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Bottom of the death valley

+Epilog up+ COMPLETE
von

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届かない僕の愛情

Chapter 3

届かない僕の愛情

(meine unerhörte Liebe)
 

*Kaoru Niikura*
 

Deine Seele ist so rein, so unglaublich weiß.

Wie gerne würde ich sündigen, sie beflecken, dich an mich reißen.

Aber ich schweige, wie ich es immer tue, und ziehe mich weinend in die Dunkelheit zurück.
 

***
 

Schon bevor der erste Sonnenstrahl den Horizont erklommen hatte lag ein violetthaariger Gitarrist wach in seinem Bett, unfähig noch ein wenig Schlaf zu finden.

Unablässig starrte er auf die schmale schlafende Gestalt neben sich.

Wie gerne würde er sich jetzt an diesen warmen Körper kuscheln. Er wollte die Nähe des Rotschopfes spüren, welcher in SEINEM Bett lag und doch nicht weiter von ihm entfernt hätte sein können.

Er durfte ihn nicht berühren, durfte ihn nicht lieben, denn es würde Die das Herz brechen, würde er von den Gefühlen seines besten Freundes erfahren.

Kaoru kannte Die gut genug, um zu wissen, dass der Rotschopf nur ihm zuliebe eine Beziehung mit ihm eingehen würde, wenn der Ältere ihm seine Liebe gestand. Um die Gefühle seines besten Freundes nicht zu verletzen würde er sich aufopfern und seine eigenen Bedürfnisse und seine Sehnsucht nach Kyo in den Hintergrund stellen.

Gerade diese rücksichtsvolle Seite, die außer dem Leader wohl kaum einer an Die kannte, liebte Kaoru so sehr und doch machte es Die auch so unglaublich verletzlich.

Der Ältere wusste, dass er einfach nur egoistisch sein musste. Er musste es ihm nur sagen, drei kleine Worte mit denen er Die zwingen konnte sein eigenes Verlangen zurück zu stellen und sich nur ihm zu widmen.

Doch Kaoru würde seinen besten Freund niemals so ausnutzen. Niemals würde er ihm wehtun und wie Kyo auf seinen Gefühlen herum trampeln - auch wenn er zugeben musste, dass der kleine Sänger nichts dafür konnte, da er von Dies Gefühlen schließlich keinen Schimmer hatte. Lieber verdrängte er seine eigenen Emotionen sowie die nagende Eifersucht und verschloss sie in den dunkelsten Ecken seiner Seele.

Auch wenn er wusste, dass Kyo Dies Liebe einfach nicht verdient hatte, würde er sich dieser Liebe dennoch nicht in den Weg stellen. Er würde einfach weiter beobachten und im Stillen leiden. Und er würde da sein, wann immer Die fallen sollte und dann würde er ihn wieder auffangen, wie auch in der vergangenen Nacht.
 

***
 

Ein herzerweichendes Stöhnen ertönte und zwei braune Augen öffneten sich träge ehe sie sich ruckartig wieder schlossen und ein weiteres Stöhnen zu hören war.

„Da hat wohl wer einen ganz schlimmen Kater“, bemerkte eine bekannte Stimme amüsiert und ein kühler Finger strich sanft über seine linke Wange.

„Kaooo“, murrte der Rotschopf weinerlich. „So hell, mach’s weg!“

Ein warmes Lachen erklang, als der Angesprochene sich vom Bett erhob und sich an den billigen Rollos zu schaffen machte.

„Besser?“

„Nein“, jammerte Big Red und unternahm einen zweiten mutigen Versuch die Augen zu öffnen.

„Hier“, Kaoru hatte sich wieder neben ihm auf dem Bett niedergelassen und half seinem Freund soeben in eine aufrechte Position. „Trink das, dann geht es dir besser.“ Er reichte ihm ein Glas mit Wasser, welches eine aufgelöste Kopfschmerztablette enthielt.

Dankbar griff der Rotschopf nach dem Gefäß und schüttete den Inhalt seine gereizte Kehle hinab, woraufhin er erst einmal von einem Hustenanfall gepackt wurde und die Hälfte des Wassers auf der dunklen Bettwäsche verteilte.

„Langsam“, mahnte der Ältere fürsorglich.

Die verdrehte nur genervt die Augen und murmelte etwas, dass sich wie „Ja Mami“ anhörte, bevor er einen weiteren Schluck nahm.

Nachdem das Glas geleert war ließ er seinen Kopf auf Kaorus Schulter sinken und schloss erneut die Augen. Der Schmerz in seinen pochenden Schläfen brachte ihn noch um den Verstand.

Wie viel um Himmels Willen hatte er gestern getrunken?

„Kao?“

„Mmh?“

„Hab... hab ich gestern was dummes angestellt?“

Verwirrt drehte der Violetthaarige seinen Kopf.

//Erinnerst du dich nicht an gestern Nacht?//

„Was dummes?“ fragte er vorsichtig nach.

„Naja… hab ich irgendwas Blödes gesagt? Oder…“ Eine zaghafte Pause. „...getan?“

//Ich wette dir spuken gerade die Worte „mit Kyo“ im Kopf herum. Aber ich muss dich enttäuschen… oder beruhigen?//

„Nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Abgesehen davon, dass du dich beinah ins Koma gesoffen hast und anschließend deinen gesamten Magen in mein Klo entleert hast war der Abend recht ereignislos.“

Die gab ihm einen kraftlosen Klaps, schien aber dennoch sichtlich erleichtert.

Einen kurzen Moment schwiegen beide, doch dann ergriff der Rotschopf verlegen wieder das Wort.

„Oi, Kao… sorry, dass ich dir so viele Probleme gemacht hab.“

„Idiot!“ Diesmal gab Kaoru ihm einen leichten Schlag. „Du brauchst dich nicht entschuldigen. Du bist mein bester Freund… und beste Freunde helfen einander nun mal!“ Ein trauriges Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er mit leiser Stimme fort fuhr. „Du kannst mit mir reden, das weißt du hoffentlich. Also wenn du das nächste Mal Kummer hast, dann red mit mir anstatt dich unter den Tisch zu saufen. Kapiert?!“

„Mh..“ Der Rotschopf nickte ergeben.

„Braver Junge“, lobte ihn der Ältere scherzhaft, wurde aber sofort wieder ernst.

„Und? Möchtest du mir jetzt vielleicht sagen, was der Unsinn gestern sollte? Alkohol löst auch keine Probleme. Und Liebeskummer geht davon auch nicht weg!“

Dies Augen weiteten sich erschrocken.

„W-woher?“

Irritiert hob er seinen Kopf von Kaos Schulter und sah ihn skeptisch an. „Woher willst du wissen, dass ich Liebeskummer hab?“

„Die, hör auf dich rauszureden. Es ist offensichtlich.“

„Achja?“ Er verengte herausfordernd die dunklen Augen. „Wenn das so offensichtlich ist kannst du mir bestimmt auch sagen, in wen ich angeblich-“

„Kyo“, antwortete der Ältere trocken ohne den Jüngeren seinen Satz beenden zu lassen.

Jetzt sah der Rotschopf wirklich bestürzt aus. Nach einer knappen Sekunde des Entsetzens fragte er mit zittriger Stimme. „Weiß… also... weiß Kyo es auch?“ Er wusste nicht, ob er die Antwort wirklich hören wollte, doch als Kaoru den Kopf schüttelte, glaubte er einen schweren Stein von seinem Herzen fallen zu hören und er atmete spürbar erleichtert auf.

„Gut… er würde mich nur noch mehr hassen, wenn er davon erfährt!“

Kaoru stockte verwundert. „Aber Kyo hasst dich doch nicht.“ Erkenntnis schien sich langsam in ihm breit zu machen.

//Denkst du wirklich, dass Kyo dich hasst? Hast du dich deshalb betrunken? Weil du den Gedanken nicht ertragen konntest, dass er nichts für dich empfindet? Wolltest du dieses unerträgliche Gefühl in Alkohol ertränken, in der Hoffnung, dass aller Schmerz taub würde?//

Die antwortete nicht und so fuhr Kaoru einfach fort.

„Kyo ist ein kleiner Möchtegern-Bösewicht. Ich glaub er kann einfach nicht mit Gefühlen umgehen, am wenigsten mit seinen eigenen. Er ist vielleicht zuweilen sehr rücksichtslos und grob, aber er hasst dich nicht, da bin ich mir sicher.“ Freundschaftlich legte der Ältere seinen Arm um den Rücken des noch immer an ihm lehnenden Die.

„Und jetzt lach wieder, ja? Für mich.“

Stück für Stück schlich sich ein ehrliches Lächeln auf die vollen Lippen.

„Danke Kao.“
 

***
 

Montag morgen, halb Zehn in Japan. Oder besser gesagt im Matheunterricht.

Total frustriert hing ein rothaariger Achtzehnjähriger über seinem Steinzeittaschenrechner, dessen Batterie langsam das Zeitliche segnete, und versuchte verkrampft zu kapieren, was um Himmels Willen er rechnen musste oder genauer formuliert, WIE?!

Stöhnend ließ er sich in seinem Sitz zurückfallen und verdrehte die Augen.

Mathe war einfach nicht sein Fall.

//Wer auch immer diese scheiße erfunden hat, gebt mir die Adresse seines Friedhofs und ich schände sein Grab!//

Resigniert ließ er seinen Blick durch die Klasse schweifen. Viele schienen genauso mit sich und der Rechenaufgabe zu kämpfen wie Die selbst, andere hingegen hatten sich schon gelangweilt, doch mit sich selbst zufrieden, zurückgelehnt und warteten, dass man sie für ihre Intelligenz lobte. Zu dieser Kategorie gehörte erstaunlicherweise auch Kyo, auch wenn der letztere Teil mit dem Loben ihm eher am Arsch vorbei ging.

//Wer hätte gedacht, dass Kyo so etwas wie Intelligenz besitzt// dachte Die gereizt.

Der kleine blonde Sänger hatte ihn heute noch keines Blickes gewürdigt und als Die ihm Guten Morgen gesagt hatte, war er gänzlich ignoriert worden.

Er hatte echt keine Ahnung, was jetzt schon wieder in Kyo vorging, aber ganz knusper war das nicht.

Mit seinem Latein (bzw. Mathe) am Ende startete er einen weiteren Versuch der Kontaktaufnahme.

„Oi Kyo“, flüsterte er quer nach vorn. „Sssssss!“

//Ist der so schwerhörig oder ignoriert der mich mit Absicht?//

Entnervt hob Die seine Stimme etwas an.

„Kyoooo! Hey Kyo! Hast du die Aufgabe schon gelöst? Kannst du mir die Antwort geben?“

Endlich kam etwas Regung in den Gelbhaarigen. Langsam drehte er seinen Kopf nach hinten. Sein Blick war ausdruckslos, doch seine Mittelfinger, der sich dazugesellte, sagte genug aus.

Die verzog das Gesicht.

//Was soll das denn jetzt wieder? Mann, warum is der so schlecht drauf? Hab ich ihm irgendwas getan? Samstag vielleicht? Im Club? Ich kann mich nicht erinnern… Kuso! Aber Kaoru hat doch gesagt, dass nichts passiert ist… Was wenn er gelogen hat… oder er hat es nicht mitgekriegt. Argh scheiße, so komm ich nicht weiter.//

„Andou“, hörte er die Stimme seines Lehrers. „Da Sie ja Zeit zum Quatschen zu haben scheinen sind Sie wohl fertig und können uns sicherlich die Aufgabe an der Tafel erläutern!“

//Neeeeeeeeeeeiiiiiiiiiiiiiiinnn!!!!!//

Frustriert ließ er seinen Kopf auf die Bank sinken.

//Erschießt mich bitte jemand!//

Doch den Gefallen tat ihm niemand…
 

***
 

„Das war die totaaaale Blamage.“

Es war Mittagspause und sie standen in der Raucherecke, als Die Kaoru über die jüngsten Ereignisse in seinem „fürchterlichen, grauenhaften, mitleidlosen, ethnisch unkorrekten, moralisch nicht vertretbaren, menschenunwürdigen Matheunterricht in dem Schwächere und hirnmäßig Benachteiligte unterdrückt wurden“ (Zitat: Daisuke Andou) aufklärte.

Der Ältere lächelte mild.

//Du bist so niedlich, wenn du dich aufregst. Wie gerne würde ich dich jetzt einfach küssen, um dich vergessen zu lassen.//

Die ließ seinen glimmenden Kippenstummel zu Boden segeln und trat ihn gewaltsam aus, als wollte er all seine Wut an der wehrlosen sterbenden Zigarette auslassen.

„Und Kyo, der Arsch“, fuhr er bitter fort, „hat mich die ganze Stunde lang ignoriert. Und als Harada-sensei mich vor der Klasse zum Oberidioten gemacht hat hat er sich einfach desinteressiert auf die Bank gelegt und geschlafen!“

Ein leichtes Zittern hatte sich in seine Stimme gelegt.

„So egal bin ich ihm.“

Kaorus Inneres zog sich schmerzhaft zusammen.

//Kyo… was tust du ihm nur an? Wieso bist du Die gegenüber so reserviert? Uns gegenüber benimmst du dich doch auch nicht so. Was hast du nur gegen meinen kleinen kostbaren Schatz?//

Liebevoll legte er seine Arme um Dies Taille und zog ihn in eine tröstende Umarmung.

//Ich würde dir so gerne helfen, würde dir sagen, dass alles gut wird und Kyo deine Gefühle bestimmt irgendwann erwidern wird… doch das kann ich nicht. Und du würdest mir meine Worte auch gar nicht glauben.

Eigentlich sollte ich ja erleichtert sein. Ich weiß nicht, ob ich es ertragen könnte, wenn ihr beide zusammen kämt. Wenn ich euch ständig dabei erwischen würde, wie ihr euch küsst und gegenseitig zärtliche Liebesbotschaften ins Ohr wispert.

Aber dich so leiden zu sehen ertrage ich ebenso wenig.

Es ist ein verdammter Teufelskreis aus dem keiner unbeschadet wieder herausfindet.

Aber wann ist das Leben schon fair?//
 

***
 

Genervt ließ der kleine Sänger das Mikro sinken und fuhr herum.

„Schaffst du es heute noch einen richtigen Ton zu treffen?“

Die Frage war an Die gerichtet, der unter den anklagenden Worten wie unter einem Schlag zusammenzuckte.

„Lass ihn in Ruhe“, zischte Kaoru verärgert. Er war heute echt nicht gut auf Kyo zu sprechen.

„Was denn? Musst du dein Schoßhündchen jetzt auch noch verteidigen, weil er nicht mal mehr dazu allein in der Lage ist?“ giftete der Gelbschopf zurück. Zwischen seine feinen Augenbrauen hatte sich eine steile Falte gebildet.

Kaorus Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen.

„Was willst du Kyo? Willst du dich prügeln?“ Die Herausforderung hing greifbar in der Luft und es brauchte nur ein kleiner Windhauch aufzukommen, und ein Orkan würde durch den kleinen Proberaum toben.

Kaoru schien sich dessen nicht bewusst.

„Du singst doch genauso scheiße, wie Die spielt. Also hör auf alle Leute voll zu motzen und reiß dich lieber zusammen“, schmiss er dem kleinen Sänger die achtlos gewählten Worte an den Kopf.

„Ich sing also scheiße, ja?“ fragte der Jüngere aufgebracht.

„Hey, ganz ruhig“, versuchte Toshiya zu schlichten. „Es bringt uns doch jetzt nichts, wenn wir uns gegenseitig an die Kehle springen. Die muss sich einfach mehr konzentrieren und Kyo muss sein Temperament zügeln. So einfach geht das.“

Er strahlte gewinnend und zuversichtlich wie eh und je übers ganze Gesicht.

„Ich geb dir gleich einfach“, knurrte Kyo angepisst. Er konnte soviel Fröhlichkeit und Optimismus partout nicht ertragen.

Die, der die ganze Zeit kein Wort gesagt hatte, biss sich nervös auf der Innenseite seiner Unterlippe herum. Er hatte den Kopf gesenkt und betrachtete sein Plektrum, peinlichst darum bemüht Kyo nicht anzuschauen. Er konnte diesen verächtlichen genervten Gesichtsausdruck nicht ertragen.

Da war dieses kleine, bunte Stückchen Plastik ein wesentlich erfreulicherer Anblick.

//Konzentrier dich. Das kann doch nicht so schwer sein, verdammt noch mal// schalt er sich in Gedanken. //Steh endlich deinen Mann und versteck dich nicht hinter Kaoru. Kein Wunder, dass Kyo dich verachtet, wenn du nicht einmal für dich selbst sprechen kannst.//

Langsam hob er seinen Kopf.

„Und ich singe nicht scheiße!“ zischte Kyo gerade in Kaorus Richtung. „Das soll so klingen!“

Kaoru hob skeptisch eine Augenbraue.

„So? Soll es das? Wer sagt das?“

„Ich!“

„Und ich sage, es klingt scheiße! Als ob du kotzen würdest.“

„Das war meine Absicht!“

„Wieso um alles in der Welt sollte es wie kotzen klingen?“

„Das ist eben ein starkes Ausdrucksmittel!“

„Kotzen?“

„Ja verdammt! Außerdem passt es zum Text.“

„Stimmt, der Text ist zum Kotzen!“

Kyo grinste, nicht im Mindesten beleidigt.

„Dann musst du erst mal die anderen lesen!“

Kaoru schüttelte seufzend den Kopf. „Du hast sie echt nicht mehr alle!“

„Wenigstens einer, der es merkt“, meinte Kyo zufrieden.

Dem Leader entwischte ein amüsiertes Grinsen. Der Kleine war echt durchgedreht. Aber irgendwie machte ihn das auch sympathisch.

„Keine Sorge“, beschwichtigte er den Jüngeren. „Das haben schon alle mitgekriegt!“

Toshiya konnte nicht mehr und prustete laut los, wenig später fiel auch Shinya in das Gelächter ein.

Auch auf Dies Lippen hatte sich ein Lächeln geschlichen.

Es war einfach zu amüsant, wie die beiden sich stritten.

Und auf einmal war die Atmosphäre viel lockerer. Alle Anspannung war von ihnen abgefallen.

Was ein Streit doch alles bewirken konnte.

//Danke Kao… ich hab das Gefühl in letzter Zeit bedank ich mich nur noch bei dir.//

Er warf seinem besten Freund einen warmen Blick zu, den dieser nicht mitbekam, da er selbst zu sehr damit beschäftigt war die Lachtränen zurück zu halten.

Entschlossen hob er seine Stimme, um seine Worte über den Lärm hinweg tragen zu lassen.

„Da wir das ja nun geklärt haben, können wir ja weiter machen oder wird das hier ein verdammtes Kaffeekränzchen?“

Alle Blicke richteten sich erstaunt auf den Rotschopf, der in all dem Tumult irgendwie in Vergessenheit geraten war.

Er warf der Allgemeinheit ein schelmisches Die-Grinsen zu und ließ das Plektrum probeweise über die Saiten fahren. „Mir juckt es in den Fingern!“

Kyo verdrehte nur die tiefbraunen Augen und wandte sich wieder nach vorn. Kaoru hingegen schenkte ihm ein stolzes Lächeln.

Schon bald darauf setzten die ersten Töne der Akustikgitarren wieder ein, dann der Bass und das Scheppern des Schlagzeuges.

Kyo atmete noch einmal tief durch, ehe er zu Schreien begann und die Wände unter der Gewalt Dir en Greys erbebten.
 

***
 

„Kyo hat dich heute aber ganz schön fertig gemacht“, stichelte Shinya, der froh war, dass endlich auch Die mal eins über die Rübe bekam.

Er und der Rotschopf befanden sich gerade auf dem Nachhauseweg. Es war ein schöner milder Nachmittag und die Sonne blechte friedlich auf sie herab.

Ein flüchtiger Schatten huschte bei Shinyas Worten über Dies Züge ehe sich wieder das allzu bekannte Grinsen auf seinen Lippen festsetzte. Spielerisch zerwühlte er Shinyas wertvolle Haarpracht.

„Ach, der hat nur nen schlechten Tag.“

„Eeeey!“ beschwerte sich der hochgewachsene Chibi und versuchte seine Haarfrisur zu retten.

„Du hast aber wirklich schon mal besser gespielt“, setzte er herausfordernd nach, erntete jedoch von Die nur einen gespielt gekränkten Blick, gefolgt von einem niedlichen Schmollmund.

„Mann Shinya, das verletzt mich jetzt tief. Wie kannst du das nur sagen?“

Er grinste erneut und bohrte seinen spitzen Zeigefinger in die Seite des schlanken Drummers, was diesem ein überraschtes Quieken entlockte und erschrocken aufspringen ließ.

„Hehe, Rache ist süß“, meinte der Rotschopf gehässig. „Außerdem hab ich nicht schlecht gespielt, weil ich es nicht kann, sondern weil ich Kopfschmerzen hab. Mein Kater vom Wochenende sitzt mir immer noch im Nacken.“

„Pff, selbst schuld,“ meinte Shinya herzlos. „Was säufst du auch so viel? Trinken ist genauso ungesund wie rauchen, das sag ich dir ja immer wieder. Aber hörst du auf mich? Nein!“

Die zuckte gleichgültig mit den Schultern.

„Kann ja nicht jeder so ein enthaltsamer Moralprediger sein wie du.“

„Hey, willst du damit andeuten ich wär langweilig?“ empörte sich Shin.

„Vielleicht“, konterte Die grinsend.

„Na und? Wenigstens bin ich kein abgewrackter Alkoholiker, dem es Spaß macht auf ständig auf Kleineren und Schwächeren rumzuhacken.“

Das saß. Aber wie.

Wie angewurzelt blieb der Rotschopf stehen.

//Abgewrackter… Alkoholiker… der auf… Schwächeren… rumhackt?//

Reißende imaginäre Dornenranken schienen aus dem Boden zu wachsen, sich um seine Beine zu schlingen, seinen Körper hinauf zu wandern. Gierig griffen sie nach seinem Herzen, hinderten es für einen Sekundenbruchteil am Schlagen.

//Bin ich das wirklich?//

„Die?“ Shinya war verwirrt stehen geblieben und betrachtete seinen geschockten Bandkollegen.

„Geht’s dir nicht gut? Du bist so blass.“

Doch er reagierte nicht.

Das einzige, was sich regte war die einsame Träne, die geräuschlos ihren Weg in die Unendlichkeit antrat.

„D-die?“ Shinya wirkte verunsichert. „Weinst du? Das... ich hab das nicht so gemeint… ich... “

Nach Worten suchend hielt er inne.

Der Rotschopf hatte inzwischen seinen Kopf gesenkt, sodass ihm einige längere lose Strähnen in die Augen hingen.

„Hey Die, ich… es...“

Ein Zucken der muskulösen Schultern ließ den Schlagzeuger inne halten.

//Was… gott, hab ich ihn jetzt wirklich zum Weinen gebracht?!?//

Doch dann lachte Die plötzlich leise los.

„Wer weint denn hier?“, meinte er mit einem spöttischen Grinsen. „Nee Shin-chan, dafür bist du nicht gut genug. Deine Konterattacken sind voll lahm.“

Shinya sah ihn einen Moment vollkommen perplex an.

„Aber.. die Träne...du…“

Dies Grinsen wurde, wenn überhaupt möglich, noch breiter. „Das war doch nur so ne blöde Fliege, die nichts besseres zu tun hatte, als ne Notlandung in meinem Auge zu machen.“, erklärte er lächelnd. „So ein Mistvieh!“

Shinyas volle Lippen verzogen sich verärgert. „Und ich hab mir Sorgen gemacht, du Vollidiot.“

„Ach Shin-chan, wie süüüüß von dir“, neckte ihn der Ältere und schlang seinen Arm über die Schulter des Drummers.

„Aber du weißt doch, um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“ Er stupste ihm gegen die Nase. „Und außerdem: Ich weine nie!“

Noch immer über die frechen Lippen lachend zog er den Jüngeren mit sich. Doch seine Augen blitzten verräterisch. Dort war kein Lachen zu sehen.

//Nein, ich weine nie…

Selbst wenn ein jedes Lächeln mich innerlich zerreißt…//
 

***
 

Ganz langsam führte er seinen Schlüssel Zahn um Zahn in die Öffnung und drehte ihn lautlos nach rechts. Leise und bedächtig begann er die Tür aufzuschieben, Zentimeter für Zentimeter, ehe er auf Zehenspitzen nach innen huschte und die Tür ebenso leise wieder schloss.

Es war eine alltägliche Prozedur, die noch immer unglaublich an seinen Nerven zerrte. Sein Blut rauschte brausend durch seine Ohren, so laut, es übertönte selbst seine samtweichen Schritte.

Behutsam stellte er seine Schuhe auf einen Abtreter und schlich Richtung seines Zimmers.

Er hatte seine Tür schon fast erreicht, als:

„DAISUKE!!!“

Unwillkürlich schreckte er auf und schrumpfte einige Zentimeter in sich zusammen.

Er hatte es befürchtet.

Mit einem mulmigen Gefühl im Magen fuhr er langsam herum und blickte in das Zornesgerötete Gesicht seines Vaters.

Er war ein mittelgroßer dürrer Mann mit dichtem, schwarzem Haar. Seine Gesichtszüge waren hart und streng, sodass nicht einmal die vielen weichen Falten es aufzulockern vermochten.

Ein schmuddeliger Drei-Tage-Bart verriet dem Achtzehnjährigen, dass sein Vater wieder einmal nicht auf Arbeit gegangen war, sondern es vorgezogen hatte die Zweisamkeit mit der Schnapsflasche zu genießen.

„Wo warst du gestern den ganzen Tag?“ fragte er mit schmetternder Stimme und ein bitterer Geruch von Alkohol kroch schleichend durch die Luft. Wabernd, wie Gift, vermischte es sich mit Abermillionen von Ionen.

Der Rotschopf verzog angewidert das Gesicht. Dieser Gestank. Hatte er gestern auch solche Dünste verströmt, als der arme Kaoru ihn zu sich nach Hause geschleppt hatte, wo er anschließend das Klo des Violetthaarigen bereichert hatte?

Widerwillen kam in ihm auf.

Wieso hatte er überhaupt so viel getrunken? Aus Liebeskummer? Welch absurde Ausrede.

Nur weil er zu dumm war und sich in einen kaltherzigen, abweisenden und noch dazu männlichen(!) Typen verliebte, hieß das noch lange nicht, dass er seine Innereien mit alkoholischen Sturzbächen fluten musste.

Wieso war er nur so schwach? Wieso konnte er nicht einfach vergessen und sich ein süßes nettes Mädchen suchen. Er wusste, dass so einige bei ihm Schlange standen. Schließlich war er beliebt, sah nicht allzu schlecht aus, spielte in einer Band und hatte Ausstrahlung, die so manches Mädchen vor seinen Füßen zerschmelzen ließ.

//Like ice in the sun shine… baby//

Ein flüchtiges aufmunterndes Lächeln schlich sich auf seine Lippen.

Ja, warum eigentlich nicht? Was war schon so toll an dem kleinen Sänger, dass er sich so nach ihm verzehrte? Was? Sein Aussehen? Es gab besseres. Sein Charakter? Den konnte man wegschmeißen. Sein Verhalten? Gott, es war zum fürchten. Wenn er nicht gerade böse durch die Gegend funkelte und Leute beleidigte, schlief (was er irgendwie dauernd tat) oder ihn ignorierte, dachte er über wirklich widerliche Dinge nach, die er ihnen dann als Texte vorsetzte. Manchmal war es Die regelrecht unheimlich, was unter den gelben Haaren so alles vor sich ging.

Kyo war schräg, wirklich schräg, vielleicht sogar ein Psycho. Ein wenig gestört war er mit Sicherheit.

Also was um alles in der Welt wollte er von solch einer Person?

Wieso machte er sich selbst so fertig, ließ sich fertig machen?

„Ich hab gefragt WO DU WARST!!“

Eine tobende Stimme riss ihn aus seinem kleinen geistigen Disput. Erschrocken aufgerissene Augen fixierten den zornigen Gegenüber.

„Bei Kaoru“, kam die unterwürfige Antwort schließlich. Nervöse Finger spielten mit dem Ärmel seines großen T-Shirts.

„Und wieso wusste ich davon nichts?“ verlangte der Ältere herrisch zu wissen. Zwei starke Arme verschränkten sich vor der Brust.

//Als ob es dich interessieren würde, wo ich bin. Du kriegst doch gar nicht mit, ob ich zu Hause bin oder nicht.//

Trotzig hob der Rotschopf den Kopf, während die dunklen Augen wie Dolche blitzten.

„Weil ich gedacht habe, dass es dir am Arsch vorbei geht.“

BATSCH. Schon saß der erste Schlag im Gesicht.

„Nicht in so einem Ton, Freundchen“, drohte der Hausherr und ein wütendes Funkeln trat in die vom Schnaps benebelten Augen.

„Ja, Sir“, presste der Gitarrist die anerzogene Respektsfloskel zwischen den Zähnen hervor.

Seine Wange brannte schmerzhaft, doch noch viel lodernder brannte sein Hass.

Zufrieden ließ sein „Vater“ die Hand wieder sinken.

„So, du warst also wieder bei dieser Schwuchtel. Den ganzen Tag? Habt ihr’s getrieben oder was?“

//GE-TRIE-BEN?!?//

Die musste sich stark beherrschen seinem Erzeuger nicht an die Kehle zu springen.

Flammende Wut kochte durch seine Adern, brachte sein Blut zum Wallen, seinen Körper zum Brennen.

Er holte einmal ganz tief Luft, um seine Emotionen zu kontrollieren und entgegnete mit bedrohlich ruhiger Stimme: „Kaoru. Ist. Keine. Schwuchtel! Und NEIN!!! Wir haben es nicht getrieben!“

Bebend vor Zorn ballte er seine Hände zu Fäusten.

Wie oft hatte er sich schon die Vorurteile seines Vaters anhören müssen, hatte dulden müssen, wie er über Homosexuelle oder Ausländer herzog.

//Wenn du wüsstest, dass dein ach so unterbelichteter Sohn selbst nicht ganz hetero ist, dass er einen Mann liebt… du würdest mich lebenslang in mein Zimmer sperren.//

Liebe? Wo kam dieser Gedanke schon wieder her?

Hatte er nicht eben mit sich selbst geklärt, dass Kyo ihm eigentlich gar nichts zu bedeuten brauchte, weil er ein Psycho war.

Ein Psycho… war er das nicht selbst auch?

Er hasste seinen Vater mit einer Leidenschaft, die schon wieder pervers war, und doch beging er die gleichen Fehler. Auch Die hatte sich vom Alkohol leiten lassen, hatte sich zum Sklaven der Prozente machen lassen und alles den Hals hinunter gestürzt, was ordentlich die Sinne benebelte. Er hatte alles betäuben wollen, allen Schmerz. Aber das war kein Ausweg, denn der Schmerz würde wieder kommen, mit noch viel größerer Wucht und alle Qual begann von vorn.

Mit Bier im Blut war er nur eine Last. Er hatte Kaoru den Abend verdorben und seine Bude mit widerlichen Magensäften getränkt.

Er war keinen Deut besser als sein Vater.

Oder als Kyo.

Er war genauso rücksichtslos, dachte nicht nach, was er mit seinem Verhalten anrichtete.

Shinya hatte recht gehabt. Er war ein abgewrackter Alkoholiker.

Und dieser Gedanke tat so verdammt weh.

Im Grunde war er schlimmer als Kyo, denn er konnte den kleinen Gelbschopf unmöglich mit seinem Vater auf eine Stufe stellen. Er selbst verdiente diesen Stellenwert, doch Kyo, er war so viel wertvoller, so viel kostbarer, er verdiente es höher gehalten zu werden.

Da waren sie wieder.

Diese verfluchten Gedanken. Diese verklärte Sicht, sobald Kyo die Bildfläche betrat.

Was er auch versuchte, er schaffte es nicht sich selbst zu belügen.

Kyo hatte es irgendwie fertig gebracht einen geheiligten Platz in seinem unreinen Herzen einzunehmen.

Die liebte ihn wirklich, dass wurde ihm nun schmerzhaft klar.

Auch wenn er nicht wusste, wie das geschehen konnte.

Wie er das überstehen sollte.

All diese Feindseligkeit, die Ignoranz.

Er musste stark sein.

Auch wenn ihm klar war, dass er seine Gefühle nicht abstellen konnte, die ihn tagtäglich quälten und ihm seine eigene Machtlosigkeit vor Augen führten, wenn der kleine zierliche Sänger so nah war und doch in immer weitere Ferne rückte.

Auch wenn er ihn nicht vergessen konnte, weil sie einander jeden Tag begegneten und Dies Herz aufs Neue vor Sehnsucht starb.

Alles was ihm blieb, war diese Situation, diese Ohnmacht, welche er empfand, mit Würde zu ertragen. Und das würde er auch, denn ein tröstlicher Gedanke hielt ihn aufrecht: Kaoru würde ihm helfen. Schließlich war der Ältere immer für ihn da gewesen. Er war sein bester Freund, der beste, den man sich wünschen konnte. Und er hatte bisher immer eine Lösung gewusst. So würde es auch diesmal sein, denn auf den Leader war Verlass.

Erleichtert hob er den Blick an und die Anwesenheit seines Vaters wurde ihm wieder bewusst.

Dieser sah ihn mit einem überheblichen Grinsen auf den Lippen an.

„Ich will, dass du diese- diese Tunte nicht wieder siehst. Du wirst dich von ihm fern halten!“

Erstaunt riss der Rothaarige seine Augen auf Tellergröße.

Aber- das konnte unmöglich sein Ernst sein.

Kaoru nie wieder sehen. Er kannte den Älteren jetzt seit ungefähr fünf Jahren. Fünf Jahre, die sie zu Brüdern zusammen geschweißt hatten. Er würde sich niemals, NIEMALS, den Kontakt zu ihm verbieten lassen.

„EINEN DRECK WERD ICH TUN!“

Nun war es mit der Selbstbeherrschung endgültig aus.

Doch seinem Vater ging es da ähnlich.

„MEIN Sohn wird nicht zu einer Tunte. MEIN Sohn fickt keine Ärsche. Und MEIN Sohn tut verdammt noch mal was ICH ihm sage!!!“

„Du kannst mich mal!“ fauchte Die atemlos. Er konnte den Hass und den Zorn, den er empfand, nicht beschreiben, nicht in Worte kleiden. Diese Gefühle waren so gewaltig, er fühlte sich, als müsse er platzen, als würden all seine Emotionen von innen schmerzhaft gegen seine menschliche Hülle drücken, an seiner Haut reißen. Und er wusste nicht wie lange er diese Gewalten noch zurück halten konnte.

Fluchtartig überbrückte er die letzte Distanz zu seinem Zimmer und schlug seinem Vater die Tür vor der Nase zu. Das Geräusch eines drehenden Schlüssels war zu hören.

Dann Stille.

Mit geschlossenen Augen und unregelmäßiger Atmung lehnte der Rothaarige sich an das kühle Holz, welches ihn und seinen Erzeuger trennte.

Sein Herz schlug so schnell, so brutal, seine Rippen erzitterten unter den Fausthieben.

„Mach nur so weiter, Daisuke“, drang die Stimme des Älteren durch die Wand. „Du wirst schon sehen, wohin es dich bringt.“

Weiße Zähne bissen auf rote Lippen.

„Keiner will einen elendigen Schlappschwanz, einen Arschficker. Nur die Stärkeren überleben in dieser Gesellschaft, hörst du! Und was bist du? Du bist ein Nichts, Daisuke, ein Nichts.“

Immer tiefer gruben sich die spitzen Werkzeuge in das schwache Fleisch.

Langsam ließ sich der Gitarrist von Dir en grey zu Boden sinken, zog die Knie an seinen Körper und schlang die Arme darum.

Er wollte klein sein, noch viel kleiner, als er sich fühlte. Wie gerne würde er jetzt einfach verschwinden, sich auflösen in Luft und nie mehr sein.

Irgendwie waren alle Gefühle erloschen, als die Tür geräuschvoll ins Schloss gefallen war.

All die Wut und der Hass waren einfach so verpufft.

„Es ist eine Schande dich als meinen Sohn bezeichnen zu müssen“, drang die Stimme ein letztes Mal zu ihm hinüber.

Zitternd biss sich der Achtzehnjährige auf die Unterlippe bis Blut floss.

//Ich bin nicht dein Sohn!//
 

***
 

Wenn es etwas gab, dass Kyo wirklich rasend machte, dann waren es störende, nagende Gedankenfluten, die wie Insekten durch seinen Kopf krabbelten, alles anknabberten, summende, brummende Geräusche verursachten und seine Kopfschmerzen in überirdische Dimensionen trieben. Er wollte schlafen, schlafen verdammt noch mal.

Unruhig warf er sich auf die andere Seite.

Dunkelheit hüllte ihn in ein nächtliches Kleid.

Schlafen war etwas, was er für sein Leben gut konnte, es war wie ein Talent, eine Gabe, von Mutter Natur großzügig an ihn verteilt, doch immer wenn es dunkel wurde, wenn die Schatten ihre Krallen nach ihm ausstreckten und die Schreie des Tages der Stille wichen schien ihn all sein Können im Stich zu lassen.

Alles was ihm blieb war an die Decke zu starren und all jene flüsternden und wispernden Gedanken über ihn hereinbrechen zu lassen.

Ängste vermischten sich mit Erinnerungen, Wünschen, Gesprächsfetzen, Gesichtsausdrücken. Er fühlte sich überrannt, fühlte sich überfordert. Wie gerne würde er schreien, würde mit seinen Fäusten gegen seine Schädelwand schlagen, um all die Stimmen und Bilder endlich zur Ruhe zu bringen, sie zum Schweigen zu zwingen.

Aber er regte sich nicht. Seine Hände blieben steif in die Decke gekrampft, die Augen hielten starr Kontakt mit der bedrückend grauen Wand, die ihm auf den Kopf zu fallen drohte, seine Lippen waren geschlossen, blutleer und taub.

Er hörte das Kratzen von kleinen Füßen, sechs an der Zahl. Er spürte die Berührungen auf seiner nackten Haut, so viele kleine Füße, sie erklommen die fleischliche Maschine, seinen Körper, kletterten, kletterten, durch sein Haar, über seine Stirn, hangelten sich hinab. Blanke blitzende Hauer im Mondschein, kratzend, klackend, langsam, Bein für Bein, die gerade Brücke seiner Nase entlang. Stop, eine Kehrtwendung, seitlicher Absturz, unbeholfen, kullernd, die spitzen Füßchen tief in die seidige, helle, weiche Schicht gegraben, so unschuldig und rein, doch unter der Oberfläche brodelt Blut, zucken Stränge von Nerven, Muskeln spielen ein abstraktes Spiel.

Mutig marschierten die sechs kleinen Gliedmaßen voran, an zarten schwarzen Härchen reißend, auf springt der Deckel, offenbart die leere Seele, stumpf ist der Spiegel, der kein Bild mehr zeigen wird.

Ein letztes Zucken, ein tiefer schwerer Atemzug, furchtlos den Unzähligen entgegen, tauchte es ein in die braune leere Flut.

„Neeeeiiin!“

Ein Schrei durchbrach die Dunkelheit, riss an ihren dichten Vorhängen.

Geschockt sprang der blonde Sänger in seinem Bett auf. Fahrige Hände rieben über kalte Haut, suchten nach Spuren, suchten nach kleinen krabbelnden Unwesen, die nie da gewesen waren.

Schmale weiße Finger tasteten zitternd über sein rechtes Auge. Es fühlte sich fremd an, so widerlich fremd.

Schmerzhaft bohrten sich spitze Fingernägel in die frische milchig weiße Haut seiner Wange, wollten zerstören. Doch der Schmerz war rein, er half den Ekel zu ertragen, den er im Moment empfand.

Ekel vor sich selbst und seinen lebendig gewordenen Gedanken.

Lautlos fiel die Bettdecke zu Boden.

Kleine nackte Füße kollidierten mit dem eiskalten Grund. Unsichere Schritte klangen durch die Einsamkeit, wankend, noch ein Schritt, eine Sicherheit suchende Hand streckte sich nach der schützenden Wand, Finger strichen über Raufasertapete, so uneben und fehlerhaft.

Ein schmaler kleiner Rücken lehnte sich schwer gegen den Stein, rutschte hinab, immer tiefer, hinab in den Abgrund, bis der tiefste Punkt erreicht war.

Bebende Arme schlangen sich um weiche Knie. Ein rundes Kinn gesellte sich dazu.

Einsam in der Ecke des ungastlichen Zimmers saß er, rührte sich nicht und ertrug das fortwährende Summen der Insekten und das Krabbeln der Käfer, als der Wahnsinn einmal mehr über ihm zusammen schwappte.
 

~ooOoo~
 

END Chapter 3



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Kommentare zu diesem Kapitel (27)
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Von:  Zerocchi
2005-05-22T19:00:26+00:00 22.05.2005 21:00
Wunderschön, deine ganze Art zu schreiben, zu beschreiben wie Kaoru fühlt, der Hass den Die fühlt, alles empfindet man wie als wäre man selbst darin gefangen. Und der Stil wie du Kyos makabere träume beschreibst ist noch viel umnebelnder... ich glaube würde ich dazu noch das passende Lied hören würde ich wirklich wie benebeld vor dem Bildschirm sitzen und nur die Worte anstarren, die eine so unglaubliche Wirkung auf einen haben...
Von:  Saki-san
2004-11-26T16:45:56+00:00 26.11.2004 17:45
Es ist richtig traurig zu lesen, wie sehr Kaoru Die liebt und dass er ihn so glücklich sehen will, dass er selbst bereit ist, dafür seine eigenen Gefühle zu opfern ,damit Die in seiner Liebe zu Kyo aufgehen kann.
" Und er würde da sein, wann immer Die fallen
sollte und dann würde er ihn wieder auffangen, wie auch in der vergangenen
Nacht." ...das bringt mich zum Weinen...

Und dann die Entkaterungsaktion... klasse! Kao ist ein spitzen Kummer-Mülleimer.



Der Mathe Unterricht erinnert mich zu deutlich an meine eigenen Schultage... und die Mathe Seminare und Tutorien an der Uni... bitte verschone mich! Da leidet man ja mit.


Die Probe ist auch klasse, auch wenn ich denke, dass der Streit nicht mal eben so leicht aufgelöst würde, wenn ich einer der Dirus wäre.. aber ist schon gut gemacht, wenn sie darauf klar kommen.

Und dann das Gespräch über den Alkoholkonsum mit Shinya, Dies Reaktion und sein unbedingter Wunsch ,sich nichts anmerken zu lassen. Das ist wirklich sehr schön beschrieben worden. Kann ich mir super so vorstellen.


Ohooo...böseböse, Dies Papa ist in deiner Fanfic ja ein unangenehmer Kerl... das erklärt wieder so einiges... da leidet man mit!


"So, du warst also wieder bei dieser Schwuchtel. Den ganzen Tag? Habt ihr's
getrieben oder was?"

Okay; noch wesentlich böser!

"Er war keinen Deut besser als sein Vater."
Ich glaube, diese Einstellung teilen viele Kinder von Alkoholikern. Deswegen gibts ja auch die AAs für Jugendliche... und trotzdem ist es ein seltsames gefühl, sowas hier explizit zu lesen. Die tut mir richtig leid.


"MEIN Sohn wird nicht zu einer Transe. MEIN Sohn fickt keine Ärsche. Und MEIN
Sohn tut verdammt noch mal was ICH ihm sage!!!"

Ich finds gut, dass du auch mal schreibst, was die Jungs teilweise ertragen müssen, insofern sie denn in den Fanfictions bi oder schwul sind. Denn in den meisten FFs geht immer alles glatt und alle freuen sich nur... du zeigst mal ne andere Seite, gefällt mir.


Es ist sehr beeindruckend zu lesen, wie du mit Worten und Vergleichen die Sehnsucht in Kyo ausdrückst, im Schlaf alles zu verdrängen, sich da hinein zu ergeben. So stelle ich mir Kyo auch vor, nur würde ich das niemals so anschaulich und nacherlebbar beschreiben können. Das ist wirklich eine Meisterleistung!

Ich hab deine Fanfic ja jetzt erst bis hier hin gelesen ,aber ich finde es beendruckend, welche Parallelen wir bei Kyo haben... du erinnerst dich sicher an die Szene mit Kyo im Hotelzimmer... ich fühl mich gerade ein wenig komisch deswegen... kann nicht erklären warum

Jedenfalls ist es ein wundervolles Kapitel gewesen und ich werde sicherlich gespannt weiter lesen.
Von:  Shunima
2004-10-19T01:08:53+00:00 19.10.2004 03:08
huh, schicksale über schicksale... gibt es noch einige, die normal sin? die den armen helfen können? ^^;;
mir tunsie leiiiiid *flenn*
Wah...müde desu, muss ins bett... dabe i will ich jetzt weiterlesen! Deine story is so genial....
Von: abgemeldet
2004-09-03T21:32:49+00:00 03.09.2004 23:32
es ist fertig.....?
*zuck*
*zuck zuck*
*umknuddel*
*anfängt zu heulen*
T_T
*weiter lesen will*
Von: abgemeldet
2004-09-03T17:39:15+00:00 03.09.2004 19:39
Hab ich jemals gesagt das ich Kyo nicht mag? Ô.o....
Im Gegenteil ich liebe Kyo xD
Dai/Kyo mag ich auch gerne,
aber so wie dus geschrieben hast hats Kao verdient mit Dai zusammen zu kommen... ka xD

Schönes Kappie ^^
Von:  winterspross
2004-09-02T19:07:58+00:00 02.09.2004 21:07
srry hab nur zeit fürn minireview.
(die arbeit macht so müüüde.. +einschlaf+)
öhm. die szene mit shin fand ich süß. ich mag den kleinen und würd mich freuen, wenne r etwas öfter vorkommen dürfte.
kyos traum hat mich überrascht. dass 'der kleine psycho' so schlimm drauf ist...
naja, was solls, mach weiter!
lg
Von:  Akai
2004-09-02T16:49:12+00:00 02.09.2004 18:49
Tjaaaa...nachdem ich die F seit Anfang mitlese, mich aber nie >getraut<XD hab, n'Kommi zu schreiben (Stimme im HG:> Gib's zu, du warst einfach zu faul!< Moi:>Klappe!<¬_¬).

Ne, hontô ni..die FF is genial! *_*
Ist unglaublich, wie treffend du dieses >Wahnsinn<, den Kyo umgibt, beschreibst, die Gefühle, die Worte etc.

Armer Die...*sniff*....Alkohol hat echt die Macht, Familienbanden zu zerreissen.
Ich hoffe aber, dass das bei ihm irgendwann wieder ins Reine kommt.^_^

Ich stimme winterspross voll und ganz zu, dass diese Anfangstexte supi sind!^_^v
Die leiten so schön ein.

Meinereiner wartet jedenfalls schon gespannt auf den nächsten Teil! >v< (die Chaps sind ja imma schön lang..*___* Yay!)
Von:  -Yu-
2004-09-02T15:20:17+00:00 02.09.2004 17:20
oh mai fedd godd~ ;o;
es is so ultradramatisch ey!! x______X
*mit taschentücher un kao verkriech* *schnief*
echt? du has ihn mir schon geschenkt??
stimmt~ ôo
oh wie toll~ *-* *kao knuddl* *abknutsch*
kay.. zurück zum chap..
dramaaaatsch~ ûu armer die.. ;o; armer kyo...~ ;o;
sie tun mir alle so leiiid~ *schluchz*
un kao is keine schwuchtel!! ò___Ó *dies dad treeet*
muahahaaaa. ich un lemon-süchtig? nöö~ xDDD;; nich doch.. *glucks*
jaaha maaaaach!! *-* *froide*
*anpoke*
jaja ich fori mich schon wenns weidageht~ ^____^
s is einfach ne supa ff und dein schreibstil haut mich imma wieda um... ;o;b
*feeeeeschd drück* *liebesgrüße reschick* xDD
hach~ hab dich soo liieeeb xDD *knüll* *knutsch*
also~ schreib noch schnella! xD
Von:  _Jenji_
2004-09-02T02:18:34+00:00 02.09.2004 04:18
oh mein gott!!!
T.T die-chan!!!!!
sorry, aber ich bin zu geschockt, um noch großartig kommentare abzugeben!
weiterschreiben musst du trotzdem
sayonara
Von: abgemeldet
2004-09-01T19:24:58+00:00 01.09.2004 21:24
huhu
mhmhmhm also das einzige Lied das ich kenne wo gaaaaanz deutlich Geräuche zuhören sind die beim entleeren des Magens
entstehen ist "Child prey" (gekotzt wird aber erst ziemlich am Schluß !). aja du bist also auch so ne Nachteule wie ich was ? ( °v° ) Schuhu ! *eulesei*
also: das Kapitel war Einfach nur geil ! Ich liebe es einfach wenn Kyos gedankengänge (oder Träume)so beschrieben sind ! also bitte,bitte schreib schnell weiter sonst bekomm ich entzugs erscheinungen und die stecken mich in die Klapse!(indem Fall fänd ich eigentlich geil wenn Kyo doch Ein Psycho wär !Wir könnten sicher coole Gedankengänge austauschen!*träum*wär das geil !)
so ich sag mal cu und wende mich mal wieder dem restlichen animexx zu (heut häng ich aber nit (oder doch ?)so spät am computer rum !) Machs gut únd Denk dran : Von alkohol wird man ein Frack !
ciao,ciao
Blackblade


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