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Metamorphosis

von

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Sie schlug die Augen auf.
 

Etwas drückte gegen ihren Rücken. Es schmerzte nicht, es war vielmehr - weich, wenn auch auf eine unangenehme Art. Sie richtete sich langsam auf, gähnte herzhaft, streckte ihre Arme aus. Und sie spannte ihre Flügel.
 

Flügel! Wieso hatte sie plötzlich Flügel?! Als sie ihren Kopf zaghaft zur Seite neigte, um sich zu vergewissern, daß da wirklich Flügel waren - sie hoffte, daß sie sich das nur einbildete, noch träumte, es war unmöglich, daß - und ihr Blick fiel auf ihre Arme, die sie immer noch in die Höhe hielt. Haare - da waren Haare, sehr viele Haare!
 

Ihre Augen weiteten sich, sie schlug die Bettdecke zurück - und versuchte, einen Schrei zu ersticken.
 

Ihr ganzer Körper war bedeckt von rötlich-braunem Haar.
 

Regungslos saß sie da. Flügel, Fell - sie konnte nur schlafen, mußte noch träumen, daß war nicht real - ein enthusiastisches Klopfen an der Tür und ein nicht minder begeistertes "Frühstück!" unterbrach diesen Gedankengang und löste die Starre.
 

"Was soll ich tun?" Die Lippen formten diese Worte zu einem fast unhörbaren Wispern. Sie wandte ihren Blick zur Tür, ihr Herz machte unwillkürliche Sprünge, ihr Körper bebte und schien zu zerbarsten.
 

Unbeholfen kletterte sie aus dem Bett. Als sie sich aufgerichtet hatte, blickte sie nochmals an sich herab, betrachtete sich von allen Seiten, drehte, wendete sich, breitete ihre Flügel aus - und begann zu wimmern. Beklommen schielte sie zum Kleiderschrank hinüber. Sie fühlte sich nackt, aber Kleidung würde sie bestimmt nicht brauchen.
 

"Frühstück!", tönte es nochmals, weitaus weniger freundlich, vor ihrer Tür.

"Ja.... ja. Ich - ich bin gleich da!"
 

Beim Verlassen ihres Zimmers versuchte sie, die Tür möglichst leise zu schließen, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Die Wände schienen plötzlich nicht nur die sprichwörtlichen Ohren, sondern auch Augen zu haben. Unmerklich schlich sie in Richtung Küche. Mit galoppierendem Puls blieb sie vor der Küchentür stehen. Von drinnen war fröhliches Murmeln, vereinzeltes Gelächter und Geschirrgeklapper zu hören. Es roch nach frischen Brötchen und Kaffee.
 

Zögerlich griff ihre Hand nach der Klinke. Für einen kurzen Moment umschloß die Hand diese. Ließ wieder von ihr ab. Ballte sich zur Faust.
 

"Ich - ich hab' keinen Hunger. Eßt ruhig ohne mich", brachte sie schluchzend hervor, dann lief sie zurück, die endlose Treppe hinunter, zur Haustür hinaus, über den Hof zum Zaun. Sie kletterte drüber, eigentümlicherweise flink und behende, im Gegensatz zu der Art, auf die sie das Bett zurückgelassen hatte. Obwohl die Straße wenig aktiv war, bemühte sie sich, zügig voranzukommen; um keinen Preis der Welt wollte sie gesehen werden.
 

Sie begann, zu rennen, staunend darüber, wie leicht ihr das fiel und wie wenig unangenehm es war, gewissermaßen barfuß über den Asphalt zu laufen.
 

Atemlos blieb sie auf einer Wiese stehen, von der sie annahm, daß sie hier niemandem begegnen würde. Das tränenreiche Gesicht gen Himmel gerichtet stand sie da. Die aufkommenden Schmerzen in ihrem Genick ignorierte sie und verfolgte den Lauf der Wolken.
 

"Ich habe Flügel", flüsterte sie und spannte ihre Schwingen.
 

Wenige Zentimeter nur schwebten ihre Füße über dem Erdboden. Ihre Flügel so zu bewegen, daß sie sich in der Luft halten konnte, war anstrengend, da vollkommen ungewohnt. Mehrmals setzte sie wieder auf dem Boden auf, erhob sich wieder in die Luft und schaffte es wieder ein Stück höher.
 

Nachdem sie nun ausgiebig ihre neugewonnene Fähigkeit erprobt und gelernt hatte, sie zu nutzen, flog sie hoch über der Wiese, drehte Kreise und blieb schließlich flügelschlagend stehen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Alles unter ihr sah so klein aus.
 

Sie flog weiter, wurde schneller und schneller, so daß der Wind ihr Tränen in die Augen trieb. Aber sie lächelte.
 

Die Wiese hatte sie längst hinter sich gelassen, hatte die anliegende Stadt überflogen, die Nachbarorte, war gutgelaunt tiefer geflogen und hatte fast die Häuserdächer gestreift. Da die Sonne allmählich unterging, wurde sie langsamer und suchte einen Platz für die Nacht. Eine kleine Lichtung schien ihr geeignet.
 

Die Sonne kitzelte ihre Nase wach. Auf der Waldlichtung zu schlafen, war wesentlich komfortabler gewesen, als sie angenommen hatte. Ihr heimisches Bett vermißte sie zumindest nicht. Sie rollte sich zusammen, fuhr wieder auseinander und blickte nach oben. Die Baumwipfel bildeten einen Kreis, durch den der Himmel betrachtet werden konnte. Er war noch in einem satten Blau, nicht so weiß und hell, wenn die Sonne höher am Himmel stand.
 

Sie lauschte. Eben war ihr, als hätte sie Hundegebell gehört. Sie horchte wieder. Nichts. Doch dann vernahm sie es wieder, diesmal lauter, näher. Sie schreckte hoch. Weiter auf derartige Geräusche konzentriert, sah sie sich um. Noch war niemand zu sehen. Als erneut Hundegebell ertönte und sich auch noch Menschenrufe darunter mischten, überlegte sie nicht lange und erhob sich in die Luft. Angespannt wartend schwebte sie über den Baumwipfeln. Unter ihr bildete sich eine kleine Menschentraube. Die Hunde hielten die Nasen schnüffelnd am Boden, die Schwänze wedelnd nach oben.
 

"Sie suchen mich!", entfuhr es ihr. Wie konnte sie nur so töricht gewesen sein, so nah an menschliche Behausungen heranzufliegen!
 

Plötzlich bellte einer der Hunde laut auf. Die Stimmen unter ihr wurden lauter, sie schrieen regelrecht durcheinander, einer redete wild auf ein Handy ein, einige zeigten zu ihr hinauf. Jetzt, da sie sie gesehen hatten, blieb ihr nichts anderes übrig als zu verschwinden. Sie machte in der Luft kehrt und bewegte sich rasch vorwärts. Sollten sie doch keifen und schreien, sie würden sie ohnehin nicht erreichen.
 

Schlagartig war die Luft erfüllt von dem dröhnenden Lärm mehrerer Hubschrauber, die ihr von vorn näherten. Damit hatte sie nicht gerechnet; abrupt setzte sie zu einer erneuten Kehrtwende an. Die Angst, die sich kurzzeitig ihres Gesichts bemächtigt hatte, wich nun einem Lächeln.
 

Sie war nicht unbedingt schneller als die Helikopter - diese hatten sie bereits eingeholt - aber sie war um einiges wendiger. Sobald die Piloten ihr zu nahe kamen, schoß sie hinab zu Erde, stieg senkrecht auf, änderte mehrfach ihre Flugrichtung. Damit das Spiel kein allzu schnelles Ende fand, wartete sie sogar auf ihre Hascher. Ihr schadenfrohes Grinsen fand jedoch ein jähes Ende, als zwei Hubschrauber mit einem zwischen ihnen aufgespanntem Netz auftauchten. Wie eine Fliege in einem Spinnennetz blieb sie darin hängen. Ihre panischen Bewegungen verursachten das Gegenteil von dem Gewünschten: statt freizukommen, verfing sie sich nur noch mehr.
 

Als das Netz eingeholt wurde, starrte sie nur ungläubig ins Leere. Man verpaßte ihr eine Betäubungsspritze. Sie wehrte sich nicht.
 

Aus dem Dämmerschlaf erwachend, fiel es ihr schwer, sich zu bewegen. Benommen und von grellem Licht geblendet, richtete sie sich auf. Sie war von Glaswänden umgeben, und von Menschen, welche sie mit wichtigen Gesichtern von außerhalb des Glaskastens begutachteten.
 

Wie durch Watte nahm sie ein Murmeln war. Eine der wichtigen Personen hatte sich mit zwei anderen, nicht wichtigen, aber kräftigen Personen in den Kasten begeben und trat näher, eine Zettelsammlung in der Hand, an sie heran. Sie kreuzte seinen Blick und rührte sich nicht. Er neigte den Kopf zur Seite und verließ den Kasten wieder.
 

Sehnsüchtig hatte sie zur Tür geblickt, die Freiheit verhieß, und keinen Schlaf gefunden. Hin und wieder kamen die wichtigen Gesichter, mit auf den Rücken verschränkten Armen, und beobachteten sie.
 

Kurz nachdem sie doch zu Schlaf gefunden hatte, wurde sie von zwei hünenhaften Männern wachgerüttelt und festgehalten. Ihre schläfrigen Augen suchten die offene Tür und erblickten einen weiteren Mann, der eine Spritze in der Hand hielt. Sie senkte den Kopf. Als die drei Männer ihr Gefängnis verließen, war sie bereits weggedämmert.
 

Außerhalb des Kastens flimmerten Monitore, Maschinen summten. Sie war an diese Maschinen mittels Schläuchen und Elektroden angeschlossen und beobachtete desinteressiert die wichtigen Gesichter, die sehr geschäftig auf und ab gingen, an den Maschinen herumwerkelten oder nickend die Monitore betrachteten.
 

"Du hast doch sicherlich Hunger, oder?"
 

Dicht neben ihr erklang eine Stimme. Hastig hob sie den Kopf. Sie hatte definitiv Hunger.
 

"Du mußt 'bitte' sagen"
 

Sie starrte ihn mit großen Augen an. Trotzig wandte sie sich ab.
 

"Wir wissen, daß du das kannst." Er sah sie herausfordernd an. Sie blieb stur. "Gut, dann eben nicht."
 

Mehrere Tage hatte sie so zugebracht. Seltener war sie an Maschinen angeschlossen, man hatte ihr auch Nahrung zukommen lassen, trotz ihrer Weigerung, zu sprechen.
 

"Mami, was ist das für ein Tier?" Eine helle Kinderstimme drang an ihr Ohr. Sie hob ihren Kopf. Eine vertraute Stimme! Flink bewegte sie sich zur Wand, die behaarten Handflächen dagegen gepreßt, suchte sie Zuflucht bei den davor Stehenden. Die Frau zog ihr Kind schützend zurück. "Aber..." Die Frau wich noch weiter zurück, die wichtigen Gesichter sahen sich vielsagend an. "Mama... erkennst du mich denn nicht?"
 

Die Frau öffnete entsetzt den Mund, ihr Kopf schaukelte nach oben. "Wir müssen gehen", sagte sie in eindringlichem Ton zu dem Kind an ihrer Hand und zerrte es fort. Hoffnungslos ließ das Wesen mit Fell und Flügeln die Hände sinken, als vor ihr Schritte ertönten. "Papa!"
 

Der Mann blieb augenblicklich stehen.
 

"Papa?"
 

Er zuckte zusammen, gab ein dumpfes Stöhnen von sich und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. "Wir wollen kein - Monster bei uns haben", schluchzte er.
 

Sie wich von der Glaswand zurück.
 

"Sieh dich doch an!", blaffte er. Er hatte sich wieder aufgerichtet und blickte sie mißbilligend an. Sie kroch weiter in den Glaskasten hinein. Als er ging, lag sie zusammengekrümmt in einer Ecke.
 

"Beeil dich!" "Sei still!"
 

Sie schrak auf. Jemand machte sich an der Tür des Glaskastens zu schaffen. "Na los! Komm raus da!"
 

Es war ein wunderbares Gefühl, sich die kalte Nachtluft um die Nase wehen zu lassen. Dennoch hatte sich ihre Miene verfinstert. Aber ihr Entschluß stand fest.
 

Sie schwebte hoch am Himmel. Dann ließ sie sich fallen. Ungebremst raste sie auf die Erde zu.
 

Schweißgebadet wachte sie auf. Sie saß in ihrem Bett und atmete schwer. Als sie sich wieder gesammelt hatte, sprang sie beherzt aus dem Bett. Keine Flügel. Kein Fell. Ein Traum. Sie ging auf ihren Kleiderschrank zu und öffnete ihn. "Frühstück!", rief jemand vor ihrer Tür. Sie lächelte.
 

Nachdem sie sich angezogen hatte, verließ sie ihr Zimmer und ging in Richtung Küche. Gemurmel und Gelächter war zu hören, es roch nach Kaffee und Brötchen. Sie öffnete die Küchentür.
 

Stille.
 

Mit offenen Mündern starrte ihre Familie sie an. Sie starrte zurück.
 

Ihre Familie hatte - Fell. Und Flügel. Fell und Flügel!
 

Sie schloß ihre Augen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Jeejo
2007-03-08T14:46:51+00:00 08.03.2007 15:46
Woah, jetzt find ich nicht nur deine Bilder toll, sondern auch deinen Schreibstil *___*
Die Geschichte ist echt gut geschrieben und hat irgendwie eine Spannung, die einen am Lesen hält. Das Ende gefällt mia *___*
Toll! ^-^
Von: abgemeldet
2005-05-03T15:08:47+00:00 03.05.2005 17:08
Jo!*quietsch* voll krass !!!X3
Von: abgemeldet
2005-03-09T12:42:22+00:00 09.03.2005 13:42
Ne coole Geschichte! ^^
Erinnert ein wenig an Kafka, (aber deine Geshichte ist besser XD)
Ist wirklich spannend und ein klasse Schreibstil!
Schreib mal wieder was!
Von:  Kroko
2005-03-07T20:15:09+00:00 07.03.2005 21:15
O_O das is total spitze. Echt, ich finds einfach nur toll ^^ wai, hast du von ihr auch ein Bild gemalt? *grad deine Bilderliste durchblätter*
Hu, auf jeden Fall: echt klasse! Ich mags total gern ^.^ (ich soll dir von YamiMolly ausrichten, dass sies auch ganz nett findet, aber lass dich von meinem andern Ich nich stören, sie is imma ein bisschen missmutig ^^)
Von:  winterspross
2004-11-28T16:07:09+00:00 28.11.2004 17:07
ich mag das. und ich verstehe überhaupt nicht, warum das keine kommentare hat...
es erinnert mich an den kafkamenschen.
ach ja, ich empfehl die geschichte mal ganz kurz, ja?


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