nicht lustig", tadelte Toshiya und versuchte mit aller Kraft das fiese Grinsen zurückzuhalten, das sich auf sein Gesicht schlich.

"Wir müssen Shin da rausholen bevor er austrocknet."

"Du hast Recht, er wird ja ganz fad, wenn er zu lange an der Luft liegenbleibt."

"Ja und dann läuft er so bräunlich an und-"

"Hättet... Ihr... Die... Güte...", begann Shinya sehr langsam und sehr ruhig, "Mich... AU... GEN... BLICK... LICH... Hier... RAUSZHOLEN..."

"Ok", sagte Die bereitwillig, "aber warte noch ne Sekunde."

Er nahm den Anstecker mit der "Ich bin ein Spargel"-Aufschrift von seiner Jacke und heftete ihn an Shinyas Kostüm. Dann betrachtete er seinen Koi mit einem Grinsen.

"Nein Die, das stimmt jetzt überhaupt nicht, weißt du...", murmelte Toshiya und versuchte sein Kichern durch ein trockenes Husten zu verstecken.

"Wollte nur wissen wie's aussieht."

"DAAAAAAAAAIIIIIIIIIIIIIIIII???!!! DAS WIRST DU BÜSSEN!"

Mit der ganzen Kraft die in seinem schmächtigen Körper steckte wand sich der Junge aus dem Olivenkostüm.

"Uh-Oh", machte Die und schob sich schnell eine Handvoll Plätzchen in den Mund. Zu Toshiya gewandt flüsterte er: "Meinst du er ist sauer?"

Der Blauhaarige musterte eine Sekunde lang Shinyas Gesicht, das eine Mischung aus tödlichem Starren, wutverzerrter Grimasse und zornigem Flackern darstellte, ehe er antwortete: "Mh, ja, könnte man meinen..."

"Shin, versteh doch...", begann der Rotschopf mit nervösem Lächeln, doch sein Koi packte ihn mit schraubstockartigem Griff am Arm und schleifte ihn hinter sich her.

"Ich verstehe völlig, Die!"

"Äh, wenn wir uns nicht mehr sehen", rief Die den anderen Jungen in der Küche zu, "wünsche ich euch ein schönes Leben. Und dass ihr nie an so einen humorlosen Menschen wie Shinya geratet!"

Als die Tür zufiel, hörte Toshiya gerade noch wie Shinya schrie: "SO, HUMOR NENNST DU DAS ALSO!!!"

"Puh, der ist sauer", murmelte der Blauhaarige und starrte auf das Olivenkostüm, das noch immer unter dem Kühlschrank klemmte.

"He, Saki, willste mal reinschlüpfen?"

"Ha ha", erwiderte Sakito trocken. "Setz dich lieber."

"Gibt es Essen?"

"Schon dabei. Ryu, wie viele Kiwis haben wir?"

"Keine."

"Hast du sie gezählt?"

"Dreimal."

"Mmh, dann eben Artischocken, der Geschmack ist sowieso der gleiche."

Toshiya rutschte das Herz in die Hose.

"Äh, ist es zu spät zu sagen, dass ich eigentlich gar keinen Hunger habe?"
 

Nach einem sagen wir interessanten Essen lag Toshiya auf seinem Bett und überlegte, was er tun sollte. Nachdem er drei Stunden später zu einem vernünftigen Ergebnis gekommen war, stand er auf, holte sich das schnurlose Telfon und tippte eine Nummer ein.
 

"Hakuei, bist du's? Ja, hier ist Toshiya... äh... könnten wir uns nacher treffen? Ich... muss mit dir reden... Mmh... ja, ok... dann um halb fünf vor der Schule. Bis dann."
 

Der Treffpunkt war gut. Um diese Uhrzeit und bei diesem Wetter würde der Pausenhof sicher völlig ausgestorben sein.

Je näher der Zeitpunkt rückte, desto schwerer wurde Toshiyas Herz, doch sein Beschluss stand fest. Um vier packte er seine Jacke und ging los.

Als er um zwanzig nach vier am Schultor ankam, war Hakuei bereits da. Zusammen überquerten sie den Pausenhof und gingen um das Schulgebäude herum auf den Sportplatz, der dahinter lag.

"Gut, du wolltest mit mir reden? Schieß los", sagte Hakuei und schob die Hände in die Tasche. Toshiya blickte zu Boden. Wie sollte er es nur sagen?

"Ich äh... ich will... möchte gerne..."

"Ja?"

Hakuei musterte ihn mit leichter Verwirrung.

::Sie mich nicht so an::, dachte Toshiya verzweifelt und schluckte schwer. Dann setzte er erneut an.

"Ich... weißt du... du bist so nett zu mir... die letzten zwei Wochen waren echt schön und... ich mag dich wirklich gerne... als Kumpel... verstehst du? Dank dir... hab ich die Sache mit Kaoru überwunden... also wie man's nimmt..."

Er nahm seine ganze Überwindung zusammen und nuschelte: "Es tut mir so leid, aber ich... ich will Schluss machen."

Hakuei starrte ihn an.

"W-wie?"

"Ich kann mich nicht in dich verlieben und es wäre einfach nicht fair von mir, weiterhin so... so mit dir zu spielen, verstehst du?" Toshiya sah den anderen mit gequältem Blick an.

"Bitte... ich... tut mir leid..."

Der Schwarzhaarige öffnete den Mund um etwas zu sagen. Und schloss ihn dann wieder. Als er kein Wort herausbrachte, fügte Toshiya leise hinzu: "Aber bitte lass uns Freunde bleiben... ich will dich nicht verlieren..."

Hakuei blickte starr zu Boden.

"Ahso... verstehe..."

Seinen Freund so zu sehen, bereitete dem Blauhaarigen unbeschreibliche Schmerzen, vor allem, da er sich genau erinnern konnte, wie es sich angefühlt hatte, als sein eigenes Herz in tausend Stücke zersprungen war. Er trat auf ihn zu und nahm ihn in die Arme - zum ersten mal aus eigener Initiative. Doch Hakuei schob ihn sofort von sich.

"Verstehe...", murmelte er wieder. Dann drehte er sich um und ging. Einfach so. Er schlich über den Sportplatz und war verschwunden. Toshiya fiel wo er war auf die Knie und begann herzzerreißend zu schluchzen. Was hatte er getan?
 

Er saß noch lange so da, Gesicht in den Händen, Knie im Schlamm. Es begann zu tröpfeln.

Irgendwann richtete sich der Blauhaarige langsam auf. Inzwischen regnete es so stark, dass man nicht mal mehr die Hand vor Augen sah. Schon jetzt bis auf die Knochen durchweicht, stolperte Toshiya über den Schulhof. Alles in ihm war taub und lahm. Dies war das Ende seiner kurzen, seltsamen Freundschaft mit Hakuei. Natürlich hatte er diese bestimmten Gefühle, die der andere für ihn hegte, nicht erwidert, doch - auch er hatte etwas bei dieser Beziehung empfunden. Hakuei und Kaoru hatten ihn beide beschützt, beide waren mittlerweile unersetzbar für ihn - und beiden hatte er brutal vor den Kopf gestoßen, war es nicht so?

Warum war er nur so unfähig? Unfähig zu Beziehungen jeglicher Art?

Warum?
 

Warum?
 

+~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~+
 

Manchmal müssen bestimmte Dinge geschehen, damit man eine andere Sichtweise des Lebens erlangt. So schrecklich sie auch sein mögen - am Ende stellt man fest, dass, wenn sie nicht geschehen wären, man niemals erkannt hätte, was im Leben wirklich wichtig ist.

Toshiya hatte sich die letzten siebzehn Jahre seines Daseins ununterbrochen fertig machen lassen von Dingen, die er inzwischen wieder vergessen hatte, vielleicht einem blöden Kommentar eines Mitschülers oder seinem eigenen Versagen.

Eigentlich war das alles unbedeutend. Sorgen sind so relativ. Liebe auch.

Genau an diesem Tag... an diesem Tag, da der Blauhaarige kopflos und vom Weinen geschwächt nach Hause taumelte... geschah eine Sache, die seine Sicht der Dinge von Grund auf verändern sollte.

Regenschleier verhüllten die Häuser der Nachbarschaft. Toshiya bog auf seinem Heimweg um die vorletzte Straßenecke. Weiter kam er nicht. Das nächste was er sah war der Umriss eines Mannes, der urplötzlich wie aus dem Boden gewachsen, vor ihm stand. Er bremste abrupt ab, um nicht in den Fremden hineinzurennen. Der Mann machte keine Anstalten beiseite zu treten.

Toshiya blinzelte. Regen rann ihm die Wangen hinunter und tröpfelte auf die Schnallen seines Oberteils. Dieser Mensch kam ihm doch bekannt vor.

"Daishi?"
 

*+*+*+*+*+*+*+*+*
 

Es klingelte.

"Oh verd-", fluchte Sakito.

"Warte mal, Ryu..."

Er knöpfte schnell seine Hose wieder zu und rannte mit nacktem Oberkörper aus seinem Zimmer und die Treppe hinunter. Sein Koi blieb halb angezogen auf dem Bett zurück.

::Das wirst du mir büßen, Totchi::, dachte der Schwarzhaarige grimmig als er die Tür aufzog. Sein großer Bruder hatte eigentlich nur für eine halbe Stunde weggehen wollen, nun war es dreiviertel elf Nachts und er war immer noch nicht da und wäre Sakito nicht so ein netter Junge (und würde es nicht in Strömen regnen), würde er Toshiya einfach draußen stehen lassen. Verdient hätte er es. Jetzt wollte er einmal - genauer gesagt das erste mal - über seinen süßen Koi herfallen, da musste der Ältere natürlich hereinplatzen.

"Weißt du eigentlich wie viel Uhr es-", begann der zierliche Japaner zornig, stockte aber, als er seinen Bruder sah.

Toshiya stand einfach nur da. Er tropfte von oben bis unten.

Sakito brachte kein Wort heraus.

Irgendwas war mit dem Gesicht seines großen Bruders. Dieser Ausdruck.

Toshiya trat in den Flur.

"Tut mir leid, Saki... ich habe mich verspätet... ich mache es wieder gut und erledige morgen den Abwasch." Einfach so. Er sagte das völlig normal. Und dennoch. Seine Augen. Sie waren so... merkwürdig klar. So tief und leer zur gleichen Zeit.

Sakito wusste nicht was er von seinen eigenen Gedanken halten sollte. Also antwortete er nur: "Ne, schon ok, du hast ja auch nicht wirklich gestört. Wieso nimmst du auch keinen Schlüssel mit? Wärst du zehn Minuten später gekommen, hätte ich dir sicher nicht mehr geöffnet." Er versuchte ein Lachen, verstummte dann aber, als er wieder in diese Augen sah.

"Ist was gewesen?", fragte er zunehmend verwirrt. Toshiya deutete ein Kopfschütteln an.

"Nö, was soll gewesen sein? Ich geh ins Bad, duschen. Bin durchweicht bis auf die Knochen."

Mit diesen Worten lief der Blauhaarige langsam die Treppe hinauf und verschwand in der ersten Tür links. Sakito blickte ihm nach. Ihm war noch nie zuvor aufgefallen, wie schön sein Bruder eigentlich war. Gut, die Frisur, die Klamotten, das (vom Regen zerlaufene) Make-up - das alles stand ihm hervorragend, doch eben hatte der Jüngere zum ersten mal bemerkt, wie brutal hübsch Toshiya in Wirklichkeit war.

Er wunderte sich kurz über diese tiefsinnigen Gedankengänge.

"Mann, wieso kann ich nicht ein einziges mal einfach nur an Sex denken?", seufzte er kopfschüttelnd und ging zurück in sein Zimmer. Als er in die Arme seines Geliebten sank beschloss er, die ganze Sache mit Toshiya erst einmal beiseite zu schieben, sicher hatte er sich alles nur eingebildet.

"War es Toshiya?", flüsterte Ryutaro und zog Sakito enger an sich.

"Hai...", murmelte der andere. Dann küsste er seinen Koi sanft.

"Ich liebe dich..."

Er zuckte zusammen, als Ryutaros schmale, kühle Hände in seine Hose schlüpften.

Der Regen klatschte gegen die Fensterscheiben.
 

Toshiya stieg aus der Dusche, rieb sich mit einem großen weißen Handtuch trocken und schlang es sich anschließend um die Hüfte. Dann trat er vor den Spiegel und musterte sich.
 

"Du hast so wunderschöne Haare... ich könnte meine Hand immer und immer wieder hineinwühlen..."
 

Er fasste mit der linken Hand in seine tiefblaue Mähne. Der Ansatz war bereits ein Stück herausgewachsen.
 

"Sie sind so weich und glatt... ich liebe deine Haare... sie machen dich so schön..."
 

Toshiya packte einen Büschel Strähnen und zog daran. Noch ein wenig fester. Und noch ein wenig. Dann ließ er die Hand sinken und starrte auf sein Ebenbild im Spiegel, dem Tränen über die Wangen rannen. Er wühlte seine Hände in den blauen Haarschopf und flüsterte mit bebender Stimme: "Ich will aber nicht, dass du meine Haare anfasst... nie wieder... ich will nicht..."

Toshiya öffnete die mittlere Schublade des Badschranks und holte mit fahrigen Händen eine kleine, silberne Schere hervor. Dann ergriff er wieder ein Büschel seiner Haare und schnitt es ab. Und noch eins. Blaue Strähnen rieselten wie Schneeflocken in das Waschbecken.

"Fass mich nicht an! Nimm deine Hände von mir, fass mich nie wieder an..."
 

Als Toshiya am nächsten Morgen die Küche betrat, fiel seine Mutter fröhlich in Ohnmacht. Sakito ließ die Schüssel, die er in den Händen hielt unvermittelt fallen und eh man's versah war die fiese Säure darin ausgelaufen und hatte angefangen einen Tunnel durch den Boden zu fressen. Ryutaro war als einziger imstande einen vernünftigen Satz zu formulieren.

"Was hast du mit deinen Haaren gemacht, Totchi?", flüsterte er maßlos erstaunt.

Toshiya zuckte die Achseln.

"Weißnich... hatte keine Lust mehr auf blau..."

Seine Mutter, gerade noch rechtzeitig zur Besinnung gekommen um die letzten Worte ihres Zöglings mitzubekommen, baute sich vor ihm auf.

"HAST DU SIE NICHT MEHR ALLE?! ICH DACHTE ICH HÄTTE DIR IM KINDERGARTEN BEIGEBRACHT DIE FINGER VON DEINEN HAAREN ZU LASSEN, VERDAMMTE #%&$§ NOCH MAL!!!!"

Sie schnaubte wütend.

"JETZT ERLAUBE ICH DIR DIESE KNALLBUNTE SAUTEURE $§&%## FRISUR UND DU HAST NICHTS BESSERES ZU TUN ALS SIE DIR ABZUSCHNEIDEN SOBALD DU KEINEN BOCK MEHR HAST!!!"

"Mama, ruhig...", sagte Sakito und legte seiner Mutter besänftigend einen Arm auf die Schulter. Sayumi schloss kurz die Augen und atmete tief ein und aus. Dann wurden ihre Gesichtszüge mit einem mal weicher, sie seufzte und fügte kopfschüttelnd hinzu: "... aber du musst selbst wissen, was für dich richtig ist, du bist alt genug. Auch wenn es nicht besonders vernünftig war, es steht dir auch jetzt noch sehr gut mein Schatz."

Die perfekte Mutter lächelte gütig und drückte ihrem mittleren Sohn einen Kuss auf die Stirn.

"Ich muss jetzt in die Arbeit, macht es gut, ihr drei!"

Nach einem letzten Winken waren Ryutaro, Sakito, Toshiya (und Yoda, der in einer Ecke stand und mit einer Karotte kämpfte/eine Karotte schnitt) alleine in der Küche.

Eine Weile sprach niemand.

"Ich geh dann auch, denke ich. Brotzeit nehm ich mit und esse auf dem Weg", sagte Toshiya schließlich, nahm das Pausenbrot entgegen, das sein kleiner Bruder ihm hinhielt und ging ebenfalls.

"Hast du seine Augen gesehen?", stotterte Ryutaro, als der (jetzt) Schwarzhaarige verschwunden war. Sakito starrte seinen Koi an.

"Dann hab ich mir das doch nicht eingebildet!", rief er erstaunt aus.

"Als Totchi gestern vor der Tür stand war er so komisch... nicht direkt verändert und doch anders...", sagte er und setzte sich an den Tisch. "Ich hatte also doch Recht! "

Ryutaro dachte einen Augenblick nach, dann nickte er.

"Ja, etwas ist definitiv anders. Hast du gesehen wie er sich bewegt? So behutsam und vorsichtig... die Atmosphäre die ihn umgibt... deswegen wirkt er... zerbrechlich wie eine Puppe... das war vorher nicht so... es verleiht ihm eine... geradezu unnatürliche Schönheit."

"Echt, Ryu, nur du kannst solche Sachen labern. Du bist ein richtiger Psychologe." Sakito grinste, wurde aber gleich wieder ernst.

"Aber es stimmt... man muss ihn nur fünf Minuten beobachten, um zu merken, dass er sich total anders verhält... wie ein anderer Mensch. Und wieso um alles in der Welt schneidet er sich die Haare ab? Das ganze Blau ist weg..."

"Naja", sagte Ryutaro leise, "vielleicht konnte er sie einfach nicht mehr sehen?"
 

Toshiya atmete tief ein und aus. Der kalte Morgenwind roch nach Regen. Er fuhr durch seine kurzen Haare und streichelte seine Wangen mit eisiger Hand.

Seine Wangen.

Toshiya blieb plötzlich stehen, als Dinge in seiner Erinnerung wieder auflebten.

Flüssigkeit, die ihm ins Gesicht spritzt. Und dann diese Hände. Überall, wie widerliche schwarze Spinnen.

Der junge Japaner zwang sich weiterzugehen. Er kaute und schluckte. Seine Wangen glühten vor Scham und Wut bei dem Gedanken an die Erniedrigung, die er über sich hatte ergehen lassen müssen.

::Ich hätte nie gedacht, dass ich mich je im Leben in einer Situation so schmutzig und wertlos fühlen würde...::, dachte er. Und dann:

::Kyos Blick... dieser tiefe durchdringende und gleichzeitig undruchdringbare Blick... jetzt verstehe ich ihn. Jetzt verstehe ich was er bedeutet!::

Natürlich. Der Grund weshalb Toshiya nicht hatte begreifen können wie egal es Kyo war was andere von ihm dachten und was es war, das in seinen Augen lag - der Grund war, dass er selbst keine Ahnung gehabt hatte. Keine Ahnung von gar nichts.

Jetzt allerdings...

Toshiya drängte Daishis Gesicht, das in seinen Gedanken auftauchte wie die hässliche Fratze eines Dämons mit aller Gewalt zurück. Er wollte jetzt nicht daran denken, an diese Hände, diese Lippen, diese Zunge, an diesen Körper. Was bisher auch unglaublich gut funktionierte. Innerlich fühlte er sich völlig leer.

Der Dunkelhaarige betrat den wie immer überfüllten Schulhof.

Erstaunlich.

Als Hakuei ihn geküsst hatte war es ihm zwar unangenehm gewesen, aber das hatte eher mit seinem schlechten Gewissen zusammengehangen. Nie jedoch hatte er sich vor dem anderen geekelt oder ihn sogar gefürchtet.

Er erblickte Dies Haarschopf in der Schülermasse und steuerte auf ihn zu. Das Laub der Bäume knirschte unter seinen Füßen, als sich der Junge durch die Menge schob.

Wie merkwürdig... gestern um dieselbe Uhrzeit hatte er noch keine Ahnung gehabt, zu was Menschen imstande waren, welche Schmerzen sie zufügen und erleiden konnten.

Aber vielleicht hatte es sogar etwas Gutes. Toshiya lächelte bitter. Er wusste nun, dass er Kaoru nicht richtig geliebt hatte. Seine Gefühle für ihn waren im Angesicht des Schmerzes und der Erniedrigung die er ertragen hatte einfach verblasst.

An ihre Stelle war diese unbeschreibliche unendliche Leere gerückt, die sein ganzes Herz erfüllt. Er empfand nichts mehr.

Toshiya trat zu seinen Freunden. Ihm fiel sofort auf, dass Hakuei fehlte, der sich in den letzten zwei Wochen ein wenig mit Shinya und Die angefreundet hatte. Komischerweise war es ihm gerade völlig egal, ob und wie sehr er Hakuei verletzt hatte. Alles war ihm egal. Allerdings dämmerte ihm, dass dieser Zustand der inneren Betäubung nur vorrübergehend sein würde. Was danach kam, wollte er sich lieber nicht ausmalen.

"Hi Leute", murmelte Toshiya verlegen und gesellte sich zu den anderen.

Shinya, Die und Kaoru blickten auf ihren Freund.

Ihr begrüßendes Lächeln verblasste.
 

*+*+*+*+*+*+*+*+*
 

So, das war der neunte Teil... ich hoffe jeder hat gecheckt, was passiert ist und dieses Kapi war nicht so langweilig wie das letzte ^.^"

Natürlich werde ich im nächsten chapter genauer beschreiben, was zwischen Toshiya und Daishi vorgefallen ist, vorausgesetzt ihr möchtet das überhaupt wissen (*g* also vorausgesetzt ihr habt Lust euere perversen Fantasien auszuleben; ob es allerdings lemon wird weiß ich noch nicht, ich werde wohl versuchen das so geschickt wie möglich zu umgehen)...

Kommis pleeze? Gebt mir Anregungen!

10

Walking proud
 

Autor: Clea

Kommentar: Wow, ihr habt mir verdammt viele Kommentare zum letzten Teil geschrieben, vielen Dank!! Ich habe mich wirklich über jeden einzelnen riesig gefreut!!

Ich glaube, das mit dem Lemon-Teil lasse ich lieber, wüsste auch gar nicht, wo ich in nächster Zeit einen einbauen könnte. (Jah, zwischen Kaoru und Hakuei, gebt zu, ihr wartet doch in Wahrheit alle darauf; oder habe nur ich so eine perverse Fantasie O.^?)

Und tatsächlich: MYV ist im ganzen letzten Kapitel nicht aufgetaucht O.O Ups, muss ich irgendwie vergessen haben ^^"...

Danke noch einmal für euere Anregungen und Kommentare *alle knuddel*. Und:

Sorry, dass dieses Kapitel so lange auf sich hat warten lassen, ich hoffe ihr mögt es.
 

Teil 10
 

Sie starben eines grausamen, elenden Todes und wurden in dunklen, kühlen Gräbern auf einem Friedhof in der Nähe einer Kleintierhandlung bestattet.
 

(Diese Lösung würde der im Augenblick extrem labilen und resignierten Autorin hervorragend in den Kram passen; blöderweise haben gleich zwei der Hauptpersonen eine fiese Tierhaarallergie, daher sieht sie vorläufig von dieser absolut unhumanen Idee ab.)
 

In Wahrheit war es nur Toshiyas entfernte Verwandte dritten Grades, die im nordöstlichen Teil einer kleinen unbedeutenden Insel namens Anschie (Namensgleichheit mit der deutschen Bundeskanzlerin völliger Zufall) eines kleinen unbedeutenden Todes starb und wenig später in einer ebenso düsteren wie peinlichen Zeremonie unter oben genannten Bedingungen beigesetzt wurde. Ihr unglückseliger Neffe dritten Grades, völlig unbewusst der Tatsache, dass er soeben seine geliebte (und ihm unbekannte) Groß-groß-großtante auf einer abgelegenen Pazifikinsel verloren hatte, war um dreiviertel acht Uhr morgens auf dem Pausenhof einer mittelgroßen deutschen Schule vor seine Freunde getreten und hatte sie mit müde-resignierter Geste begrüßt. Den anderen schien es augenblicklich die Sprache verschlagen zu haben und es ist absolut erstaunlich, was manche Menschen tun, wenn ihnen das passiert. Die gab krächzende, gurgelnde Laute von sich (er hatte überrascht sein Essen hinuntergeschluckt und dabei aus Versehen einen halben Fasan in die Luftröhre bekommen), Kaoru begann sinnlos vor sich hinzubrabbeln und Shinya machte ein Gesicht, als hätte man ihm eben mitgeteilt, dass er von Die schwanger sei.

Toshiya hob die Augenbrauen.

"Was ist?"

Die hörte auf zu würgen, Kaoru hörte auf zu brabbeln und Shinya war klar geworden, dass Männer keinen Uterus besitzen. Sie starrten den vierten Jungen an. Shinya sprach zuerst.

"Toshiya, was... ist mit deinen Haaren?"

"Du siehst aus wie ein geschorener Pudel", kicherte Die, woraufhin ihm Kaoru und Shinya gleichzeitig und ohne Worte ein großes Stück Fasan mit Knochen in den Mund stopften. Toshiya zwirbelte verlegen eine kurze schwarze Strähne über seinem linken Ohr. Die begann krächzend zu husten.

"Naja, ich... weiß nicht... es überkam mich so..."

"...H-hast du das öfters? Dass dich... etwas überkommt?", fragte Shinya und wich vorsorglich einen Schritt zurück (Die war im Hintergrund würgend zu Boden gegangen). Toshiya lachte unsicher und antwortete: "Nein, keine Angst... ich werde nicht gewalttätig oder so... ähm... ich... hatte meine Frisur nur satt, verstehst du?"

Er musterte kurz seinen schlanken, braunhaarigen Freund, dem angesichts dieser neuen Frisur die Tränen in den Augen standen.

"Anscheinend nicht", murmelte Toshiya, so leise, dass Shinya es nicht hören konnte.

"Oh, Totchi, es sah doch so schön aus!! Warum hast du das getan?! Sie sind... verdammt kurz!!" Mit diesen Worten fiel ihm Shinya völlig aufgelöst um den Hals. Die beiden wurden grob zur Seite gestoßen. Hinter ihnen hatte sich ein Tumult gebildet: Dutzende von Schülern umringten einen rothaarigen Jungen, der ganz offensichtlich an einem Knochen würgte und nun von den Schulsanitätern weggetragen wurde.

"Was ist, Shin?", flüsterte Toshiya plötzlich mit alarmiertem Gesichtsausdruck. Shinya schluchzte verzweifelt an seine Schulter.

"S-sorry, i-ich - es ist-Die! Er... er..."

Der schmale Japaner ließ von Toshiya ab und wischte sich über das feuchte Gesicht.

"Was?", wiederholte Toshiya und fasste seinen Freund an den Oberarmen. Dieser blickte zu Boden. Seine Tränen tröpfelten auf den Asphalt und vermischten sich mit Regenwasser und Schlamm.

"Ich liebe ihn wirklich und wir sind zusammen, aber -- er behandelt mich noch immer wie er will--- sein dämliches Essen ist ihm wichtiger als alles andere--soll er doch dran verrecken", schloss Shinya leise, hob den Kopf und blickte trotzig in Richtung Schulpforte durch die Die gerade getragen wurde. Er war bereits bläulich angelaufen.

"Shin!", murmelte Toshiya erschrocken. Der andere brachte nur ein mattes Lächeln zustande.

"Es wird nichts zwischen uns, Toshiya... und ich wusste es sofort. Wir... haben miteinander geschlafen, trotzdem..." Toshiya errötete leicht, während er krampfhaft versuchte die schmutzigen Bilder aus seinem Kopf zu verbannen, die urplötzlich vor seinem geistigen Auge auftauchten und mit vulgären Verrenkungen hin-und hertanzten: Die und Shinya auf dem Boden von Dies Zimmer, Shinya in Schulmädchenuniform und Handschellen, Die mit--

"Ich trug ein Olivenkostüm, weißt du..."

"Oh", kommentierte Toshiya und wünschte sein Freund würde nicht jedes Geheimnis lüften.

"Und wir hatten... naja... Sex. Danach... war alles wie vorher. Ein Weile war er noch richtig zärtlich und... hat mich gehalten, an sich gezogen...", nuschelte Shinya und errötete sanft bei der Vorstellung.

"Aber jetzt ist es so, als hätte er mir diese Worte nie gesagt. Ich will geachtet werden, verstehst du?! Geachtet!!"

Toshiya sah seinen Freund an, der ihm mit verzerrtem Gesicht gegenüberstand und gegen erneute Tränen ankämpfte. Wieder tauchten Bilder in seinem Kopf auf, doch weder Die, noch Shinya, noch Oliven kamen darin vor. Sie waren düster und von Regenschlieren und schrecklicher Angst durchzogen. Seine Knie begannen zu zittern.

"Ja", antwortete er tonlos. "Das verstehe ich. Respekt ist... nicht selbstverständlich."

"Toshiya?"

Der Braunhaarige fasste seinen Freund erstaunt ins Auge.

"Mmh?", machte Toshiya. "Was?"

Shinya verengte die Augen. Dann bewegte er sich plötzlich mit schleichenden Schritten auf ihn zu.

"Wieso ist mir das... nicht aufgefallen...", nuschelte er vor sich hin.

"Was?" Toshiya sah nun wirklich verwirrt aus. Shinya kniff die Augen noch enger zusammen.

"Dass du so anders bist. Los, sag schon. Irgendwas ist doch passiert. Du redest völlig anders. Du bewegst dich sogar anders als sonst. Du bist nicht Toshiya", flüsterte er und fixierte ihn.

"N-natürlich bin ich's, Shin", brabbelte der Schwarzhaarige ertappt und versuchte mehr schlecht als recht ein überzeugendes Lächeln auf seine Lippen zu schubsen.

Shinya schüttelte den Kopf.

"Das meinte ich nicht. Du verhälst dich so--... was ist los?"

Er war ihm inzwischen so nahe gekommen, dass Toshiya seinen heißen Atem am Hals spüren konnte (ja, am Hals; Größenunterschied ^.^). Der Dunkelhaarige wich abrupt zurück. Heißer Atem auf nackter Haut. Ein Gefühl, dass bei ihm Brechreiz auslöste.

"Ich weiß nicht, was ihr in letzter Zeit alle habt, aber könnt ihr nicht mal eure Wahnvorstellungen für euch behalten?!", sagte Toshiya aufgebracht und krallte seine Finger in den Pulloverstoff vor seiner Brust, als hätte er Schmerzen.

"T-tut mir leid, ich-", stammelte Shinya erschrocken, doch sein Freund unterbrach ihn.

"Kümmer dich lieber um Die. Oder diesen Fasanknochen. Einer von beiden bleibt dir sicher."

Mit diesen Worten drehte er sich um, entfernte sich schnell in Richtung Schulgebäude und ließ Shinya und (einen noch immer völlig erstarrten) Kaoru auf dem Pausenhof zurück. Als er die großen Türen passierte begann er zu weinen. Hastig steuerte er das nächste Klo an. Er wusste genau, wie hart und verletzend seine Worte gegen Shinya gewesen waren und dass er Mitgefühl hätte zeigen müssen. Da vertraute sich der Braunhaarige ihm an und bat ihn indirekt um Hilfe und Beistand und er wies ihn so grob von sich. Eigentlich hatte er das nicht gewollt, doch Shinyas Nähe, sein Atem an Toshiyas Hals, hatte wie ein Schlüsselreiz gewirkt, der eine Kette von Gefühlen und Erinnerungen in dem Schwarzhaarigen ausgelöst hatte, die sich um seinen Hals legte, enger und enger schnürte, bis sie ihn schließlich zu erwürgen drohte.

Toshiya stützte sich auf das mattweiße Waschbecken. Die Toilettentür klappte leise hinter ihm zu. Er war alleine.
 

"Wieder alles in Ordnung? Du bist ja vorhin ganz schön ausgetickt..."

Kaoru stieß einen leisen Pfiff aus und ließ sich in seinem Stuhl nieder. Toshiya legte seine Tasche umsichtig neben sein Pult und begann die Bücher für die erste Stunde auf die Tischplatte zu stapeln. Kaoru beobachtete ihn schweigend.

"Willst du mir nicht antworten?", unterbrach er ihn nach einer Weile. "Ich meine, ich verstehe ja, wenn du mich nun hasst, aber... ich-"

"Ich hasse dich nicht, Kao", stellte Toshiya ohne aufzublicken klar. Irgendwas sagte dem Violetthaarigen an dieser Stelle, dass er zu viel verlangte, wenn er damit rechnete, dass sein bester Freund sich ihm gegenüber wieder völlig normal verhalten würde, immerhin hatte er ihm am Wochenende seine Liebe gestanden. Und als wenn das nicht schon schlimm genug wäre hatte Kaoru sie auch noch zurückgewiesen. Ihm wurde noch immer flau im Magen, wenn er daran dachte. Also seufzte er nur einmal deprimiert auf und grub dann den eigenen Bücherberg aus seiner Schultasche aus.

"Interessante neue Frisur", ertönte plötzlich eine leise Stimme von rechts und ein grauer Rucksack landete auf dem Pult neben Toshiya. Der Dunkelhaarige blickte auf. Hakuei erwiderte seinen Blick mit unbeweglicher Miene.

"Oh. Morgen, Hakuei", nuschelte Kaoru, der sich in seiner Haut nun sichtlich unwohl fühlte. Dieses verdammte Wochenende, Hakueis Worte, Toshiyas Geständnis... wieso konnte es nicht einfach verschwinden? Toshiya sagte gar nichts, hegte innerlich den gleichen Wunsch wie Kaoru, allerdings aus völlig anderem Grund. Vielleicht, wenn er nicht mit Hakuei Schluss gemacht hätte, wenn er am Sonntag nicht zur Schule gekommen wäre - vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Vielleicht hätte er dann auch Daishi (in vollem Drogenrausch und absolut unberechenbar) nicht angetroffen.

"Du bist blass", sagte Hakuei, noch immer ohne Lächeln, und widmete seine Aufmerksamkeit dem Stundenplan, den er aus seiner Tasche hervorgeholt hatte.

Toshiya schüttelte diese Bemerkung mit einem Achselzucken ab.

"Wie... geht es dir?", sagte er schließlich leise und wühlte noch tiefer in seinem Rucksack, damit die anderen sein Gesicht nicht sehen konnten. Wie auch immer _sein_ Sonntagabend verlaufen war, er hatte nicht vergessen, was er Hakuei angetan hatte.

Dieser warf seinem Ex-Freund einen Seitenblick zu ehe er antwortete.

"Ganz gut." Es klang sehr halbherzig.

Toshiya biss sich auf die Lippe.

"Aha", antwortete er tonlos und fuhr fort Bücher auf seinen Tisch zu laden.

"Wir haben heute kein Englisch, das kannst du wieder einpacken", meldete sich Kaoru auf einmal zu Wort. "Und Hindi haben wir -gar- nicht", fügte er mit einem Blick auf das letzte Buch, dass Toshiya hervorgezogen hatte, hinzu.

"Der Neurotische Guru - Hindi für Anfänger. Wo zum Teufel hast du das her?"

"Oh. Ich muss versehentlich eines von Sakitos Büchern eingepackt haben", murmelte Toshiya zerstreut und schichtete gleich noch Band zwei und drei oben drauf (Der Neurotische Guru - Hindi für Fortgeschrittene, Die Neurotische Topfpflanze - Hindi für Blumenliebhaber).

In diesem Augenblick stürmte ein Mann mittleren Alters herein, graumeliertes Haar, dunkelbraune Brille, scheußliche Hahnentrittmuster-Krawatte, und blieb mit strahlendem Lächeln vor der Klasse stehen.

"Sie sind zu früh. Die Stunde beginnt erst in zehn Minuten", meldete sich eine Mädchenstimme aus der letzten Reihe zu Wort, doch ihr Lehrer winkte mit schallendem Gelächter ab, für das man andere schon in Gummizellen gesteckt hatte.

"Das ist doch völlig gleich, Miyavi! Zum Deutschunterricht muss man immer und überall bereit sein, lassen Sie sich das gesagt sein!"

Er schleuderte seine Tasche auf das Lehrerpult, das unter dem Gewicht beinahe zusammenkrachte.

"Oh-oh", murmelte Kaoru. Toshiya und Hakuei ließen sich in ihre Stühle sinken und vermieden es einander anzusehen. Als der Lehrer einen großen Stapel Papier aus seinem Koffer zu Tage förderte, rutschte die ganze Klasse unvermittelt ein Stück tiefer hinter ihre Pulte und Toshiya fragte sich ob der Tag eigentlich noch schlimmer werden konnte.

"Nun, heute werden wir uns mit etwas beschäftigen, das man im entfernteren als Studien zu unserem letzten Gedicht bezeichnen kann. Da dieses poetische Meisterwerk sich mit den Abgründen der menschlichen Seele befasst, möchte ich, dass Sie alle in dieser Unterrichtsstunde die Tiefen ihrer eigenen Seele erforschen. Das Material dazu habe ich mitgebracht." Er hob den Stapel Blätter über seinen Kopf. Dann klatschte er ihn einem Mädchen aus der ersten Reihe unter die Nase und blickte mit gespanntem Grinsen umher. Eine Minute später starrten Kaoru, Hakuei und Toshiya auf ihr Arbeitsmaterial.

"Malen nach Zahlen?", flüsterte Kaoru zweifelnd und starrte auf das Papier, das mit kleinen schwarzen Ziffern übersät war.

"Unsinn, Kaoru", entgegneter ihr Lehrer, geradezu entsetzt über ein derartiges Maß an Unverständnis.

"Das ist fächerübergreifender Unterricht. Ich möchte, dass Sie..."

Und er begann mit dem Erklären eines komplizierten mathematischen Verfahrens an dessen Ende ein genaues Profil der Psyche jedes einzelnen Schülers stehen sollte. Toshiya blickte verzweifelt zur Decke. Sein Deutschlehrer startete immer genau dann solche Aktionen, wenn er mal wieder vegessen hatte Stoff für die Stunde vorzubereiten und nicht wollte, dass seine Schüler davon Wind bekamen.

<< Ich sterbe...>>, dachte er frustriert und begann alle Felder auf seinem Blatt, die eine 9 enthielten, mit gelber Farbe auszumalen.
 

"Es war ja doch Malen nach Zahlen. Dieser Typ wollte nur nicht zugeben, dass er vergessen hat, den Unterricht vorzubereiten", erklärte Kaoru abfällig und hob sein Papier ins Licht, das nun von einem ziemlich schlampig ausgemalten Affen geziert wurde.

"Was war deins, Totchi?"

"Ein Regenschirm", antwortete dieser, zerknüllte sein Blatt und zielte auf den Papierkorb.

"Ich fühle mich wie im Kindergarten", klinkte sich Hakuei in das Gespräch ein, der eben seine Buntstifte wieder im Rucksack verstaute.

Die beiden anderen schwiegen verlegen, keiner wusste, was man sagen konnte, ohne, dass es künstlich und geheuchelt sorglos klang. Als sie fünf Minuten später alleine im Klassenzimmer waren und sich das Schweigen in unerträgliche Länge ausgedehnt hatte, ergriff Toshiya das Wort.

"Ich... ich gehe... dann auch..." Er erhob sich, lief langsam auf die Tür zu und verschwand auf dem Flur ohne auf Antwort der anderen zu warten. Seine beiden Freunde blieben mutterseelenallein zurück.

"War wohl nicht so gut, dass ich auf dich losgegangen bin und so fest zugehaun habe... ähm... sorry...", murmelte Kaoru nach einer Weile verlegen. Hakuei zuckte nur die Achseln.

"Quatsch, das habe ich von nem aufgeblasenen Typ wie dir nicht anders erwartet. Mach dir keine Gedanken, dein Schlag ist so lasch, ich habe fast nichts gespürt..."

Kaoru lachte säuerlich.

"Tatsächlich? Liegt vielleicht daran, dass ich mich zurückgehalten habe. Ich wollte deine zarte Haut nicht verletzten. Am Ende hätte ich dein Make-up verschmiert."

Hakuei warf dem Klassensprecher einen giftigen Blick zu.

"Tu dir keinen Zwang an Idiot."

Er stand auf, schnappte sich seinen Geldbeutel und durchquerte den Raum. An der Tür blieb er stehen und drehte sich zu noch einmal zu Kaoru um.

"Toshiya hat am Sonntag mit mir Schluss gemacht. Da hatte er noch lange Haare."

Dann ging er auf den Flur und knallte die Tür hinter sich zu.

Zurück blieb Kaoru, der versuchte, Hakueis Kommentar so zu deuten, dass es Sinn ergab.
 

"Schmeißt du dein Pausenbrot immer weg?", fragte Kyo gelangweilt und angelte nach den Zigaretten in seiner Schultasche.

Toshiya hob erschrocken den Kopf und zog seine Hand aus dem Abfalleimer zurück.

"Tauchst du immer urplötzlich hinter anderen Leuten auf? Und nein, es ist nur... ich habe keinen Hunger... und mein Bruder hat das gemacht."

Kyo bedeutete mit einem lässigen Kopfnicken, dass er verstanden hatte, dass Toshiya nicht sterben wollte und zündete sich eine Zigarette an. Der Schwarzhaarige verkniff es sich ihn darauf hinzuweisen, dass Rauchen im Schulgebäude strengstens untersagt war, stattdessen warf er einen prüfenden Blick in den Spiegel, nur um festzustellen, dass er genauso gesund aussah, wie ein Schwein mit drei Gehirnhälften.

"Weißt du, dass du aussiehst, wie ein Schwein mit drei Gehirnhälften? Im Magen?", sagte Kyo und hob eine Augenbraue. Toshiya schenkte ihm ein müdes Lächeln.

"Ich sehe furchtbar aus, stimmt's?"

"Wie eingegraben und wieder ausgegraben", bestätigte Kyo und bließ weiß-grauen Rauch in die Luft, den man, vermengt mit dem ätzenden Putzmittelgeruch des Klos, für den Duft von Sakitos chinesischem Hähnchen süß-sauer auf Reis hätte halten können.

"Wieso warst du letzte Woche nicht in der Schule?", wollte Toshiya wissen, der sich plötzlich an Takumis Worte erinnerte. Außerdem hatte er beschlossen das Thema schnell zu wechseln, denn er hatte das Gefühl, dass Kyo es genoss ihm zu sagen, wie übel er aussah.

Kyo tippte ein wenig Asche von seiner Zigarette auf den blank polierten Toilettenboden. Dann blies er erneut sehr langsam eine dichte Qualmwolke in die Luft.

"Das geht dich nichts an."

Toshiya rieb seine Wangen, um sie dazu zu bringen, ein wenig Farbe anzunehmen.

"Aha. Dachte ich mir."

Innerlich überschlugen sich seine Gedanken. Kyo war menschenfeindlich, misstrauisch, wortkarg und kümmerte sich null um das Befinden anderer. Und diese katzenhaften Augen: Sie waren so tief, dennoch konnte Toshiya beim besten Willen nicht sagen, was das für ein Blick war, der in ihnen lag und was er bedeutete. Nach dem, was ihm selbst letzten Sonntag zugestoßen war, glaubte der Schwarzhaarige allerdings eine leise Ahnung bekommen zu haben warum Kyo sich so verhielt. Was, wenn ihm das Gleiche passiert war? Wenn dieser leere Blick des zierlichen Jungen von einer gewaltsamen Misshandlung herrührte? Hasste Kyo Menschen, weil sie ihm etwas Schreckliches angetan hatten? Natürlich könnte es auch völliger Unsinn sein (sehr wahrscheinlich sogar), Toshiya lag total daneben und es gab einfach keinen Grund für das Verhalten des kleinen dunkelhaarigen Japaners. Dennoch... einen Versuch war es Wert... so unsinnig der Gedanke auch war...wenn er einfach mal fragen würde... vielleicht bekäme er dann sogar eine Antwort. Jetzt, da diese Idee in seinem Kopf aufgetaucht war, war er so neugierig geworden, dass er beinahe platzte.

<<Mehr als töten kann er mich nicht>>, dachte Toshiya tapfer, hob seinen Blick aus den Tiefen des weißen Waschbeckens und schielte zu Kyo hinüber. Der nahm gerade einen letzten Zug von seiner Zigarette und schnippte dann den Stummel quer durch den Raum in eine der Kloschüsseln. Er öffnete die Türe und wollte gerade ohne ein Wort des Abschieds verschwinden, als Toshiya auf einmal sagte: "Du wurdest vergewaltigt, stimmt's?"

Er presste die Augen zusammen und wartete ängstlich auf Reaktion. Jetzt, nachdem er es ausgesprochen hatte, klang es unsinniger denn je. Was für eine Schnapsidee.

Kyo blieb stehen. Langsam drehte er sich zu Toshiya um, der über dem Waschbecken hing und ihn ansah. Er starrte mit aufgerissenen Augen zurück und wenn Toshiya sich nicht irrte, war der andere tatsächlich erschrocken über diese Bemerkung. Es war erstaunlich mitanzusehen, wie Kyos Gelassenheit Löcher bekam. Er schloss die Tür und trat wieder zurück in den Raum.

"Was weißt du?", zischte er und sein Gesicht verzerrte sich vor Wut.

Toshiya erwiderte den Blick ungerührt. Er hatte keine Angst vor Kyo.
 

"Shin, da bist du ja! Wo warst du, verdammt?! Ich wäre fast gestorben!!"

Shinya blickte von seinem Französischheft auf.

"Das freut mich."

Dann zog er ein Wörterbuch zu Rate, während er leise vor sich hinmurmelte "la badèche... la badèche...". Er flippte die Seiten des Buchstaben B durch, fand das gesuchte Wort und übertrug es in sein Heft.

Die starrte seinen Freund und Koi eine Sekunde lang fassungslos an, dann schlug er mit der Faust auf den Tisch, sodass eine Handvoll Vokabelkarten auf den Boden segelte. Shinya warf ihm einen eisigen Blick zu, antwortete: "Pluster dich nicht so auf." Und dann: "Zackenbarsch... la badèche: der Zackenbarsch... La badèche vit: Der Zackenbarsch lebt. Ich bin mit der Übersetzung fast fertig..."

"SHINYA!!!"

Die packte seinen Freund an den Schultern und schüttelte ihn so heftig, dass ihm der Füller aus der Hand fiel. Dieser schrie empört auf und wand sich aus Dies Umklammerung.

"Hör auf mich so grob zu behandeln! Such dir doch ein anderes Spielzeug, wenn ich dir schon so egal bin!! Mit uns ist es aus!!!"

Mit fahrigen Händen schmiss der Braunhaarige seine Französischsachen in die Schultasche zurück und stürmte aus dem Klassenzimmer. Im Raum blieben einige Mitschüler, die ihm scheele Blicke nachwarfen und Dinge wie <Ich wusste sie sind schwul> dachten und Die, der wie versteinert auf die Tür starrte durch die Shinya verschwunden war.

Shinya wetzte den Gang entlang. Glücklicherweise hatte er jetzt eine Freistunde, diese Zeit würde hoffentlich genügen um sich wieder ein wenig zu beruhigen. Tränen rannen ihm über die mageren Wangen. Wieso musste Die ihm so wehtun? Wieso konnte er nicht einfach zärtlich sein? Es würde niemals mit ihm funktionieren. Und doch wollte er nur Die.

Die und keinen anderen.
 

Diese Katzenaugen durchbohrten ihn bis auf den Grund seiner Seele. Trotz des Schauers, der Toshiya dabei unwillkürlich über den Rücken rann, hielt er dem Blick stand. Kyo machte einen Schritt auf ihn zu. Er wirkte nun trotz des gewaltigen Größenunterschieds extrem bedrohlich.

"I-ich hab geraten!", stotterte Toshiya und sein Mut begann zu schwinden.

"Ehrlich!"

"Du lügst!", fauchte Kyo und seine Augen blitzten. "So etwas errät man nicht einfach so! Hast du mir nachspioniert?"

Toshiya verstand. Er hatte Kyo durchschaut, was dem anderen ganz offentsichtlich noch nie passiert war und ihn aus diesem Grund völlig aus der Fassung brachte. So sehr, dass er vergessen hatte, sich nichts anmerken zu lassen.

"Dann hast du es also niemandem erzählt? Noch nie? Warum?", fragte Toshiya mit heiserer Stimme.

Kyo begriff, dass es sinnlos war, jetzt alles abzustreiten, also schnappte er sich wieder eine Zigarette und zündete sie an. Wie um sich zu beruhigen nahm er einen kräftigen Zug und bließ ihn Toshiya mitten ins Gesicht. Dieser hustete unterdrückt und fragte sich ob Kyo antworten würde. Tatsächlich sagte der Kleinere nach einer Weile: "Tsss, erzählen. Als Mann von einem Mann vergewaltigt zu werden... würdest _du_ jemandem so etwas Peinliches und... Demütigendes erzählen? Du bist schlauer, als ich dachte Hara Toshimasa. Und der erste, der es je herausgefunden hat. Nur _wie_ hast du es-"

Einen Moment lang sahen sie sich an. Dann ließ Kyo plötzlich seine Kippe fallen. Sie rollte über den Boden und glimmte in einer Ecke der Toilette weiter.

"Du--", begann er und starrte Toshiya in die dunklen Augen, in denen er eine Leere und Tiefe fand, die ihm merkwürdig bekannt vorkam. In diesem Augenblick wusste Toshiya, dass der andere die Puzzelteile zusammengesetzt hatte. Kyo fummelte unbeholfen an seinem Feuerzeug herum und zündete sich eine neue Zigarette an.

"Dieses Wochenende, oder?", flüsterte er ohne Anzeichen der üblichen Gleichgültigkeit, die er sonst immer an den Tag legte.

Toshiya nickte nur. Er fragte sich, ob Kyo Mitgefühl empfand. Oder Mitleid. Oder ob er einfach nur schockiert war, dass jemand sein Geheimnis aufgedeckt hatte.

"Hakuei?"

"Nein." Toshiya lächelte matt. "Er würde nie jemandem Gewalt antun."

Er blickte seinem Gegenüber fest in die hübschen mädchenhaften Augen, die denen seines Bruders so unähnlich waren. Jetzt war der Augenblick es auszusprechen. Toshiya wusste, würde er nun schweigen, dann würde er nie wieder den Mut aufbringen mit irgendjemandem darüber zu sprechen.

"Nein, Hakuei hat nichts getan", wiederholte er noch leiser.

Kyos dritte Zigarette glimmte vergessen zwischen Mittel-und Zeigefinger seiner rechten Hand.

"Es war Daishi", hauchte Toshiya und die Erinnerung brach auf ihn ein, wie Faustschläge.

"-Er- hat mich--"

Seine Beine gaben nach.
 

"Wir haben schon lange nicht mehr..."

Sakito beugte sich zu dem kleineren Jungen hinüber und hauchte ihm leise einige Worte ins Ohr. Sein zarter Geliebter errötete.

"Saki, das stimmt nicht, wir haben doch Sonntagnacht..."

Der andere grinste spitzbübisch.

"Ja, und seitdem nicht mehr."

"Es ist Montagmorgen."

"Und?"

"Wann hätten wir denn- ich meine, wann-"

Der Rest des Satzes ging in einem Kuss unter. Ryutaro wusste nicht, was es war, doch immer, wenn sein Koi ihm so nahe kam, wurde ihm richtig schwindelig. Er lehnte sich kraftlos in Sakitos Umarmung. Nach einer Weile lösten sie sich voneinander und Ryutaro hauchte: "Nicht, wir können doch nicht hier-"

Sakito grinste wieder.

"Keine Angst, ich kann noch warten, bis wir zu Hause sind. Aber versprich mir, dass du dann mit mir schläfst."

Der andere sah ihn verlegen an.

"Versprochen."

Und er begann Sakitos Gesicht mit kurzen sanften Küssen zu bedecken. Das war der Augenblick in dem die Toilettentür auf- und beinahe aus den Angeln flog und gegen die geschlossene Tür der ersten Kabine knallte. Ryutaro riss die Augen auf und Sakito drehte sich entnervt um.

"Geht es vielleicht ein bisschen diskreter?!"

Dann erkannte er den Jungen, der im Türrahmen stand.

"Takumi?"

Wieso hatte er das dumpfe Gefühl, dass die vertraute Zweisamkeit mit seinem Freund damit ein jähes Ende nahm? Vielleicht weil der Junge mit den Zöpfen, seit neuestem Koi seines großen Bruders, völlig außer Atem vor ihm stand, die Kleider in Unordnung, Haare zerzaust und auf dem Gesicht ein Ausdruck der bloßen Panik.

"Was ist los?", sagte Sakito mit fester Stimme und legte Ryutaro schützend den Arm und die Hüfte.

"Takumi!"

Der Angesprochene schleppte sich zur Tür, bekam die Klinke zu fassen und schmiss sie mit aller Kraft hinter sich zu. Dann ließ er sich neben den Waschbecken zu Boden sinken.

Sakito beobachtete ihn mit wachsendem Erstaunen. Noch nie hatte er jemanden so aufgebracht gesehen. Takumis Augen rollten wild in seinem Kopf umher und er klimperte seine langen hochgebogenen Wimpern, als hätte er ein Rudel Killerheuschrecken in die Augen bekommen.

"Es ist was passiert", keuchte er, während er sich eine schmale Hand auf die Bluse presste. Dann sprang er mit einem Satz auf die Beine - dicke Tränen quollen ihm nun aus den Augenwinkeln - und schmiss sich Sakito um den Hals.

"He, he, langsam!", stammelte dieser und versuchte den kleinen Jungen von sich zu schieben, doch Takumi klebte ihm wie eine Klette an der Brust. Ryutaro streckte die Hand aus und wuschelte ihm vorsichtig durch den zerzausten braunen Haarschopf.

"Beruhige dich doch, Taku, und sag uns, was dich so aufbringt", sagte er leise. Takumi lupfte sein fleckiges rotes Gesicht und blinzelte den blassen Schüler durch feuchte Augen an.

"Eben in der Pause hat mich Daishi auf dem Handy angerufen, der große Bruder von Kyo, du weißt schon", hauchte Takumi und schniefte laut.

"Und dann?"

Sakito gelang es endlich den Kleineren von seinem Pullover zu lösen (er hinterließ dabei ein großes rundes Loch im Stoff).

"Er fragte wo Uruha ist... und ich hab gesagt <Nicht hier du Idiot, was glaubst du denn, wo ich gerade bin? Ich habe Schule, wie jeder andere Teenager auch!>..."

Ryutaro warf seinem Koi einen Blick zu. Es hatte also kaum fünf Minuten gedauert, bis Takumi wieder seinen üblichen theatralisch-dramatischen Ton aufgenommen hatte.

"Und? Was hat er noch gesagt?", antwortete Sakito, nun deutlich gelangweilter als zuvor.

"Er m-meinte, dass ich Uruha irgendwas von wegen Drogen ausrichten soll...", murmelte Takumi aufgelöst. Sakito seufzte genervt auf.

"Und sonst?"

"Sonst?!", kreischte Takumi. "Wie sonst?! Ist das nicht grauenvoll?! Er ist drogenabhängig, dro-gen-ab-häng-ig!!!"

"Wie wunderbar, dass du das buchstabieren kannst...", sagte Sakito mit verzogenen Mundwinkeln.

"Hätt ich dir irgendwie gar nicht zugetraut. Dass Daishi ein Junkie ist, wusste ich schon länger, dem ist nicht zu helfen, aber keine Sorge, Uruha ist _nicht_ abhängig. Wenn er es wäre, hättest du es schon mitbekommen. Und wenn du sonst nichts auf dem Herzen hast, könntest du bitte verschwinden, Ryu und ich waren gerade dabei rumzumachen..."

Ryutaro errötete, doch Takumi warf Sakito einen empörten Blick zu.

"Pah, da ist noch mehr, ich spüre das!! Daishi führt was im Schilde!!"

"Weibliche Intuition, was?", murmelte Sakito und versuchte sich wieder über Ryutaros Nacken herzumachen, der jedoch gab ihm zu verstehen, dass es ihm vor anderen Leuten peinlich war.

"Mach dich nur lustig, Sakito Hara!!", schrie Takumi und hüpfte wütend auf der Stelle.

"Du wirst schon sehen, ich decke es auf!!!"

Mit diesen Worte stürmte er aufgebracht aus dem Klo. Fast zeitgleich läutete es zur vierten Stunde.

"Das darf doch nicht wahr sein", stöhnte Sakito, doch sein Koi nahm ihn an der Hand.

"Mach dir nichts draus, du bekommst später, was du willst... komm, wir schaffen es sonst nicht rechtzeitig zu Deutsch..."
 

Alles war finster. Ah ja, genau, Augen öffnen. Nur: Wo genau befand er sich? Das war doch nicht etwa immer noch die Toilette?

Toshiya rieb sich stöhnend die Augen. Ja, jetzt konnte er es deutlich sehen, diese sterilen, weißen Waschbecken, die geschlossenen Kabinen mit den metallenen Türklinken: die Toilette im dritten Stock. Er erhob sich langsam, schwankte und lehnte sich gegen den Rand des Waschbeckens. Wie unglaublich peinlich: Er war nun schon zum zweiten mal vor Kyos Augen in einem Klo umgekippt. Apropos: Wo war der dunkelhaarige Junge überhaupt? Toshiya blickte sich suchend um. Von Kyo keine Spur. Er hatte sich aus dem Staub gemacht, ohne zu warten, bis Toshiya das Bewusstsein wiedererlangte, oder dem Schularzt Bescheid zu geben. Der Schwarzhaarige rieb sich den schmerzenden Hinterkopf. Einen Pullover hätte er ihm ja wenigstens unterlegen können. (Darüber hinaus sah es ganz so aus, als hätten die Putzfrauen der Schule die Spiegel über den Waschbecken blank poliert und Kyos Zigarettenasche aufgewischt, ohne vom bewusstlosen Toshiya Notiz zu nehmen.) Frustriert wankte der Teenager aus dem Raum auf den langen Flur. Kyo war also doch ein egozentrisches unsoziales Schwein.

<<Bin ich etwa sauer?!>>, dachte er plötzlich erschrocken.

<<Sauer, dass er mich einfach so hat links liegen lassen?>>

Natürlich, das letzte Mal hatte Kyo ihn sogar nach Hause geschafft, aber nur weil er ihm noch einen Gefallen geschuldet hatte und weil sich Toshiya bei -ihm- diese dämliche Grippe eingefangen hatte.

Wütend und gleichzeitig ziemlich durcheinander schlurfte Toshiya in sein Klassenzimmer, glücklicherweise war seine Mathelehrerin noch nicht da.

"Totchi!! Wo warst du?!"

Kaoru ließ sein Buch fallen und sprang auf. Toshiya schmiss wortlos Mäppchen, Hefte und Bücher von seiner Bank in die Tasche, machte sie zu und warf sie sich über den Rücken.

"Totchi!! Wohin gehst du?!"

Kaoru starrte ihn an. Der Schwarzhaarige drehte sich um und verschwand so schnell wie er gekommen war.

"Totchi!!"

"Jetzt halt mal den Rand und hör auf ihn zu bemuttern! Du hattest deine Chance, du hättest dich um ihn kümmern können, jetzt ist es zu spät", brummte Hakuei und warf dem Klassensprecher einen finsteren Blick zu.

"Verpiss dich!", zischte Kaoru zurück.

"Mit Freuden."

Hakuei packte seine Sachen ebenfalls zusammen.

"Hatte eh keinen Bock heute."
 

*~*~*~*~*~*~*
 

Der Rest der Woche verlief ereignislos: Shinya und Die schwiegen sich an, wobei der Braunhaarige ab und zu in Tränen ausbrach, Kaoru und Hakuei konnten nur mit Mühe davon abgehalten werden sich gegenseitig die Augen auszukratzen, Takumi brachte es fertig Sakito und Ryutaro sieben mal beim Vorspiel zu stören (als Sakito sein Zimmer abschloss, stieg Takumi zum Fenster ein) und Kyo ließ sich kein einziges Mal blicken. Toshiyas entfernte Verwandte war illegalerweise aus ihrem Grab auf der einsamen Pazifikinsel ausgegraben und an ein Team irischer Chirurgen zu geheimen Forschungszwecken verkauft worden.

Toshiya für seinen Teil hatte das Gefühl sich selbst zu entgleiten. Ihm war ständig übel, folglich aß er kaum noch, seine Stimmungsschwankungen nahmen unerträgliches Ausmaß an (nein, er ist nicht schwanger) und die Begegnung mit Daishi spulte sich Tag für Tag in seinem Kopf ab, wie ein Videoband auf repeat. Er war sich sicher, dass er wahnsinnig werden würde, sollte das noch länger so weitergehen. Gegen Ende der Woche war es ihm gelungen sich soweit in sich selbst zurückzuziehen, dass er von den anderen kaum noch angesprochen wurde. Er entfloh ihnen in der Pause und vor Schulbeginn, während des Unterrichts übersah er die Zettelchen, die Kaoru ihm schrieb, ging nie ans Telefon, wenn jemand anrief und verbarrikadierte sich den restlichen Tag in seinem Zimmer.

Freitagnachmittag brachte Toshiya wieder einmal in seinem Bett zu, die Musik so laut aufgedreht, dass er es niemals hören würde, wenn jemand an die Tür klopfte und einen Stapel Schulbücher auf seinen Beinen. Der einzige Mensch, mit dem er reden wollte, war Kyo - der einzige, der ihn verstand. Nun, da er wusste, dass auch Kyo ganz offensichtlich Opfer einer Misshandlung geworden war, wollte er außerdem noch so viel über ihn herausfinden: Was genau passiert war, wie alt er gewesen war und wer es getan hatte, doch gerade der schmale schwarzhaarige Japaner war die ganze letzte Woche nicht mehr aufgetaucht. Während sich Toshiya in einer Mischung aus Enttäuschung und Angst (Daishi ging bei ihnen ein und aus) in seine Mathematikformeln flüchtete, kehrte Takumi gerade von seiner Exkursion in die Küche zurück (er hatte Tee gesucht, aber leider nur ein Gemisch aus 2.2.4.-Pentamethyl-6.-propyldekan und Paraffinöl gefunden). Bevor er an Uruhas Zimmertür klopfte, richtete er noch schnell seine Löckchen (neuer Lockenstab) und warf einen prüfenden Blick in den Flurspiegel hinter ihm. Als er die Augen gerade mit Zufriedenheit über die hübschen Formen seines Gesichts wandern ließ, drang aus dem Zimmer ein schriller Entsetzensschrei an seine Ohren. Takumi wirbelte herum und starrte eine Sekunde lang zögernd auf die verschlossene Tür. Im nächsten Augenblick hatte er bereits sein rechtes Ohr gegen das glatte Holz gepresst und verharrte in gespannter Erwartung herauszufinden, wer geschrien hatte und warum.

"Du hast WAS getan??!!", ertönte Uruhas Stimme aus seinem Zimmer.

<<Aha>>, dachte Takumi schlau, <<also war es Uruha, der diesen Schrei losgelassen hat. Nur warum?>>

Er drückte sein Ohr noch dichter gegen die Tür um Daishis Antwort nicht zu verpassen.

"Aber, Uruha... du- du hast doch gesagt, ich soll ihm eins auswischen. Du hast gesagt, ich soll es Toshiya heimzahlen, weil er dir Hakuei ausgespannt hat!"

Daishi klang außerordentlich verwirrt. Noch verwirrter jedoch war Takumi draußen vor der Tür, der nicht wusste, was er da eigentlich hörte, aber das Gefühl hatte, dass es ziemlich wichtig sein musste, wenn sein Koi sich derart darüber aufregte.

"So hab ich es dir versprochen", sprach Daishi weiter, "weißt du nicht mehr? Ich sollte es Toshiya so richtig heimzahlen!! Du weißt doch selbst, wie weh er dir getan hat, du liebst Hakuei doch immer noch!! Mir kannst du mit Takumi nichts vormachen!"

Daishis Stimme überschlug sich, als er versuchte Uruha diese Sache zu erklären, ebenso überschlugen sich die Gedanken im Kopf des geheimen Lauschers.

<<Was soll das bedeuten??>>, dachte Takumi und hatte plötzlich furchtbare Angst. Angestrengt hörte auf Uruhas nächste Worte um endlich zu begreifen, worum es ging.

"Ja, wir hatten ausgemacht, dass du es meinem Bruder heimzahlst! Wir hatten nicht ausgemacht, dass du ihn überfällst und vergewaltigst!! Du hast ihn misshandelt! Meinen Bruder!"

"Ich dachte, du hasst ihn!!", verteidigte sich Daishi.

"Ja, aber das ist etwas völlig anderes! Weißt du, was du getan hast, du Monster??!!! Verschwinde, oder ich bringe dich um!!"

Kurze Stille fiel über den Raum. Dann waren Schritte zu hören, die sich zur Tür bewegten. Wie in Trance sprang Takumi auf und flüchtete ins Badezimmer um nicht beim Lauschen ertappt zu werden. Dort sank er mit aufgerissenen Augen neben dem Wäschekorb zu Boden. Er mochte kindisch sein, zickig und aufgedreht, aber er war nicht dumm und ob er es wollte oder nicht - in seinem Kopf fügten sich die Gesprächsfetzen, die er aufgeschnappt hatte, zu einem lückenlosen Bild zusammen. Als unten die Haustür ging, wusste Takumi, dass Uruhas bester Freund überstürzt das Haus verlassen hatte. Er blieb reglos in seinem Versteck sitzen. Zehn Minuten später öffnete sich die Badtür und Uruha streckte den Kopf herein. Das falsche Lächeln, das er zur Schau trug, verbarg nicht im geringsten, wie wütend und aufgewühlt er eben noch gewesen war. Takumi hob den Kopf und starrte ihn an.

"Da bist du ja, Taku, ich habe dich schon gesucht", sagte Uruha und trat ins Bad.

"Ja", murmelte Takumi.

"Kommst du mit? Daishi ist schon gegangen, ich dachte, wir könnten ein bisschen Spaß haben." Er hielt dem Jungen eine ausgestreckte Hand hin. Dieser ergriff sie.

"Ja", flüsterte Takumi wieder.

"Lass uns Spaß haben..."
 

Hier irgendwo musste er sich aufhalten. Das durfte doch nicht wahr sein. Immer, wenn man Sakito mal brauchte, war er nicht da. Wütend schmiss Takumi die Zimmertür von Toshiyas kleinem Bruder zu. Er musste mit ihm reden, unbedingt. Während Uruha seinen Spaß gehabt hatte und danach friedlich eingeschlafen war, hatte er selbst fieberhaft überlegt, was Daishis und Uruhas Streit tatsächlich zu bedeuten hatte. Nun musste er das schnellstens jemandem mitteilen, sonst würde er noch wahnsinnig werden. Doch wem? Sakito und Ryutaro waren unauffindbar, Toshiyas Mutter nicht zu Hause, Die, Shinya und Kaoru kannte er nicht besonders gut, Kyo würde es nicht interessieren und die Lehrer oder die Polizei brachte man am besten nicht mit ins Spiel.

Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Natürlich. Es gab noch jemanden, dem Toshiya sehr viel bedeutete und der ihn gut kannte. Hakuei.

Hektisch stürzte er aus dem Haus und machte sich auf dem Weg zum Haus von Toshiyas Koi. Wie gut, dass er alle Addressen und Telefonnummern der wichtigsten Leute der Schule im Kopf hatte. Fünfzehn Minuten später war er völlig abgehetzt vor der gesuchten Haustür angekommen, schob den Gedanken daran, wie furchtbar er aussehen musste, und dass er sicher hässliche rote Flecken im Gesicht hatte, von sich und klingelte Sturm. Als die Haustür aufflog und ein ziemlich gereizter Hakuei im Eingang stand, trat Takumi schnell ein, ergriff den Ärmel des anderen und schleifte ihn in das leere Wohnzimmer (das er glücklicherweise auf Anhieb fand).

"Ähm. Takumi. Hättest du die Güte mir zu verraten, was du hier treibst?", fragte Hakuei, völlig verärgert über die Tatsache, dass der Kleinere einfach so hereingeplatzt war.

Takumi setzte sich auf einen Sessel, faltete die Hände im Schoß und schwieg. Kurz bevor Hakuei jedoch den Hörer des schnurlosen Telefons zu fassen bekam und ihn dem Jüngeren gegen den Kopf werfen konnte, sagte er ruhig: "Setzt dich. Ich muss dir was Wichtiges erklären."

Hakuei überlegte kurz, ob er sich darüber aufregen sollte, dass man ihn in seinem eigenen Wohnzimmer dazu aufforderte Platz zu nehmen, entschied sich allerdings dagegen, als er sah, wie ungewöhnlich ruhig Takumi mit einem Mal war. Das bedeutete nichts Gutes.

"Du bist doch Toshiya Haras Koi...", begann Takumi, wurde aber sofort unterbrochen.

"Nicht mehr. Er hat Schluss gemacht." Hakuei konnte die Bitterkeit in seiner Stimme nicht ganz verstecken.

"Aber du liebst ihn doch noch. Also ich meine, er ist dir noch wichtig, oder?", forschte Takumi nach, doch Hakuei zuckte nur mit den Achseln.

"Ich nehme das als Ja. Gut. Du musst mir helfen, es geht um Toshiya..."

"Wieso? Was ist mit ihm?", sagte Hakuei mit alarmiertem Gesichtsausdruck und starrte seinen Gast an. Takumi schnalzte gereizt mit der Zunge.

"Wenn du aufhören würdest mich zu unterbrechen, könnte ich dir das erklären."

Hakuei antwortete nicht. So ruhig hatte er den Kleineren noch nie erlebt. Eine beängstigend tödliche Ruhe.

"Ich war eben bei meinem... Koi. Uruha Hara, Toshiyas Bruder. Er hatte Besuch von Daishi, das ist sein bester Freund. Naja, du kennst die beiden sicher, immerhin warst du auch mal mit Uruha zusammen. Ich bin also aus dem Zimmer gegangen, weil ich etwas zu trinken suchen wollte, als ich zurückkam, hatten Daishi und Uruha einen heftigen Streit. Ich..."

Takumi senkte den Blick und sah mit einem Mal sehr elend aus.

"... ich habe an der Tür gelauscht, weil ich wissen wollte was los ist. Die hätten mir ja eh nichts erzählt."

"Und?", fragte Hakuei, als Takumi eine Pause einlegte. Wieso hatte er das Gefühl, dass ein Streit zwischen Uruha und Daishi nichts Gutes bedeutete? Wenn diese beiden unzertrennlichen Freunde stritten, musste es um etwas wirklich Ernstes gehen. Immerhin hatte nicht einmal Daishis Drogenabhängigkeit die beiden auseinanderbringen können.

Takumi zuckte die Achseln und lächelte unendlich traurig.

"Es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden hatte, worum es ging... und... naja, es wird dir nicht gefallen."

Er holte einmal tief Luft und fuhr fort.

"Weißt du, Uruha war richtig wütend als du mit ihm Schluss gemacht hast..."

Hakuei zuckte ungerührt die Achseln.

"Na und? Soll sich nicht so aufführen. Er wollte ja nicht mal zugeben, dass er in mich verliebt war..."

"Aber genau darum geht es. Uruha hat sich so tief in seinem Stolz und seinen Gefühlen verletzt gefühlt - und außerdem ist er, glaube ich, ziemlich eifersüchtig auf Toshiyas hübsches Aussehen - dass Daishi ihm versprochen hat, Toshiya fertig zu machen, es ihm heimzuzahlen. Uruha dachte, Daishi würde ihn ein wenig schikanieren, ein bisschen heruntermachen, Gerüchte über ihn verbreiten, seinen Ruf zerstören... das war alles was Uruha wollte."

"Das heißt also... Daishi sollte seinem besten Freund einen Gefallen tun... und Toshiya fertig machen? Das sieht Uruha ähnlich. So hinterhältig und missgünstig..."

Takumi nickte traurig. Seine Agen sahen sehr wässrig aus, als er sagte: "Ich glaube auch, dass er nur mit mir zusammen ist um... um über dich hinwegzukommen. Und über seine Eifersucht auf Toshiya. Er liebt dich noch immer, Hakuei. Ich bin... sein Lückenfüller..."

Er begann leise zu schluchzen und presste eine kleine geballte Faust auf seinen Mund. Hakuei wusste nicht, was er sagen sollte, in seinem Kopf flog noch alles durcheinander, er war sich nicht sicher, ob er Takumi ganz verstanden hatte.

"Aber das ist jetzt nicht wichtig", flüsterte der kleine braunhaarige Japaner tapfer und zog ein Taschentuch aus seiner Jackentasche hervor.

"Ich komme eigentlich wegen Toshiya. Das Problem ist, dass Daishi Uruha diesen kleinen Gefallen schon erfüllt hat. Allerdings anders, als er es eigentlich sollte."

Hakuei sprang auf. Er hatte gewusst, dass etwas nicht in Ordnung war.

"Was hat er ihm angetan??!! Totchi war die ganze Woche so in sich zurückgezogen! Er hat kaum gesprochen, war leichenblass... und dann die Sache mit seinen Haaren... was hat Daishi getan??!!"

"So wie ich das verstanden habe, hat er Toshiya am Sonntag abgefangen. Und ihm... wehgetan. Verstehst du? Er hat ihn... ziemlich brutal misshandelt... wie es aussieht. Ich glaube, dass Uruha das alles nicht gewollt hat. Er war sehr wütend und-"

Takumis Stimme riss ab. Er schluchzte leise in sein Taschentuch und wagte nicht aufzublicken.

Hakuei erhob sich.

"Wo gehst du hin?", quiekte der Kleinere, als er das Zimmer durchquerte und den Telefonhörer aufnahm.

"Ich rufe Kaoru an", antwortete er tonlos.

"Er muss mir helfen."

Hakuei stand mit dem Rücken zum Zimmer. Takumi wunderte sich über seine Gelassenheit, konnte allerdings nicht sehen, dass der Schwarzhaarige stumm weinte und den Hörer so fest umkrallte, dass sich seine Fingerknochen weiß unter der Haut abzeichneten.
 

Wenige Zeit später war Kaoru zu ihnen gestoßen. Er saß steif auf dem linken Ende des Sofas (der Ort, der am weitesten von Hakuei entfernt war) und blickte feindselig in die Runde. Was auch immer kommen würde, er mochte es schon jetzt nicht.

"Also - wieso bin ich hier?", fragte er und zupfte ungeduldig am Reißverschluss seiner Weste herum.

"Es ist wegen Toshiya, ich habe Uruha belauscht und viele Dinge heruasgefunden, weil Daishi, du kennst doch Daishi, er ist doch drogenabhängig, das weiß jeder, der mal mit ihm Kontakt hatte, ein Wunder, dass er noch auf freiem Fuß ist und-", brabbelte Takumi aufgeregt, doch Kaoru brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen.

"Hakuei?", richtete er sich nun an seinen verhassten Klassenkameraden.

"Toshiya wurde von Daishi brutal überfallen und vergewaltigt", sagte dieser kurz angebunden.

Die nächsten zehn Minuten über machte Kaoru merwürdige Verrenkungen mit seinem Kiefer, es sah ganz so aus, als versuche er, den anderen beiden etwas mitzuteilen, scheiterte dabei aber kläglich. Als er in Hakueis Gesicht sah, erkannte er, dass dieser Mühe hatte nicht in Tränen auszubrechen. Der Anblick gab ihm den Rest.

"Was sollen wir... tun?", hauchte er schließlich leise, als seine Versuche, sich mitzuteilen, endlich griffen.

Und wieso zitterten seine Hände nur so sehr?

Hakuei zuckte stumm die Achseln und starrte auf seine Knie.

"Was ist, wenn wir... einfach mal mit Toshiya reden? Also ich- ich meine... einer von euch beiden... weil er... verschließt sich doch, hab ich Recht? Wir müssen also ganz vorsichtig sein", sagte Takumi behutsam und legte Hakuei die Hand auf den Rücken. Dieser vergrub sein Gesicht in den Händen.

"Er war so anders... so schön, wie nicht von dieser Welt, so zerbrechlich... so blass... wieso habe ich nichts bemerkt? Wieso ist mir nicht aufgefallen, dass ihn jemand so verletzt hat?", flüsterte er erstickt.

Kaoru sah betreten auf seine Hände.

"Mach dir keine Vorwürfe... mir ist doch auch nichts aufgefallen... und wir können nicht ändern, was passiert ist..."

"Aber ich bin einfach gegangen, an diesem Sonntagabend, als er mit mir Schluss gemacht hat! Ich habe ihn stehengelassen. Alleine gelassen. Wäre ich bei ihm geblieben, wäre ihm nichts zugestoßen!"

Niemand erwiderte etwas. Nur Hakueis trockene Schluchzer zerrissen die Stille, die daraufhin über den Raum fiel.
 

In seinem Zimmer war Toshiya vor Müdigkeit das Buch aus den Händen geglitten. Er hatte das merkwürdige Gefühl, dass man gerade irgendwo über ihn sprach, aber vermutlich handelte es sich bloß um Einbildung, die übliche Paranoia eben. Auf einmal fragte er sich, was er eigentlich damit bezwecken wollte, mit diesem Einigeln in seinem Schmerz und in seiner Angst. Konnte das alles nicht endlich ein Ende haben? Er spürte überdeutlich, wie sehr er jemanden brauchte, mit dem er reden konnte, der ihn beruhigte und ermutigte. Allerdings brachte er es nicht über sich Hakuei oder Kaoru davon in Kenntnis zu setzen und sowohl Shinya, als auch Die hatten wohl genug eigene Probleme. Was Sakito betraf - Toshiya würde es niemals über sich bringen, sein wohl verdientes, wunderbares Glück mit Ryutaro zu stören, indem er ihm Sorgen bereitete. Da blieb nur eine Lösung.

Kyo.

Er wusste sowieso schon Bescheid und konnte nachempfinden, wie Toshiya sich im Augenblick fühlte. Außerdem brauchte der zierliche Junge doch auch jemandem zum Reden, er hatte es ebenso bitter nötig wie Toshiya selbst, dessen war er sich sicher. Blöderweise war Kyo so ziemlich der unsozialste Mensch, der ihm je begegnet war. Wieso zeigte er nur null Mitgefühl oder Verantwortungsbewusstsein, wenn er doch genau wusste, dass nur er Toshiya helfen konnte? In Augenblicken wie diesem war der Schwarzhaarige so wütend auf Kyo, dass er ihn wie eine Flunder gegen die Wand hätte klatschen können.

Entschlossen ließ er sich vom Bett rutschen, zog sich schnell einen Pullover über und rannte ins Bad. Ein Blick in den Spiegel sagte ihm, das seine Haare, nachdem seine Mutter gerettet hatte, was noch zu retten war, gar nicht so schlecht aussahen. Er wusch sich schnell die Müdigkeit aus dem Gesicht, machte ein paar Liegestütze und flog dann förmlich die Treppe hinunter. Operation Kyo konnte beginnen. Er würde den Jungen belagern und berdängen, bis er gezwungen war, ihm all seine Geheimnisse preiszugeben (oder zumindest mit ihm zu reden, das würde für den Anfang schon genügen). Ja, vielleicht war das verzweifelt, aber was hatte er schon zu verlieren? Nachdem er schnell einen Bissen von Sakitos Klapperschlange pikant auf eingelegtem Aal hinuntergeschlungen (und sich danach kurz übergeben) hatte, raste er in den Flur zurück (ja, er würde freiwillig das Haus verlassen) um sich Jacke und Schuhe anzuziehen. Zwischen Treppe und Haustür prallte er jedoch mit Uruha zusammen, der ebenfalls auf dem Weg nach draußen war. Für den Bruchteil einer Sekunde starrten sich die beiden Brüder wortlos an. Dann hob Uruha den Arm. Toshiya wich ängstlich zurück, doch sein großer Bruder schlug die Hand nicht ihm, sondern sich selbst auf den Mund. Er schluchzte erstickt auf - und sank dann vor Toshiyas Füßen zu Boden.

"U-uruha?", stammelte der Jüngere verwirrt, der unentschlossen seine Jacke in der einen, die Schuhe in der anderen Hand hielt. Sein großer Bruder bot einen elenden Anblick, er verharrte vornübergebeugt auf den Knien und weinte wie ein Kind. Es war Jahre her, dass Toshiya ihn so aufgelöst erlebt hatte, Uruha hatte sich ja nie die Blöße gegeben seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.

"Was ist?" Zögernd wagte Toshiya einen Schritt auf den anderen zu.

Uruha hob den Kopf und blinzelte ihn durch tränenverschleierte Augen an. Sein Make-up zog lange schwarze Schlieren über seine Wangen.

Ein demütigender Anblick.

Seine Stimme zitterte, als er sprach.

"Es tut mir so leid..."

Toshiya starrte ihn an.

"Häh? W-wovon redest du?"

Sein Bruder bedeckte sein Gesicht wieder mit den Händen.

"Von dem, was Daishi dir angetan hat..."

Der Schwarzhaarige wich an die geschlossene Haustür zurück.

"W-woher weißt du das?", krächzte er und presste Jacke und Schuhe eng an sich, als wären sie ein Rettungsring, der ihn auf dem offenen Meer vor dem Ertrinken bewahrte. Uruha sah ihm nicht in die Augen.

"Weil ich ihm gesagt habe, er soll sich an dir rächen! Ich habe dich so gehasst, du hast mir Hakuei weggenommen, du hast mir Mutter weggenommen, du hast mir Sakito weggenommen, alles! Ich bin an dem Schuld, was er dir angetan hat! Es ist meine Schuld", schrie er heiser und knüllte seine Hände so fest in seinen Strickpullover, dass die Fäden zu reißen drohten.

"Was soll das heißen, du hast es ihm gesagt?", sagte Toshiya tonlos.

"Was-"

Er blickte noch einmal auf das zusammengesunkene Häufchen Elend am Boden vor ihm. Dann schlüpfte er in einer einzigen Bewegung in Jacke und Schuhe und rannte aus dem Haus in die verregneten Straßen. Durch die offene Haustür sah Uruha seinen kleinen Bruder fliehen.

"Das wollte ich nicht, Totchi! Bitte, glaub mir!", rief er ihm mit brechender Stimme hinterher, doch der andere blieb nicht stehen. Nach einigen Minuten erhob sich der Blonde mit zitternden Knien vom Flurboden. Das war's. Er hatte Hakuei verloren, Takumi, der ihn innig und so unschuldig liebte, betrogen, seine Mutter belogen und Toshiya - was er Toshiya angetan hatte, war unverzeihlich. Niemals konnte er seiner Mutter oder Sakito je wieder unter die Augen treten. Sie würden ihn verabscheuen, ihn, seine Depressionen und seine krankhafte Eifersucht. Wie er sich selbst hasste, all die Jahre hatte er in permanenter Abscheu gegen sich selbst gelebt, hatte sich verachtet für das, was er war, hatte sich aber auch nichts anmerken lassen. Wie betäubt griff er nach seiner Jacke - und ließ die Hand dann wieder sinken. Was machte das schon, wenn er nass wurde? Da, wo er nun hingehen wollte, spielte es keine Rolle mehr, ob er fror, oder durchweicht war. Er nahm seinen Hausschlüssel aus der Hosentasche und legte ihn auf die Kommode im Flur. Dann schlüpfte er in seine Schuhe, trat hinaus in den Regen und zog die Haustür hinter sich zu.
 

*+*+*+*+*+*+*

So, Ende von Teil 10. Ich hoffe, allen ist klar, wie sehr Uruha sich hasst für das, was er getan hat. Außerdem hoffe ich, dass meine Leuchterblume endlich aufhört so vertrocknete braune Blätter zu bekommen. Vielleicht sollte ich sie gießen. Mehr habe ich im Augenblick nicht zu sagen, denke ich, außer: Ich freue mich wie immer sehr über euere Meinung, also schreibt mir bitte, was ihr von Kapitel 10 haltet^^!

11

Kommentar: Sorry, dass ihr auf dieses Kapitel so entsetzlich lange warten musstet >.<, ich hätte nie gedacht, dass man in der Schule so viel zu tun haben könnte (erschwerend kommt hinzu, dass mein Computer kaputt ist)... aber der nächste Teil kommt schneller, versprochen. Das Kapitel ist nicht besonders lang, aber ich hoffe, es gefällt euch trotzdem.
 


 

Toshiya hastete durch die verregneten Straßen. Die Zornestränen auf seiner Wange mischten sich mit den kleinen glitzernden Tropfen. Wann hatte er zuletzt so geweint? Über die Straße in den Park. Jetzt konnte er das Schultor sehen. Die Gegend war völlig leer, allein der Regen teilte den Weg des dunkelhaarigen Jungen.

Keuchend hielt er vor den Toren des großen grauen Schulgebäudes inne. Der Grund dafür war schlicht und einfach die Erkenntnis, dass er nicht den blassesten Schimmer hatte wo Kyo wohnte. Und selbst wenn er es wüsste - hatte er tatsächlich vorgehabt bei Kyo einfach mal so vorbeizuschauen? Was sollte er ihm sagen? Dass er jemanden zum Reden bräuchte? Und was, wenn Daishi die Tür öffnete? Toshiya trottete also ein wenig auf dem Gehsteig vor dem Pausenhof auf und ab, während die kochende Wut in ihm langsam verebbte. Nun, da sich das wirre Gefühlschaos in seinem Inneren legte, fühlte er sich miserabel. So, als hätte er lauter Fehler begangen und dann auch noch die letzte Chance, die ihm blieb, vertan.

"Quatsch!", zischte er durch zusammengebissene Zähne und stapfte frustriert mit dem rechten Fuß in eine große Pfütze. Er sollte nicht auch noch damit anfangen sich selbst Vorwürfe zu machen, schließlich trug er dieses eine Mal keinerlei Schuld an dem, was passiert war.

Toshiya war so gedankenversunken, dass er völlig vergaß den Fuß wieder aus der Pfütze zu nehmen. Langsam sickerte Schlammwasser in seine ausgelatschten Turnschuhe. Das waren die besten Bedingungen für eine handfeste Depression - mutterseelenallein und klatschnass im Regen und niemand kümmerte sich darum wo er steckte. Wenn er nur davon fließen könnte. Davon fließen wie der Regen, der unaufhörlich vom dunklen Himmel strömte, als gäbe es kein Morgen mehr. Er würde dann einfach unter Millionen von funkelnden Tröpfchen im Gulli verschwinden und sich in irgendeiner hübschen Ecke des Abwasserkanals häuslich einrichten. Oder er könnte sich mit einer chemischen Lösung zusammentun, Uruha in die Schuhe fließen und seine Füße mutieren lassen. Dieser finstere Gedanke vermittelte Toshiya wieder Kraft in Form von unbeschreiblicher Wut. Sein eigener Bruder. Warum?
 

"Und ähm, was gedenkst du zu tun?"

Der kleine schmächtige Junge zwirbelte unruhig seinen niedlichen hellbraunen Zopf.

"Hakuei?", fügte er hinzu.

Der Angesprochene machte eine fahrige Geste mit der Hand um anzudeuten, dass ihm eine Idee gekommen war. Er fuhr sich immer wieder durch die Haare. Rötliche Flecken auf seinen Wangen zeigten, dass er sehr lange sehr ausgiebig geweint hatte.

Es war noch ein dritter Junge anwesend. Verloren und stumm wie ein Gugelhupf kauerte er auf einer Kante des großen Sofas. Seine Haarfarbe biss sich grauenvoll mit der Rotschattierung der Polster, was aber aus verständlichen Gründen niemandem auffiel.

"Ich denke wir... sollten ihm nicht sagen, dass - dass wir Bescheid wissen."

Hakuei drehte sich so abrupt um, dass Takumi erschrocken aufquiekte.

"Aha. Und um dir das zu überlegen hast du geschlagene zwanzig Minuten gebraucht", bemerkt Kaoru vom Sofa her gehässig. Nichts, aber auch gar nichts konnte ihm über die Abneigung, die er Hakuei entgegenbrachte, hinweghelfen.

Die beiden Jungen funkelten sich zornig an.

"Ich war noch nicht fertig. Ich denke wir sollten niemandem davon erzählen, weil es Totchi nicht recht wäre. Wir müssen warten, bis er sich uns selbst öffnet. Das einzige was wir tun können ist, auf ihn aufzupassen und dafür zu sorgen, dass es ihm gut geht."

"In diesem Sinne", warf Takumi schnell ein, "solltet ihr beiden euch am besten vertragen. Toshiya hasst es euch streiten zu sehen."

Eine Stille folgte in der sich Takumi wie eine Maus in einem Rohr fühlte, an dessen beiden Enden ein großer hungriger Kater wartete, bereit ihn zu zerreißen. Wider Erwarten jedoch gingen die beiden Jungen nicht auf ihn los. Einen Augenblick lang wirkten sie sehr aufgebracht, dann jedoch konnte man an ihren nachdenklichen Gesichtern erkennen, dass sie sich das Friedensangebot durch den Kopf gehen ließen.

"Du hast Recht", presste Kaoru schließlich hervor. "Ich hasse es das zuzugeben, aber du hast Recht."

Er erhob sich und musterte Hakuei mit Blicken der Abscheu.

"Wir tun so, als würden wir uns mögen."

Dann ging er an ihm vorbei, durchquerte den Flur und verließ das Haus ohne ein Wort des Abschieds.

"Machs gut, allerliebster Freund", knurrte Hakuei.

"Ich hoffe du erstickst an deinem widerlichen Stolz."

Takumi machte ängstlich einige Schritte auf den älteren Jungen zu.

"Und ähm - was tun wir nun?"

"Wir", sagte Hakuei heftig, "tun gar nichts."

"Aber-"

"Du gehst nach Hause, ich gehe zu Toshiya."

"Aber-"

Doch Hakuei war bereits in Schuhe und Jacke geschlüpft und hatte das Haus verlassen. Auf halbem Weg über die Straße bemerkte er etwas, drehte sich um, schloss die Tür wieder auf und zerrte Takumi nach draußen.

"Es regnet!!", quiekte der Junge und schüttelte empört seine triefenden Löckchen.

"Na und?!", gab Hakuei ungerührt zurück. "Stell dich nicht so an. Ich lasse dich sicher nicht alleine in meinem Haus. Ich muss nach links, also gehst du nach rechts."

"Aber ich muss auch nach links. Da ist ne Bushaltestelle."

"Dann geh nach rechts, da ist bestimmt auch eine."

"Du wohnst am Stadtrand, Hakuei, rechts sind nur Felder. Und der Wald."

Takumi sah den anderen mit flehendem Hündchenblick an, woraufhin der Dunkelhaarige einen undefinierbaren Laut ausstieß und finster vor sich hinmurmelnd seinen Weg fortsetzte.

"Das bedeutet ich kann mitkommen?", sagte Takumi und ein Funke aufglimmender Hoffnung lag in seinen Augen, während er sich bemühte mit dem anderen Schritt zu halten. Als Hakuei nicht antwortete, hakte sich der Junge bei ihm unter.

"Und was sagen wir Toshiya? Ich meine, wir müssen ja nett sein und alles, aber er darf auch nichts merken, also völlig diskret, und gleichzeitig sehr bestimmend, natürlich brauchen wir Verbündete und einen Plan, und, oh Gott, wie eine Geheimmission..."

Hakueis linke Augenbraue zuckte in einem verzweifelten Versuch sein Gesicht zu verlassen. Wieso hatte er Takumi nicht einfach in einer Ackerfurche hinter dem Haus vergraben?

Bei diesem Gedanken stülpte sich ihm der Magen um.

::Besser nicht - am Ende wäre noch was draus gewachsen... ::
 

"Elf... ich glaube es war elf...", brummte Kaoru und lief zum dritten Mal die Häuserzeile ab. Wieso vergaß er immer wieder wo Toshiya wohnte? Und wieso hatte jedes dieser Häuser ein rotes Garagentor, einen kleinen Weg zur Haustür mit exakt vier Stufen, eine verschönernde Topfpflanze rechts neben der Türklingel und wieso - wieso stand vor jeder Haustreppe der gleiche halb zermatschte Kürbis mit ausgebrochenem Zahn, obwohl Halloween seit Wochen vorbei war? Diese Gegend trieb ihn in den Wahnsinn.

In der nächsten Sekunde jedoch erfuhr Kaoru, dass es immer noch schlimmer werden konnte, denn er begegnete dem Menschen, dem man niemals zu irgendeiner Tageszeit allein im Regen begegnen sollte.

Kaoru blieb stehen. Direkt vor ihm ragte ein großer Junge mit rotem Haarschopf auf. Seine Augen boten ein interessantes Schauspiel dar, da das eine ein Auto auf der rechten, das andere eine Katze auf der linken Straßenseite zu beobachten schien. Lustigerweise bewegte sich sowohl Katze als auch Auto.

"Hallo Die", sagte Die.

"Kch?", versuchte Kaoru.

"Naja", erklärte Die, "ich dachte du wolltest mich vielleicht grüßen. Da hab ich dir das einfach mal abgenommen. Ist ja auch ziemlich anstrengend, mein Name ist ja so lang."

"Was äh machst du hier, Die?", erwiderte Kaoru, wobei er seinen Freund misstrauisch beäugte. "Und wieso schauen deine Augäpfel in zwei unterschiedliche Richtungen?"

"Das ist praktisch. So sehe ich viel mehr", antwortete Die. Kaoru nickte.

"Sehr gewitzt. Wo ist Shinya?"

Die richtete seine linke Pupille auf Kaorus linkes Ohr, seine rechte Pupille auf die Spitze von Kaorus rechtem Turnschuh.

"Woher soll ich das denn wissen? Es geht mir gut ohne ihn. Es geht mir gut. Es geht mir gut!!!"

Kaoru wand sich aus Dies Umklammerung und versuchte seinen Schlägen auszuweichen. Es war passiert. Sein rothaariger Freund war endgültig durchgedreht. Manchmal fragte er sich, ob Shinya der einzige Grund war, weshalb Die nicht schon viel früher den Verstand verloren hatte. Irgendwie war bei dem Rotschopf schon immer etwas verkehrt gewesen, aber niemand hatte es nachprüfen wollen aus Angst davor was man finden könnte.

"Na super...", murmelte Kaoru, seufzte einmal sehr tief auf, packte seinen Freund fest am Anorak und schleifte ihn zur nächst besten Haustür. Wenn er sich durchklingelte würde er schon irgendwann bei Toshiya landen. Hoffte er zumindest. Sollte das nicht der Fall sein, war sein nächster Anhaltspunkt die örtliche Irrenanstalt, wo es sicher eine nette Zelle für Die und ein Telefonbuch mit Toshiyas Adresse für ihn selbst gab.
 

Irgendwie genoss er den Regen. Solange er nicht fror war es in Ordnung einfach so dazustehen, ohne Schirm, und sich die Tropfen über das Gesicht laufen zu lassen. Toshiya begann sich wirklich besser zu fühlen. Es musste seinen Bruder ungeheuere Überwindung gekostet haben, sich bei ihm zu entschuldigen - vor ihm auf die Knie zu fallen. Uruha hatte behauptet, er habe nicht gewollt, dass Daishi ihm wehtut.

"Tsss, dann hätte er sich diese bescheuerte Sache mit der Rache nicht ausdenken sollen. Außerdem, er kennt doch Daishi, der ist zu allem fähig...", murmelte er finster vor sich hin und kickte mit dem Fuß wütend in die Pfütze. Nun wurde ihm doch etwas kalt. Eiswind blies ihm durch den Pullover und ließ ihn frösteln (und dann waren da noch seine Schuhe im Wasser).
 

"Was ist mit mir?"
 

Toshiya erstarrte. Auch ohne sich umzudrehen wusste er sofort wem die Stimme gehörte.

"Und ja, vielleicht bin ich unberechenbar... aber dass du hierher zurückkommst... hätte ich ja nicht gedacht..."

Während Daishi um ihn herumlief, stellte Toshiya mit Entsetzen fest, wo er sich befand: In einer großen Wasserlache auf dem Gehsteig an der dritten Straßenkreuzung links nach der Schule. Der Ort an dem Kyos großer Bruder ihn damals abgefangen hatte. Da dieser Punkt zu seinem täglichen Schulweg gehörte, hatte der dunkelhaarige Junge verdrängt, dass es hier passiert war, in einem der Innenhöfe. Soweit er sich erinnern konnte, hatte Daishi ihn durch ein schmales Tor auf der linken Straßenseite gezerrt.

Nun war er wieder hier. Er war hier mit Daishi und es regnete.

Zitternd vor Kälte und Angst blickte Toshiya auf. Daishi stand vor ihm, er trug eine blaue Jacke mit großer Kapuze, die sein halbes Gesicht verschlang wie ein Python, die Hände steckten in den Taschen.

::Hilfe::, dachte Toshiya. Dann dachte er nichts mehr.

"Du bist ja so blass, Junge", säuselte Daishi mit gespielter Verwunderung. Er streckte seine Hand aus und presste sie gegen Toshiyas eisige Wange. Der stand auf dem Gehsteig wie ausgestopft und ließ den Regen an sich hinunterprasseln.

Daishi zwinkerte.

"Soll ich dir was sagen? Es ist viel besser mit dir, als mit deinem Bruder. Du bist viel schöner und irgendwie - irgendwie weicher. Aber sag ihm das nicht, er hat auch so schon genug Komplexe."

Als Toshiya nicht antwortete machte der Ältere einen Schritt nach vorne, so dass kein einziger Regentropfen mehr zwischen ihren Körpern hindurchtropfen konnte. Daishi strich liebevoll über die fahle Wange.

"Du gefällst mir wirklich... eigentlich bin ich nicht der Typ dafür, aber ich könnte mir vorstellen... nur für dich da zu sein... du würdest mir genügen..."

Toshiya sah in die Augen seines Peinigers. Halb erstaunt stellte er dabei fest, dass seine Pupillen ganz klein waren. Sofort wandte Toshiya den Blick wieder ab.

::Er hat... keine Drogen genommen?::

Waren das nun schlimmere oder bessere Bedingungen?

Als Daishi seine Lippen langsam auf die seinen legte, beschloss Toshiya, dass es gleichgültig war ob Daishi high war oder nicht. Der Geschmack der sich in seinen Mund legte, die Berührung, alles fühlte sich genauso an, wie beim letzten Mal. Eine fremde Hand zog den Reißverschluss seiner Jacke auf, fuhr unter seinen Pullover. Dann, im nächsten Augenblick war sie auf einmal verschwunden und mit ihr auch Daishi. Toshiya war wieder alleine mit sich selbst im strömenden Regen. Mit offenem Mund blickte er um sich. Hatte er geträumt? Wo war -

Einige Meter vor ihm wand sich Daishi auf dem Boden. Über ihm kauerte ein kleiner Junge, der immer wieder mit aller Kraft auf ihn einschlug. Toshiya beobachtete die Szene sekundenlang ohne zu begreifen. Dann, wie unter Schock stapfte er drei Schritte nach links und ließ sich gegen eine Hauswand sinken. Daishi rührte sich nicht. Diese Person mit den halblangen schwarzen Haaren hatte ihn ganz offensichtlich von Toshiya weggerissen und niedergeschlagen und er hatte es vor lauter Schock nicht einmal mitbekommen.

Erschöpft hob Toshiya den Kopf. Seine Knie zitterten so sehr, dass er halb zu Boden sackte. Vor ihm auf dem Gehweg noch immer Daishi, nun reglos, seine Kapuze war zurückgeklappt und dunkelrote Flüssigkeit zog ein Muster aus feinen Linien über seine helle Haut. Dieser Junge mit dem dunklen Blazer trat erbarmungslos auf ihn ein. Nun drehte er den Kopf in Toshiyas Richtung. Wo hatte er ihn schon einmal gesehen? Diese Art wie er sich bewegte - schleichend wie ein Tiger, lauernd... woher kannte er ihn? Erst als der Junge direkt vor ihm stand erkannte Toshiya den misstrauischen Katzenblick.

"Kyo?", hauchte er. Seine Zunge fühlte sich taub an. "Hast du - Daishi-"

"Komm", sagte Kyo knapp, er packte den bleichen Japaner am Arm und zog ihn mit sich. Als sie an dem Körper vorbeikamen, der noch immer ohne Regung auf dem nassen Asphalt lag, konnte Toshiya erkennen, dass Daishis Gesicht entspannt und blutüberströmt war.

Der kleine schmale Junge mit dem durchdringenden Blick zerrte ihn erbarmungslos weiter.
 

"Okaaay... und du bist dir sicher, dass er hier wohnt?"

Kaoru lugte misstrauisch unter seiner Kapuze hervor. Irgendetwas sagte ihm, dass er sich auf Dies Verstand besser nicht verlassen sollte. Vielleicht war es, weil der Rotschopf seit einiger Zeit immer wieder Ich wasche meine Hände in Unschuld vor sich hinmurmelte.

Die beiden waren nach einer regelrechten Odyssee (unter Dies Führung (er hatte Kaoru überwältigt und sich, seinen Freund unter den linken Arm geklemmt, auf eigene Faust auf die Suche nach Toshiya gemacht)) endlich wieder auf Anzeichen menschlichen Lebens gestoßen und Kaoru war so verzweifelt, dass er einfach an der nächst besten Tür klingelte. Und das, obwohl das dazugehörige Haus eine beängstigende Stimmung ausstrahlte. Der Putz war strahlend weiß - so weiß, dass man beinahe geblendet wurde, wenn man einen Blick auf das Namensschild über der Klingel riskierte. Ein großer Junge in Schlabberklamotten, mit schwarzen Haaren und Lippenpiercing entfloh gerade aus dem Vorgarten und es sah ganz so aus, als hätte er versucht ein kleines Feuer unter der Haustreppe zu legen.

"Puh", sagte Die und ließ seine Augen anerkennend in seinen Hinterkopf rollen, "ich hab noch nie so ein weißes Haus gesehen. So weiß und rein wie mein Gewissen."

Aus irgendeinem Grund war Kaoru nicht im Mindesten überrascht, dass ihnen Sakito einige Sekunden später die Tür öffnete. Er trug eine Skibrille.

"Hi, Saki", sagte Kaoru und trat ein. Wieso waren ihm die ausgestopften Frettchen im Küchenfenster nicht bekannt vorgekommen?

"Wir suchen Toshiya. Und was zum Teufel habt ihr mit euerer Hauswand gemacht, man wird ja blind, wenn man sie anschaut! Ich ähm frage nur aus Interesse..."

"Oh, das... das war meine Ma. Sie hat das komplette Haus neu gestrichen, von innen und von außen."

"Alleine?"

"Alleine. Und damit-"

"- der Putz nicht mehr so schnell schmutzig wird, hast du ihr eine selbst gemischte chemisch verfeinerte Farbe angeboten?"

Sakito biss sich schuldbewusst auf die Lippe.

"Genau. Es... ist ein wenig zu weiß geworden, oder?"

"Ein wenig...", nickte Kaoru. "Und wieso trägst du eine Ski-"

"Wenn du Toshiya suchst", unterbrach Sakito hastig, "dann bist du hier falsch. Er ist vor ungefähr zwei Stunden weggegangen, ich glaube er wollte jemanden besuchen."

Kaoru legte die Stirn in Falten. Toshiya hatte freiwillig das Haus verlassen und war noch nicht zurück? Das konnte nichts Gutes bedeuten. Mit Die im Schlepptau war es Kaoru blöderweise unmöglich nach ihm suchen. Immerhin wären sie vor einer halben Stunde beinahe verhaftet worden, weil der Rotschopf das kläffende Hündchen einer alten Dame gebissen hatte.

Gerade als Kaoru den Mund öffnete, um Sakito darum zu bitten sich für eine Weile um Die zu kümmern, sah er sie um die Ecke kommen. Sie lächelte aufgeräumt und trug einen Möbelkatalog in der Hand. Kaoru kannte Toshiyas Familie lange genug um zu wissen, dass er der Hausherrin jetzt besser nicht begegnete.

"Oh, Kaoru, wie reizend!", rief Sayumi Hara begeistert, "und ist das nicht Die? Schick, wie du deine Haare trägst, das steht dir ganz fabelhaft! Schön euch zu sehen!"

"Sie ist in Hochstimmung", flüsterte Sakito.

"Ich seh's", raunte Kaoru zurück.

"Ich geb dir Deckung, auf drei rennst du los", begann der Jüngere wieder, doch seine Mutter hatte Kaoru bereits am Oberarm gepackt und schleifte ihn ins Wohnzimmer.

"Ich überlege gerade, wie ich mein Arbeitszimmer einrichten soll und ich komme einfach nicht weiter. Ich brauche deinen Rat. Schau doch mal, hier, dieser loogfarbene Loomstuhl würde doch perfekt zu meinem Kamelhaarteppich passen, oder?"

Das war das letzte, was Sakito vernahm, ehe sich die Tür hinter Kaoru und seiner Mutter schloss. Der Junge sah betreten in Richtung Wohnzimmer und seufzte auf. Dann hob er die drei Bretter, ein Kästchen Nägel und den Hammer vom Boden auf und schritt mit langsamen, bedeutungsvollen Schritten zu der geschlossenen Tür.

"Es fällt mir nicht leicht, aber - ich muss es tun. Es ist besser so", flüsterte Sakito, klemmte sich eine Handvoll Nägel zwischen die Zähne und setzte das erste Brett an.

"Was tust du da?"

Der Junge drehte sich um.

"Oh, du bist ja noch da."

Zögernd musterte er Die, als wolle er feststellen, ob der Rotschopf seine Mission gefährden könnte. Doch Die machte keine Anstalten ihn von irgendetwas abzuhalten, stattdessen sagte er nur: "Beachte mich einfach nicht. Ich stehe hier nur ein wenig rum."

"Oh, äh, klar."

Gerade, als er den Hammer zum zweiten Mal in die Luft hob, klingelte es an der Türe. Vor sich hinfluchend ließ Sakito sein Werkzeug fallen und eilte durch den Flur.

"Ähm... hi", begann er verwirrt.

Hakuei trat ohne Zögern ins Haus, dicht gefolgt von einem triefenden braunen Haarball, den Sakito mit Mühe als seinen hyperaktiven Klassenkameraden Takumi identifizierte. Erstaunlich, was Haare manchmal tun, wenn sie nass werden.

"Wo ist Toshiya?"

"Ähm..."

Sakito schob Hammer und Bretter verstohlen mit einem Fuß außer Sichtweite.

"Nicht da, das hab ich Kaoru auch schon gesagt."

"Kaoru??", erzürnte sich Hakuei, "Den wird man echt nie los, wie ein Schwarm Moskitos! Wo ist er?"

"Ähm ..."

"Ist ja auch egal."

Hakuei stolzierte auf die Treppe zu und warf seine Jacke im Vorbeigehen über den Kleiderständer.

"Ich bleibe hier, bis Toshiya zurückkommt."
 

"Wie hast du mich gefunden?"

Stille.

"Du warst ewig nicht mehr in der Schule..."

Quietschende Autoreifen irgendwo unten in den Straßen. Stimmengewirr. Womöglich ein Unfall.

"Ich dachte dir ist alles egal..."

Noch immer keine Antwort. Wütend schmiss Toshiya die Decke zu Boden, die über seinen Schultern lag.

"Verdammt, Kyo, sag endlich was!! Wenn du mich ignorieren willst, wieso bist du mir dann zu Hilfe gekommen?"

Er funkelte den Jungen an, der ihm mit ausdruckslosem Gesicht gegenüber saß.

"Ich hatte noch eine Rechnung offen...", sagte Kyo schließlich, und es klang genauso gelangweilt, wie er aussah.

"Du kannst mir nicht weismachen, du hättest ihn zufällig dann verprügelt, als er- als-"

Nach Worten ringend sprang er auf. Wieso schämte er sich so sehr es auszusprechen. Ganz so, als würde er Kyo alles über die perversen Abgründe seiner Seele anvertrauen.

Kyo sah weiterhin lässig aus dem Fenster. Es machte den Eindruck, als würde er den aufgebrachten Jungen nur am Rande bemerken.

"Wenn du es wissen willst, ich hab dich gesucht!"

"Ich will es nicht wissen", antwortete Kyo ohne seinen Blick von den Fensterscheiben zu nehmen.

"Du brauchst Hilfe!"

"Tu nicht so", Kyo gähnte unterdrückt und lehnte seinen Kopf gegen die Wand, "als würdest du mich kennen. Das zieht nicht bei mir."

"Du hast Daishi verprügelt, du hast mich sogar hierher gebracht, ich glaube dir nicht, dass- dass-", wieder rang er mit den Worten, "dass es dir egal ist, was mit- mit mir ist! Du hattest Mitleid, gib es doch zu", fügte er schnell hinzu, um nicht allzu persönlich verletzt zu klingen.

Kyo antwortete nicht sofort, er sah noch eine Weile aus dem Fenster, dann richtete er seinen Blick langsam auf Toshiya. Ohne die Miene zu verändern erklärte er: "Lass mich etwas klarstellen. Es ist mir völlig gleich, was mit dir passiert, oder nicht passiert. Daishi hat sich in meine- Geschäfte eingemischt, also nichts, was mit dir irgendwie zu tun hätte. Du selbst hast in meinen Angelegenheiten herumgeschnüffelt, sei froh, dass ich mit dir nicht das gleiche gemacht habe, wie mit ihm. Ich hatte große Lust. Wenn du glaubst, die Welt dreht sich nur um klein-Toshiya, dann hast du dich geschnitten. Ich bin nicht so schwach wie du. Und jetzt rate ich dir endlich von diesem Selbstmitleidstrip runterzukommen, und zu verschwinden. Du bist mir egal, Toshiya Hara, bilde dir nichts ein."

Über den Raum viel mörderische Stille, nachdem Kyo die letzten Worte ausgesprochen hatte. Er wartete nicht erst eine Reaktion ab, sondern fuhr fort abwesend nach draußen zu starren. Das Stimmengewirr in den Straßen war mittlerweile verklungen und in den Tiefen zwischen den Wohnblocks herrschte eine beinahe noch drückendere Stille, als in Kyos winziger Ein-Zimmer-Wohnung.

Toshiya stand da wie vom Donner gerührt. Dann füllten sich seine Augen mit Tränen. Er hob die Wolldecke auf und schmiss sie Kyo wutentbrannt ins Gesicht.

"Gott, hör doch auf mit diesem arroganten Rumgetue! Wenn dir alles egal ist, wieso bringst du mich dann hierher?! Ich habe dich nicht darum gebeten, mich mitzunehmen!! Und tu nicht so, als würde dir alles gar nichts ausmachen. Ich sehe doch wie du lebst! Deine Wohnung ist eine Bruchbude. Genau das ist dein Problem, du bringst nichts auf die Reihe, du kannst ja nicht mal für dich sorgen! Ich hasse dich abgrundtief, du verdienst es alleine zu sein!! Du weißt genau, dass ich dich gebraucht habe, und ich gebe mir die Blöße es zuzugeben, ich dachte, du könntest mir helfen, aber du bist eiskalt!! Du widerst mich an, ich hoffe du bleibst einsam, für den Rest deines Lebens!"

Mit diesen Worten stürmte Toshiya aufgebracht aus der Wohnung und knallte die Tür hinter sich zu. Im Treppenhaus verhallten seine lauten Schluchzer zwischen den Wänden.

Kyo starrte verwirrt zur Tür. So etwas Kindisches war ihm noch nie begegnet. Es hatte geklungen, als hätte ihn ein kleiner Junge mit kindlichen Vorwürfen angeklagt, ihm nicht genug Liebe entgegenzubringen. Nur hatten Toshiyas Worte tatsächlich einen gewissen wunden Punkt getroffen. Kyo erhob sich von seinem Bett und schlurfte durch das dämmrige Zimmer. Ein vertrautes Elend stieg in ihm auf. Manchmal war die Einsamkeit um ihn herum fast greifbar. Als er das Gefühl hatte an der muffigen Stille ersticken zu müssen, füllte er seine Taschen mit kleinen durchsichtigen Tütchen und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Vielleicht wurde es Zeit diese Stadt zu verlassen, bevor er es nicht mehr konnte. Kyo wusste, dass es schon fast zu spät war. Wenn er jetzt nicht auf nimmer Wiedersehen verschwand, dann würde er es nicht mehr fertig bringen. Er hatte seine Gefühle unter Kontrolle, aber nicht für immer und ewig.
 

"Wieso bist du jetzt so wütend?!"

"Du hast versucht uns einzuschließen!"

"Unsinn!!"

"Doch, du wolltest die Tür mit Brettern zunageln, ich hab gehört, wie du einen Nagel eingeschlagen hast!!! Ich war dort drin alleine mit deiner Mutter, falls dir das entgangen ist!"

"Sie ist liebenswert! Ich wollte nur, dass ihr jemand zuhört!"

"Sie ist wahnsinnig und du wolltest, dass ich mir ihre Philosophie über Möbel und Loomstühle anhöre, bis ich sterbe!!"

"Du übertreibst."

"Du wolltest mich umbringen, gib's zu!"

"Wäre keine schlechte Idee, kann ich dabei irgendwie helfen?"

"Du hältst dich da raus, Hakuei, das ist eine Sache zwischen Sakito und mir."

"Ich muss Essen machen. Entschuldigt mich."

"Du hast versucht mich mit deiner Mutter und ihren Möbelkatalogen in einen Raum zu sperren, dafür wirst du bezahlen. Ich koch dich in deinem eigenen Süppchen, warte nur..."

"Iiiiiek!!!"

Gerade als Sakito versuchte vor einem rasenden Kaoru in die Küche zu fliehen wurde die Haustür aufgeschlossen. Alle Köpfe wandten sich zur Tür. Toshiya kam herein, stieg schnell die Treppe hoch und verschwand in seinem Zimmer. Unten im Flur herrschte urplötzlich Stille.

"Was ist denn mit dem los? Sah ziemlich aufgewühlt aus...", murmelte Sakito, während seine Blicke an Toshiyas Zimmertür haften blieben.

"Scheiße", flüsterte Hakuei und rannte die Treppe hinauf, Kaoru dicht auf seinen Fersen.

"Ich dachte, du wolltest mich umbringen?", rief ihm Sakito empört nach.

"Tsss, ich sehe nur davon ab, weil du dich um meinen Bruder kümmerst. Wie dem auch sei, ihr habt dann sicher alle Hunger..."

Auf halbem Weg in die Küche drehte er sich noch einmal seufzend um.

"Takumi, willst du mir helfen?"

"Oh jaaaa!!", quiekte der Junge, der bis eben noch völlig verloren herumgestanden hatte, und hüpfte an Sakitos Seite.

"Was darf ich denn tun? Karotten schneiden? Salat putzen?"

"Du kannst - den Essig öffnen."

"Toll", gab Takumi zurück und trippelte voraus in die Küche, während Sakito auf den Kleiderständer starrte und zweifelnd fragte: "Ähm, alles ok, Die?"

"So also fühlt sich ein Kleiderständer", kam eine Stimme unter Hakueis Jacke zurück. Sakito drehte sich wieder um.

"Wenn irgendwas ist, dann äh ruf einfach... und viel Spaß noch...", sagte er und verschwand in der Küche.
 

"Toshiya?"

Ein sanftes Klopfen erklang, dann öffnete sich die Tür einen Spaltbreit.

"Kann ich reinkommen?"

Toshiya sah auf.

"Ha-Hakuei?"

Er schniefte. Hakuei trat leise ein und versuchte die Tür geräuschlos in Kaorus Gesicht zu drücken, doch dieser hielt sie fest und folgte seinem Klassenkameraden ins Zimmer. Minutenlang rangen sie stumm miteinander, beim Anblick ihres Freundes ließen die beiden allerdings wieder voneinander ab. Toshiya saß auf seinem Bett und hatte sich in ein Nest aus Decken und Kissen verkrochen. Sein Gesicht lugte verquollen und gerötet aus dem Stoffgewühl hervor.

"Wir ähm... wir...", begann Kaoru und hob hilflos die Arme.

"Wir... machen uns Sorgen um dich. Wirklich. Und wir... wollen nur, dass du weißt, dass wir da sind, also... was auch immer geschieht... ich meine, ich denke jetzt nicht, dass etwas geschehen ist, aber für den Fall, dass, also angenommen jemand würde dir wehtun, rein hypothetisch..."

Toshiya machte Glubschaugen. Hakuei trat Kaoru unauffällig sehr fest auf den Fuß und raunte ihm durch die Zähne ins Ohr: "Nicht so auffällig du Tölpel!".

"Lasst mich alleine...", flüsterte Toshiya matt und schniefte leise. Als Kyo gesagt hatte, er sei ihm egal, hatte sich sein Herz grauenvoll zusammengezogen. Deswegen hatte er so überreagiert. Im Endeffekt hatte er sogar vergessen, sich bei seinem Retter zu bedanken.

Ohne auf Toshiyas letzte Bemerkung zu achten, setze sich Hakuei auf den Boden, packte Kaorus Hand grober, als es nötig gewesen wäre und zog ihn neben sich.

"Autsch, du brichst mir die Hand, du Idiot", flüsterte Kaoru mit zusammengebissenen Zähnen.

"Nett sein! Du willst doch nicht, dass Totchi denkt, wir hassen uns", säuselte Hakuei leise zurück. Toshiya warf seinen Freunden einen misstrauischen Blick zu.

"Was redet ihr?"

"Nichts", entgegneten die beiden hastig und liefen rot an. Toshiya betrachtete erst Kaoru, dann Hakuei mit wachsendem Erstaunen. Schließlich nickte er und sagte nachdrücklich: "Mh, verstehe schon..."

"Hä? Nichts verstehst du! Wir sind gekommen um mit dir zu reden."

Hakuei erhob sich und machte einen energischen Schritt auf das Bett zu, doch Kaoru packte ihn hinten am Hosenbund, und zog ihn zurück auf den Boden. Wieder warf Toshiya den beiden einen komischen Blick zu.

"Du verhältst dich so ablehnend in letzter Zeit und da dachten wir... ist irgendwas... passiert? Vielleicht?", fragte Kaoru so diskret er konnte und ignorierte Hakuei, der ihm schon wieder die Fingernägel in den Handteller bohrte.

Toshiya überlegte kurz - dann lächelte er traurig und schüttelte den Kopf.

"Nein... alles ok..."

"ESSEN!!!", hallte Sakitos Stimme durch das Treppenhaus. Die Jungen sahen sich an.

"Okay, dann...", begann Kaoru verlegen, "gehen wir mal... denke ich..."

Als die beiden sich eine Minute später unbemerkt aus dem Haus schleichen wollten, wurden sie von dem Klang einer energischen Stimme aufgehalten: "Hier geblieben."

Sie fuhren herum. Sakito stand im Flur und schwang etwas, das große Ähnlichkeit mit einer Schöpfkelle hatte, nur wesentlich größer.

"Ihr dachtet wohl ihr könnt entkommen, ohne etwas zu essen? Falsch. Ich hab die Haustür zugenagelt. Von außen. Die Fenster auch. Ihr geht erst dann, wenn ihr meinen Eintopf aufgegessen habt."

Er drehte sich um und fuhr mit veränderter Stimme fort: "Die? Willst du auch was essen?"

"Ich esse aus Prinzip nicht, danke", nuschelte die Stimme unter Hakueis Jacke. Kaoru und Hakuei starrten mit offenem Mund auf die Ecke aus der die Worte kamen.

"Aber du könntest mir einen Gefallen tun", sagte Die nach einer kurzen Pause.

"Was?" Sakito beobachtete, wie die Jacke ein wenig angelupft wurde.

"Ich fühl mich nicht ganz ausgelastet. Wenn du nur diesen Hut und die Anoraks da-"

"Schon verstanden."

Sakito hob ein paar Kleidungsstücke auf, die über den Treppengeländer hingen und verteilte sie gleichmäßig über Dies Körper.

"Danke", sagte Die.

"Äh, keine Ursache", antwortete Sakito zweifelnd und eilte hastig in die Küche.
 

"Was genau ist das?"

Hakuei musterte den Brei auf seinem Teller. Er stach die Schöpfkelle in die Auflaufform, was irgendwie etwas Brutales hatte, und klatschte ein Stück Masse auf Kaorus Teller.

"Hier, mein Freund", zischte er und rammte dem Violetthaarigen den Teller in den Bauch.

"Danke Kumpel", antwortete Kaoru mit gepresstem Lächeln und stach bei dem Versuch einen Bissen aufzuspießen versehentlich seine Gabel in Hakueis Hand.

Toshiya saß nur da, noch immer in feuchten Klamotten und mit verschleierten Augen und schniefte.

Sakito lächelte strahlend.

"Das ist selbst erfunden. Ich nenne es Alles-was-vor-einer-Woche-abgelaufen-ist-Eintopf."

Als er die Gesichter seiner Gäste bemerkte, lachte er klingend.

"Das ist natürlich nur ein Name."

Kaoru erschauderte und wandte den Blick von seinem Essen. Wenn man zu lange hinsah, hatte man das Gefühl in einem Strudel zu versinken.

"Natürlich."
 

Warum wurde er das Gefühl nicht los, den Fehler seines Lebens begangen zu haben? Aber er konnte nicht zurück. Unmöglich. Dann würde doch nur wieder alles von vorne anfangen, und das würde ihn zerbrechen lassen, wie eine gläserne Christbaumkugel. Shinya suchte den Horizont verzweifelt mit den Augen ab, als könnte er dort zwischen den blinkenden Sternen Die erkennen, wenn er nur genau hinsah. Verdammt, jetzt kamen ihm schon wieder die Tränen. Wenn er ihn nur nicht so schrecklich vermissen würde. So lange und heftig wie dieses Mal hatte er sich noch nie mit seinem besten Freund gestritten. Am meisten schmerzte es ihn, dass Die noch nicht einmal einen Versuch unternommen hatte, ihn zurückzuholen. Ganz so, als wäre Shinya ihm völlig gleichgültig. Shinya ließ den Blick über die Wände seines Zimmers gleiten. Wenn er noch länger vollgestopfte Regale aus Buchenholz ansehen musste, würde er wahnsinnig werden. Also schnappte er ein paar warme Sachen aus seinem Schrank und beeilte sich das Haus zu verlassen, ehe sein Vater es bemerkte. Das letzte worauf er Lust hatte, war ein tiefgreifendes Gespräch mit dem Alten.

Er war noch nicht besonders weit gegangen, als ihm etwas Seltsames auffiel. Auf der Autobahnbrücke, direkt neben einem der riesigen grauen Stahlpfeiler, stand ein junger Mann. Er lehnte über dem Geländer und starrte unablässig in die Tiefe. Wie verloren er wirkte.

"He! Was tun Sie da?!"

Shinya begann zu rennen. Es sah nicht gerade ungefährlich aus, was der Mann da trieb. Er lief auf die Brücke zu. Anscheinend hatte die Person ihn nicht gehört, sie ließ sich nur noch tiefer über das Geländer gleiten. Die Autos auf der Brücke zischten an ihm vorbei wie farbige Blitze ohne Notiz zu nehmen.

"Nicht!! Sie fallen, wenn Sie sich noch tiefer über das Geländer beugen!"

Shinya kam keuchend vor dem Mann zum Stehen.

"Passen Sie auf", wiederholte er warnend. Der Mann drehte ihm langsam das Gesicht zu. Shinya unterdrückte einen Entsetzensschrei.

"Uruha!! Um Gottes Willen, was tust du hier?!"

Toshiyas Bruder zitterte am ganzen Leibe, seine Kleider tropften vor Regen.

"Wie lange stehst du schon hier?!"

Uruha antwortete nicht. Seine Haut war weiß wie Papier. Shinya packte ihn entschlossen am Arm und zerrte ihn vom Geländer weg.

"Das ist verdammt gefährlich!! Wieso treibst du dich hier rum?"

Uruha sah ihn nicht an. Er sagte nur leise: "Stundenlang..."

"Was?"

Shinya musterte ihn verwirrt. Er lockerte seinen Griff, ließ ihn aber nicht los. Irgendwie machte Uruha den Eindruck, als würde er sich in die Tiefen stürzen, sobald jemand auftauchte um ihn davon abzuhalten.

"Ich stehe hier schon seit Stunden... und ich traue mich nicht hinunterzuspringen. Obwohl ich es ganz fest vorhatte."

Er drehte Shinya wieder sein bleiches Gesicht zu.

"Jämmerlich, nicht wahr?"

Dann begann er zu schluchzen. Er sah so fürchterlich verloren und zerbrochen aus, dass Shinya die Worte fehlten.

"Komm mit... ich... mach dir nen Tee oder so was...", murmelte er hilflos und zog den anderen Jungen hinter sich her. Was für ein unglaublicher Zufall, dass Uruha sich ausgerechnet diese Brücke ausgesucht hatte. Während er den zitternden und schluchzenden Jungen in sein Zimmer bugsierte und in eine warme Decke wickelte, dachte er über seine Worte nach.

::Er... wollte sich doch nicht wirklich umbringen? Das hab ich falsch verstanden... ::

Shinya wurde blass bei dem Gedanken. Schon seit einiger Zeit hatte er das Gefühl, dass etwas vor sich ging, von dem er nicht die leiseste Ahnung hatte.

"Ich kann nicht mehr nach Hause, nie wieder", sagte Uruha mit zitternder Stimme. Er umkrallte die Tasse, die Shinya ihm in die Hand drückte, so fest, dass man fürchten musste, sie würde zersplittern.

"Wovon redest du? Was ist passiert?", fragte Shinya heiser. Die Situation jagte ihm Angst ein. ::Die, wo bist du, wenn ich dich brauche?::

"I-ich habe Toshiya verraten... ihn verletzt... a-aber ich wollte doch nicht, dass so was passiert... sie verachten mich jetzt... ich kann dort nicht mehr hin..."

Uruha wischte sich mit einer Hand fahrig die Tränen aus dem Gesicht.

"Was hast du getan?", hakte Shinya nach, auch wenn er sich nicht sicher war, ob er es wirklich wissen wollte.

"Ich habe Daishi aufgetragen, sich an Toshiya zu rächen... dafür, dass er mir Hakuei weggenommen hat... und so weiter... er hat ihm so wehgetan... i-ich wollte das nicht..."

Nun wurde Shinya wirklich blass. Er konnte sich in den lebendigsten Farben Daishis Rache ausmalen, dazu bedurfte es keiner weiteren Beschreibung.

"Ich kann nicht weiterleben", erklärte Uruha plötzlich mit so ruhiger Stimme, dass Shinya ihn erschrocken anstarrte.

"Deshalb ist es egal, ob ich dir das erzähle... ich hätte Toshiya ebenso töten können...", er wurde immer leiser, "das wäre auf genau dasselbe herausgekommen. Und ich allein trage die Schuld. Dabei ist er so zerbrechlich..."

Auf einmal erhob er sich und stellte seine Tasse beiseite, ohne auch nur daran genippt zu haben. Ehe Shinya etwas erwidern konnte, war Uruha an der Tür. Er wirkte merkwürdig gefasst. Wie ein Mensch, der zum Schafott schreitet und weiß, dass ihn nichts auf der Welt mehr retten kann.

"Mach's gut. Sag ihnen, dass mir- dass mir alles leid tut und dass ich alles anders machen würde, wenn ich die Chance bekäme noch einmal zu leben. Und - danke."

Und weg war er. Shinya starrte fassungslos auf die offene Tür. Als er endlich aufsprang und in den Flur stürzte, war von Uruha keine Spur mehr. Auch die Straßen vor dem Haus und die Autobahnbrücke lagen verlassen da. Shinya begann zu rennen. Was auch immer er unternahm, er sollte es schnell tun. Was für ein Gefühlsausbruch. Ausgerechnet von Uruha, diesem Jungen, den er nur als verschlossenen arroganten großen Bruder kannte.

Als Shinya die Tasten seines Handys drückte, zitterten seine Finger so sehr, dass er sich ständig vertippte und die Nummer viermal neu eingeben musste.

"Komm schon...", murmelte er, während ihm Tränen in die Augen stiegen. Das war der schrecklichste Tag, den er je erlebt hatte und er betete, dass er nicht in einer Katastrophe enden würde.

12

Kommentar: Dieses Kapitel hat mal wieder eine Ewigkeit gedauert, tut mir echt leid, Leute. In Zukunft hab ich zum Glück wieder mehr Zeit zum Schreiben. Ich habe mich so über euere ganzen lieben Kommis gefreut ^.^!! Es waren wieder so viele, das bringt mich echt immer dazu weiter zu schreiben, auch wenn ich weder Zeit noch Lust habe, daher: Auch wenn länger mal nichts kommt, ich habe nicht vor WP abzubrechen ^^"...so, zu einem ausgedehnten persönlichen Kommentar hab ich im Augenblick zu wenig Zeit (auch wenn ich mich gerne für jeden euerer Kommentare einzeln bedanken würde ^.^), viel Spaß (oder auch nicht) mit dem nächsten Kapitel.
 


 

"Die?"

"Mmh?"

"Die..."

"Was?"

"Die!!!"

"Was ist denn?!"

Sakito zog dem rothaarigen Jungen entnervt eine längliche gelbe Frucht aus der Hand.

"Könntest du endlich aufhören meine Bananen zu beeinflussen? Wenn du dich mit ihnen unterhältst laufen sie braun an..."

Die warf Sakito einen beleidigten Blick zu und trollte sich schmollend in eine weniger beleuchtete Ecke der Küche. Dort blickte er verstohlen um sich und zog schnell eine Banane aus der Innentasche seiner Jacke hervor.

"Bist du auch nur eine Banane, so liebe ich dich doch wegen deiner Persönlichkeit...", säuselte er und streichelte über die glatte gelb-grüne Schale.

"DIE!!!!"

Während Sakito dem Jungen alle Früchte abnahm, die er unter seiner Kleidung versteckte (fünf Bananenstauden) öffnete sich die Küchentür mit ihrer üblichen Geräuschlosigkeit.

"Sakito..."

Eine schwache Stimme wehte ins Zimmer.

"Was?", antwortete der Junge ohne aufzublicken.

"K-könntest du... mal kommen...?"

"Ich bin dabei Die zu filzen, geht das nicht später?"

Als keine Antwort zurückkam hob Sakito den Kopf. In der Tür stand Toshiya. Sakito wollte sich gerade über die Unterbrechung beschweren, als er in die Augen seines großen Bruders sah. In ihnen lag ein merkwürdiges Flimmern, sie waren weit aufgerissen und voller Angst.

"Ist was?", fragte Sakito unnötigerweise und ließ den Fruchtdetektor sinken.

Toshiya gab keine Antwort. Er war weiß wie Papier und seine zitternden Hände hielten ein Telefon umklammert. Sein jüngerer Bruder warf die Bananen von sich und eilte an Toshiyas Seite. Die sammelte hastig die verlorenen Früchte ein, knotete sie in ein kariertes Tuch, schulterte sie, und floh lautlos durch das Fenster.

"Es war Shinya...", begann Toshiya. Sogar seine Stimme zitterte. "Er sagt U-uruha... er hat gesagt, dass..."

Sakito starrte ihn voll gespannter Erwartung an, doch Toshiya brachte kein weiteres Wort mehr über die Lippen. Seine Hände waren so verkrampft, dass ihm das Telefon entglitt.

"Hey, Vorsicht!"

Hakuei schnappte den Hörer drei Zentimeter über dem Küchenboden und gab ihn an Sakito weiter.

"Was machst du nur? Also echt, To-" Seine Stimme brach ab. Er musterte seinen ehemaligen Geliebten, der aussah wie ein fahles Gespenst, das sich im künstlichen Licht der Küchenlampen auflöst.

"Uruha... er... will sich... umbringen... sagt Shinya...", flüsterte Toshiya langsam, als müsse er seine eigenen Worte erst noch richtig begreifen. Dann befreite er sich plötzlich von Hakuei, der ihm den Arm um die Schulter gelegt hatte, und stolperte zur Haustür.

"Wir müssen ihn suchen!", rief er. Seine Hände zitterten noch immer, als er in eine Jacke schlüpfte. "Wir müssen ihn suchen, schnell!"

Und weg war er. Sekundenlang starrten die beiden Zurückgebliebenen auf die offene Haustür. Regen prasselte von draußen auf die blank polierten Flurfliesen. Hakuei reagierte zuerst.

"Saki, du rufst Shinya noch mal an und lässt dir alles genau erklären, ich hole Takumi und Kaoru und laufe Toshiya nach!"

"O-ok", gab Sakito zurück. Er tippte aus dem Kopf Shinyas Handynummer ein und drückte auf Abheben. Während er dem Freizeichen lauschte, das bedrückend lang durch den Hörer an sein Ohr drang, ließ er sich die Worte seines Bruders durch den Kopf gehen. Das Rätsel um Toshiyas Verhalten und Uruhas Eifersucht fügte sich in seinem schlauen Kopf langsam wie ein Puzzle zusammen. Vielleicht wusste er nicht alles, aber es reichte aus um zu begreifen, dass die Lage mehr als ernst war.
 

Er hasste Abschied nehmen. Wann immer er einen Ort verließ wurde er sentimental, auch wenn er den Ort noch so sehr hasste. Mit fünf Jahren, als seine Mutter wieder geheiratet hatte und mit ihm in eine fremde Stadt zu einem fremden Mann gezogen war. Dann, bei der Scheidung, mussten sie wieder gehen. Und wieder ein neuer Mann. Dann war seine Mutter gestorben und seitdem war er zwischen Pflegefamilien und seinem leiblichen Vater hin- und hergependelt, bis er sich entschieden hatte eine kleine Wohnung zu nehmen. Zumindest hatte er in der Stadt bleiben können. Aber dieses Mal würde er gehen müssen. Endgültig. Noch in dieser Nacht.

Kyo knipste das Licht aus. Den Schlüssel hatte er in der Tasche. Irgendwann würde sein Vermieter darauf aufmerksam werden, dass er nicht mehr da war, spätestens wenn die nächste Zahlung fällig wurde. Der Junge schulterte seine Tasche und drehte sich um. Langsam stieg er die Treppe hinunter, Stufe um Stufe, als müsste er jeder einzelnen Lebewohl sagen. Er hatte sein Konto aufgelöst und die wenigen Habseligkeiten zusammengepackt. Sobald sein Fehlen bemerkt wurde, würde man die Schlösser auswechseln und eine zwei- oder dreizeilige Wohnungsanzeige in die Zeitung setzen. Niemand würde nach ihm suchen, denn niemand würde ihn vermissen. So lief das in Armenvierteln wie diesem, wo Wohnblock sich an Wohnblock drängte und alte aufgebrochene LKWs am Straßenrand vor sich hinrosteten. Er hatte es gehasst: Den Lärm, die schreienden Kinder, die kreischenden Mütter, die nächtlichen Krawalle, Besoffene, die sich vor seiner Tür übergaben und nicht zuletzt die ewig lange Fahrt aus dem Vorort zur Schule in die Stadt. Trotzdem zog sich ein feiner stechender Riss durch sein Herz, als er die Haustür zum letzten Mal hinter sich zuzog und die nächtliche Straße entlang wanderte. Noch nie in seinem Leben war es ihm so schwer gefallen Abschied zu nehmen.
 

Kyo war nicht der einzige, der mit aller Kraft versuchte einen Schlussstrich zu ziehen. Seit einer halben Stunde stand ein junger Mann reglos neben den Bahngleisen und starrte wie hypnotisiert auf die Schienen, als würde er darauf warten, dass sie sich bewegten. Mit jeder Sekunde, die verrann, wuchs ein hohles nagendes Gefühl in ihm, dass ihm die Kraft nahm und seine Glieder lähmte.

::Wenn ich noch länger warte, dann kann ich es gar nicht mehr::, schoss ihm durch den Kopf. War er sogar zu feige sich umzubringen? Wie oft hatte er schon vor seinen Freunden damit geprahlt, dass er für seinen eigenen Ruf sogar in den Tod gehen würde, wie die tapferen Samurai? Einfach lächerlich. Jetzt versuchte er schon zum zweiten Mal an diesem Tag seinem Leben ein endgültiges Ende zu setzen. Zwölf oder dreizehn Züge waren schon vorübergerattert, doch anstatt zu springen hatte er nur hier neben den Gleisen gestanden und wie verrückt vor Angst gezittert.

::Wenn ich es nicht tue... wenn ich jetzt - nach Hause gehe... ich kann nicht mehr gut machen, was ich Toshiya angetan habe. Und ich kann nicht mit der Scham leben, mit dieser Feigheit, dass ich es nicht einmal schaffe mich umzubringen. Was verliere ich schon...::, sagte er sich und kratzte ein letztes Mal seinen ganzen Mut zusammen. Er krallte die Hände in seine durchweichte Jeans und trat entschlossen einen Schritt nach vorne. Dann noch einen. Und einen dritten.

Dann hörte er den Zug. Er kam aus der Stadt und schoss gerade um die letzte Kurve bevor er eine eintönige geradlinige Reise durch die flache Einöde der vereisten Felder und Wiesen antrat. Uruha sah nicht hoch. Mit zusammengebissenen Zähnen machte er einen großen Schritt. Den letzten seines Lebens.
 

"Hakuei?"

"... ja."

"Du zitterst."

"... ich weiß..."

"Hast du Angst?"

"... vielleicht..."

"Machst du dir Vorwürfe?

"...weiß nicht..."

"Vorwürfe, dass du ihn hast abblitzen lassen? Dass du an seinem Tod Schuld bist? Dass du jetzt in die Hölle kommst und für immer und ewig für dein Versagen büßen wirst?"

"..."

"Denkst du daran, dass du bis an dein Ende Schuldgefühle haben wirst?"

Hakuei drehte sich mit knirschendem Absatz herum.

"Verdammt Junge, es gibt Momente, in denen man die Klappe hält!!"

Takumi klappte den Mund zu.

"Sorry", murmelte er beschämt, "aber ich konnte es mir irgendwie nicht verkneifen."

"Soll ich es dir verkneifen?", fragte eine wage Stimme, die von hinten unten kam. Die beiden Jungen blieben stehen und sahen sich keuchend um.

"Was-Die?!"

Hakuei starrte entgeistert auf den Boden. Sein rothaariger Mitschüler wand sich in tarnfarbener Kleidung um ihre Beine.

"Wo kommst du plötzlich her?"

"Hergerobbt."

"Aber wir sind gerannt, den ganzen Weg seit Toshiyas Haus!"

"Ich robbe schnell."

"-----"

"Okay okay...", murmelte Die, erhob sich und klopfte soweit möglich den Schlamm von seiner Hose.

"Ihr habt mich durchschaut, ich kam aus dem Kanal."

Hakuei hatte es vor Abscheu die Sprache verschlagen, aber sein Begleiter fragte stattdessen: "Wieso machst du so was?"

Eine Art drogendurchwirktes Grinsen breitete sich langsam auf Dies schmutzverschmiertem Gesicht aus. Er wiegte leicht vor und zurück. Aber ehe er etwas sagen konnte hatte er eine Faust im Gesicht.

"Hier", spuckte Hakuei aus und ließ seine Hand so fest auf Dies Wange klatschen, dass sie sich rot färbte wie seine Haare.

"Damit du dich endlich am Riemen reißt. Jetzt ist keine Zeit für deinen Psychokram. Takumi, gehen wir."

Mit diesen Worten nahmen die beiden ihren Kurs wieder auf. Gerade als sie um die nächste Ecke preschten meldete sich Takumi zu Wort.

"Haku, jetzt warte doch mal, so hat das keinen Sinn!", rief er. Der Wind wehte ihm seine Worte ins Gesicht.

"Hakuei, bleib stehen!! Weißt du nicht, wie groß diese Stadt ist? Wenn wir so kopflos darauf los rennen, finden wir ihn nie und dann - dann ist alles zu spät..."

So plötzlich als hätte jemand einen Knopf gedrückt sank er auf den Boden und schluchzte in seine Hände.

"Wieso sind alle so kopflos und bescheuert? Warum ist Uruha so ein Trottel? Warum lässt er mich allein?!"

Hakuei hielt inne und blickte sich um, innerlich mit sich selbst ringend. Die kleine zusammengesackte Gestalt auf dem Asphalt sah so erbärmlich aus, dass er sein Mitleid nicht zurückdrängen konnte. Er kehrte um, lief die wenigen Schritte zurück, kniete sich neben den Jungen und wuschelte ihm zögernd durch die Haare.

"Ich habe vergessen, dass er dein Freund ist... sorry...", murmelte er, während in ihm alles durcheinander flog. Seit Toshiya Schluss gemacht hatte, war sein Leben ein einziger Albtraum. Sollte dieser Albtraum in einem Tod enden, würde er sich das nie verzeihen. Seltsam, wie schnell aus einem dämlichen Streich, einer Dummheit, bitterer Ernst wird.

"Du hast Recht, wir sollten überlegen, wie man sich am intelligentesten umbringt..."

Und wieso klang alles was er sagte so unpassend, wie ein Clown auf einer Beerdigung.

Er erhob sich mit schweren Gliedern, ging ein paar Schritte und versuchte seine wirren Gedanken zusammenzuhalten.

"Dinge wie Gift, Drogen, Waffen oder so scheiden schon mal aus, er hat nichts bei sich, denke ich zumindest, das wäre zu kompliziert für einen schnellen Tod, er würde Leuten begegnen, die ihn davon abbringen könnten...", er ließ ein freudloses Lachen hören, "...oder hat er Angst sentimental zu werden? Es kann also nicht so schwer sein, ich glaube kaum, dass er sich das gut überlegt hat. Dementsprechend suchen wir nach etwas ziemlich Unspektakulärem und Einfachen. Tja, die Autobahnbrücke scheidet auch aus... dann bleibt noch..."

Er brach ab. Takumi starrte ihn mit weit aufgerissenen Kulleraugen an.

"Die Bahngleise", hauchte er.
 

Der Zug raste vorbei.

Schnell genug, um einen Menschen samt seiner Knochen, Kleider und verzweifelten Träume vom Erdboden zu tilgen. Eigentlich weniger tilgen. Aber welches Wort beschreibt schon das zerfetzende Geräusch, das ein Körper macht, wenn er von einem ICE 256 buchstäblich zermalmt wird?

Jedenfalls raste der Zug vorbei.

Uruha beobachtete die Waggons, die mit hirnwindungsverknotender Schnelle vorüberzischten und ihm beinahe die Nase absäbelten.

Da war der Zug.

Da waren die Schienen.

Aber wo zum Teufel war er selbst? Und warum?

Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, so dass er erst nach geraumer Zeit die Hand bemerkte, die sich fest wie ein Python um seinen Oberarm geschlossen hatte.

"Mann, das war verdammt gefährlich!"

Der Junge, der seinen Arm hielt, als wäre er entschlossen ihn zu seinem Eigentum zu erklären, stieß Uruha unsanft auf den schlammigen Boden zwischen versumpfte Gräser und Steine.

"Du zitterst ja wie ein Kaninchen, das in Autoscheinwerfer schaut...", schimpfte der vermeintliche Retter weiter und ließ sich neben ihn fallen.

"Hast Angst, was? Aber zeigt das nicht, dass du - das da eben eigentlich gar nicht wolltest? Wenn du jetzt erleichtert bist den Boden unter deinem Hintern zu spüren würde ich dir raten in Zukunft einen Bogen um die Gleise zu machen."

Uruha nickte stockend. Wie gelähmt verharrte er auf dem matschigen Untergrund bis die anderen kamen.
 

Toshiya konnte ihn schon von weitem sehen. Er saß zusammengesunken auf dem Boden und seine Kleider trieften vor Regen und starrten vor Schlamm. Noch nie in seinem ganzen Leben war ihm beim Anblick seines Bruders ein größerer Stein vom Herzen gefallen.

"Uruha!!"

Takumi stieß einen spitzen Schrei aus und stürmte an die Seite seines durchnässten Freundes ehe Toshiya auch nur einen Schritt in seine Richtung machen konnte.

"Mann, tu so was nie wieder du Idiot...", murmelte Hakuei gepresst, doch er konnte nicht besonders lange verbergen wie erleichtert er war seinen ehemaligen Geliebten an einem Stück vorzufinden, also umarmte er ihn steif und zog ihn anschließend auf die Füße. Uruha stand einfach nur da ohne sich zu bewegen, sein Gesicht wie das einer Wachspuppe. Takumi schluchzte an seine Brust. Nun erhob sich auch der Retter aus dem Schlamm. Mit einem Stirnrunzeln musterte er die Beteiligten. So rührend und wunderbar diese ganze Szene auch wirkte, irgendetwas verdarb die romantische Stimmung. Uruha starrte auf Toshiya. Toshiya starrte zurück. Vor knapp einer halben Minute hatte er sich so erleichtert gefühlt wie noch nie in seinem Leben und jetzt zwang ihn der Blick seines Bruders wieder auf den Boden und raubte ihm seine gesamte Kraft. Irgendwann bekamen auch die anderen Jungs mit, welche Spannung in der Luft lag. Hakuei zog Takumi vorsichtig von seinem Geliebten weg. Der unbekannte Retter hob die Augenbrauen.

Toshiya fühlte sich wie ein Säugetier umzingelt von lauter gemeinen Velociraptoren. Ein falscher Schritt und alles wäre aus. Er schluckte, öffnete den Mund und brachte keinen Ton heraus. Sein Fuß zuckte ein paar Zentimeter nach vorne.

Uruha stand einfach nur da. Wie eingefroren verrannen die Sekunden die es dauerte bis Toshiya endlich sehr sehr leise sagte: "Ich verzeihe dir noch nicht."

Nach einem kurzen Blick auf die Gleise fügte er hinzu: "Aber tu das nie wieder."

Dann ergaben sich seine Beine endlich wieder seinem Willen.

Er drehte sich um und ging. Einfach so.

Uruha ließ den Kopf sinken. Er hatte keine Ahnung wie er die Worte seines Bruders empfinden sollte. Er hatte in den letzten Tagen so viel empfunden, dass er das Gefühl hatte seines Seele sei von dem ganzen Empfinden in zehntausend Stücke gerissen und hatte eine unendliche schwarze Leere hinterlassen. Das ganzes Leben kam ihm vor wie ein Horrorfilm, der für immer und ewig an der schrecklichsten Stelle hängen geblieben war. Seine hohlen Gedanken wehten mit dem rauen Wind davon, er merkte nicht einmal wie Takumi seine Hand nahm und ihn wegführte.
 

Kaoru ließ sich auf den Boden sinken. Er fühlte sich unsagbar erschöpft und ausgelaugt. Hakuei tat es ihm gleich. Zu zermürbt um zu sprechen verharrten die beiden Jungen eine Weile in Schweigen.

"Ne ganz schön verstümmelte Sache, menschliche Gefühle, was? Immer wenn man glaubt man ist tief verwundet wird einem ein Teil abgeschnitten von dem man gar nicht wusste, dass es da ist. Angeblich ist Liebe unendlich, da ist es nur logisch, dass man alles was damit zusammenhängt auch unendlich verstümmeln kann."

Hakuei und Kaoru lugten mit scheelem Blick über ihre linke Schulter. In einer solchen Situation konnte nur ein einziger Mensch etwas derart Passendes sagen, auch wenn er es anders hätte ausdrücken können. Der Fremde nahm Sonnenbrille, Perücke und Hut ab und öffnete seinen Trenchcoat.

"Die", stellte Kaoru, nüchtern wie der Magen einer drei Wochen alte Leiche, fest.

"Du hast uns angerufen. Ich hab mich schon gewundert woher Uruhas Retter unsere Handynummern hat."

"Ich hab meine Stimmer verstellt. Aber es ist gleichgültig wie viele Leben ich heute wieder gerettet habe. Ich muss etwas erledigen, das von fataler Wichtigkeit ist. Entschuldigt mich."

Der Rotschopf machte einen galanten Knicks, wobei er fast knietief in einer örtlichen Pfütze versank, und ging seines Weges. Hakuei starrte ihm nach. Sein Kopf fühlte sich an wie ausgepresst. Die einzige Frage, die Kaoru dazu einfiel, war: "Sag mir eines, Hakuei. Wie - so?"

"Was fragst du mich?", antwortete Hakuei mechanisch.

"Weil ich spüre, dass du etwas damit zu tun hast. Ich weiß nicht wieso, aber wann immer etwas Abgedrehtes passiert, haben du, Die oder Sakito ihre Verbrecherfinger im Spiel."

Hakuei brachte ein halbes Grinsen zustande.

"Falls du Dies plötzlichen Persönlichkeitswandel meinst, ich hab ihn vorhin geohrfeigt. Vielleicht hat das damit zu tun, dass er wieder normal ist."

Kurze Stille folgte. So eine Stille, in der man von irgendwoher einen Vogel zirpen hört und vereinzelt Blätter vorbeiwehen um in einem absolut kläglichen Versuch das entstandene Schweigen auszufüllen.

"Okay, er ist immer noch nicht wirklich normal, aber äh menschlicher als vorher", sprach Hakuei schließlich den in der Luft hängenden Gedanken aus. Kaoru fuhr sich mit der Hand über das verkrampfte Gesicht. Gerade als der andere zu neuen Erklärungen ansetzte, warf er entnervt dazwischen: "Ich hab es verstanden, bitte sprich jetzt nicht mehr von Die. Ich habe die düstere Ahnung, dass ich das nicht mehr verkraften werde. Eine schreckliche Erkenntnis, zwei Selbstmordversuche und ein Mensch, der mit seinem Wahnsinn ein ganzes Irrenhaus füllen könnte, das ist einfach zuviel für einen Tag und wenn wir jetzt auch noch darüber sprechen und die ganze Sache von neuem aufrollen, dann kann ich für nichts mehr garantieren."

Hakuei grinste nur.
 

Verdammter Regen. Verdammte Tropfen, die ihn bis auf die Knochen durchweicht hatten. Verdammte Fenster, die so undicht waren, dass der Eiswind herein pfiff und den ganzen Raum auskühlte. Verdammtes Wetter und verdammter Tag, verdammte Gefühle und um nicht zu vergessen verdammte Sehnsucht nach Die. Shinya war an dem Punkt angelangt, da er mit sich selbst eine Art Kampf ausfocht, um seinen ex-besten Kameraden und kurzzeitigen Geliebten endgültig vergessen zu können. Und vielleicht war da ja noch Hoffnung. Er musste nicht zwangsweise schwul sein, nur weil er seit fünfzehn Jahren unsterblich in seinen Sandkastenfreund verliebt war. Er könnte sich einfach in Schale werfen und ein paar scharfe Mittelschülerinnen aufreißen. Dieser Gedanke war es, der Shinya endgültig den Rest gab. Wenn er sich eine japanische Mittelschülerin vorstellte musste er unweigerlich würgen. Diese zarten nackten Knie. Er hasste zarte nackte Mittelschülerinnenknie. Sie erinnerten ihn an all die kleinen Mädchen, die ihm jahrelang hinterhergelaufen waren, wie verzückte Kinder hinter einem knuddeligen Welpen. Sie hatten alle diese knappen, wehenden Röckchen getragen, die so vortrefflich ihre zarten nackten Knie betonten und jedes Mal, wenn Die sich nach einem dieser Knie umdrehte, hätte Shinya ihn am liebsten verprügelt. Ja, es war eine harte Zeit gewesen.

Er dachte noch einmal nach. Eben fiel ihm ein, dass es vielleicht doch nicht die Knie waren, nach denen Die sich umgedreht hatte, sondern etwas anderes, das etwas höher lag. Shinya wusste zwar selbst nicht genau, was er damit meinte, aber er fand es noch widerwärtiger, als zarte nackte Mädchenknie.

"Oh, Shin... du hast so zarte, zerbrechliche Knie... fast wie ein Mädchen..."

Shinya erstarrte.

"Wer auch immer du bist, nimm die Hand von meinem ... Knie." Seine Stimme zitterte vor Wut.

"Och, Shin..."

Direkt vor Shinya wuchs ein rothaariger Junge aus dem Boden. Auf den eisigen Blick des Blonden hin zog er augenblicklich seine Finger von dessen Bein.

"Die", Shinyas Stimme versagte beinahe, "wie-"

"Ich hab mich unter deinem Bett versteckt und auf den richtigen Augenblick für meinen Auftritt gewartet", erklärte der Rotschopf. In seiner Stimme schwang eindeutig Stolz mit.

"Seit wann..."

"Seit du hereingekommen bist", er zückte seine Armbanduhr, "also seit halb sieben."

Es war nach Mitternacht.

Plötzlich rutschte Dies Hand erneut an Shinyas Bein hoch. Seine tiefen Blicke zogen den Jüngeren bis auf die Unterwäsche aus.

"Aber deine schönen Knie... ich liebe zarte Knie... Brüste, Hintern, das alles ist langweilig... aber diese Knie sind ein Grund weshalb... ich dich liebe."

Shinya wich mit angewidertem Blick zurück.

"Igitt", kommentierte er ächzend und hielt schützend das nächstbeste Kleidungsstück, das ihm in die Hände fiel, vor seine bloßen Knie.

"Oh, ich vergaß, du hast ja eine Kniephobie!", rief Die aus und biss sich schuldbewusst auf die Unterlippe.

"Mist... aber wie soll ich es dir sonst sagen... ich hatte mir so einen guten Text überlegt..."

"Über meine Beine?!", rief Shinya aus, und vergaß für einen Augenblick das Gefühlschaos, in dem er sich eigentlich befinden sollte.

"Naja", druckste Die verlegen herum und stakste von einem Fuß auf den anderen, "ich kann doch so was nicht... ich weiß doch nicht, wie ich es sonst sagen soll..."

Er holte einmal tief Luft. Von dem lässigen jungen Mann mit der dunkeln Sonnenbrille war nicht mehr übrig (er hatte die Brille abgelegt, deshalb), stattdessen kam es Shinya so vor, als würde wieder der kleine zwölfjährige Daisuke vor ihm stehen, der versuchte die Worte ,Ich mag dich' herauszubringen, das einzige, was ihm noch nie leicht über die Lippen gekommen war.

"Ich mag dich zurück haben, Shinya", sagte er verlegen und senkte den Blick auf die eleganten Lederschuhe (leider ziemlich ramponiert aufgrund von endlosem Durch-den-Schlamm-Robben).

"Du bedeutest mir mehr, als alles andere... du bist mir so vertraut, dass ich deine Zuneigung als selbstverständlich hingenommen habe, aber - ich weiß jetzt, dass ich dich nicht so behandeln darf und - es tut mir ehrlich leid."

Shinya sagte gar nichts. Genau diesen Moment hatte er sich immer ausgemalt. Die, der vor ihm auf die Knie fiel und ihn um Verzeihung bat. Er selbst, der sie ihm mit Tränen in den Augen gewährte und seinem Freund in die starken Arme fiel. An dieser Stelle endete der Traum. Shinya hatte es nie für nötig gehalten ihn weiter zu spinnen, weil Die sowieso nicht in der Lage war sich zu entschuldigen, geschweige denn überhaupt einen Fehler einzugestehen.

Doch nun war er da, dieser lang ersehnte Augenblick. Aber Shinya konnte sich nicht bewegen. Glücklicherweise nahm ihn Die von sich aus in die Arme, sonst wäre die ganze Geschichte doch nicht mehr ganz so gut ausgegangen. Shinya schlang als Antwort zitternd die Hände um die Schultern seines Freundes und presste ihn so fest er konnte an sich. In dieser Stellung verharrten sie so lange, bis der Postbote an der Tür klingelte und eine Eilsendung aus Nordwestkanada brachte (Postboten klingeln immer dann wenn man nackt, unter der Dusche, gerade gestorben oder in eine Liebesszene verwickelt ist, und sei es um ein Uhr morgens).
 


 

"Toshiya?"

Ein sanftes Klopfen schwang durch die perfekt harmonische Stille. Kleine Füße scharrten auf dem wollenen Teppich herum und gelbe Sonnenstrahlen verliehen der Szene eine beinahe übernatürliche Weichheit. Viele Menschen sind schon wegen weniger Kitsch gestorben, doch der betreffende Junge, herausgeputzt wie ein viktorianisches Püppchen, scherte sich nicht um die erstaunliche Atmosphäre, die seine Kleidung in Kombination mit seinem Umfeld ergab. Seine ganzen Sinne waren auf das gerichtet, das hinter der Tür lag, und als er keine Antwort erhielt, drückte er vorsichtig die Klinke herunter und wehte ins Zimmer, wie eine Märchenfee aus längst vergangenen Zeiten.

Der Junge am Schreibtisch wandte seinem holden Gast das müde Gesicht zu.

"Ist das Absicht, Sakito?", war die einzige herbe Frage, die ihm dabei über die Lippen trat.

"Ach, sei doch nicht so", zischte das Püppchen mit entstellend tiefer Stimme und schleuderte den rechten Arm mit derartiger Heftigkeit nach oben, dass eine zartlila Lilie (aus gehärtetem Plastik) vom Ärmel absprang und den Jungen am Schreibtisch beinahe erstach.

"Ich kann ja auch nichts dafür. Es gibt eben Gerichte, die gewisse Opfer erfordern."

"Du opferst Stolz und Männlichkeit?", folgerte Toshiya und starrte zweifelnd an der dunklen Rüschenpracht herab.

"Nein, natürlich nicht", erwiderte sein jüngerer Bruder gekränkt, "aber ich plane ein Mittagessen aus zweihundert Jahre alten mittelenglischen Baumfrüchten, und wenn ich ihr ästhetisches Feingefühl durch meine normale Alltagskleidung verletze, schmecken sie ungenießbar. Also muss ich mich kleiden, wie sie es von den Menschen aus dem viktorianischen England gewohnt sind."

"Obst mit ästhetischem Feingefühl?"

"Eigentlich bin ich gekommen, um nachzusehen wie es dir geht, aber ich kann auch gerne wieder gehen", giftete Sakito ziemlich gereizt.

"Ach ja", fügte er hinzu, "und lass dich gefälligst nicht so hängen, das ist ja grässlich! Ich weiß inzwischen was los ist, hab alles aus Takumi herausgequetscht, und ich bin bereit Rücksicht auf dich zu nehmen, aber nur wenn du selbst dich bemühst über alles hinweg zu kommen."

Toshiya lächelte schwächlich.

"Genau das versuche ich gerade Kleiner-"

"Kleiner?!"

"-nur dass du mich ziemlich dabei störst. Aber ich komme zum Mittagessen. Wann genau?"

Was auch immer Sakito sonst noch sagen wollte, er schluckte es herunter und sagte stattdessen: "In genau fünfzehn Minuten."

"Okay, ich komme dann."
 

Als Toshiya eine Viertelstunde später schließlich die Treppen hinunter stieg erwarteten in zwei interessante Überraschungen in der Küche. Die eine waren Die und Shinya, die verlegen Händchen haltend am Tisch saßen, die zweite war ein mintgrünes Spitzenkleid mit prächtigem Hut, das über einem leeren Stuhl hing.

"Was bedeutet das?", fragte Toshiya und meinte beides.

Mit spitzen Fingern stupste er die Rüschenpracht von der Stuhllehne.

"Hi Die, hi Shin."

Jetzt fiel ihm auf, dass hi Die, hi Shin beide in bunte Seide gewandet waren und niedliche Käppchen auf dem Kopf trugen.

"Nein. Oh nein. Da mach ich nicht mit..."

Langsam bewegte sich Toshiya wieder Richtung Tür. Die und Shinya lächelten nur erhaben schweigend und mit hochroten Wangen, offensichtlich war ihnen nicht ihr Händchenhalten, sondern eher ihre Aufmachung zutiefst peinlich.

"Du. Bleibst. Hier."

Resolut (und mit einer einzigen Bewegung) sprang Sakito hinter der Kühlschranktür hervor, griff das mintgrüne Kleidchen und stülpte es seinem zeternden Bruder über. Dann krallte er sich seinen eigenen Kopfschmuck, setzte ihn auf und surrte ihn mit den langen glänzenden Bändern, die links und rechts vom Hut herabhingen unter dem Kinn fest.

"Du siehst scheußlich aus. Und ich auch. Urgh", würgte Toshiya.

"Sei still und iss. Ich hab dir doch gesagt, dieses Obst ist enorm empfindlich, was Kleidung angeht. Wir müssen sozusagen eine gewohnte Umgebung schaffen."

Sakito knallte vier Teller auf den Tisch.

"Urgh", kommentierte Toshiya wieder, dieses Mal das Essen betreffend.

Es klingelte bevor Sakito strafende Maßnahmen ergreifen konnte.

"Oh, das ist Ryu! Ich mach schnell die Tür auf."

Mit diesen Worten lief er hinaus in den Flur. Die drei Jungen hörten kurz darauf einen spitzen Schrei gefolgt von wildem Lachen. Dann erschien Sakito wieder in der Küchentür, zutiefst ernüchtert und mit zusammengekniffenen Lippen, hinter ihm Ryutaro, der vor Kichern kaum Luft bekam.

"Esst. Ich hoffe es bleibt euch im Hals stecken", zischte Toshiyas jüngerer Bruder mit mörderischen Funkeln in den Augen und stellte auch seinem Koi, der auf einem leeren Stuhl zusammengesunken war, einen Teller vor die Nase.

"Das sowieso", murmelte Toshiya und begann zu essen. In der Stille, die folgte schlichen sich vertraute Gedanken in seinen Kopf. Er dachte an Kyo, an Daishi, an Uruha. All das trieb ihn beinahe in d en Wahnsinn, weil er das Gefühl hatte sich im Kreis zu bewegen. Die Walzermusik, die Sakito plötzlich auflegte, machte es nur noch schlimmer.

"Ähm, Die, Shin, ihr habt euch also wieder versöhnt", sagte er daher laut, einfach nur, um die Musik zu übertönen.

"Ja, wie du siehst... und wir haben uns ausgesprochen...", murmelte Shinya und lächelte leise.

"Wann?"

"Gestern Abend erst."

"Und Die hat keine psychopathischen Macken mehr."

"Nein. Er hat sogar ein menschliches Essverhalten angenommen, nicht wahr, Die?"

"Jupp."

"Schön", antwortete Toshiya, der es unheimlich befreiend fand endlich mal eine gute Nachricht zu hören. "Ich freue mich so, dass du wieder normal bist, Die."

"Mein Freunde nennen mich Ochsenfrosch."

Shinya warf seinem Geliebten einen erschrockenen Blick zu.

"Aber das ist nur mein Spitzname, Shin, ich schwörs!", erwiderte Die hastig und schob sich eine Gabel mittelenglisch viktorianischen Obstauflaufes in den Mund, um seinem Freund zu beweisen, dass er unmöglich weitere Erklärungen abgeben konnte.

Shinya seufzte.

"Naja, normal ist er nicht, Totchi, aber sagen wir: So normal wie es für Die eben möglich ist."

"Die? Wer ist Die?", fragte Die und schluckte runter.

Shinya aß schweigend weiter.

"Und du bist dir ganz sicher, dass du es dir gut überlegt hast? Du willst echt bei ihm bleiben?", sagte Toshiya stirnrunzelnd und Shinya antwortete: "Nein, du hast Recht. Ich sollte ihn wirklich verlassen."

"War doch nur Spaß", warf Die schnell ein und blickte seinen Koi flehend an.

"Ich weiß doch, dass ich Die heiße. So einen tollen Namen könnte ich nie vergessen!"

"Ich weiß doch", erwiderte Shinya, lächelte sanft und sagte nichts mehr.
 


 

"Toshiya?"

"Ja!"

"Da ist jemand für dich an der Tür! Soll ich ihn hereinlassen?"

"Ja, schick ihn hoch", antwortete Toshiya und setzte einen Punkt hinter den letzten Satz seines Deutschaufsatzes. Endlich fertig. Die letzten vier Tage waren außergewöhnlich ruhig verlaufen. Er hatte weder Uruha, noch Takumi gesehen, was ihm selbst Zeit gab, mit der ganzen Situation besser klarzukommen. An diesem Donnerstagabend war er mit seiner Mutter allein Zuhause, sein jüngerer Bruder sah sich mit Ryutaro einen Film an, und Hakuei und Kaoru waren nach eigenen Aussagen zu einem Fußballspiel gegangen. Überhaupt seltsam, wie diese beiden sich seit neuestem benahmen. Gerade so, als wären sie urplötzlich die besten Freunde geworden. Wirklich merkwürdig. Wenn Toshiya es nicht besser wüsste, würde er sagen-

Es klopfte.

"Herein!", sagte der junge Japaner und schlug seine Hefte zu. Ob es Kyo war?

Fast.

Die Deutschhefte entglitten Toshiyas Händen und landeten auf einem Stapel Bücher neben seinem Schreibtisch. Ohne zu begreifen starrte er auf die Person, die leise eintrat und die Tür hinter sich schloss.

"Hallo, Toshiya", sagte der Junge und streckte Toshiya einen Blumenstrauß weißer Rosen entgegen.

"Für dich."

13

Walking proud
 

Autor: Clea

Kommentar: Ich würde mich am liebsten für jeden einzelnen euerer Kommis bedanken, hab aber im Augenblick keine Muße mehr dafür, sorry -.- Ihr bewegt mich wirklich zum Weiterschreiben ^.~ Besonderes Dankeschön an die, die mir regelmäßig schreiben, I luv u all *gg*. Ich weiß auch euere Kritik, Wünsche und Mutmaßungen sehr zu schätzen (manchmal hat mich ein bestimmter Kommi wirklich auf eine Idee gebracht). Nur weiter so ^-^!

Ich denke in diesem Kapi wird es klarer auf welches Pairing (Toshiya x ?) hinaus will, aber vielleicht ändere ich meine Meinung ja noch hehe...(das nur um euch ein wenig zu verwirren ^.°)

Ach ja: Ich weiß, dass ich in Kapitel 12 geschrieben habe, die Rosen seien weiß, und jetzt sage ich plötzlich sie sind rot, aber bitte betrachtet es als künstlerische Freiheit u.u (rot passt einfach besser).

Außerdem lasse ich einen neuen Charakter auftreten. Ich hoffe ihr mögt ihn.

Und das mit der Zusammen- und Getrenntschreibung werde ich nie lernen =.=
 

Teil 13
 

"Hier. Für dich."

Wunderschöne tiefrote Rosen.

Solche, die man seiner Mutter zum Geburtstag schenkt. Oder dem Geliebten.

Toshiya schluckte.

Die kräftig gefärbten Blütenblätter tanzten vor seinen müden Augen auf und ab, wie bunte Glassplitter in einem Kaleidoskop. Dieser Strauß musste ein Vermögen gekostet haben. Über der blutigen Blumenpracht ragte ein verdrossenes Gesicht mit dichter, schwarzer Haarmähne auf.

Daishi.

(Wer hätte es gedacht?U.U Ich muss mich dringend darum kümmern etwas subtiler zu werden)

Sein Gesicht war blutleer, die Lippen krampfhaft aufeinander gepresst, und in seinen Augen lag diese rätselhafte Tiefe, die an Kyo erinnerte.

Toshiyas Gehirn fühlte sich an, wie ein Sieb, das durch zu große Sandkörner verstopft ist. Oder wie ein Abfluss, in dem sich Unmengen von Haaren angesammelt haben, so dass kein Wasser mehr abfließen kann. In seinem Kopf jagten derart viele Gedanken hin und her, dass er keinen einzigen zu fassen bekam. Und wie ein leiser drohender Schatten lauerte irgendwo auf dem Grund seines Bewusstseins die Angst, die er an jenem verregneten Abend, an dem er Daishis Opfer geworden war, zum ersten Mal verspürt hatte, und die seither wie eine zähflüssige schwarze Masse an ihm klebte.

Toshiya starrte sein Gegenüber an, unfähig zu reagieren. Daishi starrte zurück, offenbar entschlossen kein weiteres Wort mehr hinzuzufügen. Nach einer Weile ließ er den üppigen Strauß niedergeschlagen sinken. Ihm schien klar geworden zu sein, dass sein Auftauchen eine (stichhaltige und überzeugende) Erklärung verlangte, also begann er zögernd: "Es tut mir leid, dass ich gekommen bin..."

Er suchte mit den Augen kurz die Regale ab, auf der Suche nach einer Blumenvase.

"...ich weiß du willst mich nicht sehen, aber..."

Kein Gefäß in Sicht, in das ein riesiger Rosenstrauß gepasst hätte. In dem einzigen Glas, das in Frage gekommen wäre, laichte ein Goldfisch.

"...ich wollte dir nur sagen, dass...", Daishi umklammerte mit beiden Händen sein liebliches Geschenk, "...dass es mir unbeschreiblich leid tut. Das, was ich getan habe, ist nicht gutzumachen...nie mehr."

Jetzt zitterten seine Hände. Die Fingerknöchel, die unter der Haut hervortraten, hoben sich auf gruselige Art und Weise von dem unnatürlich satten Grün der Blumenstängel ab. Plötzlich hatte Toshiya das Gefühl, die ganze Situation sei unwirklich, völlig irreal. Das konnte gar nicht passieren, alles war verzerrt. Der Mann, der ihn höchstpersönlich durch die Hölle geschickt hatte, wagte es in sein Zimmer einzudringen, in seine Zuflucht, und ihn um Verzeihung zu bitten. Um Verzeihung! Als hätte er Toshiyas Lieblingspullover zerrissen, oder seinen Hamster eingesaugt. Dabei wirkte er wie ein eingeschüchterter Schuljunge, der vor Aufregung und Scham zitterte, die Haut weiß wie Krepp, der Mund trocken und verzogen. Wie ein anderer Mensch.

War das der wahre Daishi? Verängstigt und in sich zusammengefallen, einsam und untröstlich? Man musste einfach Mitleid haben mit dieser jämmerlichen Gestalt.

Wenn da nicht diese Augen wären. Toshiya konnte dem Blick seines Gegenübers nicht standhalten. Welches Gefühl auch immer über Daishis Gesicht huschte, seine Augen sparte es jedes Mal aus, sie blieben unverändert. Dieses kalte tote lidlose Starren brachte Toshiyas Blut zum Gefrieren.

"...aber es ist mir wichtig, dass du wenigstens weißt, dass ich- es nicht wollte", fuhr Daishi unsicher fort und wurde dabei immer leiser.

Er wollte es nicht, wiederholte Toshiya in Gedanken. Na, wie toll für ihn.

"...du weißt, ich habe ein Problem mit Drogen. Das ist ja ein offenes Geheimnis. Und als ich - dir das angetan habe, war ich völlig zu. Erst später habe ich bemerkt, was ich getan habe. Auch als ich - dich das zweite Mal - belästigt - habe... bitte verzeih."

Toshiya starrte seinen Gast nur weiterhin an. Seine Gedanken konnten Daishis Worten nicht folgen. Wie zum Teufel kam er überhaupt so urplötzlich hierher? Wie konnte er es wagen hier aufzutauchen? Für das, was er getan hatte, hätte Toshiya ihn vor Gericht bringen können. Und genau das hatte dieses sadistische Schwein eigentlich verdient: Eine dunkle, feuchte Zelle bei Wasser und Brot, bis ans Ende seines wertlosen Lebens.

Und dennoch: Wie Daishi gerade zu ihm sprach war verblüffend - als wäre er von jetzt auf gleich ein anderer Mensch geworden. War er vielleicht schizophren? Ein Irrer?

Genau das machte Toshiya so unbeschreiblich Angst, diese verdammte Unberechenbarkeit. Und was noch viel gespenstischer war: So sehr er diesen Menschen verabscheute, so sehr er ihn auch hasste und fürchtete - er konnte sich nicht gegen das Mitgefühl wehren, das in seinem Herzen aufkeimte. Wenn dieser Verbrecher so weitermachte, würde Toshiya am Ende noch Verständnis für ihn aufbringen, auch wenn seine Entschuldigungen noch so geheuchelt, und seine Argumente noch so fadenscheinig waren. So stark war Toshiyas Verlangen endlich mit der Sache abzuschließen. Der ständige Hass ermüdete ihn, es war so anstrengend ununterbrochen einen Schutzschild um sich herum aufrechtzuerhalten. Er wollte so gerne vergeben. Vergeben und vergessen.

Toshiya spürte, wie seine klaren, bodenständigen Gedanken abflossen wie altes Spülwasser und seinen Verstand gleich mitnahmen. Er war nur zu gewillt, Daishi zu glauben. Vielleicht bedeutete dies das Ende seiner Angst.
 

"Ich sollte gehen... du musst mir nicht antworten, es ist nur-"

Der schwarzhaarige Junge machte eine zuckende Bewegung in Toshiyas Richtung, dann fiel er wieder in seine alte, steife Haltung zurück. In seinen Augen lag auf einmal ein flehender Ausdruck. Sie wirkten dabei beinahe lebendig.

"-es ist ein Verbrechen, das ich dir angetan habe. Aber bitte versteh, weshalb ich so war...", plötzlich brach es aus ihm heraus, wie die Kohlensäure aus einer Coladose, die man zu heftig geschüttelt hat, "... noch nie wollte ich so sehr jemanden halten, wie dich. Ich bin drogenabhängig seit ich zehn bin. Mir war immer alles egal und ich war allen egal. Du bist der erste Mensch, für den ich ernsthaft etwas empfinde", stammelte er abgehackt. Er verbarg das Gesicht in der rechten Hand, um das tränenloses Weinen zu verbergen, das seinem Gefühlsausbruch folgte. Der Rosenstrauß baumelte lose in der linken wie ein abgerissenes blutiges Körperteil.

"Ich versuche clean zu werden, aber ich brauche irgendjemanden, der mir hilft. Uruha hat mir die Freundschaft gekündigt, Kyo ist weg. Außer den beiden habe ich niemanden. Aber du, du bist anders, das weiß ich... ich mag dich wirklich, Toshiya, lass mich wieder gut machen, was ich dir angetan habe, ich kann auch anders sein. Bitte, du musst mir glauben!"

Daishi stolperte wie betrunken einen Schritt nach vorne. Toshiya wich an den Schreibtisch zurück.

"Bitte, du musst mir glauben, bitte...", wiederholte sein Peiniger mit leisem Schluchzen wie eine Beschwörungsformel. Er ließ die Blumen fallen, tat einen Schritt zurück, dann einen weiteren. Dann drehte er sich einfach um und stürzte durch die Tür. Toshiya wandte den Kopf nach links. Durch sein Fenster konnte er Daishi kurz darauf über die Straße in den Park laufen sehen, die Haltung noch immer so starr, als hätte er ein Brett verschluckt, und auf dem Gesicht ein Ausdruck von unsagbarem Schmerz.

Toshiya zitterte. Zuerst leicht, dann immer stärker. Er hob seine fahrigen Hände zum Gesicht, wischte sich über die Stirn und den Hals.

Er krallte seine Finger in den T-Shirt Stoff vor seiner Brust und schrie.
 

"Meine Güte, wieso schreist du denn so?"

Die Zimmertür wurde aufgerissen. Vor ihm stand sein jüngerer Bruder, in Jacke, Schal und Handschuhen, offenbar war er gerade eben nach Hause gekommen.

"Und wer war der Junge, der wie ein Irrer aus unserem Haus in den Park gerannt ist?"

Toshiya konnte nicht antworten. Er war auf dem Boden zusammengesackt und umklammerte gewaltsam seine Schultern.

"Na, auch egal...", antwortete Sakito sich selbst mit einem Schulterzucken. Nach kurzem Zögern kniete er sich neben seinen Bruder und strich ihm mit ungewohnter Zärtlichkeit über den Rücken.

"Hey, ist ja schon gut... schrei, wenn es dir dann besser geht... glaub mir, das ist ein gutes Zeichen...", flüsterte er mit weicher Stimme.

Toshiya blickte ungläubig auf. Es war ein gutes Zeichen, dass er sich fühlte, als hätte man ihn in eine dunkle, tiefe Schlucht gestoßen?

"Ich mach uns was zu essen, ja? Dann geht es dir sicher gleich besser."

Sicher, dachte Toshiya, weil er dann mit dem Brechreiz kämpfen musste. Das lenkte natürlich ab.

Über sein Gesicht huschte ein müdes Lächeln. Die Beklemmung, ausgelöst durch Daishis Besuch, schwand bereits. Allmählich fühlte er sich wieder sicher und geborgen.

"Gut, dann machen wir es so. Ryu ist auch da, wir essen dann in einer halben Stunde."

Sakito erhob sich wieder. An der Tür drehte er sich noch einmal um.

"Totchi? Weißt du eigentlich, dass in dem Wasserglas da ein Goldfisch laicht?"

Toshiya hob den Kopf.

"Weiß ich."

"Oh", antwortete Sakito und zog die Tür hinter sich zu.
 

Er wusste es nicht. Kaum hatte sein Bruder den Raum verlassen, sprang Toshiya auf und eilte an das Regal neben seinem Bett. Tatsächlich. Und er hatte gedacht, der Fisch sei tot. Von was hatte er sich nur all die Wochen ernährt? Absolut erstaunlich. Er hob das Glas an, unschlüssig, was er damit machen sollte, stellte es aber nach einigem Nachdenken wieder an seinen Platz zurück.

Was soll's, dachte er bei sich und lief zu seinem Kleiderschrank, um einen warmen Pullover herauszusuchen.

Auf einmal hielt er inne.

Uruha hat mir die Freundschaft gekündigt, Kyo ist weg. Außer den beiden habe ich niemanden. Aber du bist anders, hatte Daishi gesagt.
 

Kyo ist weg.
 

Was sollte das heißen? Was meinte er mit ,weg'?
 

Es hätte nicht funktioniert, sie waren einfach zu verschieden.

Kyo löste ein Zugticket. Zum hundertsten Mal wanderten seine Gedanken im Kreis und kamen bei Toshiya an. Mit jeder Meile, die zwischen ihnen lag, wurde Toshiyas lachendes Gesicht vor seinem geistigen Auge klarer, und das Verlangen zu ihm zurück zu kehren stärker. Bisher hatte Kyo immer das Gefühl gehabt richtig zu handeln, wenn er irgendeinen Ort für immer verlassen hatte, doch dieses Mal fühlte es sich so an, als hätte er sich vom letzten Lichtblick seines kümmerlichen Lebens für immer abgewendet. Langsam ging ihm auf, dass Toshiya seine letzte Chance gewesen war.

Verdammt. Und nun?

Der Zug hielt mit quietschenden Rädern. Neben Kyo schoben sich noch eine junge Asiatin mit Kind und eine Handvoll älterer Herren in den Waggon. Einer der Männer murmelte voller Verachtung "Überall krummbeinige Japsen hier". Kyo suchte ein verlassenes Abteil, fand es, und ließ sich auf einen zerschlissenen Sitz am Fenster fallen. Geistesabwesend starrte er in die Landschaft, aber das einzige, was er sehen konnte, war sein eigenes Spiegelbild im Zugfenster.

Es war zu spät. Jetzt konnte er keinen Rückzieher mehr machen. Immerhin spielte er schon seit langem mit dem Gedanken ein paar alte Freunde aufzusuchen, um in ihre Aktivitäten einzusteigen.

Krumme Geschäfte sind das einzige was mir liegt, nahm Kyo mit blassem Lächeln zur Kenntnis. Und vielleicht hatte er ja Glück. Dann könnte er richtig richtig viel Geld machen, obwohl er noch nicht einmal ganz volljährig war. Das Gesicht eines aufrichtigen, anständigen Bürgers stand ihm sowieso nicht. Sollte es ihm gelingen Fuß zu fassen, und nebenbei noch ein kleines Vermögen zu machen, würde er vielleicht den Mut finden zu Toshiya zurückzukehren.
 

+~+~+~+~+~+~+~+~+
 

"Toshiya, kommst du endlich, oder bist du am Boden festgewachsen?"

Kaorus genervte Stimme hallte durchs Treppenhaus und ließ den jungen Japaner aufschrecken.

"Jaja, gleich, warte noch kurz...", brüllte er zurück, und fuhr sich mit einer tiefschwarzen Maskara ein paar Mal durch die dichten Wimpern. Es war das erste Mal seit einer halben Ewigkeit, dass er Make-up auflegte, und er hatte zu seinem großen Bedauern feststellen müssen, dass er sich dabei wieder wie ein Anfänger anstellte.

Drei Wochen waren vergangen seitdem Daishi Hals über Kopf aus seinem Zimmer geflohen war. Der Blumenstrauß, das einzige Beweisstück dieses merkwürdigen Besuchs, verwelkte in einer Zimmerecke hinter einem Stapel Bücher (Toshiya hatte ihn dort versteckt aus Angst die anderen könnten Fragen stellen). Ihn wegzuwerfen hatte er einfach nicht übers Herz gebracht, immerhin hatten die wunderschönen Rosen ihm nichts zuleide getan. Was Kyo ist weg bedeutete, hatte Toshiya auch sehr bald festgestellt. Der katzenhafte Jungen war wie vom Erdboden verschluckt: Er kam nicht mehr zur Schule, in seiner Wohnung wohnte ein junger brasilianischer Flammenwerfer, sein Handy war aus und niemand hatte eine Ahnung wohin er gegangen sein könnte. Kyo musste bei Nacht und Nebel seine Taschen gepackt und die Stadt verlassen haben, ohne eine einzige Menschenseele davon in Kenntnis zu setzen. Sobald Toshiya sich dieser Sache bewusst geworden war, hatte ihn ein jäher Zorn übermannt. Obwohl er keinerlei Verbindung zu dem mürrischen Schüler gehabt hatte, fühlte er sich von ihm im Stich gelassen. Obendrein vermisste er ihn schrecklich. Es war, als hätte alles Interessante, all das was einen Tag aufregend macht, sein Leben verlassen. Zurück blieb eine öde Leere. Wenigstens fehlte auch von Kyos verbrecherischem Bruder Daishi jede Spur.

"Toshiya!!!!" Kaoru klang jetzt nicht nur ungeduldig, sondern auch mäßig gereizt.

Toshiya hatte fest versprochen mit ihm und Hakuei ein Fußballspiel anzusehen, als ihn plötzlich der Drang gepackt hatte sich zu schminken. Nun warteten die beiden Jungen seit geraumer Zeit im Wohnzimmer, da das Spiel jede Minute beginnen würde.

"Toshiya?"

Wieder war es Kaoru, der nach oben ins Bad rief, doch diesmal klang seine Stimme merkwürdig.

"Totchi, komm schnell!"

Toshiya ließ die Maskara sinken. Er zögerte kurz, dann stürzte er mit dem Wimpernkämmchen in der rechten Hand auf den Flur. Unten am Fuß der Treppe stand Kaoru und fuchtelte wild mit den Armen.

"Komm schnell, das musst du dir ansehen!"

Toshiya sprang die Stufen hinunter und eilte ins Wohnzimmer. Hakuei, Sakito und Ryutaro saßen auf dem Sofa im Wohnzimmer, den Blick starr auf die flimmernde Mattscheibe gerichtet. Offenbar waren sie gerade dabei sich eine Daily Soap reinzuziehen, denn eine junge Frau mit zerzauster Kurzhaarfrisur schluchzte ganz herzzerreißend in die Kamera und brabbelte irgendetwas von "Hölle auf Erden", "Furchtbares Massaker" und "Mülltütenfabrik".

Toshiya legte den Deckel seiner Wimperntusche neben das schnurlose Telefon.

"Mann, Kao, hast du mir einen Schrecken eingejagt! Ich dachte schon irgendetwas Schlimmes wäre passiert, stattdessen sitzt ihr hier herum und schaut Seifenopern", beschwerte er sich.

"Psssst!!!", machte Sakito genervt, während er weiterhin wie gebannt auf den Fernseher starrte.

Zu der jungen Frau mit den zerzausten Haaren hatte sich ein Mann gesellt. Er hielt ein großes haariges Mikro in der Hand und verkündete mit sachlicher klarer Stimme: "Einer der Täter konnte gefasst werden, von den übrigen fehlt jede Spur. Die Polizei ermittelt."

Oben links wurde das verschwommene Bild eines jungen Mannes mit Lippenpiercing, asiatischen Zügen und auffällig tätowierter Brust eingeblendet. Seine Augen wurden von einem schwarzen Balken verdeckt.

"Ein erster Gottesdienst für die zwölf Opfer findet heute Abend um sechs Uhr in der Dorfkirche Hintertupfingen statt", fuhr der Sprecher fort. Die schluchzende Frau war weggeführt worden, stattdessen war nun im Hintergrund eine kleine gotische Kirche zu sehen.

"Wir melden uns wieder mit den Tagesthemen um 21 Uhr. Guten Abend."

Eine grässliche Musik ertönte und das Bild mit dem Nachrichtensprecher wurde durch eine strahlende gertenschlanke Dame ersetzt, die einen besonders schmackhaften Diätyoghurt anpries.

"Häh?", kommentierte Toshiya. "Was war denn da los?"

"Eine Bande Jugendlicher hat eine Mülltütenfabrik in Hintertupfingen überfallen, und ein regelrechtes Massaker hinterlassen. Sie sind ins Verwaltungsgebäude eingebrochen und haben wertvolle Papiere mitgehen lassen, und dann nach Lust und Laune unter den Angestellten gewütet.", erklärte Hakuei mit matter Stimme.

"Das ist ja grässlich", antwortete Toshiya mit aufgerissenen Augen. "Was meinst du mit ,gewütet'?"

Hakuei rieb sich die Lippen als sei die Sache zu furchtbar, um sie auszusprechen.

"Sieben Männer und sechs Frauen wurden gefunden..."

Toshiya schlug sich die Hand vor den Mund.

"Tot? Zerstückelt?", rief er entsetzt aus.

"Nein. Schlimmer. Sie trugen Clwonmasken und sahen aus wie komplette Idioten. Hinzu kommt, dass sie brutal geknebelt waren."

Toshiya riss den Mund auf angesichts dieser Gräueltat.

"Clownmasken?!!"

"Ja, sie sahen aus, wie Idioten", wiederholte Hakuei. Kaoru und Ryutaro schüttelten betreten den Kopf, während Sakito sich über mangelnden Polizeischutz auszulassen begann.

"Es handelt sich um eine Art Verbrecherverband. Die Polizei ist da auf ein riesiges Netz finsterer Machenschaften gestoßen. Unter den Tätern sollen viele japanische Immigranten sein."

"Na und? Die können uns nicht ausweisen, wir haben deutsche Staatsbürgerschaft!", sagte Toshiya. Seine Wangen waren bleich geworden.

Hakuei schüttelte den Kopf.

"Das nicht, aber... ach ich weiß nicht, es ist doch irgendwie gruselig, oder?"

Eigentlich war es ein anderer Gedanke, der ihn beschäftigte, aber Hakuei hatte nicht die geringste Lust ihn vor den anderen Jungen auszubreiten. Ganz besonders nicht vor Toshiya. Sein Ex-Geliebter hatte genug eigene Probleme, die er bewältigen musste, da brauchte er nicht noch über die Mutmaßungen seiner Freunde nachzugrübeln.

Kyos urplötzliches Verschwinden hatte Hakuei nur mäßig interessiert, er hatte das kleine kriminelle Gör nie ausstehen können. Und seinem Bruder Daishi würde er sowieso am liebsten die Augen auskratzen. Jetzt dämmerte ihm, wohin die beiden gegangen sein könnten.

Vielleicht sollte ich besser auf Toshiya aufpassen, dachte Hakuei, es ist nur so eine dunkle Ahnung.
 

"Hintertupfingen! Das ist ja ganz in der Nähe! Ich wusste gar nicht, dass es da so eine große Fabrik gibt..."

Kaoru lehnte sich in seinem Stuhl zurück und bohrte einen Löffel in sein Eis.

"Könntest du bitte aufhören unsere ganzen Löffel zu zerstören?", brummte Sakito und beobachtete, wie Kaoru der siebte Löffel im Eis stecken blieb und abbrach.

"Es ist einfach zu hart, Saki! Wie soll ich das denn bitte essen?"

"Das hat Walnussschaleneis nun mal so an sich", gab Sakito gereizt zurück, brach sich gekonnt ein Stück von seinem eigenen Nachtisch ab und steckte es in den Mund.

"Du meinst Walnusseis, oder?", sagte Ryutaro vorsichtig und leckte versuchshalber über seine Kugeln. Offenbar schmeckte es allerdings nicht besonders erquickend, weil er seinen Becher daraufhin auf den Tisch zurückstellte und nicht mehr anrührte.

"Nein, ich meine Walnuss-schalen-eis. Die Schale ist doch das gesündeste daran! Man stellt das Eis aus ganzen, unzerkleinerten Walnussschalen her, das ist das Geheimnis."

"Das ist mir neu", flüsterte Hakuei, und Kaoru und Toshiya grinsten spitzbübisch. Den drei Jungen war längst bewusst geworden, dass Sakitos Einfälle (und seines Rezepte) unerschöpflich waren. Mit anderen Worten: Seine mörderische Kreativität würde wohl erst dann ein Ende finden, wenn er die gesamte Weltbevölkerung auf dem Gewissen hatte, und niemand mehr lebte, an dem ein Kochrezept ausprobiert werden konnte. Sakitos gewaltige Intelligenz hatte sich bisher nur als gewaltiger Nachteil erwiesen. In den letzten Tagen hatte er sogar angefangen eine völlig neue Theorie über den Zusammenhang aller Lebewesen und Pflanzen hinsichtlich ihrer Genießbarkeit aufzustellen. Sollte ihm dies gelingen, so würde er dafür aller Wahrscheinlichkeit nach den Nobelpreis bekommen, hatte Sakito ihnen erklärt. Sollte seine Theorie aber falsch sein - was sehr unwahrscheinlich war - würde man ihn auf der ganzen Welt für einen armen irren Koch halten. Und er fühle sich nicht als Koch sondern als Künstler. Toshiya hoffte inbrünstig das letztere möge zutreffen. Nicht auszudenken, welches Ausmaß Sakitos Kochkünste annehmen würden, wenn er erst einmal Bestätigung darin fand.

"Hintertupfingen", wechselte Ryutaro umsichtig wie immer das Thema.

"Das kommt doch nach Großkuchen, oder? Und vor Kleinheufeld."

Kaoru schüttelte den Kopf.

"Nein, erst kommt Deselchsgeweihausen, dann Hintervorderstädtlein, dann Bonn, Kleinkuchen und Großkuchen und dann Hintertupfingen. Hättest du einen Führerschein, wüsstest du das Ryu. Alles (außer Bonn) sind Käffer mit maximal dreihundert Einwohnern."

"Bonn?" Sakito drehte mit misstrauischem Blick seinen Eislöffel in den Händen.

"Ja, das ist eine große Stadt in Nordrhein-Westfalen", erklärte Kaoru geduldig, und versuchte so zu tun, als würde er das Eis, das genau vor seiner Nase stand, nicht bemerken.

"Und die heißt wirklich Bonn? Was für ein bescheuerter Name! Echt, manchmal frage ich mich, was die Leute genommen haben, die sich diese Städtenamen ausgedacht haben...", sagte Sakito und servierte großzügig noch eine Runde Eis.

"Ich will eher wissen, was du genommen hast", murmelte Toshiya, verstimmt weil er nun eine weitere Portion Eis sang und klanglos irgendwo verschwinden lassen musste, und die erste Portion war ihm schon weiß Gott schwer genug gefallen. Als er keine Lust mehr hatte ein Versteck für die Eiskugeln zu suchen, stand er einfach auf, ließ seinen unberührten Becher stehen, und ging auf sein Zimmer.

Verwundert hob Hakuei den Kopf. "Was hat er denn? Und hat vielleicht jemand meinen Schneidezahn gesehen?"

Sakito blitzte ihn giftig an.

"Haha, Hakuei. So hart ist das Eis auch wieder nicht, dass deine Zähne daran abbrechen!"

Hakuei grinste nur entschuldigend, nahm unauffällig einen Walnussschaleneisbrocken in die Hände und rieb ihn eine Weile zwischen den Handflächen.

"Aha", verkündete er schließlich und schnippte das Stück zurück in den Becher, "wie ich mir gedacht habe. Das Eis schmilzt noch nicht mal. Da ist dir aber gründlich was misslungen, Sakito."

Dieser verzog nur missmutig das Gesicht.

"Tsss, manche Menschen können Versagen und Genialität einfach nicht auseinander halten. Es handelt sich selbstverständlich um ewiges Eis - also Eis, das nicht schmilzt. Es muss nicht kühl gelagert werden, versteht ihr? Es ist so gut wie unkaputtbar." (ja, dieses Wort existiert tatsächlich)

"Und wie stellst du dir dann vor, dass dieses Eis sich im Magen auflöst? Durch Magie?", fragte Hakuei mit einem Stirnrunzeln.

"Du hast keine Ahnung von biochemischen Reaktionen, oder?", antwortete Sakito nur und stopfte sich ein ganzes Bällchen Eis auf einmal in den Mund, um keine weiteren Fragen mehr beantworten zu müssen.
 

Toshiya knipste das Licht aus und schloss die Augen. Obwohl der Schultag, das Mittagessen, der Kuchen danach, der Fünf-Uhr-Tee, das Abendessen und anschließend der Nachtisch ihn wahnsinnig geschlaucht hatten, war er hellwach.

Naja, dann wälze ich mich eben ein paar Stunden herum, bevor ich einschlafe, dachte er.

Oder ich schalte das Licht wieder ein und zähle Goldfische.

Das Wasserglas mit dem Fischlaich, das er vor drei Wochen bemerkt hatte, genügte längst nicht mehr um die Unmengen von kleinen Fischen zu fassen, die aus den Eiern ausgeschlüpft waren, also hatte Toshiya einfach noch ein paar weitere Gläser dazugestellt, und die Tiere gleichmäßig auf alle verteilt. (Anm. der Autorin: Ich habe keine Ahnung von Biologie, wie vielleicht jemandem aufgefallen ist) Allerdings laichten Goldfische irgendwie unheimlich häufig, und er würden bald nicht mehr genug Gläser auftreiben können um all den schillernden Wassertieren, die täglich irgendwo ausschlüpften, ein feuchtes Zuhause geben zu können.

Und überhaupt war es ihm ein Rätsel wie um alles in der Welt alles begonnen hatte? Wie konnte ein einziger Fisch laichen, der noch nie mit einem glubschäugigen Partner in Kontakt gekommen war? Vielleicht hätte er in Religion besser aufpassen sollen. Hatten Fische eigentlich Ohren?

In so tiefgründige, weltbewegende Fragen vertieft wäre dem jungen Japaner beinahe das leise kratzende Geräusch entgangen, das irgendwo aus den tiefen seines Zimmers drang. Ihm blieb beinahe das Herz stehen, als ihm auffiel, dass es draußen weder windig war, noch regnete. Trotzdem tönte aus der anderen Zimmerecke unverkennbar ein leisen regelmäßiges Scharren. Toshiya kniff die Augen mit pochendem Herzen zusammen. Das Ticken seines Weckers kam ihm plötzlich wahnsinnig laut vor. Es war nach Mitternacht.

Als die Türklinke ging bekam er beinahe einen Herzinfarkt. Er öffnete kurz die Augen, um sie danach nur noch fester aufeinander zu pressen. Tatsächlich. Soeben war seine Zimmertür aufgegangen. Draußen im Flur blieb es stockdunkel. Niemand machte Licht. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten?

Er hörte leisen Atem. Langsame behutsame Schritte.

Plötzlich ertönte ein dumpfes Geräusch, das genauso klang, als würde jemand ein Wasserglas auf dem Teppichboden umstoßen.

"Oh verfl-", sagte ein Stimme beinahe unhörbar. "Was war das?"

Dann eine zweite, kaum mehr als ein Windhauch: "Ein Wasserglas. Der ganze Boden ist voller Gläser!"

"Sind das Fische?"

Toshiya lag in seinem Bett und wusste nicht, was er davon halten sollte. Irgendjemand war in sein Zimmer eingedrungen, aber er hatte plötzlich nicht mehr das Gefühl sich in Gefahr zu befinden. Das änderte sich allerdings, als es schlagartig wieder still wurde. Gespenstisch still. Nach einer Weile - er glaubte schon alles geträumt zu haben - wagte er die Augenlider einen Spalt zu heben - und konnte nur mit Mühe einen Entsetzensschrei unterdrücken. Direkt neben seinem Bett, zwanzig Zentimeter von seinem rechten Ohr entfernt, stand jemand. Ein dunkler Schatten, völlig regungslos. Als sich einen Herzschlag später eine Hand auf seinen Mund legte, hatte Toshiya das Gefühl vor Schreck zu sterben.

Jemand beugte sich über ihn. Der junge Japaner riss entsetzt die Augen auf und starrte in die Dunkelheit, so verzweifelt bemüht etwas zu erkennen, dass grüne Punkte vor seinen Augen auf und nieder tanzten. Das Mondlicht, das durch die Ritzen seines Rollos fiel stellte eine zusätzliche, wenn auch spärliche Beleuchtung dar. Doch das einzige, was er ausmachen konnte war eine menschliche Gestalt. Nicht mehr und nicht weniger.

"Wenn ich meine Hand wegnehme hältst du die Klappe, kapiert?", zischte eine Stimme direkt neben seinem Ohr. Toshiya bewegte seinen Kopf stockend auf und ab. Sein Herz pochte so heftig, dass er nicht klar denken konnte. Der Einbrecher entfernte seine Hand tatsächlich - und ersetzte sie durch seinen Mund. Toshiya stieß einen Schrei der Überraschung aus, der von fremden Lippen erstickt wurde. Bald darauf spürte er eine Zunge in seinem Mund. Seine verkrampften Muskeln entspannten sich. Er erwiderte den Kuss. Was sonst hätte er tun sollen? Die Hand, die ihm eben noch das Kiefer zusammengepresst hatte, strich nun zärtlich über seine Wange. Irgendwann ließ der Eindringling von seinem Mund ab und setzte lautlose Küsse an Toshiyas Hals. Dieser konnte nicht anders als es zu genießen. Sein Verstand war schon bei dem ersten Scharren an seiner Zimmertür in Ohnmacht gefallen. Noch einmal berührten die Lippen des Schattens seine eigenen, dann war der Spuk vorbei. Der rätselhafte Eindringlich war ebenso urplötzlich verschwunden, wie er aufgetaucht war. Zurück blieb Toshiya, der mit maßlosem Erstaunen und einem warmen Gefühl in seinem Herzen zwischen den Decken lag. Lange Zeit wagte er nicht einmal laut zu atmen. Dann kratzte er seinen ganzen Mut zusammen, tastete mit seiner Hand nach der Nachttischlampe und schaltete das Licht ein. Ein Zittern durchlief seinen Körper, als er sich in seinem Zimmer umblickte und nichts als das umgestoßene Wasserglas auf dem Boden entdeckte.

(Fünfzehn kleine Goldfische zappelten neben dem umgestoßenen Wasserglas verzweifelt über den Teppich; zwölf von ihnen fielen drei Minuten später einem grausamen Tod durch Ersticken zum Opfer, den übrigen drei jedoch gelang es sich mit Hilfe eines gefälschten Passes nach Feuerland abzusetzen)
 

"Morgen...", nuschelte Toshiya und knautschte sein zerdrücktes Gesicht mit beiden Händen. Die Sonne strahlte aufdringlich wie eine Laserkanone durch alle Fenster und kleine Vöglein veranstalteten im Garten vor dem Haus den üblichen Biolärm. Kurzum: Ein wunderschöner Samstagmorgen. Jetzt bekam Toshiya auch allmählich die Augen auf, und nahm, sehr zu seinem Erstaunen, sogar etwas von seiner Umgebung wahr. Er hatte geschlafen wie ein Stein. Vielleicht lag das an diesem merkwürdigen Traum. Er war nachts noch einmal ins Bad gegangen um etwas zu trinken, so müde, dass er eher im Tiefschlaf als wach gewesen war, und hatte dabei wohl ein Wasserglas umgestoßen. Natürlich war diesem Ereignis prompt einen völlig alberner Traum gefolgt, irgendetwas von einem dunklen Phantom, das neben seinem Bett auftauchte, ihn leidenschaftlich küsste und wieder verschwand. Absolut lachhaft, wenn er jetzt darüber nachdachte. Er schämte sich beinahe für seine schmutzige Fantasie. Hatte er es etwa so bitter nötig?

"Morgen!", wiederholte Toshiya noch einmal, doch niemand antwortete. Merkwürdig, war denn keiner wach? Er warf einen müden Blick auf die hässliche Fischuhr, die er vor zwei Wochen aus purer Langeweile (und um seine Mutter zu ärgern) aus dem Bad an die Wohnzimmerwand verfrachtet hatte.

Gott bin ich blöd, dachte er, als er nach langem Geblinzel endlich die richtige Uhrzeit ausmachen konnte.

Es ist ja erst sechs Uhr morgens!

Aus irgendeinem wahnwitzigen Grund fiel ihm in genau diesem Augenblick die Wimperntusche ein, die er am vorigen Abend auf der Kommode neben dem schnurlosen Telefon deponiert hatte. Er hatte natürlich vergessen sie zuzuschrauben. Na prima. Die war mit Sicherheit eingetrocknet.

Eigentlich war ,eingetrocknet' nicht direkt das richtige Wort für den Zustand von Toshiyas nagelneuer (sündhaft teuerer) Maskara. ,Weg' traf es schon eher.

Der junge Japaner griff unbeholfen an die Stelle auf der Kommode neben der Tür, an der sich aller Wahrscheinlichkeit nach seine Wimperntusche befinden sollte. Er griff ins Leere. Das Problem war nicht das Fehlen der Maskara, sondern eher das Fehlen der Kommode. Toshiya riss die Augen auf und versuchte das Bild, das sich ihm darbot, zu begreifen, was nicht besonders schwer war. Vor ihm erstreckte sich ein weites, perfektes Nichts. Keine Kommode, kein schnurloses Telefon, kein Sofa, kein Fernseher, kein Sessel, kein Kissen, kein Klavier in der Zimmerecke, kein einziges Bild mehr über dem nicht vorhandenen Schrank. Nur diese abgrundtief hässliche Uhr hing noch an der Wand und tickte verbissen vor sich hin, als wolle sie der ganzen Welt trotzen.

Zwei Möglichkeiten.

Entweder hatte seine Mutter über Nacht einen gewaltigen Anfall bekommen, und das ganze Haus ausgeräumt, um es von oben bis unten neu einzurichten.

Oder aber sie waren von einer Bande Kleinkrimineller ausgeraubt worden.

Toshiya fegte aus dem Wohnzimmer in den Flur zurück. Weg. Alles. Der Schirmständer, das Schuhregal - sogar die Kleiderhaken waren aus der Wand gerissen worden. Mit klopfendem Herzen stürzte der Dunkelhaarige in sein Zimmer zurück und hämmerte auf den Lichtschalter. Hier war noch alles beim alten. Er atmete ein wenig auf und kramte in seiner Schultasche hektisch nach dem kleinen Schminkspiegel, den seine Mutter ihm geschenkt hatte. Seine Finger ertasteten den Plastikgegenstand, zogen ihn hervor und klappten ihn auf. Toshiya hielt den Atem an. Tatsächlich. Wie er gefürchtet hatte. Dann war es also doch kein Traum gewesen. An seinem weißen Halsansatz leuchteten drei gerötete Knutschflecken. Die nächtlichen Eindringlinge (einschließlich dem Perversling, der über ihn hergefallen war) hatte es also wirklich gegeben und nicht nur das, sie hatten nebenbei auch die gesamte Einrichtung mitgehen lassen. Verwirrt ließ er den Handspiegel wieder zuklappen und starrte in die Gegend. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten?
 


 

"Totchiiiihihi? Was ist denn hier loooos?"

Takumi.

Er kam direkt auf ihn zugerannt. Im Schlepptau hatte er Toshiyas großen Bruder Uruha.

"Das ist alles was ich weiß", endete Toshiya und nickte einige Male in Zustimmung.

"In Ordnung Herr Hara. Wenn Ihnen weiteres auffallen sollte, wenden Sie sich bitte direkt an uns", gab der Polizist zur Antwort und tippte zum Gruß an seine Kappe.

"Was war hier los?", wiederholte Takumi, der vor Toshiya zum stehen gekommen war, und beobachtete mit erschrockenem Blick, wie die Polizistenkohorte in ihre Streifenwägen stieg.

"Naja, wir sind äh sagen wir mal bestohlen worden", begann Toshiya vorsichtig.

"Bestohlen", fragte Takumi mit tellergroßen Augen. "Was wurde denn gestohlen?"

"Naja", begann Toshiya zögernd, "frag lieber was nicht gestohlen wurde."

"Was wurde nicht gestohlen?", fragte Takumi gehorsam.

"Äh. Das wäre dann wohl die Außenmauern."

Der Jüngere keuchte, wodurch eine kurze Stille entstand. Toshiya begegnete zufällig dem Blick seines Bruders, den er bisher erfolgreich gemieden hatte. Die beiden sahen sich an, wobei keiner wusste, was er sagen sollte.

"Na dann... das ist schlecht... ähm, tut mir leid für dich", begann Uruha, der Toshiyas Blick kaum fünf Sekunden standhalten konnte.

"Du wohnst auch bei uns, Uruha. Wieso sagst du es tut dir leid für mich?", sagte Toshiya erstaunt, woraufhin sein großer Bruder verwirrt "Oh ja, stimmt äh wo du es sagst, doch - ja" stammelte. Wieder macht sich eine schmarotzerhafte Stille zwischen den beiden breit. Endlich unterbrochen durch unterschwelliges Kichern.

"Was gibt's?" Toshiya sah Takumi fragend an.

"Schaut euch doch nur an!! Ihr steht euch gegenüber wie zwei Fremde und seht dabei einfach nur idiotisch aus!"

"Und das findest du lustig?", keuchte Toshiya empört. Uruha, etwas aufgetauter, winkte kopfschüttelnd ab.

"Nicht fragen Toshiya. Du willst gar nicht wissen, was er so von sich gibt, wenn wir alleine sind..."

"Aber deswegen bist du doch gerne mit mir allein, ne?", schnurrte Takumi und klammerte sich an den linken Arm seines Freundes.

"Du liebst mich, stimmt's? Sag's, sag's, sag's, sag's!!!!"

Toshiya musste grinsen. Uruha ebenfalls. Das Eis war gebrochen. Und er würde dafür ewig in Takumis Schuld stehen.

"Sie haben alles mitgenommen?", fragte Uruha plötzlich. "Wer?"

Toshiya zuckte die Achseln.

"Die Polizisten haben gesagt diese Verbrecherbande, die auch schon das Mülltütenfabrikmassaker angerichtet hat. Sie haben sieben Häuser in dieser Straße bis auf den Rohbau ausgeräumt."

Dass sein Zimmer noch da war verschwieg Toshiya. Den Polizisten von der Spurensicherung, denen das natürlich als erstes aufgefallen war, hatte er nichts von dem rätselhaften Besucher an seinem Bett erzählt. Das würde er nicht tun, solange er selbst noch nicht wusste, wie er es zu verstehen hatte. Seltsamerweise erfüllte es ihn mit einem beglückenden Gefühl etwas zu wissen, von dem die ganze Welt nicht den blassesten Schimmer hatte. Dieses Mal wägte Toshiya sich nicht in Gefahr. Er spürte viel eher, dass das rätselhafte und aufregende Ereignis etwas zu bedeuten hatte, und es von großer Wichtigkeit war, dass er so schnell wie möglich begriff, was es war.

"Gehen wir rein?", schlug Uruha vorsichtig vor.

Dass seine gewohnte Überheblichkeit restlos verschwunden war, wurde Toshiya erst in dem Augenblick bewusst, da er Uruha genauer ins Gesicht sah. Die Abendsonne strich mit ihren glühend roten Strahlen über die Haut seines großen Bruders. Er sah fürchterlich mitgenommen aus, und war fahl wie eine Leiche, doch das weiche Licht nahm seinem Auftreten den Schrecken. Er wirkte nicht mehr ganz so ausgemergelt, seine Augen blickten nicht mehr leer in die Gegend, und seine vollen Lippen waren zum ersten Mal seit langem zu einem matten Lächeln gezogen.

"Was?", fragte er unsicher, als er Toshiyas Blick bemerkte.

"Nichts. Ich dachte nur - eventuell habe ich dir jetzt verziehen", sagte Toshiya und grinste versuchshalber. So leicht dieser Satz klang - es war ein langer harter Kampf gewesen die Worte endlich auszusprechen. "Aber nur, wenn du mir verrätst, wie du deine Augen schminkst. Das solltest du mal wieder machen. Steht dir."

Uruha beobachtete seine Schuhspitzen auf dem Asphalt. Er nickte, lächelte kurz und trottete wortlos hinter seinem Bruder drein. Nur Takumi verstand, dass Tränen der Grund dafür waren, dass die Sonne auf einmal in Uruhas Augen funkelte. Er nahm die kalte, reglose Hand seines Liebsten in die eigene und drückte sie fest. Gemeinsam betraten sie das Haus.
 

Andernorts wanderte Geld über einen langen Holztisch. Viel Geld. So viel Geld, dass es in Kombination mit dem kümmerlichen, schlecht gearbeiteten Holztisch ein wirklich ulkiges Bild abgab. Ein junger Japaner, blond gefärbt bis an die Spitzen seiner schulterlangen Haarmähne, striff großzügige Portion von den gräulich-grünen Scheinen in eine H&M Plastiktüte, und ging damit weg. Die anderen Personen am Tisch nahmen kaum Notiz davon. Ein sehr großer Junge, der dabei war einen Stapel Fünfer zu bündeln blickte kurz auf, und grinste so breit, dass man das Gefühl hatte, sein Lippenpiercing würde sich in seinem Ohrring verfangen.

"Hey, Ruki! Verwöhn ihn nicht zu sehr für den Anfang!"

Der Angesprochene drehte sich kurz um, und machte eine unschöne Geste in Richtung des Sprechers.

"Fuck you, Miyavi! Er hat gute Arbeit geleistet, Mann!"

Miyavi feixte, und der junge aschblonde Asiate wandte sich ab und verschwand durch die Doppeltüren. Vor ihm erstreckte sich ein weiterer Raum, der noch verwinkelter und dämmriger war, als der, den er soeben verlassen hatte. Doch statt Tonnen von Geld stapelten sich hier nur ein paar alte vermoderte Matratzen. Auf einem fleckigen Sitzkissen in der Ecke kauerte ein felliges Tier, aller Wahrscheinlichkeit nach ein Hund. Es hätte sich aber ebenso gut auch um eine Bisamratte handeln können. In regelmäßigen Abständen leckte eine kleine fleischige Zunge aus einem Ende hervor und tauchte in einen schmutzigen Wassernapf, der vor dem Sitzkissen deponiert war.

Ruki sah sich kurz ihm Raum um. Dazu blieb er, wie es seine Art war in unheimlich lässiger Haltung stehen und schließlich - als er das, was er suchte, gefunden hatte - wanderte sein rechter Mundwinkel in einem dreckigen und mörderisch coolem Grinsen nach oben und legte eine Reihe spitzer weißer Zähne frei.

"Hier. Das ist deins", sagte er kurz und schleuderte die Tüte ins Dunkel des Zimmers.

"Verdammt, pass doch auf, du Axxx", kam prompt die gereizte Antwort zurück. Ruki haute auf den Lichtschalter neben der Tür. Jetzt lachte er richtig. Es war sein lässiges Macholachen, das allerorts eine beeindruckende Wirkung erzielte. Man konnte nicht umhin zu glauben, dass der kleine Asiate irgendetwas im Schilde führte, was einem selbst sehr bald schaden würde. Außerdem hatte man das unangenehme Gefühl, ihm hoffnungslos unterlegen zu sein.

Die Finsternis des Zimmers hatte einen weiteren Mann ausgespuckt, oder besser gesagt einen Jungen.

Die beiden standen sich nun gegenüber, so dass die Verwandtschaft einem Passanten, wäre denn einer anwesend gewesen (was nie der Fall sein würde, da Passanten, die das Grundstück betraten, tot waren bevor sie irgendwelche Verschwandschaften feststellen konnten), augenblicklich ins Gesicht geschlagen hätte. Dieselbe zierliche Figur bei gleicher Größe, dasselbe überlegene rätselhafte Grinsen, dieselben katzenhaften Augen, derselbe unergründliche Blick.

"Das ist dein Lohn. Du hast dein Sache wirklich gut gemacht, Kyo-kun. Das war also quasi deine Aufnahmeprüfung, ab jetzt bist du richtig dabei", grinste Ruki und klopfte seinem Gegenüber ein paar Mal kräftig auf die Schulter.

"Lass das", fauchte Kyo mit blitzenden Augen und wich zurück.

"Hey, Cousin, was soll diese Laune! Du bist schon den ganzen Tag gereizt und sitzt apathisch in irgendwelchen Ecken. Hat das mit der Kleinen zu tun?"

Kyo warf Ruki einen kurzen Blick zu, und machte sich dann daran die Geldscheine aus der Plastiktüte zu zählen. Der andere Japaner beobachtete eine Weile seinen verbissenen Blick.

"Du hast vorgeschlagen in dieses Haus einzubrechen, und da war echt was zu holen, Alter, die ganzen Videogeräte und Computer in diesem Zimmer unter dem Dach. Aber ich durchschaue dich, wie du weißt. Hey Mann, wir sind vom gleichen Schlag. Du wolltest mit deiner Süßen alleine sein, gib's zu. Wieso sonst hättest du uns darum bitten sollen ausgerechnet das eine Zimmer zu verschonen?"

In Kyos Augen raste die Empörung, doch er fing sich.

"Und wenn schon. Es ist nicht meine Süße. Sagen wir - ich hatte noch eine Rechnung mit demjenigen offen. Deshalb wollte ich, dass ihr das Zimmer nicht leer räumt", zischte er, wobei er seinen Cousin mit seinen Blicken festzunageln versuchte. Dieser blieb gelassen. Er grinste weiterhin sein schmutziges Grinsen.

"Naja, was soll's. Die anderen Einbrüche haben sich ja auch mehr als gelohnt. Da kommt es auf dieses Zimmer auch nicht an. Außerdem haben meine Männer gesagt, dass da eh bloß Wassergläser zu holen waren. Der ganze Boden soll voller Fischgläser gewesen sein. Tsss, gibt schon komische Käuze..."

"Pass auf was du sagst", fauchte Kyo und umkrallte sein Bündel Geldscheine. Abweisend wie eh und je ließ er sich wieder in den Holzstuhl fallen, in dem er zuvor gesessen hatte, und gab durch seinen mörderischen Gesichtsausdruck eindeutig zu verstehen, dass er nicht wünschte nochmals angesprochen zu werden.

"Und die Töle ist ja auch da", sagte Ruki mit knirschenden Zähnen und angewidertem Blick auf den Hund, der am Boden hechelte.

"Kleines Mistvieh, eines Tages werde ich dich §%&#*. Ich hasse Hunde verdammt."

"Wie meinen?!", rief eine junge Frau voller Empörung. Sie trat in das schummrige Licht des Raumes, schmetterte die Eisentür hinter sich zu und musterte Ruki mit majestätischer Miene, die ihren anmutigen Zügen zugegebenermaßen fabelhaft stand.

"Hast du was gegen meinen kleinen Hund gesagt? Meine süße Mimi?"

Auf einmal veränderte sich Rukis Gesichtsausdruck. Er lächelte reuevoll, wobei er blöderweise einen großen Teil seiner Coolness einbüßte. Würde ein Mann es fertig bringen eine coole verführerische und zugleich reuevolle Miene aufzusetzen gäbe es eine gewaltige Menge weniger Beziehungsprobleme auf diesem Planeten.

"Ich doch nicht, Liebling! Niemals, äh... Lu, du weißt doch ich liebe das Hündchen..."

Wie um dies zu beweisen griff er dem Tier ins Fell und kraulte es, vielleicht ein wenig härter als nötig.
 

Drei Tage später waren dieselben Personen dabei zu beobachten wie sie mehrer Lieferwägen beluden, die im Hof einer alten stillgelegten Matratzenfabrik parkten. Völlig schwarz gekleidet, mit Masken, die das Gesicht bedeckten und nur die asiatischen Augen zu erkennen gaben war die Gruppe kaum von ihrer nachtschwarzen Umgebung zu unterscheiden.

Ruki zog sich die Maske ab und warf den Kopf in einer unheimlich gut aussehenden, lässigen Bewegung zurück.

"Ok Leute, heute sind noch einmal fünf Häuser dran. Dann hätten wir für dieses Halbjahr vorgesorgt." Wieder stahl sich das dreckige Grinsen auf sein Gesicht.

"Kyo", redete er den Mann neben sich an, "du hilfst erst mal. Du weißt ja, was du zu tun hast. Wenn deine Arbeit erledigt ist, kannst du von mir aus Leine ziehen."

Der Japaner sah ihn an. Seine Katzenaugen blitzten argwöhnisch.

"Was meinst du, Ruki?"

"Hey, ich weiß doch, du willst deiner Süßen wieder einen nächtlichen Besuch abstatten. Das ist kein Problem. Wir haben das Haus schon einmal überfallen, die rechnen nicht mit einem weiteren Einbruch. Solange du nichts mitgehen lässt wird auch niemand etwas merken. Aber wenn dein Schatz bei der Polizei singt, werde ich sie höchstpersönlich erwürgen."

In seinen letzten Worten schwang ein grimmiger Unterton mit. Kyo nickte nur. Er wusste, dass Ruki keine Scherze machte.

"Okay, Leute! In die Lieferwägen! Und denkt dran: Um spätestens vier Uhr ist jeder Wagen wieder hier."

Kein Wort wurde gesprochen. Die schwarzen Männer nickten in Zustimmung und bestiegen die Lieferwägen.

"Du kommst mit mir Lu", schnurrte Ruki und versetzte seiner Freundin einen Klaps auf den Hintern.

Auf einmal tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter. Einer von Rukis Männern stand vor ihm, unmaskiert, und hielt ein Packet in den Händen.

"Was", sagte Ruki gereizt und beäugte das braune Packpapier. Dabei bemühte er sich so zu wirken, als habe er das Objekt noch nie zuvor gesehen.

"Das hier hat der Postbote nicht genommen, äh, er sagt es ist nicht ausreichend frankiert."

"Was ist das?", meldete sich plötzlich Rukis gaunerische Freundin Lu zu Wort.

"Das ist das Hündchen, das morgen per Eilpost nach Abu Dabhi gehen soll. Der Boss hat nicht genug Briefmarken draufgeklebt."

Ruki schlug sich die Hand auf die Stirn, obwohl er sie viel lieber ins Gesicht seines Untergebenen geschlagen hätte.

"Mist. Du Trottel!!!", zischte er, und dann, im gleichen Atemzug, "aber Liebling, ich-"

Lu hatte das Paket bereits an sich gerissen und befreite ihr hechelndes Schoßhündchen aus seinem Gefängnis.

"Du Bestie!!! Wie kannst du nur??!! Ein armes Hündchen!!! Und du hast noch nicht einmal Luftlöcher hinein geschnitten!!!!"

"Ich hatte gehofft, er erstickt auf der Reise."

"Bitte??"

"Ich sagte: Ich hab schon oft von äh gemeinen Kreisen gehört, fiese Organisationen, die Hündchen fangen, verpacken und nach Abu Dabhi schicken."

"Ich glaube dir kein Wort. Das hast du gemacht, ganz allein du. Aber für diese Schandtat bezahlst du, du herzloses Ungeheuer. Ich kann nicht glauben, dass ich noch immer bei dir bin...", knurrte Lu und stieg (mit Hund) in den Lieferwagen.

"Ja Schatz", seufzte Ruki und tat es ihr gleich.

Glücklicherweise wurde das breite Grinsen der anderen Männer, natürlich jedes Wort gehört mitbekommen hatten, unter ihren schwarzen Masken versteckt. Das war auch besser so, denn Ruki hasste es, wenn man über ihn lachte. Lu war die einzige, die immer ihren Kopf durchsetzten konnte. Jeder andere hätte nach einer einzigen blöden Bemerkung in einer solchen Situation bald mehr Blei als Gehirn in seinem Kopf gehabt.
 

Toshiya knipste das Licht aus. Gar kein schlechter Tag auf den er da zurückblicken konnte. Sein erstes normales Gespräch mit Uruha. Außerdem hatte er seinem Bruder endlich sagen können, dass er ihm von ganzen Herzen verzieh. Okay, er hatte es nicht ganz so ausgedrückt, aber Toshiya wusste, dass Uruha verstanden hatte. Seitdem fühlte er sich besser. Viel besser. Es war, als hätte ihn eine helfende warme Hand ein Stück aus seiner Schlucht herausgezogen. Sakito hatte überglücklich ein Mittagessen für fünfzig Personen gekocht und dabei das halbe Polizeipräsidium der Stadt vergiftet. Und seine Mutter brütete bereits über Möbelkatalogen um das Haus komplett neu einzurichten. Wie gut, dass Sayumi Hara jede Untertasse einzeln gegen Einbruch versichert hatte.

Fast augenblicklich wurde Toshiya von einem tiefen Schlaf gefangen. Der dauerte auch ganze vier Stunden, zwölf Minuten, dreizehn Sekunden und zwei zehntel Sekunden, dann riss der junge Japaner urplötzlich die Augen wieder auf.

Ein Zittern durchlief seinen ganzen Körper.

Was war das?

Was zum Teufel-

Da, schon wieder.

Atem.

Er starrte geradeaus nach oben. Sobald sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, musste Toshiya mit gewaltigem Schrecken feststellen, dass das, was er für die Decke gehalten hatte, ein schwarzes Gesicht war, das auf ihn nieder blickte.

Sekundenlang regte sich nichts. Dann lupfte sich der schwarze Vorhang und Toshiya sah in ein ausdrucksloses Gesicht. Der Fremde hatte seine Maske abgenommen.

Wie es der Zufall wollte fuhr in genau diesem Augenblick ein großes Auto vorbei, dessen Fahrer es offenbar nicht für nötig hielt innerorts sein Fernlicht abzublenden. Helles, gleißendes Licht schoss einen Herzschlag lang durch die Ritzen des Rollos und erfüllte den ganzen Raum.

Toshiya stieß einen unterdrückten Schrei aus.

Der Fremde beugte sich hinab. In seiner Hand war die glatte scharfe Klinge eines Springmessers aufgeblitzt.

14

Er schloss die Augen.

Er öffnete sie wieder.

Er blinzelte bis ihm die Tränen kamen.

Nichts zu machen.

Feste Tatsachen ließen sich nicht einfach mit einem Augenzwinkern beseitigen. Und diese Tatsache war blöderweise ein durchgeknallter Irrer mit einem blinkenden Klappmesser, der sich um zwei Uhr nachts über Toshiyas Bett beugte, als wolle er ihm ein Schlaflied singen oder einen Gutenachtkuss auf die Wange hauchen. Oder ihn massakrieren und sich anschließend in seinem Blut baden. Dass der Fremde zumindest keine Zärtlichkeiten im Sinn hatte verriet die Klinge, deren Spitze an Toshiyas Hals drückte.

Er zitterte. Sein ganzer Körper zitterte. Zu allem Überfluss musste er auch noch wie gebannt auf den menschlichen Schatten starren, der über ihm schwebte, was seine Angst verständlicherweise kaum linderte.

„Ein Laut und du stirbst“, zischte der nächtliche Eindringling. Toshiya brachte nicht einmal ein Nicken zustande, doch der Fremde schien verstanden zu haben.

In Toshiyas Kopf überschlugen sich die Bilder: Vor seinem geistigen Augen sah er Szenen, die in der nächsten Sekunde passieren könnten. Der Mann könnte ihn beispielsweise erpressen. Er könnte sein Zimmer leer räumen und verschwinden. Er könnte ihn aber auch misshandeln, oder ihm einfach gleich die Kehle durchschneiden und dann seine Familie meucheln.

Doch etwas viel langweiligeres geschah. Der Fremde knipste lediglich die Nachttischlampe an. Toshiya unterdrückte einen Aufschrei.

„Du?!“

„Ich hab gesagt kein Ton“, fauchte Kyo und drückte sein Messer ein wenig fester in Toshiyas Haut, um ihn daran zu erinnern in welcher Lage er sich befand.

„Woher kommst du plötzlich? Wieso bist du verschwunden? Ich hab mir Sorgen gemacht! Warst du schon mal hier?“, sprudelte es aus Toshiya hervor. Das Messer war ihm völlig egal. Sein Herz raste.

Kyo war zurückgekehrt. Zu ihm.

Der kleine Japaner klappte mürrisch sein Messer zu. Er würde Toshiya ja sowieso nicht verletzen können, auch wenn er manchmal gute Lust dazu gehabt hätte.

„Aber wenn du schreist hol ich das Ding schneller hervor als du ‚Hilfe’ sagen kannst.“

Toshiya hatte sich aufgesetzt. Jetzt sah er Kyo erwartungsvoll an. Sein Herz schlug noch immer wie wild, so dass ihm gleichzeitig heiß und kalt wurde.

„Eigentlich bin ich dir keine Erklärung schuldig...“, brummte Kyo, doch Toshiya unterbrach ihn.

„Warum bist du dann hier? Willst du etwa sagen, du hast keine Lust mit mir zu reden? Warum schleichst du dann mitten in der Nacht an mein Bett und erschreckst mich fast zu Tode?“

Kyo blickte den anderen verärgert an, sagte dann aber: „Hör auf mir auf die Nerven zu gehen. Ich bin fort gegangen, das hast du ja mitbekommen. Zu einigen Freunden. Ich arbeite mit ihnen zusammen.“

„Und wie sieht deine Arbeit aus? Du bist durch und durch kriminell, stimmt’s?“

Aus irgendeinem Grund lockte diese Bemerkung ein Grinsen auf Kyos Gesicht, das Toshiya noch nie an ihm gesehen hatte, und das ihm einen eisigen Schauer über den Rücken jagte.

Ein plötzliches Knarren störte die traute Zweisamkeit.

Die beiden Jungen starrten ins Dunkel des Zimmers. Das Geräusch wiederholte sich, eine Art Scharren, das von der Tür her kam und die Stille zerriss wie einen zu engen BH.

„Scheiße, Cousin, du bist ja schwul“, fluchte eine Männerstimme kaum hörbar. Kyo sprang auf. Er hatte sein Messer gezogen und schlich mit drohenden katzengleichen Schritten auf den zweiten Eindringling zu.

„Ruki! Was treibst du hier, verdammt?!“

„Sehen was du hier treibst. Und nebenbei wäre es ganz praktisch wenn du mich nicht beim Namen nennen könntest. Aber jetzt ist es auch egal.“

Der Neuankömmling schlug mit einer schnellen Bewegung an die Wand direkt neben der Türklinke und das Licht ging an. Toshiya kniff die Augen zusammen. Als er die Lider langsam wieder hob konnte er zwei gleich große Gestalten in nachtschwarzen Kleidern ausmachen, die sich mitten in seinem Zimmer gegenüber standen und den Eindruck machten sich duellieren zu wollen. Der eine war Kyo. Der andere sah ihm sehr ähnlich, auch wenn er ein gewaltiges Stück lockerer wirkte.

Ruki musterte Kyo mit einem Kopfschütteln. Dieser starrte seinen Cousin erzürnt an.

„Verpiss dich“, fauchte er. Ruki seufzte.

„Hey, ich schnapp ihn dir nicht weg, ja? Und ich erzähls auch niemandem. Aber Junge – du hast mich unterschätzt. Glaubste echt ich lass dich irgendwo unbeaufsichtigt herumstreunen, solange ich der Kopf dieser Gang bin? Und wenn du noch so gut bist, ich traue dir nicht. Ich traue niemandem. Auch nicht dem da.“ Mit einem Kopfnicken deutete er auf Toshiya, der regungslos in seinem Bett saß und die Szene mit angehaltenem Atem verfolgte. Wer war dieser andere Mann, dieser Ruki? Sicher ein Verwandter von Kyo. Hatte er ihn nicht ‚Cousin’ genannt? Und worüber zum Teufel redeten sie? Erst jetzt fiel ihm auf, dass Ruki ihn anstarrte. Das Blut gefror ihm in den Adern, als der Fremde ihn ins Auge fasste, wie ein Raubtier seine Beute. Langsam kam er an sein Bett.

„Und du? Was für eine Rolle spielst du? Warum will Kyo dich unbedingt sehen?“ Er leckte sich verführerisch über die Oberlippe.

„Klappe Ruki!“, fauchte Kyo. „Der Typ ist mir egal, ich sagte doch, ich hatte noch eine Rechnung mit ihm offen.“ Er sah Toshiya nicht an.

„So?“ Ruki hob die linke Augenbraue.

„Willst du mich für dumm verkaufen? Naja, wenn er dir egal ist, dann kann ich ja...“

Blitzschnell beugte er sich zu Toshiya hinunter und küsste ihn. Kyo wäre beinahe das Messer aus der Hand gerutscht. Mit aller Gewalt hielt er sich davon ab es seinem Cousin einfach in den Rücken zu bohren.

„Sei nicht albern, Idiot. Ich bin kein Homo“, zischte er, die Augen mit einem merkwürdigen Flackern auf das seltsame Paar gerichtet. Ruki antwortete nicht, sondern legte beide Hände in Toshiyas Nacken. Dieser wachte allmählich aus seiner Erstarrung auf. Sobald ihm bewusst wurde, dass er eine Zunge in seinem Mund hatte, versuchte er gegen den Fremden anzukommen, doch der schloss seine schmalen Hände mühelos um Toshiyas Handgelenke, so dass er sich nicht mehr wehren konnte.

Es war, als hätte jemand auf einen Knopf gedrückt. Bilder flammten in Toshiyas Kopf auf und erloschen wieder, Geräusche, Gerüche, Worte... Panisch kämpfte er gegen den festen Griff an, doch Ruki hielt ihn umschlossen wie ein Schraubstock. Plötzlich war er nicht mehr in seinem Zimmer, sondern in einem dunklen Hof, um ihn herum Pfützen, Müll, Steine. Durch sein Gesichtsfeld zogen sich Regenschlieren, dennoch konnte er den schwarzhaarigen Mann erkennen, der sich über ihn beugte. Jetzt senkte er seinen Kopf um ihn zu küssen. Toshiyas Haarsträhnen lagen im Matsch, Regentropfen prasselten auf seine taube Haut. Und plötzlich war alles dunkel.
 

„Toshiya! Verdammt...“

Diese Stimme.

Toshiya schlug langsam die Augen auf. Über ihm verschwamm die Decke mit den Schatten der Schränke und Bücherregale. Sein Zimmer in nächtlicher Dunkelheit (anscheinend hatten die beiden das Licht ausgeschaltet). Er war in seinem Zimmer. Der Regen, die Mülltonnen und Daishi waren verschwunden.

Toshiya presste die Augen noch einmal zusammen, aber das einzige, was er sehen konnte war die Schwärze hinter seinen Augenlidern. Mit zitternden Fingern betastete er sein Gesicht und musste feststellen, dass es weder glitschig vom Regen, noch schlammverklebt war.

Was er gesehen hatte, war nichts weiter als eine Erinnerung gewesen, ein Rückfall in die Vergangenheit. Dennoch fühlte er sich wieder genau wie damals. Damals, in den Minuten und Stunden danach. Nachdem er sich mit letzter Kraft, wie betäubt nach Hause geschleppt hatte, unfähig zu begreifen, was geschehen war.

„Ey Mann, bist du empfindlich. War doch bloß ein Kuss. Deswegen muss man nicht für zehn Minuten ins Koma fallen...“, seufzte eine Stimme. Toshiya drehte den Kopf nach rechts. Den Umrissen nach zu schließen standen standen zwei Männer an seinem Bett: Kyo und dieser Verwandte, der ihm eben zu Leibe gerückt war, um seinen Cousin zu provozieren.

„Halt die Klappe, Ruki“, brummte Kyo. Erstaunt musterte Toshiya sein angespanntes Gesicht. Warum war Kyos Blick auf sein Gesicht geheftet, und weshalb sah er so aufgewühlt aus? Er gab sich doch sonst nicht die Blöße einer Gefühlsregung. Hatte er sich etwa Sorgen gemacht? Sorgen um ihn? Oder war es Mitgefühl? Erkannte er sich selbst wieder in Toshiyas leeren Augen? Vielleicht war es aber auch die Abscheu über die jämmerliche Gestalt auf dem Bett, die Kyos Gesicht zerfurchte.

„Stell dich nicht so an Kyo, dein Süßer hat da anscheinend ein Problem mit Körperkontakt. Eine Beziehung ist sicher schwierig, wenn er bei jedem Kuss umkippt. Wo liegt das Problem?“

Für einen Augenblick sah Kyo so aus, als wolle er seinen Cousin zu einem Packet verschnürt an zwei Betonklötze fesseln, und ihn an der tiefsten Stelle des Meeres versenken, doch dann riss er sich aus unerklärlichen Gründen zusammen und antwortete nur: „Das Problem ist mein Bruder Daishi.“

Ruki runzelte die Stirn. Anscheinend versuchte er Kyos Worte so zu deuten, dass es Sinn ergab.

„Was hat dieses Hohlbrot Daishi damit zu tun? Der kann doch nicht mal zwei Bauklötze aufeinander stapeln ohne etwas falsch zu machen...“

Toshiya konnte sich nicht bewegen. Sein Körper wollte einfach nicht.

„Was ist hier los?!“

Die Tür war aufgegangen. In sekundenschnelle wurde der Raum von Licht geflutet. Im Türrahmen, die rechte Hand auf dem Lichtschalter, stand Sakito im weiß-blau karierten Nachthemd und mit alberner Zipfelmütze auf dem Kopf. An seine Seite trat Ryutaro, der sich die Augen rieb und ins gleißend helle Licht blinzelte. Als er die beiden Männer erblickte griff er erschrocken nach der Hand seines Freundes.

Ruki und Kyo reagierten ohne zu zögern. In einer einzigen Bewegung stülpten sie sich die Masken über den Kopf und stürmten auf die beiden Unschuldigen zu. Ein Schlag jeweils reichte aus und sowohl Sakito als auch sein Liebster sanken zu Boden.

Bevor sie spurlos verschwanden, drehte sich Kyo noch einmal zu dem Jungen im Bett um, und warf ihm einen durchdringenden Blick zu. Toshiya sank das Herz in die Hose.

Weg waren sie.

Und dabei hatte Kyo fast keine seiner Fragen beantwortet, sondern noch eine weitere Portion davon aufgeworfen. Er war ihm also völlig gleichgültig, so viel zumindest war bei Toshiya angekommen. War es doch nicht Kyo gewesen, der ihn im Schlaf überrascht und geküsst hatte? Verachtete er ihn, weil er schwul war? Warum tauchte er einfach so auf, brachte sein Leben durcheinander und Schlug seinen Bruder nieder, nur um dann wieder sang- und klanglos zu verschwinden? Was sollte diese Nacht und Nebel Aktion?

Das Stechen in Toshiyas Brust mischte sich mit der eisigen Beklemmung, die der Traum in ihm ausgelöst hatte. Er zog die Beine an und begann zu weinen.

Das war einfach nicht fair.
 

„Dieser ruchlose Harlekin! Wie kann er es wagen mich – mich niederzuschlagen und Ryu- Ryu zu verletzen?! Wenn ich dem je wieder begegne, dann #§$%6&! Das darf doch nicht wahr sein! Wäre ich nicht so verschlafen gewesen (aber wer rechnet auch mit so was?), dann – oh, dann hätte er schon – ich hätte ihn 4§/##*+{%&-“

Sakito schimpfte wie ein Rohrspatz seit er wieder zu Besinnung gekommen war. Er war so wütend, dass Uruha vorsichtshalber die Küchentür verriegelt hatte (da bekommt der Ausdruck ‚kochen vor Wut’ eine komplett neue Bedeutung O.x). Er, Toshiya, Sakito und ein noch sehr benommener Ryutaro saßen auf (von den Nachbarn geborgten) Sitzkissen im Wohnzimmer und tranken Tee. Sakitos Flüche hallten von den kahlen Wänden wieder.

Glücklicherweise klingelte es in diesem Augenblick an der Tür. Uruha und Toshiya sprangen gleichzeitig auf um zu öffnen.

„Taku!“

Toshiya freute sich jedes Mal mehr den Freund seines älteren Bruders zu sehen. Der kleinere Junge fiel ihm um den Hals und drückte ihn kurz. Zugegebenermaßen wurde Takumi auch von Mal zu Mal normaler. Oder bildete er sich das nur ein?

„Störe ich? Ich hoffe nicht, weil wenn ja, dann kann ich auch wieder gehen, aber wenn nein, dann bleibe ich gerne, solange es nicht zum Mittagessen ist, aber ich rede schon wieder zu viel.“

Vielleicht war es wirklich nur Einbildung gewesen. Immerhin hatte Toshiya den Eindruck, dass Takumi häufiger Luft holte als früher.

„Sag, Toto... du siehst wirklich grausig aus.“

Toshiyas Mine verfinsterte sich. Zumindest hielt das Gör es noch immer nicht für nötig ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

„Danke.“

„Was ist passiert? Also ich will dir nicht unterstellen, dass etwas passiert ist, aber du siehst so aus, ich meine, warum sonst sollte jemand so fertig aussehen, der gerade aufgestanden ist, natürlich nehme ich nur an, dass du gerade aufgestanden bist, ich weiß es ja nicht, allerdings-“

Uruha unterbrach ihn.

„Wir hatten heute Nacht schon wieder Einbrecher. Zwei Männer waren in Toshiyas Zimmer. Was sie wollten ist unklar, sie haben ihm nichts getan-“

‚Fast nichts’, dachte Toshiya.

„-dafür wurden Sakito und Ryutaro außer Gefecht gesetzt.“

„Niedergeschlagen!!! Brutal niedergeschlagen!“, brüllte Sakito aus dem Wohnzimmer. Er besaß nicht nur einen ausgeprägten Geschmackssinn, sondern offenbar auch ein ausgeprägtes Gehör.

„Oh“, kommentierte Takumi. „Das ist schlecht, denke ich.“

„Du sagst es. Deshalb werde ich auch die nächste Zeit in Toshiyas Zimmer schlafen“, verkündete Uruha entschlossen.

„W-was?“, stotterte Toshiya. Das hörte er zum ersten Mal.

„Anscheinend wollten diese Verbrecher etwas Bestimmtes. Ich habe langsam das Gefühl sie haben unsere Einrichtung das letzte Mal nur zum Spaß mitgehen lassen. Sonst würden sie doch wohl kaum wieder kommen, oder? Und du bist dir sicher, dass du sie nicht kennst?“

Toshiya nickte verlegen ohne seinem Bruder in die Augen zu sehen.

„Sie haben nicht mit dir gesprochen?“

Toshiya schüttelte den Kopf.

„Komisch. Sakito sagt, er habe Stimmen gehört.“ Uruha musterte seinen Bruder, bohrte aber nicht weiter nach.

„Kommt jetzt, ich fürchte wir müssen Ma anrufen und ihr alles erzählen.“ Mit diesen Worten ging er ins Wohnzimmer und ließ Toshiya und Takumi allein auf dem Flur zurück.

„Sie haben doch mit dir gesprochen, oder?“, murmelte Takumi plötzlich, wobei er den anderen genau beobachtete.

Toshiya nickte nur langsam ohne den Blick von seinen Schuhen zu heben.

„Aha. Verstehe. Dann gehe ich davon aus, dass du die Jungs gekannt hast? Wie auch immer, mit den nächtlichen Besuchen ist jetzt jedenfalls Schluss.“ Er zwinkerte vergnügt.

„Takumi...“

„Mh?“

„Macht es dir nichts aus?“ In Toshiyas Stimme lag ein unsicheres Zittern.

Takumi starrte ihn erstaunt an.

„Was meinst du?“

„Dass Uruha bei mir schläft. Ich meine, dann kannst du ja nicht mehr...“ Er errötete.

Takumi schüttelte nur den Kopf und tippte Toshiya mit einem dünnen Finger auf die Nase.

„Tss, mach dir deswegen keine Gedanken. Uruha rührt mich nicht mehr an, seit... seit die Sache mit seinem Selbstmordversuch war. Er ist weder grob noch zärtlich zu mir. Jedenfalls hat er seine alte Persönlichkeit komplett über Bord geworfen. Und er würde nie zulassen, dass dir noch mal etwas zustößt. Er hat so gelitten die letzten Wochen über, Toshiya. Du machst dir keinen Begriff davon. Ich weiß es, denn ich war ja die meiste Zeit bei ihm. Er hat kein Wort gesagt, aber ich habe es ganz deutlich in seinen Augen gesehen, in jeder Bewegung...“

Er grinste wieder, als hätte er Toshiya eben etwas unheimlich lustiges mitgeteilt und packte seine Hand.

„Komm wir gehen zu den anderen. Saki muss mir unbedingt genau erzählen wie er niedergeschlagen wurde! Oh, bestimmt ist er verletzt, ich bin mir sicher, wir können an der Wunde auch die Größe des Täters feststellen, dann wissen wir mehr, und-“

Toshiya ließ sich wider Willen mitschleifen. Es gab derart viele Dinge, über die er nachdenken musste, dass er meinte, sein Kopf müsse jeden Moment platzen. Das einzige wonach er sich im Augenblick sehnte waren die stummen vier Wände seines Zimmers und eine Tür mit Schloss.
 

„Mann, siehst du unausgeschlafen aus.“

Hakuei ließ den Rucksack auf seinen Platz neben Toshiya fallen und häutete sich (das heißt: er zog seine Jacke aus, aber Toshiya fand es hatte etwas von häuten).

„Was hast du denn alles an?“, fragte Toshiya mit einem Seitenblick auf die Jacken und Pullover, die Hakuei abgelegte.

„Jetzt nicht mehr viel. War saukalt draußen. Aber lenk nicht ab. Du hast doch nicht etwa die Nacht durchgemacht?“

Mit einem Grinsen verstaute er alle Kleidungsstücke in seiner Tasche.

„Quatsch, ich konnte nur nicht schlafen“, erwiderte Toshiya mit einem Stirnrunzeln.

„Was? So sehr hast du dich nach mir gesehnt?“

„Idiot. Wir sind nicht mehr... na du weißt schon“, murmelte Toshiya mit einem paranoiden Blick auf seine Klassenkameraden.

„Nö, das nicht, aber darf man denn nicht mal einen Scherz machen? Tsss, du bist echt unausgeschlafen. Aber ich kriege schon raus, weshalb du nicht schlafen konntest.“

Toshiya seufzte und fuhr sich mit der linken Hand über den kurzen Haarschopf.

„Takumi war die halbe Nacht in meinem Zimmer. Es macht ihm anscheinend doch was aus...“, brummte Toshiya, griff einen Stapel Hefte aus seiner Tasche und knallte sie herzlos auf den Tisch. Das kleine Balg hatte ihnen bis halb zwei Gesellschaft geleistet, erst dann war es Uruha gelungen den Kleinen mit sanfter Gewalt aus Toshiyas Zimmer zu schaffen und ihn in sein eigenes Bett zu legen. Nun war Toshiya so müde, dass er seine Bewegungen kaum koordinieren konnte und schwarze Punkte vor seinen Augen auf und ab tanzten.

„Häh? Taku war bei dir? Wieso das denn? Und was um alles in der Welt ‚macht ihm etwas aus’?“

Toshiya gähnte unterdrückt und ließ seinen Kopf auf die Tischplatte neben seine Hefte knallen.

„Is ne lange Geschichte. Erzähl ich dir ein andermal.“

‚Oder besser nie’, fügte er in Gedanken hinzu. Hakuei war lange nicht so diskret wie Uruha, er würde der Sache stur nachgehen und bald herausfinden, dass Kyo ihm mitten in der Nacht einen Besuch abgestattet hatte. Mit flauem Gefühl im Magen dachte er an Kyos Gesichtsausdruck – und an Rukis Drohung. Dieser Mann meinte es todernst. Er würde Toshiya ohne Zögern kalt machen, wenn er es wagen sollte ihn oder Kyo zu verraten. Toshiya würde sich hüten seine nächtlichen Besucher auch nur mit einem Wort Hakuei gegenüber zu erwähnen. Schlimm genug, dass seine Brüder etwas mitbekommen hatten.

„Ich gebe erst auf, wenn ich weiß, warum-“ Hakuei brach ab. Er sah aus, als ob ihm etwas entscheidendes aufgefallen war.

Als dieser abrupte Abriss auch bei Toshiya angekommen war, hob er langsam den Kopf und beobachtete mit wachsendem Erstaunen das Gesicht seines Freundes. Dessen Blick war auf die Tür geheftet. Er wirkte leicht perplex und Toshiya hatte sogar den Eindruck, dass Hakuei um die Wangen ein wenig röter wurde, aber er fasste sich gleich wieder. Irritiert folgte Toshiya dem Blick seines Freundes und landete bei Kaoru, der soeben mit mürrischem Gesichtsausdruck das Klassenzimmer betreten hatte. In Toshiyas Kopf bimmelte ein Glöckchen. Hakuei und Kaoru. Die beiden hatten sich in letzter Zeit merkwürdig benommen, außerdem gingen sie seit neuestem außergewöhnlich freundlich miteinander um.

Und Hakueis Gesichtsausdruck in diesem Augenblick...

Die Erkenntnis erschlug Toshiya beinahe.

„WAAAS?! IHR BEIDEN?!“

Mit einem entsetzten Aufschrei sprang er auf die Füße. Keine gute Idee, in seinem Kopf drehte sich alles.

„Bitte?“ Hakuei blinzelte. „Was meinst du? Entschuldige, ich hatte gerade eine Idee. Oh, hi Kaoru.“

„Morgen Totchi und - - - - - - - - - -Haku“, sagte Kaoru ohne mit der Wimper zu zucken und ließ die Tasche von seiner rechten Schulter gleiten.

‚Ich fass es nicht’, dachte Toshiya, ‚er hat ihn Haku genannt! Er hat ihn mit einem Spitznamen angeredet!!’

Toshiya war die letzten Wochen über so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass er offensichtlich völlig übersehen hatte, dass seine beiden besten Freunde Gefühle füreinander hegten.

‚Argh!’
 

„Willst du nicht in die Schule, Taku?“

Uruha stupste seinen Freund sanft mit dem Ellbogen in die Seite.

„Mmh? Nö. Will bei dir bleiben. Du hast doch heute keine Uni. Ich mach blau.“

Uruha seufzte.

„Na schön.“

Er vertiefte sich wieder in seine Lektüre. Takumi lag neben ihm auf dem Bett, wie ein Maulwurf eingegraben in Kissen und Decken.

„Du, Uru-chan?“, murmelte er nach einer Weile in die Laken.

„Mh?“, machte Uruha. Er mochte den Spitznamen nicht besonders.

„Warum bist du eigentlich noch mit mir zusammen? Du liebst doch Hakuei... ist das, weil ich dich ablenke und du... dann nicht mehr an alles, was passiert ist, denken musst?“

Uruha ließ erstaunt ‚Die Frisöse – Eine Begegnung der dritten Art’ sinken. Sein Freund, halb verschluckt von der großen Bettdecke, blinzelte ihn mit einem Auge an. Seine Schultern zitterten.

„Weil, ich mag dich sehr Uru-chan, das weißt du...“, waberte Takumis dünne Stimme durch das große Kopfkissen, dass er fest umklammert hielt. Der ältere zögerte kurz, dann packte er seinen Freund fest an den Oberarmen, schälte ihn aus seinem Nest aus Kissen und Decken und schloss ihn in die Arme. Takumi war so entsetzt darüber, dass ihm erst nach einigen Augenblicken bewusst wurde, was geschah, woraufhin er sofort in heiße Tränen ausbrach.

„Schsch... es tut mir leid, Taku... warte noch ein bisschen... dann fangen wir noch mal ganz von vorne an...“

Solche zärtlichen Worte war Takumi absolut nicht gewohnt. Er schluckte und nickte.

„... aber wehe du umarmst mich nicht regelmäßig... sonst laufe ich nämlich weg...“

Uruha musste unwillkürlich grinsen.

„Okay, regelmäßige Streicheleinheiten für mein Hündchen, hab schon verstanden.“

Takumi schob die Unterlippe vor.

„Fiesling. Warum muss ich mich ausgerechnet immer in die fiesen Typen verlieben...“

Schmollend krallte er sich in den Pulloverstoff vor Uruhas Brust.

Dann hob er langsam den Kopf und starrte dem anderen in die Augen.

Wenn es eine Sache gab, die Takumi wirklich beherrschte, dann war es das lidlose Starren eines Fisches. Wenn ihm im Unterricht langweilig war, machte er sich oft einen Spaß daraus seine Klassenkameraden nervös zu machen, indem er sie anstarrte. Vor einem halben Jahr hatte man seinen Banknachbar Fabian nach einer besondern langweiligen Stunde Erdkunde in eine Nervenklinik einweisen müssen.

Nach zehn Minuten zeigten Uruha erste Anzeichen von Unruhe.

„Takumi, lass das. Du machst mir Angst.“

„Beachte mich“, sagte Takumi.

Dieser neue Uruha zog ihn magisch an. Er war seit der Sache mit Toshiya völlig verwandelt, so menschlich, manchmal richtig tollpatschig, nicht selten fehlten ihm die Worte, und seine Seele war tief verwundet. Aber dieses Lächeln, wenn es auch ungefähr so häufig vorkam, wie eine Eiszeit, diese forschenden Augen, sein ganzes würdevolles weichherziges Wesen... Für Takumi war er wie das größte Abenteuer, das er je erlebt hatte, und er wollte ihn ganz für sich alleine.

„Uru-chan?“

„Hä?“ Beunruhigt und mit Stirnrunzeln legte Uruha „Die Frisöse – Eine Begegnung der dritten Art“ zur Seite (und zwar auf ein anderes Buch von der gleichen Autorin: „Der Lockenwickler – Chronik eines unbestraften Verbrechens “). Er hatte das wage Gefühl in der nächsten Zeit nicht mehr zum Lesen zu kommen. Takumi grinste ein Grinsen, das seine spitzen Eckzähne freilegte.

„...küss mich.“
 

Toshiya schlurfte zum Briefkasten. Ganz offensichtlich hatte die Welt beschlossen ihn mit all ihrer vielfältigen Möglichkeiten in den Wahnsinn zu treiben. Erst stellte sich heraus, dass er auf Männer stand, dann die unerwiderte Liebe zu Kaoru und seine chaotische Beziehung mit Hakuei (der ihn nebenbei bemerkt in der Krabbelstunde im zarten Alter von zwei Jahren mit kantigen gelben Bauklötzen beworfen hatte und seither immer seit bitterster Feind gewesen war). Schließlich wurde er von Daishi misshandelt und immer wieder heimgesucht, und jetzt dieser nächtliche Besuch von Kyo und seinem Verbrecherverwandten. Zu allem Überfluss war ihm aufgefallen wie schnell sein Herz schlug, wenn er an Kyo dachte und wie nervös er in dessen Gegenwart wurde.

‚Wenn ich mich auch noch in Kyo verliebt habe, dann erhäng ich mich...’, dachte er grimmig und öffnete den Briefkasten mit derartiger Heftigkeit, dass er um ein Haar das kleine Metalltürchen mit dem eingravierten Postsymbol abgerissen hätte. Jetzt tauchte der Briefträger schon zu den abenteuerlichsten Zeiten auf. Seit dieser komische Kauz mit den vielen Tätowierungen und dem auffälligen Lippenpiercing bei der Post angestellt war, hatte Toshiya schon zu den merkwürdigsten Tages- und Nachtzeiten die merkwürdigsten Prospekte aus dem Briefkasten zu Tage gefördert. Heute handelte es sich lediglich um die Broschüren für einen Friseursalon und einen Kostümverleih.

Toshiya wurde den Gedanken nicht los, dass der neue Postbote ihm irgendwie bekannt vorkam. Mit einem Achselzucken schüttelte er den Gedanken ab. Das letzte was er brauchen konnte, waren Grübeleien über irgendwelche größenwahnsinnigen Briefträger mit Ganzkörpertatoos und diversen durchstochenen Gesichtspartien.

„Oh! Wo kommst du denn her?“

Erstaunt ließ Toshiya die Flyer sinken. Zu seinen Füßen stand ein Hündchen, dass gerade groß genug war, um nicht durch die Löcher im Gulli zu flutschen. Es schien lediglich aus Glubschaugen, wollartigem Fell und einer abartigen rosa Schleife zu bestehen und das permanente Hecheln ließ es aussehen wie ein Blasebalg.

„Süüüß“, quietschte er und hob den Witz von einem Hund auf seine Arme.

„Du siehst ja ganz schön zerzaust und schmutzig aus. Bist du etwa weggelaufen?“

Er bedachte kurz die zur Auswahl stehenden Aktivitäten für den Nachmittag, stellte fest, dass er rein gar nichts zu tun hatte und sagte vergnügt: „Komm, wir gehen dein Herrchen suchen...“

Wunderbar. Abwechslung (und ein Gesprächspartner, der ihm zur Antwort höchstenfalls auf die Schuhe sabberte) war genau das, was er brauchte.
 

Diese Lippen. Diese Lippen trieben ihn in den Wahnsinn.

Uruha hatte ja keine Ahnung, wie heiß er war. Takumi saß auf dem Schoß seines Liebsten und genoss den ersten Kuss seit langer Zeit.

‚Wie vorsichtig und sanft er ist und gleichzeitig so... so...’, dachte er mit einem mentalen Seufzer.

‚Ich könnte ewig so bleiben. Ewig, ewig...’

„Uruha, hast du vielleicht die Zeitung von heute? Ich würde sie gerne lesen, während ich e-“

Der Kuss brach ab. Takumi drehte sich um. Uruha starrte zur Tür. In seinem Gesicht das blanke Entsetzen. Seine Mutter, die eben hereingekommen war, hatte nicht den blassesten Schimmer von den homosexuellen Neigungen ihres Ältesten, Uruha hatte ihr Takumi als Mädchen vorgestellt. Noch einen schwulen Sohn würde sie wohl kaum verkraften. Und nun hatte sie ihn in flagranti ertappt. Was ja auch nicht weiter schlimm wäre - immerhin konnte sie Uruha kaum einen Kuss mit seiner Freundin verbieten - trüge Takumi nicht just in diesem Augenblick einen zerschlissenen Pullover seines (fast ein Meter achtzig großen) Geliebten. Auch das wäre nicht der Rede Wert gewesen. Blöderweise jedoch war der Kragen des besagten Pullovers derart ausgeleiert, das er seinem zierlichen Träger nur noch auf der rechten Schulter hing und somit den größten Teil seiner Brust frei legte.

Und da war einfach nichts, wie Sayumi Hara nach einem genaueren Blick unschwer erkennen konnte.

„Da ist ja nichts...“, murmelte sie mit starrem Blick, durchquerte den Raum und fummelte Takumi wie besessen auf der bloßen Brust herum. Die weiblichen Attribute fehlten eindeutig.

„Heeee, ich steh nicht auf ältere Frauen“, empörte sich Takumi und hielt schützend ein Kissen vor seine nackte Haut, „ich steh überhaupt nicht auf Frauen.“

„Das sehe ich“, murmelte Uruhas Mutter. In ihrer Stimme lag jedoch nicht die geringste Spur von Zorn oder Enttäuschung.

Sie kniete sich vor das Bett ihres Sohnes und faltete die Hände in ihrem Schoß. Ihr Gesicht wurde von einem sanften Lächeln erleuchtet. Ein Inbegriff mütterlicher Wärme und Verständnis.

‚Uh-oh’, war alles, was Uruha in diesem Augenblick dachte. Dieser lammfromme Gesichtsausdruck seiner Mutter war kein gutes Zeichen.

„Ich möchte nicht indiskret sein, aber bedeutet das, du hast ein wenig geflunkert?“, fragte Sayumi.

Ihr glockenklares Lachen schallte durch den Raum, wie eine erfrischende Brise.

„Du bist vielleicht einer. Da stellst du mir diesen Jungen als deine Freundin vor. Dabei ist das ein männlicher (und minderjähriger) Schüler. Oh, aber eine hübsche Frisur hast du, mein Kleiner. Und was für einen strahlenden Teint.“

Strahlend war auch Sayumis Lächeln. Sie erhob sich anmutig und schritt zur Tür.

„Aber es ist okay, dass du schwul bist, Uruha. Du bist und bleibst mein Sohn und ich werde dich immer lieben. Genauso wie Sakito. Ich akzeptiere deine Neigung zu Männern völlig.“

Sie lächelte wieder mit derartiger Vollkommenheit und Wärme, dass jeder guten deutschen Großmutter die Tränen gekommen wären.

Dann drehte sie sich, einem holden Engel gleich, zur Tür und griff mit ihrer weichen mütterlichen Hand nach der Klinke.

Dann fiel sie um.

„Äh...“

Uruha blinzelte.

„Äh... Mutter?“

Die Frau auf dem Boden rührte sich. Ihre Fingerspitzen krallten sich in den Teppich. Uruha meinte so etwas wie eine bösartige Aura zu spüren, die urplötzlich den Raum ausfüllte. Seine Mutter schleifte sich über den Boden zur Tür hinaus, immer wieder geschüttelt von leisem hysterischem Lachen.

„Mutter?“, fragte er noch einmal behutsam.

Das war nicht gut. Das war absolut nicht gut.

„Soooo.... mein Sohn. Du glaubst also du kannst hier ungestört deine schmutzigen kleinen Perversitäten treiben...“ Sayumi Hara warf einen lodernden Blick über die Schulter.

„Aber du wirst noch sehen, du kleiner Homo, du Perversling, du #*§$&/#~“

Die Tür klappte hinter ihr zu.

„Ha-hat s-sie das öfters?!“, hauchte Takumi erschaudernd und presste sich an die Brust seines Liebsten.

„Die macht mir Angst...“

„Ja, mir auch“, murmelte Uruha. „Meine Mutter war schon immer so. Sie hat zwei völlig gegensätzliche Persönlichkeiten. Aber so wütend wie eben hab ich sie schon sehr lange nicht mehr erlebt... in dieser Verfassung traue ich ihr sogar zu, dass sie das Haus anzündet oder so, nur um mich zu bestrafen...“

Uruha biss sich auf die Lippe.

„Verdammt... dabei wollte ich es ihr schonend beibringen...“

Takumi zitterte am ganzen Leib. Diese Frau war schizophren. Langsam dämmerte ihm von wem Sakito den mörderischen Hang zum Kochen geerbt hatte. Gruselig.

Auf einmal umfingen ihn zwei Arme von hinten. Uruha drückte ihn an sich.

„Aber keine Angst, Kleiner. Ich steh zu dir. Immerhin hab ich mich für dich entschieden.“
 


 

„Hier.“ Hakuei warf eine Plastiktüte auf Kaorus Bett. Dieser musterte sie kritisch und holte mit spitzen Fingern einen sonnengelben Rock und ein dazu passendes Oberteil heraus.

„Und du meinst, das wird ihr gefallen?“, fragte er zweifelnd und inspizierte den Rock.

„Ist der nicht viel zu kurz?“

Hakuei zuckte die Achseln.

„Das ist diesen Sommer hochmodern. Sieht angezogen auch wirklich schick aus. Der wird deiner Freundin sicher gefallen. Wann hat sie noch mal Geburtstag?“

„Übermorgen“, murmelte Kaoru.

„Ist doch perfekt. Schenk ihr nen Blumenstrauß und die Kleider. Glaub mir, das macht die Kleine glücklich. Ich bin berühmt für meine originellen Ideen. Die Frauen liegen mir nicht ohne Grund zu Füßen.“ Grinsend ließ sich Hakuei auf das Bett fallen.

„Du bist widerlich“, brummte Kaoru.

„Tja. Das kannst du nur sagen, weil ich dir noch nichts geschenkt habe.“

Kaoru beschloss diesen Kommentar zu überhören.

„Passen ihr die Sachen überhaupt?“

Hakuei zuckte die Achseln.

„Naja, eins steht fest, sie wird nur beeindruckt sein, wenn sie ihr tatsächlich passen. Und da du nicht wusstest welche Größe sie hat, haben wir nur eine Möglichkeit. Du musst alles anprobieren.“

Kaoru ließ den Rock fallen.

„ICH?!“

„Du hast doch gesagt, dass sie dünn ist und genauso groß wie du selbst. Wenn dir Rock und Oberteil passen, dann ihr doch bestimmt auch.“

„Spinnst du? Ich zieh doch keine Frauenklamotten an“, rief Kaoru und starrte den anderen empört an. Dieser zuckte nur die Achseln.

„Bitte. Musst du ja nicht. Dann schenk ihr eben die falsche Größe. Mir ist das egal, ist ja nicht meine Freundin.“
 

„Warte, nicht so schnell!“, keuchte Toshiya, die linke Hand in die stechende Seite gepresst. Kaum zu glauben welche Energie in dem winzigen Hund steckte. Das Tier hatte vor ein paar Minuten ein Stück Wurst verschlungen, das größer war als sein ganzer Kopf, und hüpfte nun freudig hechelnd vor Toshiya her. Diesem wurde es schließlich zu bunt, so dass er das Hündchen an seiner Schleife packte und auf den Arm hob. Es leckte Toshiya über das Armband, biss ihn kurz in den Finger und sabberte ihm aufs Handgelenk.

„Was schlägst du vor? Ich bezweifle, dass wir dein Herrchen bald finden, niemand von den Leuten hier konnte mir weiter helfen...“, murmelte Toshiya und kraulte das Hündlein. Er hatte bei den Nachbarn geklingelt und jeden Mensch auf der Straße angesprochen, der ihm begegnet war, doch keiner hatte auch nur den blassesten Schimmer gehabt wohin das Fellknäul gehörte.

Während seiner erfolglosen Suche nach dem Herrchen, hatte Toshiya die ganze Zeit darüber nachgegrübelt welcher Name zu dem Sträuner passen könnte. Der Hund mit seinem flaumigen Fell und der bonbonrosa Zunge erinnerte ihn an irgendwelche Süßigkeiten. ‚Praline’, ‚Zuckerwatte’ oder ‚Törtchen’ klang zu drollig, also war Toshiya schließlich zu dem Entschluss gekommen der Name ‚Spekulatius’ sei ganz brauchbar (dazu muss gesagt werden, dass Toshiya in dieser Hinsicht etwa so kreativ war wie ein Stück Holz; die beiden Katzen, die die Haras einmal aus dem Tierheim geholt hatten, hatte der zwölfjährige Toshiya ‚Mundstück’ und ‚Olli-Peter’ genannt, obwohl sie ursprünglich ‚Felix’ und ‚Leon’ geheißen hatten; beide Tiere verschwanden eines schönen Tages spurlos, wobei Sakitos (9 Jahre) erstem Kochbuch über chinesische Küche sicher eine entscheidende Rolle zufiel, doch die näheren Umstände bleiben bis heute ungeklärt).

„Weißt du was? Wir besuchen Kaoru, wo wir schon mal in der Gegend sind. Du wirst ihn mögen, Q-chan...“ (‚Q’ wie ‚Spe-ku-latius’)
 

Langsam stieg Toshiya die Haustreppe hoch, im Arm den hechelnden Hund, und dachte darüber nach, wie glücklich er sich im Moment fühlte. Alles war so unkompliziert. Die Sache mit dem heimatlosen Hündchen hatte ihn von all seinen Sorgen abgelenkt. Vielleicht würde er das Tier ja behalten, wenn sein Herrchen nicht mehr auftauchte.

Er klingelte.

Kaorus Mutter öffnete die Haustür und ließ Toshiya hinein. Da Spekulatius wenig Ähnlichkeit mit einem richtigen Hund (oder überhaupt einem Tier) aufwies, hielt sie ihn vermutlich für einen hässlichen Muff und beachtete ihn nicht weiter.

Toshiya klopfte an Kaorus Zimmertür.

„Geh einfach rein, er macht mit einem Freund Hausaufgaben und hört dabei diese trommelfellzerfetzende Musik. Er kriegt es es eh nicht mit, wenn du anklopfst“, sagte Kaorus Mutter im Vorbeigehen.

Toshiya zuckte die Achseln und öffnete die Tür. Der Anblick, der sich ihm daraufhin bot, entsetzte ihn so sehr, dass er Spekulatius fallen ließ. Dieser überschlug sich beim Fallen einige Male und blieb reglos liegen.

Kaoru hörte tatsächlich sehr laut Musik, was Toshiya aber bereits bei geschlossener Zimmertür hatte feststellen können. Hakuei war zu Besuch, aber er war, wie man auf den ersten Blick sehen konnte, sicher nicht wegen der Hausaufgaben vorbeigekommen.

Kaoru lief scharlachrot an.

„Toshiya?! Ich kann das erklären!!!!“, rief er hastig.

Toshiya nickte langsam und mit scheelem Blick.

„Jaaa“, murmelte er und wich zurück, „ja, ich bin mir sicher, dass du das erklären kannst. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich es wissen will...“

„Ich, also ähm warum hast du eigentlich nicht angeklopft-“, stotterte Kaoru und wurde nur immer röter. Hakuei sagte gar nichts. Seine Mundwinkel zuckten.

„Hab ich ja, aber weil deine Musik so laut war, hast du es nicht gehört. Aber ich hätte ja nicht gedacht, dass du auf... auf so etwas stehst... aber ich will nicht länger stören. Weiterhin viel Spaß ihr beiden... Komm, Q-chan, wir gehen“, raunte Toshiya, sammelte sein Hündchen ein und verließ fluchtartig den Raum. Hatte Kaoru eben wirklich einen sonnengelben Minirock und ein bauchfreies Oberteil getragen?

‚Ja’, sagten Toshiyas Augen.

‚Neeein’, dachte Toshiya und schlug sich während er lief mehrmals mit dem Hund gegen den Kopf.

‚Das bilde ich mir sicher nur ein...’
 

Im Zimmer rutschte Hakuei langsam vom Bett.

Kaoru war sprachlos und noch immer tiefrot angelaufen.

Hakueis Gesicht zeigte dieselbe Farbe, allerdings konnte man den Eindruck gewinnen, dass es eher dem Lachkrampf zuzuschreiben war, den er im Augenblick mit aller Gewalt zu unterdrücken versuchte.

„Ha ha“, sagte Kaoru wie vom Donner gerührt. „Sehr witzig Hakuei. Toshiya denkt jetzt ich stehe auf Frauenkleider.“

„Und?“, antwortete Hakuei und kicherte mit nervösem Blick auf Kaours Minirock, „das tust du doch auch, oder?“

„JA VERDAMMT!!! ABER NUR AN MEINER FREUNDIN!!!!“, schrie Kaoru und sackte auf seinem Bett zusammen.

„Ich freue mich auf deinen Versuch die Sache wieder aufzuklären.“ Hakuei grinste teuflisch. Er konnte Kaoru zwar inzwischen ziemlich gut ausstehen, das änderte allerdings nichts daran, dass er ihn für sein Leben gern auf die Schippe nahm. Dieser Idiot hatte die Kleider tatsächlich anprobiert. Er war so ungeschickt in Sachen Liebe, dass er Hakueis dämlichen Rat blind befolgt hatte.

„Ich bring dich um, du-“, knurrte Kaoru, stürzte sich auf den anderen und begann ihn zu würgen. Just in diesem Augenblick flog die Tür auf und Kaoru Mutter betrat mit einem Stapel frisch gewaschener Wäsche das Zimmer.

Das einzige, was sie auf den ersten Blick verstand war, dass ihr Sohn Frauenkleider trug und auf seinem Klassenkameraden lag. Sie lächelte schwach, legte den Stapel Hosen ins Aquarium neben die Tür und ging wieder hinaus ohne ein Wort zu sagen.

„Hab ich gesagt ich will wissen, wie du es Toshiya erklärst? Vergiss das. Es wird noch viel interessanter, wenn du versuchst deiner Mutter verständlich zu machen, warum du aussiehst wie ein Perverser und mit mir im Bett liegst“, sagte Hakuei und lachte ein Lachen, für das ihn verschiedene Leute im Laufe seines Lebens immer wieder gern geohrfeigt hätten.

„Und an deiner Stelle würde ich jetzt aufstehen und mich schleunigst umziehen. Am Ende kommt noch deine Freundin vorbei. Wobei, dann lohnt es sich wenigstens wenn du umziehst und deinen Namen änderst...“

Kaoru antwortete nicht. Er kämpfte mit dem unwiderstehlichen Drang laut aufzuschreien.
 


 

Der Tag war herrlich.

Überall Vögel, grüne Blätter und Frauen die mit Sonnenhüten Fahrrad fuhren.

Der Tag war nicht nur herrlich, sondern auch wie geschaffen dafür sein Auto zu putzen, den Gehsteig zu kehren oder den Zaun zu streichen. Dabei konnte man entspannt ein paar freundliche Worte mit den Nachbarn wechseln, die ebenfalls ihr Auto putzten, den Gehsteig kehrten und den Zaun strichen.

Das Sonnenlicht war weich und die Luft mild. Allerorts kehrten die Jugendlichen ihre Winterdepressionen vor die Tür und verabredeten sich mit ihren Freunden.

Nur er nicht.

Er konnte nicht.

Warum war ihm schleierhaft. Alles, was er wusste, war, dass er unfähig war.

Unfähig, den Tag zu genießen, sich die Sonne auf die Haut schienen zu lassen, angenehm mit den Nachbarn zu plaudern. Der herrliche Tag kam ihm unwirklich vor und die Frauen mit ihren Sonnenhüten und Fahrrädern wie Lügner. Er hatte das Gefühl jeder Mensch, der ihm begegnete machte sich über ihn lustig. Die Schulkinder, die auf der Straße Fußball spielten lachten. Ihre Fratzen verfolgten ihn bis in die abgedunkelten Zimmer des Hauses.

Gleichzeitig machte es ihn wahnsinnig. Er konnte nicht verstehen, warum ihm alles Schöne an dieser Welt so widerwärtig und falsch vorkam. Dabei wünschte er sich nichts sehnlicher, als sich ein einziges Mal gut zu fühlen.

Alles in ihm war verfault und verbrannt. Wenn er durchs Fenster schaute begann er zu zittern. Die Gegend verschwamm vor seinen Augen, doch er fühlte nichts. Sogar das Selbstmitleid in seinem Herzen war restlos verkohlt. Manchmal meinte er, Schmerz und Abscheu würden ihn jeden Augenblick zerreißen und wie eine zähe schwarze Masse aus seinem Körper laufen, die Haustreppe hinuntertropfen, auf den Gehsteig kriechen und alles Leben draußen vernichten.

Doch heute war es so weit. Heute würde er handeln.

Jemand, der wusste welche rabenschwarzen Aasfresser in seiner Seele lauerten. So jemanden brauchte er. Einen Menschen, der seine schwarze verkrüppelte Seele, seinen Schmerz am eigenen Leib gespürt hatte. Er brauchte Toshiya.

Er würde ihn verstehen. Mit diesem Jungen hatte er seine eigene Hölle geteilt.

Daishi spürte, dass sein Körper bald am Ende war. Er hatte seit vierzehn Tagen nicht mehr geschlafen, seit vier Tagen nichts gegessen. Die Drogen fraßen seinen Körper von innen auf und zerstörten alle natürlichen Bedürfnisse. In lichten Augenblicken trieb ihn die grauenvolle Angst vor dem jämmerlichen Tod, der ihn ohne Zweifel bald ereilen würde, beinahe in den Wahnsinn. Er wollte nicht so enden, so sinnlos, vergessen und schmutzig.

Im Drogenrausch war Daishi wie ein Ertrinkender. Ab und zu gelang es ihm noch an die Oberfläche zu kommen und Luft zu schnappen, bevor ihn Kraft und Verstand restlos verließen und er hinab sank in diese Hölle aus Geilheit, Halluzinationen, und schwarzem Feuer.

So auch im Augenblick.

Er ging aus dem Haus ohne die Türe zu schließen. Die erschrockenen Blicke der Frauen, die auf ihren Fahrrädern vorbeikamen, der spielenden Kinder und der Zaunstreichenden Nachbarn nicht wahrnehmend lief er zielstrebig die Straße entlang. In seinem zerfressenen Gehirn legte sich Daishi einen Plan zurecht. Einen Plan und ein Ziel.

Das Ziel hieß Toshiya.
 


 


 

Sorry, Leute, dass ich so lange gebraucht habe, und dass in dem Kapitel wieder nicht viel drin war Y.Y

Eines Tages werde ich mich bessern, ich verspreche es.

Danke für euere vielen vielen Kommis, die treiben mich immer wieder zum weiterschreiben. Würde mich freuen auch dieses Mal wieder zu hören, was ihr davon haltet.

15

Hallo Leute^^ hier kommt Kapitel 15... ich habe mir inhaltlich wirklich große Mühe damit gegeben, ist gar nicht einfach mit so vielen Personen... ich hoffe es gefällt euch.

Ich freue mich natürlich wie immer über euere Kommentare und Kritik.

Übrigens: Ich weiß nicht warum, aber es ist echt schwer Kyo auftreten zu lassen, er macht was er will. Alle Charaktere machen was sie wollen. Eigentlich hatte ich vor die Geschichte auch mal irgendwann zu beenden, aber die Jungs machen nicht mit =.= ...

Trotzdem viel Spaß beim Lesen, oder auch nicht ^.^
 


 


 

Uruha ließ die Kippe fallen und zertrat sie mit der Fußsohle. Sie drückte sich in den feuchten schlammigen Untergrund und verschwand.

‚Wie ich’, dachte er und starrte auf den matschigen Boden, der seine Zigarette verschluckt hatte.

‚Oder wie Daishi.’

Ein altbekanntes, beklemmendes Gefühl legte sich auf sein Herz, nahm es in den Schwitzkasten, und er fuhr fort in die dunstige Gegend zu starren. Langsam wurde er es leid wieder und wieder über alles nachzugrübeln. Verzweiflung, Trauer und grenzenlose Wut auf sich selbst hatten die letzten Wochen über wie Bestien Tag und Nacht in seinem Innersten gewütet und eine Art ausgebrannte Ruine zurückgelassen. Sein Herz fühlte sich an wie ein Trümmergrundstück, wie eine Einöde über die ab und zu ein Flämmchen tanzte, wie ein umgestürzter Hafen.

Uruha musste bei diesen Gedanken aus unerfindlichen Gründen grinsen. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er sich nur noch gewünscht mucksmäuschenstill unter der Erde zu liegen, in seinem ewigen Schlaf höchstens behelligt von einzelnen Würmern, die sich durch seine Eingeweide fraßen.

<So also fühlt es sich an>, hatte er dabei gedacht, <wenn man sterben will.>

Trotz dieser düsteren Gedanken stand er jetzt hier und atmete die feuchte Luft ein. Man musste nicht unbedingt ein Medizinstudium abgeschlossen haben, um bestätigen zu können, dass Uruha ziemlich lebendig war und sich obendrein blendender Gesundheit erfreute.

Die Wogen in seinem Innersten hatten sich allmählich geglättet.

Wie sich Daishi wohl fühlte? Er mochte grobschlächtig, vulgär, triebgesteuert, drogenabhängig, egozentrisch, geldgeil und raffgierig sein und etwa so romantisch wie Cäsar mit zwölf Messerstichen im Rücken – und hinzu kamen natürlich auch einige schlechte Eigenschaften – aber sein ehemals bester Freund war sicher kein kaltblütiger Verbrecher. Umso mehr hatte ihn entsetzt, wie Daishi mit Toshiya umgesprungen war.

<Meine Menschenkenntnis kann ich echt knicken>, dachte Uruha, schnippte das Überbleibsel seiner vierten Kippe in eine Pfütze und hielt sich davon ab eine fünfte zu rauchen.

Er dachte kurz darüber nach, beschloss, dass seine Lunge sowieso schon eine teerverklebte schwarze Masse war, setzte eine neue Zigarette an die Lippen und zündete sie an.

Und was war mit Takumi?

Gedankenversunken drehte Uruha den Glimmstängel im Mund hin und her. Die Hände hatte er in den Taschen seiner Jeans vergraben. Langsam wurde es wirklich kalt draußen.

Takumi, dieses lipglossabhängige Kind, das keine Minute still sitzen konnte und dessen penetrante lärmende Art mehr als einen rechtschaffenen Menschen in den Tod getrieben hatte.

Trotz allem was geschehen war betete der Junge ihn an, hing an seinen Lippen und wich keine Sekunde von seiner Seite. Uruha hatte sich schließlich an seine Gegenwart gewöhnt (und Takumi war wirklich omnipresent; er tauchte immer und überall auf). Für den Kleinen war er ein Held. Er himmelte ihn an. Selbst jetzt noch. Diese Leidenschaft seitens Takumi trieb Uruha im Augenblick in eine weitere Sinnkrise: Auf der einen Seite fühlte er ganz deutlich, dass es nicht richtig war die Zuneigung dieses Jungen so für sich auszunutzen. Andererseits wollte er nicht noch jemanden verletzen und das rothaarige Gör wäre nach einer Trennung am Boden zerstört.

Für Takumi gab es nur Uruha.

Und alles war besser, als alleine sein.

Vielleicht würde er dem Kleinen sogar irgendwann echte Zärtlichkeit oder Liebe entgegenbringen.

Uruha zuckte die Achseln.

Und selbst wenn nicht. Eigentlich hatte er sowieso beschlossen nicht mehr zu lieben, so fuhr er auf jeden Fall am sichersten. Verliebt sein trübt den Blick.

<Es ist besser ich bleibe bei Takumi. Bei ihm fühle ich mich wohl. Und weil ich ihn nicht liebe, muss ich keine Angst davor haben, dass unsere Beziehung zerbricht. Denn würde ich ihn lieben, hätte meine Liebe sicher irgendwann ein Ende. Und dann könnte ich seine Gegenwart nicht mehr ertragen.>

Wenn man nichts hat, kann man auch nichts verlieren.

So einfach ist das.
 


 

„Was jetzt?“

Shinya blickte sich ratlos um. Die klappte sein Handy zu.

„Tja. Keine Ahnung. Wir kaufen ein Geschenk für Kaorus Freundin nehme ich an.“

Er ließ das Telefon zurück in seine Manteltasche gleiten.

„Warum macht er das nicht selbst? Immerhin ist es seine Freundin“, murmelte Shinya und hakte sich bei Die unter. Dieser grinste.

„Aber es ist Kaoru. Kaoru, Shinya. Dieser Kerl ist in Sachen Liebe wie ein Meerschweinchen, das man auf einer achtspurigen Autobahn ausgesetzt hat. Wenn wir ihm nicht helfen schenkt er der Kleinen noch einen verwesten Aal in einer Blechtrommel oder so was...“

„Und was schlägst du vor?“

Shinya musterte zweifelnd seine Armbanduhr. Eigentlich wollte er sich mit seinem Freund einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher machen. Andererseits musste man Kaoru wirklich helfen. Und er würde so oder so Zeit mit seinem Liebsten verbringen, sei es nun Zuhause oder in der Stadt.

„Da vorne zum Beispiel ist ein Geschenkeladen. Der sieht doch ganz ansprechend aus“, schlug Die vor und zog seinen Freund in besagte Richtung. Dieser starrte auf das Schild im hell erleuchteten Schaufenster des ganz ansprechenden Ladens: Zwei Spanferkel würgten etwas, das aussah wie ein Rettich im Smoking. Daneben verkündete ein verschnörkelter Schriftzug: Wenn Sie Geschenke der etwas anderen Art suchen, sind Sie genau richtig bei uns.

Und darunter: Eingang um die Ecke.

„Also ich weiß nicht...“, murmelte Shinya. „Irgendwie hab ich kein gutes Gefühl...“

„Quatsch, sei kein Hase, Shin!“ Die versetzte dem anderen einen Stoß in die Rippen.

„Du hast doch keine Angst vor ausgeflippten Geschenken, oder etwa doch?“

Breit grinsend zog er Shinya um die Ecke und schob ihn die Stufen zur Ladentür hinauf.
 

Mit einem Klingeln, das aus mindestens drei unterschiedlichen Richtungen tönte, schnappte die Ladentür zu. Misstrauisch blickte Shinya um sich. Alles, was er auf den ersten Blick erkennen konnte, war, dass von der Decke im ganzen Raum unzählige Äste hingen (alle versehen mit Preisschildern).

„Guten Abend. Ich darf Sie in unserer Zweigstelle begrüßen. Was kann ich für Sie tun?“

Ein ziemlich großer Mann kam mit offenen Arme auf die beiden Kunden zugelaufen.

„Äh...“, begann Shinya zurückweichend, „äh. Zweigstelle?“

„Ja, Zweigstelle der Ladenkette ‚Veilchen für dich und mich’. Wir haben 246 Geschäfte ihm gesamten Land“, verkündete der Verkäufer stolz.

„Ein Blumenladen?“, sagte Die enttäuscht. „Wozu dann das seltsame Schild im Schaufenster?“

Der Verkäufer zuckte die Achseln.

„Nun ja, irgendwie muss man die Kunden ja anlocken, verstehen Sie? Und es scheint ja prächtig zu wirken. Vorzüglich, vorzüglich... aber wir führen tatsächlich außergewöhnliche Ware. Bitte folgen Sie mir. Vorzüglich.“ Der Verkäufer wies mit gewinnendem Lächeln in die Tiefen des Raumes.

<Er verkauft Blumen? Ich hätte es wissen müssen>, dachte Shinya und beäugte von hinten die blau-lila-rot gefärbten Haare des Verkäufers, die selbst aussahen wie die Blüte einer exotischen Pflanze. Dieser Mann kam ihm merkwürdig bekannt vor. Der Kassierer im Supermarkt hatte auch das ganze Gesicht voller Blech. Durchstochene Lippen, wie gruselig. Schien wohl modern zu sein. Und diese Tätowierungen waren wirklich Geschmackssache. Wie auch immer, vielleicht ließ sich tatsächlich etwas nettes für Kaorus Freundin finden. Und alles in diesem Laden sah so aus, wie die Dinger, die Sakito immer als Suppeneinlage benutzte. Wenn er also schon dabei war, konnte er Toshiyas kleinem Bruder auch eine Kleinigkeit mitbringen.
 

„Uruha?“

Takumi drehte sich um und sah freudig lächelnd zur Tür. Nichts geschah. Enttäuscht sackte er auf dem Stuhl zusammen, drehte den bonbonfarbenen Lipgloss zu (der einen betäubenden, ätherischen Erdbeergeruch verströmte) und knallte ihn auf den Tisch. Kaum war sein Liebster mal zehn Minuten abwesend, hielt er es nicht mehr alleine in dem leeren Raum aus.

Doch irgendetwas – zweifelsohne etwas, das vernünftiger, weiser und gelassener war, als er selbst (vielleicht der Dalai Lama oder Winnetou oder die gute Fee aus Aschenputtel) – sagte ihm, dass es mehr als unklug war Uruha jetzt nachzulaufen.

<Ich sollte aufhören ihm zu folgen wie rosa Erbeerkaugummi, das ihm an der Schuhsohle klebt>, dachte Takumi in einem dieser Augenblicke der Selbsterkenntnis, die bei ihm seltener waren, als eine Palme im nördlichen Polarkreis.

Missmutig, absolut bedeutungslose Dinge vor sich hinlamentierend, holte der Junge einen kleinen ärodynamischen Föhn aus seiner Handtasche, steckte ihn an und richtete ihn lustlos auf seine Haare.

„Verdammter Regen. Ich hasse ihn“, murmelte Takumi und betrachtete sich mit düsterem Blick im Spiegel.

„Ich hasse ihn mehr als – mehr als die Hölle. Mehr als Tod und Verderben. Mehr als billigen Nagellack. Mehr als kaputte Glätteisen. Mehr als Louis Vuitton-Fälschungen“, fuhr er zischend fort in dem Versuch seiner unbändigen Wut durch wüste Beschimpfungen Luft zu machen.

Als er vor einer Stunde seine bescheidenen sieben Sachen (Handtasche, Handy, Geldbeutel, Taschentücher, rosa Lederjacke, Föhn für alle Fälle und Schminkutensilien mit denen man die ganze dritte Welt hätte stylen können) gepackt hatte und zu seinem Liebsten aufgebrochen war, mussten ihm die fiesen hässlich grauen Regenwolken entgangen sein, die nur darauf gewartet hatten ihre Tropfen wie Kamikazeflieger auf die Erde prasseln zu lassen, sobald das kleine zarte Küken die Haustür zugezogen hatte und zwei Wohnblocks vom trauten Heim (und jeglichem Regenschirm) entfernt war.

Regen und Takumi.

Schlechte Kombination.

Das Ergebnis war ein seltsamer Wust aus klatschnassen Haarsträhnen, die ihm wild ins (vom Make-up) schwarz-blaue Gesicht hingen, ein mörderischer Blick, äußerst üble Laune und ein Anstieg auf seiner Ich-hasse-Regen-Skala um weitere hundert Prozent.

„Verdammt. Ich HASSE Regen“, teilte Takumi den Möbeln von Uruhas Zimmer zum ungefähr zweihundertvierundachtzigsten Mal mit, als es an der Tür klopfte. Er schmiss den kleinen (laufenden) Föhn von sich (und bereitete damit diversen Bewohnern von Uruhas Aquarium, das die Freude hatte dem Gerät als Landeplatz zu dienen, ein unschönes Ende durch Elektroschock).

„Uruha?“, fragte Takumi hoffnungsvoll, bemerkte aber noch im selben Augenblick, wie dämlich die Frage war. Wieso um alles in der Welt sollte Uruha an seine eigene Zimmertür klopfen.

„Ich bin’s nur, Taku. Uruha hat mir gesagt, dass du hier bist“, sagte Hakuei schlicht und trat ein.

„Hä? Was machst du denn hier?“, brummte Takumi äußerst verstimmt (noch verstimmter als zuvor, falls überhaupt möglich).

„Wie freundlich“, sagte Hakuei und setzte sich unaufgeforderterweise auf Uruhas Bett. Takumi schnappte empört nach Luft.

„Was willst du hier, Haku? Und wo ist mein Uruha?“

„Oh, dein Uruha?“ Hakuei hob die Augenbrauen. Takumi kochte aus irgendeinem Grunde offensichtlich vor Wut und Eifersucht, was Hakuei unsagbar belustigte.

„Mach mal halblang, Kleiner“, säuselte er vergnügt. „Ich nehme ihn dir nicht weg, deinen Uruha. Auch wenn er sicher noch in mich verliebt ist-“

Das war ein Messerstich in Takumis Herz.

„-und auf reife, erwachsene Persönlichkeiten steht-“

Das war Salz in die Wunde.

„-und er sich nur von dir aushalten lässt um sich die Zeit zu vertreiben-“

Jetzt drehte er das Messer noch.

„-aber du wirst ja nicht so dumm sein und ihn lieben, oder?“

Bingo.

Takumis Hass auf Regen wurde nur noch von seinem Hass auf Hakuei übertroffen.

„Aber ich bin nicht hier, um mit dir zu streiten (dafür nehm ich mir ein andermal Zeit). Du bist heute anscheinend nicht besonders gut gelaunt, also machen wir es kurz: Ich muss wissen, was in jener Nacht geschehen ist.“

Bedröppelt starrte Takumi ihn an und ließ langsam seinen rechten Stöckelschuh sinken, den er dem anderen Jungen gerade ins Auge hatte rammen wollte.

„Häh?“, machte er verständnislos. „In welcher Nacht?“

„Ich meine die Nacht, jene Nacht“, waberte Hakuei geheimnisvoll, „in der diese beiden Einbrecher in Toshiyas Zimmer aufgetaucht sind. Ich hatte neulich eine interessante Idee. Sagen wir, ich verfolge eine ganz heiße Spur. Ich habe auch schon jeden befragt, der irgendetwas damit zu tun hat. Bis auf dich. Also, was weißt du darüber? Raus mit der Sprache, du Wischmopp.“

Takumi bedachte ihn mit einem giftigen Blick und begann wieder an seiner Frisur herumzufummeln, die nun – halb trocken und noch immer verklebt von einer beträchtlichen Menge Haarspray (die ausgereicht hätte um Sissi Spikes aufzustellen) – von seinem Kopf wucherte wie ein Geschwür.

„Naja, also ich kam morgens bei den Haras vorbei, und da-“

„Bitte spar dir deine ellenlangen dramatischen Reden“, unterbrach Hakuei, „fass dich kurz.“

„Schön“, machte Takumi wütend und schob sich ziellos Spängchen um Spängchen in das Tohuwabohu auf seinem Kopf.

„Also. Ich weiß nur, dass zwei Männer nach Mitternacht bei Toshiya aufgetaucht sind. Als Sakito und Ryutaro die beiden entdeckten, sind sie geflohen. Seitdem schläft Uruha in Toshiyas Zimmer. Er vermutet, dass beide Einbrüche bei den Haras irgendwie in Verbindung stehen und hat Angst, dass die Kerle ein drittes Mal wieder kommen und Toshiya irgendwie verletzen. Punkt. Das war’s.“

Hakuei sah eine Weile dabei zu, wie Takumi versuchte sich zu frisieren. Ständig entglitten die halbtrockenen Strähnen seinen kleinen Händen und er begann von neuem. Von Mal zu Mal wurde er dabei hektischer und wütender.

„Das ist nicht alles“, sagte Hakuei nach einiger Zeit bestimmt. Takumi sah ihn mit wildem Blick an.

„Was meinst du? Du lenkst mich ab. Kannst du nicht verschwinden? Und wo bleibt Uruha?!“

„Ganz ruhig. Weißt du was? Lass mich das machen.“

„Was?“, fragte Takumi, doch Hakuei packte ihn am Kragen, drückte ihn vor sich auf den Boden und begann seine langen rötlichen Haare zu einer Frisur zusammenzufassen.

„Keine Widerrede, so geladen wie du bist, kriegst du das heute eh nicht mehr hin. Beantworte mir lieber eine Frage: Was weißt du noch? Ich bin mir fast sicher, dass du noch mehr weißt.“

Takumi verzog den Mund.

„Nun ja... Ich hatte den Eindruck, dass Toshiya die beiden Typen kennt...“

„Was ja auch logisch wäre“, warf Hakuei ein.

„Das hab ich auch gedacht“, sagte Takumi und nickte.

„Hör auf zu nicken verdammt, sonst rutscht mir alles aus den Händen!“

„Ich hab Toshiya drauf angesprochen“, fuhr Takumi fort, „und dabei kam raus, dass er sich mit den zwei Männern sogar unterhalten hat. Das hat er natürlich nicht direkt gesagt, aber seiner Reaktion nach zu schließen...“

Hakuei schob eine letzte Spange in Takumis Haare und hielt ihm dann einen Spiegel vors Gesicht.

„Danke“, murmelte Takumi kleinlaut, nachdem er sich prüfend von allen Seiten betrachtet hatte.

„Keine Ursache“, sagte Hakuei.

„Ich glaube das war das letzte Puzzleteil, das ich noch gebraucht habe“, setzte er mit wissender Miene hinzu.

„Das Puzzelteil wofür, Sherlock?“, erwiderte Takumi mit hochgezogenen Augenbrauen.

Hakuei blinzelte verschwörerisch (die einzige Bewegung, die ihre coole Wirkung jedes Mal völlig verfehlte und ihn aussehen ließ, wie ein Affe, der einen Schwarm Fliegen ins Auge bekommen hat).

„Das kann ich nicht sagen, Kleiner. Noch nicht. Aber es wäre nicht schlecht, wenn du dir meine Worte schon einmal merken könntest: Ich hab’s gewusst.“

„Was gewusst? Häh?“

Hakuei blinzelte noch einmal (diesmal aufgrund einer echten Stubenfliege, die sich in einem plötzlichen Anflug des Überdrusses an ihrem kurzen Leben ins linke Auge des Japaners gestürzt hatte).

Und weg war er.

Völlig verwirrt, aber zumindest mit verebbender Wut (jetzt, das seine Frisur wieder saß wie eine eins) beobachtete Takumi durchs Fenster, wie Hakuei über den Rasen lief, Uruha, der unten stand und rauchte, kurz zunickte, und die Straße entlang um die nächste Ecke verschwand.

Wovon zur Hölle hatte dieser komische Kauz gefaselt?

Auch egal.

Er sah wieder umwerfend aus und sein Liebster sollte es langsam satt haben sich giftigen Qualm durch die Lungen zu ziehen.

Takumi grinste sein Spiegelbild an.

Gut, er hasste Hakuei, der Kerl war wirklich ein widerlicher gemeiner Kotzbrocken, aber eines musste man ihm wirklich lassen: Er hatte das Zeug zu einem Starfrisör.
 

Der Starfrisör raste die Straßen entlang.

Kyo.

Dieser miese kleine Bastard.

Er hatte es gewusst. Dieser Verbrecher mit Minimalmimik suchte seinen kleinen Toshiya des Nachts heim. Hakuei hatte gute Lust ihm jede Rippe seines zarten Körpers einzeln zu brechen. Von weitem wirkte Kyo wie ein sanftes, zerbrechliches Kind. Blöderweise lag in diesen kalten toten Augen sein wahrer Verbrechercharakter (ohne den mörderischen Blick hätte man sie glatt mit großen hübschen Mädchenaugen verwechseln können). Alle anderen mochten ihn für harmlos halten, aber die Leute kannten ja auch seinen großen Bruder nicht. Und Daishis Verbrechergene steckten auch in Kyos Körper.

Hakuei sprang über eine größere Pfütze, wich zwei Knirpsen aus, die in Regencapes und Gummistiefeln auf der Straße Ball spielten, und kam schließlich vor einer Doppelhaushälfte ganz am Ende der Straße zum Stehen. Alle Rollläden waren heruntergelassen. Auf einem Fenstersims im Erdgeschoss stand ein Blumenkübel. Die Geranien ließen trotz des Sommerregens ihre Köpfe hängen.

<Na prima>, dachte Hakuei und schnalzte missbilligend mit der Zunge, <Herzlich Willkommen, treten Sie ein! Was für eine reizende Atmosphäre...>

Sakito konnte man täuschen. Takumi konnte man täuschen. Kaoru, den Esel, konnte man täuschen (nichts einfacher als das). Selbst Uruha, der gewöhnlich flinker und aufmerksamer war als andere Menschen, konnte man hinters Licht führen.

Aber nicht ihn.

Aus dem einfachen Grund: Er traute niemandem, auch wenn man ihm diese Lebenseinstellung vielleicht nicht sofort ansah. Und seit Kyos Verschwinden hatte er aufmerksam die Nachrichten verfolgt, die Zeitung gelesen und sich unauffällig überall umgehört. Nicht nur, dass er über üble Dinge aus Kyos Vergangenheit gestolpert war, nach und nach hatte sich sein Verdacht gefestigt, dass ein unguter, arroganter Mensch, mit einem derart miesen Charakter wie Kyo nicht sang- und klanglos vom Erdboden verschwand. Als die ersten Gerüchte über eine Diebesbande kursierten, die die Gegend unsicher machte, hatten bei Hakuei sämtliche Alarmglocken geschellt.

Und er wusste nicht weshalb, aber Toshiya war einfach immer das Opfer. Er hatte ein ganz übles Gefühl.

Hakuei ging langsam den Weg zur Haustür. Doch noch während er den Blick auf die graue Holztür geheftet hatte, überkam ihn eine furchtbare Ahnung. Sekundenlang starrte er auf die grauen Hauswände von Daishis tristem Zuhause.

<Was, wenn->

Er klingelte noch nicht einmal.

Er drehte der Tür den Rücken zu und rannte so schnell er konnte.
 

„Uruha, verdammt“, zeterte Takumi. „Jetzt hab ich mich extra für dich hübsch gemacht – und – und – du machst noch nicht mal Anstalten endlich reinzukommen!!“

Sein Schmollmündchen zitterte gefährlich. Selbstverständlich jedoch ließ er sich nicht dazu hinreißen tatsächlich in Tränen auszubrechen. Immerhin hatte er sich eben erst mit allergrößter Sorgfalt zurecht gemacht und sein Make-up so vorsichtig und gründlich auf Vordermann gebracht, als entschärfe er eine Bombe, als könne jede Bewegung über Leben und Tod entscheiden. Wenige Tropfen würde genügen, um eine wahre Katastrophe auszulösen.

„Hör auf zu simulieren...“, murmelte Uruha und brach die zweite Schachtel Zigaretten an.

Er hasste es in seinem Gedankengang unterbrochen zu werden. Hinzu kam, dass er im Augenblick überhaupt keine Lust hatte auf Takumis kindische Fishing-for-compliments-Spielchen einzusteigen.

„Ich hab dich vermisst!!“

„Ich bin doch nur kurz eine rauchen...“ Uruha seufzte. Er konnte dem Kleinen nicht böse sein, der meinte es schließlich nicht so.

„Was wollte Hakuei?“

„Kannst du nur an Hakuei denken?“, schmollte Takumi und drehte sich weg (und zwar so, dass Uruha die volle Pracht seiner Frisur von der Seite bewundern konnte).

„Lass das, Taku, ich bin jetzt nicht für so etwas aufgelegt... ich fühle mich gerade – ich will sagen, ich habe gerade so etwas, wie – eine Vorahnung. Ich kann es nicht beschreiben... es ist nur so ein seltsames Gefühl, dass ich besser nach Toshiya sehen sollte...“

Takumi starrte seinen Liebsten sekundenlang an und wandte sich dann wieder ab, diesmal jedoch ernsthaft erschüttert. Das leise Gefühl der nagenden Eifersucht kroch über sein Herz und knabberte an den letzten Resten (oder ersten Anfängen?) seiner Selbstbeherrschung. Egal wie sehr er sich bemühte, ganz gleich wie hübsch er sich anzog, wie sorgfältig er sich schminkte, Uruha sah nur seinen kleinen Bruder.

Nun wurden seine Augen tatsächlich gefährlich feucht. Takumi zwang sich sofort an den (wenn auch in einiger Ferne liegenden) Sommerschlussverkauf bei H&M zu denken. Mit allergrößter Mühe schluckte er die bitteren Tränen hinunter, die schon seit Wochen versuchten sich ihren Weg ins Freie zu bahnen.

„Warum immer Toshiya?“, sagte er nach einer Weile leise.

Uruha sah ihn kurz mit Stirnrunzeln an, wandte seinen Blick wieder auf die nasse Straße und zog an seiner Zigarette.

„Was meinst du damit?“

Takumi biss sich auf die Lippe.

Mist.

Eigentlich hatte er seinem Freund niemals zeigen wollen, wie eifersüchtig er in Wahrheit war. Aber jetzt konnte er sich nicht mehr zurückhalten, der Frust stand ihm bis zum Hals. Uruhas naive Frage war wie ein kleiner unbedeutender Kieselstein, der eine ganze Lawine auslöst.

„Toshiya hier, Toshiya da, immer nur Toshiya...“, brummte er leise ohne Uruha anzusehen, „...dabei sieht er ganz grässlich aus, mit diesen abgefressenen Haaren, er lässt sich total gehen. Und ich gebe mir alle Mühe und – und du beachtest mich nicht mal. Sogar Daishi ist dir doch wichtiger, als ich es bin. Und Toshiya ist kein Baby, du musst ihn nicht so bemuttern, es gibt – es gibt andere (<Mich zum Beispiel>, dachte er) die dich nötiger brauchen-“, und mit einer Heftigkeit, die ihn selbst erschrak, fügte er hinzu, „aber nein, Toshiya über alles!! Man könnte echt meinen, du bist in ihn verknallt! Du hast einen totalen Bruderkomplex. Plötzlich. Früher war er dir absolut egal. Das ist doch krank!“

Er zitterte. Nun hatte er es also gesagt.

Uruha starrte ihn an. Solche bitteren Worte aus dem sorgfältig geschminkten Schmollmund. Ganz neue Töne.

So ernst.

Und vor allen Dingen so unfair. Wie konnte er wagen ihm Vorwürfe zu machen?! Takumi hatte wirklich gar nichts verstanden.

Erst viel später würde Uruha klar werden, dass in Wahrheit er rein gar nichts verstanden hatte. Das ist meistens so, erst wenn es zu spät ist, fällt der Groschen.

Es begann zu regnen. Takumi hatte die Tränen völlig umsonst zurückgehalten, die dicken Tropfen erledigten nun deren Arbeit und verwandelten sein Gesicht zum zweiten Mal an diesem Tag in ein Schlachtfeld von Blau- und Schwarztönen. Der kunstvolle Knoten auf seinem Kopf sog das Regenwasser auf wie ein Ertrinkender und rutschte ihm Stück für Stück wie eine fette träge Schnecke in den Nacken.

„Entschuldige mal!!“, erwiderte Uruha aufgebracht und bemühte sich dabei nicht im geringsten seine Lautstärke zu dämpfen, „Er ist mein Bruder! Und wer ist hier krank?! Du bist doch neurotisch, immer süchtig nach Komplimenten, launisch wie sonst was! Du kostest mich den letzten Nerv. Und Toshiya ist nun mal mein Bruder!! Er hat furchtbares durchgemacht, so schrecklich, dass du es dir nicht einmal in deinen schlimmsten Träumen ausmalen kannst! Ich mache mir Sorgen, verdammt, er ist mein Bruder und ich liebe ihn einfach!!“

<So??!! Und mich nicht?>, wollte Takumi ihm entgegenschreien, aber er brachte kein Wort mehr heraus. Er wusste sehr wohl wie unfair es war, seinem Freund die Sorge um Toshiya vorzuwerfen und er hatte nie im Sinn gehabt sich ernsthaft über dessen Erlebnis und die damit zusammenhängenden Probleme lustig zu machen, aber er wusste sich einfach nicht mehr zu helfen. Nachdem Kyo ohne ein Wort des Abschiedes verschwunden war, blieb ihm nur noch Uruha. Der allerdings kümmerte sich nur um den kleinen Bruder und seinen Exfreund Hakuei, obwohl er doch mit ihm, Takumi, zusammen war und sich um ihn, Takumi, kümmern sollte.

Und es gibt nichts schlimmeres, als die Angst alles, was man im Leben hat, auf einen Schlag zu verlieren. Noch während Takumi auf der feuchten Erde im Vorgarten der Haras stand, taten ihm seine Worte unsagbar leid, er bereute jede einzelne Silbe seiner garstigen Anschuldigungen, aber er konnte einfach nicht aus seiner Haut.

Sie starrten sich durch den Schleier aus Dunst und Regen an. Uruha bebte vor Zorn und Empörung. Takumi war kreidebleich geworden.

„Du bist unglaublich“, sagte Uruha schließlich kalt, „reiß dich am Riemen. Es gibt wichtigeres als dein Ego, vielleicht begreifst du das endlich mal, Takumi, und lässt diese pubertäre Kleinmädchenphase hinter dir. Das widert mich an.“

Fassungslos starrte Takumi auf seine Schuhe. Vor seinem mentalen Auge fiel seine ganze hohle Welt in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Jetzt hatte er endgültig alles kaputt gemacht. Und das, obwohl er sich so lange nach Leibeskräften bemüht hatte.

„Ich hasse dich“, presste er hervor, meinte eigentlich Ich liebe dich so sehr, aber ich hasse mich (was auszusprechen ihm der letzte Funken seiner Würde dann doch verbot), brach haltlos in Tränen aus und rannte davon, so schnell ihn seine dünnen Beine tragen konnten.

Uruha starrte ihm nach. Er stöhnte auf und vergrub sein Gesicht in den Händen.

Hatte er das eben wirklich zu dem Kleinen gesagt? Dass er pubertär und egoistisch war, verzogen und nervtötend?

Ja, er war unfair gewesen – aber im Recht. Und Toshiya war ihm wichtiger, als Takumi.

„Scheiße“, murmelte er und ging langsam zum Haus zurück.
 


 

„Nein Saki, ich halte das für keine gute Idee, wirklich-“, murmelte Ryutaro und beäugte zweifelnd das Glas eingelegter Aale.

„Papperlapapp, Ryu“, fiel Sakito ihm ins Wort. „Ich koche, also kaufe ich auch ein.“

Er ging ein weiteres Mal seine Liste durch. Ein einziger Blick reichte Ryutaro aus um sich darüber klar zu werden, dass es besser sein würde, wenn sie jetzt sofort mit leerem Einkaufskorb wieder nach Hause gingen und sich belegte Brote zum Abendessen machten.

<Ach, so etwas kann man doch nirgends kaufen>, hatte sich der schüchterne Junge die letzten zwanzig Minuten über eingeredet, leider war es ihm nicht mal annähernd gelungen sich selbst zu überzeugen. Sakito bekam immer das, was er wollte. Sei es ein ‚hervorragend’ in Chemie, sündhaft teuere chinesische Zierfische zum Spottpreis, Menschenopfer oder (vielleicht in naher Zukunft?) seine eigene Fernsehserie.

„Ah, hier sind die getrockneten Zebramägen. Gib mir bitte mal einen davon rüber. Dann brauche ich noch Hammelfleisch, verwesten Aal, Kobraaugäpfel und ein Kilo Zwetschgen.“

„Also ich weiß nicht...“, sagte Ryutaro halb angewidert halb verschüchtert.

Sakito runzelte leicht die Stirn.

„Ja, du hast Recht, Ryu. Vielleicht sollte ich die Zwetschgen wirklich besser weglassen. Ich trau der Sache nicht, nach all den Skandalen um faule Früchte und Würmerplage...“, antwortete er ohne den konzentrierten Blick von seiner schlauen Liste zu heben. Sein Freund seufzte lange und leise auf.

„Was? Willst du sagen, ich bin krank?“, brummte Sakito und rückte seine Lesebrille zurecht. Ryutaro lächelte kurz.

„Ich hab dich lieb, Saki. Ich liebe dich“, flüsterte er und drückte sanft die Hand seines Freundes.

Doch gerade als dieser aufblicken wollte, stieß Ryutaro einen spitzen Schrei aus, machte einen Satz nach vorne und fiel ihm unbeholfen in die Arme. Irgendjemand war aus dem Nichts hinter ihm aufgetaucht und hatte ihm eine eiskalte Hand auf die Schulter gelegt.

Nun trat ein sehr großer Mann hinter dem zitternden Rücken des schmalen Japaners hervor. Sein breites Grinsen löste ein sehr beunruhigendes Gefühl in Sakito aus, wie immer, wenn jemand urplötzlich seine Hand auf die Schulter seines Freundes legte und ihn dann ohne Grund und Ziel minutenlang wie ein Wahnsinniger angrinste.

„Ich sehe, sie haben einen Zebramagen in ihrem Einkaufskorb. Dürfte ich ihnen da auch weitere Mägen empfehlen?“, fragte der Mann. Es war erstaunlich, wie er es schaffte zu sprechen, ohne dass sein Grinsen auch nur einen Hauch von Breite verlor.

Nichtsdestotrotz verpuffte die Beklemmung in Sakito augenblicklich.

„Sie sind der Verkäufer?“, fragte er strahlend.

„In der Tat. Vorzüglich, vorzüglich“, antwortete der Mann. Sein Lippenpiercing schillerte wie das Arbeitsgerät eines Axtmörders.

„Haben sie eventuell auch Dinge, wie Methanal, Kupfersulfat oder H zwei SO vier? Ich habe nichts davon finden können...“, fragte Sakito eifrig weiter. In seinen Armen zitterte noch immer sein Freund, bleich wie ein Gespenst, und wagte nicht aufzusehen.

Ryutaro liebte Toshiyas kleinen Bruder wirklich über alles. Mehr als sein Leben (was zu beweisen war, da er jedes seiner Gerichte probiert und nur durch ein Wunder und ein sehr nützliches Gegengift jedes Mal überlebt hatte), aber manchmal wünschte er sich, sein Liebster würde für irgendwelche anderen sadistischen Hobbies Begeisterung hegen. Warum musste es denn ausgerechnet Kochen sein? Warum nicht Kaninchenzucht, oder Safaris durch den Dschungel oder Sammeln von hochgiftigen Insekten?

Dieser Laden war ein einziges Gruselkabinett und der Verkäufer hatte etwas von Hannibal Lecter.

„Aber selbstredend haben wir auch eine Chemikalienabteilung. Wenn sie mir bitte folgen würden. Sie ist ein wenig versteckt hinter den Skeletten der prähistorischen Vögel. Hinter Archäopterix gleich links. Vorzüglich, vorzüglich...“, erklärte der Verkäufer und wies seinen Kunden den Weg. Fest an Sakitos Hand geklammert stakste Ryutaro - entgegen der eigenen Vernunft und seines Selbsterhaltungstriebes - zu den Regalen, die mit unzähligen Reagenzgläsern gefüllt waren. Ein Blick zur Seite sagte ihm, dass der Hals des Verkäufers aussah, als würde er in der nächsten Sekunde von seinen Tätowierungen aufgefressen werden. Zumindest soweit man das durch den obersten offenen Knopf des Laborkittels sagen konnte.

Er sah aus wie ein irrer Doktor.

Ein eiskalter Schauer lief Ryutaro über den Rücken.

<Einfach nicht darüber nachdenken... Ich liebe Saki, und über alles andere sollte ich einfach nicht nachdenken...>
 

Ryutaro und Sakito waren nicht die einzigen, die mehr oder weniger auf der Suche nach irgendetwas (sei es nun verwester Aal oder ein Ort, den der Verkäufer des Lebensmittelladens nicht erreichen konnte) ihre wöchenlichen Einkäufe erledigten. Ein Junge von dem schon häufig genug die Rede gewesen war stand in eben diesem Augenblick wie festgewachsen vor dem Schaufenster einer Drogerie und haderte mit sich selbst.

„Meinst du, ich soll reingehen, Q-chan?“

Toshiya kraulte gedankenversunken durch das zerzauste Fell seines Adoptivköters. Dieser sabberte ein wenig, nieste ein paar Haare aus und sah hinterher genauso blöd aus wie zuvor. Toshiya jedoch schien der unverändert apathische Blick des Tieres plötzlich irgendetwas mitzuteilen, denn sein Gesicht leuchtete auf und er murmelte: „Ja, du hast Recht. Ich darf mir von Daishi nicht mein ganzes Leben zerstören lassen. Ich würde mich so gerne wieder schminken, aber ich hab alles weggeworfen.“

In der Tat. Und was er nicht weggeworfen hatte, war ihm von Kyo und seiner Diebesbande geklaut worden und zierte im Augenblick höchstwahrscheinlich den Schminktisch von Rukis temperamentvoller Freundin. Was nur gerecht war, immerhin zierte ihr Hund im Moment Toshiyas Arm (mehr oder weniger, das ist Geschmackssache) (und weiß der Teufel welcher Teufel das Tier seiner liebevollen Besitzerin weggenommen und es ausgesetzt hatte). Eine Tatsache, von der der Junge natürlich (noch) keinen blassen Schimmer hatte.

„Ok, ich geh jetzt rein“, sagte Toshiya und es klang wie ok, ich komm jetzt rein, nehmen Sie ihre Hände laangsam nach oben und lassen Sie die Waffen fallen oder auch wie ok, ich geh jetzt rein, Jackie. Mann, ist echt kein Schwein mehr am Leben hier drinnen, alle niedergemetzelt, aber kein Feind in Sicht.

Toshiya betrat also wie ein Held den Drogeriemarkt und schlich sich verstohlen zur Abteilung für Schminksachen. Er fühlte sich wirklich viel besser in letzter Zeit. Dieser Hund war ein Geschenk des Himmels (Ruki, Gott, wo ist der Unterschied?). Die letzten Wochen über hatte er sein eigenes Spiegelbild nicht mehr ertragen und nur sehr langsam pendelte sich bei ihm wieder ein normales Verhalten ein.

Weder konnte er es ertragen lange alleine zu sein, da er sofort in ein tiefes Loch aus Verzweiflung, bitterer Einsamkeit und unangenehmer Flashbacks fiel, noch hielt er die Gesellschaft von Freunde oder Familie aus. Er hatte ununterbrochen das Gefühl sie erwarteten etwas von ihm, außerdem wurde er die Schuldgefühle nicht los. Er fühlte sich schuldig, weil er seiner Mutter und Sakito nichts von allem erzählte, weil er Uruha gegenüber völlig verklemmt war, weil er seinen Freunden nicht mehr vertraute, weil er Daishi vielleicht hätte entkommen können, weil er Kyo auf die Nerven gegangen war und zu guter Letzt weil er das Gefühl nicht los wurde an allem Schuld zu sein. Ein Teufelskreis.

„Du erwartest gar nichts von mir, Q-chan“, murmelte Toshiya und knuddelte den Hund kurz, den er aus Spaß in den linken Ärmel gesteckt hatte, nur um zu sehen ob er hineinpasste. Er passte hinein.

„Ich glaube ich hab mich verliebt... und wieder hoffnungslos... ich bin nicht zu retten, was Q-chan? Dabei gibt es so viele nette Männer auf der Welt... warum ausgerechnet Kyo... Er verachtet mich. Aber du kennst ihn ja gar nicht. Du solltest ihn sehen, er ist so hübsch, auf seine eigene, besondere Art“, schwärmte Toshiya, „und er hat so tolle Augen. Er ist stark. Ich bin froh mit Liebe an jemanden denken zu können, das lenkt mich ab...“

Eine Verkäuferin, die links von ihm eine Reihe Lippenstifte eingeräumt hatte, starrte Toshiya erst sekundenlang entgeistert von der Seite an und verzog sich dann schnurstracks hinter das Regal mit Haarshampoo. Dieser Kunde redete tatsächlich mit seinem Ärmel.

„So, das, das und das... wir bezahlen, Q-chan, und dann probier ich es gleich zu Hause aus...“
 

Er hatte gewartet.

Zwei Stunden lang. Vor dem Haus. Vor seinem Haus. Er hatte seinem ehemals besten Freund beim Rauchen zugesehen und nichts empfunden. Er wartete nur auf Toshiya. Auch diesen Streit hatte er mitbekommen. Jedes einzelne Wort. Und dieser andere Junge, Hakuei, der wie ein Besessener aus dem Haus gerannt war. Alles hatte er beobachtet, in seinem verstümmelten Gehirn festgehalten, jede einzelne ihrer Bewegungen. Dabei erinnerte er sich, dass er diese Menschen einmal geliebt hatte. Aber es war nun nicht mehr seine Welt. Er war nur noch müde, wollte nicht mehr, er fühlte sich krank und leer und tot. Er wollte, dass alles ein Ende fand. Aber nicht einfach so. Ein besonderes Ende musste es sein. Eins, das niemand mehr vergaß. Genau, sie sollten ihn nicht vergessen. Nicht Uruha, nicht Hakuei, nicht Kyo. Alles was er brauchte war Toshiya. Irgendwann war er aufgestanden, hatte sein Versteck in den Büschen verlassen und sich davon geschlichen. Toshiya war nicht zu Hause, es hatte keinen Sinn länger hier zu warten. In die Stadt, er musste in die Stadt. Aber jeder schleppende Schritt schmerzte mehr in seiner Seele, was er voller Verwunderung zur Kenntnis nahm. Schmerz. Er fühlte sich beinahe lebendig.

Und Verzweiflung. Verzweiflung in irgendeiner Ecke neben Mülltonnen zusammenzusacken und zu verenden. Wie ein krankes Rind. Panisch klammerte er sich an den Gedanken, dass ihm noch ein Rest Menschenwürde geblieben war. Solange er in diesem Körper herumlief, sicher.

Es würde nicht mehr lange dauern. Seit Tagen hatte er weder gegessen, noch geschlafen, der Drogenrausch raubte ihm alle natürlichen Gefühle, Hunger, Müdigkeit, Durst.

Bunte Lichter, bunte Menschenmassen, blinkende Reklame.

Die Fußgängerzone. So weit hatte er sich geschleppt? Umso besser.

Daishi sank wieder in eine Phase der apathischen Gleichgültigkeit. Es hatte sowieso keinen Sinn. Das einzige, was er wusste war, dass er Toshiya finden musste. Und noch nicht einmal das machte Sinn. Er tat es für sich selbst, als letzten Dienst an die Person Daishi. Alle Menschen die er gekannt hatte, sollten sich mit Schmerz an ihn erinnern. Wenigstens das. Auch wenn es prinzipiell sowieso egal war.
 

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Toshiya schwang vergnügt die Plastiktüte mit Schminkutensilien. Weshalb fühlte er sich auf einmal so lebendig? Die Haare würde er sich auch wieder wachsen lassen. Und mit Hakuei reden. Und mit Sakito. Und Uruha sagen, wieviel ihm seine Fürsorge bedeutete, auch wenn er ihm das nie gezeigt hatte. So viele Dinge, die noch zu erledigen waren. Er war so guter Dinge, dass er kaum auf den Weg achtete und prompt – wie nicht anders zu erwarten in einer Fußgängerzone – mit jemandem zusammenstieß.

„Oh, Verzeihung“, murmelte Toshiya, sammelte seine Tasche und sein Hündchen Spekulatius vom Boden auf und blickte der Person, die er angerempelt hatte, entschuldigend entgegen.

Und erstarrte.
 

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„Hakuei? Wo bist du?“
 

„In der Stadt. Ich suche Toshiya.“
 

Uruhas Finger zitterten.
 

„Ich helfe dir suchen. Ich – ich habe so ein blödes Gefühl, ich kann es nicht beschreiben...“
 

Kurze Stille.
 

„Du auch?“
 

„Wo genau bist du, Haku?“
 

„Pfirsichstraße, an der Kreuzung, in der Nähe des Parks.“
 

„Ich bin in fünf Minuten da. Ich nehm das Auto.“
 

Er legte auf. Mit der linken Hand wischte er sich über sein feuchtes Gesicht. Gott, war ihm heiß. Toshiya. Er hatte grauenvolle Angst um ihn. Warum hatte er das Gefühl, Daishi würde ihm in genau diesem Augenblick etwas antun? In einer einzigen Bewegung schlüpfte er in seine Jacke und griff mit bebenden Händen nach Schlüsselbund und Geldbeutel.

„Wie? Du gehst? Wohin des Weges?“

Sakito kam in den Flur gelaufen. Er rührte in einer gewaltigen Schüssel, die er ihm Arm hielt.

„Ja, ich gehe Toshiya suchen. Ich habe ein komisches Gefühl, dass – dass irgendetwas passiert ist.“

„Aber er ist doch nur in die Stadt gegangen. Ich war mit Ryu einkaufen und hab ihn vorhin auf dem Heimweg getroffen. Er hat ein Hündchen gefunden, irgendeinen Streuner und wollte sich auf die Suche nach dem Herrchen machen. Du kennst ihn doch.“

„Eben“, murmelte Uruha. Toshiya mutterseelenallein in der Stadt, irgendein Tier als einzigen Schutz. Wunderbare Vorstellung. Zumindest hatte er jetzt einen Anhaltspunkt.

„Wo genau hast du ihn getroffen?“

„Vor der Eisdiele auf dem Marktplatz. Das ist so ungefähr eine halbe Stunde her.“

Uruha atmete hörbar auf. Sie hatten noch nicht viel Zeit verloren.

Und dennoch. Er wurde das beklemmende Gefühl nicht los, dass etwas nicht in Ordnung war.

Hätte Uruha in diesem Augenblick nur gewusst, wie richtig und falsch er gleichzeitig mit dieser Befürchtung lag.

Er zog die Haustür zu und klappte sein Handy auf um Hakuei zu benachrichtigen. Am besten sie würden sich gleich auf dem Marktplatz treffen und von dort aus losgehen. Vielleicht hatte irgendjemand Toshiya gesehen.

„Was ist denn mit ihm los?“, fragte Ryutaro, als sein Liebster rührend die Küche betrat. Dieser zuckte nur die Achseln und stellte die Schüssel auf den Boden, die nebenbei gesagt ein ungeheueres Gewicht hatte.

„Macht sich Sorgen um Toshiya. Ist ihn suchen gegangen. Dabei hab ich ihm gesagt, dass wir ihn erst getroffen haben und da ging es ihm (bis auf diese Krankheit von Hund) wirklich blendend...“

Ryutaro runzelte die blasse Stirn.

„Seltsam. Normalerweise ist er nicht so. Meinst du es ist etwas dran?“

Sakito schüttelte den Kopf und vier Packungen Mandeln in die Schüssel.

„Nö. Ich habe kein komisches Gefühl. Und wenn Toshiya irgendetwas zugestoßen wäre würde ich sicher etwas spüren“, antwortete er. Ryutaro lächelte sanft. Typisch Sakito. Nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen. Es klingelte.

„Machst du die Tür auf, Ryu? Ich kann gerade nicht weg. Der Teig muss ununterbrochen gerührt werden...“
 

„Hey!“, sagte der Junge und machte das Peace-Zeichen.

Ryutaro starrte ihn an.

„Kann ich reinkommen?“

Ryutaro starrte ihn an.

„Ist saukalt in dieser Stadt. Mein Bruder ist nicht zufällig bei euch?“

Ryutaro starrte ihn an.

„Wer bist du?“

Der Junge feixte und schnippte mit dem Zeigefinger gegen das Schild seiner Kappe.

„Meinst du mich?“

Ryutaro starrte ihn an.

Er konnte nicht anders. Er musste ihn anstarren.

„Wer bist du?“, wiederholte er, der einzige Satz, der ihm momentan sinnvoll erschien.

Der Junge grinste sehr breit. Seine spitzen Eckzähne blinkten. Seine Augen leuchteten merkwürdig. Von seinen bunten Kontaktlinsen ging ein geradezu gruseliges Schillern aus. Ryutaro runzelte die Stirn. Seine weichen Augen musterten mit maßlosem Erstaunen das lebende Kunstwerk vor ihm.

„Das sag ich dir nur, wenn du mich hereinlässt, Kleiner, ich friere.“

Von drinnen drang die Stimme Sakitos an seine Ohren, der sagte: „... Rosinen... und noch ein wenig Arsen...“

Ryutaro gab sich geschlagen. Er stieß die Tür weiter auf. So gefährlich (bis auf die gruselig strahlenden Augen) sah der Fremde nicht aus. Und wenn doch, könnte er ihm immer noch etwas zu essen anbieten.
 

Es gibt die interessantesten Zufälle. Dieser war ein ganz besonders interessanter. Toshiya konnte nicht glauben wem er geradeswegs in die Arme gelaufen war. Kyo anscheinend ebenfalls nicht, denn er stand einfach nur da, die Hände in den Taschen und sah in mit (zur Abwechslung mal) erstauntem Blick an. Nur Ruki reagierte. Allerdings anders, als man vielleicht erwartet hätte. Er starrte Toshiya an, dann das hechelnde Hündchen auf dessen Arm und schien blitzschnell irgendetwas zu begreifen, denn er packte Q-chan, knüllte ihn in seine rechte Hand, nahm ein paar Schritte Anlauf und warf ihn mit einem olympiareifen Meisterwurf fünfzig Meter weit über die Menge aus Fußgängern hinweg.

„Verdammt, das war knapp“, keuchte er und rückte seine (völlig nutzlose angesichts der Dämmerung eher hinderliche aber megacoole) Sonnenbrille zurecht.

„Schatz?“, tönte es auch promt von hinten. Rukis Freundin wedelte strahlend mit ihrer Tasche vor seiner Nase herum.

„Sieh doch, was ich gefunden habe! Solche Schuhe suche ich schon lange!“

„Wunderbar, Süße“, antwortete Ruki. Mit einer Hand wischte er sich den Schweiß weg, der ihm beim Anblick des Hundes auf die Stirn getreten war.

„Ist irgendwas, Takkun?“, fragte die Asiatin und blinzelte ihren Liebsten verständnislos an. Was dazu führte, dass sie von der plötzlichen Angst befallen wurde, ihre Wimpern seien nicht mehr ausreichend getuscht. Sie zog also ein schmuckes kleines Schminktäschchen hervor, förderte ihre Wimperntusche daraus zu Tage, klappte einen Handspiegel auf und begann ihre Wimpern nachzudunkeln.

„Aaaah!!!!“, schrie Toshiya. Ein unkluger Schachzug, da zumindest Ruki seine Anwesenheit ansonsten vermutlich wieder vergessen hätte. Kyo, dessen Cousin und Lu sahen ihn erstaunt an.

„Das ist doch MEINE Wimperntusche!!!!!“

Er stürzte sich auf die Frau und entriss ihr die Kappe mit dem Bürstchen.

„Da ist ein Sprung im Plastik, genau wie bei MEINER Wimperntusche!“

„Ach, Unsinn“, antwortete Lu und lächelte.

„Doch, da ist auch ein Kratzer, MEINE Wimperntusche hatte genau denselben Kratzer!“

„Das ist unmöglich. Die hat mein Schatz mir mitgebracht. Nicht wahr, Takanori?“

Die hübsche Chinesin wandte sich ihrem Freund zu.

Der hatte es irgendwie geschafft sich zu dematerialisieren.

Lu starrte auf den Fleck an dem Ruki bis vor drei Sekunden noch gestanden hatte und langsam ging ein Licht auf. Ein sehr großes blendendes gleißend helles Licht, von dessen Wucht man innerhalb weniger Minuten erblindete.

„Takanori??!!! Du Verräter!!! Komm sofort zurück!!! Du beschenkst deine Freundin also mit deinem Diebesgut??!! Das ist widerwärtig, komm zurück!!!“

Mit diesen Worten und einem empörten Aufschrei hastete sie von dannen. Perplex starrte Toshiya ihr nach. Dann hob er das andere Ende seiner Wimperntusche auf, das Rukis Freundin fallen gelassen hatte, und schraubte das gute Stück zu. Etwas anderes fiel ihm im Augenblick nicht ein.

Kyo stand ihm gegenüber und sah ihn an. Der hatte offenbar auch nichts besseres zu tun. Beide Jungen kamen sich einen Moment lang ziemlich dämlich vor.

„Oh“, sagte Toshiya plötzlich.

„Q-chan? Mein Hund! Dein Cousin hat meinen Hund weggeworfen!“

Völlig aufgeregt hob er sich auf die Zehenspitzen, als hoffte er so den Landeplatz des kleinen Streuners ausmachen zu können.

„Dachte ich es mir“, murmelte Kyo missgelaunt. „Du hast diesen Kläffer also gefunden und gepäppelt. War ja nicht anders zu erwarten. Gleich und gleich gesellt sich gern.“ Toshiya drehte sich überrascht zu ihm um.

Die plötzliche Erkenntnis, das Kyo vor ihm stand – Kyo, der ihm noch eine ganze Menge Antworten schuldig war – wischte jeden Gedanken an sein Adoptivhündchen fort.

Er musste die Gelegenheit beim haarigen Schopf packen.

Was hatte er schon zu verlieren?

Ein gewaltige Welle des Mutes schwappte über Toshiyas Herz hinweg.

„Was machst du hier?!“, fragte er mit Tränen in den Augen.

Er war verwirrt.

Kyo.

Aber warum musste er dann weinen?

„Einkaufen“, antwortete Kyo und bedachte sein Gegenüber mit einem Blick, der in etwa sagte Was sonst, du Hirni?.

„Nein ich meine – ist das nicht gefährlich? Die Polizei, ich meine... was ist, wenn sie euch schnappen?“

Kyo zuckte gelangweilt mit den Achseln.

„Warum sollten sie? Die wissen ja nicht, dass ich es bin... die kennen weder Namen, noch Gesichter... wir haben Decknamen und leben zwei Leben. So einfach ist das.“

Und giftig setzte er hinzu: „...nicht, dass dich das irgendwas angehen würde. Aber so lohnt es sich wenigstens dich aus dem Weg zu schaffen.“

Toshiya ging nicht auf die üblichen Fiesheiten ein. Er hatte sie sogar beinahe vermisst. Alle anderen behandelten ihn in letzter Zeit wie ein rohes Ei.

„Und warum-“, begann er von neuem, verstummte aber sofort wieder. Kyo sah ihn so angewidert an, dass es reiner Selbstmord wäre ihn weiterhin mit Fragen zu löchern.

Wie er vor ihm stand, die Hände in den Taschen vergraben, der Mund zusammengepresst, dieser verbissene durchdringende Blick. Die zerzausten schwarz-blonden Haare. Selbst jetzt, da Toshiya ihm so nahe war, sehnte er sich nach ihm. Verrückt.

Er war durcheinander, wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Also tat er etwas, was er noch nie zuvor gewagt hatte.

Er ergriff die Initiative.

Drei Schritte trennten sie, zwei, einer. Toshiya zögerte für den Bruchteil einer Sekunde.

Dann küsste er Kyo.

Er küsste ihn einfach so, ohne Vorwarnung, ohne Grund.

„Ich hab dich vermisst, Kyo...“, flüsterte er mit Tränen in den Augen. Dann drehte er sich langsam um und ging. Eigentlich brauchte er keine Antworten. Ihm war gleich, warum sein Haus ausgeraubt worden war, wer ihn geküsst hatte, oder was Kyo und dieser Ruki nachts in seinem Zimmer zu suchen gehabt hatten. Oder was Kyo über Q-chan wusste. Alles was er eigentlich hatte sagen wollen, hatte er gesagt. Eine Reaktion von Kyo wollte er nicht abwarten, weil er genau wusste, dass er sein vorschnelles Handeln dann bereuen würde. Die Welt um ihn herum drehte sich weiter. Aber Toshiya fühlte sich, als habe er die Zeit verlassen. Er ging um die nächste Ecke und ließ sich mit geschlossenen Augen gegen die Hausmauer sinken.

Kyo stand noch immer am selben Fleck ohne sich zu rühren. Die Menschenmassen zogen an ihm vorbei, rempelten ihn an. Nie im Leben hätte er damit gerechnet, dass Toshiya so für ihn empfand. Niemals im Leben. Er hob die Hand zum Mund.
 

Er würde mit Ruki und Lu zurückgehen.

Doch wohin er auch immer fliehen würde, er wusste genau, dass ihm der Gedanke an Toshiyas Berührung in jeden Winkel dieser Erde folgen würde.

„Scheiße.“

Warum musste dieser Typ ihm immer in die Quere kommen?
 

Geblendet von den bunten Lichtern der Stadt, die sich in seinen Tränen spiegelten, schob Takumi sich durch die Massen in der Fußgängerzone. Er hatte keine Lust gehabt nach Hause zu gehen. Nicht jetzt. Nicht in dieses leere Haus, in dem niemand auf ihn wartete. Eines Tages würde er zwischen den stummen Wänden noch verrückt werden.

Jetzt hatte er Uruha verloren. Er wusste es. Alles war vorbei. Takumi schluchzte verzweifelt auf. Der Laut ging im bunten Treiben unter. Kyo hatte sich ohne ein Wort davongestohlen. Genau wie seine Mutter. Sie war einfach gegangen. Dieses Mal ohne eine Nachricht zurückzulassen. Sicher hatte sie vergessen, dass sie überhaupt einen Sohn hatte.

Takumi ließ sich auf eine Bank sinken. Neben ihm saß ein Penner, der in seinem großen dunkelgrünen Rucksack wühlte. Neben dem Penner stand ein kleines Kind, das schrie wie am Spieß. Seine Mutter, eine schlanke braunhaarige Frau mit schönen Beinen unter dem knielangen Rock, nahm den Jungen an der Hand, versprach ihm mit sanfter Stimme ein Eis und zog ihn weiter.

<Mama...>, dachte Takumi. Die warmen Augen einer Mutter hatte er nie an der gesetzten Karrierefrau gesehen, die ihn aufgezogen hatte. Sie war eine kleine Japanerin mit langem schwarzen Haar, das sie jeden Morgen mit großer Sorgfalt zu einem Knoten band. Soweit er sich erinnern konnte, hatte sie schon immer diese Frisur gemacht. Fast so, wie Hakuei ihm die Haare frisiert hatte.

Er hatte ihr nie genügt.

Solange er sich erinnern konnte war seine Mutter unzufrieden gewesen. Sie hatte zwei Söhne zur Welt gebracht und war dreimal verheiratet gewesen, ein Japaner und zwei Deutsche, aber nie war sie zufrieden gewesen. Sie fühlte sich verkannt und missverstanden als kleine Asiatin, obwohl sie mit ihrem Fleiß und ihrer Intelligenz fünf deutsche Frauen aufgewogen hätte.

Seine Mutter war von ihren männlichen Vorgesetzten in Asien wie in Europa immer unter ihrem Preis verkauft worden. In einer Welt der Männer wollte es ihr einfach nicht gelingen in ihrer Firma aufzusteigen. Und Takumi war nun einmal ihr Sohn und nicht ihre Tochter. Deswegen hatte sie ihn nie ausstehen können. Trotzdem hatte sie bei der Scheidung darauf bestanden ihn mit sich nach Deutschland zu nehmen, während Tara, sein älterer Bruder, bei seinem Vater in Japan blieb.

<Ich hasse es ein Mann zu sein...>, dachte Takumi, schluchzte auf und fuhr sich mit dem Ärmel über das verschmierte Gesicht. Dass es dadurch nur noch alles schlimmer machte, kümmerte ihn nicht im geringsten. Er hatte die Welt, den Regen, verschmiertes Make-up, Streit mit Uruha, alleine sein und seine eigenen dämlichen Angewohnheiten satt.

Voller Schmerz starrte er auf seine spitz zulaufenden pinken Stöckelschuhe. An der linken Schnalle war ein Strasssteinchen ausgefallen. Takumi blinzelte. Sein Blick wanderte ein Stück nach vorne. Direkt vor seinen Füßen stand ein Paar abgetragener Nike-Turnschuhe. An der einen Seite, ganz hinten knapp über der Sohle, klaffte ein riesiges Loch, das einen Blick auf gräulich-blaue Strümpfe zuließ.

Takumi hob den Kopf. In den Schuhen steckte ein Mann, der ihn offenbar die ganze Zeit über angestarrt hatte, doch die Tränenschleier vor seinen Augen trübten seine Sicht, so dass er kaum etwas erkennen konnte. Der Mann wandte den Blick nicht ab. Und Takumi hatte Menschen so satt. Ganz besonders irgendwelche Irren, die in der Stadt abhingen und Leute anstarrten. Da er keine Lust hatte sich weiterhin angaffen zu lassen, stellte er sich auf seine wackligen Knie und sah zu, dass er wegkam. Er schob er sich an dem Penner vorbei, warf ihm ein paar Euro in den Hut und eilte zitternd die Straße entlang. Eiskalt war es auch. Seine Jacke lag auf Uruhas Bett. Uruha.

Die Fußgängerzone hinter sich lassend bog Takumi in eine leere Straße ein. An deren Ende leuchtete ihm ein Schild mit Bussymbol entgegen. Wie praktisch. Dann musste er zumindest nicht nach Hause laufen. Links und rechts der Straße parkten Autos. Die Häuser lagen still da. Verglichen mit dem lärmenden Stadtinnern kam ihm die Gegend wie ein Friedhof vor.

Es dämmerte.

Takumi ließ sich auf einen der Sitze an der verlassenen Bushaltestelle sinken.

Er starrte auf den Boden. Jetzt fehlten drei Strasssteine an der Schnalle seines linken Schuhs. Na wunderbar. Aber er würde sie sowieso wegwerfen. Er würde sich allem entledigen, das ihn an seinen Streit mit Uruha erinnerte. Sonst hielt er es nicht aus weiterzuleben. Jetzt, da alles verloren war. Was er seinem Freund an den Kopf geworfen hatte, war nicht mehr gutzumachen. Und auf ein neues wurde er von verzweifeltem Schluchzen geschüttelt.
 

Dann riss ihn etwas aus den tristen Gedanken. Auf dem Sitz zu seiner Rechten hatte sich jemand niedergelassen. Takumi drehte den Kopf ein Stück in die Richtung. Sein Blick blieb an den Füßen des Mannes hängen.

Abgetragene Nike-Turnschuhe. Sie hatten ein großes Loch an der Seite durch das man die blauen Strümpfe sehen konnte.
 

Uruha hastete durch die Straßen auf die sich langsam, wie ein dunkler Schleier, die Dämmerung legte.

Er wurde das Gefühl nicht los, dass in diesem Augenblick etwas schreckliches passierte.

Hätte er nur den blassesten Schimmer gehabt wie richtig er damit lag, wäre er vielleicht an sein Handy gegangen, das in seiner rechten Jackentasche vibrierte. Eilig zog er es hervor. Auf dem Display leuchtete Takumis Nummer auf.

Uruha schnaubte. Jetzt tat es ihm also schon leid? War ja klar, dass der Kleine es keine Stunde ohne ihn aushalten konnte. Noch immer verärgert über Takumis unmögliches Verhalten drückte er den Anruf weg.
 

Fassungslos ließ Takumi sein Handy sinken. Uruha hatte ihn weggedrückt. Aber er war ja auch selten dämlich. Jede andere Nummer hätte er wählen können und er versuchte ausgerechnet seinen Freund anzurufen.

Er wollte ja keine Hilfe. Er wollte nur Uruhas Stimme noch einmal hören.
 

Er hatte ihn fast eingeholt, immerhin trug er Turnschuhe und Takumi konnte auf seinen High-heels nicht besonders schnell rennen. Dennoch gab er alles.

Der andere schloss langsam aber sicher auf. Takumi hatte keine Kraft mehr.

Noch zehn Meter trennten sie. Fünf.

Drei.

Zwei.

Eins.
 


 


 

Sooo, Ende dieses Kapitels... verzeiht meine holprige Ausdrucksweise, nächstes Mal gebe ich mir wieder mehr Mühe. Und ich hoffe ihr versteht Taku: Er sieht alles zu pessimistisch, aber er kann einfach nicht anders. Ein Streit mit Uruha ist für ihn ein Weltuntergang, deshalb reagiert er so übertrieben und ist aufgelöst wie ein Würfel Zucker.

Mich interessiert sehr was ihr über das Chapter denkt, ich bitte um Kommentare und Gedanken ^^

16

Das einzige was ich zu sagen habe ist: Ich weiß, dass sowohl Takumis Mutter, als auch er selbst (zumindest teilweise) sich völlig unlogisch verhalten, aber sie müssen glücklicherweise nicht vernünftig sein. Sie sind beide chaotisch, neurotisch und ihr Verhalten ist ziemlich überzogen^^ Daher auch die abnormale Denkweise, nehmt es ihnen (bezwihungsweise mir) nicht übel. Dieses Kapitel geht irgendwie nur sehr schleppend voran, aber ich hoffe ihr verzeiht mir auch diese Tatsache. Ich weiß mein Humor ist manchmal echt gewöhnungsbedürftig, und es tut mir leid, wenn die letzten Kapitel nicht so lustig waren, aber ein Gag funktioniert nur spontan, wie mir der Unsinn eben gerade in den Sinn kommt... und sooooo düster ist Totchis Leben ja auch nicht... ich weiß ich war gemein zu ihm, aber immerhin ist er dadurch reifer geworden... und ich mache es ja wieder gut...

Und an alle Daishi Fans: Schickt ihm doch ein paar Primeln ins Krankenhaus, er freut sich sicher (ich habe beschlossen, dass er Primeln blöd findet).
 


 


 

Die Frau drehte sich zu ihrem Mann um, der so plötzlich stehen geblieben war, als hätten seine Schuhsohlen beschlossen mal eben mit dem Boden zu verwachsen. Sie wedelte mit ihren Einkaufstüten.

„Was ist los, Günther? Warum bleibst du stehen?“

„Ich weiß nicht, Martha... aber ich glaube der Mann da ist eben umgekippt! Er ist schon so merkwürdig an mir vorbeigewankt...“

„Um Gottes Willen, du hast Recht! Er rührt sich nicht mehr, schnell einen Krankenwagen, irgendjemand rufe einen Krankenwagen!! Hilfe, da ist jemand zusammengebrochen!!“

„Ach, das ist bloß irgend so ein besoffener Japse, lassen Sie den doch liegen...“, murmelte ein großer Mann mit Lippenpiercing, der sich zu dem älteren Ehepaar gesellte.
 

Um den Ohnmächtigen hatte sich bald ein Kreis aus Menschen gebildet. Kaum fünf Minuten später war der Notarzt vor Ort.

Nachdem er Puls, Lungen- und Pupillenfunktion des Mannes geprüft hatte, nahm er knapp Stellung zum Stand der Dinge: „Vollrausch, würde ich sagen. Der Arme steht unter Drogen. Ein Wunder, dass er hier in der Stadt herumgelaufen ist.“

„Lebt er denn?“, fragte Martha ängstlich und umklammerte ihre Einkaufstüte (die bis zum Rand gefüllt war mit billigen schwarzen Nylonstrumpfhosen).

Der Doktor nickte.

„Ja, aber wir sollten trotzdem keine Zeit verlieren und ihn umgehend in ein Krankenhaus bringen. Danke, dass Sie so schnell reagiert haben. Sie haben ihm sicher das Leben gerettet.“

Martha atmete erleichtert auf und richtete mit beiden Händen ihre Dauerwelle, die vor Aufregung ganz durcheinander geraten war.

„Was für ein Glück! Der Mann ist ja noch so jung! Noch keine fünfundzwanzig! Er hat ja sein ganzes Leben noch vor sich! Ach so jung möchte ich auch nochmal sein... dann würde ich ein bisschen mehr Sport treiben, nach Malibu fliegen, und mit dreißig einen feschen Südländer heiraten. Nichts für ungut, Günther, mein Schatz.“

„Ach tatsächlich?“, antwortete Günther mit zusammengekniffenen Augen.

Während also das ältere Ehepaar in aller Öffentlichkeit einen Streit um Sport, Malibu und hübsche Südländer vom Zaun brach (der zu einer ernsthaften Ehekrise eskalierte die in der Scheidung mit fünfundsechzig endete), wurde Daishi also auf dem schnellsten Weg ins nächste Krankenhaus verladen, wo er schließlich die nächsten Wochen verbringen würde, ohne Toshiya oder irgendjemand anderen auf irgendeine Weise zu behelligen.

Nun, da Daishi sauber in einer Klinik verstaut war ohne jemandem Schaden zugefügt zu haben (außer vielleicht Marthas Dauerwelle, die ja vor Aufregung ganz schön durcheinander gekommen war) wird sich der aufmerksame Leser sicher fragen, um wen es sich dann bei dem Mann mit den abgetragenen Nike-Turnschuhen (die an der Seite von einem kolossalen Loch geziert wurden, das unschöne Einblicke in das Innenleben des Schuhs (und auf einen hässlich grau-blauen Socken) gewährte) handelte, der unseren Lieblingshyperaktivem Takumi so hartnäckig gestalkt und schließlich eingeholt hatte.

Dazu sollten wir vielleicht an der Stelle anknüpfen, an der Takumis Absatz beschloss sich aus der ganzen Geschichte abzuseilen, die ihm langsam zu heikel wurde.
 

„Verd-“, fluchte Takumi. Er hatte gewusst, dass das irgendwann passieren würde. Nur warum ausgerechnet jetzt?

Warum musste sein rechter Pfennigabsatz ausgerechnet jetzt abbrechen, da ihm ein Irrer in abgetragenen Nike-Turnschuhen auf den Fersen war?

Wie in Slow-motion knickte er ab, flog in hohem Bogen durch die Luft und landete der Länge nach in der nächsten Pfütze. Übrigens die einzige Pfütze weit und breit. Irgendwie war heute nicht sein Tag.

Der Mann hatte ihn eingeholt. Jetzt stand er mit rasselndem Atem neben der Wasserlache. Takumi rührte sich nicht. Zum einen hatte er das Gefühl, dass er lieber noch ein bisschen liegen bleiben wollte, um dem Fremden nicht ins Gesicht sehen zu müssen, wo bereits seine Turnschuhe und die darunterliegenden Socken ein Verbrechen an jeglicher Ästhetik darstellten. Zum anderen tat sein rechter Knöchel höllisch weh. Dieser vermaledeite Absatz. Er musste sich beim Umknicken eine unschöne Verletzung zugezogen haben. Mal ganz abgesehen davon war er bis auf die Knochen durchweicht von schmutzigem versifften Pfützenwasser. Der Mann schien sich an keinem dieser Dinge zu stören, packte den schmalen Jungen an der Hüfte und warf ihn sich über die Schulter, wie ein nasses Handtuch. Ungefähr so fühlte Takumi sich auch im Augenblick. Er ließ sich ohne großen Protest wegtragen. Was machte es jetzt noch aus? Es wäre reine Energieverschwendung sich gegen einen Mann zu wehren, der ihn ohne Mühe aufhob und davontrug, als wäre er ein Sack Hausmüll.

Langsam glitt Takumi sein Handy aus den nassen zitternden Händen, traf auf dem Asphalt auf und zerschellte in tausend pinke Plastiksplitter.
 


 

„Idiot. Hohlbrot. Was soll der Scheiß?“

Toshiya drehte sich um.

„Kyo?!“, schniefte er ungläubig. Kyo war ihm gefolgt.

„In der Tat, Trottel“, antwortete Kyo und lächelte säuerlich.

„Warum beschimpfst du mich?“, fragte Toshiya mit naivem Unschuldsblick, weil ihm im Augenblick keine andere Frage und kein anderer Gesichtsausdruck einfiel.

„Wie kannst du es wagen, mich mitten in der Stadt einfach so, einfach so... ekelhaft“, motzte Kyo und schloss zu dem Verbrecher auf, der ihn eben auf unschicklichste Weise ohne Vorwarnung geküsst hatte. Die Situation war so absurd, dass Toshiya plötzlich grinsen musste. Also hatte er irgendetwas in Kyo bewegt. Ansonsten wäre er ihm wohl nicht den ganzen Weg nach Hause gefolgt.

„Was grinst du so bescheuert“, fauchte Kyo und seine Augen blitzten gefährlich. Er hatte gute Lust Toshiya einfach eine reinzuhauen. Dieser wurde plötzlich wieder von dem unerschütterlichen Mut ergriffen, der ihn bereits mehr als einmal in größte Schwierigkeiten gebracht hatte.

„Ich habe dich geküsst. Na und? Gibt’s daran irgendwas auszusetzen?“, fragte er lässig, als hätte er Kyo eine Tasse Lavendeltee gebracht, obwohl dieser ausdrücklich nach Kamille verlangt hatte.

Kyo platzte fast vor Wut. Ausgerechnet er, der sonst immer eiskalt und völlig cool war, mit seiner Devil-may-care-Lebenseinstellung, bebte innerlich vor Entrüstung ob dieser Demütigung.

„Ob es daran was auszusetzen gibt, du hirnverbrannter Idiot? Du hast mich beleidigt! Das wirst du büßen...“, brummte er und dann, ganz leise, fügte er hinzu, „... aber lass dir eines gesagt sein. Wenn du das getan hast, weil du dir etwas erhoffst, dann bist du wirklich krank. Und lebensmüde.“

Toshiya zuckte die Achseln. Was sollte er darauf schon groß antworten. Gerade, als er sich wieder umdrehen und weitergehen wollte, packte ihn etwas, rammte ihn mit aller Gewalt gegen die nächste Hauswand und hielt ihn so fest dagegengepresst, dass er kaum atmen konnte. Unglaublich, wieviel Kraft in diesem, nun ja Kind steckte. Immerhin war Kyo ein Jahr jünger als Toshiya (und ungefähr zwei Meter kleiner, aber das mal beiseite gelassen).

„Wage es nicht noch einmal. Niemand fasst mich so an. Ich hasse Berührungen. Aber wenn du vorhast zu sterben, dann bitte...“, zischte Kyo.

Toshiya überlegte.

Warum hatte er auf einmal große Lust Kyo zu reizen? Und woher kam dieses wagemütige lebensmüde Gefühl in seinem Herzen? Eigentlich sollte er kuschen, sich entschuldigen und bloß keine weitere Dummheit begehen.

Er beugte seinen Kopf nach vorne, zumindest soweit das bei Kyos Klammergriff möglich war, und drückte seine Lippen auf dessen Stirn. Sekunden vergingen. Kyo schien vor Wut zu beben.

Er hatte es schon wieder getan. Zwar dieses Mal nicht auf den Mund, aber er hatte ihn schon wieder geküsst.

„Lass mich in Ruhe du Perverser. Mach lieber mit Hakuei rum“, murmelte Kyo, wobei es ihm offensichtlich schwer fiel sich davon abzuhalten den anderen nicht gleich k.o. zu schlagen. Toshiya gluckste. Warum war ihm noch immer zum Lachen zu Mute? Jetzt hatte sich sein Verstand wohl endgültig verabschiedet.

Kyos Selbstbeherrschung bröckelte. Er sagte sehr leise: „Lass dir eines gesagt sein. Wenn du mich so provozierst, dann werde ich dir wehtun. Ernsthaft wehtun. Ich kann das, glaub mir.“

„Na und?“, hauchte Toshiya wagemutig.

„Ich habe rein gar nichts zu verlieren. Ich bin deinen Bruder gewohnt.“

Er ließ ein bitteres Lachen hören.

Kyo starrte ihn an. Was war plötzlich mit Toshiya passiert? Seit wann war er so direkt und gefasst? Und dieser Galgenhumor... das war doch nicht normal.

„Du verstehst mich nicht“, brummte er und presste den anderen Jungen noch ein wenig fester gegen die kalte Steinmauer, um ihm das bescheuerte Lachen abzudrehen. Es hatte wieder zu regnen begonnen. Feine Tropfen rannen über Toshiyas Gesicht. Er blickte Kyo furchtlos in die Augen. Dieser wurde dadurch noch einen Tick wütender. War Toshiya wirklich so dämlich oder warum wollte er es nicht begreifen?

„Hör mir zu, Idiot“, fauchte er weiter und legte eine Hand um Toshiyas Hals.

„Reiz mich noch weiter und ich werde dir Schmerzen zufügen. Es gab schon einmal einen Jungen, der gemeint hat, er müsse mir unbedingt seine grenzenlose Liebe zeigen. Ich habe ihn so verprügelt, dass er mit unzähligen Knochenbrüchen ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Die Memme war eh schon angeschlagen, hatte ein schwaches Herz. Ich hab ihn fast umgebracht. Begreifst du das? Nur weil er... nur weil mich unbedingt berühren musste...“

Das machte Toshiya dann doch ein wenig nachdenklich. Aber aus anderen Gründen, als man vielleicht annehmen würde.

„Hängt das damit zusammen, dass du auch misshandelt wurdest? Von wem eigentlich?“, plapperte Toshiya und versuchte seine durch Kyo ausgelöste Atemnot einigermaßen zu ignorieren. Er war der Meinung, dass es sowieso schon egal war, ob er sich gerade um Kopf und Kragen redete. Und obwohl er kaum Luft bekam und Kyos Griff langsam wirklich wehtat, wurde er das Gefühl nicht los, dessen Nähe auf eine sehr absurde Art und Weise zu genießen. Er konnte sich noch immer beim besten Willen nicht erklären, was an dem kaltherzigen egoistischen Jungen ihn so sehr anzog.

„Wenn du es wissen willst, ja, verdammt“, rief Kyo und drückte seine Hand um Toshiyas Hals zu.

„Dann sag doch endlich was los war, danach kannst du mich gerne verprügeln. Ist doch eh schon egal“, würgte Toshiya. Kyo schnaubte erzürnt. Er konnte nicht glauben wie lebensmüde und aufdringlich dieser Typ plötzlich war. Bebend vor Wut schloss er die Finger noch fester um Toshiyas Hals.

„Aber du bist nicht so stark wie du tust. In Wahrheit“, Toshiya hustete, „in Wahrheit hast du Angst eine Bindung einzugehen. Du hast-“ Seine Stimme versiegte wie Wasser, wenn man den Hahn zudreht. Langsam wurde es wirklich eng mit der Luft und wenn Kyo sich nicht in den nächsten Sekunden dazu bequemte seinen Hals freizugeben, würde er wohl zum dritten Mal vor dessen Augen umkippen. Nur, dass Kyo dieses Mal wenigstens die direkte Ursache wäre. Leider brachte Toshiya kein bitteres Lachen mehr zu stande, ihm fehlte schlicht ergreifend der Atemspielraum.

„Ja“, brummte Kyo und ließ Toshiya so plötzlich los, dass er zu Boden fiel. Zitternd fasste er sich an den Hals und keuchte.

„Ja, ich habe tatsächlich Angst. Aber du hast keine Ahnung warum. Oder besser um was.“

Toshiya hob den Kopf.

„Ich sage es dir ein letztes Mal. Wenn du es weiter darauf anlegst, werde ich dir Schmerzen zufügen.“

„Weil du meine Berührung nicht erträgst, oder was?“, presste Toshiya mit halbem Lachen hervor. Was sollte dieses ganze dramatische Gerede über Schmerzen?

„Das war mal“, murmelte Kyo düster, „als ich jünger war. Ich bin nicht mehr so schwach wie damals...“ Seine Miene verfinsterte sich. Toshiya rappelte sich auf so schnell er konnte, machte ein paar mutige und wankende Schritte auf Kyo zu-

-und nahm ihn in den Arm. Er stolperte an die schmale Schulter und umklammerte sie mit zitternden Händen.

Es dauerte keinen Herzschlag und Toshiya fand sich ein zweites Mal eingeklemmt zwischen Mauer und Kyo wieder.

„Du bist so ein hirnloser Idiot!!! Warum begreifst du es nicht??! Wenn du weitermachst, dann steige ich drauf ein, und ich bin ein unerträglicher und eifersüchtiger Partner. Ich würde jeden umbringen, der dich anschaut, Kaoru, Hakuei, Uruha... Verstehst du nicht? Ich kann mich nicht kontrollieren...“, fauchte Kyo. Toshiya kniff die Augen zusammen.

„Au, du tust mir weh“, presste er hervor. Dieses Mal wurde es im wahrsten Sinne des Wortes wirklich eng. Kyo hielt ihn so fest an die Wand gepresst, dass Toshiya meinte seine Rippen müssten jeden Augenblick bersten.

„Siehst du, was ich meine? Falls du es noch nicht gecheckt hast: Ich gehe nicht einfach so eine Beziehung ein. Wenn ich mit jemandem zusammenkomme, dann gehört er mir. Und zwar mit Haut und Haaren. Das erträgst du nicht, glaub mir.“ In seiner Stimme schwang Verbitterung mit. Aber Toshiya wusste genau, was er wollte. Zum ersten Mal in seinem Leben war er sich einer Sache wirklich sicher.

„Das ist mir egal!!“, hauchte er kraftlos, „Glaubst du, ich habe nichts durchgemacht?! Ich hab auch einiges hinter mir... ich weiß, was ich will. Und es ist mir egal, Kyo, ich nehme alles in Kauf...“ Toshiya wäre auch noch deutlicher geworden, wenn ihm nicht langsam aber sicher so richtig schwarz vor Augen geworden wäre. Kyo hatte ihn schon wieder im Würgegriff.

Nein, der Kleine war wirklich nicht harmlos. Und wenn es um Zärtlichkeit und Liebe ging, wurde er anscheinend zur Bestie.

Aber Toshiya war es gleich. Er hatte das Gefühl endlich einmal nicht auf dem Holzweg zu sein (ok, er wurde gerade von einem jüngeren, kleineren Japaner fast erwürgt und war trotzdem noch so dämlich auf seine Position zu beharren, aber das mal beiseite). Außerdem wusste er nun, dass er Kyo in der Tat nicht egal war. Unter diesen Umständen würde er eher sterben, als aufgeben.
 

Takumi würde momentan lieber aufgeben, als sterben. Doch blöderwiese hatte er keine Wahl. So ist das, wenn man zur falschen Zeit mit den falschen Schuhen (und einem treulosen Absatz) am falschen Ort ist.

Der Kerl hatte sich seiner widerlichen Nikes (und glücklicherweise auch der Socken) entledigt. Positiv zu vermerken ist, dass er es offenbar viel zu eilig hatte, um sein Opfer ebenfalls zu entkleiden. Takumi kämpfte in einem Augenblick noch mit dem Brechreiz, im nächsten hatte er bereits unbeschreibliche Angst. Sein Peiniger war irgendein Sack Mitte vierzig, er hatte ihn noch nie zuvor gesehen, was ein weiterer postiver Zug des Ganzen war, und er hatte auch absolut keine Lust sich sein Gesicht in irgendeiner Weise einzuprägen.

Es war feucht und dunkel. Takumi war einige Treppen hinuntergeschleppt und in irgendeine Ecke geworfen worden. Ein sehr nützlicher Klebebandstreifen über Augen und Mund hinderte ihn daran den Widerling zu sehen oder sich zu übergeben. Die Luft schmeckte, als habe sie die letzten fünfhundert Jahre hier unten herumgelungert (vielleicht in Gesellschaft von ein oder zwei Leichen). Seine falschen Wimpern konnte er wohl ganz vergessen. Sollte er die klebrige Augenbinde je wieder loswerden, würde sie sicher die Hälfte seines Gesichts mitnehmen.

Falls er sie je wieder loswurde.

Plötzlich zitterte er.

Langsam, ganz schleppend wurde ihm seine Situation bewusst. Und er bekam Angst, wie er sie noch nie in seinem Leben empfunden hatte. Er musste an Toshiya denken.

Schon erstaunlich wie wert- und sinnlos ihm auf einmal sein ganzes Leben vorkam. Klamotten, Make-up, hübsch aussehen, im Mittelpunkt stehen... alles was ihm wichtig war, alles auf das er Stunden und Aberstunden verschwendet hatte...

Wie traurig.

Der Mann berührte ihn.

Und hob seinen Rock hoch.

Und fasste ihn an.

Takumi bebte. Tränen sammelten sich unter dem Klebebandstreifen. Schließlich startete er einen letzten verzweifelten Versuch sich retten. Ein bisschen spät. Das einzige was er damit bewirkte war, dass zusätzlich noch seine Handgelenke in den Würgegriff genommen wurden.

„Zappel nicht rum“, murmelte der Mann hektisch. Takumi erstarrte zu Eis.

Diese Hände. Vor seinen Augen blieb alles schwarz.

Vielleicht waren die Splitter seines Handys auf dem Asphalt das letzte was er in seinem Leben je sehen sollte.
 

[So, jetzt ist aber Schluss mit der sinnlosen Gewalt.]
 

„Mehl... Butter... wunderbar. So, jetzt dreimal nach rechts rühren... dreimal nach links... schütteln... wieder rühren... würgen... viermal rechtsrum... einmal linksrum...“

Ryutaro schob die Küchentür auf. Das erste was er erblickte war Sakito, der auf dem Boden hockte und voller Konzentration in eine große blaue Plastikschüssel starrte, in die er mit regelmäßigen Abständen diverse Dinge warf, die er dann mit einem großen Holzlöffel, kräftigen Handbewegungen und unter übelkeitserregnden Geräuschen verquirlte.

„Äh, Saki. Äh, da ist jemand für... äh... ich weiß nicht für wen. Er sagt er sucht seinen Bruder.“

„Hi“, sagte der Junge und feixte.

Sakito blickte auf. Und blinzelte. Die Sekunden verrannen.

„Setz doch die Brille ab. Dann siehst du etwas“, schlug Ryutaro leise vor.

„Oh. Ja“, murmelte Sakito zerstreut, striff seine liebste Schweißerbrille mit den getönten Gläsern über den Kopf und musterte den Gast. Dann stieß er einen gellenden Schrei aus.

„AAAAARGH!! Nicht du!!!!“

Der Junge grinste aus unerfindlichen Gründen.

„Kennen wir uns?“, fragte er und tippte an das Schild seiner wild gemusterten Kappe.

Ryutaro starrte von der Seite auf die spitzen Eckzähne. Was für eine ausgesprochen bescheuerte Frage in Anbetracht der Tatsache, dass dieser Kerl eben bei den Haras geklingelt hatte. Wenn er Sakito nicht kannte, wozu dann der ganze Aufwand?

„Wer bist du?!“, rief Sakito und umklammerte seinen Holzlöffel.

„Häh?“, machte Ryutaro verdutzt und starrte von einem Jungen zum anderen. Wer kannte jetzt wen und wer kannte jetzt wen nicht? Kannte sich überhaupt irgendjemand? Häh?

„Ich weiß nicht wer du bist, aber du siehst jemandem verdammt ähnlich, den ich kenne“, sagte Sakito und hielt sich den Holzlöffel wie ein Schwert vor die Brust.

„Aber das kann nicht sein. Zwei von der Sorte kann es nicht geben. So grausam ist das Leben nicht. Wen suchst du, deinen Bruder? Und wer ist das bitte?“

In einer fahrigen Handbewegung setzte er seine Schutzbrille wieder vor die Augen, knotete sich ein Taschentuch vor den Mund, hielt den Kochlöffel im Anschlag und wartete die Antwort auf seine Frage ab, bereit den Fremden wenn nötig mit einem einzigen Schlag k.o. zu hauen.

Der Junge ließ seine lackierten Nägel durch die zehn oder elf Milli-Molly-Mandy Ketten gleiten, die ihm um den Hals baumelten.

„Ich bin Tara und suche meinen kleinen Bruder, Takumi. Bin erst vor drei Stunden mit dem Flieger aus Japan gekommen. Bei uns zu Hause ist niemand, aber ich hab euere Adresse im Notizbuch von meinem Bruder gefunden. Könnt ihr mir weiterhelfen?“

Ryutaro klappte der Mund auf. Takumis Bruder. Nun sah er es auch. Ein Wunder, dass ihn die völlig offensichtliche Tastache nicht angefallen und in die Nase gebissen hatte. Diese grellen Kontaktlinsen, das süße Gehabe, die zappelige Art, das enorm auffällige und kunstvolle Styling und nicht zuletzt diese Eckzähne und das gruselige Grinsen. Ein vollkommener Takumi Klon, selbst die Haarfarbe stimmte. Das Leben konnte manchmal echt gruselig (und furchtbar hinterhältig) sein.

Sakito antwortete nicht. Seine Miene war versteinert. Offensichtlich hatte er eben mit einem Schlag seinen Glauben an die Gerechtigkeit und das Gute im Leben verloren. Immer noch den Löffel umklammernd stürzte sich der arme Junge kopfüber in die große Plastikschüssel, die ihn mit einem Schmatzen aufnahm.

„AAAAHH! SAKI!!“, kreischte Ryutaro, war mit einem Satz an der Seite seines Freundes und versuchte ihn aus der Schüssel zu ziehen. Dieser, entschlossen seinem Leben ein Ende zu setzen, hielt seinen Kopf weiterhin im zähen gelben Teig vergraben. Einzelne Blasen stiegen auf und zerplatzen an der Oberfläche. Den blubbernden Geräuschen nach zu schließen gab Sakito sich alle Mühe damit sich in seinem eigenen Gematsch zu ertränken. Ein wagemutiges Unterfangen, wenn man bedenkt, dass er einige Minuten zuvor noch Arsen, Lurchzunge und drei Liter Schweinehaar hineingerührt hatte. Eidechsenschwänze dümpelten um die schwarzen Haarsträhnen im Teig. Es ließ sich nicht ganz klar sagen, aber man konnte nach längerem Hinsehen den Eindruck gewinnen, dass die gelbliche Masse leichte Wellen schlug, die über die Tierteile hinwegschwappten. Am Schüsselrand klebte etwas, das stark nach einem winzigen Surfbrett aussah. Eventuell aber auch nur ein Blatt oder ein Finger.

„Magst du Takumi nicht? Was hat er denn angestellt? Er ist doch so ein süßer kleiner Junge. Ganz sein Bruder.“

Sakito tauchte urplötzlich aus dem Teig auf wie ein Untoter aus seinem Sumpf (und genauso sah er auch aus fand Ryutaro) und warf Tara einen wirren Blick zu.

„Also dir haben wir die nervtötende Art dieser glitzernden Tussie zu verdanken...“, murmelte er.

„Von deiner Nase tropft Teig“, stellte Tara ungerührt fest.

Sakito hob seinen Kochlöffel drohend in die Luft.

„Sieh bloß zu, dass du wegkommst“, brummte er. „Noch so jemandem wie Takumi halte ich nicht aus. Du kannst gleich nach Japan zurückgehen.“

„Langsam, langsam. Jetzt reagier doch nicht so übertrieben. Bin ja gleich wieder weg. Ich will nur wissen, wo Taku ist, dann verschwinde ich gleich wieder. Nachdem ich jetzt in Deutschland bin, werden wir uns in nächster Zeit wohl sowieso öfters sehen.“

Sakito ließ seinen Kopf wieder in die Schüssel plumsen.

„Takumi ist nicht hier im Haus. Ich hab keine Ahnung wo er sich aufhält, aber wenn du das wissen willst fragst du am besten Uruha“, erklärte Ryutaro, packte Sakito mit beiden Händen an den Schultern und zog ihn mit einem kräftigen Ruck aus dem Teig.

„Lass, Ryu, mein Leben hat keinen Sinn mehr...“, murmelte Sakito düster, krallte sich am Schüsselrand fest und versuchte seinen Kopf wieder gewaltsam in die Wogen zu tauchen. Sekundenlang rangen die beiden miteinander, bis Sakito sagte: „Und im Teig sind übrigens extrem große Luftblasen. Ich würde nicht mal ersticken, wenn ich drin einschlafen würde...“

„Saki, warum tust du mir das an?“, keuchte Ryutaro und umarmte seinen klebenden Freund von hinten.

„Und wer ist Uruha?“, warf Tara ein.

„Uruha ist mein großer Bruder“, sagte Sakito und wischte sich mit einem Taschentuch die Pampe aus dem Gesicht. „Er ist mit Takumi zusammen.“

Tara hob die aufgemalten Augenbrauen.

„Soso. Schwul also. Er kommt wirklich ganz nach mir.“

„Das wusstest du nicht?“ Sakito runzelte die grün-blau gefleckte Stirn. „Wie lange warst du denn in Japan?“

„Sagen wir so. Als ich Taku das letzte Mal gesehen hab, spielte er mit seinen Freunden aus der Grundschule im Sandkasten. Das war so vor neun Jahren. Unsere Eltern haben sich getrennt, ich bin mit meinem Vater in Japan geblieben, Takkun ist bei Mama nach Deutschland. Und die hat mich vor ner Woche angerufen. Mann, ich war ganz schön geschockt ihre Stimme nach so langer Zeit wieder zu hören. Sie meinte bloß, sie ist auf Geschäftsreise und hat dabei völlig vergessen Takumi das zu sagen. Ich solle mich doch bitte um ihn kümmern. Als könnten das nicht auch die Nachbarn tun. Ich also, vorbildlicher Bruder der ich bin, schwinge mich in den nächsten Flieger und düse nach Deutschland. Super, ne?“

Tara klimperte die Wimpern, ließ sich auf einen der roten Klappstühle sinken, schlug die Beine übereinander, zog einen Spiegel aus der Tasche, klappte ihn auf und begann aufmerksam seine Lippen zu inspizieren.

„Eure Mutter ist auf Geschäftsreise gefahren und hat zufällig vergessen Takumi das mitzuteilen?“, fasste Sakito zusammen. Er rieb sich das Furunkel, das sich langsam und sehr blau auf seiner rechten Wange bildete.

„Rein zufällig“, nickte Tara und fuhr sich mit der Zunge über die spitzen blinkend weißen Zähnchen.

„Rabenmutter, was?“, brummte Sakito. „Mist, das juckt ganz schön.“ Er befühlte fluchend seine fleckige Haut. Eventuell hatte er seinen Kopf ein wenig zu vorschnell in den Teig getaucht. Vielleicht hätte man statt Otterzitzen eher Gelbwurzextrakt hinzufügen sollen. Oder einfach ein, zwei Blätter Lavendel. Zumindest entsprach der Geschmack nicht direkt seiner Vorstellung.

„Tja, sie ist ne miserable Mutter, stimmt. Warum rufst du Taku nicht an und sagst es ihm selbst, hab ich ihr natürlich gesagt. Sie kam mit irgendwelchen fadenscheinigen Gründen an, das nicht zu tun. Wenn ihr mich fragt hat sie einfach Schiss. Der Kleine ist ihr eigentlich zuviel, sie kümmert sich wahrscheinlich eh kaum um ihn, aber gleichzeitig hat sie ein schlechtes Gewissen. Und Angst vor Takus Vorwürfen. Tja, Frauen... so sind sie eben... Zumindest hat sie jetzt anscheinend einen Weg gefunden um sich klammheimlich aus dem Staub zu machen. Auch nicht schlecht. Du hast da was.“

Tara deutete angewidert auf Sakitos Gesicht, von dessen Haut sich merkwürdige Gebilde abhoben, die zusätzlich noch eine sehr lustige Färbung aufwiesen.

„Ryu, erinner mich daran, dass ich den Teig nächstes Mal nicht so lange rühre“, sagte Sakito und vertiefte sich in ein Rezept, das er aus der linken Hosentasche gezogen hatte. Er studierte die Auflistung der Zutaten. Dann nahm er einen Kuli zur Hand, strich eine Mengenangabe durch und korrigierte sie.

„Und weniger Otterzitzen. Entschieden weniger Otterzitzen.“

Ryutaro sagte nichts. Er warf seinem Liebsten nur einen mitleidigen Blick zu und ging die Salbe suchen, die schon die ein oder andere größere Katastrophe wieder behoben hatte.

„Und wo finde ich diesen Uruha?“, sagte Tara mit Blick auf die Uhr.

„Gar nicht“, antwortete Sakito. „Er sucht meinen Bruder Toshiya.“

„Wie viele seid ihr denn?“

„Drei Jungen.“

„Und kochen die alle so abgefahrene Sachen?“

Sakito musterte verstimmt das breite Grinsen auf Taras pausbäckigem Gesicht.

„Ich bin das einzige Genie in der Familie falls du das meinst.“

Die Tür flog mit einem Knall auf.

„Saki, Ryu!! Hat Totchi sich schon gemeldet“, rief eine aufgebrachte Stimme. Tara erhob sich von dem Klappstuhl und musterte interessiert den hübschen blonden Jungen, der in der Tür stand. Er sah so aus, als sei er ohne Regenschirm (oder mit, das ist in dem Fall egal) quer durch einen Monsun gerannt und habe dabei mit einem hirnkranken Bären getanzt. Hinter ihm tauchte ein weiterer Junge auf, eben so groß wie der erste, eben so zerzaust und durchweicht und mindestens eben so bildhübsch. Ja, das Ganze wurde langsam wirklich interessant.

„Uh. Oh. Saki. Wie hast du das gemacht?“

Mit verzogenen Mundwinkeln ließ Uruha seinen Blick über Sakitos Gesicht gleiten (keine besonders intelligente Idee, da Sakitos Haut so aussah, als wäre jegliche Berührung mit ihr tödlich oder zumindest ansteckend).

„Papperlapapp“, winkte Sakito ab. „Ich hab jetzt keine Lust mit dir über Schminke und Hautcremes zu diskutieren.“

Hakuei und Uruha warfen sich einen Blick zu.

„Das meinte ich nicht, Saki“, sagte Uruha und näherte sich ein paar Schritte. „Es ist eher so... so... ist ja auch egal. Hat Totchi sich gemeldet?“, fügte er, wieder wesentlich aufgebrachter, hinzu.

„Nö“, sagte Sakito und wandte Ryutaro widerwillig das Gesicht zu. Dieser verlor keine Sekunde und bedeckte es großzügig mit einer widerlich stinkenden Salbe.

Uruha ließ sich völlig fertig auf den nächsten Stuhl fallen.

„Scheiße“, murmelt er, das Gesicht in den Händen. „Scheiße.“

„Wir finden ihn schon. Bestimmt machen wir uns Sorgen um nichts“, sagte Hakuei und klopfte seinem Ex-Freund tröstend auf die Schulter.

„Das mein ich aber auch“, stimmte Sakito zu. „Danke Ryu, das dürfte reichen.“

Ryutaro nickte, drehte die Salbe zu, erhob sich, zog einen Klappstuhl neben Uruha und legte beschwichtigend seine Hand auf die des Blonden.

„Saki hat Recht. Toshiya ist sicher wohlauf.“

Es klingelte.

„Oh, da sind sie“, murmelte Sakito geschäftig, sprang auf und wuselte zur Haustür. Draußen standen Die und Shinya.

Und dahinter eine Gruppe von etwa fünfzig Senioren inklusive Touristenführer.

„Wir können nichts dafür“, sagte Shinya und trat schnell ein. „Sie sind uns einfach gefolgt.“

„Äh-hähä“, machte Die.

„Hallo Die, hallo Shin. Nett euch zu sehen, aber woher kommt ihr so plötzlich?“, sagte Sakito. Und an die Menschenmasse gerichtet: „Meine Damen, meine Herren, treten Sie bitte ein. Mein Name ist Sakito Hara. Herzlich willkommen in meinem bescheidenen Heim.“
 

„Hi, Die. Hi, Shinya“, wiederholte Ryutaro Sakitos Worte. „Kommt rein und setzt euch. Was führt euch hierher?“

„Oh dies und das“, summte Die vergnügt.

„Wir wollten Toshiya besuchen“, antwortete Shinya.

„Der ist nicht da. Uruha und Hakuei suchen ihn nun schon seit Stunden“, flüsterte Ryutaro und deutete mit einem Kopfnicken auf Toshiyas älteren Bruder und dessen Ex-Freund, die beide durchnässt bis auf die Knochen in ihren Klappstühlen hingen. Uruha sah aus als würde er gleich in Tränen ausbrechen, während Hakuei den Eindruck machte kurz vor einem Wutausbruch zu stehen.

„Oh“, murmelte Shinya.

Und noch einmal: „Oh. Verstehe. Sie denken an – an die Sache mit Daishi und haben natürlich Angst um Toshiya...“

„Woher weißt du das mit Daishi?“, fragte Ryutaro erstaunt. Shinya schüttelte langsam den Kopf.

„Uruha hat’s mir mal erzählt. Ist ne andere Geschichte. Wie auch immer, Toshiya wird sicher bald auftauchen.“

„Verzeihung“, sagte eine krächzende Stimme von links. „Dürfte ich das mal-“

„Aber bitte. Gerne doch“, antwortete Shinya freundlich und hob seinen Arm, damit die alte Rentnerin die Tischplatte inspizieren konnte.

„Ach verzeihen Sie, junger Mann“, sagte jetzt ein verlottertes Hutzelmännchen und stupste Uruha mit seinem knorrigen Stock in die Rippen.

„Könnten Sie sich vielleicht erheben, seien Sie so nett. Ich möchte mir nur die Sitzfläche einmal ansehen. Interessanter Stuhl, wirklich... Hulda, Weinfried! Kommt her und seht euch das an!“

Auf Kommando schleppten zwei weitere Greise ihre rheumatischen Knochen zu Uruhas Stuhl. Dieser erhob sich sichtlich verwirrt. Dann fiel sein Blick auf Sakito, der in der Mitte der Küche auf einer Holzkiste stand und mit großen Gesten auf diverse Dinge im Raum wies. Dabei drückte er immer wieder einen der Knöpfe auf der Fernsteuerung in seiner Hand, Geräte und Schränke traten aus den Wänden und verschwanden wieder. Die Senioren jubelten und klatschten in ihre knochigen Gichthände.

„Sakitoooooooo“, sagte Uruha fröhlich. „Könnte ich dich mal ganz kurz sprechen?“

Er lächelte die Rentner vergnügt an, die sich zu ihm umdrehten.

„Bitte, Uruha, ich muss arbeiten, geht das nicht spä-gack“, würgte Sakito, als sein großer Bruder ihn in den Schwitzkasten nahm und in den Flur schleifte.

„Verzeihung. Entschuldigung. Dürfte ich bitte vorbei“, sagte Uruha und schob sich durch die Masse aus Glatzen, knorrigen Gliedern und Stützstrümpfen.

„WAS ZUR HÖLLE MACHEN DIESE OMIS UND OPIS IN UNSERER KÜCHE???!!!“, brüllte er, sobald die schalldichte Tür lautlos und geschmeidig wie eine Jungfrau hinter ihnen zugesaust war.

Meine Küche, Uruha, meine Küche. Und diese Omis und Opis sind eine Seniorenreisegruppe, die eine Führung durch eben meine Küche gebucht haben.”

„Sie haben was?“

Uruhas Mundwinkel zuckten.

„Sie haben eine Führung durch die Küche gebucht“, wiederholte Sakito lässig, „den ganzen Nachmittag lang erkläre ich ihnen die Funktionen meines Wunderwerks und abends gebe ich noch einen Kochkurs. Könntest du mich jetzt bitte loslassen? Ich muss arbeiten. Und anstatt in der Gegend rumzusitzen und Toshiya nachzuheulen, der sowieso bald wieder auftaucht, könntest du dich ja nützlich machen und Getränke ausschenken. Du glaubst nicht, wie ausgetrocknet diese alten Leute immer sind...“

Sakito wand sich aus dem Griff seines Bruders, schlüpfte zurück in die Küche und bestieg unter tosendem Beifall der Senioren erneut sein Rednerpult.

Mit eckigen Schritten kehrte auch Uruha in die Küche zurück, ließ sich auf seinen Stuhl sinken und starrte mit apathischem Blick zu Tara hinüber, der belustigt die Szene verfolgte.

„Und wer bist du schon wieder? Ein Rentner mit besonders wirkungsvoller Antifaltencreme?“, murmelte er mit scheelem Blick zu Tara gewandt. „Ryu? Gib mir bitte das Glas da.“

„Äh, das würde ich nicht trinken, das hat Saki eben aus einer Flasche eingegossen, die so komisch blau gedampft hat...“, sagte Ryutaro zögernd.

„Ganz egal“, brummte Uruha, langte selbst über den Tisch, grabschte das Glas und stürzte es hinunter.

„Also?“, fuhr er fort und starrte Tara an. „Entweder du zeigst mir sofort deinen Behindertenausweis oder du bewegst deinen Hintern aus der Küche. Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?“

Tara warf den Kopf zurück und brach in schallendes Gelächter aus.

„Hier gefällt’s mir“, gluckste er und tupfte sich vorsichtig eine Lachträne aus den Glitzerwimpern. „Hier bleibe ich.“

„Miiiiieeeeep“, machte Die. „Falsche Antwort.“

„Er sucht seinen Bruder“, versuchte Ryutaro die Lage zu erklären. Es fiel ihm nicht ganz leicht, weil drei besonders aufdringliche Greise an seinem rechten Arm hingen und Fotoaufnahmen von seinen Fingern machten, da Sakito ihn soeben als seine Muse vorgestellt hatte.

„Ach so. Und wer ist dein Bruder? Methusalem? Das ist leicht, hier sind jede Menge davon, such dir einen aus. Ich packe ihn dir auch gerne ein. Fangen wir mit denen da an“, murmelte Uruha finster und verscheuchte die Senioren von Ryutaros Arm.

„Mein Name ist Tara“, sagte Tara. „Und ich suche Takumi, meinen kleinen Bruder. Bin eben erst mit dem Flieger aus Japan gekommen, weißt du?“

„Takumi?“, sagte Uruha.

„B-B-Bruder?“, sagte Hakuei.

„Japan?“, krächzte der Rentner, der es sich auf Hakueis Schoß bequem gemacht hatte. „Das ist aber ganz schön weit, mein junger Herr. Da war ich noch nie auf Kur, das war mir immer zu weit.“

„Taku ist nicht da... wir... haben uns heute Nachmittag gestritten und er ist völlig aufgebracht davongerannt. Keine Ahnung. Ich geb dir seine Handynummer“, murmelte Uruha und begann seine Jacke nach seinem Handy zu druchwühlen.

„Gib mir lieber deine“, sagte Tara prompt und bleckte seine spitzen Zähnchen. „Ich kann auch morgend wiederkommen und nachsehen, ob der sich bei dir gemeldet hat.“

Er ließ ein anzügliches Lachen hören. Uruha und Hakuei warfen sich einen Blick zu. Shinya eilte Ryutaro zu Hilfe, der von alten verzutzelten Männlein und Weiblein umlagert wurde. Und Die – nun ja... es sollte vielleicht noch einmal darauf hingewiesen werden, dass Die sehr leicht manipulierbar ist.

„Tatsächlich?“, entrüstete sich Die. „Rheuma und Heuschnupfen? Was Sie nicht sagen!“

„Doch doch“, ereiferte sich eine Frau von ungefähr fünfundneunzig. Die Aufregung in ihrem Gesicht machte sie glatt fünfzehn Jahre jünger und man hatte das Gefühl sie würde nicht wie all die anderen Greise in der Küche beim ersten Sonnenstrahl zu Staub zerbröseln, sondern erst beim zweiten oder dritten.

„Und dann letzten Donnerstag, oder war es Dienstag, ich weiß nicht mehr, sind auch noch meine oberen Brücken rausgebrochen. Wie damals 1947. Und wieder kein Zahnarzt in der Nähe.“

„Nein!!“, rief Die aus.

„Doch“, sagte die Alte todernst (doch dabei mehr tot als ernst).

„Oh-oh“, sagte Shinya. Ihm schwante übles. Es wurde Zeit Die von den Rentnern zu trennen. Sie mussten sowieso noch bei Kaoru vorbeischauen und ihm das Geschenk für seine Freundin überreichen.

Die ließ sich gerade von einem besonders verschimmelt aussehenden Greis darin unterweisen wie man es anstellte sich einzucremen ohne dabei sämtliche Teile seines Gesichts zu verlieren. Mit einem genervten Seufzer riss Shinya seinem Freund die Wärmedecke vom Schoß, griff seine Einkaufstüte und Ryutaro, und suchte schnellstens das Weite.
 

Tja, und Kaoru?
 

„Mama, wie oft noch? Ich brauche keine Selbsthilfegruppe!“

Kaoru ließ sich genervt gegen die Stuhllehne sinken.

„Ja. Natürlich“, antwortete seine Mutter, warf ihrem Spross einen kurzen Blick zu und fuhr damit fort die Spülmaschine auszuräumen.

„Ich meine es ernst. Es war alles ein Missverständnis, glaub mir. Ich-“

„Kaoru, du musst dich nicht rechtfertigen. Ich akzeptiere wie du bist, das ist kein Grund sich zu schämen. Dein... Freund... ist natürlich immer willkommen. Lass dir nur Zeit. Ich verstehe, dass das nicht leicht ist für dich.“

Kaoru vergrub das Gesicht in den Händen. Warum wollte seine Mutter ihn einfach nicht verstehen? Seit sie ihn in Mädchenkleidern und mit Hakuei auf der Brust ertappt hatte – zugegeben eine sehr eindeutige Situation – war sie felsenfest davon überzeugt ihr eigen Fleisch und Blut sei vom anderen Ufer. Und das obwohl er ihr die ganze Geschichte mehr als einmal von A bis Z dargelegt hatte. Ihrer Meinung nach wollte er seine sexuelle Neigung momentan verdrängen, was am Anfang nur natürlich war. Dabei hatte er Hitomi, seine süße Freundin, schon des öfteren mit nach Hause gebracht, aber offensichtlich hatte seine Mutter den Wink mit dem Zaunpfahl nie verstanden und geglaubt es handle sich lediglich um eine Klassenkameradin. Und nun versuchte sie, hartnäckig wie Pest, Seuche und Lepra zusammen, ihm mit mütterlichem Rat zur Seite zu stehen.

„Ich will dir doch nur helfen, Kaoru“, sagte sie jetzt und blickte ihren Sohn mit großen ernsten Augen an.

„Aber vielleicht solltest du besser mit Vater reden. Ein Gespräch unter Männern sozusagen. Ich hab mit ihm geredet-“

„Du hast WAS?!“

„-und ihm deine Lage verdeutlicht und er hat vollstes Verständnis. Ah, die hier hab ich dir aus der Apotheke mitgebracht.“

Seine Mutter eilte zu ihrer Handtasche, die über dem Stuhl hing, förderte einen Stapel Broschüren daraus zu Tage und legte sie ihrem verstörten Sohn vor die Nase.

Kaoru breitete auf dem Tisch aus und ein starkes Gefühl der inneren Schwäche überkam ihn.
 

Ich bin schwul – Was nun?

Erste Erfahrungen mit Männern

Selbsthilfegruppe der Homosexuellen

Gleichgeschlechtlicher Geschlechtsverkehr – Risiken und Vorgehensweisen

Pink Friday im Club Coco

Gaybar – nur für Cross-Dresser
 

„Und denk dran: Auch mit Männern muss man ein Kondom benutzen“, sagte seine Mutter streng und warf ihm ein paar Exemplare hin. „Oh, es hat geklingelt, ich gehe an die Tür.“

Kaoru ließ langsam den Kopf auf die Arme sinken.

„Das glaub ich einfach nicht.“
 

Nicht zu fassen.

Wie viel Glück konnte man haben?

Takumi torkelte die Straße entlang.

Dieser alte Sack war offenbar älter gewesen, als er angenommen hatte.
 

Kurze Rückschau:

Der Mann berührte ihn.

Und hob seinen Rock hoch.

Und fasste ihn an.

Takumi bebte. Tränen sammelten sich unter dem Klebebandstreifen. Schließlich startete er einen letzten verzweifelten Versuch sich retten. Ein bisschen spät. Das einzige was er damit bewirkte war, dass zusätzlich noch seine Handgelenke in den Würgegriff genommen wurden.

„Zappel nicht rum“, murmelte der Mann hektisch. Takumi erstarrte zu Eis.

Diese Hände. Vor seinen Augen blieb alles schwarz.

Vielleicht waren die Splitter seines Handys auf dem Asphalt das letzte was er in seinem Leben je sehen sollte.

Dieses Stöhnen war wirklich widerlich. Der Typ keuchte wie eine Dampflok. Seine Finger zitterten über Takumis Haut. Und glitten ab.

Das nächste was an seine Ohren drang war ein merkwürdiger japsender Laut, wie ein Tier, das Schmerzen hat. Dann landete ein schwerer Körper mit voller Wucht auf ihm. Vom plötzlichen Aufprall wurde ihm schwarz vor Augen. Fünf Minuten lag er so da, aufgrund der stechenden Schmerzen in Rippennähe unfähig sich zu bewegen. Er fasste sich an die Seite. Und blinzelte.

Seine Arme waren frei.

Natürlich, dieser Widerling hatte sie im Schraubstock gehalten. Derselbe Widerling, der jetzt mit dem ganzen Gewicht seines ekelhaften Körpers auf ihm lag und sich nicht mehr rührte. Takumi vergewisserte sich nicht mal mehr, ob er noch atmete, er befreite sich von dem Klebeband, schob den Mann mit aller Kraft von sich, hievte sich auf die Beine und floh ohne einen Blick zurückzuwerfen.
 

Takumi riss sich den Klebestreifen vom Mund und unterdrückte einen Aufschrei. Seine Knie waren weich wie Butter, und sein Brustkorb schmerzte wie die Hölle. Der Aufprall von diesem Perversen hatte seinen Rippen offenbar nicht gut getan. Hinzu kam der verstauchte rechte Knöchel. Und natürlich die Tatsache, dass er mehr aus- als angezogen durch die Straßen humpelte. Er fühlte sich wie ausgespuckt, aber zumindest war er in Sicherheit. Als er keinen Schritt mehr gehen konnte, ließ er sich auf die nächste Bank fallen und brach in Tränen aus. Er konnte noch immer nicht glauben, dass er mit dem Schrecken davongekommen war. Nichts war geschehen, aber der Schock saß tief. Doch woher die plötzliche Wende?

<War wohl irgendein Opi, der die Aufregung auf seine alten Tage nicht mehr so gut vertragen hat>, dachte er bitter.

Wirklich seltsam. Dabei hatte dieser Typ ihn doch vor einer halben Stunde erst mühelos über die Schulter geworfen. Und dann bekam er irgendeinen Anfall und brach ohnmächtig zusammen? Komisch.

Was Takumi nicht wusste war die Tatsache, dass der Mann mittleren Alters, athletisch und körperlich völlig fit, zeitlebens zu hohem Blutdruck geneigt hatte und die Aufregung tatsächlich etwas zu viel für sein Gehirn gewesen war. Eine Ader war geplatzt und hatte den Übeltäter ins Aus befördert. Ein erstaunlicher Zufall, das Ganze hätte auch zwei Stunden später passieren können, oder zwei Jahre später, aber es war nun einmal so gekommen. Eben einer dieser dummen Zufälle (von denen diese fanfic nur so strotzt, ja, ich weiß u.u).

In Takumis Fall aber eher eine glückliche Fügung.

Er erhob sich unter Schmerzen, humpelte zur nächsten Telefonzelle und wählte den Notruf. Zwischen heftigen Schluchzern gab der Junge seine Lage durch. Dann überlegte er kurz und bat auch um den Notarzt, der den Perversen wieder aufpäppeln und dann am besten lebenslänglich einsperren sollte. Dann setzte er sich wieder auf die Bank und wartete.
 

Toshiya besah sich die roten Striemen, die Kyo ihm zugefügt hatte, im Spiegel.

„Autsch“, murmelte er und fuhr vorsichtig mit dem Finger über die Haut. Kyo lehnte lässig an der geschlossenen Tür und beobachtete ihn dabei.

„Du bist ganz schön brutal“, stellte Toshiya fest und wandte Kyo sein Gesicht zu.

Dieser seufzte genervt auf.

„Zick nicht rum. Ich weiß nicht warum ich überhaupt noch hier bin. Ruki schafft uns beide aus dem Weg, wenn er Wind davon kriegt.“

„Quatsch“, sagte Toshiya, erhob sich und suchte einen warmen Wollpullover aus seinem Schrank heraus. „Und du bist noch hier, weil ich darauf bestanden habe an einem ruhigen Ort mit dir zu reden.“

„Und da schlägst du ausgerechnet euer Haus vor.“

„Warum nicht?“

„Auf dem Weg in dein Zimmer bin ich über zwei Rentner gestolpert, hab mir die Finger in einem herumliegenden Gebiss eingeklemmt und hätte mich auf der Treppe beinahe in einem Stützstrumpf verfangen, der über dem Geländer hing.“

„Wenn du dich so anstellst...“, gab Toshiya zurück und stülpte sich den Pullover über den Kopf. Kyo blitzte ihn wütend an.

„Werd bloß nicht frech. Euer Haus ist die reinste Irrenanstalt.“

„Weiß auch nicht was die ganzen alten Leute zu bedeuten haben, aber ich fürchte Sakito steckt dahinter. Besser wir lassen sie in Ruhe... so und nun reden wir.“

Missmutig drehte Kyo den Kopf zur Decke.

„Weiß zwar nicht, was der Scheiß soll, ich hab alles gesagt, was ich zu sagen hatte, aber bitte...“

Toshiya schritt entschlossen auf ihn zu, beugte sich ein wenig hinab und drückte seine warmen Lippen auf Kyos Wange.

Dieser hatte für den Tag endgültig genug. Er packte Toshiya an den Schultern und rammte ihn so fest gegen die Wand, dass sein Kopf mit einem lauten Knall dagegen schlug.

„Begreife. Endlich.“, brüllte er ihm ins Gesicht. Toshiya keuchte vor Schmerz.

„Wenn du das nochmal tust, dann werde ich dir schlimmeres antun, als dich nur ein wenig zu würgen! Das ist meine letzte Warnung, glaub mir.“

„Nein, du musst begreifen“, erwiderte Toshiya trotzig. Jetzt ging das Ganze wieder von vorne los.

„Ich will mit dir zusammen sein, Kyo. Lass mich bei dir bleiben, ich brauche dich.“

Kyo starrte ihn an.

„Ist dir klar, was du damit verlangst?“, fragte er mit ungläubigem Blick und ohne Fauchen, Würgen oder Schreien.

„Du gehörst dann mir – und zwar mir allein. Ich werde dich auch nicht mehr gehen lassen. Wenn du es dir also plötzlich anders überlegst, hast du Pech gehabt. Und wie ich gesagt habe: Ich bin ein eifersüchtiger Mensch. Das hältst du nicht aus.“

„Doch“, beharrte Toshiya. „Ich will es so.“

„Ich mache mit dir was ich will“, zählte Kyo auf. „Ich komme und gehe wann ich will. Ich behandle dich wie es mir gerade passt. Und wenn du Pech hast wirst du in mein Untergrundleben verwickelt.“

„Ist mir Schnuppe.“

„Ich breche in Häuser ein-“

„Wunderbar.“

„-deale mit Drogen-“

„Hervorragend.“

„-habe die Schule geschmissen-“

„Bestens.“

„-und mehr als einen Menschen krankenhausreif zugerichtet. Du weißt was ich mit Daishi gemacht habe. Ich tue das jedem an, der es wagt dich zu beanspruchen. Irgendwann vergraule ich alle deine Freunde.

„Na dann...“

„Ich hasse Familie-“

„Großartig, meine ist sowieso reif für die Anstalt.“

„-ich hasse Kinder-“

„Kann ich nicht bekommen.“

„-ich hasse Tiere-“

„Hab ich nicht.

„-Gespräche-“

„Führe ich nicht.“

„-Gefühlsduseleien-“

„Papperlapapp.“

„-sowie jeglichen romantischen Schnickschnack.“

„Kann ja nur gut sein“, murmelte Toshiya. In seinen Ohren klang das alles wie Lappalien. Und was war so schlecht an einem Beschützer auch wenn er jünger war als er selbst? Außerdem war er sich sicher – absolut sicher – das richtige zu tun, er wusste selbst nicht weshalb.

„Trotz allem willst du mit mir zusammen sein?“, schloss Kyo und sah Toshiya durchdringend an. Seine dunklen Haarsträhnen überschatteten die blitzenden Katzenaugen.

„Ja. Trotz allem. Du hast richtig gehört.“

Kyo sah ihn eine ganze Weile an. Dann stieß er sich, die Hände in den Taschen vergraben, langsam von der Tür ab.

„Schön“, brummte er. „Dann gibt es kein Zurück mehr. Ich hoffe du bist dir im Klaren darüber, was du eben getan hast.“

Er öffnete die Tür.

„Ich suche jetzt Ruki und setzte ihn mit der Sache auseinander, es ist besser für dich er weiß Bescheid, dann überlebst du noch ne Weile...“, er lachte rau, „...und dann komme ich zurück. Du wirst schon noch merken, was du dir da eingebrockt hast. Aber dann ist es leider zu spät.“

Mit diesen Worten verschwand er.

Toshiya saß auf seinem Bett und starrte mit klopfendem Herzen zur Tür.
 

Takumi saß auf der Parkbank und starrte mit klopfendem Herzen zum Ende der Straße. Jede Sekunde müsste ein Krankenwagen um die Ecke biegen. Langsam wurde er unruhig. Zwar hatte er erst vor fünf Minuten den Anruf abgegeben, aber was, wenn dieser widerliche Perversling in seinem stinkenden Kellerloch aufgewacht war und nun die Gegend nach seinem Opfer durchkämmte? Eine weitere Flucht würde Takumi nicht durchstehen, seine schmerzenden Rippen und das Stechen im rechten Knöchel sagten es ihm ganz deutlich.

„Mein Gott, geht es Ihnen gut?“, sagte eine leise Stimme direkt neben Takumis linkem Ohr. Er schrie auf und wirbelte mit derartiger Heftigkeit herum, dass er um ein Haar von seiner Sitzfläche gerutscht wäre. Vor ihm stand ein bildhübscher Junge in eng anliegenden Jeans und tiefrotem Kapuzenpullover (Kapuzinerpullover^^hähäh). Seine nachtschwarzen Haare waren schulterlang und umflossen sein blasses Gesicht wie flüssiges Glas. Volle Lippen, von der Kälte gerötete Wangen, große dunkle Augen mit langen kohlschwarzen Wimpern, feine Hände mit schlanken weißen Fingern.

Takumi starrte ihn an. Dieser Junge war fast ebenso schön wie Toshiya. Merkwürdigerweise umgab ihn auch dieselbe weiche Atmosphäre, die ihn wirken ließ wie von einem anderen Stern.

„V-verzeihung“, stotterte der Junge nun und machte errötend einen Schritt zurück.

„I-ich wollte Sie nicht erschrecken wirklich! G-geht es Ihnen gut?“

Takumi wandte sich ganz zu dem Jungen um und lächelte matt: „Ja, danke, es geht schon.“

Der Junge starrte mit entsetzensstarrem Blick auf Takumis verschmiertes Gesicht, die zerzausten Haare und die geöffnete Bluse und sagte hastig: „Ich rufe einen Arzt!“

„Nein, nicht nötig, den habe ich schon gerufen...“, murmelte Takumi und fragte sich ob man ihm wirklich auf dreizehn Kilometer Entfernung ansah, was geschehen war.

„Dann warte ich hier, bis er da ist. Sie sollten nicht alleine sein, nicht in dieser Gegend“, fuhr der Junge fort und setzte sich mit entschlossener Miene neben Takumi.

„Das ist nett. Hör auf mich zu siezen, mein Name ist Takumi Michige. Du bist auch Japaner, ne?“, sagte Takumi und ließ den Blick neugierig über das perfekte Gesicht des fremden Jungen gleiten. Er hatte wirklich gewaltige Ähnlichkeit mit Toshiya.

„Ich heiße Daisuke, Daisuke Hameshima. Ja, meine Eltern sind beide Japaner.“

„Wie alt bist du?“, fragte Takumi ohne zu zögern.

„Siebzehn.“

„Oh, ein Jahr älter als ich. Und was machst du hier so ganz alleine? Für dich ist es genauso gefährlich.“

Daisuke schüttelte lächelnd den Kopf.

„Ich kenne die Gegend und all ihre Schlupfwinkel und Verstecke wie meine Westentasche, ich wohne nämlich gleich um die Ecke. Ich kann sehr schnell verschwinden und auftauchen, wie du gemerkt hast. Aber du hast natürlich Recht, wenn mein Vater erfährt, dass ich um die Uhrzeit hier herumlungere wird er sehr wütend. Ist ja schon fast dunkel...“

Zwei Autos bogen um die Ecke, ein Streifenwagen und ein Krankenwagen.

„Ah, da sind sie ja...“, murmelte Takumi. Sein Herz begann vor leiser Angst zu pochen. Er hatte wirklich keine Lust darauf alles haarklein vor irgendwelchen wildfremden Polizisten auszubreiten und sich auch noch von einem Arzt begrapschen zu lassen, aber da musste er wohl durch.

Daisuke beobachtete Takumis Gesichtsausdruck aufmerksam, dann stand er auf und sagte: „Gut, ich geh dann... und falls du mal Hilfe brauchst oder so, hier.“

Er reichte ihm eine kleine Visitenkarte mit Name und Handynummer.

„Ich kenne gezwungenermaßen einige Jugendgangs in diesem Block. Meine Schwester Eri ist ihre Anführerin.“ Er grinste.

Takumi lächelte dankbar zurück und nahm die Karte mit zitternden Händen entgegen.
 

„TOSHIYA?????!!!!!!“

Uruha stand im Zimmer, die rechte Hand an der Türklinke, auf dem Gesicht ein Ausdruck der maßlosen Entgeisterung.

„Ja...“, antwortete Toshiya zerstreut und radierte die Drei, die er eben eingetragen hatte, vorsichtig wieder weg. Sudoku war komplizierter, als es aussah. Seit einer guten Stunde brütete er nun schon über dem Zahlenrätsel und kam auf keinen grünen Zweig. Vielleicht sollte er noch einmal ganz von vorne anfangen. Mit einem lauten Seufzer begann er alle Eintragungen wieder aus den Feldern zu löschen.

„Was ist, Uruha...?“

„T-T-T-“, stotterte sein großer Bruder, weiter kam er nicht, denn Hakuei preschte an ihm vorbei, stieß ihn grob zur Seite, griff Toshiya an den Shultern, drehte seinen Schreibtischstuhl herum und küsste ihn auf den Mund.

„Nnng“, machte Toshiya erschrocken.

„Nnngmbllnnn!“

„Oh Gott, Totchi!“, keuchte Hakuei und drückte seinen Freund in eine feste Umarmung. Dann küsste er ihn wieder. Und schloss ihn erneut in die Arme.

„Mann, hast du uns einen Schrecken eingejagt...“

„H-Häh?“, sagte Toshiya verwirrt in den Stoff von Hakueis Jacke.

„Was soll das, lass mich los!“

Er schob seinen überschwenglichen Freund von sich und stellte sich sicherheitshalber noch hinter seinen Schreibtischstuhl.

„Warum hab ich euch einen Schrecken eingejagt?“

„T-T-T-“, stammelte Uruha.

„Wir dachten du seist gekidnappt! Entführt! Misshandelt! Wo kommst du so plötzlich her?! Wir haben uns solche Sorgen gemacht!“, rief Hakuei und wühlte sich aufgebracht durch den schwarzen Haarschopf.

„Ich war Einkaufen, dann bin ich hier hoch in mein Zimmer und seitdem versuche ich so ein verflixtes Sudoku-Rätsel zu lösen“, zählte Toshiya auf. Kyo ließ er dabei lieber erst mal außen vor.

Uruha starrte ihn an.

„Du bist nach Hause gekommen ohne was zu sagen?“, brüllte Hakuei.

Toshiya zuckte die Achseln.

„Naja, da waren diese Rentner und ich wollte nicht stören...“

Hakuei ließ sich auf Toshiyas Stuhl sinken, schloss die Augen und atmete langsam ein und aus.

„Das glaub ich nicht...“

„Aber warum macht ihr euch dann solche Sorgen? Wenn was ist, rufe ich schon zu Hause an...“

„Nein tust du nicht“, sagte Uruha. Er sah seinen kleinen Bruder scharf an.

„Mmh? Wie meinst du das, Uruha?“, fragte Toshiya verwirrt.

„Hakuei weiß Bescheid über Daishi. Und ich auch, wie du weißt. Wir hatten beide so ein seltsames Gefühl, das irgendwas nicht in Ordnung ist und haben uns verdammte Sorgen gemacht.“

Toshiya wurde bleich.

„K-kann ich ja nicht wissen...“, stotterte er und versuchte Daishis Bild zu verdrängen, dass augenblicklich in seinem Geiste aufflammte.

Uruha kam auf ihn zu und schloss ihn in die Arme.

„Ich weiß, das kannst du nicht wissen. Tut mir leid“, sagte er.
 


 


 


 

Argh, kein Cliffhanger dieses Mal... tut mir leid T.T

17

Aaaah, sorry Leute!!! Ich habe mir dieses Mal so lange Zeit gelassen (oder besser gesagt ich hatte keine Zeit >.<), es tut mir leid! Aber es freut mich, dass viele Leute mir geschrieben haben um eine Fortsetzung zu fordern und euere Kommentare haben mich natürlich ermutigt, arigatou!! Ich würde sicher die Lust verlieren (bei so vielen Charakteren und einer verworrenen Geschichte ist das schreiben ganz schön kompliziert) wenn ihr mir mit eueren Kommentaren nicht immer Mut machen würdet ^-^

Ich schreibe diese Fanfic auf jeden Fall zu Ende, auch wenn es manchmal ein wenig (sehr) lange dauert. Danke an alle, die bis hierhin gelesen haben *verbeug* und ich freue mich natürlich weiterhin über Kommentare und Anregungen.

Dieses Kapitel beginnt seeehr schwerfällig und es zieht sich so sehr, weil ich anfangs wirklich keine Muse hatte... so wie Sakito...
 


 


 


 

Das Ticken einer Uhr.

Dunkles Holz. Das Knistern und Knallen des Feuers im Ofen, das gegen das Blickfenster züngelt und dort schwarze Rußflecken hinterlässt. Alte Blumentapeten, vergilbt, mit dem Geruch nach altem Papier und Moder. Graue Katzen, bemalte Tassen, Teekessel, Teller mit Gebäck...

Inmitten dieser behaglichen Atmosphäre, gewärmt von der angenehmen Hitze des Holzofens, ein Mann im Schaukelstuhl. Über seine Beine war eine große rot-blau karierte Wolldecke gebreitet, an einigen Stellen durch bekrallte Katzenpfoten aufgeraut. Mit jeder Schaukelbewegung ging ein Knarren und Knarzen einher, wohl zurückzuführen auf die morschen Holzdielen, untermalt von dem Klackern der Stricknadeln. Im wollenen Schoß des Mannes ruhte ein großes flauschiges Fadenknäuel. Jedes Mal, wenn der Stuhl nach vorne schaukelte nahm er eine Masche auf. Beim Zurückschaukeln strickte er sie ab.

Selbst sein Atem ging regelmäßig ein und aus, ein ewiger Kreislauf von Luft holen und Ausatmen, ganz so als ob der Mann vorhabe in seinem breiten Stuhl langsam in den Tod zu schaukeln, mit jedem Atemzug ein bisschen mehr Seele aushauchend.

Was wohl in seinem Kopf vorging...? Vielleicht dachte er zurück an alte längst vergangene Tage oder an die Menschen deren Gesichter auf den vergilbten Fotos an den Wänden zu sehen waren.

„Weißt du eigentlich wie lächerlich das ist?“

Der Mann drehte seinen Kopf zur Tür, in der nun ein Besucher stand. Langsam, so wie seine Knochen es zuließen.

„Mein Junge...“, krächzte er, die Stricknadeln entglitten seinen schwerfälligen Händen und fielen mit dumpfem erstickten Geräusch auf die Decke.

„Was für ein Glück...*hust*...dich noch einmal *keeeeuch* zu sehen...komm näher. Bist du eine Vision aus meiner Jugend, ein Engel vielleicht?“

Der junge Mann schnaubte so heftig, dass die beiden Katzen, die auf dem Tisch am Fenster gespielt hatten verschreckt unter das kümmerliche kleine Bett huschten.

„VISION?! ENGEL?! ICH BIN DEIN SCHLIMMSTER ALBTRAUM!!! UND DAS BÖSE HAT AUCH EINEN NAMEN - SHINYA, FALLS DU DICH ERINNERST!! DIE, DU BIST SO EIN KRANKER IDIOT!!!“

Der fremdländische Besucher (Shinya wie wir eben erfahren haben) schritt so aggressiv ins Zimmer, dass man fürchten musste seine Füßen brächen durch das morsche Holz der Dielen. Mit einer Handbewegung riss er dem armen Mann (Die wie wir eben erfahren haben) die schützende Wolldecke von den Knien, trat dann einmal kräftig gegen den Schaukelstuhl, aus purer Liebe zu Gewalt, wie man den Eindruck gewinnen könnte und scheuchte dann die beiden grauen Kätzlein aus dem Raum. Schließlich baute er sich vor dem Hutzelmännlein auf, das zitternd in seinem Schaukelstuhl kauerte und blitze es mit der ganzen Macht seiner Wut an. Hat die Welt je etwas grauenvolleres gesehen?

„Du hast so schreckliche Auge, Shin-chan“, wimmerte Die und verbarg sein Gesicht in den Händen.

„ACH, JETZT WIESST DU PLÖTZLICH WIEDER WIE ICH HEISSE, JA?!“

„J-jaa...“

„UND WIE HEISSE ICH??!! SAG MEINEN NAMEN!!“

„Sh-Shinya“, jammerte der Alte furchterfüllt.

„DU KOMMST MIT!“

Grob packte er Die am Schlafittchen, riss ihn aus dem wohligen Schutz seines Schaukelstuhls und schleifte ihn aus dem Zimmer.

„Wasch dich!“, befahl er in etwas angemessenerer Lautstärke und stieß seinen Freund zum Waschbecken.

„Aufgemalte Altersflecken, pfff...“, grummelte Shinya mit angewidertem Gesichtsausdruck, als Die sich die braunen Punkte von Händen und Hals schrubbte.

„Du bist jämmerlich, Die...“

„Lass mich doch“, giftete der andere Junge zurück, mit einem Male erfüllt von jugendlichem Trotz.

„Ja, einfach lassen sollte ich dich, du Spinner...dann könntest du für die nächsten siebzig Jahre im Altersheim versauern!“

„Da wollten sie mich ni-“

„Sag einfach gar nichts mehr“, unterbrach ihn Shinya, „und komm endlich. Bevor ich es mir anders überlege und dich in der nächsten Truhe einmotte.“
 

„Wenn ich Orangenschale hinzufüge...“, murmelte Sakito. Zum hundertsten Mal durchblätterte er sein fünfundneunzigstes Kochbuch. Und schmiss es schließlich frustriert von sich.

„Ach, ich weiß nicht! Ich hab heut einfach keine Muse!“, stieß er deprimiert hervor und ließ sich auf den Fliesenboden sinken.

„Liebling“, flüsterte Ryutaro und trat hinter seinen Freund. Der lehnte seinen Kopf gegen Ryutaros Bauch.

„Das ist mir noch nie passiert...“, murmelte Sakito mit leerem Blick.

„Noch nie...“

„Das ist doch ganz egal. Du bist noch immer der – Meisterkoch, der du warst. Ich glaube daran. Ganz fest.“

Ryutaro hockte sich zu dem frustrierten Genie auf den Boden und schloss ihn vorsichtig in die Arme. Sakito kuschelte sich in die Umarmung.

„Und das was du zubereitet hast, sieht doch gut aus! Mach es einfach fertig, ich“, er schluckte, „ich esse auf jeden Fall davon, und ich bin mir sicher, dass es mir schmecken wird. Jeder große Künstler braucht mal Schaffensphasen in denen er nicht so kreativ ist.“

„Meinst du Ryu?“, nuschelte Sakito.

„Ganz bestimmt.“ Ryutaro nickte bekräftigend.

„Danke dass du mich aufbaust...du hast ja Recht...“, flüsterte Sakito, drehte sich um und küsste seinen Liebsten zärtlich auf die Lippen.

„Wie süß“, sagte Tara. „Meint ihr, ihr kriegt das noch mal so hin, wenn ich meine Digicam hole?“

„Was willst du eigentlich hier?“, fauchte Sakito und barg Ryutaros Kopf in seinen Armen.

„Der Kleine Ryu-kun ist putzig wenn er errötet“, grinste Tara ohne auf Sakitos Frage einzugehen und wippte mit den Füßen, die in schwarzen Engineer-Boots steckten.

„*Seufz* Ich wünschte ich hätte auch so eine glückliche Beziehung wie ihr beiden, aber der Mann meines Lebens ist nun mal mein kleiner Onii-san, tja er ist übrigens aufgetaucht, zum Glück muss ich sagen, sonst hätte ich Scotlandyard einschalten müssen, ach was red ich, ich stör euch doch nicht?“

„Fast gar nicht“, erwiderte Sakito trocken.

„Wie geht es Takumi“, sagte Ryutaro, der seinen zerzausten Kopf aus der Umarmung seines Freundes befreit hatte. Sakito schnappte sofort nach seinen Schultern und presste ihn wieder an sich.

„Sei vorsichtig, Ryu-chan. Dieser Typ ist bestimmt gefährlich“, brummte er und musterte Tara finster, der in einer der Ecken der Küche in einem blauen Klappstuhl fläzte, den er weiß Gott wo aufgetrieben hatte.

„Takkun? Wie es ihm geht? Nun jaaa...mal so mal so...im Moment wohl nicht so besonders würde ich meinen...aber wo ihr doch gerade kocht...mein kleiner Bruder hat sicher Hunger...“

„No way.“

„Aber Sakito...“, flüsterte Ryutaro beschwichtigend.

„Aber Sakkun...“, säuselte Tara.

„Nenn mich noch mal so und du kannst deine falschen Wimpern von der Decke kratzen, du billiger Terror-TV cosplayer“, sagte Sakito eisig. (Terror TV= Japanische Oshare-Kei Band, die offenbar ähnlich gekleidet sind wie Takumis großer Bruder)

„Aber Sacchan - sei soch sicht sooo...“

„Halt, niemand wird hier ohne meine Erlaubnis umgebracht“, rief Uruha, hechtete in die Küche und packte seinen kleinen Bruder am Kragen, der mit funkensprühenden Augen irgendjemand ins radioaktive Spülwasser tauchte, zweifelsohne mit dem Verlangen der Person einen langsamen und qualvollen Tod zu bereiten..

„Hör auf, bitte...“, flehte Ryutaro, der am linken Arm seines Liebsten zerrte. Nach minutenlangem Ringen gelang es den Anwesenden Sakito Hände zu lösen, die sich fest um Taras Hals geschlossen hatten.

„Ich hasse ihn“, stellte Sakito fest, trottete zu dem blauen Plastikstuhl und ließ sich darauf nieder.

„Er stört meine Energiemeridiane. Er verstrahlt bad vibrations. Er ist ein Dieb, er klaut mir meine Muse. Trotzdem gibt es in einer halben Stunde essen.“

Uruha seufzte und verkündete dann, als Ryutaro ihm aufmunternd zulächelte: „Gut, wir kommen dann. Äh. Ja.“

„Ich hol nur meinen kleinen Bruder“, sagte Tara, reichlich vergnügt für einen Menschen, der eben beinahe ertränkt und dann um ein Haar erwürgt worden wäre. Ehe Uruha Widerspruch einlegen konnte war der glitzernde Japaner schon aus dem Haus gefegt, nur kurz aufgehalten von fünfzehn seiner vierzig Perlenketten, die sich beim Rennen ununterbrochen in sämtlichen Klinken und Haken verfingen und den Träger dabei beinahe strangulierten. Das Leben eines Dekora-Visu muss hart sein.
 

„Eins sag ich euch gleich...“, knurrte Sakito. „Es schmeckt fürchterlich. Ich bin heute völlig unkreativ.“

Die anwesenden Personen starrten auf ihre Teller.

„Wenn er schon zugibt, dass es schrecklich schmeckt...“, murmelte Hakuei und Uruha nickte gequält.

Das Haus der Haras hatte sich mehr und mehr zu einem Sammelbecken der Nachbarschaft entwickelt, was Sayumi Hara an diesem Morgen, bevor sie in die Arbeit gefahren war, mit hochgezogenen Augenbrauen festgestellt hatte. „Sakito, sag deinen Brüdern sie sollen ihre Namen auf einen Zettel schreiben und an den Kühlschrank hängen, sonst vergesse ich noch wer von der ganzen Meute meine Söhne sind“, hatte sie säuerlich gesagt und Sakito hatte gelächelt. Seine Mutter war doch immer wieder zu Scherzen aufgelegt. Als ob er so etwas überholtes wie einen Kühlschrank in dieser Küche dulden würde.

Tatsächlich war nicht nur Ryutaro zu Besuch, sondern auch Hakuei, der die Trennung von Toshiya noch nicht wirklich überwunden hatte und bei jeder Gelegenheit seine Hand nahm, außerdem Tara, Takumi und Kaoru. Eine merkwürdige Mischung wie sich bald herausstellte.

Ryutaro lächelte zunehmend entmutigt in die Runde, Toshiya war der einzige, der diese freundliche Geste bis zuletzt erwiderte. Sakito beobachtete missmutig das Essen auf seinem Teller, als ob er darauf wartete, dass es einen Purzelbaum schlug, obwohl er genau wusste, dass Karotten und Kartoffeln so etwas normalerweise nicht machen. Hakuei warf Toshiya aus den Augenwinkeln wieder und wieder verstohlene Blick zu, bis dieser sich zu ihm drehte und ihn fragend ansah. Mit einem gequälten Lächeln ergriff Hakuei Toshiyas Hand, die auf der Tischplatte lag, doch dieser zog sie erschrocken weg und senkte den Blick wortlos auf seinen Teller. Tara sah belustigt von einem zum anderen, er wirkte immer, als ob er kurz davor war etwas unglaublich komisches auszusprechen, das ihm in den Sinn gekommen war. Dann kicherte er unterdrückt, seine Augen blitzten und er knuffte seinen Bruder leicht in die Schulter. Dieser saß regungslos am Tisch. Mit leerem Blick und neutraler Stimme hatte er Sakito, Ryutaro und Toshiya begrüßt und seitdem kein Wort mehr gesagt. Er war weiß wie Krepp und wirkte wie kurz vor einem Zusammenbruch. Uruhas Blick streifte immer wieder die Gestalt seines Ex-Freundes, doch Takumi schien nichts um sich herum wahrzunehmen. Uruha stocherte verstimmt in seinem Essen herum. Alles in allem herrschte also eine unangenehme bedrückte Stimmung, umhüllt von peinlicher Stille.

Oh-oh, dachte Ryutaro. Irgendwie schienen er und Toshiya in letzter Zeit immer die einzigen zu sein, die gute Laune und halbwegs normales Verhalten an den Tag legten.

„Na, Kaoru?“, sagte er in dem letzten verzweifelten Versuch eine Unterhaltung zu starten und die Stimmung aufzulockern. Aus irgendeinem Grund hatte Ryutaro das Gefühl, dass es allein seine Aufgabe war die Jungen am Tisch von der beklemmenden Atmosphäre zu befreien und sein schlechtes Gewissen wurde langsam unerträglich.

„Was führt dich hierher?“, hakte er nach, wobei er Kaoru ein hoffnungsvolles Lächeln schenkte.

Dieser hob den Blick und sah Ryutaro an, dem unvermittelt die Gabel aus der Hand glitt.

„Was...mich-hierher führt?“, wiederholte Kaoru ruhig. Er wirkte wie der Vesuv kurz vor dem Ausbruch.

„Ah-genau“, antwortete Ryutaro, der sich mit einem Mal wie ein Pompejaner fühlte.

„Hat deine Freundin nicht heute Geburtstag?“, bemerkte Sakito stirnrunzelnd. Offenbar war es ihm gelungen sein unsagbar unkreatives Essen zu vergessen.

„Jaa“, sagte Kaoru gedehnt und fixierte Sakito.

„Jaa, die hat heute Geburtstag.“

Stille.

„Tja und- willst du nicht hingehen? Sie sehen? Ihr gratulieren?“, klinkte sich Tara ein, der das alles schon wieder sooo spannend fand. Hier in Deutschland war doch wirklich immer etwas los.

Kaoru schraubte seinen Kopf langsam in Taras Richtung.

„Ich bin hingegangen. Gesehen hab ich sie auch. Nur leider nicht lang genug um ihr auch zu gratulieren.“

Erneute Stille vermischt mit Kaorus irrem Blick. Hätten Blicke eine Stimme würden Kaorus Augen sicher geistesgestörte spitze Schrei ausstoßen. (O.O)

„Äh...häh?“, sagte Hakuei und setzte einen verständnislosen Blick auf. „Wie meinst du das, Mann?“

„Aber glücklicherweise konnte ich ihr das Geschenk überreichen, das Shinya- SHINYA!! und Die-DIE!!! besorgt haben.“

„Weißt du, dass du gerade was verrücktes an dir hast, Kaoru oder wie du heißt?“, gluckste Tara. Irgendwie hatten alle Leute denen er bisher in diesem Land begegnet war eine Schraube locker. Angefangen bei der Stewardess, die ihn immer so irre angelächelt hatte, mit diesem unweiblichen Lippenpiercing, bis hin zum Postboten, der heute morgen zum Wohnzimmerfenster eingestiegen war und die Briefe ins Aquarium gelegt hatte. Beim Hinausgehen hatte er zwar die Tür benutzt, aber sich mit schriller Schreien und den Worten „Ich komme wiiiiiedeeer“ verabschiedet. Und immer diese Piercings und Tätowierungen. Offenbar Mode hier. Eigentlich ganz schick.

Kaoru oder wie du heißt warf Tara einen besonders geisteskranken Blick zu als ob er dessen These bestätigen wolle.

„Ach wirklich? Etwas verrücktes habe ich an mir? Wie würdest du dich verhalten, wenn deine Freundin mit dir Schluss gemacht hat, weil du ihr eine Dose Antifaltencreme(99 Cent bei DM, mit Konservierungsmitteln[haha ^^“]), ein Ticket fürs Fitnessstudio (S&R - Schlank und Ranks Fitnesssalon) und ein Päckchen Stützstrümpfe (nur 3,95 Euro bei Aldi) geschenkt hast.“

„Du hast was?!“

Die Jungen am Tisch sahen ihn wie bedröppelt an.

„ICH wollte ihr natürlich etwas nettes schenken. Etwas hübsches. Das hab ich auch zu Shinya gesagt, bevor ich ihn mit genügend Geld losgeschickt habe. Aber offenbar versuchen meine Eltern und meine Freunde gerade mein Leben zu zerstören.“
 

-Woanders-

„Die, was ist in der Tüte.“

„Hasenfutter.“

„Die!“

„Ok, ok...die Tüte hab ich gestern mitgehen lassen...in Sakitos Küche...“

„Was?! Du willst mir doch nicht sagen, dass du einem armen alten Greis die Wärmedecke geklaut hast!“

„Nein nein...*lach*...keine Sorge...für wen hältst du mich denn? Es sind Stützstrümpfe.“

„Du bist jämmerlich!!“

„Ich bin alt und krank!“

„WENN DU SCHON SO EINE SPINNEREI HABEN MUSST, DANN LEG DIR GEFÄLLIGST EINE ANDERE ZU, KAPIERT?!“

„Schön, wie du willst, Shin-chan...“
 

-Ganz woanders-

„Friedelbert...haft du mein Gebiff gefehen?“

„*hust*Auf dem Fenstersims, Hulda. Neben den Tabletten gegen Wadenkrämpfe.“

„Da find keine gegen Wadenkrämpfe. Nur gegen Trombofe, Schlaflofigkeit, Schlaganfälle und Alterswahnwitf.“

„Aber Hulda...da sind sie doch...“

„Oh, du haft Recht...oh...was ist den das für eine Tüte, Friedelbert?“

„Die hab ich dir mitgebracht...du weißt schon...gestern, als wir in der Stadt waren...kurz bevor wir diese spannende Führung durch die Küche von diesem Jungspund hatten...“

„Für mich?“

„Ja, mach sie nur auf!“

*raschel**raschel**find**reiß*

„OOOH!! Wie schööön!!! Eine herrliche Kette mit einem schmucken kleinen Kreuz. Und eine Karte!! Eine Einladung zum Italiener!!! Oh Friedelbert, danke!! Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, dass du in einem Schmuckladen warst.“

„Ich auch nicht Hulda, ich auch nicht...“

„Ach, ich fühle mich wieder jung, wie 43...du bist doch immer noch der alte Charmeur...“
 

-Und wieder zurück-

„Aber Kao...da ist sicher was verwechselt worden...Shinya hätte deiner Freundin niemals so etwas gekauft, er hat Geschmack!“, sagte Toshiya voller Mitgefühl.

„Ich weiß“, zischte Kaoru. „Und ich verwette meine Milz darauf, dass dieser hirnkranke Idiot Die dahintersteckt. Wenn ich den in die Finger kriege...was ist denn?!“

Kaoru warf Hakuei, Tara und Uruha einen strafenden Blick zu. Die drei Jungen richteten sich wieder auf, wurden aber immer noch von heftigen Kicherkrämpfen geschüttelt.

„Kaoru, echt mal...du bist dämlich...“, murmelte Hakuei, bemüht sein fettes hämisches Hakuei-Grinsen zu verbergen.

„Halt die Klappe, du bist als nächster dran“, brummte Kaoru, schaufelte blitzschnell eine Portion von allem was er auf dem Tisch finden konnte (die kleinen zappelnden Dinger in der blauen Schale, die Sakito eben aufgetragen hatte, eingeschlossen) auf seinen Löffel und stopfte ihn Hakuei (der praktischerweise neben ihm saß) in den Mund.

Es war, als ob jemand dem Wecker der Zeit die Batterien herausgenommen hätte. Alle Jungen in der Küche (natürlich bis auf Sakito) hielten den Atem an und starrten auf Hakuei. Der griff sich an die Kehle, erkennend, was er da eben hinuntergeschluckt hatte. Sakitos Essen, ausgerechnet an seinem Bad-cook-day.

„Oh-oh Gott...“, hauchte Ryutaro.

„Haku?“, sagte Toshiya voller Entsetzen. „Haku? Sag was!“

„Tsss, geschieht ihm recht...“, fauchte Kaoru.

„Bist du irre? Du hast ihn umgebracht!!“, rief Uruha.

Aus Hakueis Augenwinkeln liefen Tränen.

„Ist es scharf?“, sagte Ryutaro hektisch, „Soll ich dir eine Lösung bringen, die Salzsäure neutralisiert?“

Hakuei schnappte nach Luft und wischte sich die Tränen weg.

„Es...es...es...“, stammelte er fassungslos.

„Was? Was?“, fragte Toshiya, den Telefonhörer in der Hand, bereit sofort den Notarzt zu rufen.

„Was schon...schmeckt scheiße...“, brummte Sakito verstimmt und ließ missmutig den Kopf auf die Tischplatte knallen. Eine Handvoll Karotten rollte vom Aufprall aufgeschreckt auf den Fußboden und wurde von einer der selbst-reinigenden Fliesen verschlungen.

„Herrlich!!“, rief Hakuei aus, griff nach seiner Gabel und begann sich Essen in den Mund zu schaufeln. „Es schmeckt wunderbar!!“

Eine Weile passierte nichts.

„Er ist verrückt geworden...“, murmelte Uruha entgeistert. „Okay, niemand rührt etwas an, ich hole-äh-den Kammerjäger!“, schloss er mit Blick auf die zappelnden schwarzen Dinger aus der blauen Schale, die gerade dabei waren sich gleichmäßig auf dem Tisch zu verteilen (und wenn man genauer hinsah konnte man tatsächlich eine Formation aus dem Schwanensee-Ballett erkennen).

„Nein, er hat Recht“, sagte Ryutaro mit großen Augen, der vorsichtig an einer Karottenscheibe geleckt hatte.

„Schmeckt toll!!“

Nun wagten auch die anderen die dampfende Mahlzeit anzurühren und in der Tat – es kann ohne zu übertreiben behauptet werden, dass keinem Menschen je zuvor solche Gaumenfreuden vergönnt waren. Sakito aß eine halbe Kartoffel mit Soße.

„Päh“, sagte er. „Widerlich.“

Glücklicherweise – oder vielleicht sogar leider? – schenkte ihm keiner der anderen Beachtung, alle waren viel zu sehr mit ihrem Festmahl beschäftigt um zu verstehen, dass, wären sie der Ursache auf den Grund gegangen, es ihnen womöglich gelungen wäre Sakitos sonst eher zweifelhafte Begabung wirklich auf die Dauer zum Talent eines Meisterkochs zu verwandeln. Tja, Pech gehabt.
 


 

„Takumi! Warte...“

Toshiya fasste den kleineren Jungen vorsichtig am Oberarm.

„Heeey, was hast du mit meinem süßen kleinen Bruder vor?“, sagte Tara mit anzügigem Grinsen und umschlang Takumis Hüfte von hinten. Takumi starrte in Toshiyas Augen. Er wirkte auf einmal wie versteinert. Toshiya war irritiert.

„Lass ihn los“, sagte er schließlich, wischte Taras Hände weg und zog Takumi hinter sich her die Treppe hinauf.

„Setz dich“, sagte Toshiya mit freundlichem Lächeln, als der Junge schüchtern in sein Zimmer getreten war. Dieser gehorchte.

„Und jetzt sag – was ist los?“

„Mmh?“, machte Takumi. Das war der erste Laut, der seit über zwei Stunden über seine Lippen drang.

Toshiya setzte sich neben ihn. Es war sonnenklar, dass mit Takumi etwas ganz gehörig nicht in Ordnung war. Er war plötzlich so ruhig und wenn er sich bewegte, hatte jede Geste etwas schwerfälliges und trauriges. Dann dieses bleiche Gesicht und der verschlossene Blick. Eigentlich war es vor allem der verschlossene Blick, der Toshiya zu denken gab.

Warum humpelte Takumi neuerdings? Überhaupt bewegte er sich so behutsam und ängstlich, als schleiche er über Glassplitter. Auch wenn es sonst nie so gewirkt hatte, Toshiya war überzeugt, dass der kleine braunhaarige Japaner ein von Herzen sanftmütiger Mensch war und was auch immer Uruha ihm gesagt hatte, er hatte es wohl nicht verkraftet.

Toshiya seufzte.

Sein großer Bruder war so ein Trampel.

Dabei war er sich fast sicher, dass Uruha seinen kleinen hyperaktiven Freund brauchte, auch wenn er sich darüber vielleicht nicht ganz im Klaren war.

Diesen Gedanken im Hinterkopf fragte Toshiya ohne lange um den heißen Brei herumzureden: „Hängt es mit meinem Bruder zusammen, dass du so komisch bist?“

Eine ganze Weile saßen sie so da, einfach so ohne ein Wort zu reden, Toshiya im Schneidersitz auf dem Fußboden, Takumi auf dem blauen Plastik-Klappstuhl. Als auch nach fünf Minuten nichts passiert war erhob sich der ältere Junge, langsam und schwerfällig, als wäre er schon viel zu alt für hastige Bewegungen. Dann nahm er Takumi in den Arm und drückte ihn an sich.

Was soll’s, dachte Toshiya und umschloss den zierlichen Jungen noch ein wenig fester, ich bin sowieso kein normaler Junge. Ich weine wie ein Mädchen, ich bin in einen Mann verliebt, dann darf ich mir auch die Blöße geben jemanden zu umarmen. Außerdem tut das wirklich gut.

Auch Takumi schien die Wärme zu genießen. Er legte seinen Kopf an Toshiya Schulter. Toshiya konnte den regelmäßigen Atem dicht an seinem Ohr hören.

Irgendwann beschloss er eine Frage zu wagen.

„Hat dir jemand wehgetan, Takkun?“

„Mmh“, nuschelte Takumi in den Pulloverstoff an Toshiyas Schulter.

„Und...erzählst du mir, wer?“

„...so’n Mann“, murmelte Takumi. Toshiya starrte erstaunt auf den braunen Haarschopf, der an seine Wange gedrückt war. Er hatte fest damit gerechnet ‚Uruha’ zu hören.

„Wann?“

Takumi hob den Kopf und sah ihn durch verquollene Augen an. Seine Haare waren von Toshiyas Wollpullover elektrisiert und standen in alle Richtungen ab. Er sah aus wie ein Hündchen, das man ein paar Mal kräftig über den Teppich gerieben hat.

Wie in Zeitlupe beobachtete Toshiya die Träne, die sich aus Takumis Augenwinkel stahl, sich auf seine Wage wagte, diese hinuntereilte und dann auf nimmer Wiedersehen in seinen Schoß tropfte.

„Es war gestern“, schniefte Takumi. „Ich habe mich mit Uruha gestritten, mi-mit meinen Uruha, dann bin ich weggelaufen und ich hab geweint und – hast du vielleicht n Taschentuch?“

Toshiya warf ihm eine Packung Softies zu.

„Nimm so viele du brauchst“, sagte er ermattet.

„Danke“, heulte der andere Junge, zog ein Tempo aus der Tüte und zerknüllte es in seiner Faust.

„Ich bin in die Stadt gelaufen und dann war da dieser Mann, der hat mich verfolgt, ich bin ja auch weggerannt, aber mein Absatz und – und – und ich hab Uruha noch angerufen, aber er ist nicht rangegangen...“ Er warf das Tempo in den Abfalleimer neben dem Schreibtisch, zog ein neues hervor, knüllte es wieder in seine verkrampfte Hand und schluchzte so bitterlich auf, dass Toshiya nicht anders konnte als ihn wieder in die Arme zu ziehen. Der Kleine sah so elend aus.

„Was ist dann passiert?“

„Er hat mich in so ein Kellerloch verschleppt und mich gefesselt und versucht mich auszuziehen. Ich hab nichts gesehen, weil er mir die Augen verbunden hat...“

„Und – weiter?“, sagte Toshiya tonlos. Er starrte auf das Norma Jean Baker-Poster an seiner Zimmerwand, aber eigentlich sah er es gar nicht. In seinem Kopf reiste er zurück an einen verregneten Ort, den er jede Nacht in seinen Alpträumen besuchte.

„Was ist passiert? Was hat er getan?“, wiederholte er nun beinahe panisch, als Takumi zur Antwort nur ein paar Mal unterdrückt aufschluchzte.

Nachdem ein paar Augenblicke verstrichen waren, schmiss Takumi das zweite Taschentuch in den Abfalleimer und nahm sich ein drittes. Plötzlich sagte er mit normaler Stimme: „Nichts. Er hat nicht getan. Also nicht das was du denkst. Dazu ist er irgendwie nicht gekommen. Als er mich begrapscht hat, ist er plötzlich umgefallen. Einfach so Toshiya, stell dir das vor. Er war ganz schön schwer, ist auf mich gekippt. Als ich die Augenbinde abgenommen hab, hab ich gesehen, dass er ganz gelb-blau war im Gesicht. War wohl ein Anfall oder so. Dann bin ich weggerannt. Ein Junge hat mir geholfen. Er heißt Daisuke. Er war sehr nett.“

Takumi, der sich während seiner Rede aus der Umarmung gewunden hatte, sah Toshiya nun völlig ernst und mit großen Augen an.

„Totchi, ich hatte solche Angst. Ich hab gedacht ich muss sterben und davor noch durch die Hölle gehen. Kannst du dir das vorstellen, Totchi?“

Toshiya erwiderte Takumis Blick.

„Ja. Sogar sehr gut.“
 

Die Türklingel ging.

Sakito (noch immer mies gelaunt wegen seinem maßlos missglückten Essen) öffnete die Tür. Draußen stand eine bildhübsche Frau mit sehr asiatischen Zügen, vielleicht eine Chinesin. Unter ihrem linken Arm klemmte ein neurotisch hechelnder Unfall von einem Hund. Wohl doch eine Thailänderin, dachte Sakito, sonst hätte sie das Ding da schon verspeist.

„Was willst du?“, sagte er forsch, wobei er dem Hund einen misstrauischen Blick zuwarf. Mein Gott, gab es Augen die dämlicher in die Gegend glotzten? Ja, vielleicht die seiner Familie, als sie zufällig auf die Rentierherde gestoßen waren, die Sakito ihm Wohnzimmer hielt. Dabei hätte alles so glatt gehen können. Hatte seine Mutter an diesem Morgen ausgerechnet die Wohnzimmertür öffnen müssen? Aber die Rentiere mal beiseite. Beim Anblick des Hündleins bekam Sakito Lust ein Zungenragout zuzubereiten. Mit großer Zufriedenheit stellte er fest, dass seine Muse langsam wieder zu ihm, dem Herrn und Meister zurückkehrte. Daher wiederholte er nun weitaus freundlicher: „Kann ich Ihnen helfen?“

Die Frau, die bisher noch nichts gesagt hatte lächelte charmant, runzelte die Stirn (versucht das mal gleichzeitig), rammte ihn um und trat Uneingeladenerweise ins Haus.

„Dein Bruder Toshiya. Ist er da?“

Sie drehte sich im Hausflur, wobei ihre schönen scharfsinnigen Augen jedes Detail erfassten. Der Hund glotzte doof und hechelte.

Sakito rappelte sich auf.

„Was gibt Ihnen die Erlaubnis so in unser Haus einzudringen?“, brummte er und rieb sich den Hinterkopf, der unsanft gegen die Wang geschlagen war.

„Dein Bruder Toshiya. Ist er da?“, wiederholte der Eindringling mit strahlendem Lächeln und Sakito hatte plötzlich das unbehagliche Gefühl mit einem Roboter zu sprechen.

Und weil die schöne junge Frau vermutlich auch ein drittes Mal ihre Frage wiederholen würde, gab Sakito gleich von vorneherein auf und sagte mit einem Seufzen: „Ja, er ist oben in seinem Zimmer. Warum?“

„Danke“, erwiderte die Chinesin, ja, eigentlich war es doch eher eine Chinesin und ihr Hund sah aus wie eine Kreuzung aus einer Ratte und Mao. Sie machte auf dem Absatz kehrt, ihr langes nachtschwarzes Haar umwallte sie, als sie die Treppe hinaufflog. Oben auf der letzten Stufe wandte sie sich noch einmal um und sagte zu Sakito: „Die neue Kommode sieht viel besser aus, als der Kleiderständer, den ihr vorher im Flur hattet.“

Und schon war sie in Toshiyas Zimmer verschwunden, ohne überhaupt zu wissen, wo es lag, wie Sakito gerade auffiel. Verwirrt starrte er nach oben.

Woher in Gottes Namen wusste diese Teufelsbraut dass die Eichenholzkommode neben der Haustür neu war?
 

„Halli-hallo“, flötete Lu und warf vergnügt ihr glänzendes Haar zurück, „habt ihr mich vermisst?“

Toshiya und Takumi starrten sie an. Takumi ließ vor Schreck das Papiertaschentuch fallen, das er in Händen hielt.

„Ok, ihr habt mich nicht vermisst, aber das könnt ihr nur sagen“, sie lächelte ihr umwerfend schönes Lächeln, „weil ihr mich noch gar nicht kennt. So, aber deshalb bin ich nicht hier.“

Zielsicher durchschritt die Chinesin den Raum (sie trug übrigens schwarzes Lederstiefel, die so hohe Absätze hatten, dass sie wohl schon häufiger zwischen Fußboden und Decke steckengeblieben war) und ließ sich auf dem blauen Klappstuhl nieder, der einsam im Zimmer herumstand.

„Der ist praktisch“, sie meinte wohl den Stuhl, „hab ich auch in allen Farben, gibt’s bei Ikea. Ach jeder hat ihn, tja das ist das Blöde daran, wenn etwas Mode ist, dann kauft sich jeder Idiot einen Ikea-Klappstuhl. Aber nun zur Sache.“

Die beiden Jungen starrten sie noch immer mit solchem Erstaunen an, als wäre die Frau hereinspaziert und hätte verkündet sie sei die Führerin der Whu-Whlah-Sekte und fordere, dass Toshiya und Takumi sich die Hände abhacken und sie aufessen sollen, und zwar auf der Stelle. Oder, dass das, was sie im Arm hielt tatsächlich ein Hund und nicht eine scheußliche Missgeburt eines Tieres war, wie sie nur unser Jahrhundert hervorbringen kann.

Toshiya stieß plötzlich einen Schrei aus.

„Spekulatius!!! Mein Q-chan!!! Mein Hündchen!!! Ich hab dich so vermisst! Seit dich dieser Irre weggeworfen hat hab ich dich nicht mehr gesehen- dieser- Moment mal!“

Argwöhnisch musterte er die heiße Braut von ihre hochhackigen Stiefeln bis zum Scheitel ihrer glänzenden schwarzen Haare. War das nicht die Freundin von Kyos Gangstercousin, diesem Ruki oder wie der hieß? Mit wachsendem Misstrauen streckte er seine Hände aus um sein wiedergefundenes Hündlein aus den Klauen dieser Tigerin zu entreißen.

„Ah-ah“, sagte Lu sofort mit strahlendem Lächeln, „wenn du diesen Hund anrührst, dann muss ich dir leider einen Finger abschneiden. Nichts für ungut.“

Toshiya zog sofort seine Hand zurück. Diese Frau machte keine Witze, das sagte ihm die dunkelrote Farbe auf ihren vollen Lippen. Sie sah aus, als hätte sie ihren Lippenstift vor dem Auftragen Blut getaucht.

„Hund?“, wiederholte Takumi verdattert.

„Jaaaa...rühr den Hund nicht an, Totchi...Madame, geben Sie ihn lieber mir...bei mir ist er in sicheren Händen...“, sagte Sakito, der plötzlich ebenfalls im Raum stand. Seine Augen blitzen. In der rechten Hand hielt er ein überdimensional großes Küchenmesser mit dem man eine ganze Elefantenherde hätte zerlegen können. Lu warf ihm einen empörten Blick zu.

„Nein, du nicht, ich weiß, dass du alles, was dir nicht bis zum Bauchnabel reicht in deine Giftsuppen mischt“, zischelte sie. Dann, mit völlig veränderter Stimme und erneutem Lächeln (zum Glück bin ich schwul, dachte Toshiya) erklärte sie: „Aber nun zur Sache. Mein Name ist Lu. Natürlich ist das nur mein Deckname, und seid es nicht wert auch nur das mindeste Vertrauen von mir zu erhalten, also belassen wir es dabei. Ich soll dir etwas ausrichten, Toshiya, Schätzchen...“

„M-mir?“, stotterte Toshiya. Er hielt es für eine Ehre die wirklich anzuzweifeln war.

„Ja, dir!“, sie zwinkerte ihm verführerisch zu. Toshiya verzog das Gesicht. Takumi hob die Augenbrauen. Sakito wetzte sein Messer mit braunem Schleifpapier und prüfte in regelmäßigen Abständen die Schärfe.

„Ich will mich nicht lange damit aufhalten. Die Botschaft lautet: <Ich warne dich. Wage es nicht noch einmal jemandem nahe zu kommen. Du weißt was dann passiert.> Und mein persönlich Rat, Kleiner, ist: Beherzige die Nachricht, er macht keine Scherze, wie du dir vielleicht denken kannst. Und er sieht alles. Tja, er ist wohl besessen.“ Sie lächelte wieder vergnügt und erhob sich. Das Tier knurrte, weil es wohl fand, dass es an der Zeit war ein wenig den Hund zu markieren. Oder weil ihm langsam der Saft ausging (der Sabber-Lache auf Toshiyas Teppich nach zu schließen zumindest). Es klang wie wenn jemand auf einen Regenwurm tritt, also eher ein Matschen, als ein Knurren. Aber das ist ja auch egal.

Die Chinesin namens Lu packte also ihren Kläffer im Leerlauf, ihren niederschmetternden weiblichen Charme, warf noch einmal ihr Haar nach hinten und fegte aus dem Raum. Fünf Sekunden später ging die Haustür. Sakito stürzte in den Flur. Kurz darauf kehrte er in Toshiyas Zimmer zurück und starrte die beiden Jungen, die wortlos auf dem Boden saßen, irritiert an.

„Ich fass es nicht. Sie hat die Kommode mitgehen lassen.“
 


 

„Von was hat diese Irre geredet?“, fragte Takumi atemlos vor Aufregung und packte Toshiya am Arm.

„Wer beobachtet dich? Und wem sollst du nicht nahe kommen? Was hat das zu bedeuten?“

„Ähm...nicht so wichtig...“, sagte Toshiya ausweichend. Wieder klingelte es.

„Ich geh“, sagte Sakito knapp und verschwand.

„Sag schon“, drängelte Takumi ungerührt und rutschte näher zu Toshiya heran. Dieser zog sich erschrocken zurück. Kyo konnte ihn sehen, wie auch immer er es anstellte, er wusste über jede Handbewegung Bescheid, die er tat. Offenbar hatte er mitverfolgt, wie er Takumi im Arm gehalten hatte und vielleicht auch Hakueis Annäherungsversuche an diesem Mittag. Besser kein Risiko eingehen. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken.

„Sag“, maulte Takumi. Langsam war er doch wieder der Alte.

„Taku...bitte dräng mich nicht. Ich kann es dir nicht sagen, ich bringe dich sonst in Gefahr. Bitte, das klingt verrückt...ich- es tut mir leid...“

Toshiya sah betreten zu Boden. Als Takumi voller Mitgefühl nach seiner Hand langte zog er sie schnell weg.

„Es...tut mir leid“, wiederholte er, wobei er den Jungen eindringlich in die Augen sah, in der Hoffnung dieser würde verstehen, dass er sich von ihm fernhalten solle.

„Oh“, sagte Takumi, „ok. Diese <Warnung> soll wohl bedeuten ich soll dich nicht mehr umarmen...stimmt's? Oder sonst irgendjemand?“

Toshiya nickte stockend.

„Aha. Toshiya?“

„Mmh?“

„Das ist doch krank. Wer auch immer dir das antut, das ist doch krank...

„Aber ich liebe ihn...“, murmelte Toshiya. Takumi starrte ihn an.

„Oh-“, stieß er hervor, als ihm langsam ein Licht aufging, wenn er auch sonst gar nichts von der rätselhaften Chinesin und ihrem blöden Ratten-Terrier verstand.

„Es ist dein Freund? Du hast einen Freund? Er ist wohl ganz schön eifersüchtig?“

Toshiya nickte wieder.

„Und kriminell? Ich meine diese Botin eben...ne echte Gangsterbraut...“ Er schüttelte sich, wodurch seine Haare nur noch zotteliger wurden.

Nochmals nickte Toshiya. Er hielt den Blick fest auf den Boden gerichtet. Durfte er Takumi so viel verraten?

„...ist es...dein Freund, also den du liebst...ist es Kyo?“, fragte Takumi plötzlich. Toshiya hob überrascht den Kopf. Der kleinere Junge sah ihn mit ernsten Augen an.

„Also ja“, murmelte er, als Toshiya keine Anstalten machte zu reagieren.

„Und-“

In diesem Augenblick schwang die Tür auf und ließ zwei merkwürdige Gestalten hinein, noch merkwürdiger als Lu und ihr Hündlein, was wirklich etwas heißen will.

„Äh...“, begann Sakito, der die beiden in Toshiyas Zimmer geleitet hatte. Er wies sie mit einer Handbewegung (übrigens mit der Hand in der noch immer das Schlachtermesser steckte) in den Raum.

„Äh...“, versuchte er wieder. Dann schüttelte er den Kopf, schloss die Tür hinter den Besuchern und setzte sich auf Toshiyas Bett.

„Hi Die. Hi Shinya“, sagte Toshiya. Irgendwie hatte er lansgam genug. Ob ihn die Irren noch immer finden würden, wenn er in Sakitos Küche zog? Die Schränke waren ja sehr geräumig (und in jedem gab es fließend Wasser, Strom, eine Minibar und die Möglichkeit zum Einbau eines Whirlpools oder einer Sauna).

„Totchi, sorry, dass wir so hereinplatzen, aber hast du vielleicht eine Frau gesehen, so eine Chinesin mit langem schwarzen Haar und einer Mao-Tse-Tung-Puppe (oder was das sein soll) auf dem Arm? Sie ist hier hineingegangen und nun finden wir sie nicht mehr?“

Toshiya starrte seine beiden Freunde an. Nein, eigentlich war er sich nicht mehr sicher ob er mit ihnen befreundet sein wollte. Sowohl Die, als auch Shinya waren in etwas gehüllt, das aussah wie schwarze Overalls. Beide trugen eine Mütze und hatten ein Tuch vors Gesicht gebunden, das Shinya eben zum Sprechen ein wenig gelupft hatte. Sie sahen einfach lächerlich aus.

„Ja. Die war hier. Warum fragt ihr, was habt ihr mit der zu tun? Und wie seht ihr überhaupt aus?“, sagte Toshiya und begutachtete Shinyas Aufzug mit einem Stirnrunzeln.

„Ach, Totchi, das ist eine lange Geschichte...“ Shinya ließ verzweifelt die Arme hängen.

„Du glaubst nicht in welche Schwierigkeiten ich schon wieder geraten bin und das nur wegen Die...“

Besagter Mann zog eine Kalaschnikow aus seinem voll bepackten Rucksack. Er blinzelte in das Schussrohr und überprüfte dann die Munition.

„Doch, das glaub ich sofort“, antwortete Toshiya. Warum hatte er urplötzlich das Gefühl ganz dringend Urlaub zu brauchen?

„Totchi, frag lieber nicht...“

„Hatte ich auch nicht vor.“

„Soll ich ihn erschießen“, brummte Die und zielte mit seiner Waffe auf Toshiya.

„Da wo ich herkomme erschießt man Leute wegen dummen Fragen.“

„Er hat ja nicht gefragt“, erwiderte Shinya hektisch und wandte sich wieder an Toshiya, der wie versteinert den Blick auf Dies Maschinengewehr gerichtet hatte.

„Jedenfalls tut Die es schon wieder...du weißt schon...das mit seinen Macken...erst der Tick mit dem Essen, dann diese Depri-Phase, dann hat er sich eingebildet er sei ein Greis mit Stützstrümpfen und Wärmedecke und als ich ihn angeschnauzt habe er soll sich gefälligst ne andere Marotte zulegen...nun ja...“

„Da ist er schnurstracks einer Gang beigetreten und spielt jetzt den Bad-boy?“, schloss Sakito mit hochgezogenen Augenbrauen (und nervösem Zittern in der Stimme, weil Die seine Kalaschnikow immer auf denjenigen richtete der gerade sprach).

Shinya nickte frustriert.

„Die Gang gehört einem Ruki oder so...und unser erster Auftrag lautet seine Freundin zu begleiten und ihren Hund zu füttern. Aber sie ist einfach zu schnell. Wir habe sie jetzt schon zum sechzehnten Mal verloren. Und dieser Hund ist eine Bestie...er frisst nur Elchinnereien... Ich muss geistig umnachtet gewesen sein, als ich mit Die in diese Bande eingetreten bin, aber ich konnte ihn da doch nicht alleine lassen...der schafft es noch und bringt sich um...“

„Oder uns...“, sagte Sakito mit Blick auf den Waffenlauf, der ihm noch immer vor die Brust gehalten wurde.

„Soll ich ihn erschießen, Shin? Da wo wir herkommen-“, er versuchte auf den Boden zu spucken, was aufgrund des Tuches, das vor seinen Mund gebunden war, nicht ganz gelang, „werden Leute erschossen, wenn sie andere unterbrechen.“

„Jedenfalls“, schloss Shinya, „diese Frau ist eine Verrückte, sie ist wahnsinnig-“

„Was du nicht sagst“, unterbrach ihn Sakito gereizt, „zum Glück ist sie die einzige Bedrohung hier!“

„Er ist klein, da brauch ich nicht viel Munition“, knurrte Die und kappte den Patronenstreifen, der vom Maschinengewehr hing.

„Und wie geht’s dir?“, fragte Shinya mit traurigem Lächeln. Toshiya zuckte die Achseln.

„Naja...aber nicht mehr so schlimm...ich- ach, ist ja auch egal...auf jeden Fall ist alles ok.“

„Ich könnte heulen vor Glück“, brummte Die.

„Tja, wir... wir gehen dann...“

Mit diesen Worten verkrümelten sich Shinya und sein Gangsterfreund. Takumi nervte zwar noch ein Weile herum, doch weil ihm bald klar war, dass Toshiya nichts mehr sagen wollte verließ auch er das Zimmer und überließ Uruhas kleinen Bruder seinen Gedanken.

Zwei Wochen vergingen ohne nennenswerte Ereignisse. Toshiya fiel bald auf, dass Takumi das Haus der Haras mied. Offenbar wollte er Uruha nicht begegnen. Dieser reagierte gar nicht gut auf alles was seinen Ex-Freund betraf. Wann immer dessen Name fiel, verhielt Uruha sich so als sei er mit plötzlicher Taubheit geschlagen und wenn Toshiya ihn trotz allem weiterhin löcherte, musste er plötzlich immer unbedingt etwas wichtiges erledigen. Zeitungen austragen zum Beispiel. Uruha hatte das letzte Man in der vierten Klasse Zeitungen ausgetragen. Toshiya fand die Ausrede wirklich schwach. Aber alles in allem kam es nicht zu Streitigkeiten.

Der einzige, der wirkliche Probleme machte, war Die. Ständig fuchtelte er in der Schule mit einem Messer herum und erschreckte die Jungen und Mädchen der unteren Klassen. Außerdem weigerte er sich strikt das pechschwarze Tuch abzunehmen, das gut die Hälfte seines Gesichts verhüllte und als er der Mathelehrerin heimlich einen Strick um den Hals legte, während sie eine Sinuskurve an die Tafel zeichnete, um sie über dem Lehrerpult aufzuknüpfen, riss dem Direktor endgültig der Geduldsfaden. Es setzte einen saftigen Verweis und ein halbes Jahr lang Flurputzen. Die Anzeige und den Rausschmiss von der Schule konnte nur ganz knapp durch die besänftigenden Worte des Musterschülers und Lehrerlieblings Shinya verhindert werden. Fortan traf man den Jungen mit den feuerroten Haaren in den Pausen (er hatte sich bald den Spitznamen AC Mailand eingehandelt) und vor und nach dem Unterricht auf diversen Fluren oder Toiletten an, wo er mit grimmiger Miene die Fliesen schrubbte, den Strick immer griffbereit in der Jackentasche falls er mal ganz spontan jemanden hängen müsse. Ein 13-jähriger Junge aus der sechsten Klassen wurde nur durch einen glücklichen Zufall vor dem sicheren Tode gerettet, er war über den von Die frischgeputzten Boden im dritten Stock gelaufen. Der Direktor der Schule war seit Mittwoch der letzten Woche krankgeschrieben.

Nur eine Sache fehlte. Und zwar Kyo.

Toshiya verstand es nicht. Erst warnte ihn dieser Junge, fletschte die Zähne wie ein Tiger und drohte ihn zu fressen, dann überwachte er ihn, schickte ihm die Freundin seines Cousins um ihn einzuschüchtern und dann – dann ließ er nichts mehr von sich hören. Was in aller Welt sollte das? Toshiya war leicht verstimmt. Und unendlich traurig. Vielleicht, ja vielleicht hatte er sich wirklich in Kyos Gefühlen getäuscht. Den Gedanken hielt er kaum aus. Er musste immerzu an ihn denken, wenn er aufwachte, wenn er sich anzog, wenn er zur Schule ging, im Unterricht, beim Mittagessen, den ganzen Nachmittag über, wenn er schlafen ging. Es machte ihn wahnsinnig. Und mit jeder Sekunde die verstrich sehnte er sich mehr nach Kyo, nach seiner Nähe und seiner Umarmung. Manchmal, wenn er mit Uruha stritt, ein Lehrer ihn ausschimpfte oder er an Daishi denken musste, hatte er das Gefühl, dass nur Kyo ihm Geborgenheit geben könne.

Aber er war ja nicht da. Toshiya fühlte sich einsam.
 

Draußen heulte der Wind. Uruha zog sich die Decke bis zum Kinn. Wo kamen nur plötzlich diesen verdammten Schuldgefühle her? Warum fühlte er sich so elend, wenn der Regen gegen seine Fenster prasselte? Immer, wenn er sich einsam fühlte tauchte der Schmerz wieder in seiner Seele auf, genau das Gefühl dass er empfunden hatte, als er im Regen neben den Gleisen stand und mit sich selbst rang, schließlich entschlossen seinem Leben ein Ende zu setzen. Die Dunkelheit, die er damals tief in seiner Seele gespürt hatte würde ihn für immer verfolgen, das wusste er genau. Alles tat ihm so unendlich leid. Dass er Toshiya so verletzte hatte und dann Takumi...warum eigentlich hatte er den Kleinen plötzlich nicht mehr ertragen? Und weshalb noch mal hatte er sich mit ihm gestritten? War es vielleicht, weil er das Gefühl gehabt hatte in seinem Herzen sei kein Platz für ihn und Toshiya gleichzeitig? Was hatte er überhaupt gefühlt? War er nicht einfach nur völlig durcheinander und unendlich traurig gewesen?

Eigentlich war es Takumi, der ihn in der Zeit danach immer wieder zum Lachen gebracht hatte. Uruha drehte den Kopf und blickte aus dem Fenster. Die Nacht war pechschwarz. Kein Mond drang durch die Finsternis. Äste und Blätter der Bäume vor dem Haus knackten und rauschten wütend im Wind, der an ihnen zerrte. Heute Nacht würde er keinen Schlaf mehr finden.
 

Auch Toshiya lag mit weit geöffneten Augen im Bett und starrte an die Decke. Was für ein Sturm. Zum Glück konnte er in seinem warmen Bett liegen und musste nicht unter einer Brücke schlafen, auf einem Stück Karton, das von dem mächtigen Regenschauer fast in den Fluss gewaschen wurde. Toshiya lächelte matt in die Dunkelheit hinein. Solche Gedanken kamen ihm immer nur nachts, wenn er sich alleingelassen fühlte und kein Auge zu bekam, weil sich sein Herz so schmerzhaft zusammenzog.

Als er zu seinem Fenster blickte blieb ihm das Herz stehen. Er ließ grundsätzlich nie den Rollladen hinunter, weil er beim Einschlafen gerne die Sternen, die in den Zweigen der Bäume hingen, beobachtete. Oder die Regentropfen, die silberne Spuren über das Glas zogen in denen sich das Licht der Straßenlaterne brach. Aber jetzt sah er den Regen nicht mehr. Draußen auf seinem Fenstersims stand jemand. Ein dunkler Schatten, der ins Zimmer blickte, mit einem schwarzen Gesicht, Toshiya konnte nur den Umriss eines Mannes erkennen. Stumm fuhr er aus dem Bett hoch und drückte sich gegen die Wand, die rechte Hand über den Mund geschlagen um nicht laut aufzuschreien. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis ihm klar wurde welcher Wahnsinnige mitten in der Nacht an seinem Haus hinaufklettern würde um in sein Fenster zu starren. Sein Herz schlug noch immer wie wild, aber nun wagte er auch wieder sich zu bewegen. Langsam und mit zitternden Knien erhob er sich, wickelte schnell eine Wolldecke um die Schultern und blickte zum Fenster, noch immer das dringende Gefühl um Hilfe rufen zu müssen. Der dunkle Umriss des Mannes draußen zeugte von keiner Regung. Zögernd ging Toshiya auf den Schatten zu. Sein Herz pochte. Was, wenn es doch nicht Kyo war. Mit jedem Schritt wuchs seine Angst. Bebend nahm er den Fenstergriff in die Hand, drückte ihn nach unten, wobei er sich zwang nicht auf den schwarzen Schatten zu achten, der unmittelbar vor ihm aufragte. Als er das Fenster aufstieß trug ein eisiger Windstoß den Fremden in sein Zimmer. Er setzte schnell einen Fuß hinein, damit Toshiya das Fenster nicht mehr schließen konnte. Regen prasselte in den Raum und durchweichte den Teppichboden. Der Sturm heulte und machte Toshiya taub für alle anderen Geräusche. Er stand einfach nur da, gelähmt vor Angst und zitternd vor Kälte und starrte wie gebannt auf den nächtlichen Besucher. Dieser sprang leichtfüßig auf den Boden, eine blitzartige Bewegung, die Toshiya zusammenfahren ließ, und schloss das Fenster hinter sich.

„Kyo?“, hauchte Toshiya, als der Fremde auf ihn zu preschte und ihn in die Tiefe des Zimmers zu seinem Bett drängte. Eine eiskalte Hand legte sich auf seinen Mund.

„Still“, zischte Kyo, „niemand darf wissen, dass ich hier bin!“

Toshiya Herz klopfte so wild, dass er das Gefühl hatte es müsse jeden Augenblick zerspringen. Kyo stieß ihn aufs Bett und kniete sich über ihn. Er trug einen kühlen Hauch mit sich, ganz, als ob der Sturm, der vor dem Haus entlang fegte sich in seinen Kleidern verhängt hätte. Er tropfte vom Regen, seine Haare ein zerzaustes Gewühl aus nassen Strähnen, die ihm in Gesicht und Nacken klebten. Kyo zerrte Toshiya die Decke vom Körper und drückte ihn in die Kissen. Toshiya leistete keinen Widerstand. Er konnte Kyos eiskalte vom Regen schwere Kleidung spüren, die sich an seine nackten Beine drückte und ihm einen Schauer über den ganzen Körper jagte. Er zitterte noch immer, wusste aber nicht mehr ob vor Angst oder Aufregung. Der Regen aus den klatschnassen Haaren rann über Kyos Gesicht und tröpfelte auf Toshiya, der unter ihm lag und zu ihm hinaufsah.

„Woher kommst du so plötzlich?“, flüsterte Toshiya.

Kyo antwortete nicht. Er schien seinen Freund anzusehen.

„Willst du dich nicht umziehen? Ich kann dir trockene Kleidung geben, einen Pullover...“ Toshiyas Stimme verebbte. Kyo rührte sich nicht. Also langte er vorsichtig und zögernd nach oben und tastete im Dunkel über Kyos Jacke. Er fand den Reißverschluss, zog sie auf und schob sie über die schmalen Schultern. Wie gut er roch, nach Regen und Wärme. Nun bewegte Kyo sich auch. Immer noch zwischen Toshiyas gespreizten Beinen kniend schlüpfte er schnell und lautlos aus dem triefenden Kleidungsstück und warf es neben dem Bett auf den Boden, wo es mit einem dumpfen Klatschen landete. Dann wandte er wieder den Kopf. Toshiya konnte seine Augen nicht sehen, aber er hatte das beinahe unangenehme Gefühl, dass Kyo seinen Blick über den ganzen Körper laufen ließ, der unter ihm lag, von dem hübschen Puppengesicht und den kohlschwarzen Haaren über den schlanken angespannten Bach, die Hüften, bis zu den langen weißen Beine, die das verrutschte Nachthemd freigelegt hatte.

„M-mir ist so kalt...“, wagte Toshiya schließlich ein Flüstern, „b-bitte lass mich uns wenigstens zudecken...“

„Klappe“, fauchte Kyo, presste seinen eiskalten durchnässten Körper fest an Toshiya, beugte sich hinab und küsste ihn so stürmisch, dass Toshiya die Luft wegblieb. Er zitterte vor Kälte, Regentropfen rannen die Innenseite seiner Schenkel hinab und ließen ihn erschaudern. Aber er spürte die Kälte schon nicht mehr, der Körper, der sich auf ihn legte, Kyos Hände, die sich wild, fast schon gewalttätig seine Haut entlang tasteten, sein heißer Atem beanspruchten sein ganzes Denken, ließen ihn schwindlig werden.
 

Seltsam.

Uruha runzelte die Stirn. Er hatte sich ans Fenster gesetzt um gedankenverloren den Regen zu beobachten, der vom Himmel stürzte und in Bächen die schwarze Straße entlang rauschte. Vorhin hatte er den Eindruck gehabt etwas in der Finsternis vor seinem Fenster wahrgenommen zu haben, irgendetwas, weniger als ein Schatten, aber dennoch hatte er es gesehen. Es war über die Straße gehuscht, umhüllt von Dunst und Regen, zwischen zwei Straßenlaternen, genau an der Stelle, die von den beiden matten Lichtkegeln am weitesten entfernt war. Und plötzlich hatte er das Gefühl gehabt, dass etwas anwesend war, irgendjemand, vielleicht sogar im Haus. Immerhin wäre es nicht das erste Mal, dass jemand einbrach. Mit wachsender Unruhe im Herzen sprang Uruha von seinem Stuhl auf, wickelte den Bademantel fest um seinen Körper, stapfte mit leisen Schritten über den Teppichboden seines Zimmers, in den Flur hinaus und trat vor Sakitos Zimmertür. Als er seinen Kopf dagegen legte war leises regelmäßiges Atmen das einzige, was er vernehmen konnte. Ebenso verhielt es sich mit dem Schlafzimmer seiner Mutter. Und weiter zu Toshiyas Tür. Uruhas Unbehagen wuchs, aber er versuchte sich einzureden, dass es nur die gewohnte grundlose Angst um seinen kleinen Bruder war. Vorsichtig, darauf bedacht keinen Laut zu verursachen presste er sein Ohr gegen das kühle Holz und konzentrierte sich auf die Geräusche im Zimmer. Der Flur lag still und schwarz da, auf dem ganzen Haus ruhte eine wohlige Wärme, aufgrund der Kälte hatte seine Mutter abends den Holzofen im Wohnzimmer angeschürt. Nichts regte sich, alles im Haus war finster und vertraut.

Uruha erschrak fürchterlich, als er Toshiyas Bettdecke rascheln hörte. Gleich darauf zwang er sich zur Ruhe. Der Junge hatte sich beim Schlafen umgedreht, das war alles. Aber – er horchte so angestrengt er konnte – was war das für ein Geräusch? Uruha konnte Atmen vernehmen. Aber es klang nicht so, als ob Toshiya schlafen würde, sondern eher, als ob – und jetzt Stimmen! Ein kaum hörbares Flüstern, ein Hauchen, wenig mehr als ein Atemzug, dann ein anderes als Antwort – Uruhas Gedanken überschlugen sich. Jemand war in Toshiyas Zimmer, jemand war wie ein Dieb in das Haus eingedrungen, er hatte sich nicht getäuscht! Gerade, als er in den Raum stürzen wollte, hörte Uruha ein leises Keuchen, ganz schwach und unterdrückt und auf einmal wurde ihm klar, dass er und seine Hilfe in Toshiyas Zimmer sicher nicht erwünscht waren. Irgendeine Person war tatsächlich bei seinem kleinen Bruder eingestiegen, aber ein Dieb war es nicht, denn er war wohl auch kaum an Schmuck, Geld oder Geräten von Wert interessiert. Wer auch immer da drinnen war, er war willkommen, nun war es nicht mehr zu überhören, auch wenn die beiden Personen sich offenbar Mühe gaben jeden Laut zu unterdrücken.

Langsam und lautlos rutschte Uruha neben der Tür zu Boden. Das war doch einfach nicht zu fassen!

18

Die Zweige der Bäume knarzten, vom Wind gepeitscht schlugen sie gegen die Flurfenster im ersten Stock, der Himmel draußen war mit dem Regen zu einer grau-schwarzen Dunstmasse zerflossen.

Uruha seufzte lautlos auf.

Was für ein Wetter, man könnte meinen, die Welt ginge jeden Augenblick unter. Ein Blitz zuckte über den Himmel und zerriss für den Bruchteil einer Sekunde die sturmzerwühlte Finsternis. Ein mächtiges Donnern folgte, das Uruha auf dem Fußboden zusammenfahren ließ. Er fühlte sich winzig klein, geradezu jämmerlich-verschwindend unbedeutend im Angesicht der Naturgewalt, die über die Stadt hinwegfegte. Der Wind heulte immer lauter ums Haus. Einige Male schon hatte Uruha geradezu damit gerechnet, dass das Unwetter Teile des Daches mitnahm oder vielleicht eine Seitenwand. Und dann würde er durch ein großes Loch in der Hausmauer nach draußen in die ewige Nacht gesogen werden.

Ewige Nacht.

Warum fühlte er sich so, als würde dieses Dunkel für immer andauern? Eigentlich war es unendlich still. Alles was ringsum zu vernehmen war hatte mit dem gewaltigen Gewitter zu tun, mit Sturm und Regenschauer, abgebrochenen Zweigen, heruntergerissenen Blättern, doch nirgends ein menschlicher Laut. So als wäre er plötzlich alleine auf der Welt. Ganz alleine.

Schön, er hatte ihnen zugehört. Warum wusste er selbst nicht. Toshiyas Atmen, unterdrücktes Stöhnen, das war schon alles gewesen und auch nur für wenige Minuten. Danach konnte man noch längere Zeit das Rascheln der Bettdecke hören, anscheinend hatte der Mann – wer auch immer er war – irgendetwas gegen die vorherige Geräuschkulisse unternommen. Und dann... dann hatte urplötzlich Totenstille geherrscht. Eine unsichtbare Hand hatte Uruha festgehalten, es war ihm nicht gelungen sich von der Zimmertür seines kleinen Bruders zu entfernen und nun musste er sich mit aller Gewalt davon abhalten die Tür einzutreten und sich persönlich davon zu überzeugen, dass Toshiya am Leben war. Es ging ihm sicher gut.

Nicht wahr?

Kein Laut drang mehr an sein Ohr, egal wie fest er es gegen die Tür presste.

Und so saß er seit zwei Stunden auf dem Boden, ratlos, reglos, zusammengefallen neben Toshiyas Zimmertür und starrte zum Fenster hinaus, das am anderen Ende des Gangs lag.

Irgendwann – er wusste nicht wie lange er auf dem Fußboden ausgeharrt hatte – war er dann aufgestanden und langsam in sein eigenes Zimmer gelaufen. Er hatte sich ins Bett gelegt und obwohl er sich sicher gewesen war kein Auge zutun zu können nickte er beinahe augenblicklich weg.
 

Und schlug die Augen wieder auf. Uruha blinzelte. Hatte er geschlafen? Beinahe gruselig wie er so plötzlich so wach sein konnte. Genau genommen waren es zwei Stunden und dreiundvierzig Minuten im süßen Land der Alpträume gewesen, glücklicherweise erinnerte er sich nicht mehr an die pechschwarzen Tunnel durch die er im Schlaf gekrochen war, auf der Flucht vor einem körperlosen Ungeheuer.

Uruha schwang seine Beine aus dem Bett, lief schnell ins Bad hinüber und zog sich an. Dann schlich er hinunter in die Küche. Das Haus lag noch immer so da wie einige Stunden zuvor, in vollkommener Stille und Wärme. Nur der Sturm hatte sich gelegt. Uruha schlüpfte in seine Hausschuhe, presste beide Hände fest an die warme Kaffeetasse und trat ans Küchenfenster. Der Garten vor dem Haus sah aus wie ein Schlachtfeld. Überall lagen abgebrochene Äste, Tonnen von durchweichtem Laub, wo der Sturm das Gras aufgewühlt oder herausgerissen hatte, hatte sich eine schlammige Pfütze gebildet. Ein bulimischer Gom hockte auf einem Erdhügel und deutete mit dem Finger auf einzelne Steinbrocken, die mal hier einen Grashalm, mal dort eine Winterprimel erschlagen hatten. Uruha wandte sich schnell vom Fenster ab. Er erinnerte sich nur zu deutlich an Sakitos eindringliche Warnung nicht die Kreaturen des Gemüsebeets anzusehen.

Während er seinen Kaffee schlürfte und etwas apathisch auf die Spülmaschine starrte, die sich mal hier mal dort zeigte, keimte in ihm plötzlich das unstillbare Bedürfnis auf Takumi zu sehen. Dass es vielleicht an der letzten Nacht liegen könnte ignorierte er. Tatsache war: Er brauchte jetzt jemanden, den er in die Arme schließen konnte. Außerdem wühlten die Schuldgefühle sein Herz so sehr auf, dass er das Verlangen einen lauten Schrei loszulassen nur mit Mühe unterdrücken konnte.

Um halb nach sieben stand er vor dem Wohnblock. Ohne zu Zögern drückte er auf die Klingel und wunderte sich auch nicht erst nach vier Minuten pausenlosem Klingelns jemanden an der Gegensprechanlage zu haben.

„Welches unwürdige dreckige Erdenwesen wagt es mich um die Uhrzeit auf diese widerwärtige Art und Weise aus dem Bett zu klingeln?“, wisperte eine grimmige dünne Stimme aus dem Lautsprecher.

„Ähm, hier ist Uruha, Tara, bist du das?“

Kurze Stille.

„Uruha, wie schön, dass du mal vorbeikommst“, quiekte die Stimme plötzlich völlig verändert.

„Äh“, sagte Uruha, der sich nicht daran erinnern konnte eingeladen worden zu sein, „ich möchte zu Takumi, ist er da?“

„Er schläft noch“, flötete Tara, „aber das macht nichts, komm nur hoch. Hach, aber ich hab doch gar nicht aufgeräumt...“

<Oh Mann>, dachte Uruha. Die Lust seinen Ex-Freund zu sehen verebbte.

Mit einem Surren schnappte die Eingangstür auf und Uruha trat in das muffige düstere Treppenhaus, dass nach Heizungswärme und nassen Schuhen roch. Vierter Stock, wenn sein Verstand ihn nicht täuschte. Als er langsam Stufe um Stufe erklomm fiel ihm auf noch niemals hier gewesen zu sein. Seltsamerweise hatte Takumi ihn auch nie eingeladen. Ja, wenn er genau drüber nachdachte, hatte der Kleine ihn gerne besucht und es immer genossen im Haus der Haras abzuhängen, mit Sakitos grünen Küchendiener zu pokern (er war ein miserabler Spieler; aufgrund seiner kleinen Händen entglitten ihm immer wieder die Karten, weshalb er selten lange geheim halten konnte ob er ein gutes Blatt auf der Hand hielt oder nicht). Mit einem schuldbewussten Stechen im Herzen stellte Uruha fest, dass Takumi sein eigenes Zuhause vielleicht nicht unbedingt mochte, immerhin war er dort seit Jahren alleine mit seiner seltsamen Mutter, von der man bisher auch noch nichts Gutes gehört hatte. Und vielleicht, dachte er, als er durch die Wohnungstür trat, die Tara ihm aufhielt, vielleicht hatte er sich sogar für sein Zuhause geschämt und daher nie einen Besuch seines Freundes verlangt.

„So früh schon auf?“, sagte Uruha, weil er nicht wusste, über was er sich mit Tara unterhalten sollte. Der Typ war ihm nicht geheuer. Dem erholsamsten Schlaf gerissen, den ich seit langem hatte“, sagte Tara. Er trug Hasenpuschen und einen rosa Bademantel mit flauschigen Ohren an der Kapuze. An der pink-rosa gemusterten Kapuze mit aufgestickten Perlenherzen.

Nun wusste er Bescheid. Uruha wusste es jetzt: Taras Geschmack war ein Unfall – so was wie ein Modetschernobyl.

„Wo ist Takumi?“, fragte Uruha und blickte sich im kleinen Wohnzimmer um, in das er nun geleitet wurde. In der Mitte des Zimmers stand ein alter klobiger Holztisch, um ihn herum waren vier unterschiedliche Stühle platziert. Auf einer Kommode an der Wand stapelten sich Blätter und Zeitschriften, am Boden daneben lag ein altes Telefon. Die gesamte Einrichtung wirkte so, als hätte Takumis Mutter sie aus drei oder vier Wohnen zusammengeklaut. Was vielleicht auch der Fall war, dachte Uruha nach längerem Überlegen. Ein flaues Gefühl legte sich auf seine Magengrube. Er hatte immer angenommen Takumi stamme aus relativ wohlhabenden Verhältnissen. Aber er hatte ja auch nie nachgefragt.

„Mein Brüderlein schläft“, sagte Tara, der dem Gast jetzt eine Tasse in die Hand drückte.

„Hier haste n Schluck Tee. Soll ich Takkun wecken?“

„Nein“, erwiderte Uruha sofort. „Nein, ich wecke ihn selbst. Wo ist sein Zimmer?“

„Du meinst unser Zimmer“, sagte Tara und nickte aus unerfindlichen Gründen fröhlich mit dem Kopf. Er sah dabei aus wie ein Huhn das Körner pickt, fand Uruha. Im perlenbestickten Bademantel. Gott, diese Farben brachten ihn um den Verstand.

„Und wo ist – äh euer Zimmer?“

Tara deutete auf eine der vier umliegenden Türen.

„Danke“, murmelte Uruha, obwohl er sich dessen gar nicht sicher war und drückte so vorsichtig wie möglich die Klinke besagter Tür herunter. Es sollte vielleicht bemerkt werden, dass er sich dazu kaum bewegen musste, weil man von der Mitte des Wohnzimmers aus praktisch alle Türen erreichen konnte, wenn man nur die Hand ausstreckte. Nennen wir es einfach gut angelegt.

Takumi lag in einem Gewühl aus Wolldecken. Seine Haut hob sich weiß von den dunklen Stoffen ab. Uruha erschrak, als er ihm ins Gesicht sah. Bleich und eingefallen kam er ihm vor, selbst ihm Schlaf wirkte er geschafft und erschöpft. Seine Stirn war zerfurcht, er bot auf alle Fälle alles andere als das Bild eines schlafenden Engels. Warum wirkte er denn so angespannt? Uruha vergewisserte sich ob die Zimmertür auch wirklich geschlossen war und setzte sich dann auf die Bettkante. Mit wachsendem Unwohlsein – und wachsendem Schuldgefühl falls überhaupt noch möglich – beobachtete er den Schlafenden ein Weile, dann berührte er den nackten bleichen Oberarm, der neben Takumis Gesicht lag. Für einen Moment musste Uruha lächeln. Wie süß, er schlief mit den Händen über dem Kopf, wie ein Baby. Dann zuckte er zusammen. Takumis Haut war eiskalt. Vielleicht war er deshalb so bleich. Uruha erhob sich um die Heizung höher zu drehen, aber da er keine fand, setzte er sich wieder ans Bett zurück und zerrte eine der Decken über Takumis nackte Arme. Dieser fuhr bei der plötzlichen Berührung erschrocken aus dem Schlaf hoch.

„Nicht erschrecken, ich bin’s nur, Uruha“, flüsterte Uruha schnell, ohne zu wissen warum er flüsterte. Vielleicht weil er ununterbrochen das Gefühl hatte, dass Takumis Bruderwanze ihm so gut wie ihm Genick saß, sorgsam darauf bedacht kein Wort von dem, was gesprochen wurde, zu überhören. Einfach widerlich an anderer Leute Türen zu lauschen.

Takumi war offenbar so sehr erschrocken, dass ihm nun Tränen über die Wangen rollten. Er atmete keuchend ein und aus und starrte in Uruhas Augen. Dieser wusste nicht was er sagen sollte. Er hatte nur dieses Gefühl im Herzen das er nicht in Worte zu fassen wusste, das Gefühl, dass ihm alles unendlich Leid tat.

„Es tut mir alles unendlich leid...“, fiel ihm nun ein, auch wenn das dieses innerste Gefühl natürlich nicht im entferntesten ausdrückte.

Was für eine miese Entschuldigung. Dabei wusste er noch nicht einmal mehr wessen Schuld es (was auch immer) überhaupt gewesen war.

Takumi starrte ihn an – dann brach er in so bitterliches Schluchzen aus, wie Uruha es noch nie vernommen hatte. Es machte ihm Angst. Es klang so verzweifelt. Jedes Vibrieren seiner Stimme versetze seinem Herzen ein Stich. Es klang so, als ob Takumi nie wieder damit aufhörte. Es rief in ihm das Verlangen wach dem Kleinen die Hand auf den Mund zu pressen, nur damit er es nicht mehr hören musste.

Takumi warf sich ihm auch nicht in die Arme wie Uruha gehofft oder besser gesagt erwartet hatte. Er saß einfach nur da, an die Wand gepresst, beide Hände in die Wolldecke vor seiner Brust gekrallt, mit zerzausten Haaren und tiefen Augenringen und weinte.

„Takumi...“, machte Uruha einen Versuch die Tränen einzudämmen. Hilflos sah er den Jungen an.

„Das macht er jetzt schon seit Wochen“, sagte Tara und goss den Benjamin Fikus endlich.

„Sehr hilfreich, Tara“, sagte Uruha spitz. Innerlich aber sank sein Herz noch ein paar Etagen tiefer. Seit Wochen? Seit Wochen saß der Kleine zuhause und heulte sich die Augen aus dem Kopf? Fast schon ein schmeichelhafter Gedanke, doch Uruha weigerte sich strikt es als Takumis Reaktion auf die Trennung zu deuten. Sie hatten sich ja noch nicht einmal wirklich getrennt. Nur gestritten und dann war er weggelaufen, erzürnt und schmollend. Nun, Takumi war vielleicht zart besaitet, doch dies war immerhin noch lange kein Grund so – so –

Takumi umklammerte seine zitternden Schultern mit bleichen ausgemergelten Händen. Erschüttert starrte Uruha auf das Häufchen Elend vor ihm. Bis es irgendwann klickte. Das hatte gar nichts mit ihm zu tun.

„Takumi...was ist los? Warum weinst du?“, fragte er laut um das Klopfen seines eigenen Herzen zu übertönen. An der nächsten Ecke lauerte ein schreckliches Déjà-vu und er sah es bereits mit widerlicher Fratze zu ihm hinübergrinsen. Es würde ihn kriegen, keine Frage.

Keine Antwort. Takumi hob den Kopf. Er blickte ihn an und weinte, was Uruha einen weiteren feinen Riss durch das Herz zog . Innerliche betäubt zog er sich auf Bett, griff nach Takumis Schultern und schloss ihn langsam in die Arme. Der Junge reagierte nicht. Wie ein halberfrorenes kleines Kind drückte sein Gewicht auf Uruhas Brust. Leblos. So verdammt leblos, dass Uruha mit aller Kraft, die noch in seinen müden Gliedern steckte, den Drang unterdrückte den Jungen augenblicklich von sich zu stoßen. Diese eisige Berührung erinnerte ihn an so etwas wie die Hand des Todes.

„Wenn du es genau wissen willst“, sagte Tara und strich liebevoll über die feuerrote Blüte seines Kaktus, „offenbar ist der Kleine sehr übel belästigt worden. Hat er mir zumindest erzählt.“

Er träufelte ein Tröpfchen Wasser auf die Kakteen und zog den Rollladen ein wenig nach oben, damit die Pflanzen Licht bekamen (völlig sinnlos an einem grauen verregneten Novembermorgen).

Takumi starrte seinen Bruder über Uruhas Schulter hinweg durch einen Schleier aus Tränen empört an.

„Schau doch nicht so, Kleiner“, sagte Tara besänftigend, „du willst doch, dass er es weiß, oder?“

Takumi schüttelte entsetzt den Kopf. Nein, er wollte das wirklich nicht. Er wollte ihn nicht mehr sehen, er wollte überhaupt gar niemanden mehr sehen.

Oder? Oder? Warum bekam er eigentlich nie eine Antwort wenn, beinahe rasend vor Verzweiflung, Fragen über Fragen ein Loch in seine Gedanken bohrten.

„Jedenfalls war da so ein alter Sack, der ihn so richtig gekidnapped hat – entschuldige die wüste Ausdrucksweise Tacchan, ich will wirklich nicht deine Gefühle verletzen – hat ihn auch in so ein Kellerloch geschleppt und begrapscht, aber Takumi hatte wohl nen Schutzengel. Soll ja vorkommen. Entschuldigt mich.“

Er wuselte aus dem Zimmer, die Schleppe seines viel zu langen Bademantels wischte ihm nach und schaffte es gerade noch so durch die Zimmertür, die er beschwingt hinter sich zuwarf.

So.

Nun waren sie also alleine.

Uruha hatte ihn losgelassen. Sie sahen sich an. Takumi verlegen. Uruha erschüttert aber ohne den Ausdruck auch nur der leisesten Gefühlsregung. Wenn geistige Leere eine Gefühlsregung ist, dann, nun ja, mit dem Ausdruck bloßer geistiger Leere in den matten Augen.

„Hast du mich deshalb angerufen?“, sagte er tonlos.

Takumi nickte.

Hätte ihn dieser Kerl doch nur umgebracht. Umgebracht und tief in der Erde vergraben. Dann wäre ihm dieser Anblick jetzt erspart geblieben, der schlimmer war als alles andere auf der Welt. Und am Ende versuchte Uruha wieder sich etwas anzutun. Nein, das durfte nicht sein, nicht Uruha, nicht schon wieder.

„Du kannst nichts dafür. Du hättest mir auch nicht helfen können...“, murmelte Takumi und streichelte mit seiner kalten Hand über Uruhas Wange.

„Ich bin nicht rangegangen. Ich bin nicht rangegangen, als du mich...ich...“

Uruha starrte auf die Bettdecke.

Ja, unendliche Schuldgefühle, beißende nagende bittere Schuldgefühle sind schlimmer als echter aufrichtiger Schmerz. Menschen können daran zugrunde gehen. Eine Sekunde nicht aufgepasst und man hat eine Schuld auf sich geladen, die auf dem Herzen lastet und alle Gefühle erdrückt. Viele Menschen flüchten dann in den Alkohol, voller Abscheu vor sich selbst, voller Hass und Dunkelheit und Einsamkeit, aber niemand hat Mitleid mit ihnen, denn sie sind ja schuld.

Takumi schloss ihn in die Arme. Und klammerte sich an ihn. Er wusste genau was Uruha gerade dachte.

„Ich liebe dich so sehr, sag einfach, dass du mich zurücknimmst...“

Uruha wusste nicht, was er antworten sollte. Er wusste nur, dass jetzt keine Zeit war an Züge zu denken. Takumi brauchte ihn.

„Ach wie süß“, kommentierte Tara trocken und verließ zum zweiten Mal binnen zwei Minuten den Raum (und das ohne ihn vorher wieder betreten zu haben).
 

Als Toshiya wieder zu sich kam war es bereits Morgen. Ganz ganz langsam schlug er die Augen auf, ohne jedoch eine Sekunde lang überlegen zu müssen, was vorgefallen war.

Er rappelte sich auf. Diese Schmerzen. So gut wie überall, doch am schlimmsten-

Toshiya starrte auf seine Beine und warf dann einen Blick in die große Spiegeltür an seinem Kleiderschrank. Er sah sich selbst ins Gesicht und errötete. Das wiederum fand er so albern und peinlich, dass er nur noch röter wurde. Hastig wandte er den Blick ab. Das, was Kyo letzte Nacht mit ihm gemacht hatte, konnte locker als Vergewaltigung durchgehen. Mit dem minimalen Unterschied, dass er alles zugelassen, in der Tat sogar mehr als alles andere gewünscht hatte. Und Kyo hatte es sehr schnell getan. So war ihm kein Herzschlag Zeit geblieben in die Vergangenheit zu reisen, an jenen düsteren wolkenverhangenen Tag – eigentlich war das Wetter damals sehr ähnlich gewesen wie heute, dachte Toshiya als er ans Fenster trat. Das Unwetter der vorherigen Nacht hatte seine Spuren zurückgelassen. Überall Grünzeug, das sich ausgerissen und zerwühlt auf der Erde türmte. Die Nachbarn machten sich auf die Suche nach diversen Gegenständen, die der Sturm mitgenommen hatte, zwei Blumenkübel, ein Gartenstuhl, einige Müllsäcke und den Smart (den hatte es schon zum dritten Mal in den Nachbargarten geblasen). Die Bäume vor dem Haus sahen Sakito direkt nach dem Aufstehen täuschend ähnlich und drunten im Matsch tummelten sich die Regenwürmer. Toshiya erschauderte. Matsch. Das durfte doch nicht wahr sein. Zum einen Verband er mit der schlammigen Masse Horrorvisionen, er spürte noch genau wie sich der weiche Untergrund angefühlt hatte, als er im Matsch gelegen und zu Daishi aufgeblickt hatte. Zum anderen... Toshiya öffnete das Fenster. Ein eisiger Hauch schnitt ihm die Luft ab. Trotz allem sog er genussvoll den kalten Wind ein und schloss die Augen. Es roch wie Kyo. Kyo roch wie der Wind und die Blätter und die Erde.

Toshiya trat vom Fenster zurück. Mit aller Gewalt sperrte er die Gedanken an Daishi aus, was ihm nicht so einfach gelang, aber er würde kämpfen.

Er schloss das Fenster, setzte sich wieder aufs Bett und sah an sich herunter. Wieder wurde er rot um die Wangen. Kyo war wirklich hart mit ihm umgesprungen, überall diese Flecken, an manchen Stellen sogar leicht bläulich. Wenn er an die Nacht dachte wurden seine Knie ganz weich und ein überwältigendes warmes Gefühl flutete sein Herz.

Nur...

Was war dann geschehen? Irgendwie hatte er – selbst am Rande der Ohnmacht – das Gefühl gehabt, dass Kyo es eilig hatte, wirklich zärtlich war er sowieso nicht gewesen. Das konnte er vielleicht gar nicht.

Toshiya seufzte auf. Das Glücksgefühl erstarb jäh. Sein Freund war nicht nur wenig zärtlich sonder sogar sehr brutal mit ihm umgesprungen. Kein Berührung hatte er akzeptiert, nur seine Handgelenke fest auf das Kopfkissen gedrückt. Für einen Moment hatte sich Toshiya dem Gedanken nicht entziehen können, dass Kyo seinem großen Bruder nicht unähnlich war. Als er fertig gewesen war – und Toshiya musste bei der Erinnerung unwillkürlich schlucken – hatte er eine Hand um seinen Hals und eine auf seinen Mund gelegt. Und dann... dann war ihm langsam schwarz vor Augen geworden. Für den Bruchteil einer Sekunden hatte Toshiya plötzlich Angst gehabt Kyo würde ihn umbringen. Er hatte sich kurz gegen den festen Griff gesträubt, der ihm die Luft abdrückte, doch keine Chance.

Toshiya schluckte wieder. Wie hatte er das nur im ersten Moment vergessen können?

Was hatte Kyo sich dabei gedacht? Dass er die Polizei rufen und ihn verpfeifen würde? Oder, dass... dass er vielleicht das Bedürfnis haben würde ihn zu umarmen, Zärtlichkeiten auszutauschen? Und deshalb hatte er ihn gewürgt bis er ohnmächtig geworden war?

Mit leisem Schrecken musste Toshiya sich eingestehen, dass Kyo und Daishi sich in gewisser Weise tatsächlich furchtbar ähnlich waren. Und dass er bisher nur einen winzigen Teil von Kyos Charakter erfasst hatte. Ihm dämmerte, dass er sehr bald in Kyos Kontrolle abrutschen würde.

Er musste sich jemandem anvertrauen. Ewig konnte er seine Beziehung sowieso nicht geheim halten.
 

Bizarrerweise erledigte sich Toshiyas Problem geradezu wie von selbst.

Er war über Stunden hinweg damit beschäftigt gewesen den verwüsteten Garten wieder halbwegs in Stand zu setzen. Fiese Kreaturen, wie Primeln, Gnome oder auch gemeine Saftkugler erleichterten ihm die Arbeit nicht direkt. Und als er ermattet und trotz des eisigen Wetters völlig verschwitz wieder ins Haus zurückkehrte, um irgendein Teufelzeug zu trinken, das Sakito aufgebrüht hatte, konnte er mehr als nur eine blutige Schürfwunde aufweisen. Mit geradezu beschämten Grinsen stellte er vor dem Spiegel im Flur fest, dass die Verletzungen nicht unpraktisch waren. Wenigstens lenkten sie fürs erste von allem ab, was sein wild gewordener Geliebter auf seiner Haut hinterlassen hatte.

„Ui“, Sakito pfiff durch die Zähne, „du siehst ungut aus.“

Toshiya zog die braunen Gärtnerhandschuhe von seinen Händen und klatschte sie auf die Garderobe.

„Nicht dorthin! Die sind doch total voll Dreck“, schimpfte Sakito.

„Und voll Blut“, ergänzte Toshiya. Sakito blickte ihn unter gehobenen Augenbrauen an.

„Nun übertreib mal nicht. Die paar Kratzer-“

„-Fleischwunden-“

„-werden dich nicht umbringen.“ Sakito verschränkte die Arme vor der Brust. Plötzlich stieß er einen entsetzen Schrei aus, der Ryutaro, der eben aus der Küche kam, erschrocken zusammenfahren ließ. Doch bereits eine Sekunde später atmete der angehende Genie-Koch wieder auf und sagte, als Antwort auf die verwirrten Gesichter, „Es wird dich nicht umbringen. Ich habe das ganze Beet erst letztes Frühjahr völlig entgiften lassen.“

Ryutaro sah ihn an. Beinahe vorwurfsvoll. Toshiya blickte erstaunt von einem zum anderen.

„Jah... die Saftkugler legen keine Pythoneiner mehr. Darum habe ich mich auch gekümmert.“

Toshiya konnte das flaue Gefühl, dass sich nun auf seine Magengrube legte nicht abschütteln.

„Jah, die hab ich auch rausgenommen, nun hör endlich auf mich so anzusehen, Ryu!“, fuhr Sakito gereizt fort.

„Was ist mit den Gnomen?“, wollte Ryutaro wissen.

„Gnome, Gnome, was soll mit ihnen sein?“, murmelte Sakito, die Stirn in Falten gelegt, was deutlich zeigte, dass er nachdachte, was noch deutlicher zeigte, dass sehr wohl etwas mit den Gnomen sein konnte. Hektisch suchte Toshiya seine Oberarme nach Gnombissen ab, die feine halbmondförmige Löcher in die Haut stanzten. Er war sich sicher gewesen die ein oder anderen kleinen Zähnchen auf seiner Haut zu spüren, als er die Winterprimeln seiner Mutter vor dem Ertrinken im Eiswasser des Teichs gerettet hatte.

„Heute Morgen“, sagte Ryutaro seinerseits stirnrunzelnd, „hab ich einen gesehen. Er saß auf einem Erdhügel und rollte mit den Augen.“

„Und?“, machte Sakito. „Lass ihn doch, wenn es ihm Spaß macht. Wenn Die sich auf einen Erdhügel setzen und mit den Augen rollen würde, ließest du ihm doch auch den Spaß.“

Er fühlte sich sichtlich unwohl. Sein Argument hatte wenig überzeugt geklungen.

„Sakito!“, hauchte Ryutaro eindringlich, „Das ist Wahnsinn! Ich bin mir fast sicher die kleinen Erdenwesen haben sich irgendeine Geisteskrankheit eingefangen. Sieh doch-“, er packte Toshiyas Arm und hielt ihn demonstrativ nach oben, wie das ausschlaggebende Beweisstück für einen bislang ungelösten Mordfall.

„-schau! Sie haben ihm satanssternförmige Bisse in die Haut gemacht.“

„Mein Gott!“ Sakito wirkte fassungslos. Toshiya war es. Musste er jetzt sterben??

„Du hast Recht... sie – sie haben sich einer schwarzen Sekte angeschlossen... wir müssen was unternehmen.“

„Fragen wir den Alten G-Uru (nur zufällige Namensverwandheit), er weiß sicher weiter“, sagte Ryutaro panisch, Sakito nickte und weg waren sie. Sie hatten noch nicht einmal die Tür hinter sich zugezogen.

Toshiya betrachtete seinen Arm. Ryutaro hatte eindeutig zu viele Zimtsterne ausgestochen. Die kleinen Bisswunden auf seinem Arm sahen völlig normal aus, halbmondförmig, wie eben Gnombisse. Toshiya atmete auf. Die ganze Aufregung umsonst. Er sah zur offenen Haustür.

„Warum SAGEN sie nicht einfach, dass sie ausgehen möchten?“
 

Er brauchte fünf Schritte, eine Handbewegung und einen weiteren Schritt um es herauszufinden.

Seine erste Reaktion war ein annerkennendes Nicken.

In der Tat hatte Sakito es doch glatt geschafft die gesamte Küche mit so etwas wie blubberndem Schleim zu überziehen.

Die Anerkennung deshalb, weil Toshiya es nicht für möglich gehalten hätte etwas noch unsagbar blöderes zu tun als drei Ziegen durch ihr Wohnzimmer zu jagen (die dann alle Sofakissen aufgegessen hatten). Den Grund weshalb Sakito das getan hatte, hatte Toshiya bereits vergessen. Er musste sich nun schon so viele komplizierte Rechtfertigungen für jedes Desaster seines kleinen Bruders merken, dass die Sache letzte Woche endgültig den Rahmen gesprengt hatte.

Er betrachtete fasziniert die Küche. Einen Grund hierfür gab es nicht. Den konnte es nicht geben. Aus welchem Grund ließ jemand – jemand –

Toshiya watete durch den blau-roten Schleim, bis ihm einfiel das er wohl nur dann ein Glas Wasser finden würde, wenn er sich durch die Brühe wühlte, die zähflüssig den Kühlschrank überzog.

Eher unschön, wie Toshiya beim Verlassen des Raumes bemerkte, war die Tatsache, dass Sakitos kleiner grüner Küchenhelfer offenbar nicht schnell genug gewesen war. Selbst mit einer Glibberschicht überzogen wirkte er seltsam mumifiziert und verdorrt.

Toshiya zuckte die Achseln und ging in sein Zimmer. Hoffentlich quoll das Zeug nicht durch seinen Türspalt.
 

Das letzte

woran er sich erinnern konnte war, dass er die Treppe hinaufschlich,

um sich ein Glas Wasser im Bad zu holen,

er kam nicht mehr dazu

die Türe zu öffnen-
 


 

>.< Sorry, Leute, es hat unendlich lange gedauert, bis ich diesen Teil geschrieben hatte... wollte auch noch mehr schreiben, aber ich glaube ich lade jetzt lieber stückchenweise hoch, als ein Jahr lang gar nichts. Ich hoffe das Kapitel hat euch wenigstens ein bisschen gefallen. Es neigt sich dem Ende zu... aber um noch mal was sinnvolles zustande zu bringen... ist ein Ortswechsel nötig. Armer Toshiya. Grausam, aber egal. Da muss er mal wieder durch. ^.^Ich werde weiterschreiben, yeah!!

19

Kyo lehnte seinen Kopf gegen die Fensterscheibe.

Vermummte Gestalten wuselten im Raum umher, doch er saß still in einer Ecke, den Kopf gegen die Scheibe des einzigen Fensters gelehnt, er schien von seiner Umgebung wenig mitzubekommen.

„Hey! Dornröschen!“

Kyo blinzelte, bewegte sich aber nicht.

„Willst du den ganzen Tag so herum sitzen? Es gibt jede Menge zu tun!“

Ruki stöhnte genervt auf und warf ein Bündel Scheine in Kyos Schoß.

„Ist ja nicht zu fassen, da lässt man ihm ein wenig Freiraum, damit er seinen Süßen besuchen kann und dann ist er den ganzen Tag lang nicht mehr ansprechbar“, maulte Ruki vor sich hin, während er Dinge, die aussahen wie metallene Werkzeuge, und die quer über den Boden verstreut lagen, in einen großen Sack packte. Anschließend kniete er sich auf den schmutzigen Beton um den Beutel zu verknoten.

„Wobei“, murmelte er und ein leises Grinsen umspielte seine Lippen, „wobei er etwas hatte, dieser Toshiya. Mehr noch als das ... er ist so schön, dass man-“ er hob schlagartig den Kopf und fixierte Kyo, der noch immer keine Regung zeigte, „dass man Lust bekommt ihm Gewalt anzutun. Ist es nicht so, Kyo? Vielleicht sollte ich mal-“

Doch noch bevor er seinen Satz beenden konnte, hatte sich eine Hand um seine Kehle geschlossen.

Kyos Augen loderten. Ruki hatte ihn nicht einmal aufspringen hören.

:: Jepp, wunder Punkt::, dachte er. Laut sagte, oder besser, keuchte er: „Du hast ja doch zugehört.“

Ganz langsam zog Kyo Ruki sich heran, so nah, dass kaum mehr die Zunge von Lus Hündchen zwischen ihre Nasenspitzen gepasst hätte.

„Was auch immer du tust ist mir egal.“ Kyos sprach sehr leise. „Morde und stehle, meinetwegen. Aber lass dir eines gesagt sein, Ruki. Wenn du auch nur auf die Idee kommst einen Finger an Toshiya zu legen – wenn du ihn auch nur in Gedanken anrührst-“, er packte noch ein wenig fester zu, „dann werde ich dich töten.“ Er ließ ihn los und wandte sich ab.

Ruki rieb sich den Hals. Sein rechter Mundwinkel hob sich zu einem Grinsen.

„So viel liegt dir an ihm? Dann würde ich dir eines raten: Kehr zu ihm zurück.“

Kyo schnaufte.

„Beziehungstipps von jemandem der einem Fellball den Platz im Bett seiner Frau überlassen musste?“

Ruki lachte leise.

„Mach dich nur lustig. Aber unser coup ist zu Ende, wir haben ausgesorgt für das ganze nächste Jahr. Du bist frei zu gehen, wohin du willst.“

Kyo ging wieder zum Fenster hinüber.

Frei zu gehen, wohin er wollte. Er schloss die Augen.

„Kyo, wie bist du-“

Aber er presste ihm die Hand auf den Mund. Toshiya starrte zu ihm hinauf, mit weit aufgerissenen Augen. Kyo regte sich nicht. Ein seltsames Gefühl hatte ihn ergriffen. Das Mondlicht fiel auf Toshiyas Haut und brachte sie zum Funkeln. Seine Haare waren schwärzer als die Nacht. Sein Gesicht ... Kyo hob die freie Hand und fuhr langsam über Toshiyas Wange, so andächtig als ob er ganz genau in Erinnerung behalten wolle, wie weich sich die Haut unter seinen Fingern anfühlte. Toshiya war so schön, dass Kyo nicht wusste ob er wachte oder träumte. Er berührte die nackte Brust unter ihm. Und Toshiya hatte gesagt, das er sein war. Aber wie war das möglich?

Ja, wie war es möglich? Kyo öffnete die Augen. Vor dem Fenster entfaltete sich der Alltag. Ein grauer, wolkenverhangener Himmel stieg über dürren, laublosen Bäume auf, die wie Gerippe aus der flachen Landschaft hervor staken. Und dann hatte er es sich einfach genommen, das, was sein Körper bereits beim ersten Mal, da er Toshiya erblickte, verlangt hatte. Seine Perfektion machte ihn rasend, er hatte sich nicht zurück halten können. Kyo senkte den Blick auf seine Hände. Als Toshiya ohnmächtig unter ihm lag, hatte er plötzlich das Bedürfnis gehabt, laut aufzuschreien, ihn zu packen und zu schütteln, um sich zu vergewissern, dass er ihn nicht umgebracht hatte. Kyo ballte seine Hände zur Faust, hob den Kopf und richtete den Blick erneut auf die triste Landschaft draußen. Es hatte sein müssen. Im ersten Moment, im Rausch von Toshiyas Körper, war es ihm nicht schwer gefallen. Doch als er ihn bewusstlos auf den Laken liegen sah, war Kyo entsetzt zurück gewichen. Ihm war, als hätten sich seine schlimmsten Alpträume erfüllt, als wäre Toshiyas lebloser Körper aus der Zukunft zu ihm geschwebt.

Was hatte er sich dabei nur gedacht? Wusste Kyo nicht bereits jetzt, dass Toshiyas eines Tages vom Strudel seines verfehlten und kriminellen Lebens einfach aufgesogen werden würde?
 

Er beobachtete die dürren Äste, die vom Wind geschüttelt wurden.
 

Dann drehte er sich um, warf noch einmal einen angeekelten Blick in Richtung Küche und steuerte auf die Treppe zu. Kyos Bild huschte in seinen Kopf zurück, von wo es minutenlang durch diverse Küchenaktivitäten verdrängt worden war. Aber nun war es wieder da, das Bild von der dunklen Figur, die die Nacht zu ihm ins Zimmer getragen hatte. Toshiya schloss kurz die Augen, um sich noch einmal jedes Detail von Kyos Erscheinung in Erinnerung zu rufen. Seine Haut, nackt und kalt unter den nassen Kleidern, Kyos hübsches Gesicht, die triefenden Haare. Aber das, woran er sich am deutlichsten erinnerte, war sein Geruch gewesen. Dieser Duft nach Regen, nach Sturm, nach den tiefen, dunklen Wäldern. Vielleicht hatte Toshiya auch deshalb keine Angst gehabt, kein déjà-vu. Es hatte sich angefühlt, wie die natürlichste Sache der Welt, Kyo selbst war ein Teil der weiten und unzähmbaren, nächtlichen Wälder.

Toshiya musste lächeln bei dem Gedanken an seinen wilden Geliebten: War es nicht tatsächlich so? Kyo war nicht dafür geboren, als braver Bürger in einer Gesellschaft zu leben, er brauchte seine Freiheit mehr als alles andere. Dieser Gedanke tröstete Toshiya über die Tatsache hinweg, dass er seinen Liebsten nun wohl wieder wochenlang nicht sehen würde.

Er war auf der ersten Treppenstufe stehen geblieben, um seinen Gedanken nach zuhängen. Nun seufzte er lange und schwer auf und setzte sich wieder in Bewegung.
 

Das letzte

woran er sich erinnern konnte war, dass er die Treppe hinauf schlich,

um sich ein Glas Wasser im Bad zu holen,

er kam nicht mehr dazu

die Türe zu öffnen-
 

Und wieder einmal nimmt das Schicksal seinen Lauf.

Es beugte sich über Toshiya, der mitten im Flur lag, die Arme von sich gestreckt, das Gesicht verborgen von wirren schwarzen Haaren.

Doch was war das? Stimmen aus dem Erdgeschoss. Toshiyas Geschwister waren wohl nach Hause gekommen. Verzweiflung ergriff sein Herz – aber nein, er konnte ihn nicht mitnehmen, nicht jetzt, er würde es nie aus dem Haus schaffen mit dieser schönen Beute. Als der Entschluss gefasst war, zögerte er keine Sekunde. Noch bevor Sakito überhaupt den Fuß auf die unterste Treppenstufe setzen konnte, war er verschwunden.
 

„Verdammt, wir verpassen den Film Ryu“, murmelte Sakito während er, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf hastete.

„Unsinn“, keuchte Ryutaro, der ein paar Schritte hinter ihm war und die Hand auf die schmerzende Seite gepresst hielt.

„Wir sind in fünf Minuten wieder weg, im Kino ist bestimmt noch Werbung, denn – Saki!“

Ryutaro blieb abrupt am Anfang des Flurs stehen. Er hatte Sakito am Arm gepackt, den es dabei fast wieder rückwärts die Treppen hinunter geschleudert hätte.

„Was ist? Wir müssen und beeilen“, erwiderte Sakito und wollte gerade seinen Sprint wieder aufnehmen, als er es auch sah.

„Was ist das? Wer ist das?“, flüsterte Ryutaro. Die Hand vor den Mund geschlagen, trat er langsam näher. Sakito schlug mit der rechten Faust auf den Lichtschalter und konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken.

„Toshiya!“

Die beiden Jungen stürzten an seine Seite. Sakito packte Toshiya an den Schultern und schüttelte ihn.

„Toshiya, sag doch was!“
 

Als Toshiya die Augen aufschlug, lag er auf seinem Bett. Im ersten Moment blickte er nur verständnislos im Raum umher, bis seine Augen Sakito und Ryutaro fanden, die am Fenster auf Klappstühlen kauerten.

Ryutaro sprang sofort auf, als er bemerkte, dass Toshiya zu Besinnung gekommen war. Sakito starrte nur zu ihm hinüber.

„Alles ok?“, fragte er, während Ryutaro Toshiyas Stirn fühlte und viel zu aufgewühlt war, um zu sprechen.

„Was ist passiert?“, murmelte Toshiya und rieb sich die Augen.

„Ryu und ich sind nochmal nach Hause gekommen, weil ich vergessen hatte, den Teewärmer auszumachen.“ [Anmerkg. d. Autorin: Es handelt sich um eine 1,50 Meter hohe, 2000 Grad heiße Stichflamme, um die herum geschlossene Granitschalen mit speziellem Teewasser platziert werden; Sakito muss vergessen habe sie abzudrehen, da man, wenn die Hitzekammer einmal versiegelt ist, nur noch auf Zehenspitzen durch ein kleines, schmales Fenster ins Innere der Kammer sehen kann]

„Als wir die Treppe hoch kamen, sahen wir dich einfach am Boden liegen, mitten im Flur.“

Toshiya glotzte.

„Ich habe geschlafen?“

„Du warst ohnmächtig, Idiot.“

Die Tür flog auf.

Uruha stürzte auf ihn zu und packte ihn an den Schultern. Toshiya schenkte ihm keinerlei Beachtung, er war viel mehr auf die Person konzentriert, die hinter seinem Bruder hereingekommen war. In der Tür stand Takumi. Verlegen blickte er zu Toshiya hinüber. Als Toshiya ihn anstrahlte, wagte er ein schüchternes Lächeln.

Also hatte Uruha sich endlich mit Takumi ausgesprochen.

Uruha schüttelte ihn noch immer. Jetzt wurde es langsam doch etwas lästig.

„Au, Uruha, du tust mir weh. Was ist denn?“

„Toshiya!“

„Ja?“

Als bei Toshiya der Groschen fiel, warf er Sakito einen warum-um-alles-in-der-Welt-hast-das-getan-Blick zu. Der sagte nur trotzig: „Was?! Hätten wir dich einfach so liegen lassen sollen? Wir wussten ja nicht, was mit dir ist, also haben wir Uruha angerufen. Und du warst immerhin geschlagene 20 Minuten außer Gefecht.“

Während Uruha ihn mit Fragen bestürmte, ließ Toshiya sich bedröppelt auf die Kissen zurück fallen. Zwanzig Minuten? Was war nur passiert? Er versuchte sich an den Augenblick zu erinnern, da er ein plötzliches Schwindelgefühl, oder Übelkeit oder irgendetwas verspürt hatte, aber da war nichts. Er wusste nur noch, dass er zwei oder drei Schritte in den Flur, auf seine Zimmertür zu, gemacht hatte – und dann war er hier, in seinem Bett aufgewacht. Während er noch so über alles nachdachte, beschlich ihn ein mulmiges Gefühl. Mit aller Gewalt konzentrierte er sich darauf, die Fragen seines großen Bruders zu beantworten. Die Ahnung, dass irgendetwas seltsames und beunruhigendes vor sich ging, schob er dabei von sich.
 

„Und, was ist nun? Hast du dich entschieden?“

Ruki musterte Kyo von Kopf bis Fuß. Dieser zuckte nur die Achseln.

Ruki seufzte auf und ließ sich in die Hocke sinken.

„Oh Mann, du und Daishi, ihr seid echt zu nichts zu gebrauchen ... unschlüssig, wie ein Sack Mehl. Apropos – wo ist Daishi überhaupt?“

Wieder zuckte Kyo die Achseln.

„Ich glaube die Drogen haben ihn ausgeknockt. Ich hab über mehrere Ecken mitbekommen, dass er im Krankenhaus ist, oder eine Entziehungskur macht, oder was auch immer ...“ Er kramte eine Zigarette aus seiner Tasche hervor, und zündete sie an.

„Kümmert mich nicht, was er treibt.“

Sein Blick wurde finster.

„Ich hoffe er verreckt.“

Ruki runzelte die Stirn.

„Ich weiß, dass ihr noch nie die besten Freunde wart – aber seit wann hasst du ihn so?“ Er erhob sich wieder und beobachtete Kyo von der Seite.

„Denn du hasst ihn wirklich, kein Zweifel.“

Kyo wollte gerade zu einer genervten Antwort ansetzen, als einer von Rukis Untergebenen vor die Tür der Lagerhalle trat.

„Kyo, es gibt Probleme.“

Die Worte wirkten wie ein Schlüsselreiz. Kyo wirbelte herum und fixierte den Japaner mit lodernden Augen. Dieser schien sich in seiner Haut gar nicht wohl zu fühlen. Er wich zurück, während er sagte: „Eri hat vor zehn Minuten Bericht erstattet. Sie hat etwas seltsames beobachtet. Aber“, stammelte er, „frag sie selbst, sie ist noch da.“

„Probleme?“, murmelte Ruki. „Hat das etwas mit deinem Kleinen zu tun?“

Kyo antwortete nicht. Er war bereits in die Halle getreten. Dort, an einem Tisch mit Lu, neben den Vans, die die Bande für Diebeszüge benutzte, saß eine keck aussehende junge Frau mit weiß-blond gefärbten Haaren. Sie hatte etwas geradezu wildes an sich, eine Art Flackern in den dunkelbraunen Augen, das ein unbezähmbares Wesen erahnen ließ.

Eri musterte Kyo, der auf sie zueilte. Ihre Füße, die in Engineer-Boots steckten, hatte sie auf den Tisch geworfen, ihre Hände ruhten auf den Oberschenkeln. Sie machte, ganz im Gegensatz zu Kyo, einen enorm gelassenen Eindruck.

„Was ist passiert, was hast du gesehen?“

Eri grinste spitzbübisch – und streckte die Hand aus.

„Erst das Geld, dann die Information.“

Kyo war so wütend, dass er sie am liebsten mit einem Buschmesser zu Boden gestreckt hätte, doch er beherrschte sich und blätterte knurrend ein paar Scheine in Eris Hand.

„Jetzt raus mit der Sprache, du Halsabschneiderin.“

Es war absolut erstaunlich, dass Eri noch immer grinste. Die anderen Gangmitglieder, Ruki eingeschlossen, waren ein paar Schritte zurück getreten. Sie wussten welche Folgen ein Wutausbruch von Kyo haben konnte (ganz besonders gut kannte sich Ein-Ohr-Harry damit aus; als er noch keine Ahnung gehabt hatte, hatte er einfach nur Harry geheißen). Doch Eri war unerschütterlich. Sie schmiss ihre Beine auf den Boden, stand schwungvoll auf und fasste Kyo ins Auge.

„Ich habe keine Angst vor dir, das weißt du genau. Und ich habe dir auch noch nicht verziehen. Auch, wenn du die Aufträge erteilst, du stehst noch immer tief in meiner Schuld.“

Sie funkelte ihn an.

„Ok, schön“, brummte Kyo und ließ sich auf einen der Stühle sinken.

„Und ihr könnt euch verpissen!“, fuhr er die versammelte Menge an, die sich daraufhin so schnell, wie möglich trollte. Nur Ruki, Lu, und Lus Quasimodo-Hund blieben.

„Also, zu dem Problem... Meine Mädels haben Toshiya den ganzen Tag im Garten arbeiten sehen, dann ist er ins Haus gegangen... erst in die Teufelsküche, dann die Treppe hinauf.“

Sie hielt inne.

„Und?“, sagte Ruki. „Weiter?“ Kyo sagte nichts. Er hatte den Kopf gesenkt und hörte angespannt zu.

„Nun... ein wenig seltsam war das schon. Emma meinte, sie habe jemanden auf dem Grundstück gesehen, jemand, der nicht zur Familie gehört, aber dann sei er wieder verschwunden gewesen. Jedenfalls haben Toshiyas kleiner Bruder und dessen Freund ihn eine halbe Stunde später gefunden.“

Kyo schaute auf.

„Gefunden?“, klinkte sich Ruki ein. „Wie meinst du das? Ist er tot oder was?“

Kyo rührte sich nicht. Er hatte den Blick auf Eri gerichtet. Diese schüttelte den Kopf.

„Nein, aber er hatte das Bewusstsein verloren. Und das verrückte ist – niemand weiß, wie. In meinen Augen wirkt es beinahe so – als sei er betäubt worden. Alle Symptome sprechen dafür. Nun ja, das Haus der Haras kann ich ja schlecht betreten, ich musste mich also mit den üblichen Mitteln behelfen.“

„Hätte sich jemand an euch vorbei schleichen können – und ins Haus gelangen?“

Eri runzelte die Stirn, als versuche sie herauszufinden, ob Kyo ihr gerade einen Vorwurf gemacht hatte.

„Nun ja, theoretisch – ja. Das Haus ist groß und hat viele Fenster und Türen, und wir mussten unauffällig bleiben. In genau dem Augenblick, als Toshiya zusammengeklappt ist, ist sein Bruder gerade zurückgekommen, deshalb wissen wir nicht genau, was passiert ist.“

Als Eri geendet hatte, schwieg Kyo. Er rührte sich nicht, aber unter der Oberfläche brodelte es, das konnte man sehen.

Lu fasste sich ein Herz: „Hey, mach dir nichts draus. Ein Schwächeanfall, sonst nichts.“

„Scheint er ja häufiger zu haben“, murmelte Ruki. Und dann: „Also lässt du ihn tatsächlich beschatten. Du hast wirklich einiges von mir gelernt.“

Eri erhob sich und blickte Kyo fragend an.

„Ich komme mit. Ihr müsst für mich etwas überprüfen...“, sagte Kyo und stand auf.
 

Toshiya schichtete Bücher auf sein Pult.

Er hatte mäßige Kopfschmerzen, aber ansonsten ging es ihm gut. Als er an diesem Morgen aufgewacht war, hatte er ein mulmiges Gefühl im Magen gehabt, ganz so, als ob irgendetwas bedrohliches vor sich ging, von dem er keine Ahnung hatte.

Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen und legte den Kopf in die Hände.

Ob das mit Kyo zu tun hatte? Vielleicht hatte er ja so eine Art sechsten Sinn, wenn es darum ging, dass Kyo in Gefahr war. Und die Tatsache, dass es keine Möglichkeit gab, Kyos Wohlbefinden zu überprüfen, trieb Toshiya fast in den Wahnsinn. Den ganzen gestrigen Tag lang hatte er darüber nachgedacht, wie er Kyo erreichen könnte, war aber zu keinem Ergebnis gekommen.

Toshiya schrak auf: Jemand hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt.

„Hey, Dornröschen... schon wieder müde?“

Hakuei. Wer sonst.

Toshiya versuchte ein Lächeln. Das aller dümmste, was er jetzt tun konnte, war, Hakuei zu erzählen, dass er gestern einfach zusammengeklappt war. Der würde ihn am Ende noch nach Hause tragen.

Hakuei hatte sich neben ihn gesetzt und sah ihn an. Toshiya seufzte innerlich auf. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass Hakuei endlich nicht mehr so für ihn empfand – aber wie sollte er das ändern? Wer hätte gedacht, dass sein selbst erklärter Erzfeind sich als so hartnäckiger Verehrer entpuppen würde. Aber Moment mal ... Toshiya erinnerte sich an etwas. Es gab doch die Möglichkeit, dass Hakuei sehr bald schon eine glücklichen Beziehung führen würde. Kaoru hatte das Klassenzimmer betreten.

„Hakuei, schau mal, wer da ist ...“, sagte Toshiya deshalb und wies lächelnd in Richtung Tür. Hakuei blinzelte den Klassenstreber, Björn, der hinter Kaoru eingetreten war, verständnislos an. Dann sprang er auf.

„Stimmt! Ich wollte Mathe abschreiben – ich krieg sonst echt Ärger...“

Und weg war er. Kaoru ließ sich neben Toshiya nieder.

„Hey, alles ok?“

Toshiya hatte den Kopf mit einem lauten Knall auf den Tisch fallen lassen. Warum raffte eigentlich niemand irgendetwas? Gerade eben war ihm klar geworden, dass Hakuei und Kaoru wohl etwas füreinander empfanden, aber selbst noch keine Ahnung davon hatten. Na großartig. Alles muss man selber machen.
 

Und wieder auf dem Nachhauseweg.

Tief in Gedanken versunken trottete Toshiya den Gehsteig entlang. Er war so konzentriert auf die Frage, wo Kyo wohl gerade steckte, dass er ständig über irgendwelche Steine, Flaschen und Katzen stolperte.

„Woah.“ - und ja, gerade eben wäre er fast über dieses Mädchen gefallen, dass auf dem Boden kniete. Sie tastete mit beiden Händen den Gehweg ab, offenbar suchte sie etwas.

„K-kann ich helfen?“, stammelte Toshiya, den dieses plötzliche Auftauchen überrumpelte.

Das Mädchen hob den Kopf und funkelte ihn an. Toshiya wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Er war sich nicht ganz sicher, ob Tränen in ihren Augen glitzerten, oder doch eher Zorn. Schwer zu sagen, ihr Gesichtsausdruck war auf jeden Fall sehr doppeldeutig.

„Ich hab meinen Hausschlüssel verloren“, schniefte sie und ließ die Schultern hängen.

Wohl doch eher Tränen.

„Oh...“, machte Toshiya.

„Äh... kann ich suchen helfen?“

Das Mädchen schüttelte beklommen den Kopf.

„Ich hab meinen ganzen Schulweg eigentlich schon fünf mal abgesucht.“

Sie wirkte ziemlich verzweifelt.

„Aber ich muss ihn finden, ohne komme ich nicht ins Haus.“

„Logisch“, kommentierte Toshiya. „Ist bei dir niemand zu Hause, der dich reinlassen kann?“

Sie schüttelte wieder den Kopf.

„Nein... meine Eltern arbeiten beide und mein kleiner Bruder kommt erst gegen vier Uhr aus der Schule. Ich würde ihn ja anrufen, aber mein Handy hab ich auch daheim liegen lassen.“

Plötzlich schien ihr etwas einzufallen. Ihr Gesicht erhellte sich.

„Hast du vielleicht eines dabei?“

„Mh, nein, sorry.... aber ich wohne gleich um die Ecke, du könntest also unser Telefon benutzen, wenn du magst.“

Sie strahlte.

„Das wäre klasse. Du bist meine Rettung. Wie heißt du überhaupt?“, fragte sie, als sie ihre Tasche schulterte, um Toshiya zu folgen. Sie war gut zwei Köpfe kleiner als er, extrem zierlich, unverkennbar sportlich und hatte eine Kurzhaarfrisur, die ihr hübsches Profil optimal betonte. Toshiya musste an Akane Tendou denken.

„Toshiya Hara. Und du?“

Das Mädchen grinste ihn an. Sie schritt so zügig aus, dass Toshiya laufen musste, um Schritt zu halten.

„Ich heiße Eri Matsumoto.“
 

Endlich zuhause, dachte Toshiya, als er die Türe aufschloss. Und das beste von allem: Es gab kein Mittagessen. Sakito war heute Mittag zu Ryutaro gegangen, daher würde Toshiya wohl mit einer Schale Müsli vorlieb nehmen müssen – und das zum ersten Mal seit Monaten. Toshiya stiegen Freudentränen in die Augen, als er daran dachte.

„Hier ist das Telefon.“

Er reichte dem Mädchen namens Eri den Hörer, zeigte ihr das Wohnzimmer und ließ sie alleine.

Sie sieht wirklich süß aus, dachte Toshiya, als er zur Tür eilte. Es hatte geklingelt. Er betete inständig, dass Sakito nicht doch beschlossen hatte, nach Hause zu kommen, in einem Anfall von Fürsorge für Toshiya. Weit gefehlt. Es war Hakuei.

„Huh? Was willst du denn hier?“

Hakuei feixte.

„Immer diese Freudenschreie ...“ Er trat ins Haus, bevor Toshiya sich auch nur den Ansatz einer Ausrede überlegen konnte. Mit Hakuei alleine zu sein war ihm nach wie vor unbehaglich, seit sie sich getrennt hatten. Gut, vorher auch schon, aber das war wieder etwas anderes gewesen.

„Ehrlich gesagt – du meintest doch heute morgen, Sakito sei nicht da... und ich wollte dir eh noch ein paar Fragen stellen, also dachte ich, ich nutze die Gelegenheit, ohne dabei gleich mein Leben zu riskieren.“

Eri kam aus dem Wohnzimmer und streckte Toshiya den Hörer entgegen. Hakuei blickte mit hochgezogenen Augen von ihr, zu Toshiya, und wieder zurück, als fragte er sich, ob Toshiya plötzlich hetero sei.

„Oh das-“

„Ich bin Eri“, sagte Eri und schüttelte Hakuei die Hand. An Toshiya gewandt sagte sie: „Vielen Dank, dass du so hilfsbereit warst. Leider konnte ich meinen Bruder nicht erreichen. Aber das ist auch nicht schlimm...“

Sie warf sich wieder ihre Tasche über den Rücken, und war schon fast an der Tür, als Toshiya rief: „Hey, warte! Bleib doch hier, wenn du nirgendwo hin kannst. Wir wollten eh gerade essen.“

„Ach, wollten wir das“, sagte Hakuei zähneknirschend und warf Toshiya einen ich-weiß-genau-warum-du-das-getan-hast-Blick zu. Toshiya lächelte entschuldigend und huschte in die Küche.

„Danke, ist cool von dir“, sagte Eri und folgte ihm.

„Danke, ist cool von dir“, äffte Hakuei sie nach und folgte den beiden.

„Tja...“

Toshiya blickte sich um.

„Ich hab eigentlich noch nie etwas zu essen hier gemacht.“

„Wäre ja soweit auch kein Problem, ne, wenn man in dieser verdammten Giftküche wenigstens den Herd vom Hexenkessel unterscheiden könnte“, sagte Hakuei trocken.

„Wenn wenigstens irgendetwas da wäre“, murmelte Toshiya und musterte zweifelnd die kahlen, weißen Wände.

Eri ging hinüber ans Fenster, holte aus, und trat mit aller Kraft in etwa eineinhalb Meter Höhe gegen die Wand. Sofort klappte etwas aus, das stark nach dem Geschirrschrank aussah.

Toshiya und Hakuei starrten sie an. Eri zuckte nur die Achseln.

„Was? Ich trainiere ein wenig Kung-Fu...“
 

Noch bevor Toshiya auch nur einen Bissen von den herrlich duftenden Spaghetti probieren konnte, die er mit Eris Hilfe aus allem Essbaren zubereitet hatte, das sich nicht bewegte, wenn man es anstupste, klingelte es erneut an der Haustüre. Toshiya seufzte auf, ließ die Gabel fallen und ging an die Tür. Wenige Sekunden später trat Kaoru hinter ihm in die Küche. Toshiya trug ein merkwürdig wissendes Lächeln zur Schau, als er sagte: „Hakuei ist auch da. Und Eri.“ Er deutete auf das Mädchen. Sie winkte ihm vergnügt zu. Kaoru gaffte sie an.

„Ich hab sie gerade eben erst kennen gelernt – sie hat ihren Hausschlüssel verloren“, erklärte Toshiya. Er blickte seinen Freund an.

„Hee, Kaoru!“, sagte Hakuei und ein böses Grinsen lag auf einem auf seinen Lippen.

„Willst du Eri nicht hallo sagen?“

Kaoru starrte ihn an, dann sah er wieder zu Eri zurück und es wirkte fast so, als ob er aus einer Art Tiefschlaf aufwachte.

„Oh, sorry. Hi, Eri.“ Er setzte sich zu den anderen an den Tisch. Toshiya triumphierte innerlich.

Ich wusste es doch, dachte er vergnügt, als er Kaoru eine große Portion von allem auf den Teller häufte. Ich wusste es... wie er ihn angestarrt hat – das kann man ja kaum missverstehen.
 

Eri war das netteste Mädchen, das Toshiya jemals kennen gelernt hatte. Sie war außerdem unglaublich schlagfertig. Im wahrsten Sinne des Wortes. Als Kaoru ihr eine Tasse reichen wollte, schlug sie ihm so hart in die Magengrube, dass er zu Boden ging – nur weil sie dachte, er habe sie anfassen wollen.

„Das Mädchen hat einen sechsten Sinn, ich mag sie“, sagte Hakuei und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. Kaoru warf ihm vom Boden her einen finsteren Blick zu.

„Ich weiß nicht wovon du redest“, presste er mit schmerzverzerrten Zügen hervor.

Eri entschuldigte sich, reichte ihm die Hand und zog ihn wieder in die Höhe.

„Das ist schon fast so ein Reflex, tut mir echt Leid“, sagte sie lachend und schüttelte ihre weiß blonde Mähne.

„Ja, ich weiß ganz genau, was du meinst“, ereiferte sich Hakuei.

„Mir geht es genauso, immer wenn ich ihn sehe, mache ich automatisch das hier, ich weiß auch nicht, warum“, und er trat Kaoru mit aller Kraft auf den Fuß.

Eri hatte schließlich ihren Bruder erreicht und ging um halb fünf, begleitet von Kaoru, der sie unter keinen Umständen alleine gehen lassen wollte, wo es doch schon fast dämmerte.

„Ich glaube, bei dem dämmert was anderes“, sagte Hakuei giftig, als er mit Toshiya alleine war.

„Klar, Eri ist das schutzloseste Mädchen, das ich je getroffen habe und Kaoru ist genau der richtige, um sie vor all den bösen Jungen zu schützen, die da draußen lauern.“

Er ließ sich gegen den Schrank fallen.

„Ha, wahrscheinlich hatte Kaoru einfach Angst davor alleine im Dunkeln nach Hause zu laufen.“

Toshiya warf ihm einen komischen Seitenblick zu.

„Schon ok, Haku ...“

„Mh?“

„Es ist in Ordnung ... du musst es nicht vor mir verbergen, ich weiß längst Bescheid.“

Er lächelte seinem Ex-Freund aufmunternd zu. Dieser starrte nur bedröppelt zurück.

„Was meinst du?“

„Naja... du und Kaoru... das meine ich.“

„Dass wir uns immer fast prügeln? Dass ich ihn am liebsten häuten und ausstopfen würde? Mann, Toshiya, ich glaube du bist nicht der einzige, der so gewitzt war, sich einen Reim darauf zu machen.“

Toshiya schüttelte seufzend den Kopf. Musste er es also doch aussprechen? Er hatte gehofft, Hakuei würde ihm diese Sache abnehmen. Aber manchmal muss man die Leute eben zu ihrem Glück zwingen.

„Du magst ihn sehr, nicht wahr? Ich meine, es ist ja offensichtlich... ihr wart in den letzten Wochen so nett zueinander, nur äußerlich habt ihr euch bemüht, den Schein zu wahren. Aber ich hätte ja nicht gedacht, dass Kaoru tatsächlich schwul ist...“

Hakuei glotzte ihn an. Die Sekunden verstrichen und Toshiya sah ihn immer noch still lächelnd an. Offenbar meinte er es ernst. Hakuei beugte sich zu ihm hinüber (Toshiya saß neben ihm auf dem Boden) und fühlte ihm die Stirn.

„Ich glaube dein Hirn hat heute morgen bei Mathe wirklich etwas abgekriegt“, murmelte er.

„Was?“

„Du glaubst doch nicht im ernst, dass er und ich-“ Er schüttelte sich und verzog angeekelt das Gesicht. „Ganz ehrlich ... niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, würde auf die Idee kommen.“

Toshiya sah ihn überrascht an. Hakuei blickte gequält zurück. Auf einmal ergriff er Toshiyas Hand.

„Toshiya... ich würde alles dafür tun, dass du mich zurück nimmst.“

Toshiya zog erschrocken seine Hand weg und rutschte zwei Meter nach links.

„Tu das nicht.“

„Wieso denn nicht?“

„Weil-“

Toshiya schluckte. Durfte er etwas verraten? Nein, unmgölich. Aber er hatte nur diesen einen, überzeugenden Grund, also musste er es irgendwie anders sagen.

„Ich bin bereits verliebt...“, flüsterte er.

Hakuei ließ die Hand sinken.

„Das dachte ich mir fast“, sagte er bitter. „Du warst so... glücklich die letzten Tage über, du hast richtig... geblüht. Deswegen bin ich auch hier.“

Toshiya sah ihn verdutzt an. Stimmt, Hakuei wollte ja ursprünglich etwas mit ihm besprechen. Aber er war nicht in Kaoru verliebt? Oh nein, dachte Toshiya, wie soll Kaoru das nur verkraften?

„Wer ist es?“

„W-wie meinst du das?“, stammelte Toshiya, während er panisch in seinem Gehirn nach einer halbwegs plausiblen Ausrede kramte.

„Wie kann man diese Frage missverstehen?“

Toshiya senkte den Kopf.

„Ich kann es dir nicht sagen. Also bitte – bitte frag nicht weiter. Du bringst uns alle in Schwierigkeiten.“

Hakuei nickte kurz und stand auf.

„So ist das also. Ich hatte also recht.“

„Was?“ Toshiya verstand gar nichts mehr. Hakuei blickte ihn mit zusammengebissenen Zähnen an.

„Verdammt, Toshiya ... du weißt nicht, was du da tust.“

Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ das Zimmer. Toshiya sprang auf und lief ihm hinterher.

„Wohin gehst du denn?“

„Nach Hause, ein paar Telefonate führen“, sagte Hakuei, nickte ihm zu und zog die Haustür hinter sich zu. Toshiya sank neben dem Treppengeländer zu Boden. War er so durchschaubar?

Und wo war Kyo nur? Gerade in diesem Augenblick vermisste er ihn so sehr, dass er meinte, sein Herz müsse zerspringen.
 

Er blickte von seinem Buch auf. Langsam legte sich die Dämmerung auf die Großstadt, drohte sie einzuhüllen, zu ersticken. Er liebte die Nacht. Alles war dann so verändert, die Farben, die Geräusche, selbst die Gerüche waren anders. Er lächelte sanft, während er die Sonne betrachtete, die blutrot hinter den Häusern der Stadt versank, die sich schwarz gegen den Horizont abhoben, fast so wie eine blinkende, goldene Münze, die man in Teer geworfen hat.

Wieder hob er sein Buch.

Whose woods these are I think I know...

Er liebte jede Art von Buch, ganz besonders Gedichtsammlungen. Immer, wenn er das Bedürfnis hatte alleine zu sein, kam er hierher auf die Brücke, setzte sich auf den kalten Beton, ließ die Füße nach unten zum Wasser baumeln und wälzte Gedichte.

Er richtete seinen Blick in die Ferne. Hinter der Stadt erhoben sich die waldbedeckten Berge, die die Betonwüste nicht hatte verschlucken können. Wie sehr er sich jetzt, in diesem Augenblick, wünschte, in einem Wald zu stehen, seine Handflächen auf die grobe Rinde der Bäume zu legen. Nichts als Stille würde an seine Ohren dringen.

The woods are lovely, dark, and deep. - But I have promises to keep. And miles to go before I sleep. And miles to go before I sleep.

Er hob die Hand und schüttelte seine Uhr nach vorne. Es half ja alles nichts, er musste gehen, seine Schwester erwartete, dass er bis sieben Uhr zu Hause war. Also packte er seufzend seine Gedichtsammlung in seine Schultasche, sprang auf die Beine und wollte sich gerade in Bewegung setzen, als eine Klammer sich um sein Herz legte. Immer enger drückte sie zusammen. Er sank zu Boden, die Hand auf die Brust gepresst. Er kannte dieses Gefühl, zu viel Sauerstoff einzusaugen, aber gleichzeitig nicht genug Luft zu bekommen. Sein Herz schlug so schnell, dass er am ganzen Leib zitterte.

„He, alles klar?“

Jemand packte ihn an den Schultern. Er schüttelte langsam den Kopf. Durch einen trüben Schleier konnte er stechend blaue Augen erkennen. Lange schwarze Haare. Er wollte jetzt nicht das Bewusstsein verlieren, nur nicht jetzt, seine Schwester würde ihn nie mehr allein aus dem Haus lassen. Mit aller Kraft kämpfte er dagegen an, zwang sich dazu ruhig zu atmen, auch wenn er das Gefühl hatte, ersticken zu müssen.
 

Nach wenigen Minuten war alles vorbei.

Hakuei musterte stirnrunzelnd den zierlichen Jungen, der geschwächt gegen das steinerne Geländer der Brücke lehnte.

Sein Gesicht, das halb von dunklen Haaren bedeckt wurde, war so schön, dass Hakuei für einen seltsamen Augenblick das Gefühl hatte, Toshiya vor sich zu sehen. Außerdem war auch dieser Junge von einer merkwürdigen Aura umgeben. Er wirkte so zart und zerbrechlich und verträumt, dass Hakuei sich nicht einmal gewundert hatte, als er ihn direkt vor sich zu Boden sinken sah. Als er in die Straße eingebogen war, hatte Hakuei bereits jemanden dort sitzen sehen, auf dem höchsten Punkt der Brücke. Beim Näherkommen konnte er einen Jungen erkennen, der andächtig in die Abendsonne blickte, mit einem stummen Lächeln auf den Lippen, fast so, als wäre er auf einem anderen Stern. Das Bild war von so vollkommener Harmonie gewesen, dass Hakuei sich die Augen reiben musste. Aber er war nicht verschwunden. Stattdessen hatte der Junge seine Tasche gepackt, sich auf der Betonmauer umgedreht und war auf die Brücke gesprungen. Im nächsten Augenblick lag er bereits auf dem Boden, mit schmerzverzerrtem Gesicht.

Strange, dachte Hakuei, was ist denn das für einer. Er packte den zierlichen Jungen am Oberarm und zog ihn in die Höhe.

„Alles klar?“, fragte er ihn noch einmal.

Jetzt nickte der Junge. Langsam hob er den Kopf. Er brachte ein schwaches Lächeln zustande.

„Was machst du auf dem Boden, Daisuke?“, sagte eine forsche Stimme hinter ihnen. Hakuei drehte sich um. Tatsächlich, die Welt war eine Nussschale. Oder eine verschimmelte Apfelsine. Das war doch Eri.

Sie musterte Hakuei mit zusammengekniffenen Augen.

„Du schon wieder?“

„Freut sich eigentlich gar niemand, mich zu sehen?“, brummte Hakuei. Allerdings konnte er selbst nicht behaupten, über die Begegnung begeistert zu sein. Dieses Mädchen war ihm suspekt.

Er hatte ihre Aufmerksamkeit jetzt auf Daisuke gerichtet.

„Was ist los? Wieder ein Anfall?“

Daisuke hob schnell den Kopf – er sah Hakuei flehentlich an. Dieser glaubte zu verstehen und antwortete: „Ich hab ihn nicht gesehen und bin mit ihm zusammengestoßen. Deshalb sitzt er auf dem Boden.“ Eri wirbelte herum und sah Hakuei mit lodernden Augen an.

Hinter ihrem Rücken formte Daisuke mit dem Mund ein stummes Wort, das ganz so aussah, wie Danke.

„Ach wirklich?“, fauchte Eri. „Hast du dich entschuldigt?“

„Hat er, lass uns gehen...“, sagte Daisuke und zog an Eris Hand. „Bitte.“

„Nichts da.“ Eri riss ihre Hand weg. „Erst, wenn der Kerl sich ordentlich entschuldigt hat. Er hätte dich umbringen können.“

Hakuei schüttelte seufzend den Kopf. Vom verschmähten Liebhaber zum Mörder. Konnte dieser Tag eigentlich noch beschissener werden?

Aber dieser Junge, dieses Kind, tat ihm irgendwie Leid, also musste er das Spielchen wohl oder übel mitspielen.

„Okay“, sagte er.

„Ich lade euch beide auf eine Pizza ein?“

Wenn schon, denn schon. Dieser Daisuke hatte offenbar kein Glück mit seinen Bekanntschaften.

„Will ich auch hoffen“, schnaubte Eri und schritt voraus. Hakuei folgte ihr und musste mehr als einmal den Drang unterdrücken, ihr einfach fest auf den Hinterkopf zu schlagen und dann abzuhauen.
 

„Tut mir echt Leid“, murmelte Daisuke mit hängendem Kopf. Er trottete neben Hakuei her, der sich immer wieder fragte, ob nur er ständig in so verrückten Situationen landete. Wobei – eigentlich war das so, seit er auf Toshiya stand. Ja, Toshiya war schuld, das musste es sein. Ganz besonders, weil sich alle Irren der Stadt in seinem Haus die Klinke in die Hand gaben.

„Kein Ding“, sagte er und zuckte die Achseln. „Du bist also Daisuke?“

Der Junge nickte.

„Ich gehe in die elfte Klasse... das da vorne“, er deutete auf Eri, die zwanzig Meter vor ihnen ging und bereits um die Ecke gebogen war, „das ist meine große Schwester, Eri.“

„Ich bin Hakuei“, sagte Hakuei. „Ist deine Schwester so eine Art Karate-Meister?“

Daisuke schüttelte lachend den Kopf.

„Du kennst sie also schon? Nein, sie kann Kung-Fu... aber im Moment hat sie nur Gelegenheits-Jobs.“

„Und was sind das so für Gelegenheits-Jobs? Nervensäge?“

Daisuke musste wieder lachen. Hakuei sah ihn an. Seltsam, wie sich seine Ausstrahlung verändert hatte. Er wirkte jetzt richtig lebendig, nicht mehr so zurückgezogen.

„Nein, was sie macht ist alles top secret, meistens habe ich keine Ahnung davon. Ich glaube, das muss so sein, weil sie Leute beschattet...“

Hakuei bleib stehen. Ihm war ein Licht aufgegangen. Ein gewaltiges Licht. Daisuke drehte sich verwundert um. Um sein Erstaunen zu verbergen, lief Hakuei schnell weiter.

„Und ihre Arbeitgeber... wer ist das so?“ Er versuchte desinteressiert zu klingen, so als ob er einfach ein wenig small talk führen wolle.

Daisuke zuckte die Achseln.

„Unterschiedlich.... im Moment...“ Er brach ab.

Hakuei hielt es nicht aus.

„Ein gewisser.... Tooru Nishimura vielleicht? Genannt Kyo?“

Jetzt war es Daisuke, der vor Entsetzen stehen blieb. Er starrte Hakuei verstört an.

„Also ja?“, sagte dieser. „Kein Grund zur Aufregung, du hast nicht zu viel verraten, ich kannte deine Schwester nur schon und – nun ja... es gibt eben große Zufälle.“

Sehr große, dachte er bei sich und vergrub beide Hände in den Taschen. Es war also genauso schlimm, wie er befürchtet hatte. Auf einmal machte es ihm nichts mehr aus, dem hübschen Kind und seiner lebensgefährlichen Schwester eine Pizza zu spendieren.
 

„Toshiya, kann ich reinkommen?“

Toshiya blickte von seinen Hausaufgaben auf. Diese Stimme hätte er nicht erwartet. Es war Takumi. „Natürlich“, sagte Toshiya und schlug sofort sein Heft zu. Er hatte sowieso nie Lust auf Mathe gehabt. Soweit er sich erinnern konnte, überhaupt noch nie in seinem ganzen Leben.

„Wie geht es dir?“

Er nahm Takumi bei der Hand und zog ihn zu sich hinüber. Dieser zuckte nur die Achseln und lächelte traurig.

„Geht schon... Uruha und ich... wir sind wieder zusammen. Also alles zurück zum Alten.“

Toshiya verstand, was er meinte.

„Geduld... irgendwann rafft mein Bruder es auch.“ Takumi zuckte wieder die Achseln.

„Aber deswegen bin ich nicht hergekommen.“

Er kramte in seiner Tasche, zog etwas hervor, das aussah, wie ein Hochglanz Magazin, und knallte es vor Toshiya auf den Schreibtisch. Es war die neuste Ausgabe der Independent, eines dark-fashion Magazins, das zweimal im Monat erschien.

„Da“, sagte Takumi, als habe er Toshiya einen Beutel mit abgetrennten, blutigen Gliedmaßen vor die Nase geworfen, die eindeutig einen Mord bewiesen, den er schon immer vermutet hatte.

Toshiya starrte auf das Cover. Unmöglich. Undenkbar.

„Wie...“, begann er, vergaß aber auf halbem Weg, was er eigentlich hatte sagen wollen.

Die Person auf dem Cover, mit düsterer Schminke, verboten gut aussehend, war – Kyo.



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Kommentare zu dieser Fanfic (374)
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Von:  -lucky-
2011-01-22T22:33:47+00:00 22.01.2011 23:33
oh~ ich hab schon lange keine so gute ff mehr ggelesen
sie hat mich richtig mitgerissen und begeistert
auch wen du manchml sehr suspekte einfälle hast xD
wirklich verdammt gut gelungen
nur wirklich sehr schade, dass du solange nicht weiter geschrieben hast ;_;
es würde mich sehr freuen iwann mal weitere kaps dazu zulesenn^^
Von:  naeki
2010-04-12T16:17:15+00:00 12.04.2010 18:17
Oh wow
ich hab diese ff jetzt schon sooo lange nicht gelesen und sie jetzt in meiner Favoritenliste wieder entdeckt. Da ich mich überhaupt nicht errinern konnte wie das ganze ausggeht (oder anfängt XD) hab ich einfach noch ma von vorn angefangen... und ich muss sagen: Ich liebe diese Fanfiction (auch wenn mir Die tierisch auf die Nerven geht XD)
Es macht einfach so Spaß das zu lesen, auch wenn man anfangs doch etwas irritiert ist wegen der ganzen freakigen Sachen die da so ablaufen. Ich war es zumindest :D. Normaler weise hör ich auf zu lesen wenn mir sowas wie ein Küchenyoda unter die Augen kommt (ich hoffe du weist was ich meine ;D) aber du hast es einfach mal so drauf den Wahnsinn mit ner wahnsinnig tollen Story und genialen Charakteren zu verbinden. Ich bin echt angetan.
Es ist schade, dass es so aussieht als würde es nicht mehr weiter gehen T_T gerade jetzt wo die Sache mit Kyo und Totchi angefangen hat. Vielleicht raffst du dich ja irgendwann noch mal auf ;D Aber selbst wenn nicht die 19 Kapitel haben mich auch unabgeschlossen so überzeugt, dass diese ff jetzt eindeutig zu meinen absoluten Favoriten gehört (schade, dass man so eine Liste hier nicht anlegen kann XD).

Liebe Grüße
naeki
Von: abgemeldet
2009-12-23T22:55:26+00:00 23.12.2009 23:55
Schön zu wissen das auch ein 'Klassiker' nach so langer Zeit weiter geht/ging ♥
Von:  Replica
2009-08-12T13:27:04+00:00 12.08.2009 15:27
Endlich habe ich die Zeit gefunden, diese Fanfiction erneut von Anfang an zu lesen, und ich muss sagen, ich hatte ganz vergessen, wie sehr ich sie *liebe*.
Ich kann nur hoffen, dass dich die Muse wieder gepackt und du mit diesem (nicht mehr zu erhoffen gewagten) Kapitel zurück in die Geschichte gefunden hast, denn ich *brenne* auf eine Fortsetzung.
Von:  Yudinea
2009-06-17T15:56:11+00:00 17.06.2009 17:56
Ha geil!
Hast ja wirklich fortgesetzt. Hätt ich ja nicht für möglich gehalten :)
Und obwohl ich beim lesen gemerkt habe, dass ich wohl nochmal die vorherigen Kapitel lesen sollte, war das Feeling immer noch da :)
Wie sehr Toshi seinen Kyo vermisst unso... ich auch :(
Aber ich liebe Kyo. So ein Stalkerlover is schon toll! Eigentlich nicht, aber wenns der Kyo hier ist, dann schon XD
Schreibstil ist auch immer noch gut, passt alles.
Schreib bitte schnell weiter <3~
Von: abgemeldet
2009-06-08T20:12:25+00:00 08.06.2009 22:12
Heeeerrlich, wie geil XD Ich war gleich wieder drin, egal wie lange das letzte Chapter her war, danke fü die Ens ^.~ Bitte schnell weitermachen <3
Von: abgemeldet
2009-06-08T19:08:59+00:00 08.06.2009 21:08
hey OO
Ich hab mich sooo auf dieses Kapitel gefreut und endlich ist es da *__*
Ich glaube, ich muss mir nochmal alles durchlesen, um wieder alles zu verstehen xDD
Schreibst du jetzt wieder einigermaßen regelmäßig an der Geschichte weiter?
Das wäre echt toll x333 Ich glaube ich kann für alle sprechen, wenn ich sage: Wir wünschen uns ein 20. Kapitel und vll noch mehr xDDD

Wirklich gespannt bin ich, wie sich Eiri und ihr Bruder als Charaktere noch weiterentwickeln und ob der Kleine zu Hakus neuem Freund oder sowas wird O.O"

Also...hiermit möchte ich mich gaanz herzlich für dieses Kapitel bedanken und dir sagen, dass ich mich wirklich immer wieder freue etwas von dir zu lesen ^^
Mach bitte weiter x3
Von: abgemeldet
2009-06-07T11:25:39+00:00 07.06.2009 13:25
Oh man ich hab mich so über das neue Kapitel gefreut, aber ich glaub ich versteh die Zusammenhänge nich mehr xD
Also werd ich das Ganze wohl nochmal lesen, sobald ich mehr Zeit zur verfügung hab als heute.
Aber omg diese Küche ist immer noch LIEBE :D Einfach zu genial. Ich hoffe du hast wieder genug Lust weiterzuschreiben und auch genug Zeit, sodass es diesmal nicht mehr so lange dauert bis was Neues kommt. Und die Kommentare sind dir Ansporn genug <3
Bin auch verdammt gespannt wie das mit Toshiya weitergeht und wie es sich mit ihm und Kyo entwickelt °O° ( kyo auf dem Titelblatt, harr , die Zeitschrift würd ich auch kaufen xD)
Hoffentlich stellt Hakuei nichts dummes an òo Mh ich bange wirklich um ein baldiges neues Kapitel dazu xD"
Ich finds nämlich super °_°b
Weiter so!
*Tüte Kekse dalass*
Von:  Mon-Marshy
2009-06-06T22:18:14+00:00 07.06.2009 00:18
woah, ich habe alles noch einmal gelesen!

wunderbar <3
ein würdiges Kapitel... besonders herrlich fand ich Toshiyas hirnrissige Theorie bezüglich Hakuei und Kaoru, meinen Held Björn und dass du dem Leser einen Einblick in das Innere Kyos geschenkt hast, der schließlich die charaktereigenschaft hat, durchschaubar wie Sakitos nächte Kochidee zu sein.


Von:  LucyPurpleSky
2009-06-06T15:57:30+00:00 06.06.2009 17:57
Yes,yes,yes,yeeeeee~s :D
Ein neues Kapitel! Das erhellt meinen Regen grauen Tag (^^)
Und dann auch noch Robert Frost mit drin eigebaut, hach, freu ich mich blöd.
Das Kapitel an sich ist ja auch urst interessant, weil ich nicht dacht, dass man iwas aus Kyo seiner Sicht erfährt, wegen Toshiya und so.
Aber der arme Toshiya, wird betäubt und vllt dannoch entführt von bösen Unbekannten D:
Gesamt aber alles sehr schön geschrieben wie auch vorher, find ich~
("Björn" +"Ein-Ohr-Harry"+Toshiya, der Hakuei und Kaoru ne Beziehung andichten will xD)

Hoffentlich geht´s bald weiter~°°~ nyoo~



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