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Und wieder ein Tag

Fortsetzung zu "And you... I wish I didn't feel for you anymore..."
von

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Ein Flüstern im Wind

Ein paar von euch werden den Text sicher wiedererkennen und nein, ich hab ihn nicht geklaut, ich hab ihn wirklich geschrieben ^^. Ich war früher auf dem Mexx als "SilentRose" registriert, hab den Namen aber inzwischen geändert. Ursprünglich hat Tolotos diese Fanfiction mal für mich veröffentlicht, aber da ich ihn schon länger nicht mehr erreichen kann, werde ich sie jetzt selbst noch einmal hochladen + das neue 5. Kapitel.
 

Das Tempo in dem deise FF fortgesetzt ist leider sehr langsam, habt bitte Geduld mit mir. Sie wird 100%ig nicht abgebrochen, sondern zu Ende geschrieben!
 

Das Rating ist bisher noch PG-13.
 

CrimsonFlow (alias SilentRose)
 

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Und wieder ein Tag
 

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Kapitel 1

Ein Flüstern im Wind
 

Nur sehr langsam konnte Severus Snape, Zaubertrankmeister und Lehrer an der Hogwarts Schule für Hexerei und Zauberei, seinen Geist dazu überreden, aus dem angenehmen, dumpfen Nebel des Schlafes in die Realität aufzutauchen, um sich einem neuen Tag zu stellen.
 

Die Sonne fiel in einem schmalen Streifen durch das runde Fenster knapp unterhalb der Kerkerdecke direkt auf sein Bett. Severus konnte fühlen, wie sie für wenige Minuten über sein Gesicht streichelte, bevor die Sonne höher stieg, um schließlich für den Rest des Tages wieder aus dem Kerker zu verschwinden und nichts weiter zurück zu lassen als Trost spendende, leere Dunkelheit.
 

Mit einem Seufzen öffnete Severus die Augen und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. Wozu aufstehen? Gab es einen Grund? Wenn ja, hatte er ihn vergessen.
 

Ein für ihn typisches, eiskaltes Halblächeln legte sich auf seine Lippen, als er nach seiner Decke griff und sie ein wenig weiter über seine Schultern zog, während er sich auf die Seite drehte. Doch an Schlaf war nicht mehr zu denken, so sehr er es sich auch wünschte, einfach wieder die Augen schließen und den Tag vergessen zu können.
 

Noch schlechter gelaunt als sonst, schlug Severus schließlich die Decke mit einem leisen Knurren zurück und stand auf.
 

Ein neuer Tag, es gab einfach kein Entrinnen. Der wievielte war es schon? Severus zog für einen Moment die Stirn kraus, dann schüttelte er geschlagen den Kopf. Er drehte durch. Langsam aber sicher drehte er durch.
 

Eintausenddreihunderteinundachtzig Tage.
 

Es war nicht normal, daß er noch immer zählte. Und trotzdem konnte er nicht damit aufhören. Die Hoffnung starb als letztes, sogar bei ihm. Außerdem hatte er versprochen, nicht zu vergessen. Und der Tag, an dem er damit aufhörte zu zählen, war der Tag, an dem er vergaß.
 

Eintausenddreihunderteinundachtzig Tage nach Harry Potter.
 

~ * ~
 

Obwohl es ein Wochenende war, war die Große Halle zu dieser noch relativ frühen Stunde gut besetzt. Für die Schüler ab der dritten Jahrgangsstufe war es ein Hogsmeade-Wochenende, ein Ereignis, zu dem sogar der faulste unter ihnen so früh wie möglich aus den Federn kroch.
 

Severus saß wie immer stumm vor sich hinbrütend auf seinem Platz am Lehrertisch und stocherte lustlos in seinem Essen herum. Lustlos bedeutete in seinem Fall, daß er es mit einer solchen Kraft tat, daß seine Kollegen auch nicht nur einen Moment daran dachten, den Versuch eines Gespräches zu starten. Einige von ihnen tauschten vielsagende Blicke aus und nickten einander kaum merklich zu.
 

Eindeutig, es war mal wieder "einer dieser Tage". Severus schnaubte verächtlich. Was wußten diese Idioten schon?
 

"Guten Morgen!" begrüßte Dumbledore die gesamte Halle wie immer - wie zumindest Severus fand - über die Maßen fröhlich. Heute war definitiv einer dieser Tage, an denen er den alten Direktor gerne für immer zum Schweigen gebracht hätte, nur damit er diese Fröhlichkeit nie wieder ertragen mußte.
 

Nachdem ihm die ganze Halle geantwortet hatte - mit Ausnahme seines Zaubertranklehrers natürlich, setzte Albus Dumbledore sich und griff nach dem Besteck neben seinem Teller. Ein kurzer Blick auf Severus genügte ihm, um ihm die selbe Warnung zu geben, wie dem Rest des Kollegiums, doch im Gegensatz zu ihnen, war es Dumbledore nicht vergönnt, der tickenden Bombe, die der jüngere Mann heute wieder einmal war, aus dem Weg zu gehen.
 

"Auch dir wünsche ich einen guten Morgen, Severus." Severus schnaubte verächtlich und rammte seine Gabel in ein nicht besonders appetitlich aussehendes Stück gegrillte Tomate. Dumbledore kicherte, als das matschige Gemüse sich spritzend über den ganzen Tisch verteilte und Severus sich angewidert über die Wange wischte.
 

"Es freut mich immer wieder, wenn ich für deine Erheiterung sorgen kann, Albus." Knurrte Severus giftig und griff nach seiner Serviette. Obwohl er noch nicht einen Bissen gegessen hatte, wischte Severus sich damit über den Mund und feuerte sie anschließend ungewohnt unmanierlich auf seinen Teller. Dumbledore zog ein wenig verwundert die Augenbrauen zusammen. Selbst an seinen schlechten Tagen kam es doch höchst selten vor, daß Severus seine Manieren vergaß.
 

Beinahe schon heftig schob Severus seinen Stuhl zurück und wollte gerade durch den Lehrereingang aus der Halle stürmen, als Dumbledores ruhige Stimme ihn zurückhielt.
 

"Severus, ich hätte dich gerne in einer wichtigen Angelegenheit gesprochen. Komm doch bitte in mein Büro. Sagen wir, in einer halben Stunde." Einen Moment lang fixierten glitzernde, himmelblaue Augen schwarze. Dumbledore glaubte schon, daß Severus ihm widersprechen wollte, doch schließlich nickte der jüngere nur knapp, preßte die Lippen, die ohnehin schon nicht mehr breiter als ein schmaler Strich waren, noch fester zusammen und verließ die Halle in einem Tempo, als wäre der Teufel höchst persönlich hinter ihm her.
 

Dumbledore seufzte. Wenn er doch nur endlich gewußt hätte, was mit Severus in den letzten Jahren los war. Aus einem nicht gerade angenehmen Zeitgenossen war praktisch über Nacht der Alptraum in Person für das gesamte Kollegium geworden - an die Schüler dachte er lieber erst gar nicht - und niemand wußte auch nur ansatzweise, was diese Veränderung ausgelöst hatte und wie man sie wieder revidieren konnte.
 

~ * ~
 

Eine halbe Stunde später war das Schloß bereits so gut wie ausgestorben. Die Schülerhorden hatten das Schloß unter Aufsicht von Hausmeister Argus Filch verlassen und befanden sich auf dem Weg nach Hogsmeade. Die Schüler der ersten beiden Klassen und die wenigen, die trotz Erlaubnis nicht nach Hogsmeade gegangen waren, hatten sich in die Bibliothek oder ihre Gemeinschaftsräume zurück gezogen.
 

Und Severus konnte nicht anders, als ihnen zu dieser Entscheidung zu gratulieren. Seine ohnehin schon schlechte Laune hatte sich seit dem Frühstück vor wenigen Minuten nur noch mehr verschlechtert. Das Gespräch mit Dumbledore konnte für ihn wieder nur etwas bedeuten, was er mehr als alles andere endlich vergessen wollte.
 

Doch ein Albus Dumbledore ließ eine nützliche Figur auf seinem höchsteigenen Schachfeld niemals vergessen. Nicht so lange er noch immer von Nutzen war.
 

Die steile Falte auf der Stirn des Zaubertrankmeisters wurde noch ein wenig steiler, als er die Bitterkeit fühlte, die diese Gedanken in ihm aufwallen ließ. Harry hatte es schon richtig gemacht. So sehr es auch schmerzte.
 

Der Wasserspeier am Eingang zu Dumbledores Büro schwang ein wenig schneller als sonst zur Seite, als Severus ihm das Paßwort zuzischte und auch die Treppe machte auf ihn den Eindruck, als wollte sie ihn nur so schnell wie möglich wieder loswerden. Ein grausames, kleines Grinsen legte sich auf seine Lippen. Immerhin beeindruckte er überhaupt noch irgendwen, und wenn es nur Wasserspeier und magische Treppen waren.
 

Dumbledore blickte mit einem warmen Lächeln auf, als Severus sein Büro betrat, deutete auf einen der großen, bequemen Lehnstühle vor seinem Schreibtisch und wandte sich dann wieder dem Pergament zu, das er gerade las. Nach etwa zwei Minuten schweigenden Lesens nickte der Direktor zufrieden, unterschrieb das Schriftstück, rollte es zusammen und legte es zur Seite.
 

"Danke, daß du meiner Einladung gefolgt bist, Severus." Begrüßte er Severus schließlich, in seinen Augen noch immer das selbe Funkeln wie kurz zuvor beim Frühstück.
 

"Mir war nicht bewußt, daß ich eine Wahl hatte, Albus." Entgegnete Severus eisig, um seinem Chef klar zu machen, daß er definitiv nicht in der Stimmung war, mit sich spielen zu lassen. "Aber ich werde es mir für die Zukunft merken."
 

"Wie dem auch sei, Severus," das Lächeln war einfach nicht vom Gesicht des alten Zauberers zu wischen, "danke ich dir, denn die Angelegenheit ist von großer Wichtigkeit."
 

"Mal wieder." Bemerkte Severus trocken und verschränkte die Arme vor seiner Brust. "Erleuchte mich, Albus, welchen großartigen Plan hast du für heute gefaßt? Welchen meiner alten Kontakte soll ich diesmal aufsuchen?"
 

"Es geht das Gerücht um, daß Lucius Malfoy vor einigen Tagen in London gesehen wurde. Zwei alte Muggelfrauen haben ihn angeblich erkannt und ihn bei der örtlichen Polizeistelle gemeldet. - Ich möchte dich bitten, daß du nach London reist und dich dort umhörst. Ich bezweifle, daß er so dumm sein wird, sich in der Winkelgasse aufzuhalten, aber die Nokturnegasse ist noch immer ein beliebter Zufluchtsort für die Anhänger Voldemorts.
 

Ganz zu schweigen von den etwas zwielichtigeren Vierteln von Muggellondon. Ich habe alles für deine Abreise vorbereitet." Er deutete auf zwei kleine Lederbeutel vor sich auf dem riesigen Schreibtisch, die wie Severus wußte, mit Gold gefüllt waren. Nicht zum ersten Mal fragte Severus sich, ob der alte Mann die Bestechungsgelder für Severus' Informanten eigentlich vom Ministerium gestellt bekam.
 

"Lucius wäre niemals so dumm, Albus." Ein verräterisches Zittern hatte sich in Severus' Stimme geschlichen, doch es war so klein, daß er hoffte, es würde überhört werden.
 

"Lucius Malfoy ist verzweifelt, Severus. Verzweiflung treibt selbst die klügsten Männer zu dummen Taten. Es ist eine große Chance, die wir uns nicht entgehen lassen sollten." Severus ließ die Schultern kaum merklich hängen, fixierte Dumbledore aber mit seinem unnachgiebigen Blick.
 

"Natürlich nicht." Preßte er wütend hervor, griff nach den Beuteln auf dem Tisch und verließ ohne einen weiteren Blick in Richtung Dumbledore das Büro des Direktors. Es war doch immer das selbe mit dem alten Narren. Und wenn Lucius wirklich in London war, glaubte Dumbledore denn wirklich...
 

Severus warf die Arme in die Luft und verdrehte genervt die Augen. Wen kümmerte es? Er würde gehen, würde drohen, bestechen, Informationen aus seinen Leuten herauspressen, wenn es sein mußte. Er würde nichts erfahren und wieder nach Hogwarts zurückkehren. Immerhin war dann wieder ein Tag vorbei.
 

~ * ~
 

London war an sich keine besonders saubere Stadt. London im Oktober allerdings war noch einmal eine Steigerung an tristem Grau, Schmutz und düsterer Bedrückung. Zumindest in den Vierteln, die Severus Snape in den letzten Stunden durchkämmt hatte.
 

Wie er nicht anders erwartet hatte, hatten weder seine Informanten in der Nokturnegasse noch die in Muggellondon bisher irgendeine brauchbare Information ausgespuckt. Die Gerüchte über Lucius' Aufenthalt in London kannten sie, sie kursierten schließlich nur allzu offen, aber keiner wollte etwas darüber wissen, ob sie auch wirklich wahr waren oder eben doch nichts weiter als Gerüchte.
 

Obwohl es wegen der dicken, dunkelgrauen Wolkendecke schwer zu sagen war, wußte Severus, daß die Sonne sich langsam dem Horizont näherte. Es wurde Zeit, daß er das hier zu Ende brachte. Aber noch blieb ein Informant, den er nicht befragt hatte. Ein grausames Lächeln legte sich auf die dünnen Lippen des Zaubertrankmeisters.
 

Auf diesen speziellen freute er sich fast. Er erinnerte ihn sehr an seinen ehemaligen Schüler Longbottom und im Gegensatz zu Neville quälte er diesen kleinen Bastard ausgesprochen gerne. Immerhin tat er es nicht aus reinem Sadismus. Das Lächeln wurde noch ein wenig breiter, noch ein wenig kälter. Aber er und der kleine Wurm hatten schließlich eine Rechnung offen, an der er noch lange würde abbezahlen müssen.
 

Severus Snape vergaß Verrat nicht sonderlich schnell.
 

Der untersetzte, schmuddelige Mann hinter der Bar blickte nicht auf, als die Tür zu seiner Kneipe sich öffnete und Sekunden später wieder schloß. Seine Kundschaft bevorzugte es, wenn man ihr nur Aufmerksamkeit schenkte, sobald sie den Mund öffnete, um Bestellungen zu tätigen. Und wer war Marcus Nott schon, daß er sich diesem Wunsch seiner Gäste widersetzte?
 

"Lange nicht gesehen, Marcus." Der jüngere Mann zuckte beim Klang der kalten, sanften Stimme des Zaubertrankmeisters sichtlich zusammen und sein Gesicht hatte sich fast kalkweiß verfärbt, als er das Gesicht hob und den düsteren Zaubertrankmeister mit vor Angst flackernden Augen ansah.
 

Ein verächtliches Halblächeln legte sich auf Severus' Lippen.
 

"Mr. S...Snape, Sir. Das ist eine Überraschung! Was kann ich für Sie tun?" fragte er und wischte sich dabei sichtlich nervös die Hände an einem schmutzigen, alten Geschirrtuch ab. Das Halblächeln auf den Lippen des älteren nahm einen grausamen Ausdruck an. Nott schluckte.
 

"Ich möchte nur wissen, ob du etwas über den Verbleib von Lucius Malfoy weißt, Marcus. Kein Grund, dir in die Hosen zu machen." Doch der erbarmungslose, kalte Klang seiner Stimme und die Härte in seinem Blick trugen nicht wirklich dazu bei, daß Nott sich entspannte. Severus Snape war stets dann am gefährlichsten, wenn er am ruhigsten wirkte.
 

"Lucius... schon lange nichts mehr von ihm gehört, Sir." Antwortete Nott viel zu schnell und wischte noch immer hochgradig nervös mit dem selben schmuddeligen Geschirrtuch über die verklebte Theke. Severus verschränkte die Arme vor der Brust, Ungeduld funkelte in seinen Augen auf.
 

"Es heißt, daß er in London gesehen wurde." Nott wich seinem Blick aus, scheinbar mit einem besonders hartnäckigen Fleck auf der Theke beschäftigt und hob die dünnen Schultern.
 

"Ich weiß davon nichts." Severus unterdrückte das Gefühl der entnervten Enttäuschung, das in ihm aufstieg. Nicht daß man es ihm verübeln konnte, nachdem er einen ganzen Tag damit verschwendet hatte, durch dieses Loch von einer Stadt zu wandern, nur um absolut nichts zu erreichen. Aber dennoch war das weder der Ort noch die Zeit, um diesen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Mit diesem kleinen, netten Sturm würde Dumbledore später noch seinen Spaß haben dürfen.
 

Spaß allerdings war ein gutes Stichwort. Er glaubte seinem ehemaligen, jungen Gefolgsmann zwar durchaus, daß er wirklich nichts von Lucius wußte, aber das hieß nicht, daß er nicht noch ein wenig mit ihm spielen konnte.
 

"Merkwürdig. Dabei hatten mir mehrere Leute bestätigt, daß du es wissen würdest, weil du noch immer mit Lucius in Kontakt stündest." Die Reaktion war verblüffend. Das Geschirrtuch fiel hinab auf den seit langem ungewischten Boden und die Hände des jungen Mannes zitterten so heftig, daß jeder richtige Barkeeper wahrscheinlich neidisch darauf gewesen wäre, mit so wenig Aufwand einen hervorragenden Cocktail mixen zu können. Die geschockten, wäßrigen Augen versuchten verzweifelt in Severus' Gesicht etwas zu finden, was ihm sagen konnte, ob der ältere ihn nur auf den Arm nahm oder es ernst meinte.
 

"D..das ist ... vollkommen unmöglich. Ich ... ich habe Lucius seit fast vier Jahren nicht mehr gesehen." Wehrte er heftig ab, mühsam darum kämpfend, daß seine Stimme nicht vor Panik brach. Das Halblächeln auf Severus' Gesicht wandelte sich zu einem geradezu sadistischen Grinsen.
 

"Ich will doch hoffen, daß du mich nicht belügst, Marcus. Das wäre nicht nett."
 

"Sir, ich würde niemals..." Severus hob die Hand und Nott verstummte sofort. Die aufgesetzt freundliche Maske, die Severus' Gesicht darstellte, war beängstigender als alles andere für den jungen Zauberer.
 

"Na, wir wollen doch nicht gleich schon wieder lügen, Marcus. - Na gut, nehmen wir mal an, du weißt wirklich nicht, wo Lucius steckt und du bist ausnahmsweise mal ehrlich und kein verräterischer Lügner gewesen. Würdest du es mir dann sagen, sobald du etwas von ihm hörst?" Nott nickte heftig, längst nicht mehr in der Lage, noch den Mund zu öffnen, ohne sich noch mehr zu blamieren, als es ohnehin schon geschehen war. Severus betrachtete sein Werk zufrieden.
 

"Sehr gut, Marcus." Doch Nott wußte, daß dieser lobende Ton ebenso falsch war, wie jede andere Art der Freundlichkeit, die Severus ihm gegenüber zeigte und er machte sich nicht die Illusionen, daß er jemals noch einmal vor der Wut des Mannes sicher sein würde.
 

Severus wandte sich in Richtung Tür, um die Kneipe zu verlassen und Nott atmete erleichtert auf. Doch bevor er die Tür erreichte, drehte Severus sich noch einmal um und sein Blick war so eisig, daß er dem jungen Zauberer augenblicklich das Blut in den Adern gefrieren ließ.
 

"Sollte ich erfahren, daß du doch etwas wußtest, war es das letzte Mal, daß du mich angelogen hast, Marcus." Noch lange nachdem sich die Tür hinter seinem ehemaligen Gefährten geschlossen hatte, stand Nott hinter der Theke und zitterte wie Espenlaub.
 

Eine Drohung, ausgesprochen von Severus Snape, war ein sicheres Todesurteil, wenn man sich noch einmal etwas zu Schulden kommen ließ.
 

~ * ~
 

Alles um ihn herum hatte etwas weiches, dumpfes an sich. Eine angenehme Taubheit, die sich wie eine warme Decke um seine Schultern gelegt hatte und ihm die Gedanken vernebelte.
 

Harry war für diesen Nebel dankbar. Es gab für ihn schon seit langem nichts mehr, was besser und willkommener war, als dieser Nebel. Er hieß vergessen, flüchten, eine Weile nicht mehr Harry sein zu müssen. Selbst wenn es nur Minuten waren, sie waren es wert, immer wieder gelebt zu werden, egal was man dafür auch auf sich nehmen mußte.
 

Harry schloß für einen Moment die Augen und schluckte heftig, als der Schwindel ihn erfaßte. Er taumelte, schaffte es aber mit einer fast schon geübten Leichtigkeit, sein fragiles Gleichgewicht zu halten. Nein, er war schon lange über das Stadium hinaus, in dem er unkontrolliert durch die Gegend gestolpert war. Ein kleines Lächeln legte sich auf seine aufgesprungenen, rauhen Lippen. Immerhin eine Situation, die er in seinem Leben ohne Probleme gemeistert hatte.
 

Mit einem Seufzen lehnte er sich an den kalten Mast einer Straßenlaterne und widerstand nur knapp dem Drang, an dem kühlen Metall entlang auf den Boden zu rutschen, den Kopf auf die Knie zu legen und einfach einzuschlafen. Es war kalt und naß und kein guter Ort zum Schlafen, so viel drang durch den Nebel noch hindurch.
 

"Sieh an, der kleine Stricher schon wieder." Mühsam drehte Harry den Kopf in die Richtung, aus der die kalte Stimme gekommen war und versuchte, seine grünen Augen auf sein Gegenüber zu fixieren. Nur gemächlich langsam drang die Information, die diese Worte übermittelten bis in Harrys Gehirn vor und noch viel langsamer registrierte er, daß er Angst haben sollte. Harry blinzelte.
 

"Hatte ich dir nicht gesagt, daß du hier verschwinden sollst? Du vergraulst mir meine gesamte Kundschaft."
 

"Tut mir leid." murmelte Harry mühsam und sehr gedehnt. Er versuchte, sich von dem Laternenmast abzustoßen, um sich noch ein wenig weiter zu schleppen und diesen, ihm offensichtlich nicht freundlich gesonnenen Dealer sich selbst zu überlassen, doch er konnte die Kraft dafür nicht aufbringen. Der Nebel war wohl heute doch etwas zu dicht.
 

"Was heißt hier, es tut dir leid? Davon kommen meine Kunden auch nicht wieder. Kein Mensch will so ein Stück Dreck wie dich sehen." Der größere und sehr viel stärkere Mann kam auf Harry zu, der noch immer darum kämpfte, weiter sein Gleichgewicht zu halten. Harry registrierte kaum, wie der andere ihn am Kragen faßte und ihn ziemlich unsanft von der Lampe wegzerrte. "Ich hatte eigentlich bisher den Eindruck, daß gerade Abschaum wie du immer sehr genau weiß, was gut und was nicht gut für ihn ist. Warum bist du also so dumm und kommst immer wieder hier her?" Das war eine gute Frage. Wenn Harry ehrlich sein sollte, wußte er darauf keine Antwort. Vermutlich, weil er nicht darauf achtete, wo er eigentlich hinging, wenn der Nebel aufzog. Weil er sich dann einfach in den Moment verlor.
 

Der Moment wurde unsanft unterbrochen, als der scharfe Schmerz in seinem Magen endlich von Harrys Hirn registriert wurde. Harry krümmte sich zusammen, doch kein Schmerzenslaut kam über seine Lippen. Ein Schlag nach dem anderen traf seinen Körper, sein Gesicht. Er schmeckte den metallischen Geschmack von Blut, als die Faust des anderen Mannes seine Lippe traf und die trockene, spröde Haut unter dem Gewalteinfluß aufbrach.
 

Doch das alles ging in seinem Nebel unter. Der Schmerz des ersten Schlages verklang wie ein Flüstern im Wind und darauf folgte nur noch Taubheit. Harry schloß die Augen, als die Faust seinen Kiefer traf und stöhnte auf. Das war alles noch nicht genug und dieser Kerl ahnte nicht einmal, welchen Gefallen er Harry gerade tat, wie sehr er sich wünschte, daß er noch härter zuschlagen würde.
 

~ * ~
 

Es war immer das gleiche, widerliche Gefühl, wenn er diese Absteige verließ. Das Gefühl, sich schmutzig gemacht zu haben, auch wenn man nichts berührt hatte. Und noch schlimmer, das Gefühl, diesen Schmutz nie wieder abwaschen zu können.
 

Mit einem dumpfen Knurren schlug Severus den Kragen seines Mantels auf, um den Regen daran zu hindern, seinen Nacken hinab zu laufen und vergrub anschließend seine Hände tief in den Taschen seines Mantels. Es waren dumme Gedanken, die er da mal wieder hatte. Alles Blödsinn. Dieser Schmutz war nun einmal ein Teil seiner Vergangenheit und er würde es nicht hinter sich lassen können, so lange Dumbledore es einfach nicht zulassen wollte, daß er Abstand zu dieser Vergangenheit gewann.
 

Severus' Blick verhärtete sich und er zog die Schultern noch ein wenig höher. War es zu einfach, Dumbledore die Schuld an allem zu geben? Immerhin hatte er sein Leben höchstpersönlich selbst versaut... ja, schon, aber das gab dem alten, senilen Tattergreis noch lange nicht das Recht, ihm die Möglichkeit zu verwehren, weiter zu gehen. Er trat auf der Stelle und nur, weil Dumbledore das wollte. Ende.
 

Zu einfach, aber es war zumindest ein Teil der Wahrheit, nicht wahr?
 

Severus horchte auf, als er nicht weit entfernt die wütende Stimme eines Mannes hören konnte, auf die ein verhaltenes, schmerzhaftes Stöhnen folgte.
 

Obwohl es ihn weder etwas anging, noch besonders interessierte, folgte Severus diesen Geräuschen. Es war nur ein Gefühl, etwas auf das er selten etwas gab, aber es war da, klein und ungewöhnlich nervig und so entschied er sich, weiter zu gehen.
 

Die Geräusche wurden lauter und Severus konnte zwei Dinge ganz klar erkennen. Jemand wurde verprügelt und er war sehr nah. Er beschleunigte seinen Schritt ein wenig, bog um die nächste Ecke und wurde in der nächsten Sekunde zu Boden geworfen, als ein ziemlich schmutziger, verwahrloster Junge gegen ihn prallte. Der Junge ging mit ihm zu Boden und blieb regungslos auf Severus liegen.
 

Mit einem kaum verhaltenen Fluchen versuchte Severus, sich von der Last zu befreien, die ihn zu Boden drückte. Der Junge war zwar erbärmlich dünn, aber es war trotzdem gar nicht so einfach, sich unter ihm hervorzukämpfen, ohne ihn dabei noch mehr zu verletzen.
 

Als Severus - immer noch fluchend - wieder auf die Beine kam und versuchte, den größten Dreck von seinem teuren Mantel zu klopfen, trafen seine eiskalten, schwarzen Augen auf den zweiten Mann, der immer noch wütend, aber sichtlich unsicher, was er jetzt tun sollte, einige Meter entfernt stand und sich nicht rührte. Severus' Augen verengten sich zu winzigen Schlitzen und seine Augenbrauen trafen sich beinahe, wurden nur von einer tiefen Zornesfalte knapp über der Nasenwurzel getrennt.
 

"Gibt es hier ein Problem?" Zufrieden registrierte er das kurze Zusammenzucken des anderen Mannes beim Klang seiner Stimme. Nicht nur auf Schüler und ehemalige Todesser konnte er furchteinflößend wirken.
 

"Ich wüßte nicht, was es dich anginge, Freak." Die Augenbrauen trennten sich und die rechte schoß praktisch hinauf zu Severus' Haaransatz. Der Rest seines Gesichts blieb kalt und unbewegt. Freak? Ein Muggel, der in diesem Schmuddelviertel in schwarzen Kunstlederhosen, einem schreiend bunten Hemd und einem billigen Mantel herumlief - alles an dieser Aufmachung schrie seine zweifelhafte Profession praktisch heraus - nannte ihn einen Freak? Severus konnte sich nicht erinnern, daß es ihn seit seiner Zeit als loyaler Todesser noch einmal so in den Fingern gejuckt hatte, seinen Zauberstab gegen einen Muggel zu richten. Manchmal war es doch zu schade, daß es verboten war!
 

"Eine ganze Menge, fürchte ich." entgegnete Severus zu seiner eigenen Überraschung. Sein Mund war heute schneller als sein Kopf. - Das war nun wirklich eine Seltenheit.
 

"Ach ja?" gereizt stemmte der Dealer die Hände in die Hüften. "Und wer bist du, daß du glaubst, dich hier einmischen zu müssen, Freak?" Es war schon zu dämmrig, sonst hätte er das gefährliche Funkeln in Severus' Augen vermutlich gesehen.
 

"Robin Hood, der Rächer der Enterbten, Witwen und Waisen! Und wenn du nicht zusiehst, daß du von hier verschwindest, dann wird es dir leid tun, Freundchen." Severus griff in die Tasche seines Mantels und umfaßte seinen Zauberstab. Die Augen des anderen verfolgten jede seiner Bewegungen und trotz der Dunkelheit konnte dieser nur zu genau erkennen, daß Severus nach etwas in seiner Tasche gegriffen hatte und sich dieses etwas verdächtig gegen die Manteltasche abzeichnete. Ein Messer oder vielleicht sogar eine Schußwaffe, alles war möglich.
 

"Schon gut, schon gut." lenkte er ein und hob beschwichtigend die Arme. "Du kannst den kleinen Stricher haben, wenn du ihn unbedingt willst, Freak. Aber ich glaube nicht, daß es ein Verlust gewesen wäre." Bevor seine Wut Severus übermannen konnte und er seinen Zauberstab doch noch zog, war der andere Mann Gott sei Dank in der nächsten Nebengasse verschwunden.
 

Severus atmete tief durch und schüttelte den Kopf. Was hatte ihn hier nur geritten? Er und Retter der Unschuldigen. Das war der Witz des Jahrhunderts. Er wandte sich dem Jungen zu, der noch immer zusammengekrümmt auf dem kalten Straßenpflaster lag und sich nicht gerührt hatte, seit er mit Severus zusammen geprallt war. Das verdreckte, schwarze Haar hing ihm ins Gesicht und versperrte Severus die Sicht auf seine Züge. Doch er brauchte das Gesicht des Jungen nicht zu sehen, um zu erkennen, daß er nicht nur erbärmlich dünn, sondern eigentlich schon so gut wie tot war.
 

Wieder schüttelte Severus den Kopf und trat näher an den Jungen heran. Vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken, falls er doch wach war, ging Severus neben ihm in die Hocke und streckte die Hand nach ihm aus. Doch bevor er ihn berührte, hielt er inne. Was um Himmels Willen tat er hier?
 

Er wollte aufstehen und den Jungen einfach liegen lassen. Immerhin, er hatte ihm schon das Leben gerettet, das war mehr als so ein kleines Stück Dreck im Normalfall von ihm erwarten durfte! Aber da war noch immer dieses verfluchte Gefühl, das ihn daran hinderte, seinem Instinkt zu folgen. Vollkommen verrückt!
 

Vorsichtig legte er seine Hände auf Schulter und Hüfte des Jungen und drehte ihn auf den Rücken. Das ungeschnittene, wirre, schwarze Haar fiel zurück und gab den Blick auf sein Gesicht frei - und Severus erstarrte.
 

Der Junge war ohnmächtig und hatte die Augen geschlossen, doch unter dem Dreck in seinem Gesicht blitzte eine noch immer deutlich sichtbare Narbe auf seiner Stirn hervor. Eine Narbe in der Form eines Blitzes.
 

Severus streckte die Hand nach dem Gesicht des Jungen aus, nicht länger in der Lage, das Zittern dieser Hand zu unterdrücken. Und als seine Finger die schmutzige Stirn des Jungen berührten und fast schon liebevoll die letzten Haarsträhnen fortstrichen, um den Blick auf die Zeichnung freizugeben, entrang sich ein gequälter Laut der Kehle des Zaubertrankmeisters. Das konnte einfach nicht wahr sein! Nicht hier, nicht so. Das war ein Traum. Ein furchtbarer Alptraum.
 

Doch seine Finger berührten reale Haut, fühlten eine reale, sanfte Erhebung, wo die Narbe war. Es war kein Traum.
 

"Harry..."
 

~ * ~
 

All die Jahre hatte er gehofft und gebetet, daß Harry doch noch am Leben war. Daß er irgendwo in dieser Welt noch immer existierte und daß er glücklich war.
 

Doch jetzt, wo er dieses Wrack von einem jungen Mann vor sich sah, noch immer ohnmächtig, halb verhungert und verwahrlost, da wünschte Severus sich fast, daß die Mächte seinen egoistischen Wunsch einfach hätten ignorieren sollen, anstatt Harry so etwas anzutun. Denn wie auch immer er die letzten vier Jahre gelebt hatte, es mußte ein Alptraum für den Jungen gewesen sein.
 

Harrys Augen bewegten sich hektisch unter den geschlossenen Lidern und sein bisher fast friedliches Gesicht verzog sich gequält, als er in die nächste Traumphase eintrat. Aufmerksam beobachtete Severus die Veränderungen im Gesicht des Jungen von seinem Platz am Fenster aus, konnte den Anblick jedoch nicht länger standhalten, als Harry begann, den Kopf hin und her zu werfen und leise, wimmernde Töne von sich zu geben.
 

Obwohl es schon mitten in der Nacht war, herrschte in der Winkelgasse unterhalb des Fensters noch immer ein reger Betrieb. Die meisten Geschäfte waren zwar schon geschlossen, aber die Lokale und Restaurants erfreuten sich auch zu dieser fortgeschrittenen Stunde noch großer Beliebtheit. Ein normales Leben eben.
 

Severus war nie ein Teil dieses Lebens gewesen, aber er wußte, daß es so sein mußte, genauso wie er wußte, daß Harry eigentlich in dieses Leben gehörte und nicht in...
 

Was um Himmels Willen hatte er in diesem Drecksloch gemacht?! Wie lange war er schon da? Bei dem Gedanken an die Worte des Muggels schnürte es Severus fast die Kehle zu. Hatte er etwa recht? War Harry wirklich ein ...? Das war doch kompletter, ausgemachter Blödsinn! Das konnte nicht sein. Warum sollte ausgerechnet jemand wie Harry, der nicht gerade arm geboren war, sich auf so etwas reduzieren?
 

Doch Severus ahnte die Antwort irgendwie schon, auch wenn er es nicht wirklich wahrhaben wollte. Schließlich war das nicht das erste Mal, daß er Zeuge einer grotesken Art der Selbstbestrafung des größten Helden der Zaubererwelt wurde. Grotesker noch als alles, was Severus sich selbst jemals freiwillig angetan hätte.
 

Doch wenn es ihn nicht überraschen sollte, warum tat es das dann doch? Wieso tat es dann so weh?
 

Im Prinzip hatte Severus eines doch schon immer gewußt. Es war nicht gut, sich emotional auf jemanden einzulassen. Und trotzdem hatte er es getan. Dieser für ihn verhängnisvolle Tag vor fast vier Jahren war unauslöschbar in sein Gedächtnis gebrannt und hatte sein Verhalten und sein Empfinden Harry gegenüber für immer verändert. Andere mochten die Veränderung bisher nicht gesehen haben, aber er fühlte sie zu deutlich, um sie ignorieren zu können. Und er wußte, daß es Harry genauso gehen würde, wenn er aufwachte.
 

Wenn er aufwachte... Ja, was war eigentlich, wenn Harry aufwachte? Würde er dann endlich Antworten bekommen? Antworten, die diese nervende Stimme in ihm zum Schweigen brachten, die um jeden Preis wissen wollte, warum Harry ihm Hoffnungen gemacht hatte, ihm versprochen hatte, zu ihm zurück zu kommen, wenn alles vorbei war, nur um es dann doch nicht zu tun.
 

Wahrscheinlich wußte sein ehemaliger Schüler noch nicht einmal, was er ihm damit wirklich angetan hatte. Aber woher auch? Severus Snape legte keinen Wert darauf, daß ihm solche Versprechen gegeben wurden, aber noch viel weniger Wert legte er darauf, daß sie gehalten wurden, richtig? An sich war das auch richtig, aber bei Harry war eben doch alles anders. Harrys Versprechen hatte in ihm etwas ausgelöst, etwas losgetreten, was er lange verschüttet geglaubt hatte. Hoffnung. Er hatte keine Hoffnung mehr gefühlt seit dem Desaster mit Lucius. Und dann war das erste, was dieser verdammte Junge tat, diese Hoffnung zusammen zu treten.
 

Harrys unruhiger Schlaf beruhigte sich wieder etwas, die Traumphase neigte sich ihrem Ende zu.
 

Was ihn wohl quälte? Und ob er ihm diesmal helfen konnte? Das letzte Mal hatte er offensichtlich versagt, sonst wäre Harry doch mit Sicherheit nach Hogwarts zurück gekommen. Und dieses Gefühl, versagt zu haben, verstärkte die nervende Stimme, verstärkte den Drang, Harry helfen zu wollen noch einmal. Es war ein Teufelskreis, doch Severus war sich noch nicht einmal sicher, ob er verletzt genug war, um aus diesem Kreis ausbrechen zu wollen.
 

Vermutlich nicht.
 

Eine beunruhigende Entdeckung, zweifellos, aber irgendwie auch wieder nicht überraschend. Welchen Schalter Harry auch immer gefunden und betätigt hatte, Severus konnte sich dem Jungen nicht mehr entziehen, selbst wenn er das gewollt hätte.
 

Mit einem leisen Seufzen stand Severus auf und ging zu dem massiven Bett, in dem Harry lag, hinüber. So vorsichtig wie möglich, setzte er sich auf den Rand der Matratze und hob Harrys Kopf ein wenig an, bevor er nach einem Becher auf dem Nachttisch griff und dem Jungen ein wenig Wasser einflößte und anschließend vorsichtig die Muskeln in seinem Hals massierte, bis er das Wasser schluckte. Diese Prozedur hatte er in den letzten Stunden bereits einige Male wiederholt, da Harry ganz offensichtlich stark dehydriert war und in den nächsten Stunden nicht aufwachen würde.
 

Was auch immer hier vor sich ging, Severus mußte kein Fachmann sein, um zu wissen, daß Harry sich noch immer irgendwie betäubte und daß er dabei längst einen großen Schritt weiter gegangen war.
 

Er stellte den Becher zurück auf den kleinen Nachttisch aus Holz und zögerte einen langen Moment, bevor er schließlich wieder einmal der nervenden Stimme nachgab, die unbedingt wissen wollte, ob er es noch immer tat oder nicht. Severus' Herz klopfte wild, als er langsam die schmutzigen Ärmel des abgetragenen Shirts hoch schob, doch zu seiner Erleichterung waren keine neueren Wunden auf den Unterarmen des Jungen zu erkennen.
 

Dafür sehr zahlreiche Narben, allerdings alle bereits älter als ein Jahr, grob geschätzt. Wann war das wohl nicht mehr genug gewesen? Ob es lange gedauert hatte, bis Harry gemerkt hatte, daß Blut und Schmerz allein nicht mehr reichten? Oder daß konstanter Schmerz früher oder später den Schmerz selbst betäubte?
 

Warum nur war er nicht zurück gekommen?
 

~ * ~
 

Der Morgen graute bereits, als Harry sich wieder einmal unruhig im Schlaf hin und her warf. Er war extrem blaß und kalter Schweiß glänzte auf seinem Gesicht.
 

Severus hatte seinen Platz am Fenster schon vor Stunden gegen den Stuhl an Harrys Bett eingetauscht, wo er in einer sehr unbequemen Position eingeschlafen war. Doch bereits bei der ersten unruhigen Bewegung Harrys war er hellwach und seine letzten Hoffnungen zerschellten an der Erkenntnis, die Harrys Anblick ihm bot, keine Zweifel möglich.
 

"Dummer Junge!" flüsterte Severus so leise, daß er selbst es kaum hören konnte und strich Harry vorsichtig das schweißnasse, schwarze Haar aus der Stirn.
 

Grüne Augen öffneten sich langsam und schlossen sich augenblicklich wieder, während Harrys Gesicht sich schmerzhaft verzog.
 

Obwohl sein erster Impuls es ihm riet, zog Severus seine Hand nicht weg, sondern ließ sie, wo sie war und streichelte weiter sanft über das schweißnasse Haar seines ehemaligen Schülers.
 

Nur langsam kam Harry wieder zu sich. Und es dauerte eine ganze Weile, bis er bemerkte, daß er weder zu Hause in seinem eigenen Bett noch alleine war. Verwirrt zog er die Stirn ein wenig kraus, traute sich aber noch immer nicht, die Augen wieder zu öffnen, aus Angst, daß das grelle Licht wieder erbarmungslos zuschlagen könnte.
 

Wer auch immer bei ihm war, er war scheinbar nicht darauf aus, ihm weh zu tun. Die sanfte Berührung dieser Hand war fast schon zärtlich und einen winzigen Moment lang war Harry ernsthaft versucht, sich einfach wieder vom Schlaf einlullen zu lassen und der Welt für ein paar weitere Stunden den Rücken zuzudrehen.
 

Doch der andere schien das genau zu spüren und als Harry die samtig seidige Stimme hörte, die ihm sagte, daß er auf keinen Fall wieder einschlafen sollte, war er augenblicklich hellwach.
 

"Severus?!" Harrys Hals war so trocken, daß das Wort nur als heiseres Flüstern über seine Lippen kam. Mühsam öffnete er die Augen.
 

Grün und schwarz trafen sich.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Chaosengel
2005-01-22T13:17:25+00:00 22.01.2005 14:17
*wieder mal vorbei kuller*
Haja ich kann nichts dafür, ich muss doch wissen wie es weiter geht. Und wer eine toll FF schreibt hat auch einen Kommentar verdient ^^ (OK ich bin nicht besonderst Konstruktiv)
Also die Fortsetzung scheint dir wirklich zu gelingen. Die düstere Stimmung nimmst du nahtlos wieder auf. Und um ehrlich zu sein platze ich vor Neugierde was mit Harry los ist. Die Wandlung der beiden Charaktere ist natürlich schon imens, mit dem ersten Teil der Story allerdings gut nach zu vollziehen.
Das einzige was ich mal zu bemängeln habe ist die Zahl der Tage. So eine lange zahl liest sich immer so umständlich ^^ ich weiß ich bin faul XD Aber bei so einer Zahl hätte vielleicht wirklich ne Zahl gereicht.
Is ja auch nur ein winziger Kritikpunkt. Denn sonst ist das Kap. wirklich toll geworden.
Von: abgemeldet
2004-08-18T11:26:42+00:00 18.08.2004 13:26
HI!^^
Ich finde deine FF einfach suuuuuuper und dein Schreibstiel ist auch grandios. Ich hoffe du schreibst ganz schnell weiter, bin schon ganz gespannt wie es denn mit Harry so weiter geht.
By Inoutou


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