Überlebenswille
Überlebenswille
Es war dunkel. Eine stille Dunkelheit. Es war kalt. Sie konnte nicht sagen ,
ob ihre Augen etwas sahen , oder nicht. Es war dunkel. Wenn sie meinte den
Kopf zu bewegen , wirbelte die undurchdringliche Dunkelheit um sie herum und bereitete ihr Kopfschmerzen , wenn sie zusah. Schmerzen. Zeitweise zuckten sie wie Blitze durch die Dunkelheit. Es gab keinen Donner in dieser stillen Nacht. Ein neuer Blitz blendete ihre grünen Augen und zeichnete kurz die Siluetthe einer Gestalt nach. Kurz bevor sie wieder in der Dunkelheit
verschwand , leuchtete ein orange-rotes Augenpaar auf , das aber schnell
wieder verblasste. Sie wollte rufen. Stille. Verzweifelt rief sie seinen
Namen. Ihr ganzer Körper zitterte. Hunderte von Blitzen schossen durch die
schwarze Dunkelheit. In ihrem Licht bewegte sich die schemenhafte
Gestalt , so als folge sie ihrem Ruf. Das Wesen kam näher. Die roten Augen loderten wie zwei Flammen durch die kalte Nacht. Sie wollte zu ihm laufen , zu demjenigen , den sie gerufen hatte , doch sie konnte nicht. Irgendetwas
hielt sie eisern fest und verhinderte , dass sie sich bewegte. Der Ruf des
Mädchens wurde flehender. Kalte Tränen liefen über ihr Gesicht. Sie wollte
zu ihm , doch sie konnte nicht.
"Alucard!"
Walter hattet sich an Lydias Bett gesetzt seitdem die Fieberträume
eingesetzt hatten. Freudlos stellte er fest , dass sich ihr Körper heftigst
gegen die Folgen des Vampirbisses wehrte.
"Wenn das so weitergeht , dann wird sie noch vor der Verwandlung sterben" , hatte er Lady Integral erklärt , als diese vor einer Stunde hochgekommen war. Nickend war sie wieder gegangen , aber Walter hatte erkannt , dass Lydias Zustand sie schwer getroffen hatte. Lydia murmelte wieder Alucards Namen und warf sich unruhig hin und her. Der schwarzhaarige Butler nahm das kühlende Tuch wieder ab und tauchte es in
die Schale mit kaltem Wasser , bevor er es auswrang und ihr wieder auf die
glühende Stirn legte. Da Alexander Brutus bei der Wache vor der versiegelten Tür abgelöst hatte , lag der Dämonenhund nun neben Walter und winselte leise vor sich hin. Seufzend rieb er sich den Schlaf aus den Augen und sah zu wie langsam die Sonne aufging.
Sonne am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen , schoss es ihm durch den Kopf , diesmal brachte die Sonne keine Freude zu ihm. Lydias Fieber wollte nicht sinken und lange würde ihr vom Biss entkräfteter Körper nicht mehr
durchhalten. Verwirrt sah er auf. Irgendetwas hatte sich verändert und so
seine Aufmerksamkeit erregt. Erleichtert stellte er fest , dass der Atem des
Mädchens ruhiger und gleichmäßiger ging. Vorsichtig nahm er ihre rechte Hand und tastete nach ihrem Puls , dann legte er seine Hand auf ihre Stirn und stellte fest , dass das Fieber zu sinken begann.
Sie hat sich also entschieden , dachte Walter traurig und lehnt sich zurück.
Gleich würde sie sich verwandeln , entweder in einen Ghoul oder in einen
Vampir , doch es tat sich nichts. Kein schrecklicher Krampf schüttelte ihren
Körper , kein gequälter , letzter Schrei drang durch die Stille. Das
schwarzhaarige Mädchen vor ihm schlief entspannt und ihr entkräfteter Körper begann sich zu erholen. Blinzelnd beugte er sich über sie und überprüfte nochmals Atmung und Puls , doch das Ergebnis blieb das gleiche:
Sie lebte. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie jemanden gesehen , der
gegen einen Vampirbiss immun gewesen war. Walter dachte nach und fand eine mögliche Erklärung. Er vermutete , dass sie als "Angelus" einen Schutz besaß , der sie vor den Auswirkungen eines Bisses bewahrte. Mit jedem weiteren Atemzug verstärkte sich seine Vermutung und der schwarzhaarige Butler lehnte sich mit einem schwachen Lächeln zurück , während Brutus aufstand und die Hand seiner Herrin anstubste. Beruhigend streichelte Walter ihm durch das schwarze Fell und stand dann langsam auf , um Lady Integral zu benachrichtigen.
"Pass gut auf sie auf" , sagte er überflüssigerweise zu dem Wachhund und
verließ das Zimmer. Lady Integral und Victoria saßen zusammen auf dem großen Sofa und schauten traurig auf , als Walter eintrat.
Wie kann er bloß so ruhig bleiben ? fragte sich das blonde Vampirmädchen in einen Anflug von Ärger.
"Miss McRough befindet sich auf dem Weg der Besserung und wird noch geraume Zeit "quicklebendig" sein" , gab Walter mit einem Lächeln bekannt.
Verwirrung folgte der Erleichterung.
"Wie meint ihr das ?" fragte Integral nach.
"Sie ist von den Auswirkungen des Vampirbisses verschont geblieben" ,
antwortete Walter und suchte die Schränke nach Teegeschirr ab.
"Das ist großartig" , rief Victoria , sprang auf und half dem Butler beim
Suchen. Die Leiterin der Hellsing-Orgnisation stand auf und beschloss
Alexander einzuweihen , den sie immer noch Wache haltend vor der
versiegelten Tür fand. Mit kurzen Worten erlöste sie den Dämon von seinen
düsteren Gedanken. Obwohl er den Grund für Lydias Genesung nicht ganz
verstand , freute er sich ungemein. Sofort lief er zu ihrem Zimmer und ließ
Integral allein vor der versiegelten Tür zurück , durch die ein leises
Geräusch drang. Ein Ohr an das kalte Holz gelegt hörte sie das verzweifelte
Weinen Alucards. Bevor sie darüber richtig nachdenken konnte , brach sie das Siegel und öffnete die Tür , die sie sofort wieder hinter sich schloss.
Alucard lehnte gefesselt an der gegenüber liegenden Wand und weinte. Leise trat sie zu ihm und hockte sich mit etwas Abstand auf einen kleinen Schemel. Der Vampir hatte ihre Gegenwart gespürt und sah mit tränenverschleiertem Blick zu ihr auf.
"Es geht ihr gut. Sie ist immun gegen deinen Biss" , sagte sie und lehnte
sich etwas vor. Sie hatte ihn in all den Jahren noch nie weinen gesehen.
Sein junges Gesicht wirkte um Jahre gealtert und die orange-roten Augen
hatten ihr magisches Feuer eingebüßt. Er war eine einzige Jammergestalt. Ein flüchtiges Lächeln huschte bei ihren Worten über sein Gesicht.
"Ich hätte sie fast getötet" , murmelte er traurig. Seine Herrin musterte
ihn eingehend und dachte nach.
"Ich schicke Alexander nachher zu dir" , meinte sie und ging. Der
schwarzhaarige Vampir war erleichtert , da er bald wieder frei war , aber
vor allem weil es Lydia gut ging. Angespannt lauschte er in sich hinein ,
doch das uralte Verlangen , das in heimgesucht hatte , war verschwunden und er hoffte , dass es niemals wiederkommen würde.