Einladung
*Yamis Sicht*
Was ist denn nun los?
Zögernd steht Joey vor mir, während ich mich nervös am Kopf kratze.
"Was ist los, Joey? Stimmt was nicht?" Unwohlsein breitet sich in mir aus.
"Nein... alles okay, aber ich wollte dir noch danken. Gestern kam ich ja nicht dazu.."
Irritiert lacht er, meine Augen weiten sich.
"Wofür denn?"
Sein Blick wird wieder ernster, was mich nur noch stutziger macht. Was hat er??
"Naja,.. ich wollte dir danken, dass du Yugi so geholfen hast in der Zeit als er so mies drauf war. Das macht echt nicht jeder für ihn..! Damals konnte nicht mal ich ihm helfen.. Verdammt, und ich bin sein Kumpel, praktisch sein Bruder..! Aber er hat sich nicht mal von mir zur Vernunft bringen lassen. Ich weiß bis heute nicht, was dem Kleinen gefehlt hat."
Schnell holt er tief Luft und sieht mich dann mit freundlichen Augen an.
"Aber das ist jetzt egal. Ich wollte dir nur noch einmal danken, dass du ihn da raus manövriert hast. Und da Yugi dich sehr gerne hat, denke ich, dass du auch bestimmt gut in unsere Gruppe passen wirst!!", lacht er mich an, worauf ich erleichtert ausatme.
Grinsend nicke ich zurück, bevor er sich wieder mit mir in Bewegung setzt und wir uns auf den Weg in die jeweiligen Klassenzimmer machen.
Auf meinem Gesicht breitet sich ein zufriedenes Lächeln aus, während ich den Gang vor mir entlang gehe.
Freunde... schon so lange habe ich keine richtigen mehr gehabt. Bis auf Yugi natürlich. Aber er ist ja schon viel mehr für mich, als bloß ein Freund... Aibou...
Eigentlich war ich die meiste Zeit nur alleine... Wenn ich die Zeit mit Chujitsu und seinen Kumpels mal nicht dazu rechne. Wirkliche Freunde waren sie ja nie.
Mir selbst zustimmend schüttle ich den Kopf.
Nein, nie.
Aber jetzt, glaube ich, habe ich richtige Freunde.
Yugi erwähnte doch schon einmal irgendwann, wie nett die Drei sein sollen. Ich gebe ihm Recht.. Sie scheinen wirklich sehr freundlich zu sein.
Vorsichtig nähere ich mich der Tür meines Klassenzimmers.
Ich bin froh, bei ihnen zu sein.. sehr sogar.
Obwohl ich ja auch Yugi hatte, "etwas" hat gefehlt, um die Lücke in meinem Herzen vollständig auszufüllen. Ich glaube es war Freundschaft, die mich nun wirklich geheilt hat.
Nach dieser Enttäuschung mit Chujitsu..
Schmerzhafte Erinnerungen werden wieder in mir wach, während ich rasch meinen Kopf zur Seite drehe.
Gott sei Dank ist das jetzt vorbei.. Wie lange hätte ich es wohl noch ausgehalten? In dieser Clique? Bestimmt nicht lange... Wenn ich da zurückdenke, was die Typen alles gemacht haben...
Etwas erleichtert atme ich aus, widme meine Gedanken wieder dem vorhin Geschehenen.
Naja, was solls.. jetzt habe ich Freunde, auf die ich mich sicher verlassen kann. Glücklicher kann ich doch gar nicht mehr werden, oder?
"Hm... Nein.."
Grinsend nehme ich die Türklinke in die Hand und drücke sie hinunter. Ein überraschtes "Ja bitte?" ertönt, bevor ich mich die nächsten, wahrscheinlich endlosen, Minuten wieder dem Geschichtsunterricht widme.
Zwei Stunden später sitze ich mit Yugi in unserem Bus, während dieser Joey und dem Rest der Truppe noch einmal aus dem Fenster hinterher winkt.
Eigentlich schade, dass sie einen anderen Weg als wir haben...
Lächelnd dreht sich mein kleiner Aibou wieder zu mir um und strahlt mir ins Gesicht. "Ach, Yami ich bin echt froh, dass du jetzt bei uns bist!! Ich hab mir das ja sooo lange gewünscht..."
Ich grinse zurück und drücke ihm einen leichten Kuss auf seine weichen Lippen. "Ich bin auch froh, Aibou... Aber sag mal.. Hast du am Mittwoch vielleicht etwas Zeit?"
Verwundert sieht er mich mit seinen großen Augen an. "Ich denke schon.. wieso?"
"Naja, mein Vater hat an diesem Tag Geburtstag und ich wollte dich fragen, ob du Lust hast mitzufeiern? Meine Familie geht wahrscheinlich wieder einmal in so ein feines Restaurant... und alleine werd ich das sicher nicht überstehen...", entgegne ich ihm, während ich theatralisch die Augen verdrehe. "Außerdem... wäre es die perfekte Gelegenheit meinen Eltern endlich zu sagen, dass wir zusammen sind, findest du nicht?"
Lächelnd schaue ich zu ihm hinunter, nun will ich keine Reaktion von ihm verpassen.
Sein Gesichtsausdruck verwandelt sich schlagartig von neugierig zu komplett überrascht. Ein helles Quietschen ist die Antwort, bevor er sich mir freudig um den Hals wirft. "W-wirklich Yami? Ist.. ist das dein Ernst??"
Noch immer breit grinsend, nicke ich.
Seine Augen werden noch größer, soweit das überhaupt möglich ist und seine Wangen nehmen einen leichten Rotschimmer an.
"Dann... natürlich komme ich mit!! Wann beginnt diese Feier? Und muss ich deinem Vater eigentlich ein Geschenk mitbringen? Achja, deine Eltern! Die wol -" "Ruhig Aibou... Beruhig dich! Lass mich erst einmal erklären.."
Seine Augen strahlen vor Aufregung, ein heftiges Nicken seinerseits ist die Antwort.
"Hm.. wo genau die Feier stattfindet, kann ich dir noch nicht sagen, aber ich werde dich sowieso von Zuhause abholen, okay? Also zerbrich dir darüber mal nicht dein hübsches Köpfchen. Und, nein, du musst meinem Vater nichts schenken.. Eigentlich möchte ich meinen Eltern ja auch nur mitteilen, dass ich nicht mehr alleine bin.. alles andere ist nicht so wichtig für mich." "Und wann holst du mich ab? Obwohl... kannst du mit dem Verband überhaupt Auto fahren, hast du keine Schmerzen??"
Kurz überlege ich, wende mich dann aber wieder Yugi zu: "So gegen sieben wahrscheinlich, gut? Vorher werden meine Eltern ohnehin nicht wegkommen, denke ich. Und wegen der blöden Hand... Hab am Montag einen Arzttermin - da kommt das dumme Teil endlich ab! Dann kann ich wieder wie normale Menschen beide Hände nutzen!"
Ein weiteres Nicken folgt, während sein Gesichtsausdruck Bände spricht.
Gerade möchte ich noch etwas hinzufügen, als meine Haltestelle ertönt und ich seufzend aufstehe. "Na gut Aibou, wir sehen uns! Bis später.." "Okay, tschüss Koibito.." Schnell beuge ich mich noch einmal zu ihm herunter und küsse ihn flüchtig, bevor der Bus anhält und ich Yugi schließlich lächelnd nachwinke.
*
Nervös stehe ich vor Yugis Haustüre und klopfe ein drittes Mal auf das stabile Stück Holz, welches sich seit geschlagenen fünf Minuten nicht öffnet.
Gestresst verlagere ich mein Gewicht von einem Bein auf das Andere. Yugi sollte sich etwas beeilen... wir haben nicht mehr viel Zeit!! Was macht er eigentlich so lange da drin?
Doch ein lautes "Ich komme schon!!" lässt mich aufhorchen, sogleich geht die Tür auf und ein keuchender Yugi steht vor mir. "Entschuldige.. Yami, aber.. ich war gerade im Bad.. Da konnte ich dich leider nicht hören.." Schnell winke ich ab und gebe ihm stattdessen fröhlich einen sanften Kuss, den er auch sofort erwidert.
"Bist du jetzt fertig, Yu-chan? Wir müssen uns nämlich beeilen, meine Eltern warten bereits im Restaurant auf uns-" "-WAS??? Warum hast du das nicht gleich gesagt, Yami??"
Sofort packt er meine Hand und schlägt mit einem lauten Knall die Tür hinter uns zu. Verwundert blicke ich ihm hinterher, lasse mich dann aber grinsend zu dem Wagen meines Vaters mitzerren.
20 Minuten später, stehen wir keuchend vor dem etwas älteren Lokal, während ich nervös auf die Uhr schaue. "Okay, wir sind noch pünktlich Aibou... Aber lass uns erst einmal reingehen, gut?" Vor Aufregung zitternd, nickt dieser und zusammen betreten wir das kleine Restaurant, welches von Innen eine wunderbare Atmosphäre ausstrahlt.
Vielleicht sollte ich mal mit Yugi alleine hierher kommen?
Schnell schiebe ich den Gedanken beiseite, als ich einen Teil meine Familie auf mich zukommen sehe, die mich stürmisch nacheinander begrüßt und umarmt. Meine Tante scheint besonders an mir zu hängen, da sie es einfach nicht lassen kann, mich mit neunzehn noch immer so zu quälen und mir einen ihrer "kleinen Küsschen" aufzudrücken.
Seufzend lasse ich es über mir ergehen, blicke von der Seite aber zu Yugi, der etwas verloren unter den ganzen Menschen wirkt. Mit einem leichten Stoß, drücke ich meine Tante von mir und gehe zu meinem Aibou, stelle in nach der Reihe der Familie vor. Schüchtern lässt er es zu, ich merke wie nervös er dabei ist.
Erst als wir an dem Tisch meiner Eltern ankommen, die im Moment alleine zusammen sitzen, spüre ich, wie er ängstlich nach meiner Hand greifen will, was ich widerstandslos zulasse.
Heute werden sie es sowieso erfahren... da kommt es auf diese Geste auch nicht mehr an.
"Hallo Yami! Schön das du gekommen bist!", begrüßt mich mein Vater freudig, während meine Mutter nur stumm das Geschehen beobachtet. Ich spüre ihren wachen Blick auf den verschlungenen Händen von Yugi und mir ruhen, worauf ich diese noch fester drücke.
"Du musst der Freund von Yami sein, richtig?"
Weiterhin lächelnd, widmet sich mein Vater nun Yugi, der daraufhin sofort meine Hand loslässt und zitternd nickt. "Ja.. Guten Tag."
Ich werfe meiner Mutter einen warnenden Blick zu, ziehe Yugi dann aber neben mich auf die Sitzbank, die gegenüber den Stühlen meiner Eltern steht.
Dieser reicht meiner Mutter ebenfalls einmal die Hand, bevor er sich nervös ganz hinsetzt.
Ich lasse meine Hände darauf unter den Tisch wandern, suche nach Yugis und werde schließlich auch fündig. Sofort ziehe ich sie zu mir und streiche beruhigend über den Handrücken.
"Erst mal alles Gute zu deinem Geburtstag, Vater.. Und wieder ist ein Jahr vorbei nicht?", ergreife ich leicht lächelnd das Wort. Sofort wird mein Vater hellhörig und starrt mich verwundert an.
"Ja, danke, du hast Recht... schon wieder ein Jahr vergangen und ich werde älter.. Aber wieso erst mal? Willst du mir denn noch etwas Anderes erzählen?"
Ein Nicken von mir, lässt ihn eine Spur gefährlicher schauen.
Den strafenden Blick meiner Mutter ignorierend, widme ich mich wieder ihm, der abwechselnd zu mir und zu Yugi starrt.
Innerlich hoffe ich, dass er mich wenigstens heute einmal zu Wort kommen lassen und nicht wie immer bei der Hälfte unterbrechen wird.. Wichtig wäre es mir auf jeden Fall. Sehr sogar..
"Ja, ich habe dir etwas zu erzählen.. und auch dir, Mutter." Kurz halte ich inne, drücke dabei die Hand von Yugi fester.
"Ich weiß, ihr beiden haltet nicht viel davon, wenn nicht sogar gar nichts, dass ich nicht hetero bin. Genauso wisst ihr aber auch, dass ich mich deswegen jedoch lange nicht ändern werde. Ich bin nun mal so wie ich bin, seht das endlich ein. Aber das tut heute nichts zur Sache.."
Wütend starrt mich meine Mutter an, in ihren Augen kann ich ganz klar Abneigung mir gegenüber sehen. Ich lasse mich aber davon nicht weiter beeindrucken und fahre fort.
"Eigentlich geht es heute nicht nur um mich.. eher um mich und Yugi." "Dich.. und Yugi?" Die Stimme meines Vaters zittert leicht und hat, wie mir scheint, einen etwas drohenden Unterton. "Was soll mit euch beiden sein? Ihr seid Freunde.. oder?"
Noch ein letzter warnender Blick meiner Mutter, doch auch diesen ignoriere ich gekonnt. Soll sie doch machen was sie will...
"Nein. Und das ist der Grund, warum ich heute mit euch reden möchte und auch warum ich Yugi mitgebracht habe." Wieder übe ich einen sanften Druck auf die schmale Hand in meiner aus.
"Mutter, Vater? Yugi, hier, ist mein neuer fester Freund..."
Schweigen.
Hastig überlege ich, noch irgendetwas hinzuzufügen... irgendetwas zu sagen, diese erdrückende Stille zu brechen.
Die Luft wirkt mir plötzlich unheimlich schwer, selbst auf ihr scheint die Anspannung zu lasten.
Nervös sehe ich zu Yugi, wie er die Situation auffasst - er kann ja zerbrechlich wie Porzellan sein. Und auf der anderen Seite... kann er so viel Trauer in sich hinein fressen, dass ich mich frage wieso er nicht zerspringt...
Erschrocken muss ich feststellen, dass Yugi nicht wie erwartet scheu unter den Tisch sieht - nein, er hält Blickkontakt zu meiner Mutter.
Starr sieht er ihr in ihre schwarzen Augen - nachtschwarz wie ihre Seele, wie ich für mich öfters den Vergleich ziehe.
Ein Glück habe ich die Augen meines Vaters.. Wenn auch einen Großteil meiner Haare von ihr.
Yugi sieht ihr weiterhin stumm in die Augen, erwidert ihren Blick.
Gerade will ich eingreifen, da kommt mir mein Vater zu vor: "War unsere Ahnung also doch richtig..."
Wortlos steht meine Mutter daraufhin auf und verlässt das Restaurant.
Ihre Schwester, die zusammen mit den anderen Gästen bisher noch im Gang gestanden hatte, eilt ihr hinterher.
Die ist doch genauso spießig wie meine Frau Mutter...
Tja.. da habe ich mir in Yugis Abwesenheit ja noch einiges anzuhören..
"Herr Atem! Ich bitte Sie... Hören Sie mir doch zu....! Oder wollen Sie nicht das Beste für ihren Sohn..?"
Yugi! Nein, hör auf, du machst ja alles nur schlimmer!!
Unterm Tisch versuche ich ihm ein Zeichen zu geben, doch er reagiert nicht.
Verdammt er unterschätzt meinen Vater!!
