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Sirenzia

Land der Hoffnung
von

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Auf dem Weg zum Schloss

Lange schwarze Haare, die im Sommerwind wehen. Auf einer blühenden Wiese voll mit Mohn, Löwenzahn und vielen anderen wunderbar duftenden Blumen. Sie pflückte mehrere und band sie zu einem riesigen Strauß zusammen. Sie strich sich die Haare nach hinten und flocht sie zusammen. Nun konnte man das Gesicht erkennen. Die hatte helle, blaue Augen.

"Penelope!"

Ihre Stimme war weich. Sie klang sehr vertraut.

"Penelope! Geh nicht zu nah ran! Das ist ein magisches Portal! Du fällst in die andere Welt! Penelope! Ich hab dir gesagt, du sollst... Penelope? Penelope!"

Sie sprang auf und lief zum Portal, doch es hatte sich verschlossen.

"PENELOPE!"

Was ist los? Warum rufst du mich? Ich bin doch hier. Hier. Genau hinter dir. Dreh dich um, dreh dich doch um! Ja, genau! Jetzt siehst du mich! Oder? Oder etwa nicht? Warum weinst du? Es ist auf einmal alles so dunkel. Bleib hier. Geh nicht weg. Ich hatte dich doch endlich gefunden! Bleib bei mir! Ich will dich nicht verlieren. Nicht noch ein zweites Mal! Mutter!
 

Ich riss meine Augen auf. Mutter! Ich lag auf einer Wiese. Es war stock finster. Ich stand auf.

"Bin wohl eingeschlafen."

Ich machte mich auf den Weg. War das wirklich meine Mutter? Sie hat mir ZU ähnlich gesehen. Vielleicht war es pures Wunschdenken gewesen. Die Lichter der Hütte kamen in Sicht. Ob Moritz wohl immer noch bewusstlos war? Ich trat ein. Der Geruch von Hühnersuppe trat mir entgegen.

"Bin wieder da!"

Kevin steckte den Kopf durch die Tür.

"Aha. Komm, es gibt gleich Essen. Du solltest Moritz wecken. Er ist schon einmal aufgewacht, hat sich dann aber wieder hingelegt."

Ich zog eine Augenbraue hoch und stapfte zu "meinem" Zimmer. Ich hämmerte dagegen. Die Tür sah sehr robust aus.

"Ja."

Er klang etwas mürrisch. Ich trat ein.

"Na, geht's dir besser?"

Er holte Luft, doch ich ließ ihn nicht antworten, sondern kniff ihm in die Wangen.

"Warum hast du mir nicht gesagt, dass du mich kennst? Du hättest mir helfen können, mich wieder zu erinnern."

Ich ließ los und ging zu Tür. Er rieb sich die Wange. Sie war stark gerötet und ich musste schadenfreudiges Gelächter unterdrücken. Ich drückte die Tür ins Schloss, weil ich der Festen Überzeugung war, dass Kevin diese Unterhaltung nichts angehen würde. Er sah schuldbewusst zur Seite.

"Hast du mich nicht gehört? Warum? Sag es mir doch endlich!"

Er runzelte die Stirn. So würde ich wohl nie eine Antwort bekommen. Ich wollte gerade anfangen, auf ihm herum zu hacken, als er begann zu sprechen.

"Es ist nicht so, dass ich es dir aus Bösartigkeit verschwiegen habe. Ich will dich auch nicht von der anderen Welt fernhalten. Bis auf die eine Sache..."

Er presste die Lippen zusammen. Wir schwiegen uns an. Ich wartete ungeduldig. War das schon alles oder kam da noch etwas? Wieder schweigen. Ich seufzte.

"Und was ist mit der Finsternis?"

Er drehte den Kopf so schnell, dass es knackte. Er legte eine Hand an den Nacken und rieb ihn.

"Was meinst du? Was soll damit sein?"

Ich schüttelte den Kopf. War er etwa so begriffsstutzig oder tat er nur so? Ich zwang mich ruhig zu bleiben.

"Kevin - er hat gesagt, dass du - schuld an der Finsternis - bist. Kapiert!?"

"Das stimmt nicht. Ich weiß, dass es schwer ist, mir einfach zu glauben. Und ich weiß auch, dass alles gegen mich spricht. Aber bitte, du musst mir glauben!"

Unwillkürlich runzelte ich die Stirn. Was sollte ich jetzt tun?

"Eigentlich sollte ich dir auf ewig böse sein und dir nie wieder ein Wort glauben. Ehrlich gesagt weiß ich nicht wieso, aber ich glaube dir."

Ich sah aus dem Fenster. Die Tür öffnete sich und Kevin stand da.

"Wenn ihr euch eventuell vielleicht mal dazu herablassen würdet, zum Essen zu kommen."

Schon war er wieder verschwunden. Ich ließ den Kopf hängen.

"Wie auch immer. Lass uns gehen."

Er stand umständlich auf und schien dabei große Schmerzen zu haben. Ich wollte ihm schon meine Hilfe anbieten, doch da fiel mir wieder ein, dass er mich belogen hatte. Ich wartete darauf, dass er bei mir in der Tür stand. Er legte mir die Hand auf die Schulter.

"Sorry, das Bein tut ziemlich weh. Und die Seite hat's auch in sich."

Bedrückendes Schweigen.

"Kann ich mich auf dich stützen?"

Das hatte ich nicht erwartet. Ich wurde ein bisschen rot.

"Ja, kein Problem."

Wie ärgerlich! Warum werde ich jetzt rot? Mist! Er stützte sich tatsächlich auf mich und ich fiel erst einmal gegen die Tür. Es war wohl etwas anderes, jemanden auf dem Rücken zu tragen oder jemanden zu stützen. So humpelten wir beide mehr oder weniger in die Küche. Kevins Lippen wurden schmal. Moritz ließ sich auf einen Stuhl fallen. Ich setzte mich ebenfalls hin. Die Hühnchensuppe schmeckte sehr gut und der Braten war auch ganz annehmbar. Aber ich war mit den Gedanken bei anderen Dingen. Wenn Moritz nicht der Schuldige war, wer dann? Und wieso dieser Verfall? Wer war verantwortlich dafür und wieso tat er so etwas? Lachen. Ich blickte verdutzt auf.

"Sie macht es schon wieder."

"Was? Was? Was?"

Was war los? Was hatte ich verpasst?

"Immer wenn sie nachdenkt, redet sie etwas vor sich hin und merkt das nicht einmal."

Ich ärgerte mich. Das war durchaus nicht komisch. Ich machte mich doch auch nicht über SEINE Schwächen lustig.

"Na, herzlichen Dank auch."

Ich stand auf und ging. Ich warf die schwere Tür so gut es ging zu und versuchte dabei möglichst viel Lärm zu machen. Der braucht gar nicht lachen! GRRRRRR! Da klopfte jemand an die Tür.

"Was?"

Langsam ging die Tür auf.

"WAS IST!?"

Moritz stand stramm.

"Bist du jetzt böse?"

Er sah mich an wie ein Hund, den man in den strömenden Regen hinaus geschickt hatte. Ich drehte meinen Kopf zur Seite.

"Sieh mich nicht so an."

Es entstand ein peinliches Schweigen. Wie peinlich! Als wären wir erst dreizehn Jahre alt. In diesem Fall werde ich einfach meine übliche Taktik anwenden. Ich begann hysterisch zu lachen. Er sah mich an, als hätte er einen Geist gesehen.

"Ich schätze mal, das heißt, du bist mir nicht mehr böse."

Ich wollte ihm eine gehörige Standpauke halten, dass echt nicht toll gewesen war, was er gemacht hat. Denn wenn jeder das machen würde was er will und niemand auf die Anderen Rücksicht nehmen würde, würde die ganze Welt in Chaos versinken. Die alte Leier. Aber, wie sollte es auch anders sein, ich kam nicht mehr dazu. Die Seitenwand, die nach draußen führte, stürzte ein. Draußen stand Anemone. Ich war leicht verstört. Sie spannte einen Pfeil in ihren Bogen ein und zielte auf Moritz. Sie hielt ihren Blick immer auf ihn geheftet.

"Geh weg von ihm! Er ist gefährlich!"

"Was!?"

Meine Stimme überschlug ich. Das konnte doch nicht wahr sein. Waren jetzt alle verrückt geworden?

"Ich sage es nicht noch einmal. Geh weg. Ich soll ihn beseitigen."

Ich ging langsam zu Moritz und stellte mich vor ihn. Das wollten wir ja erst einmal sehen.

"Ich denke doch nicht mal dran. Bevor du ihn tötest musst du mich erst töten. Was soll das alles? Ich dachte, er ist euer Gott!"

Moritz blieb die Sprache weg.

"Also, hallo? Hört mir mal einer zu? Was tut ihr da eigentlich? Geht es hier nicht um mich? Penelope, jetzt mal im ernst: Ich bin alt genug und kann auf mich selbst aufpassen?"

Verblüfft sah ich ihn an. Er hatte Recht! Er hatte Recht! Nun gut! Ich hatte bestimmt übertrieben. Ich entspannte meine Haltung und trat einen Schritt zur Seite.

"Anemone, jetzt sei doch vernünftig! Das lässt sich doch sicher..."

"Sei still! Wenn du irgendetwas erklärt haben willst, dann frag doch ihn!"

Sie machte eine Kopfbewegung zur Tür. Dort stand Kevin, der bösartig grinste.

"Was? Hast du etwa unsere Abmachung vergessen? Du hast..."

"...versprochen ihm nichts zu tun. Das stimmt. Aber ich habe nicht versprochen, dass jemand anderes ihm etwas tut. Ich will dich nicht verletzen und ich habe nichts gegen dich persönlich, aber ich will ihn fort haben."

Er verschränkte die Arme vor der Brust und sein Grinsen wich dem Blick eines Mörders.

"Und das um jeden Preis."

Anemone schoss ihren Pfeil ab. Er traf Moritz' linke Seite, dort wo das Herz lag.

"Nein!"

Ich stürzte nach vorne. Kevin sprang in meine Richtung, drehte mir den Arm nach hinten und bedeutete Anemone mit einer Kopfbewegung, sie solle gehen. Sie hob Moritz mühelos auf ihre Schulter, nachdem sie den Pfeil heraus gezogen hatte und drehte sich zu weggehen um.

"Ich dachte, wir wären befreundet!"

Dieser Satz schien von den Wänden widerzuhallen. Anemone blieb stehen und blickte einen Moment lang ins Nichts. Dann drehte sie langsam ihren Kopf in meine Richtung, ein schwaches Lächeln auf den Lippen.

"Ich will dir nur helfen. Glaub mir, es ist nur zu deinem Besten."

Moritz stöhnte leise. Er war also noch am Leben. Es trat sehr viel Blut aus der Wunde, die Anemones Pfeil verursacht hatte. Mit einem leisen, tropfenden Geräusch landete es auf dem Boden. Er bewegte sich nicht und seine Lippen sahen sehr blass aus. Anemones Gesichtsausdruck verfinsterte sich mit einem Mal. Sie drehte sich um und ging davon. Ich hörte noch lange Zeit auf ihre immer leiser werdenden Schritte. Auch als sie nicht mehr zu hören waren, bewegte ich mich nicht. Langsam lockerte Kevin seinen Griff. Ich stand da und starrte blicklos in die Finsternis. Kurz kam mir der Gedanke, wer wohl die Wand reparieren würde. Doch ich verfiel wieder in diese unheimliche Gedankenlosigkeit.

"Ist alles in Ordnung?"

Kevins Stimme holte mich in die Realität zurück. Erst jetzt begriff sie langsam, was geschehen war. Anemone hatte Moritz mitgenommen. Sie hatte gesagt, sie soll ihn beseitigen. Was sie damit meinte war klar. Ich musste ihn dort raus holen, bevor sie ihn umbrachten. Aber wenn sie ihn töteten, starb er dann wirklich? Man durfte nicht vergessen, sie war hier nicht in ihrer Welt. Wäre es vielleicht sogar so, dass Moritz einfach in unsere Welt zurück befördert werden würde, wenn sie ihn töteten? Hatte ich dafür eine Garantie? Langsam drehte ich mich um. Gewohnheitsmäßig verließ ich das Haus durch die Eingangstür, obwohl das ja nicht mehr nötig gewesen wäre. Warum passierte so etwas und was verband mich so sehr mit Moritz. Ich lief zum Fluss. Ich setzte mich ins Gras und streckte die Füße ins Wasser nachdem ich Schuhe und Socken ausgezogen hatte. Ich war in Gedanken versunken. Ich war bestimmt schon eine Stunde dagesessen und hatte nur vor mich hingestarrt. Meine Füße waren mittlerweile taub und ich spürte sie nicht mehr. Das Knacken eines zerbrechenden Astes aus dem Wald mir gegenüber ließ mich hochschrecken. Was war los? Lachte da etwa jemand? Ich vernahm Schritte, die immer näher kamen. Das waren zweifelsfrei die Schritte eines Mannes. Ich richtete mich auf.

"Wer ist da?"

Stille. Ich wiederholte mich. Dieses Mal jedoch lauter, doch es war nichts zu hören, außer meinem eigenen Atem. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Dort war eindeutig jemand. Wenn er wieder gegangen wäre, hätte ich es gehört. Ich ließ die Stelle, von der die Geräusche gekommen waren nicht aus den Augen. Langsam setzte ich mich hin und zog Schuhe und Socken wieder an. Wer da auch immer sein mochte, wollte nicht, dass ich ihn entdecke. Ein kurzes Rascheln verriet mir, dass sich die Person bewegte. Mit einem Satz war ich über dem Fluss und nur noch wenige Schritte trennten mich vom Waldstück. Warum hatte ich keine Waffe mitgenommen? Ich ärgerte mich. Nicht einmal meinen Zauberstab hatte ich dabei. Ich musste wohl mit meiner Muskelkraft vorlieb nehmen. Hoffentlich würde diese ausreichen. Ich hatte immer noch nicht die geringste Ahnung, wer oder was im Dunkeln auf mich warten würde. Langsam trat ich näher an den Wald heran. Es war ein Wunder, dass mich meine Beine überhaupt trugen, solche Angst empfand ich. Ein erneutes Rascheln. Ich drehte meinen Kopf in die Richtung aus der es gekommen war. Ich lief jetzt schräg nach links. Mein Herz pochte so sehr, dass ich Angst hatte, es würde mir aus dem Körper springen. Ich blieb kurz vor dem Waldstück stehen. Ich glaubte etwas darin ausmachen zu können. Noch ein kurzes Rascheln, genau vor mir. Ich kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Ich erkennte etwas, doch ich konnte es noch nicht identifizieren. Ich strengte meine Phantasie an. Jetzt erkannte ich plötzlich die Gesichtszüge. Sie waren sehr männlich. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Finsternis und ich konnte nun seine ganze Gestalt zu erkennen. Fast schulterlange, schwarze Haare, zwischen einen Meter achtzig und einen Meter fünfundachtzig und grünblaue Augen zum Verlieben. Moritz? Meine Augen leuchteten auf und mein Herz tat einen Sprung. Er trug einen schwarzen Umhang, sodass ich nicht sehen konnte, was er trug. Ich streckte meine Hand aus, um ganz sicher zu gehen, dass er es war. Er wich ein Stück zurück.

"Mo- Moritz?"

Verblüfft riss er seine Augen auf. Hatte er etwa geglaubt, ich würde ihn nicht erkennten? Ich tat einen Schritt in den Wald. Er drehte sich um und lief los. Was? Warum lief er vor mir weg. War ich zu aufdringlich gewesen, als ich ihn vor Anemone beschützen wollte? Ich nahm sofort die Verfolgung auf. Ich lief so schnell ich konnte, doch er schien sich immer weiter von mir zu entfernen. Die Äste fügten meinen Armen kleine Schnittwunden zu und ich musste aufpassen, dass ich mir kein Auge ausstach. Ich sprang über einen umgefallenen Baumstamm. Ich verschnellerte mein Tempo. Ich sah seinen Umhang wehen. Ich blieb an einer Baumwurzel hängen und fiel nach hinten. Der Boden unter mir war locker geworden. Zuerst rutschte nur ein Bisschen Erde nach unten und ich entdeckte, dass ich am Rand einer kleinen Schlucht lag. Jetzt nur keine falsche Bewegung, sonst würde ich hinunterfallen. Doch es war vergebens. Ich versuchte mich noch zur Seite zu rollen, doch die Rutschpartie hatte bereits begonnen. Der Baum neben mir fiel ebenfalls hinunter. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, deshalb hielt ich mir den Kopf, in der Hoffnung, dass der Baum mich nicht treffen würde. Hart schlug ich auf dem Boden auf. Der Baum landete mehrere Meter von mir entfernt mit einem dumpfen Geräusch. Die Erde zitterte leicht. Danach war alles still. Ich blieb liegen. Der Schmerz, der durch meinen Arm fuhr war so schrecklich, dass mir die Augen tränten. Wahrscheinlich war er gebrochen.

"Moritz, du Arsch!"

Meine Stimme war kaum mehr als ein flüstern und hin und wieder entrang sich ein Schluchzer meiner Kehle. Warum ließ er mich hier einfach liegen? Wieso war er vor mir weggelaufen? Ich wurde wütend. Ich rollte mich auf die Seite und stemmte mich mit dem gesunden Arm nach oben. Ich fasste mir an den linken Arm. Er schmerzte genau so schlimm wie zuvor. Ich bekam Kopfschmerzen. Wieso tat er so etwas? Ich sah mich um, doch ich konnte nicht viel erkennen. Ich wünschte mir, dass ich heil aus dieser Grube heraus käme. Wieder fühlte ich eine fremde Macht in meinem Körper. Sie versuchte, die Gewalt über meine Gedanken zu erlangen. Anfangs wehrte ich mich, doch meine Kopfschmerzen wurden unerträglich und der Arm schmerzte ebenfalls. Ein leises Heulen drang aus meiner Kehle, das immer lauter wurde.

Dieses warme Gefühl auf meiner Haut muss wohl die Sonne sein. Die Vögel sangen. Langsam öffnete ich die Augen. Ich lag im Zimmer in Kevins Hütte. Die Wand war repariert. Hatte ich das etwa alles nur geträumt? Kevin betrat fast wie auf Befehl das Zimmer. Er lächelte mich an.

"Und, wie fühlst du dich?"

Ich bewegte meinen linken Arm, der vollkommen gesund war.

"Was ist passiert?"

Ich war verwirrt. Wie war ich hierher gekommen? Ich schloss die Augen und legte den Arm darauf.

"Das hätte ich gerne von dir gewusst."

Kevins Stimme klang in meinen Ohren nach.

"Ich habe Moritz gesehen."

Er schwieg.

"Das kann wohl kaum sein. Er ist im Gefängnis der nächsten Stadt und soll heute hingerichtet werden."

Ich richtete mich ruckartig auf und starrte ihm ungläubig ins Gesicht.

"Was? Wieso?"

"Die Leute wollen den Verantwortlichen für die Finsternis tot sehen. Sie glauben, dass alles so wie früher wird, sobald er tot ist."

"Töten? Das wird niemals geschehen!"

Ich war aus dem Bett aufgesprungen und in meine Turnschuhe geschlüpft.

"Warum bist du auf seiner Seite? Wieso verteidigst du ihn so sehr? Was liegt dir an seinem Leben? Er hat dich doch bisher nur belogen."

Ich lächelte schwach.

"Das weiß ich selbst nicht. Ich weiß nur, dass ich ihm helfen muss und helfen will. Ich möchte ihn nicht verlieren."

Mit diesen Worten verließ ich das Haus. Ich rief mein Einhorn und ritt sofort in halsbrecherischem Tempo zur nächsten Stadt. Sobald ich sie betrat, sah ich den großen Scheiterhaufen. Meine Angst wurde größer. Doch ich beruhigte mich mit der Tatsache, dass der Scheiterhaufen nicht verbannt aussah. Er muss also noch am Leben sein. Ich packte einen Stadtbewohner, der gerade an mir vorbei lief und schüttelte ihn kräftig durch.

"Wo ist euer Gefängnis? Sag es mir auf der Stelle, oder ich bring dich um!"

Er sah mich verstört und verängstigt an.

"Sie stehen direkt daneben."

Ich blickte zur Seite. Mit hysterischem Lachen ließ ich ihn los. Er fiel auf die Knie, stand aber sofort auf und lief panisch davon.

"Hey! Kssssssssssss!"

Ich folgte dem Zischen und entdeckte Moritz an einem vergitterten Fenster.

"Na, endlich! Ich dachte schon, du lässt mich im Stich. Kannst du mich hier raus holen?"

"Ich werde dir nicht beim Ausbrechen helfen, falls du das meinst. Aber dafür habe ich einen anderen Plan. Wer hat hier das Sagen?"

Wir sprachen nur im Flüsterton.

"Na, wer wohl, Anemone!"

"Und wo ist sie jetzt?"

"Vor meiner Zelle. Sie passt auf, dass ich nicht verschwinde. Sie ahnt wohl, dass ich Schlösser knacken kann."

Ich hob die Brauen.

"Was hast du vor?"

"Das wirst du gleich sehen."

Ich ging nach vorne zum Eingang und betrat das Gefängnis. Mir schlug ein modriger Geruch entgegen, der gemischt war mit einem leichten Geruch von Urin. Mir wurde etwas übel, doch ich ging zu Anemone. Sie würdigte mich kaum eines Blickes.

"Na, wie geht's?"

Ich startete einen Annäherungsversuch, doch es gab keine Reaktion.

"Weißt du, ich habe einen Vorschlag. Wie wäre es, wenn du Moritz frei lässt und ich mit ihm seine Unschuld beweise?"

Sie sah mich herablassend von oben an.

"Ich weiß doch, was du vorhast. Du willst mit ihm in deine Welt verschwinden und uns mit der Finsternis alleine lassen. Dir kann es ja egal sein, was mit unserer Welt passiert."

"Das stimmt nicht! Ich will den wahren Schuldigen finden. Moritz hat damit nichts zu tun!"

"Nun gut. Lass uns eine Vereinbarung treffen. Du gehst jetzt raus und falls du es fertig bringst, die Menge dort zu überzeugen, Moritz' Hinrichtung zu verschieben, werde ich mit euch kommen und euch beaufsichtigen, dass ihr nicht einfach verschwindet."

Das war ein Kompromiss, doch ich traute keiner Vereinbarung mehr. Ich machte mich bereit, mit Moritz einfach weg zu laufen, falls sie ihr Versprechen nicht halten würde. Ich trat nach draußen und stellte mir eine Kiste als Rednerbühne hin. Ich stieg darauf. Einige Leute blickten mich interessiert an. Ich räusperte mich, bevor ich zu reden begann.

"Bitte, hört mir jetzt alle zu! Es geht um die Hinrichtung von Moritz!"

Sofort ging ein Raunen durch die Menge.

"Ich möchte um seine Freilassung bitten. Ich bin mir sicher, dass er unschuldig ist."

Das Ende des Satzes war nicht mehr zu hören, denn die Menschen hatten begonnen, empört zu rufen und zu buhen. Ich erhob meine Stimme und versuchte, so laut wie möglich zu sprechen.

"Ich bin mir sicher, dass er unschuldig ist!"

Aus der Masse rief jemand:

"Und was macht dich da so sicher!"

Ich überlegte. Schon wieder diese Frage, die ich nicht beantworten konnte. Ich blickte mich um, sah die grünen Bäume an, die Einhörner, die mit ihren Hufen scharrten. Die Natur war einfach wundervoll. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich war mir zwar nicht sicher, ob ich mit meiner Vermutung richtig lag, doch wenn ich sicher genug klang, würden sie mir vielleicht glauben.

"Seitdem ihr ihn festgenommen habt, ist das tote Gebiet noch größer geworden?"

Zustimmendes Flüstern.

"Hat es begonnen, sich hier auszubreiten?"

Einige schüttelten den Kopf. Der Rest blickte mich skeptisch an.

"Wenn Moritz der Schuldige sein soll, wieso hat sich die Finsternis nicht hier begonnen auszudehnen? Und wieso breitet sie sich vom Schloss aus weiterhin aus? Wenn ihr Moritz mit mir gehen lasst, verspreche ich euch, dass wir in sieben Tagen den Schuldigen gefunden haben. Wenn nicht, werde ich Moritz zurück bringen und ihr könnt ihn hinrichten."

Einige klatschten. Ich kam mir vor wie bei der Bundestagswahl. Moritz, den man aus seiner Zelle geholt und neben mich gestellt hatte, sah mich entsetzt an.

"Außerdem wird Anemone uns begleiten und darauf achten, dass wir nicht einfach verschwinden."

Ich hörte zustimmendes Gemurmel.

"Wer jetzt die Erlaubnis gibt, dass wir den wahren Schuldigen innerhalb von sieben Tagen finden, soll bitte die Hand heben!"

Ich wartete und wollte schon aufgeben, als sich keiner meldete. Dennoch begannen Leute langsam, aber trotzdem zögernd die Hand zu heben. Letztendlich hatte jeder die Hand gehoben. Ich atmete erleichtert auf und schenkte Anemone ein Siegerlächeln, doch sie blickte nur mürrisch zurück. Die Leute begannen, mir zu applaudieren. Mit stolz geschwellter Brust verlangte ich, dass sie Moritz' Fesseln lösten. Dieser rieb sich die Handgelenke, die rote Striemen hatten.

"Ich kann nur hoffen, dass wir den Schuldigen auch tatsächlich finden werden. Sonst bin ich mal gewesen", raunte mir Moritz zu.

Wir stiegen von der Kiste und machten uns auf den Weg zu den Stallungen. Bis ich und Anemone auf unseren Einhörnern saßen, war auch schon Moritz' schwarzes angekommen und er schwang sich auf.

"Lasst uns Losreiten."

Ich drehte mich um und sah Kevin, der ebenfalls auf einem Einhorn saß. Dann waren wir wohl komplett. Wir gaben den Einhörnern die Sporen und ritten so schnell wie der Wind auf das tote Gebiet zu. Die Einhörner wurden niemals müde, oder verlangsamten ihr Tempo. Keiner von uns wollte unnötig Zeit verlieren. Ich bekam feuchte Hände. Ich hatte zwar mit zwölf Jahren einmal eine Reitschule besucht, hatte jedoch nicht viel davon behalten und so fürchtete ich, dass ich abstürzen würde. Ich begann schon zur Seite zu rutschen. Auf einmal spürte ich eine Hand auf meinem Rücken, die mich stützte und mich wieder richtig hinsetzte. Ich blickte zu Moritz. Einmal mehr nahmen mich seine wunderschönen grün-blauen Augen gefangen. Er lächelte mich an. Mit geröteten Wangen zwang ich mich, meinen Blick nach vorne zu richten. Das tote Gebiet kam in Sichtweite. Mich verwunderte, dass man den Sturm nicht schon mehrere Kilometer davor bereits wüten hörte. Wir ritten über blanke, vertrocknete Erde, unter den dunklen schwarzen Wolken durch und über vertrocknetes, gelb gewordenes Gras. Wir verlangsamten unsere Geschwindigkeit. Ich lockerte den verkrampften Griff meiner fiebrigen Hände. Ich nahm eine entspannte Haltung ein. Anemone ritt uns voraus. Moritz holte mich ein und unsere Einhörner ritten nebeneinander her.

"Bist du in Ordnung?"

Ich nickte, vermied es aber ihn anzusehen. Anemone hielt an und stieg ab.

"Hier werden wir schlafen. Na los! Worauf wartet ihr?"

Moritz stieg ab, nahm mich an den Hüften und hob mich aus dem Sattel. Ich sah ihn verwirrt an.

"Das wäre nicht nötig gewesen." Ich drehte mich um und lief zu Kevin, der jetzt neben Anemone stand. Er war ebenfalls mitgekommen. Kevin hatte vier Schlafsäcke bei sich, die er in diesem Moment ausrollte. Ich hoffte nur, dass Moritz mein krebsrotes Gesicht nicht gesehen hatte. Ich schlüpfte gleich in einen Poofbeutel und tat so als würde ich bereits schlafen. Die anderen Drei unterhielten sich noch eine Weile, bis sie beschlossen auch schlafen zu gegen. Anemone und Kevin hatten Moritz bestimmt schon über zwanzig Mal gefragt, ob er wirklich nichts mit dem Verfall zu tun hatte. Er hatte jedes Mal verneint. Ich an seiner Stelle hätte genau das Selbe getan. Endlich beschlossen sie, schlafen zu gehen. Ich hörte die Schlafsäcke rascheln. Eine Weile war es still. Ich konnte nicht einschlafen, doch ich ließ meine Augen geschlossen, denn ich hoffte, damit die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, endlich weg zu nicken. Ich hörte erneut einen Schlafsack rascheln. Es kam jemand von den Drei auf mich zu. Ich hielt mich kampfbereit. Die Person kniete sich hin und küsste meinen Mund. Ich hörte Moritz' Stimme ganz sicht an meinem Ohr.

"Gute Nacht und träum was schönes, mein Liebling."

Danach stand er auf und legte sich zurück. Ich wagte es kaum mich zu bewegen. Ich öffnete die Augen und blickte gerade aus auf die vertrockneten, kahlen Büsche und die restlichen kleinen Hälmchen Gras an, die noch übrig geblieben waren. Ich schlief anscheinend außen. Ich kuschelte mich tiefer in meinen Schlafsack hinein, denn der Wind, der hier wehte war so kalt, dass einem die Knochen im Leib gefroren. Ich blickte mich nach hinten um. Dort lag Anemone, die im Schlaf die Lippen bewegte. Kevin lag schnarchend da. Moritz konnte ich nicht sehen, denn er schlief ganz außen. Ich drehte meinen Kopf nach vorne und blickte ein Paar Stiefel an. Ich sah nach oben. Dort stand er wieder. Doch das war tatsächlich nicht Moritz. Einerseits schleif dieser und andererseits hatte dieser Mann längere Haare. Ich krabbelte aus dem Schlafsack und richtete mich auf. Ich drehte mich um und sah, dass in Moritz' Schlafsack niemand lag. Ich blickte zu dem Mann auf.

"Wer sind sie?"

Der sah mich jedoch nur mit einem Ausdruck in den Augen an, der mich beunruhigte. Plötzlich drehte er sich um und ging. Dieses Mal werde ich ihm nicht folgen. Ich legte mich wieder hin. Wer war dieser Mensch und wo war Moritz? Über diesen Fragen schlief ich letztendlich ein.

Jemand schüttelte mich heftig. Widerwillig öffnete ich die Augen. Kevin sah mich von oben herab an.

"Na, endlich! Ich schüttele dich schon seit zehn Minuten. Ich hatte schon Angst, du hättest eine Gehirnerschütterung vor lauter rütteln."

Ich runzelte die Stirn.

"Du siehst blass aus. Anemone gibt dir etwas zu trinken."

Ich stand auf und ging zu Anemone, die sich gerade mit Moritz unterhielt. Ich tippte ihr auf die Schulter. Sie drehte sich um und sah mich fragend an.

"Ich möchte gerne etwas trinken."

Sie nickte verständnisvoll und reichte mir ihre Feldflasche. Sie drehte sich sofort wieder zu Moritz und redete weiter auf ihn ein.

"Nur damit wir uns richtig verstehen, ich verbiete dir, dich jemals wieder vom Lager zu entfernen während wir schlafen. Falls du das jemals wieder tun solltest, werde ich die töten. Hast du verstanden?"

"Ich habe es dir erklärt, aber wenn du meine Erklärung nicht annimmst, dann kann ich nichts machen. Ich beuge mich deiner Entscheidung."

Moritz funkelte Anemone böse an. Sie drehte sich um und rief mir ins Ohr:

"Wir reiten weiter!"

Ich war froh, dass ich danach noch etwas hören konnte. Wir ritten diesmal etwas gemütlicher als vor unserer Pause. Als wir uns dem Schloss näherten, hörten wir ein tiefes raunen. Als wir an den Mauern angekommen waren, erkannten wir, was so einen großen Lärm machte: Onirodim. Wir stiegen ab, um ihn zu betrachten. Ich erinnerte mich an unsere letzte Begegnung und verzichtete darauf, ihn zu rufen. Die Erde zitterte leicht unter seinem Schnarchen. Er legte seinen Kopf auf die andere Seite. Da erkannte ich an seinem Hals ein Halsband, das mit großen Diamanten besetzt war. Kevin stieß mich so heftig in die Seite, dass ich beinahe umfiel. Ich wollte ihn gerade anschreien, als ich bemerkte, dass er fasziniert nach vorne sah. Moritz tat das Selbe. Ich richtete meine Aufmerksamkeit ebenfalls nach vorne und da sah ich etwas Unglaubliches. Das Schloss war wieder komplett aufgebaut und hatte nicht den geringsten Schaden. Das war mir unbegreiflich. Meine Kinnlade klappte runter. Ein verärgertes Schnauben verriet mir, dass Onirodim aufgewacht sein musste. Ich zwang mich, mich langsam zu ihm umzudrehen, obwohl ich am liebsten panisch schreiend davon gelaufen wäre. Er sah uns mit funkelnden, roten Augen an. Und als er sich langsam und elegant zu seiner vollen Größe aufrichtete, rutschte mir das Herz in die Hose. Das musste ein Alptraum sein!



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