Zum Inhalt der Seite

Tochter der Sonne

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der Ruf der Wellentänzer

Sturmgischt ließ sich in das Wasser gleiten. Er war die Kälte gewohnt und schauderte nur ein biß-chen ob der kalten Fluten. Schon war die Gänsehaut verschwunden, als sein Gefährte herbeieilte. Taucher der Wellentänzer stupste ihn zur Begrüßung freudig an.

Der junge Elf streichelte seinen Gefährten und hielt sich dann an der Rückenflosse fest. + Wir müs-sen herausfinden, wie weit unsere Insel noch von der Küste entfernt ist, und wohin uns die Strömun-gen treiben werden +, übermittelte er dem Wellentänzer aufgeregt. +Das ist das erste Mal, daß der Rat uns beide losschickt! Wir sind ihnen endlich erwachsen genug!+

Sturmgischt grinste. ,Vielleicht haben auch die anderen Späher keine Zeit, denn sie müssen den fremden Wanderer in einem Binsenboot fortbringen', dachte er dann bei sich. ,Der Rat hat ja ziem-lich geheimnisvoll getan, wenn es um ihn ging, und ihn von uns ferngehalten! Warum nur?'

Taucher keckerte protestierend und tauchte unter. Prustend tauchte der junge Elf wieder an die Oberfläche. +Das war ungerecht!+ schimpfte er, während Taucher um ihn herumschwamm und sich nicht einholen ließ. +Ich habe mir nur Gedanken über unseren Gast gemacht!+

Der Wellentänzer schüttelte sich und schwamm dann dicht an Sturmgischt heran, daß der junge Elf auf den Rücken klettern konnte. +Ja, du hast ja recht!+ meinte Sturmgischt dann. +Das ist nicht meine Sache, und der fremde Elf war ohnehin ein komischer Kerl. Niemand weiß, wie er es ge-schafft hat, zu unserer Insel zu kommen. Eines Morgens war er einfach da und verlangte die Älte-sten zu sprechen. Und ihr Wellentänzer mögt ihn nicht, wer weiß warum ... er war so unheimlich, jung und gleichzeitig alt ... vielleicht sogar ein Hoher? Und dann ... - ach was, es reicht! + Er seufzte. + Komm laß uns dem Tagesstern entgegenschwimmen! +

Nur kurz blickte Sturmgischt zu der tangbedeckten Schwammscholle zurück, die hinter den Wellen-bergen immer wieder verschwand und dann wieder auftauchte. Schon lange lebte sein Stamm an die-sem Ort, der von den Strömungen über das Meer getragen wurde, und ihnen, wie auch den Vögeln und Wellentänzern, die mit ihnen zusammenwohnten, Schutz und Nahrung bot. Aus dieser Entfer-nung wirkte die schwimmende Insel verlassen, aber das täuschte. So früh am Morgen schliefen die meisten noch in ihren Binsenhütten, und die wenigen Wächter kauerten in verborgenen Nischen.

Dann wandte Sturmgischt seine Aufmerksamkeit wieder der Aufgabe zu. In der Ferne konnte er be-reits schwach eine Küstenlinie erkennen, ob das schon das Festland war?
 

"GOTARA!GOTARRAAAA!"

Dieses Gebrüll gellte Kyrina nun schon seit dem Morgengrauen in den Ohren. Sie hetzte nun schon seit dem Sonnenaufgang an der Steilküste entlang, und es war ihr noch immer nicht gelungen, ihre Verfolger abzuhängen. Eine Gruppe von großen, grobschlächtigen Fünffingern hatte sie als Beute ausersehen - weniger um ihre Mägen zu füllen, denn als Opfer für ihren Gott.

Kyrina klopfte das Herz bis zum Hals. Das war nicht die erste Begegnung mit den Fünffingern, aber bisher hatte sich das bestätigt, was schon Savah erzählt hatte: Die Großen haßten Elfen und ver-suchten sie, wann immer sie sie sahen, zu töten! Das war früher so - und so würde es wahrscheinlich auch bleiben.

Verzweifelt suchte sie hinter ein paar Büschen Schutz - aber die Jäger verloren ihre Spur nicht. Bei allen Sandechsen, konnten die sie denn wittern? Warum war sie eigentlich so nahe an die Küste ge-kommen. Nur weil sie diese seltsamen Felszeichnungen der Großen gesehen hatte - von dem spitzoh-rigen Wesen das sieben Steine um den Hals trug - Steine in der gleichen Form wie die ihren?

Kyrina lief weiter, stolperte und rappelte sich auf. Ihre Kräfte waren bald verbraucht, und dann wür-de sie ihnen so oder so in die Hände fallen. Vielleicht sollte sie sich umdrehen und sich den Großen zum Kampf stellen, um allem endlich ein Ende zu machen, oder ... Nein, es gab noch eine dritte Möglichkeit: Es war zwar fraglich, ob sie das überlebte, aber so fiel sie wenigstens den Fünffingern nicht in die Hände.

Kyrina verlangsamte ihren Lauf. Dann trat sie an den Abhang heran und blickte nach unten. Heftig schlug die Gischt gegen die Klippen. Einen Moment drehte sich die Landschaft vor ihren Augen, dann breitete Kyrina die Arme aus und ließ sich fallen.

Für Augenblicke fühlte sie sich frei wie ein Vogel - so mußte es sein, wenn man richtig schweben konnte - doch dann kam die Meeresoberfläche rasend schnell näher. Und mit ihren Fähigkeiten konnte sie den Fall auch nicht mehr richtig abbremsen.

Sie schlug hart auf. Der Schmerz raubte ihr beinahe das Bewußtsein, bunte Lichter tanzten vor ihren Augen. Kyrina stampelte verzweifelt mit Armen und Beinen, während sie panisch einatmete und doch nur wasaser schluckte. Dann wurde alles schwarz vor Augen. Das letzte, was sie spürte war ein ferner Ruf ... ein Flüstern in ihrem Geist...
 

Sturmgischt hatte Mühe, die Elfe auf Tauchers Rücken festzuhalten. Sie war eine Handbreit größer als er und viel, viel schwerer, was nicht zuletzt an den, mit Wasser vollgesogenen, Kleidern lag. Im-mer wieder mußte er sie zurechtschieben und seinen Griff verlagern.

Taucher und er waren diesmal ganz dicht an die Küste herangeschwommen. Was ihn dazu verleitet hatte, wußte er jetzt nicht mehr, aber es war gut gewesen - denn dann wäre die Fremde jämmerlich ertrunken. Auch jetzt hörte er an ihrem Atem, daß noch Wasser in ihren Lungen steckte. Deshalb mußte er sie so schnell wie möglich zur Insel bringen.

Seine Aufgabe war vergessen - nein nicht ganz - er wußte nun, daß die Schwammscholle wieder vom Land abtreiben würde, denn die Strömung hatte ihm die Rettung der Fremden sehr erschwert. Aber wie würde der Rat es aufnehmen, wenn er jetzt eine Fremde mitbrachte? Wo doch der andere erst wieder verschwunden war? Diese Jahreszeit steckte wirklich voller Aufregungen.

Angespannt biß sich Sturmgischt auf die Lippen. Wo sie wohl hergekommen war? Und wer hatte sie da verfolgt? Von den Wellen aus hatte er klobige, braunhäutige Gestalten gesehen, die unverständli-che Worte gebrüllt und Speere nach unten geschleudert hatten. Waren das die Großen gewesen, vor denen die Alten viele Jahre zuvor aufs Meer hinaus geflohen waren? Und woher kam die Fremde? Er tastete über ihren nackten Arm. Ihre Haut war dunkel - genau wie ihr Haar - fast wie bei den Gro-ßen. Aber ihre Augen, und ihre Ohren waren elfisch und ihre Hände ... besaßen auch nur fünf Finger.

Helles Kinderlachen schreckte ihn auf.

Er sah von der Fremden hoch und bemerkte erst jetzt, daß er der Schwammscholle sehr nah gekom-men war. Ein Elfenmädchen von vielleicht acht Sturmzeiten paddelte ihm fröhlich auf einem Binsen-boot entgegen und riß die Augen weit auf, als sie die Fremde sah.

"Rasch Perlchen!" rief Sturmgischt, ehe seine kleine Schwester lästige Fragen stellen konnte. "Hol die Heiler und die Ältesten! Ich bringe jemand mit, der Hilfe braucht!" Und diesmal gehorchte die Kleine tatsächlich, ohne ihm die Zunge rauszustrecken oder anderen Unsinn anzustellen. + Dann werde ich auch keinem verraten, daß du schon wieder so weit rausgepaddelt bist!+

Der junge Elf sah der Kleinen nach - und tatsächlich, als er am Rand der Scholle ankam, lief bereits der ganze Stamm zusammen und betrachtete neugierig die hochgewachsene Elfe in den durchnäßten Kleidern, die er gerade mit Hilfe eines Freundes auf die Binsen hievte. Ein aufgeregtes Murmel ging durch die Menge, als eine Heilerin die schwarzen Strähnen beiseiteschob und dadurch eine Kette mit drei gelben Steinen sichtbar wurde.
 

"Sturmgischt sagte, sie sei von den Klippen ins Meer gesprungen., und er habe einige Große gese-hen, die sie wohl verfolgt hatten!"

"Wenn das wahr ist, dann hat sich noch immer nichts verändert. Die Fünffingrigen fürchten uns im-mer noch wie am Anfang. Es ist schon gut, daß wir hier draußen leben. Hier gibt es die Großen we-nigstens nicht."

" Ich weiß nicht. Wenn uns andere Elfen finden, dann werden die Großen es vielleicht eines Tages auch tun, und dann ist es mir dem Frieden vorbei."

Das waren die ersten Worte, die Kyrina vernahm, als sie aus ihrer Bewußtlosigkeit erwachte. Ein scharfer Schmerz schoß durch ihre Lunge. Sie krümmte sich unter einem Hustenanfall zusammen.

Schon hielten sie feingliedrige Hände fest. "Ist ja gut. Der Schmerz wird vergehen. Mondmuschel, hol etwas von dem Sud!" Dann flößte ihr eine Gestalt, die sie nur schemenhaft erkennen konnte eine grünliche Flüssigkeit ein. Kyrina schluckte und fühlte sich gleich besser. Angestrengt versuchte sie die beiden Helfer zu erkennen. Ein blasses Elfenmädchen mit hellen Haaren beugte sich neugierig über sie. "Flinkkrabbe, schau dir nur diese dunkle Haut an, diese Haare. Ich kenne niemanden, der so aussieht!"

"Mondmuschel ... jetzt laß die Fremde in Ruhe. Der Rat wird sie schon noch befragen ... vor allem, weil sie die gleichen Steine um den Hals trägt, wie der Wanderer!"

"Ich..." Kyrina schnappte nach Luft und versuchte sich aufzurappeln, kaum da der letzte Satz ver-klungen war. Diese Neuigkeit ließ sie jegliche Schwäche vergessen. Der Wanderer mit den gelben Steinen. Er war hier? Ihr Vater hielt sich bei diesem Stamm auf? Sollte ihre Suche endlich ein Ende finden? Sie mußte es wissen. Trotz der Schmerzen versuchte sie auf die Beine zu kommen, doch die Heilerin hielt sie energisch fest. "Du bist noch viel zu schwach. Bitte bleib liegen."

"Aber ... ich muß ... den Wan ... den Wanderer ...", protestierte Kyrina und japste heftig nach Luft.

"Dazu ist es ohnehin schon zu spät. Die Späher haben ihn bereits mit dem Binsenboot fortgebracht, und du ..."

Mit aller Kraft riß Kyrina sich los und erhob sich schwankend. Mühsam kämpfte sie sich bis zum Ausgang der Hütte und weiter. Immer wieder mußte sie sich abstützen, um nicht umzufallen.

Sie achtete nicht auf die halbnackten Elfen, an denen sie vorüber eilte, noch auf die erstaunten Blik-ke, die ihr zugeworfen wurden. Hilfreiche Hände wehrte sie ab.

Wo war sie hier nur? Ihre Umgebung ähnelte einem Binsendickicht. Überall hing Tang, und der Bo-den war merkwürdig weich, nicht so fest wie Erde ... und nicht nur sie schwankte - auch der Unter-grund!

Kyrina kämpfte mit der aufsteigenden Übelkeit. Als sie schließlich vor einer weiten Wasserfläche stand, gab sie dem Drang sich zu übergeben nach. Erst als sie auch den letzten Rest ihres Magenin-haltes ausgespien hatte, drehte sie sich wieder um.

Matt blickte sie zu der Schar Elfen hoch, die sich um sie versammelt hatten, und sie verwirrt mitein-ander tuschelnd ansahen. "Was wollt ihr von mir?" krächzte sie. "Laßt mich doch in Ruhe!" Damit aber bewirkte sie nur, daß sie alle schweigend anstarrten.

Nur einer wagte sich einige Schritte vor und kauerte sich vor ihr hin - Ein junger, nur mit knappem Lendenschurz bekleideter Elf, dessen fahlblonde Haare im Nacken zusammen gebunden waren. In dem Augenblick, in dem sie in seine grauen Augen blickte, geschah es.

Ein Laut, ein Klang wurde aus den Tiefen ihrer Seele hervor gezerrt. Er drängte aus ihr wie die Lava eines der feuerspeienden Berge in der Nähe von Sorgenend und traf zischend eine weite blaue Flä-che, aus der ein vielfarbener Fisch emporsprang und genau in ihren Händen landete. In seinen Augen funkelten zwei Sterne, die sich zu einem vereinten. Feuer und Wasser - so gegensätzlich ... und doch vereint.

Kyrina wußte was das bedeutete, aber sie wollte es nicht wahrhaben.

ERKENNEN!

Das Band, das zwei Elfen auf ewig zusammenfügte und das Tiefste der Seele enthüllte. Ein Ge-schenk, das starke Kinder voller Magie hervorbrachte ... und sie hier festhalten würde. Jetzt, wo sie ihn vielleicht hätte einholen können, den Elfen - der seine Gaben so freigiebig verteilte wie die Steine seines Halsschmuckes.

Kyrina griff an ihren Hals, doch die Kette mit den drei gelben Steinen war verschwunden. So richtete sich ihre Wut gegen den jungen Elfen. "Geh weg!" schrie sie den an und fuchtelte so heftig mit den Armen, daß er tatsächlich ein Stück zurückwich. "Geh weg - verschwinde und laß mich in Ruhe! Und ihr anderen auch!"

Jetzt endlich kam Bewegung in die Schar der Elfen. Tuschelnd und murmelnd folgten sie ihrem Wunsch. Nur der junge Elf zögerte immer wieder und blickte zurück. Kyrina aber kauerte sich zu-sammen und schlang die Arme um die Beine. Was sollte sie nur tun?
 

Von einem der erhöhten Punkte in der Mitte der Insel hatte Kyrina einen guten Blick über die weite blaue Fläche, die die Schwammscholle von allen Seiten umgab. Sie zog fröstelnd den Überwurf enger um sich. Wie die anderen Elfen trug sie nur wenig am Leibe, aber das genügte ihr nicht - als Son-nentalerin war sie höhere Temperaturen gewohnt, und schon der Anblick der fast nackten Leiber ließ sie schaudern.

Genauso wie das Wissen, das sie hier auf einer Insel festsaß, die keinen festen Boden besaß - sondern nur aus Pflanzen bestand, die auf dem Wasser schwimmen konnten. Diese Umgebung machte ihr - und das gestand sie sich nur ungern ein - ziemliche Angst.

Nachdenklich berührte sie die Kette um ihren Hals, die um einen weiteren Stein ergänzt worden war. Der Rat der Ältesten dieses Stammes hatten ihr den Schmuck zurückgegeben und bestätigt, daß nur kurz vor ihr ein anderer Elf auf der Insel geweilt hatte - der diesen vierten Stein zurückgelassen hat-te. "Und so vermuten wir, daß er dich erwartet hat, auch wenn du selber nichts davon zu wissen scheinst. Die Wege der Hohen sind manchmal sehr seltsam." Als sie dann versucht hatte, tiefer in die Ältesten zu drängen, hatten diese mit dem Kopf geschüttelt und eisern geschwiegen. "Wenn du alles erfahren hast, dann wirst du wie er gehen wollen, und das können wir nicht zulassen. Denn du kannst uns nicht so einfach verlassen. Wir alle haben gesehen, was zwischen dir und Sturmgischt geschehen ist! Und solch eine Gabe darf nicht vergeudet werden! Du wirst also erst einmal hierbleiben!"

So saß sie nun hier fest. Seit Tagen wühlte der unerfüllte Drang in ihr wie ein Greifwurm in der trok-kenen Wüstenerde, doch sie war nicht bereit, sich ihm hinzugeben. Wenn sie das tat, dann würde sie mindestens zwei Wechsel der Jahreszeiten hierbleiben müssen, wenn nicht noch länger! Und bis da-hin würden die Spuren des Wanderers wieder verwischt sein.Wütend schlug sie gegen das Binsenge-flecht und fragte sich zum wiederholten Male, ob ihr Vater nicht vielleicht doch noch irgendwo hier war, und nur mit ihr spielte. Und deshalb hoffte sie darauf, daß sie das ERKENNEN verleugnen konnte, daß es irgendwann von selber verschwinden würde.

"Du solltest dich nicht quälen, Kind!" Großwelle, der Älteste, der sie in seine Hütte aufgenommen hatte, kauerte sich neben Kyrina. Sein Gesicht war wettergegerbt und er wirkte viel älter als sie, ob-wohl er kaum mehr Wechsel zählen konnte als die Sonnentalerin. Eine Seite seines Gesichts war durch eine zackige Narbe entstellt, und er hatte den rechten Arm durch einen Reißzahn-Angriff - denn die See-Elfen besaßen seit acht mal acht Jahreszeitenwechsel keinen Heiler mehr. Der letzte war bei einem Sturm von einer Flutwelle ins Meer gerissen worden. Das hatte er ihr wie viele andere Dinge über den Stamm auch erzählt. Kyrina setzte eine abweisende Miene auf. "Ich quäle mich doch gar nicht!" meinte sie leichthin. "Ich spüre überhaupt nichts! Ach, ich denke, dieser lästige Zwi-schenfall wird bald vergessen sein!"

"Es wird dir nicht helfen, den Drang zu unterdrücken. Du wirst nur krank davon werden, obwohl ich glaube..." Großwelle beendete den letzten Satz nicht. Die Sonnentalerin blickte mißtrauisch zurück. Sie hatte den Ältesten wohl ein wenig unterschätzt. Großwelle war vielleicht verkrüppelt, aber er hatte gute Augen und ein bemerkenswertes Gedächtnis. Ihn war wohl aufgefallen, wie schnell ihre Kratzer und Schrunden geheilt waren.

"Vielleicht?" Sie zuckte mit den Schultern und erhob sich dann. Langsam wanderte sie über die Insel zu einer Fläche nah am Wasser, auf der die Elfenkinder herumtollten. Dort würde sie wenigstens abgelenkt sein, und nicht immer an alles erinnert werden.
 

Sturmgischt kam nur widerwillig seinen Pflichten nach. Er half die Netze zu flicken, während seine Gedanken ganz woanders weilten. Er dachte verzweifelt an die Elfe. Ihr fremdartiger Name brannte in seiner Seele und erfüllte seinen Körper mit einem Durst, den er nicht stillen konnte.

ERKENNEN.

Er hatte sich es immer gewünscht, so eng mit einer Elfe verbunden zu sein, aber nicht erwartet, daß es so schmerzhaft sein konnte.

"He Sturmgischt!" Regenschauer stieß ihn freundschaftlich an. "Du solltest nicht immer nur grübeln, sondern endlich das tun, was dich wieder über die Wasseroberfläche bringt. Erkennen ist Erkennen - und bei den Fluten, das ist bei uns selten geworden, aber wenn es geschieht, dann hat es eine Be-deutung. Bei Quallengift und Fischgedärm, komm und nimm sie dir endlich, dann läufst du nicht im-mer so herum, als habest du ein Krabbe verschluckt!"

"Ach, was verstehst du denn schon davon!" fuhr Sturmgischt seinen Vetter an und hob die Hand, um den anderen zu schlagen. Dann ließ er sie wieder senken. Regenschauer hatte recht. Etwas mußte geschehen. Er mußte zumindest versuchen, mit der Fremden - Kyrina - zu reden.

So holte er tief Luft. "Mach alleine weiter!" sagte er, und ließ seinen Vetter einfach stehen, um sich auf der Suche nach der schwarzhaarigen Elfe zu machen. Hoffentlich war sie zu finden, denn sie mied ihn, so gut sie nur konnte.
 

"Nein, Perlchen, ich bin zu schwer für dein Binsenboot!" wehrte Kyrina ab, als die kleine Elfe sie auf ihr kleines Boot zu ziehen versuchte. "Und außerdem kann ich nicht schwimmen!"

"Warum nicht?" Sturmgischts kleine Schwester sprang auf die schwankende Nußschale - ein An-blick, der Kyrina schon schlucken ließ. "Jeder kann das!"

"Nein, nicht jeder..." Als der Boden durch die Strömung heftiger schwankte, mußte Kyrina sich set-zen. "Weißt du, ich komme aus einer Gegend, da gibt es nur wenig Wasser."

"Das gibt es doch gar nicht!" Perlchen schüttelte den Kopf und stieß sich mit ihrem Paddel ab. Wie die anderen Elfenkinder auch übte sie hier in dieser geschützten Bucht der Insel, auf dem nassen Element zurecht zu kommen - unter den wachen Augen einiger Ältester. "Du schwindelst! Es gibt nichts anderes als Wasser!"

Kyrina seufzte. Perlchen kannte natürlich nichts anderes als das Meer, und auch ihr kleiner Bruder Rajek hätte dumm geschaut, wenn sie ihm von dem Meer erzählen würde.

Die Sonnentalerin strich sich die Haare aus dem Gesicht. Sie mochte das kleine Mädchen mit den struppigen blonden Haaren. Sturmgischts Schwester war die einzige, die ihr keine dummen Fragen stellte, sondern viel lieber mit ihr spielen wollte.

Nun paddelte das kleine Mädchen ein Stück weg und rutschte dann ins Wasser. "Schau mal, wie lange ich schon unter Wasser bleiben kann!" lachte es noch, holte tief Luft und tauchte dann ganz unter. Kyrina begann zu zählen, bog einen Finger nach dem anderen um ... doch plötzlich sprang sie auf. Nur für einen kurzen Augenblick hatte sie etwas aus dem Wasser auftauchen sehen - eine ge-zackte Flosse. Ein Schatten schoß lautlos durch das Wasser, und sie meinte unheilverheißende Be-wegungen zu sehen. War das einer der gefährlichen Fische, vor denen die Ältesten sie gewarnt hatte? Kyrina sah sich hastig um, doch die anderen schienen noch nichts bemerkt zu haben. "Da ist ... da ist etwas im Wasser - ein Reißzahn!" schrie sie.

Der Elf mit den fahlblonden Haaren, der zögerlich auf sie zugekommen war, rannte los, kam da sie die Warnung ganz ausgesprochen hatte. Kyrina wich ihm aus - doch Sturmgischt achtete nicht einmal auf sie.

Mit einer geschmeidigen Bewegung sprang er ins Wasser, das gezückte Knochenmesser in der Hand und verschwand unter der Wasseroberfläche. Das nächste, was sie sah, war hochspritzendes Wasser.

Zwei Gestalten drehten und wanden sich im Wasser, als ein heftiger Kampf zwischen Elf und Raub-fisch entbrannte. Das Knochenmesser blitzte auf, Blut spritzte, aber auch zwei Reihen spitzer, schar-fer Zähne wurden sichtbar.

Doch wo war Perlchen?

Kyrina lief am Rand der Scholle entlang, dann entdeckte sie einen im Wasser treibenden kleinen Kör-per. Kein anderer war ihm näher als sie, und die ins Wasser springenden Elfen standen Sturmgischt bei. Es half nichts, sie muteß etwas tun - oder die Kleine sterben lassen. Wie sollte sie das machen, wenn sie nicht schwimmen konnte? Vielleicht konnte sie, wenn sie sich weit genug streckte, Perlchen an sich heranziehen.

So ließ sich Kyrina in Wasser gleiten und unterdrückte ihre Angst. Sie streckte sich aus, doch Perl-chen trieb wieder ein Stück ab. Was sollte sie tun? Wenn sie jetzt los ließ, dann ertrank sie doch nur selber.

Und das Elfenkind? Sie konnte es doch nicht...

Da kam ihr jemand zur Hilfe. Ein großer Fisch - ein Wellentänzer? - tauchte auf und schob Perlchens schlaffen Körper dichter an Kyrina heran. Leises Keckern ermutigte sie nach der Kleinen zu greifen, und sich wieder auf die Scholle zu ziehen - ja der Wellentänzer half auch noch nach.

Der Instinkt der Heilerin erwachte in Kyrina. Ohne darüber nachzudenken, daß sie ihre Fähigkeiten preisgab, und damit für den Stamm noch wertvoller werden würde, kümmerte sie sich um das Elfen-kind. Ihre Kräfte drückten das Wasser aus Perlchens Lunge und schlossen die tiefe Bißwunde, stärkten das schwach schlagende Herz und ersetzten das verlorene Blut.

Erst als sie sich sicher war, daß das Kind überleben würde, erwachte sie wieder aus der Trance und sah erschöpft hoch. Um sie herum stand der halbe Stamm versammelt, und Sturmgischt kauerte an ihrer Seite. Er schien nicht zu bemerken, daß er aus einer Wunde am Arm blutete. Kyrina hob ihre Hand und legte sie auf dem Biß.

Der Elf sah sie erstaunt an, doch die Heilerin lächelte nur müde und sackte dann erschöpft zusam-men.
 

Kyrina stellte fest, das jemand sie während ihrer Bewußtlosigkeit in Großwelles Hütte getragen hat-te, und erkannte im nächsten Augenblick auch schon, wer es gewesen war. Sturmgischt kauerte an ihrer Seite und blickte sie nachdenklich an. "Ich wollte eigentlich nur mit dir reden, mir ..." Seine Stimme klang gepreßt und er schlug die Augen nieder.

"Ich weiß!" Kyrina sah in eine andere Richtung. Auch sie spürte das Wühlen in ihrem Leib. Heiße und kalte Schauer jagten von den Haar- bis zu den Zehenspitzen.

"Jetzt aber kann ich dir nur für Perlchens Rettung danken. Wenn du nicht gewesen wärst, dann wäre sie tot gewesen, denn kein anderer von uns besitzt deine Kräfte. Oh, Kyrina, ich wünschte..."

"Daß ich bei ich bliebe, meinst du?" Kyrina seufzte und musterte ihre Hände. "Um eure Heilerin zu sein." Sie biß sich auf die Lippen. "Ich werde eines Tages wieder fortgehen müssen, denn in mir steckt so viel Unruhe, daß ich nicht bleiben kann ..." Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und holte tief Luft. " ... aber ich kann dafür sorgen, daß ihr nicht ohne Heiler bleibt!" Und in Gedanken fügte sie hinzu: ,Auch wenn ich damit die Spur meines Vaters aus den Augen verliere und wieder von vorne anfangen muß'.

Stumgischt hob den Kopf. In seinen Augen spiegelte sich Verwirrung und Erkenntnis wieder, als Kyrina die Arme ausstreckte. "Komm zu mir!" Die Heilerin schloß den sehnigen, schlanken Körper des Elfen in die Arme und besänftigte Sturmgischts Ungeduld, während sie ihr eigenes Verlangen hervorlockte. Auch für sie war es eine neue Erfahrung einen Widerhall ihrer Gefühle zu spüren, denn durch das Erkennen blieb ihr nichts verborgen. Keine Vereinigung mit den Gefährten aus dem Son-nental war so intensiv gewesen - so allesverschlingend... Kyrina ließ sich von den Wellen ihrer Lei-denschaft davontragen und schreckte auch nicht vor der über ihr zusammenschlagenden Gischt zu-rück. Und irgendwie machte sie es auch nicht mehr traurig, länger bei Sturmgischts Stamm verweilen zu müssen...
 

Kyrina wurde nun endgültig in den Stamm aufgenommen und erhielt wegen ihres schwarzen Haares und ihrer heilenden Hände den neuen Namen Nachtmond. Auch wenn ihr das Element des Wassers immer fremd blieb, so lernte sie doch, so gut sie es vermochte, in ihm zurecht zu kommen, allein schon um ihres Sohnes Sturmtaucher Willen, der mit ihren Gaben auch ihr schwarzes Haar geerbt hatte. Gemeinsam mit ihrem Seelengefährten zog sie den lebhaften stolzen Jungen auf, was nicht immer leicht war.

Sie verlebten viele glückliche Sturmzeiten, doch zwischen Sturmgischt und ihr stand immer die Fra-ge, wann Kyrina denn nun eigentlich gehen würde - auch wenn sie nicht davon sprach, so spürte es der Elf jedesmal, wenn er in ihre Augen blickte.

Die Sonnentalerin geduldete sich jedoch, bis Sturmtaucher all das gelernt hatte, was er über seine Kräfte wissen mußte und sie gut genug einsetzen konnte. Nun, so spürte sie - war endlich die Zeit des Abschied gekommen. Sturmgischt und sie bedurften keiner Worte, um sich voneinander zu lö-sen.

Nur die Ältesten des Stammes verbargen ihr Bedauern nicht. "Wir lassen dich mit traurigem Her-zen gehen, aber wir achten deinen Willen!" sagte Großwelle als sie bereits das Binsenboot bestieg, daß sie an Land bringen würde und reichte ihr eine Fellmantel. "Das ist eine Gabe des fremden Wanderers, der kurz vor dir da war. Wir sollten diesen Umhang so lange aufbewahren, bis du ihn benötigen würdest. Er meinte nämlich, du könntest ihn brauchen, wenn du ihn weiter suchen willst ... doch das sollten wir verschweigen, bis das getan sei, weswegen du gekommen seist. Jetzt erst verstehen wir seine Worte. Du hast uns einen neuen Heiler gegeben!"

Kyrina wußte nicht, ob sie darüber lachen oder weinen sollte, denn plötzlich fiel ihr eine Vermutung ein, die sie vor so vielen Jahreswechseln einmal gehegt hatte: Ihr Vater, der Wanderer, wußte also, daß sie ihn suchte - und er spielte mit ihr!

Die Sonnentalerin machte gute Miene zum bösen Spiel und verabschiedete sich freundlich von den Elfen, die so lange ihr Stamm gewesen waren. Innerlich aber beschloß sie - wenn sie ihren Vater denn nun endlich fand - einmal gehörig zu sagen, was sie davon hielt!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück