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Ich bereue nichts...

von

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Wenn ich daran denke, ich meine, jetzt und hier, waren meine Handlungen vielleicht doch nicht so falsch. Ich hätte hier und da einige Feinheiten ändern und wahrscheinlich etwas früher die Beherrschung verlieren können, aber ansonsten bin ich recht zufrieden. Ich stehe nun mitten auf dem großen Platz. Gewehre sind auf mich gerichtet und ich weiß, dass ich sterben werde. Allerdings habe ich keine Angst davor. Warum auch? Ich habe alles getan, was ein Leben lebenswert macht. Ich war frei, unabhängig geboren, hatte mich verliebt, war rebellisch geworden, dann berühmt und reich, war der Verschwendung verfallen und hatte wieder geliebt ohne Grenzen. Nun mit Mitte dreißig kann ich sagen, ich habe alles was ein Leben braucht, das Einzige was fehlt ist wohl Zeit. Aber braucht man die wirklich? Braucht man Zeit um sagen zu können, ich habe alles? Nein, mir fehlt sie nicht im Geringsten. Das Beste daran ist, dass ich auch noch mit dem Aussehen ewiger Jugend sterbe. Ich werde in den Köpfen der Menschen nie alt sein. Ich sehe immer noch gut aus, stehe aufrecht und stolz hier, mitten auf dem Platz. Alle starren mich an. Alle, ausnahmslos. Sogar er. Er steht oben, hinter der Glasscheibe im 16ten Stock. Ich sehe ihn nicht, aber ich weiß, dass er dort ist. Ich weiß auch, dass er weint. Tausende von kleinen salzigen Perlen rinnen jetzt in diesem Moment seine Wangen hinab. Auch wenn viele weinen, in unmittelbarer Nähe Milliarden von Tränen vergießen, die ich sehe, so bin ich mir nur seiner, die ich nicht sehe, bewusst. Wie sie das sonst so reine Grün trüben, es verschleiert wirken lassen. Ich habe ihn nie weinen sehen und doch weiß ich wie er aussieht, ich habe es genau vor Augen. Die Wangen vom ewigen Wegwischen gerötet, wahrscheinlich brennen sie schon, wenn die salzige Flüssigkeit über sie läuft. Aber zumindest ziept es, weil die trockengewordene Flüssigkeit leicht klebt. Die rechte Hand, sofern er sie nicht braucht um den Strom der Tränen zu tilgen, gegen das Glas gedrückt, flach und alle Finger angespannt, die Linke als Faust auf das schnellpochende Herzchen gelegt. Die Lippen sind gespalten, er schluchzt leise, fast unhörbar, aber hier unten, direkt auf dem großen Platz, zwischen Tausenden von Menschen, die alle durcheinander schreien, schluchzen, schimpfen, lachen, weinen, fluchen, jubeln, doch ich höre sie nicht, nur sein leises, kaum merkliches Schluchzen. Ich habe es noch nie gehört, dennoch weiß ich wie es klingt. So klar und rein wie kleine Winterglöckchen. Durchbrochen vom säuselnden Heulen des Windes, sein Keuchen, sein Luftholen, das sie nur noch reiner, klarer klingeln lässt. All das perlt von den blaßrosa Lippen wie auch die Tränen. Immer wieder leckt er sie mit der Zunge weg, schmeckt den salzigen Hauch. Der sonst so stolze und aufrechte Körper ist leicht gebeugt, schüttelt sich vor Schmerz und Enttäuschung.

Ich schließe die Augen, lecke mir selbst über die trockenen Lippen. Ich werde nicht weinen. Nicht jetzt. Ich habe so oft geweint, hemmungslos und ohne jede Zurückhaltung. Diesmal wird er für mich weinen. Ich weiß es. Nun nimmt er den Hörer, seine Finger zittern ich weiß es, ich sehe es. Langsam wählt er die Nummer. Doch er verwählt sich, der Strom der Tränen nimmt zu verschleiert seine Sicht. Das erste Mal in seinem Leben verliert er seine Beherrschung, flucht. Tippt erneut die Nummer ein und wieder ist sie falsch. Ein drittes Mal tippt er zitternd mit geschlossenen Augen die Nummer, sie ist richtig. Die Tränen perlen ein letztes Mal leise von seinem Kinn auf den Boden, ein dunkler Fleck bildet sich auf dem hellen Teppich. Seine Stimme ist klar, wie eh und je und obwohl ich sie nicht höre, weiß ich wie sie klingt, so habe ich sie tausend Mal erlebt, so hat er mit mir gesprochen, so hat er ,Ich liebe dich' gesagt, so sagt er heute ,tötet ihn'. Ich schließe die Augen, ich habe alles erreicht was man erreichen kann, nur habe ich nicht die Zeit um mit dir alt zu werden.

Nun höre ich eine andere Stimme, eine fremde Stimme.

"Tötet ihn!"



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2005-01-22T19:35:28+00:00 22.01.2005 20:35
*überleg* hmm. was kann man da sagen? es ist großartig.
Es muss geil sein, zu sterben ohne etwas zu bereuen. Ich finde du hast diesen Augenblick großartig beschrieben, hab mich richtig in ihn und in das Geschehen reinversetzen können.

safira


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