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Unverändert heiter

von

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Das ist vielleicht etwas ungewöhnlich, aber ich brauche ganz dringend Hilfe bei meiner Hausaufgabe in Deutsch. Am Freitag (10.12.) muss ich die nämlich abgeben, und eine schlechte Note kann ich mir nicht leisten... Schreibt mir bitte sogar die kleinste Kleinigkeit, die euch nicht gefällt, ok? Das ist mir wirklich wichtig.
 

ach ja, die wir mussten die nachfolgende Geschichte aus der Sicht eines Polizisten schreiben. Die ist allerdings... wie soll man das sagen... etwas seltsam -.-;
 

Ich hoffe, ihr haltet das durch ^.^
 

Naichi
 

"Unverändert heiter" von Jean Vautrin
 

Wo soll man anfangen?

Toufik Ouannès ist am 9. Juli gestorben. Hat hart in den Beton gebissen. Irgendein mieser Typ hat ihn aufs Korn genommen und abgeknallt. Aus dem Hinterhalt. In so einer Schlafstadt [1]. Mietskasernen. Hundertachtzig Fenster und jedes ein Rätsel.

Toufik war ein richtiger Glückspilz, von Kopf bis Fuß, mit seinen zehn Jahren. Ein Zugereister, Vorstadtbewohner, zweite Generation. Kein Mitleid mit den Deppen. Immer lustig mit seinen Kumpels. Und höflich zu seiner Mutter.

Es war neun Uhr abends, als er merkte, dass ihm jemand eine rote Nelke aufs Hemd gepflanzt hatte. Statt Blut ein aufblühender Schmerz- das Werk einer guten Fee. Es pisste. Seine Finger verkrampften sich. Er sagte: "Es tut weh."

Und er rannte los.
 

Die abendliche Hitze wurde immer schlimmer. Die Sozialbausiedlung schwamm in dreckiger Soße. Klebrig zwischen den Fingern.

Toufik rannte. Block A, Block C. Häuserblöcke, Buchstabe für Buchstabe. Viereckige Klötze. Wabenzellen, aus denen die Leute hervorschauen, wie die Wespen. Toufik rannte. Noch hatte er einen weiten Weg vor sich, bis in den Tod auf dem Zementfußboden.

Die Frauen aus dem "Viertausender" [2] sagten:

"Das musste ja so kommen!"
 

Wie ein Donnerschlag raste die Nachricht durch die Hausflure, bis in den letzten Winkel. Dazwischen Kommas aus Scheiße. Graffiti. Brahim lässt sich's von Lucette besorgen. Sogar Zorn; sogar Zerknirschung. Sogar die grassierende Angst. Überall sagte man immer wieder:

"Wir aus dem Maghreb, wir werden einfach abgeknallt!"
 

Toufik lag hingestreckt auf dem Betonboden. Um ihn herum die anderen Jungs: Farid und Béchir, N'Doula und Pierrot. Sogar der große King Domino. Es war wie damals, auf dem Bahnsteig, als die ganze Familie so getan hatte, als ob sie ans Meer fahren wollte. Toufik konnte sich genau erinnern: einen Haufen Kram hatten sie dabeigehabt. Den Teller fürs Tajine [3]. Die Badesachen und die Tennisschläger. Bloß das Geld für die Fahrkarten hatten sie nicht. Und jetzt war es genauso: die Typen waren alle da. Aber diesmal hatte Toufik das Gefühl, dass er wirklich abreisen würde. Die anderen würden dableiben, er nicht. Man merkte es daran, wie traurig sie alle waren.

Mein Gott, wie anstrengend! Vor allem die Augen; seine Augen noch mal aufzumachen, das wäre wirklich ein Akt gewesen!

Die Frauen aus dem "Viertausender" wiederholten unablässig:

"Das musste ja so kommen!"

Und dann, als Toufik gestorben war und wieder dreckige Dunkelheit herrschte, sagten die Frauen aus Algerien, aus Guadeloupe und aus dem Senegal immer wieder, das habe ja so kommen müssen.

Die Jüngeren meinten:

"Man muss ihnen ordentlich die Hölle heiß machen; man wird das Gewehr schon finden, aus dem geschossen worden ist."

Und sie sagten noch andere Dinge, die viel verzweifelter klangen.

"Früher waren es die Juden, die an allem schuld waren, heute sind die Araber dran!"

So redeten sie, und sie blieben dabei, dass der Schütze vielleicht ein Franzose gewesen sei.
 

Dann kam die Polizei. Blaue Blinklichter. Man verdrückte sich. Die SPDJ [4] aus Bobigny und die Jungs von der Kripo. Typen, wie aus einem Film, mit ihren Ray-Ban-Sonnenbrillen [5]. Ganz klar, welche Filmstars sie nachmachen wollten.

Die Leute aus der Vorstadt wussten gleich, was gespielt wird, sie meinten:

"Die werden den Täter doch nie fassen!"

Irgendwer aus der Menge wagte sogar die Behauptung:

"Denen ist das doch scheißegal!"

Die Jüngeren meinten:

"Die sechzig Appartementwohnungen muss man filzen, um das Schwein zu finden. Alle abkassieren!"

Die aus dem "Viertausender" sagten:

"Das werden sie nicht machen."

Und sie haben es auch nicht gemacht, weil ja nach 21 Uhr Hausdurchsuchungen nicht mehr erlaubt sind.

Ein Kommissar sagte:

"Das ist gegen das Gesetz."

Aber die Leute fragten:

"Wer missachtet hier das Gesetz, Bruder?"

Keine Antwort, es war schon viel zu dunkel.
 

Den Leuten am Ort fiel Toumi Djaidja ein, der in Les Miguettes [6] verletzt worden war, von Patrick Besnard, dem Hundeführer. Und die anderen: Algerier, Leute aus Mali und Martinique, die aufgemuckt hatten und dafür mit ihrem Leben bezahlen mussten. Vielleicht nicht mal deswegen: manchmal fingen sich Leute eine Kugel vom Dach, weil sie einfach gerade am falschen Ort waren. Den Polizisten passierte es dauernd, dass ihre Dienstwaffe versehentlich losging- sogar wenn sie in Zivil waren.

Die Frauen aus der Siedlung, auch die jungen Leute und die Männer hatten das Gefühl, dass Toufik wieder so ein Fall war, wo einer für nichts sterben musste. Dass sich sich nichts ändern wird. Und es gab das Gerücht, einer von den Diensthabenden im Kommissariat von La Courneuve habe gesagt:

"Ist doch bloß ein Kanake weniger!"

Also waren sie alle voller Hass.
 

[1]: Eine Schlafstadt ist eine Stadt ohne Geschäfte, in der nur geschlafen wird. Sie sind meistens rund um die großen Städte, weil es dort zwar viele Arbeitsplätze, aber nur sehr wenige und vor allem teure Wohnungen gibt.

[2]: Das ist ein riesiger Sozialbaukomplex mit (wie der Name schon sagt) viertausend Wohnungen in La Courneuve (Seine-Saint-Denis)

[3]: Fragt mich nicht, das ist irgendein Gericht aus Afrika.

[4]: Service Departement de la Police Judicaire (örtliche Abteilung der Kriminalpolizei)

[5]: Solche Sonnenbrillen werden oft von amerikanischen Krimihelden getragen.

[6]: Trabantenstadt mit Sozialwohnungen in Venissieux bei Lyon; Ende der 70er Jahre fanden dort gewaltsame Auseinandersetungen zwischen der Polizei und Jugendlichen statt
 

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"Unverändert heiter" aus der Sicht eines Polizisten
 

Die Fahrt war lang, schließlich war das Ziel mal wieder eine dieser Schlafstädte. Er fluchte leise und ignorierte die fragenden Blicke seines sogenannten "Partners" vollkommen. Er war noch nie gut mit ihm klargekommen, obwohl sie jetzt schon seit zwei Jahren zusammenarbeiteten. Die meiste Zeit verbrachten sie in den Städten mit ihren tausenden von kleinen, kargen Räumen. Keiner kennst seinen Nachbarn, alle sind auf sich allein gestellt. Vegetieren in der Anonymität der Betonklötze dahin, ohne Hoffnung, ohne Zukunft. Alle paar Tage knallt ein Typ einen anderen ab, meistens ohne ersichtlichen Grund, aber wen kümmerts? Es gehört zum Alltag dazu, und außerdem kennt man das arme Schwein ja nicht.

Für ihn war das mittlerweile auch schon fast 'Alltag' geworden. Leichen, wo man nur hinsieht. Männer in den besten Jahren, Frauen mit Familie, kleine Kinder. Alter und Geschlecht spielten für diese rücksichtslosen Typen keine Rolle. Es machte ihnen Spaß, andere förmlich abzuschlachten. Was war auch schon dabei? Die Polizisten hier in der Gegend hatten zu viel zu tun, als dass sie sich um solche Dinge wie tote Ausländer, die es ihrer Ansicht nach sowieso verdient hatten, kümmern könnten.

Er hasste seinen Job. Das hier war auf jeden Fall der letzte. Ein kleiner Junge sollte erschossen worden sein, einer dieser aus dem Maghreb. Nichts Besonderes für seinen Partner. Er aber hatte genug. Genug von den Betonklötzen, den Leichen, seinen Kollegen, denen die Schicksale all dieser Menschen total egal waren. Das letzte Mal, ganz sicher.

Der Tatort war menschenleer. "Gut so, dieses Pack soll es ja nicht wagen, hier aufzukreuzen!", knurrte sein Partner. Was sollte denn daran gut sein? Keine Menschen bedeutete keine Zeugen bedeutete keinen Tatverdächtigen.

Er seufzte. Die Einsamkeit, die hier herrschte, ließ ihn frösteln. Alles kahl, alles leer, niemand da außer einem kleinen Jungen inmitten einer Blutlache auf dem kalten Zementboden, angestrahlt von dem künstlichen Licht einer Taschenlampe. An den gardinenlosen Fenstern regte sich etwas, er konnte es sehen. Die Gaffer waren da. Hatten sie auch nur geguckt, als der Kleine zu Boden ging? Alltag, dachte er, das ist ihr Alltag. Tote sind nichts Besonderes. Wie tief kann diese Gesellschaft noch sinken? Es ist das letzte Mal. Das letzte.

Jetzt trauten sich die Bewohner aus ihren Häusern, angeführt von einem grinsenden jungen Mann. Sie starrten die Polizisten überheblich an. Er war das gewöhnt. Als erstes würden sie alle nur starren, um die Polizisten nervös zu machen. Dann würde sich jemand trauen, die Gesetzeshüter mit Schimpfworten zu bombardieren. Aus dem einen würden zwei, und bald bekämen die Polizisten gar nicht mehr mit, als was sie eigentlich beschimpft wurden.

Er hatte lange genug hier gearbeitet, um das vorhersagen zu können. Diese Menschen waren so berechenbar, genau wie seine Kollegen. Nur von Hass gesteuert, alles andere ist ihnen egal. Dir ist langweilig? Da draußen läuft ein kleiner Junge, knall den doch ab, damit hier wieder Schwung in die Bude kommt!

Es widerte ihn an, aber was konnte er schon dagegen tun? Ein Einzelner reicht nicht aus, um die Welt zu ändern. Wenn du keinen Ärger willst, pass dich an.

Das letzte Mal...

"Lass uns gehen", sagte sein Partner. Ihm fiel auf, dass sie die einzigsten Polizisten hier waren, die anderen waren schon gefahren. Wie sollten sie zu zweit die ganzen Wohnungen filzen?

"Ich sagte, lass uns gehen."

Wieso schon gehen? Er konnte verstehen, dass sein Partner nicht an Bandenkriegen oder ähnlichem interessiert war, aber das hier?

"Wir haben es halb zehn, Kleiner, also beweg deinen Arsch ins Auto, kapiert? Und denk ja nicht dran, hier herumzuspazieren und nach Waffen zu suchen! Keine Hausdurchsuchungen nach 21 Uhr. Das ist gegen das Gesetz."

Er hasste es, Kleiner genannt zu werden, aber er konnte nicht leugnen, dass die Bezeichung passte: Mit seinen 29 Jahren war er mit Abstand der Jüngste auf dem Revier. Die anderen trauten ihm nichts zu, waren aber immer freundlich zu ihm, sogar sein Partner. Sobald sie aber allein im Auto waren, war er gleich wieder der coole Bulle mit der Knarre, der alle Verbrecher, die es wagten, sich ihm in den Weg zu stellen, ohne Probleme einbuchtete. Die anderen waren genauso.

Er seufzte wieder. Ja ja, der coole Bulle ohne Mitleid, noch nicht einmal für kleine Kinder. Es interessierte so jemanden nicht, wer der Mörder war, warum er es getan hatte, warum er einen kleinen Jungen ohne ersichtlichen Grund abknallte.

Reg dich nicht über ihn auf, sagte er sich, nach diesem Fall hörst du auf, lässt das ganze Elend hinter dir und fängst noch mal ganz von vorne an, in einer anderen Stadt, einem anderen Beruf. Denk daran, es ist das letzte Mal. Das letzte Mal.

"Hör auf zu träumen und komm endlich her!"

Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Richtig, er war hier an einem Tatort und repräsentierte die Polizei, die sowieso von keinem ernst genommen wurde. Als ob Ausländer jemals einen Franzosen respektieren könnten.

Er setzte sich neben seinen Partner in den Streifenwagen, der losfuhr, bevor die Tür geschlossen war. Es war ebenfalls gegen das Gesetz, den Tatort nach schon 10 Minuten zu verlassen, ohne auch nur einen einzigen Zeugen zu befragen oder sich den Toten richtig anzusehen, aber er traute sich nicht, das zu erwähnen. Ein Einzelner gegen die Weltordnung. Ein sinnloses Unterfangen. Sein Partner hatte schon vier Menschen erschossen, als seine Dienstwaffe "ganz zufällig" losging. Da es sich dabei ausnahmslos um Ausländer gehandelt hatte, bekam er noch nicht einmal einen Verweis. Sich mit dem anzulegen brachte nichts, das hatte er früh genug gelernt.

Während der Fahrt sagte keiner ein Wort. Er grübelte noch weiter über die Ungerechtigkeit dieser Sache nach. Was hatte ein kleiner Junge verbrochen, dass er auf offener Straße erschossen wurde? Hatte er es nicht verdient, im Krankenwagen abtransportiert zu werden und fähige Polizisten um sich herum zu haben, die mit allen Mitteln nach seinem Mörder fahndeten? Ihm fiel auf, dass er die Mutter des Kleinen gar nicht kennengelernt hatte. Ja, er kannte noch nicht einmal den Namen des Opfers!

Das Auto hielt an und sein Partner stieg aus.

"Kommst du?", fragte er lächelnd. Der "coole Bulle" war wie weggeblasen.

Dieser Anblick war zu viel für ihn. Er dachte an die ganzen Leichen, die er schon in seinem Leben gesehen hatte, an jeden einzelnen, die weit aufgerissenen Augen, als sie merkten, dass auf sie geschossen worden war und mit denen die meisten gestorben waren. Besonders deutlich war aber der kleine Junge, wie er auf dem kalten Zementboden lag, vom Regen durchnässt, einsam und alleine, ohne Familie oder Freunde. Er starb in dieser trostlosen Umgebung, ohne dass es jemanden gestört hatte. Warum auch? Es war Alltag, sowohl für die Menschen dort als auch für den kleinen Jungen, nur mit dem Unterschied, dass es für ihn der letzte gewesen war.

Die Tränen liefen ihm über das Gesicht, wie die Regentropfen über die Leiche des kleinen Jungen, für den sich niemand interessierte, weil er ein Ausländer war. Er stellte sich die letzten Augenblicke des Jungen vor, wie er den Schmerz wahrnahm, das Blut sah und langsam zu Boden sackte, wie er das letzte Mal die Augen aufschlug und begriff, was mit ihm geschehen war.

Das allerletze Mal.
 

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