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Weihnachtsgeschichtensammlung 2004

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Mein Lied

Mein Lied

(von Ernestine Weckend)
 

Ich habe dich noch nie so gesehen. Deine Haare fallen dir wirr ins Gesicht und du atmest schwer. Ich habe gar nicht bemerkt, wie du mir hinterher gerannt bist. Erst als du mich am Arm berührt hast, bin ich aus meiner Trance erwachst.

Jetzt stehst du hier vor mir. Vollkommen außer Atem und dennoch lächelst du mich an. Ich frage mich warum du mir gefolgt bist. Müsstest du jetzt nicht bei deinem Klavier sitzen und ihm die schönsten Töne entlocken, anstatt eigentlich fremden Menschen hinterher zu rennen? Vielleicht bin ich dir aber auch gar nicht so fremd, wie ich denke.

"Danke.", erschrocken höre ich deine sanfte Stimme und sehe auf. Irgendwie merkwürdig... wir haben noch nie miteinander gesprochen. Obwohl ich dich doch schon seit Monaten kenne.
 

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Gähnend laufe ich durch den spärlich beleuchteten Flur unserer Schule. Meine AG ist zu Ende und eigentlich will ich nur noch nach Hause. Langsam schließe ich den Reißverschluss meiner dünnen Strickjacke und fahre mir durch meine kurzen, wuschligen Haare. Irgendwie bin ich ziemlich müde obwohl es erst 19 Uhr ist und ich gewöhnlich frühestens 23 Uhr ins Bett gehe. Vielleicht bin ich einfach schon in meine Winterschlafphase gekommen. Obwohl es ja eigentlich erst September ist.

Meine Schritte stocken am Musikraum. Wundernd sehe ich zu Tür. Mir ist noch nie vorher aufgefallen, dass jemand um die Uhrzeit Klavier spielt. Immerhin komme ich hier jede Woche um dieselbe Uhrzeit vorbei.

Meine Neugier siegt und so öffne ich leise die Tür. Ich wollte nur kurz einen Blick hineinwerfen, aber dein Anblick hält mich sofort gefangen. Mit geschlossenen Augen sitzt du am Klavier und spielst ,Für Elise'. Du scheinst vollkommen verschmolzen mit den Tönen und bevor ich merke was ich tue, sitze ich auch schon auf einem Tisch und höre zu. Eigentlich bin ich kein Mensch, der so etwas macht, aber irgendetwas hält mich magisch gefangen. Leise seufze ich und schließe die Augen. Es ist schön so.

Irgendwann endete das Klavierstück und ich öffne vorsichtig die Augen, sehe deinen fragenden Blick auf mir. Ich will schon was sagen, kann es aber nicht. Entschuldigend sehe ich dich an und will gehen.

Leise beginnst du wieder zu spielen und ich bleibe stehen. Ich weiß nicht was du spielst, aber wieder kommt fängt mich deine Musik ein und ich will nicht gehen.

Vorsichtig sehe ich zu dir und merke wie du sofort den Blick abwendest. Hast du mich beobachtet? Ich muss leicht lächeln und setzte mich wieder hin. Du sagst nichts, scheinst nichts dagegen zu haben, dass ich weiter zuhöre.

Und ich bleibe bis du aufstehst und deine Sachen zusammen packst. Meine Uhr zeigt mir ein 20.30 und entgeistert starre ich auf die Ziffern. Die Zeit scheint wie in Trance an mir vorbei gezogen und ich habe nicht bemerkt, wie spät es doch geworden ist.

Schnell renne ich aus der Tür und vergesse mich zu bedanken, aber der Gedanke an meine Eltern nimmt auf einmal alles ein. Sie machen sich immer so schnell Sorgen.
 

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Seit damals bin ich jedes Mal nach meiner AG im Musikraum geblieben und jedes Mal haben wir kein einziges Wort gewechselt. Ich wusste, dass du mich genauso beobachtest hast, wie ich dich im Geheimen.

Irgendwie habe ich mich seit dem, jeden Tag auf den Abend mit dir gefreut. Deine Musik nahm mich jedes Mal gefangen, genauso wie die Leidenschaft mit der du sie spielst.

Ich glaube es wurde zu einer stummen Liebe von meiner Seite und jedes Wort hätte den Bann gebrochen. Deswegen konnte ich mich niemals bedanken, obwohl ich es jedes Mal wollte.
 

Aus dem Spätsommer wurde Herbst, aus dem Herbst wurde Winter und die Weihnachtszeit rückte näher.

Zu der Zeit entdeckte ich auf einen Bummel über den Weihnachtsmarkt einen Händler für den Musikbedarf. Er hatte wunderschönes Notenpapier, das schon ziemlich alt aussah, und ich kaufte es. Ich wollte dir danken. Damit. Es war vielleicht nicht die originellste Idee, aber du liebtest doch die Musik und daher erschien es mir vollkommen richtig. Später fand ich sogar einen alten, passenden Füllfederhalter dazu und kaufte auch diesen. Bestimmt würdest du dich darüber freuen.
 

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An dem Tag war ich nervös wie noch nie. Die AG verging viel zu langsam und ich konzentrierte mich überhaupt nicht. Eigentlich wollte ich nur noch, dass es endlich 19 Uhr wurde und ich dir mein Geschenk geben konnte.

Diesmal würde ich nicht bleiben können. Meine Verwandten waren schon angereist und wir wollten mit mir zusammen Essen. Wieder glitt mein Blick zu meiner alten Armbanduhr.

Endlich war es soweit und ich stürmte aus den kleinen Raum in Richtung Musikzimmer. Vor der Tür blieb ich stehen und lauschte ob du schon angefangen hattest. Es war still.

Vorsichtig öffnete ich die Tür und sah dich am Klavier sitzen, die Hände auf den Tasten, dein Blick zu Tür. Ich lächelte dich an und ging zu dir. Es war das erste Mal, dass ich mich nicht gleich hinsetze und zuhörte. Zaghaft berührte ich kurz das dunkle Holz des Musikinstrumentes und du sahst mich verwundert über mein Verhalten an. Ich war doch noch nie so nah zu dir gekommen.

Sofort zog ich die Hand wieder zurück und holte lieber aus der Tasche das Geschenk für dich. Es war mehr schlecht als recht verpackt, aber ich hatte mir dennoch Mühe gegeben. Mit viel zu großer Eile halte ich es dir hin und werde leicht rot. "Fröhliche Weihnachten.", nuschele ich leise in meinen nicht vorhandenen Bart und du siehst mich perplex an.

Erst nach etlichen Sekunden hebst du die Hände um es anzunehmen, schaust es aber immer noch an als wäre es von einem anderen Planeten. Wahrscheinlich hast du nicht mit so etwas gerechnet. Eigentlich sollte ich jetzt gehen, aber ich warte bis du öffnest und es ungläubig ansiehst.

Wieder vergeht einige Zeit bis sich dein Blick zu mir hebt und du mich warm anlächelst. Ich nicke dir noch einmal zu und renne fast aus dem Raum. Irgendwie hat mich dein Lächeln furchtbar nervös gemacht und außerdem bin ich viel zu spät dran.

Völlig unvorsichtig stürme ich vom Schulhof und rutsche erstmal auf um hart auf meinen Hintern zu landen. Erst nach einigen Flüchen schaffe ich es wieder aufzustehen und werde mir wieder bewusst, wie spät ich doch dran bin. Schnell renne ich weiter, jedoch um einiges vorsichtiger jetzt.

Ich hatte gar nicht bemerkt wie du mir gefolgt bist, bis du mich sanft am Arm berührst und ich abrupt stehen bleiben...
 

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Wir stehen uns immer noch gegenüber und haben uns seit deinem ,Danke' nicht vom Fleck berührt, weder verbal noch nonverbal.

Ich weiß nicht was ich sagen soll, bin vollkommen überfordert mit der ganzen Situation.

"Kommst du nächstes Jahr wieder?", fragst du mich plötzlich.

Ich nicke. "Natürlich."

Wieder folgt Schweigen.

"Dann schreib ich bis dahin ein Lied für dich.", verlegen sieht er zu Seite und ich werde leicht rot.

"Das musst du nicht, aber ich würde mich furchtbar darüber freuen. Du spielst immer so schön.", gebe ich dann endlich von mir.

Dein Lächeln wird sogar noch breiter. "Dann bis nächstes Jahr."

"Ja...", meine ich nur und du drehst dich um zum Gehen.

Kurz bleibst du noch stehen und winkst mir zu, zögernd hebe ich die Hand um die Geste zu erwidern. Dann verschwindest du um die Ecke.

Und ich habe es wieder verdammt eilig weiter zu kommen. Aber umso mehr freue ich mich auf nächstes Jahr, wenn ich dich wieder sehen darf.

Wie es wohl klingt... mein Lied?
 

~Ende~



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