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Regnerischer Heimweg

von

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Regnerischer Heimweg

eine Originalstory vonLady_Shanaee

Es war wieder spät geworden, und die junge Frau beeilte sich, nach Hause zu kommen. Wie beim letzten Mal hatte sie sich wieder im dichten Straßengewirr der Großstadt verlaufen - was zwar ärgerlich war, aber kein Grund in Panik auszubrechen. Sie hielt gelassen auf die breite Hauptstraße zu, von wo aus sie dann einfach geradeaus würde gehen müssen, bis sie das große Haus erreicht hatte. Man wartete sicherlich ungeduldig auf sie.

Kaori hatte außergewöhnlich gute Laune und summte die Melodie eines Kinderliedes vor sich hin, obwohl ein leichter Nieselregen vom Himmel fiel. Er durchdrang nicht die Kleidung der Leute, die um diese Zeit noch unterwegs waren, doch er erfrischte auf angenehme Weise die warme Luft, deren drückende Atmosphäre Tôkyô den Tag über geplagt hatte.

Es war noch nicht völlig dunkel, aber das Nachtleben war schon in vollem Gange. Hostessen begleiteten gut betuchte Geschäftsmagnaten in die vielen Bars, die überall geöffnet waren, jugendliche Hosts versuchten, sich ihre ersten Sporen bei vorbeieilenden Mädchen zu verdienen, Liebespärchen gingen ins Kino, jene, die noch Überstunden gemacht hatten eilten zur U-Bahn... Tôkyô war groß, doch jetzt, in der Nacht, schien sich alles Leben im Stadtteil Ginza zu konzentrieren.

In einem kleinen Park erblickte die Frau eine Gestalt. Der aufgehende Mond zeichnete die Silhouette silbrigblau nach, ein zusammengekauertes Bündel nahe den Chrysanthemen, die die Abendluft noch immer mit ihrem aromatischen Duft verzauberten, obwohl es zu dunkel war, um sie im Schatten zu erkennen. Die Person stand auf und verharrte einige Augenblicke reglos. Wie von aller Welt verlassen starrte sie scheinbar anklagend zum Himmel, während vor ihr die durchscheinende, weiß schimmernde Seele eines Vogels aufstieg.

Dann, nach einigen Minuten, näherte sich die Gestalt seiner stummen Beobachterin, die ein Stück entfernt an einer Laterne gewartet hatte. Als beide voreinander standen, weiteten sich ihre Augen vor Überraschung.

"Konban wa, Kaori-chan."

"Konban wa, Hiroki-kun."

Es war fünf Jahre her, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, fünf Jahre, in denen das Leben Spuren an ihnen hinterlassen hatte.

"Hisashiburi desu."

Hiroki nickte.

"Un. H'sashiburi."

"O genki desu ka?"

Etwas in Hirokis dunkelbraunen Augen ließ diese noch dunkler erscheinen, und sein Körper schwankte ein wenig, ohne dass es diesem bewusst war.

"Genki desu, yo."

Falsch. Nichts war in Ordnung. Gar nichts. Vor fünf Jahren, ja, da war alles so, wie es nicht besser hätte sein können. Hiroki war verliebt gewesen, jung, seine Freundin Kaori hatte ihm beigestanden, was immer auch gewesen war. Seine Kaori... Sie hatte ihm alles gegeben. Und er?

Er war ein Idiot gewesen.

Schweigend standen sich beide gegenüber, und Hiroki hatte das Gefühl, die blauen Augen Kaoris würden bis in seine Seele blicken, um in seinem Inneren zu lesen. Dort würde stehen, dass sein großer Bruder vor drei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen war und seine Mutter vor wenigen Monaten beschlossen hatte, ihm zu folgen. Sein Vater, ein inzwischen arbeitsloser Trinker, war jähzornig geworden und vormals gelegentliche Gewaltausbrüche waren keine Seltenheit mehr.

Das alles wäre noch zu ertragen gewesen, doch der inzwischen 21-jährige hatte das aufgegeben, was er am meisten liebte. Blind wie er gewesen war, hatte er Verlangen und Begehren Kaoris Geborgenheit und Hingabe vorgezogen, obwohl er selbst nicht einmal fest daran geglaubt hatte...

Der Regen wurde heftiger, als Kaori sich eine Strähne ihres nur noch schulterlangen Haares hinter's Ohr klemmte. Wind kam auf...

Sie war und blieb eine Schönheit, fand Hiroki. Jeglicher Hauch von Mädchenhaftigkeit war gewichen und hatte eine anziehende, elegante und aufregende Frau zurückgelassen. Ihre Kurven waren weiblicher geworden, ihre Stimme ein Kleinwenig tiefer und sinnlicher, und das kurz geschnittene Haar umrahmte das Gesicht mit seinen großen blauen Augen und den geschwungenen Lippen auf höchst schmeichelhafte Weise. Die leicht schräg gestellten Augenbrauen verliehen der ganzen Gestalt etwas Geheimnisvolles.

"Kimi wa... utsukushii...", murmelte Hiroki und wusste nicht, was er noch hätte sagen sollen.

Der verlockende Mund verzog sich zu einem Lächeln, das Hiroki die ganze Zeit über vermisst hatte.

"Arigatô na."

Die Worte waren kaum mehr als ein Windhauch, und Hirokis Herz zog sich zusammen. Wie hatte er ihr nur so wehtun können? Es musste sogar sehr wehgetan haben, obwohl Kaori sich nicht darüber beklagte.

// "Kaori-chan, ich muss dir was gestehen."

"Was denn?" //

Ihr vor Aufregung strahlendes Gesicht sollte dem schwarzhaarigen Jungen immer in Erinnerung bleiben.

// "Es tut mir leid, aber... ich habe mich... in Hanamaru-Sempai verliebt."

"Was?!" //

Erst als Hiroki sich nun ihr fassungslos erstauntes Gesicht in Erinnerung rief, wurde ihm bewusst, dass er schon damals in Kaori verliebt gewesen war. Doch oft erkennt man Dinge erst in der Erinnerung und nicht dann, wenn man gerade dabei ist, den Schaden anzurichten.

// "Ich... kann nichts dafür! Wir sind beide im Kendô-Club, und da... sind wir uns vor ein paar Wochen näher gekommen, als wir eigentlich wollten."

"Du liebst also einen Jungen." //

Kaori hatte Hiroki auch hier mehr Verständnis entgegengebracht, als es dieser von allen anderen erfahren hatte. Sie hatte zwar geweint, ihm aber keine Vorwürfe gemacht oder war hysterisch geworden, wie sein Bruder. Dieser hatte irgendetwas von Ansehen, Schmach und Familienehre gefaselt, als ob es Hiroki in Leuchtbuchstaben auf der Stirn geschrieben stünde, dass er für einen Jungen gefallen war, für den alle und sogar die Lehrer schwärmten.

// "Ich kann dich verstehen, Hanamaru Satoshi-kun sieht wirklich gut aus und ist wahnsinnig nett. Es ist sinnlos, mit ihm konkurrieren zu wollen, wenn es dir wirklich ernst ist. Dann habe ich als Mädchen keine Chance."

"Es... tut mir leid. Sag' mir, was ich machen kann, damit du wegen mir nicht mehr traurig bist."

"Werd' einfach glücklich mit Hanamaru-Sempai, Hi-kun." //

Es war das letzte Mal gewesen, dass sich die beiden gesehen hatten, denn nachdem Kaori über eine Woche lang nicht in die Schule gekommen war, erfuhr Hiroki, dass sie in eine andere Stadt umgezogen war, angeblich nach Nagasaki. Hiroki hatte sich gefühlt, als fiele er in ein abgrundtiefes schwarzes Loch, ein Eindruck, der sich verstärkt hatte, nachdem er herausfand, dass er für Satoshi Hanamaru nur ein Spielzeug und Mittel zum Zweck gewesen war, weil sich einer seiner Freunde in Kaori verliebt hatte und freie Bahn haben wollte.

Diesen Tag hatte Hiroki zu hassen gelernt.

"Anata wa kanashii, ne?"

Sah man ihm seine Gefühle so deutlich an, oder lag es daran, dass Kaori ihn so gut kannte? Es war nicht mehr wichtig. Sie dachte, er hätte einen Jungen den Mädchen - ihr - vorgezogen, sie akzeptierte es und verurteilte ihn nicht. Sie mochte alles über Hiroki wissen, doch nicht, dass er sie immer noch liebte. Sogar mehr als vorher, die Zeit hatte ihn klüger und reifer gemacht. Vielleicht würde sie ihm eine zweite Chance geben, doch der filigrane Ring, der an ihrem Finger aufblitzte, als sie die widerspenstige Haarsträhne nun mit der Hand festhielt, hielt Hiroki davon ab, sie darum zu bitten.

"Iie", sagte er deshalb, zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte den Kopf. "Nande mo nai."

"Yokatta. Ureshii desu."

Kaoris Gesicht erhellte sich, während sie ihm ihr so eigenes, wunderbares Lächeln schenkte, das den Schmerz in Hirokis Innerem beinahe unerträglich machte.

Und dann verbeugte sie sich, verabschiedete sich und ging, eine verlorene Gestalt im Park zurücklassend, die langsam auf die Knie sank. Hiroki war immer stark gewesen, der stärkste, netteste und anständigste Junge von allen. Aber er war stark gewesen, weil Kaori ihm beigestanden hatte, ihn an ihrer inneren Kraft teilhaben ließ. Dort ging sie, eine erfolgreiche junge Frau in einem dunkelblauen Kleid und zierlichen schwarzen Sandaletten, aufrecht und selbstsicher, wie sie es immer gewesen war...

Der stärker gewordene Regen durchweichte ihr Kleid innerhalb kürzester Zeit, doch endlich standen die Häuser weit genug auseinander, dass sie ihre Flügel ausbreiten konnte. Einige weiße Federn flatterten zu Boden und blieben in den Pfützen liegen, bevor sie der von Kaori entfachte Aufwind wieder hochwirbelte. Sie flog nach Hause, und Hiroki würde ihr bald folgen, das hatte sie heute Abend gespürt. Sie würde auf ihn warten, sei es auch nur, um erneut alles zu opfern.

Sie hatte damals alles in Kauf genommen, um bei ihm sein zu können, sogar als man drohte, sie für immer aus dem Himmel zu verbannen, weil sie sich in einen Menschen verliebt hatte... So weit war es letztlich dann doch nicht gekommen und als Kaori endlich an ihrem Ziel ankam, erwartete sie dort eine weiße Taube, die sich leise gurrend auf den Schoß des Engels setzte.

"Du bist schon hier", murmelte sie lächelnd und strich liebevoll über die weichen Federn auf dem Kopf des Vogels. "Sein Bote, den er ausgeschickt hat, um zu sagen, dass er dir bald folgen wird?"

Hiroki würde kommen, ganz sicher. Kaori konnte es fühlen. Sie konnte es spüren. Genau dort, wo bei den Menschen das Herz war...
 

~Owari~
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Twelfth_Night
2018-02-06T02:33:18+00:00 06.02.2018 03:33
Meine liebreizende Lady,

auch zu dieser bedrückenden aber süßen Kurzgeschichte aus Deiner werten Schreibfeder lasse ich es mir nicht nehmen, einen kurzen Kommentar zu verfassen. (◕ ˬ ◕✿)
Da ich zukünftige Leser aber nicht der Spannung berauben will, indem ich zu überschwänglich in meiner Schilderung der Ereignisse werde und dadurch Gefahr laufe, zuviel der Handlung preiszugeben, will ich nur soviel sagen: Das Ende der Geschichte hat mich verblüfft zurückgelassen, und das obwohl mich - wie Du ja weißt - die meisten Plotwendungen erfahrungsgemäß nie überraschen, sondern oft sogar enttäuschen. Bedauerlicherweise... (◕︿◕✿)
Aus diesem Grunde danke ich Dir, Mylady, für diese schwermütige Geschichte. Du hast mich ganz vorzüglich unterhalten und überrascht! (˶◕‿◕˶✿)

Deine demütige Dienerin,
die Kommentatorin aka Du weißt schon wer (◡‿◡✿)
Von: abgemeldet
2003-07-10T18:37:48+00:00 10.07.2003 20:37
Heyho!
Du, ich muss dir auch was gestehn ^.~ und zwar, dassich deine FFs echt supi find" Zumindest das, was ich bis jetzt so gelesen hab... das dumme ist, dass ich die meisten Serien, bei denen du FFs hast nicht kenne *grummel* Wie fies... was solls ^^
Diese hier ist einfach nur wudner, wunder schön.. und ich Idiotin hab gerade ein supi mega trauriges Lied gehört, hab zuerst geheult, und mich dann am Schluss wieder gefreut... Etwas schizophrän, nicht? XD
L.G.
=^.^=
Daga


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