Zum Inhalt der Seite

A complicated Lady

Das ungewöhnliche Leben der Anthea Cook (Teil 1: Liebe und Leid)
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 4

Anthea wurde sehr rasch zum Mittelpunkt des Lebens in Enfield Court. Bereits am zweiten Tag nach der Geburt ihrer Tochter hätte Tabitha fast einen Wutanfall bekommen, weil noch keine Wiege für das Kind existierte.
 

Sie beauftragte Emma mit dem Nähen eines ordentliches Steckkissens und den Stallburschen Jeff, der einige gute handwerkliche Künste beherrschte, mit dem Zimmern einer Wiege.
 

Bis diese fertig war, musste Anthea, dick eingewickelt in Windeln und frische, weiße Tücher, neben ihrer Mutter liegen, die erst eine Woche nach der Geburt zum ersten Mal fähig war, aufzustehen.
 

Zwar war Tabitha noch immer schwach und wund, aber das störte sie nicht, hatte sie doch nun das Steckkissen und die Möglichkeit, ihre Tochter im Schlossgarten spazieren zu tragen.

Auch besaß die junge Mutter wohl einige Eigenarten, so ließ sie es zum Beispiel nicht zu, dass irgend ein Dienstmädchen Antheas Windeln wechselte, sondern erledigte diese Aufgabe beflissen selbst.
 

Auch ließ sie ihre Zofen in den vielen, langen Nächten, in denen ihr Kind wach wurde und schrie, lieber schlafen und stand stattdessen selbst auf, um die Kleine zu wickeln oder zu stillen, sodass es kein Wunder war, dass sie an vielen Tagen mit tiefen, dunklen Augenschatten durch das Schloss lief.

Ein paar Wochen nach Antheas Geburt wurde auch die Wiege fertig, eine recht ordentliche Arbeit mit schönen, sorgfältig eingeschnitzten Intarsien.

"Passend zu Eurer Kommode und Eurem Schminktisch." fand die Zofe Heather, als Tabitha ihre schlafende Tochter vorsichtig hineinlegte.

Diese lächelte nur stumm, küsste ihre Tochter zaghaft auf die kleine Stirn und setzte sich dann in einen Lehnstuhl, um ein wenig in Homers Odyssee zu lesen.
 

Als Cathy am Nachmittag vorschlug, auf das Kind aufzupassen, damit Tabitha einen ihrer geliebten Ausritte machen konnte, schnaubte diese nur wegwerfend.

"Das kommt überhaupt nicht in Frage, ich bleibe hier. Wenn sie aufwacht und gestillt werden möchte, habe ich das zu verantworten."

Sie sah ihre alte Amme eindringlich an. "Sie braucht mich, Cathy, sie braucht mich dringend. Und ich werde sie nicht einfach verlassen, sowie ihr Vater sie und mich verlassen hat."

Cathy zuckte die Achseln und verließ wortlos den Raum. Dabei konnte sie nicht leugnen, dass sie die junge Mutter verstehen konnte. Tabitha sprach zwar nie darüber, aber Cathy bemerkte trotzdem deutlich, wie sehr sie unter der Tatsache litt, dass ihr Kind keinen Vater hatte.
 

Am Morgen des achtzehnten Junis im Jahre 1548 kniete Tabitha an Antheas Wiege und schaukelte ihre Tochter vergnügt hin und her.

"Guten Morgen, mein kleiner Sonnenschein", sagte sie fröhlich, während Anthea sie aus riesigen, klaren blauen Augen ansah.

Große, neugierige Augen waren das, die wie zwei Sterne leuchteten in dem kleinen Gesicht.

Sie ballte ihre winzigen Hände zu beiden Seiten ihres Kopfes zu Fäusten und öffnete sie wieder, vergnügt glucksend.
 

"Weißt du, dass du heute Geburtstag hast, meine Kleine? Genau einen Monat wirst du heute alt."

Cathy, die vorsichtig hinter ihre Herrin getreten war, lächelte gütig auf Mutter und Kind hinab.

"Sie ist so ein entzückendes, kleines Ding." sagte sie leise.

Tabitha nickte.

"Ja, du bist entzückend, kleine Anthea. Ganz entzückend, das niedlichste Kind auf der ganzen Welt."

"Sagt, Mylady, was haltet Ihr von einer Taufe?"

"Taufe?" Tabitha stand auf. Ihre Stirn hatte sich in nachdenkliche Falten gezogen. "Ich weiß nicht, Cathy...Vielleicht ist Pater Brown nicht verschwiegen genug...du weißt doch, es soll eigentlich so gut wie niemand wissen, dass ich ein uneheliches Kind -"

Cathy lachte.

"Darüber würde ich mir nun am allerwenigsten Sorgen machen. Ihr seid eine anständige Christin, Mylady, Ihr habt hier bis jetzt fast jeden Sonntag den Gottesdienst besucht. Und Pater Brown hat Euch recht gern...er wird Euch nicht dafür verurteilen, was Ihr getan habt, und Eure Tochter kann meiner Meinung nach nicht einfach ohne den Segen der Kirche bleiben. Brown wird es gewiss als eine Art...nun ja, Beichte auffassen."
 

"Beichte?" Nun musste Tabitha ihrerseits lachen. "Aber Cathy, Brown ist doch strenger Protestant!"

"Natürlich, Myaldy...ein Vertreter des neuen Glaubens, wie auch Ihr eine Vertreterin desselbigen seid. Trotzdem, gebt Eurem Kind eine anständige Taufe. Ich habe ein spitzenbesetztes Hemdchen für sie genäht, und wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich zu ihrer Patin einsetzen."

Tabitha überlegte.

"Mhm...zu ihrer Patin...deine Idee ist nicht übel, ich werde darüber nachdenken."
 

Zwei Wochen später machte sich Tabitha Cook in Begleitung ihrer Amme und ihrer beiden Zofen mit Anthea auf zu der kleinen, gotischen Kirche, wo der alte Pater Brown in einer Türniesche stand und sie lächelnd empfing.
 

Er war in seine übliche, dunkle Kutte gehüllt und trug eine schwarze Kappe, unter der sein schneeweißer Haarkranz hervorlugte.

Tabitha wusste, dass der Alte ehemals Mönch in einem der naheliegenden Klöster gewesen war, die man jedoch nach der Säkularisierung aufgelöst hatte. Vor ungefähr vier Jahren war er zum lutherischen Glauben konvertiert und Pfarrer in der kleinen Grafschaft Enfield geworden.

Die Gemeinde liebte und verehrte ihren Kirchenpater, hatten doch viele von seinem bemerkenswerten Wissen und seiner humanistischen Bildung erfahren.
 

"Nun, meine Tochter", begrüßte er die junge Frau, die ihr Kind schützend an ihre Brust drückte.

Anthea lag in ihrem Steckkissen. Sie trug ein besticktes Taufhemd und eine Spitzenhaube, und sie schlief.

Der alte Pfarrer betrachtete Tabitha und ihre Tochter eine Weile lang, und das Runzeln der dichten, weißen Brauen zeigte, dass er langsam begriff.

"Euer Kind, meine Tochter?"

Tabitha nickte.

"Ja. Aber Anthea ist nicht....nun, sie ist nicht..."

Pater Brown hob die dürre, von blauen Adern durchzogene Hand.

"Ich weiß." Er lächelte kaum merklich. "Ich werde Euch nicht verurteilen. Vielen jungen Damen geht es wie Euch. Ist es...Seymours Kind?"

Er kannte den Lordadmiral gut, sie hatten einige Male in seinem Hause einen Becher Wein miteinander getrunken und sich über die politischen Zustände unterhalten.
 

Brown wusste, dass Seymour ein Liebesverhältnis mit der jungen Lady Cook hatte, und Tabitha ihrerseits wusste, dass es ihm bekannt war.

"Ja." sagte sie fest. "Ja, Anthea ist Thomas' Tochter."

"Anthea. Sie heißt Anthea?"

Ein Lächeln malte sich in ihre Züge.

"Ja, Anthea. Würdet Ihr ihr Euren Segen erteilen, Pater Brown?"

Er warf einen kurzen Blick auf Cathy und die beiden Zofen, und Cathys Mundwinkel zuckten leicht nach oben.

"Ich werde ihre Patin sein, wenn's Euch beliebt." sagte sie.

Schließlich nickte der Alte.

"Kommt mit in meine Kirche." meinte er, an Tabitha gewandt, und führte sie mit ihrem kleinen Gefolge ins Innere des Gotteshauses.
 

Die Kirche von Enfield war dunkel und außer einigen Marienfiguren waren es lediglich die bunten Glasfenster, welche Jesu' Leidensweg in allen Etappen schilderten, die ihrem Innern etwas Schmuckhaftes verliehen.

Auch der Altar mit der großen, hölzernen Jesusfigur am Kreuz war nicht sonderlich prächtig.

Pater Brown führte sie hinüber zu dem Taufbecken aus dunklem Marmor, nahm mit seiner linken Hand etwas geweihtes Wasser und benetzte damit die Stirn des schlafenden Kindes, wobei er seine Segensworte in englischer Sprache formulierte.

Anthea erwachte jedoch, als das kalte Wasser ihre Stirn berührte, und begann ein markerschütterndes Geschrei. Tabitha wiegte ihre Tochter in den Armen, aber es dauerte eine ganze Weile, bis das Kind sich beruhigte und sie sich bei Pater Brown bedanken und sich von ihm verabschieden konnten.
 

"Ach, er ist ein herzensguter Mensch." bemerkte Cathy gerührt, als sie den inneren Hof von Enfield Court durchquerten und das Innere des Schlosses betraten.

"Das ist er unbestritten", stimmte Tabitha ihr zu. "Ich muss dir danken, Cathy. Mir ist gleich viel wohler ums Herz, jetzt, da ich weiß, dass Anthea den Segen der Kirche hat. Ob Bastard oder nicht, vor Gott sind wir alle gleich."

"Und Ihr glaubt wirklich nicht, dass Pater Brown es in ganz Enfield herumerzählen wird?" wagte Heather eine vorsichtige Frage.

Tabitha schüttelte energisch den Kopf.

"Nein, nie. Es ist seine Pflicht als Geistlicher, zu schweigen. Die Katholiken haben schließlich auch ihr Beichtgeheimnis. Und überhaupt, was heißt "in ganz Enfield"? Irgendwann werde ich mit meiner Tochter auch einmal nach London reisen, und spätestens dann wird man es erfahren. Außerdem wird Anthea ihren Spielraum brauchen, wenn sie älter wird, sie wird sich mit den anderen Kindern in Enfield anfreunden, und dann werden ohnehin alle wissen, dass sie illegitim ist."
 

"Mit Verlaub, es gibt eine Möglichkeit, Eurer Tochter diese Schmach zu ersparen, Myaldy."

"So?" Tabitha hob gespannt die Brauen.

"Nun, Ihr müsstet heiraten. Reist nach London und sucht Euch einen der jungen Edelmänner, die bei Hofe noch frei sind. Ihr wisst, nach dem Tod Eures Vaters haben ganze Heerscharen um Eure Hand angehalten! Meiner Meinung nach war es ohnehin falsch von Euch, dass Ihr Euch einfach in diese Einsamkeit zurückgezogen habt..."

"Cathy", Tabithas Stimme war schneidend, "Du weißt genau, dass es auf der Welt nur einen einzigen Mann gibt, den ich heiraten würde, und der hat bereits eine Frau."
 

"Ach Gott, hängt Ihr immer noch so sehr am Großadmiral..."

"Er ist der Vater meines Kindes! Ihn liebe ich und keinen anderen sonst!"

Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie brach in erschöpftes Schluchzen aus.

Mittlerweile saßen sie oben in Tabithas Schlafzimmer, und Anthea lag friedlich in ihrer hölzernen Wiege.

"Mylady!" Cathy legte ihre breite Hand auf Tabithas bebende Schulter. "Mylady, grämt Euch nicht. Ich schwöre Euch, auch das wird irgendwann vorbeigehen."

"Nein...es wird nicht vorbei gehen, Cathy. Nie, nie."

Tabitha setzte sich mit tränennassem Gesicht in ihrem Stuhl auf. "Es ist nun bald ein Jahr vergangen, seit Thomas mich verlassen hat. Ich weiß überhaupt nichts mehr von ihm, wo er ist, was er tut, was er macht..."

Sie begann erneut zu schluchzen. "Und er weiß nicht, dass es Anthea gibt! Er weiß nichts von seiner eigenen Tochter..."
 

Anfang Juli verschlechterte sich Tabithas gesundheitlicher Zustand rapide.

Der Husten schien mit jedem Tag schlimmer zu werden, sie verbrachte erneut mehrere Tage lang im Bett, und so übernahm Cathy es, sich um Anthea zu kümmern. Letzteres war keine leichte Aufgabe, da Anthea anstrengender war als andere Säuglinge, sie schrie oft und musste häufiger gestillt werden.
 

Um sich selbst über ihren seelischen Kummer hinwegzutrösten, gab Tabitha immer wieder neue Kleider, Mäntel und kostbare Umhänge in Auftrag, was sich mit der Zeit erheblich in ihrem Vermögen niederschlug.
 

Sie teilte mit vollen Händen aus, gab den Boten, die sie nach London schickte, übermäßigen Lohn, stolzierte in großzügigen Pelzmänteln und mit Perlen behängt durch ihr Schloss und lebte leichtfertig in den Tag hinein.

Auch das monatliche Einkommen, welches sie, wie alle übrigen Grundbesitzer und Landadligen, vom Lordprotektor ausbezahlt bekam, verschleuderte sie gewissenlos für Kleider und Schmuck.

So musste sie eines Tages feststellen, dass sie nicht mehr genug Geld besaß, um ihre Dienerschaft anständig zu entlohnen.
 

Sie erschrak, als sie die Liste mit den Ausgaben des letzten Monats durchging, fragte sich, wie es soweit hatte kommen können, und beschloss, einen guten, alten Freund ihres Vaters um eine kleine Anleihe zu bitten; es ging auf keinen Fall, dass ihre Dienerschaft nicht angemessen bezahlt wurde.
 

"Ich glaube nicht, dass der Graf von Warwick es begrüßen wird, wenn er erfährt, dass die Tochter seines alten Freundes Cook eine Verschwenderin ist." bemerkte Cathy gedehnt, welche im Türrahmen von Tabithas Arbeitskabinett stand, die kleine Anthea im Arm.

"Das lass am besten meine Sorge sein." erwiderte Tabitha ungehalten, während sie den Brief siegelte, der noch am selben Abend zum Palais John Dudleys, des Grafen von Warwick, gebracht werden sollte.

"Ich kenne Dudley besser als du. Er und Vater waren zueinander wie zwei Brüder. Er wird mich nicht im Stich lassen."

Cathy betrachtete zögernd Tabithas entschlossenes Gesicht und überlegte, ob sie der Herrin erzählen sollte, was sie von den Dienstboten wusste, die sich gelegentlich in London herumtrieben.

Schließlich gelangte sie zu dem Schluss, dass es besser war, wenn die junge Lady Cook nicht erfuhr, dass man in London sagte, John Dudley habe zwei Gesichter, ein gutes und ein böses, wobei das gute meist das böse überdeckte. Er war Mitglied des Rates und gehörte zu denen, die unbarmherzig an ihrem Aufstieg arbeiteten.
 

Nachdem Tabitha Mr. Simons mit dem Brief fortgeschickt hatte, trank sie den Tee, den Cathy ihr gegen ihren Husten hatte brauen lassen, trug Anthea im warmen, sommerlichen Schlossgarten spazieren und dachte daran, dass es auf den Tag genau ein Jahr her war, dass Thomas sie im Stich gelassen hatte...

Man schrieb den 16. August des Jahres 1548.

Wie würde ihr Leben in den nächsten Jahren weitergehen?

Würde sie Thomas je wiedersehen, und würde er dann erfahren, dass sie ihm eine Tochter geboren hatte...?



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück