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Raumschiff Hiroshi II

von

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Der Kapitän

Im Aufenthaltsraum war während Happys gesamten Besuch bei Mizzy weiterhin etwas losgewesen. Nach 0 Uhr mussten sich die schwatzenden Mädchen zwar auf Zimmerlautstärke beschränken, aber die Unterhaltung dauerte weiter an. Viele konnten in dieser Nacht nicht schlafen, besonders diejenigen, die mit der ,Hiroshi II' starten würden- und wer könnte also unruhiger sein, als der Kapitän selbst? Ruby-Ann Johnson lag den ganzen Abend schon hellwach im Bett.
 

Nach dem Abendessen hatte sie sich schon von ihrer Schwester Dolly verabschiedet, welche ihr noch gesagt hatte, sie solle vorsichtig sein und auf sich aufpassen. Lachhaft, meinte Ruby-Ann. Aber sie befolgte den guten Rat ihrer kleinen Schwester, sich früh schlafen zu legen um am nächsten Tag fit zu sein- ohne Erfolg. Nachdem sie sich eine Weile hin und her gewälzt hatte und an die Decke starrte, beschloss sie ein Glas Milch zu trinken und stand auf. Wie auch Mizzy hatte sie ein Einzelzimmer, aber als sie sich in diesem Moment umsah, fühlte sie keine Erleichterung wie sonst, dass keiner sie stören konnte, sondern Einsamkeit.
 

Wie gerne hätte sie nun jemanden gehabt, mit dem sie sprechen konnte, der sie davon überzeugen konnte, dass alles gut gehen würde oder einfach nur jemand, mit dem sie ein wenig herumalbern und ihre Nervosität vergessen konnte. Sie strich sich widerspenstige Strähnen des dunkelbraunen, langen Haares aus dem Gesicht, welches sie nun nicht wie zuvor streng nach hinten gebunden, sondern offen trug. Sie zog sich schnell wieder ihre Uniform an und verließ das Zimmer.
 

Auf dem Flur brannten nur noch wenig Lampen, doch es war hell genug um gut sehen zu können. Ruby-Ann war schon einige Male nachts unterwegs gewesen, wenn sie nicht einschlafen konnte und ein Glas Milch gemütlich im Aufenthaltsraum getrunken hatte ihr bis jetzt immer wieder geholfen. Den Weg dorthin kannte sie fast im Schlaf, als sie ankam wunderte sie sich etwas, dass noch andere dort waren, schenkte den leise kichernden Mädchen aber keine weitere Beachtung, sondern lief zur Cafeteria und bestellte dort bei einem Roboterkellner ein Glas warme Milch. Sie kramte in ihrer Tasche und reichte ihm ihre neue Identitätskarte. Das Geld wurde von ihrem persönlichen Konto auf der Bank abgebucht und Ruby-Ann erhielt ihre Milch.
 

Sie ging zurück in den Aufenthaltsraum und setzte sich in einen abgelegenen Sessel. Das warme Glas wärmte ihre Hände und sie sah eine Weile in die trübe, weiße Flüssigkeit, bevor sie anfing zu trinken. Schweigend beobachtete sie dabei die Mädchen am anderen Ende des Raumes. "So fröhlich... und so unbeschwert...", dachte der Kapitän sehnsüchtig und seufzte, "Warum ist dieses Glück nur anderen beschert worden und nicht mir?"
 

Wie gerne hätte auch sie eine Freundin oder einen Freund, damit sie nicht so allein war, doch sie war ja selbst schuld. Würde sie sich mehr für andere Menschen interessieren und nicht nur ihre eigenen Wege als Einzelgängerin gehen, wäre es wohl etwas anderes. Und wie oft wünschte sie sich im einen Moment, sich zu ändern, damit sie sich ihren Wunsch erfüllen konnte, und war im nächsten Moment gleich wieder wie vorher. Es war eben so und sie würde es auch nicht ändern können. Mit diesen Gedanken und einem weiteren Seufzen trank sie weiter. Irgendwann bemerkten auch die anderen Frauen im Raum den neuen Gast und sahen zu ihr herüber.
 

Doch Ruby-Ann sah sie nicht weiter an, erst als sie die Rufe "Hallo Frau Kapitän!" - "Guten Abend Frau Kapitän!" - "Wie geht es ihnen, Frau Kapitän?" hörte und danach schallendes Gelächter, drehte sie sich um und fragte die anderen: "Was macht ihr denn um diese Uhrzeit noch wach?" Keine wusste eine passende Antwort, alle murmelten etwas durcheinander. Ruby-Ann erkannte die Frau mit den langen, braunen Locken: "Hm... Jessica Lewis?! Sollten sie nicht längst schlafen? Morgen beginnt ein anstrengender Tag..."
 

Sie war F-3400-Pilotin auf der ,Hiroshi II' und Ruby-Ann war sich sicher, dass die Piloten schon früh üben würden, mit den neuen Raumjägern umzugehen. Auch wenn Jessica eine bereits sehr begabte, ehrgeizige und erfolgreiche Pilotin war. "Aber das Gleiche könnte ich sie auch fragen, Frau Kapitän!", meinte Jessica frech. Kapitän Ruby-Ann Johnson seufzte: "Es ist schon in Ordnung, kümmern sie sich lieber darum, dass sie ins Bett kommen! Ich kann morgen keine unausgeschlafene Besatzung gebrauchen. Es ist wichtig, auch wenn sie das vielleicht noch nicht bemerkt haben".

Jessica verzog das Gesicht. "Schon gut schon gut!", meinte sie und stand auf, "Ich gehe ja schon!" Sie verabschiedete sich noch kurz von ihren Freundinnen und verließ tatsächlich den Aufenthaltsraum.
 

Die anderen Mädchen gingen kurze Zeit später, da sie ohne ihre "Anführerin" auch keinen Spaß mehr hatten. Ruby-Ann schloß die Augen, während sie weitertrank. Es war nun wohl der letzte ruhige Augenblick für eine ganze Weile, also wollte sie ihn genießen. Sie lehnte sich im Sessel zurück, stellte das Glas neben sich und genoss die Stille.

Ruby-Ann schloss die Augen und dachte nach. Über den nächsten Morgen, den Start des Raumschiffes, den Sprung ins All. Würde alles gut gehen? Wie würde die Besatzung miteinander klarkommen? Aber vor allem: Was erwartete sie? War die Flotte immer noch oben und wartete nur auf die Waffen der Erde, damit diese vernichtet werden konnten? Würde es der kürzeste Flug in der Geschichte der Raumfahrt werden?
 

All diese Fragen stellte sich der junge Kapitän und wusste keine Antwort. Alles war dem Schicksal überlassen, doch Ruby-Ann war sich sicher, dass es irgendwie weitergehen würde. Deshalb machte sie sich keine weiteren Gedanken darüber, sie konnte sowieso nichts am Schicksal ändern, warum sich also den Kopf zerbrechen? Es war sehr ruhig im Aufenthaltsraum. Kein Gelächter, niemand sprach etwas, anscheinend waren die Mädchen wirklich schlafen gegangen. Dies war Ruby-Anns letzter Gedanke, bevor sie im Sessel einschlief.
 

Als sie am nächsten Morgen aufwachte, schien durch die Fenster gerade das spärliche Licht des frühen Sonnenaufgangs. Auf dem Tisch neben sich sah Ruby-Ann das fast leere Glas Milch stehen und schmunzelte leicht. Ja, es sah ganz so aus, als wäre sie im Aufenthaltsraum eingeschlafen. Um diese Uhrzeit war noch keiner hier.

Der Kapitän beschloss, dass es wohl das beste war, auf ihr Zimmer zu gehen und sich fertig zu machen, um in wenigen Stunden die ,Hiroshi II' das erste Mal als erster Mensch zu betreten. Bisher waren nur die Roboter, die für die Technik zuständig waren, an Bord gewesen, ein menschlicher Techniker würde erst kurze Zeit nach Ruby-Ann das Schiff betreten und alles noch einmal durchchecken, während der Kapitän sich mit seinem neuen Arbeitsplatz vertraut machen sollte.
 

Sie war sehr gespannt auf die ,Hiroshi II'. Natürlich hatte der Kommandant ihnen das interaktive Modell schon gezeigt, doch es war wirklich etwas anderes, ein Raumschiff in Wirklichkeit zu sehen, als auf einem Bildschirm. Kapitän Johnson verließ den Aufenthaltsraum und ging auf ihr Zimmer. Dort angekommen schloss sie die Tür hinter sich und bediente die Schaltfläche neben der Tür, so dass die Jalousien an den beiden großen Fenstern hochfuhren und das Sonnenlicht das Zimmer erhellte.

Auf ihrem Bett lag noch der Jogginganzug, den sie immer zum Schlafen anzog, welchen sie noch schnell in einen ihrer Koffer packte. Sie zog die nun verknitterte Uniform aus und suchte in einem anderen Koffer nach frischer Unterwäsche und einer neuen Dienstuniform.
 

Nachdem sie im Badezimmer geduscht, sich neu eingekleidet und sich die Zähne geputzt hatte, kämmte sie sich das Haar und band es sorgfältig nach hinten, so dass keine Strähne sie im Gesicht stören konnte. Als sie fertig war besah sie sich noch einmal im Spiegel und betrachtete die junge Frau vor sich. Seufzend griff sie in ihr Schminktäschchen und holte das Make-up heraus und sie wollte gerade damit anfangen, sich das Zeug ins Gesicht zu schmieren, da hielt sie in ihrer Bewegung inne und legte es in die kleine Tasche zurück.
 

Entschlossen meinte sie zu sich selbst: "Wohin gehst du? Zu einem Schönheitswettbewerb oder zur Arbeit? Na also!" Dann nickte sie ihrem Spiegelbild zu und lächelte leicht. Rasch räumte sie die wenigen Dinge, die sie gerade noch gebraucht hatte in die Koffer zurück und schloss sie. Noch einmal ließ sie den Blick durch das Zimmer schweifen, in dem sie nun so lange allein gelebt hatte. Kein Abschiedsschmerz, nur Erinnerungen. Erinnerungen an den Tag, an dem sie dieses Zimmer zum ersten Mal gesehen hatte. Der Tag, an dem der Kommandant persönlich sie hierher geführt hatte und ihr alles gezeigt hatte.
 

Sie sah auf den Tisch und den Stuhl am Fenster, wo sie mit James Morrison gesessen hatte, als er sie in alles eingeweiht hatte, was sie wissen musste, als die beiden zusammen geredet hatten, miteinander gelacht und noch mehr. Das alles war in diesem Zimmer, doch das alles war Vergangenheit. Sie war nun nicht mehr die Ruby-Ann Johnson, die anderer Leute Befehle ausführte, sondern der Kapitän, der die Verantwortung trug und selbst die Befehle gab. Es war nicht wie zuvor und deshalb sah sie auch keinen Grund dazu, das alte Zimmer zu vermissen. "Zeit für einen kleinen Tapetenwechsel, meine Liebe...", meinte sie leise zu sich selbst und sah sich noch einmal um, ob sie auch nichts vergessen hatte. Auf dem Tisch am Fenster stand eine Vase mit einer roten Rose darin.
 

Ruby-Ann blieb mit ihrem Blick daran hängen und ging langsam zum Tisch. Sachte berührte sie die Rose und wollte sie herausholen, doch ein stechender Schmerz in ihrem Finger ließ sie zurückzucken. Schweigend betrachtete sie das dunkelrote Blut, das aus der feinen Wunde rann. Es sollte wohl nicht sein. "Es tut mir leid, Herr Kommandant...", dachte sie. Wenn das Schicksal nicht wollte, dass sie die Rose mitnahm, sollte dies wohl das Ende der Beziehung zu James Morrison sein.

Ruby-Ann verstand solche Zeichen und sie trug es mit Fassung. Es war vielleicht sowieso falsch gewesen, sich so zu verhalten. Immerhin war er viele Jahre älter als sie, verwitwet, hatte Kinder und war außerdem ihr Vorgesetzter. Wenn sich alles änderte, warum dann nicht auch so etwas? Mit einem letzten Blick auf die rote Rose nahm sie die beiden Koffer sowie den Rucksack und verließ das Zimmer.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Atsusa
2004-09-09T16:33:54+00:00 09.09.2004 18:33
o.O Cool... Erst wird er von seiner Tochter verlassen und dann vons einer Geliebten...

Hmm... Das Beste an dem Kapitel war immer noch das Glas Milch XDD~
Da stellt man sich so eine ernste Kommandantin vor und was macht die? Hockt sich Nachts irgendwo hin und trinkt ne Milch^^'

Hat mir aber auf jedem Fall gefallen, vor allen das bisschen Blut am Schluss^^
Ja! So sollte es öfters sein, ein bisschen Tragik schadet nicht...
So... Langsam kennen wir sicher die wichtigsten Charaktere der Geschichte, Ruby, Happy, Mizzy, Cathy... o.O Alle mit y...
*das mal auf Silent Möbius umsetzt*
Kazumi, Nami, Yuki, Rally... Okay!!! Hast gewonnen!!

Besonders die Länge des Kapitels war schön^^ Da hat richtig viel reingepasst, ein bisschen Trauer, ein bisschen Handlung...
*die nachdenklich-trübe Stimmung irgendwie spüren kann*

Und das mit der Schminke fand ich gut... So selbstbewusst würde ich auch gerne mal sein...
*nicknick*
Das find ich cool, dass Ruby das so macht^^


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