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Dunkle Dämmerung

Kampf um die Götterschwerter *abgeschlossen*
von

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Das Schicksal ein Lancelor zu sein

Kapitel II - Das Schicksal ein Lancelor zu sein
 

"Man nennt mich Dymeon...Dymeon...der Dämon mit den Bluttränen..."

Noch bevor irgendjemand etwas Weiteres sagen konnte, hörte man lautes Fußgetrappel vor dem Hügelgrab. Mehrere Lancelor in Kampfkleidung kamen mit entsicherten Pistolen in den unterirdischen Raum gestürmt und richteten die Läufe aktionsbereit auf den vollkommen ruhigen Dämon, von dessen Händen noch immer das schwarze Tryclonnblut tropfte.

"Keine Bewegung, Dämon!", schrie ein Palas, ein Mitglied des ersten Ranges, in strengstem Befehlston. Er trug eine schwarze Hose und eine weiße Weste mit unzähligen Taschen über schwarzem Shirt. Um seine Hüfte wand sich ein ebenfalls weißer Gürtel, an dem weitere Halfter und Taschen für die benötigte Ausrüstung hingen. Wie fast alle Lancelor besaß er auch noch das nachtblaue Band mit den schneeweißen Symbolen, das um sein Handgelenk gebunden war.

"Keine Bewegung!!!"

Auch wenn der Palas nichts gesagt hätte, wäre Dymeon vermutlich an Ort und Stelle stehen geblieben. Seine dunklen Augen flackerten kühl, als er die Lancelor anblickte. Schließlich hielt Zeliarina die knisternde Spannung, die sich jeden Augenblick entladen konnte, nicht mehr aus und stellte sich entschlossen zwischen den Jungen und die Bewaffneten. "Hört auf, er hat nichts getan! Im Gegenteil, er hat uns sogar gerettet!"

"Tritt zur Seite, Miss Heartstrong! Diese Angelegenheit liegt nun nicht mehr in deinem Bereich! Eigentlich hättet ihr beide niemals herkommen dürfen!", meinte nun Pendrian, der mit ernstem Gesicht neben dem Palas stand. Zum ersten Mal konnte man bei Dymeon eine kurze Gefühlsregung erkennen. "Peter...", lächelte der Dämon leicht spöttisch, "du siehst älter aus...Wie lange habe ich geschlafen? Zwanzig Jahre?"

"Fünfundzwanzig", berichtigte Pendrian ungerührt. Er schob Zeliarina nicht grob, aber bestimmt zur Seite und richtete seine Waffe genau zwischen Dymeons dunkle Augen. Der Dämon lächelte leicht, so dass seine makellos weißen, leicht spitzen Zähne aufblitzten. "Und du bist immer noch einer vom zweiten Rang, Peter?"

"Schweig!" Zornig riss Pendrian einmal an seiner Waffe und entsicherte sie so. Der schwarz lackierte Lauf glitzerte im Schein der Fackeln. "Verdammt, Dymeon, du hättest einfach in dem verdammten Bann des Schwertes bleiben sollen!"

"In dem Bann, den du mir auferlegt hast?", fauchte der Dämon zurück. Er hatte sich noch immer nicht gerührt, doch er strahlte eine bedrohliche Aura aus, die die Lancelor zurückweichen ließ. Nur der Palas und Pendrian blieben ungerührt stehen. "Kein Dämon darf frei auf der Welt herumlaufen! Es war richtig dich zu versiegeln!", schrie Pendrian wütend. Sein gegerbtes freundliches Gesicht verwandelte sich in eine abstoßende Grimasse.

"Du hattest noch nie eine Ahnung von den Dingen, die sich im Untergrund tun! Diese Menschen waren besessen, ich musste sie töten!"

"Lüge! Du warst im Blutrausch!", brüllte Pendrian mit hochrotem Gesicht. Völlig außer sich nahm er die Pistole in beide Hände, um sein Zittern zu unterdrücken und drückte ab. Melissa und Zeliarina schrieen auf, als sich die Kugel schmatzend in Dymeons Brust bohrte. Ein Ruck ging durch den Körper des Dämons. Er taumelte kurz, fiel jedoch nicht zu Boden. Seine Miene veränderte sich gar nicht. "Mit Runenmunition, Peter? Ich bin doch kein niedriger Tryclonn..."

"Schweig!", schrie Pendrian wieder. Einer der Lancelor legte ihn zur Beruhigung die Hand kameradschaftlich auf die Schulter, doch Pendrian schlug sie grob weg. Rasend sprang der Lancelor zweiten Grades auf das Silberschwert in der Ecke zu, ergriff es und stürmte damit auf Dymeon zu. Der Dämon wich dem Stich jedoch durch eine geschickte Hüftdrehung so aus, dass er Pendrian direkt ins Gesicht starrte. "Ich lasse mich nicht noch einmal einfangen..."

Schnell wie der Blitz rannte er zwischen der Gruppe Lancelor hindurch. Als er am Ausgang angelangt war, deutete er mit seinem Finger kurz auf Zeliarina. "Hab Dank, Mädchen...Lebe wohl..." Dymeon tippte sich noch einmal kurz an die Stirn, dann rannte er weg. Noch während Zeliarina ihm sprachlos hinterher blickte, wurde sie von Pendrian mit grober Gewalt am Handgelenk gepackt. "Komm mit, Miss Heartstrong!" Der Lancelor schleifte sie den ganzen Weg bis zu Falcaniar hinauf hinter sich her und stieß sie in einen Raum, den sie in der ganzen Aufregung nicht erkannte. Zu ihrer Überraschung sah sie sich John Dunkan gegenüber, der unkonzentriert an der Holzarbeit eines historischen Segelschiffes arbeitete.

Als die beiden eintraten, ließ er seine Bastelei sofort liegen und stand auf. "Miss Heartstrong! Ein Glück, dass nichts passiert ist! Melissas Mentor hat mir alles erzählt. Wenn ich gewusst hätte, dass Dämonen am Strand gewesen wären, hätte ich euch nie vorgeschlagen dorthin zu gehen!"

"Also hast DU sie zu Unterrichtszeiten gehen lassen, John?", schnaufte Pendrian anklagend. Dunkan nickte ganz selbstverständlich und schenkte Zeliarina ein kurzes Lächeln. "Meine Schülerin machte so gute Fortschritte, dass ich es für richtig hielt ihr ein wenig Zeit zum Entspannen zu geben. Beklag dich nicht, Peter...es ist doch alles gut gegangen..."

"Er ist erwacht!", schleuderte Pendrian seinem Kollegen zusammenhangslos entgegen. Dunkan verstand sofort, Zeliarina erkannte es an der Art, wie seine hellen Augenbrauen kurz zuckten. Trotzdem bewahrte er eine ähnliche, kühle Ruhe wie Dymeon sie gehabt hatte, so dass man nicht aus seinem Gesicht lesen konnte, ob er darüber wirklich so bestürzt war. "Nun, hat Dymeon jemanden angegriffen? Ich denke nicht, dass er eine große Gefahr darstellt. Auch seine damalige Versiegelung halte ich bis heute für unnötig..."

"Du misstraust meinem Urteil?! Ich sah mit eigenen Augen, wie er ein ganzes Dorf auslöschte!"

"Ich sage nur", widersprach Dunkan sanft, "dass es damals gewisse Ungereimtheiten gab und er nicht hätte verurteilt werden dürfen, bis alles aufgeklärt war..."

"Er ist ein Dämon!" Pendrian spie jedes einzelne Wort erbost aus, als wären sie Gift, das er abstoßen musste. Als er erkannte, dass auch dieses Argument bei seinem Gegenüber keine Überzeugung brachte, stürmte er brodelnd aus dem Zimmer und schlug die Tür krachend hinter sich zu. Zeliarina sah dem Lancelor erschrocken hinterher, während sie sich das wunde Handgelenk rieb, das er die ganze Zeit mit eisenhartem Griff zermalmt hatte.

"Sei ihm nicht böse, Peter ist eigentlich ein guter Kerl. Doch der Anblick des zerstörten Dorfes, seiner Heimat, war ein traumatisches Ereignis für ihn...er wird sich wieder beruhigen..."

"Mister...Dunkan...", begann Zeliarina vorsichtig, "Bin ich...schuld? Ich zog dieses Schwert aus seinem Körper...Bin ich schuld, dass dieser Dämon wieder frei ist?"

"Du wusstest nichts von dem Bann und von Dymeon..."

"Bin ich schuld?", wiederholte die junge Hexe fester. Sie sah ihren Mentor mit ernstem Blick an und spürte seinen inneren Konflikt, der im Herzen zu toben schien. Schließlich seufzte Dunkan geschlagen, direkt bevor er den Blick senkte. "Der Dämon wurde in dem Augenblick befreit, da die Silberklinge des legendären Sternenschwerts aus seinem Leib genommen wurde..."

Zeliarina schlug die Augen nieder. "Ich...verstehe..."

"Aber eigentlich...eigentlich ist es nicht so einfach das Siegel zu lösen...nicht für jeden...", murmelte Dunkan so leise, dass es kaum zu verstehen war. Zeliarina horchte auf.

"Wie?"

"Nichts..." Er starrte mit unergründlichem Blick auf seine Schülerin und runzelte die Stirn. "Nichts..."
 

Melissa lag verloren auf ihrem Bett, als Zeliarina auf ihr Zimmer zurückging. Sie hatte bei den Ereignissen im Hügelgrab einen ziemlichen Schock erlitten, auch wenn sie als Anwärterin zum Lancelor schon mehrmals mit Dämonen konfrontiert war. Trotzdem hatte Dymeons Anblick, zur Unbeweglichkeit gefesselt und aufgespießt, scheinbar in ihr die Frage geweckt, ob es tatsächlich das Richtige war einer Organisation beizutreten, die zu solchen Mitteln griff.

"Kriegen wir Ärger, Zeliarina?", fragte sie gedämpft durch ihr Kissen. Zeliarina hob ahnungslos die Schultern und setzte sich nachdenklich auf die Kante ihres Bettes. Sie selbst war noch ein wenig verwirrt. "Ich hab keine Ahnung...Ich weiß nicht einmal, was genau passiert ist..."

"Der ganze Orden ist auf den Beinen, um diesen Dämon zu suchen. Mein Mentor meint aber, dass sie ihn wahrscheinlich nicht finden werden, dafür ist er zu clever. Er soll vor seiner Verbannung viel mit den Lancelor zu tun gehabt haben... Manchmal hat er ihnen sogar geholfen..."

"Geholfen?", wiederholte Zeliarina skeptisch. "Ein Dämon, der den Lancelor hilft?"

"Ich weiß auch nichts Genaues. Aber als Neuling oder Anwärter werden wir wohl auch kaum noch einmal mit diesem Fall konfrontiert werden. Ich jedenfalls konzentriere mich weiter auf meine Prüfung..."

Obwohl sich Melissa nicht auffällig verhielt, spürte Zeliarina, dass ihre Freundin wie Dunkan irgendetwas wusste, was ihr nicht erzählt worden war. Es hatte mit dem Hügelgrab zu tun und mit dem Schwert. Die Donnerhexe sprach es nicht aus, doch sie war sich sicher, dass sie in Zukunft wieder mit Dymeon zu tun haben würde...
 

Wie erwartet war der junge Dämon unauffindbar. Die Lancelor setzten alle Hebel in Bewegung und gründeten sogar eine eigene Abteilung, die sich nur mit ihm beschäftigte. Trotzdem ging der Sommer zu Ende, ohne dass auch nur die geringste Spur von Dymeon zu finden war. Ich kümmerte mich kaum darum, da mich mein Training zu sehr einnahm, obwohl es immer wieder Nächte gab, in denen ich von dem silbernen Sternenschwert, dem gefesselten Leib des Dämons und Pendrian mit seiner unbändigen Wut träumte.

Mitte August absolvierte Melissa dann erfolgreich ihre Aufnahmeprüfung, so dass sie fortan ein offizielles Mitglied der Lancelor darstellte. Von diesem Tag an sah ich sie weniger, denn ein Lancelor hatte viel mit seinen Aufträgen, Fortbildungen und Kampfvorbereitungen zu tun. Außerdem gab es viele Dinge, die man einem Neuling wie mir nicht anvertrauen durfte. Ich glaube damals hat mich die viele Geheimniskrämerei wirklich mitgenommen.

Darum freute ich mich umso mehr, dass Dunkan mir sagte, ich wäre nun weit genug um einen Besuch in meiner alten Heimat zu machen. Melissa bot sich trotz unserer damaligen Differenzen als Begleitung an. Wie in meinen ersten Tagen fuhren wir als beste Freundinnen mit einem kleinen Motorboot an die englische Küste und von dort aus mit dem Auto in mein Heimatdorf...
 

Zeliarina konnte kaum glauben, wie wenig sich ihre gute alte Heimat verändert hatte. Schon von Weitem sah sie die weiten Grasfelder und die altmodischen Häuser, die verstreut und ungeordnet an der Hauptstraße entlang verliefen. Viele Bewohner saßen in diesem ungewöhnlich warmen Herbst immer noch kurzärmlich in ihren Gärten. Kaum ein Auto fuhr. Zeliarina kam dies entgegen, denn Melissa fuhr einen äußerst gewöhnungsbedürftigen Fahrstil. Die Hexe war sich nicht einmal sicher, ob ihre Freundin überhaupt einen Führerschein hatte oder mit sechzehn alt genug dafür war.

"Ein schöner Ort", rief Melissa. Der Fahrtwind ließ ihre langen, weinroten Haare tanzen. Zeliarina konnte einfach nur nicken und lächeln.

"Über drei Monate ist es her, seit ich hier war...", murmelte sie ergriffen. Melissa preschte lachend über die unbelebte Straße und parkte jenseits jeder Regeln in einer kleinen Einfahrt. Äußerst erleichtert und mit dem merkwürdigen Wunsch sich zu übergeben stieg Zeliarina aus. "Also...das hier ist mein Haus...und dort..." Sie deutete auf verkohlte Trümmer. "...war einmal unsere Scheune. Wir haben sie nie wieder aufgebaut..."

Langsam ging Zeliarina auf die Haustür zu. "Nichts hat sich verändert..." Sie hatte gerade den Absatz erreicht und wollte klingen, als die Tür von Innen aufging. Miss Heartstrong, eine kleine Frau mit den blonden Haaren und der blassen Haut ihrer Tochter, stand überrascht auf der Schwelle. Einen Augenblick lang starrten sich die beiden einfach nur überrascht an.

Dann: "Liebling! Was machst du denn hier? Warum hast du nicht bescheid gesagt, dass du kommen würdest?!" Eilig schob sie ihre Tochter und Melissa in den Hausflur und schüttelte den Kopf. "Wie geht es dir? Ist das deine Freundin? Wie ist die Schule? Ich habe mir oft Gedanken gemacht, aber du meldest dich ja nicht!"

"Ja, Mum..."

"Wie lange bleibt ihr denn? Habt ihr Hunger? Ich könnte euch etwas Schönes machen, obwohl ich kaum etwas im Haus habe. Ich wusste ja nicht, dass ihr kommt! Hättest du doch was gesagt!" Aufgeregt eilte Miss Heartstrong in die kleine Küche und stöberte verzweifelt nach etwas Essbarem. Melissa warf Zeliarina einen erstaunten Blick zu. "Sie ist sehr lebendig..."

"Ja...na los, holen wir unser Gepäck rein..." Nachdem die beiden Mädchen ihre Taschen aus dem Auto geholt hatten, hörten sie bereits Geklapper und Geschnippel aus der Küche. Miss Heartstrong kochte fröhlich, während sie ihre Tochter weiterhin sorglos mit Fragen löcherte, bis diese ihr wirklich alles erzählt hatte, von den Lancelor, ihrer Feste Falcaniar, wie sie Melissa kennen gelernt hatte und was sie alles bei ihrer Ausbildung lernen musste.

Nach über einer halben Stunde dampfte ein Mahl aus Kartoffeln und Fisch auf dem Tisch, gerade rechtzeitig als Zeliarina nichts mehr zu erzählen wusste. "Nun...und jetzt bin ich hier...", schloss sie achselzuckend. Ihre Mutter nickte eifrig und häufte den Mädchen einen heftigen Nachschlag auf, obwohl sie kaum die erste Portion geschafft hatten. Melissa und Zeliarina zwangen sich alles runter, ehe sie schwer aufatmeten und ihre Teller gleichzeitig von sich schoben. "Kein Bissen mehr, bitte...es ist einfach zu lecker...", seufzte Melissa.

Mit einem warmen Lächeln auf den Lippen räumte Miss Heartstrong das Geschirr weg. Sie schien eine wirklich gutherzige und freundliche Frau zu sein, der man das langsam ansetzende Alter kaum ansah. Melissa erinnerte sich kaum an ihre eigene Mutter, da sie schon vor langer Zeit nach Falcaniar gekommen war, doch sie hatte ein strenges Aussehen gehabt und ein ebenso strenges Verhalten. Eigentlich war Melissas Mutter so ziemlich genau das Gegenteil von Miss Heartstrong.

"Was wollen wir jetzt machen?", fragte Zeliarina unternehmungslustig. Melissa hob nur ahnungslos die Schultern. "Es ist dein Dorf. Wieso zeigst du mir nicht alles?"

"Klar." Ungewöhnlich lebendig sprang Zeliarina von ihrem Platz auf und zog ihre Freundin mit sich. Es war einer der seltenen Momente, in denen Melissa sah, dass Zeliarina etwas von dem Charakter ihrer Mutter hatte...
 

Mehrere Stunden später bereute Zeliarina es fürchterlich so begeistert zugestimmt zu haben. Da Melissa kaum von der Insel der Lancelor weg kam, bereitete ihr selbst die kleine Einkaufsmeile des Dorfes soviel Vergnügen, dass sie jeden einzelnen Laden aufs Gründlichste durchstöbern musste. Zeliarina bekam die ehrenvolle Aufgabe zugetragen Melissas Einkäufe aufzubewahren. Seufzend ließ sich die Donnerhexe auf eine mit abblätternder blauer Farbe gestrichene Bank nieder. Obwohl es bereits Herbst war, schien die Sonne so ungewöhnlich warm, dass ihr der Schatten der großen, neben ihr stehenden Eiche gerade recht kam.

Bevor ich zu den Lancern kam, trug dieser Baum noch eine schöne, grüne Krone...

Zeliarina warf einen kurzen Blick auf die roten, braunen und gelben Blätter am Straßenrand und streckte die Beine. Mit einem leisen Gähnen schloss sie die Augen. Es dauerte nicht lange, bis sie in einen Halbschlaf gefallen war, obwohl sie dank ihrer übernatürlichen Fähigkeiten noch immer gestochen scharf wahrnehmen konnte, was um sie herum geschah. So entging es ihr auch nicht, dass jemand plötzlich im Schatten der Eiche an dem mächtigen Baumstumpf lehnte und sie offenkundig beobachtete.

"Bist du alleine, Mädchen?" Zeliarina erkannte die Stimme sofort, denn sie hatte sich schon beim ersten Mal auf Immer in ihr Hirn gebrannt. Ohne die Augen zu öffnen spürte die junge Hexe, dass der Junge im Schatten abwartend die Arme verschränkte. "Der ganze Orden sucht nach dir, Dymeon...Was willst du hier?" Sie blickte ihm nun doch mit ihren grünen Augen entgegen. Auch wenn der Dämon keine Miene verzog, er war überrascht.

"Hast du keine Angst vor mir?", wisperte er kühl, während sein Blick über die kaum belebten Straßen wanderte. Ein blutrotes, breites Stirnband hielt die verfilzten, schwarzen Haarsträhnen aus seinem Gesicht, so dass er besser sehen konnte. Trotzdem wirkte er nicht viel gepflegter als im Hügelgrab. Außerdem hatte er noch immer diesen düsteren Ausdruck der Einsamkeit und Trauer, der ihn sehr distanziert aussehen ließ.

"Warum sollte ich Angst haben? Du hast mir nichts getan, im Gegenteil, du hast mich sogar vor diesen drei Tryclonns beschützt...", antwortete Zeliarina schlicht. Dymeons Augen wurden schmal. "Alle Menschen haben Angst vor Dämonen...Allein das Wort reicht für viele aus..." Ohne dass Zeliarina antwortete, besah sie sich ihre rechte Hand, die vollständig mit den merkwürdigen Runen und Symbolen übersät war.

Ich bin kein normaler Mensch...Ich war es noch nie...

"Man hat mir erzählt, du hättest Pendrians Heimatdorf vernichtet..."

Dymeon schnaubte abfällig und vergrub die spitzen Fingernägel ins Fleisch seiner Arme. Merkwürdig, dass seine Hände heute wie die eines Menschen aussahen, wo sie doch im Hügelgrab richtige Klauen gewesen waren. "Peter hat keine Ahnung", zischte der Dämon leise. "Wie alle Menschen sieht er Dämonen nur als das vollkommene Böse, das aus Vergnügen tötet und zerstört. Dabei haben auch wir Motive und Gefühle, auch wenn sie im Gegensatz zu denen der Menschen stehen wie Tag und Nacht. Deswegen fürchten die Menschen uns so: weil sie uns nicht verstehen. Genauso sind sie zu Raubtieren. Erst greifen sie unberechtigt in ihr Leben ein und wundern sich dann, wenn sie angefallen werden...Natürlich sind die Tiere daran schuld, also jagt sie erbarmungslos und tötet sie!"

"Was willst du mir damit sagen?", wisperte Zeliarina verwirrt. Sie sah feine Blutfäden an seinen Armen hinab laufen, dort wie die Klauenhände die gebräunte Haut durchstoßen hatten. "Ich habe nie gefallen daran gefunden diese Leute zu töten! Niemals!", spie Dymeon plötzlich so heftig, dass Zeliarina zurück zuckte. Sie dachte eine Weile nach. "Also stimmt es..."

Dymeon schwieg. Es war merkwürdig. Er konnte einfach nicht wie sonst in das Herz dieses Mädchens sehen. Warum nur fürchtete sie sich nicht vor ihm? Und wieso konnte sie einfach so, ohne richtige Magieausbildung den Bann des Sternenschwertes lösen, der ihn ganze fünfundzwanzig Jahre festgehalten hatte? Dymeon hatte sie seitdem immer beobachtet, sie steckte noch am Anfang ihrer Ausbildung, war nicht einmal ein Lancelor.

"Es ist wunderbar friedlich nicht wahr? So ruhig und still...", murmelte Zeliarina unbeschwert. Dymeon blickte sie erstaunt an, beeindruckt davon, dass sie das Thema so selbstverständlich ändern konnte, obwohl sie erfahren hatte, dass er Menschen getötet hatte. Getötet. Er hatte sie abgeschlachtet. Warum fragte sie nicht nach dem Grund? Wieso machte es ihr keine Angst oder gab ihr den Eindruck, dass er ein grausamer Mörder war?

"Ja...es ist still..." Kein Mensch war auf den Straßen, nicht einmal Melissa, die irgendwo in den Läden verschwunden war. Kein Lüftchen wehte. Kein Auto fuhr. "Sehr still..." Dymeons Haut begann langsam ganz merkwürdig zu prickeln. Er hatte es schon oft genug erlebt um zu wissen was geschah. Überall waren dunkle Energien zu spüren. "Dämonen..."

"Dämonen?", wiederholte Zeliarina schockiert, obwohl auch sie die Kräfte auf gewisse Weise wahrnehmen konnte. Dymeon nickte knapp und sah sich überall um, doch nirgendwo war einer seiner Art zu sehen. Nur ein alter Mann kam aus einem Lebensmittelgeschäft. Weder Dymeon noch Zeliarina schenkten ihm Aufmerksamkeit, bis er auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen blieb, sie anstarrte und etwas Kleines nach ihnen warf. Zelarina sah entsetzt, dass es ein kleines Küchenmesser war, das rasend schnell durch die Luft zischte.

Mit unvorstellbarer Wucht rammte es sich bebend in Dymeons Brust und riss ihn beinahe um. Einzelne Tropfen seines dunklen Blutes spritzten ihm ins Gesicht. Mit seinem düsteren Blick sah er nun so schaurig aus, dass Zeliarina doch fast etwas Angst bekommen hätte. "Oh nein, Dymeon! Bist du in Ordnung?"

"Ja..." Unwirsch riss er das Messer aus seinem Körper und warf es klappernd zu Boden, als würde er sich nur einen kleinen Pflanzendorn aus der Haut ziehen. Als er Zeliarinas entsetztes Gesicht sah, meinte er kühl: "Ich bin ein Dämon...Unsere Körper sind bei Weitem robuster..." Während er den Alten ruhig ansah, kamen weitere Leute aus verschiedenen Geschäften. Sie alle hatten mehr oder weniger Waffen in der Hand, sei es eine Schere, ein Stein oder ein schlichtes Holzbrett. Zeliarina kannte sogar einige dieser Menschen noch von früher.

"Sie sind besessen...Irgendwo versteckt sich ein Dämon, der von anderem Kaliber ist als kleine Tryclonns...Wo ist deine Freundin? Sie ist ein Lancelor, oder? Ich habe dieses Band gesehen, das blaue mit den weißen Symbolen..." Als wäre sie gerufen worden kam Melissa gehetzt aus einem der vielen Läden. Sie blutete leicht an der linken Augenbraue. "Zeliarina, die Leute sind wahnsinnig geworden! Sie haben mich angegriffen und..." Erstarrt blickte sie auf die vielen angriffsbereiten Menschen auf der Straße. Ihre Augen glühten feuerrot.

"Zeliarina, was geht hier vor? Sie strahlen schwarze Energie aus, doch es können unmöglich alles Dämonen sein!" Ein wenig hysterisch stellte sich Melissa neben ihre Freundin, ehe sie Dymeon erspähte. Der Dämon musterte sie kühl. "Als Lancelor solltest du wissen, dass sie besessen sind, ausgehend von einem Steuerdämon, einem so genannten Marionetter..."

"DU?", kreischte Melissa nun vollkommen durcheinander. Zeliarina versuchte ihre Freundin zu beruhigen und wies sie darauf hin, dass Dymeon nicht gegen sie war. "Hör mir gut zu, Lancelorin. Du musst jetzt Signalmunition nehmen. Einer von diesen Leuten ist der Dämon. Die Munition wird den Besessenen nicht Schaden, doch sie wird uns verraten, wer der Marionetter ist..."

"Ich habe meine Waffe nicht bei mir..."

"Was?", zischte Dymeon, ohne dass man die Unruhe heraushören konnte, die sich in seinen Augen widerspiegelte. "Ein Lancelor hat seine Waffe immer bei sich zu tragen. Sogar ich kenne den Kodex. ,Sei immer bereit, sei immer aufmerksam und auf alles gefasst' " Plötzlich sah er etwas Grünes an Melissas Finger funkeln. Es war ein Ring. "Den hattest du vorher noch nicht... Woher hast du diesen Ring?", fragte Dymeon ernst, ehe er die Lancelorin grob am Handgelenk packte und ihr den Finger unter die Nase hielt. Melissa schrie empört auf, doch antwortete vom Dämon eingeschüchtert: "Ein Mann gab ihn mir..." Sie deutete auf einen hoch gewachsenen Kerl mit schwarzem Haar, der sich geschickt hinter den anderen Menschen verbarg. "Der dort!"

"Er ist der Marionetter...Du hättest den Ring niemals annehmen dürfen...zieh ihn ab...sofort..." Als sich Melissa nicht rührte, packte er ihr Gelenk noch fester. "Sofort..." Den Tränen nahe versuchte das Mädchen das grüne Schmuckstück abzuziehen, doch es schien an ihrem Finger wie festgewachsen. Und noch während sie rüttelte und zerrte, färbte sich die Haut um den Ring herum tief schwarz. "Ein Parasit...", keuchte Melissa aufgelöst "Er breitet sich aus und tötet einen von Innen..." Rasend riss sie an dem Ring. Tränen liefen ihr über die Wangen.

"Warum spielst du diese Spiele, Marionetter?" Dymeons Stimme hallte laut und klar durch die ganze Straße. Bei seinen Worten teilte sich die Menge, um den Blick auf den Steuerdämon und sein grässliches Grinsen freizugeben. "Dymeon mit den Bluttränen...Der Verräter...Welch Ehre, dich zu sehen", höhnte er boshaft.

"Entferne sofort diesen Parasiten von ihr, Puppenspieler!"

"Du weißt genau, dass niemand das kann. Er wird sich immer weiter ausbreiten, bis er ihren Körper vollkommen ausgefressen hat..." Der Marionetter warf einen kurzen Blick auf Melissa, die sich inzwischen in schrecklichen Krämpfen am Boden quälte. Sie schien nur noch mit fiebrigen Augen zu sehen und schrie irgendetwas. Ihr Arm war bis zu dem Ellenbogen pechschwarz befallen. Zeliarina war mit der Situation so überfordert, dass sie am liebsten weggerannt wäre.

"Ich töte dich..." Kalt schritt Dymeon auf den anderen Dämon zu, der jedoch sorglos weiter lächelte. Die Hände beider Dämonen verformten sich zu grausamen Klauen. Das Gesicht des Puppenspielers verwandelte sich außerdem zu einer Teufelsfratze mit spitzen Reißzähnen und schwarzen Perlaugen. "Ein Kampf unter Dämonen!"

"Das glaube ich kaum. Sieh dir all diese Menschen an..." Der Marionetter machte eine weit ausschweifende Geste auf die Menge, die sich jetzt ihre Waffen an die eigenen Hälse hielt. "Es bedarf nur eines kleinen Befehles von mir und sie bringen sich ohne mit der Wimper zu zucken selbst um. Also tritt zurück..." Dymeon blieb wie angefroren stehen. Seine Fäuste waren so angespannt, dass die Knöchel weiß hervortraten.

"Tritt...zurück!", schrie der Marionetter zornig. Dymeon rührte sich nicht. Kopfschüttelnd schnippte der Steuerdämon einmal mit dem Finger, woraufhin sich ein junger Mann das Messer in seiner Hand quer über den Hals zog und in einer Fontäne aus Blut tot zu Boden fiel. "Du bist krank! Lass diese Leute in Frieden", brüllte Dymeon außer sich.

Ein weiteres Schnippen. Der alte Mann, der zuerst aufgetaucht war, zog eine Pistole und schoss. Mit einem dumpfen Schlag stürzte er nieder. "Ich bring dich um, kranker Puppenspieler!" Geradezu gelangweilt hob der Marionetter ein weiteres Mal die Hand um den Befehl zum Selbstmord zu geben, doch er kam nie so weit. Ein greller, heller Lichtblitz züngelte aus dem Nichts heran, umschloss ihn, verzerrte ihn, verbrannte ihn. Dymeon musste geblendet die Augen schließen. Als er sie wieder öffnete, hatte sich der Marionetter in eine lebende Fackel grünen Lichtes verwandelt. Schreiend ging der Dämon in die Knie. Er versuchte noch die Flammen an seinem Körper zu löschen, doch es dauerte nur wenige Sekunden, ehe er von dem Wind als Asche über die Straße verstreut wurde. Der Puppenspieler war gefallen...und gleichzeitig fielen alle Besessenen von seinem Bann befreit bewusstlos zu Boden...

"Wer...?" Am Straßenrand hockte Zeliarina mit ausgestrecktem rechtem Arm über der zuckenden, wimmernden Melissa. Die Runen, die sich um ihre Hand schlängelten, leuchteten in einem orangefarbenen Licht, als hätte man Eisen in einem Feuer zum Glühen gebracht. Dymeon war beeindruckt. Offensichtlich hatte die Hexe in ihrer Zeit auf Falcaniar mehr gelernt, als er beobachtet hatte, denn der Blitz stammte ohne Zweifel von ihr. Zeliarina jedoch erfreute sich nicht an ihrem verheerenden Angriff, denn der Parasit war Melissa inzwischen den ganzen Oberarm hinauf gekrochen. "Was können wir tun?", wisperte die Donnerhexe leise.

Dymeon ließ sich neben ihr auf die Knie fallen. Die Wunde auf seiner Brust blutete bereits nicht mehr, doch der Tod der zwei Zivilisten lag wie ein dunkler Schatten in seinen Augen. "Sobald der Parasit ihren Oberkörper erreicht hat, ist jede Hilfe zu spät..." Plötzlich war sein Gesichtsausdruck wieder fürchterlich kalt. "Entweder ihr Leben...oder ihr Arm..."

Zeliarina wich entsetzt von ihm zurück. "Du willst doch nicht etwa..."

"Es ist der einzige Weg...", murmelte Dymeon mit echter Betroffenheit in der Stimme. Widerwillig hob er seine Hand, die noch immer die schreckliche Form einer tödlichen Klaue hatte, und schloss die Augen. "Es wird eine harte Lektion für sie, doch auch eine lehrreiche. Sie hätte ihre Bürde nicht auf die leichte Schulter nehmen sollen...denn wer ein Lancelor wird, verschreibt sich diesem Schicksal mit seiner Seele...und es kann sein, dass er diesem Leben alles opfern muss: seine Wünsche, Träume und Kräfte...vielleicht sogar ein Körperteil..."

Und mit diesen Worten schlug er zu. Melissas Schrei hallte durch die Straße. Überall war Blut.

Blut...

Nichts als Blut...
 

Als Dymeon Melissa den Arm mit seiner unvorstellbar scharfen Klaue problemlos abschlug, bekam ich einen so großen Schock, dass ich mich augenblicklich erbrechen musste. Bis heute bereitet mir Melissas blutiger Stumpf, aus dem das Blut wie eine rote Flut hervorquoll, schreckliche Albträume. Die Verwundete selbst verlor sofort das Bewusstsein. Ich glaube, sie wäre ansonsten wahnsinnig geworden. Während Dymeon sein Shirt auszog und es Melissa auf die Wunde presste, befahl er mir sofort die Nummer der Lancelor zu wählen, die in Melissas Handy eingespeichert war. Das weiße Oberteil hatte sich noch bevor ich die Nummer wählen konnte vollständig mit Blut voll gesogen. Heute weiß ich, dass Dymeon irgendetwas getan hatte damit sie nicht verblutete, denn ihr Lebenssaft war literweise aus dem Arm geflossen...

Er blieb solange, bis die Lancelor aus der nahen Umgebung nur fünf Minuten später eintrafen. Das Netz des Ordens war so dicht gewoben, dass es eigentlich jeden Punkt auf der ganzen Welt umspannte. Trotzdem war ich damals fasziniert und gleichzeitig entsetzt, dass so eine Organisation unbemerkt agieren konnte. Völlig verstört wurde ich mit einem Helikopter zurück nach Falcaniar gebracht, während Melissa in ein von Lancelor genutztes Krankenhaus gebracht wurde. Dymeon war irgendwann irgendwie verschwunden, obwohl ich mir sicher war, dass er wegen seinen bisher unklaren Beweggründen in meiner Nähe blieb.

Merkwürdig...

Bevor ich nach Falcaniar gekommen war, las ich viele Fantasybücher, in denen solche Szenen mit Dämonen und Monstern an der Tagesordnung standen. Die Helden blieben bei noch soviel Blut und Tod cool und verhinderten am Ende, dass irgendein Unschuldiger verletzt oder gar getötet wird. Doch die Realität ist um Vieles grausamer als die fiktive Fantasie jedes Autoren. An diesem Tag waren zwei Menschen gestorben, obwohl sie nichts mit den Ereignissen zu tun gehabt hatten. Sicher hatten sie Familie und Freunde, die um sie trauern würden. Sie waren normale Menschen gewesen, ohne irgendwelche Verbindungen zu dem Übernatürlichen, trotzdem lagen sie nun leblos auf der Straße.

Und als dieser Gedanke damals durch meinen Kopf schoss, wurde mir klar, dass ich nie wieder so ein normaler Mensch sein würde. Ich war es noch nie.

Die Rotoren des Helikopters dröhnten...

Trotz der Sonne wurde mir schrecklich kalt...



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