Zum Inhalt der Seite

STARRE

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Aussichtslos

Es war gerade Nachmittag, als ich und Jen in das Büro des Heimleiters gerufen wurden. Wir waren ganz erschrocken, als wir gesehen haben, dass die Polizei dort auf uns wartete. Zunächst stellten sich die Polizisten vor und dann teilten sie uns mit, dass unser Vater heute Morgen tot aufgefunden wurde. Wir waren beide total geschockt und als wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, nahmen sie uns zu einem Verhör mit auf die Wache. Dort angekommen, wurden wir einzeln befragt. Sie sagten mir, dass ich mir keine Sorgen machen muss und nicht verdächtigt werde, weil Jen und ich zum Tatzeitpunkt im Heim gewesen sind. Das ließ mich aufatmen, denn ich konnte mir etwas Besseres vorstellen, als für ein Verbrechen verdächtigt zu werden, das ich nicht begangen hatte. Und weil es um meinen Vater ging, war ich auch nicht sehr traurig. Doch dann erkundigten sie sich ausgiebig nach meinem Bruder. Sie fragten unter anderem, ob ich Marcus seinen Aufenthaltsort kennen würde und wann ich das letzte Mal etwas von ihm gehört habe. Ich antwortete, dass ich die Fragen leider nicht beantworten konnte, weil wir schon lange nichts mehr von Marcus gehört hatten und dass er, kurz bevor wir ins Heim gekommen waren, von zu Hause weggelaufen sei. Jedoch glaubten die Beamten mir das nicht, weil der Heimleiter bereits ausgesagt hatte, dass wir gestern Abend mit ihm Kontakt hatten. Mir blieb also nichts anderes übrig, als in diesem Punkt einzuknicken, blieb aber dabei, dass ich nicht wüsste, wo Marcus gerade sei. Weil ich aber bereits gelogen hatte, wollten die Polizisten mir nicht so recht glauben und so dauerte das Gespräch wesentlich länger als nötig. Wie ich später erfahren habe, ist Jens Gespräch ähnlich verlaufen und auch sie blieb dabei, dass sie nicht wüsste, wo Marcus gerade steckt und wo er nach dem Abend hin wollte.
 

Als wir wieder im Heim waren, fing Jen an zu weinen. Sie hat der Tod unseres Vaters wohl schlimmer getroffen als mich. Aber das war auch kein Wunder, immerhin hatte sie noch ein paar wenige Erinnerungen an ihn, als er noch nicht der Mensch war, zu dem er inzwischen geworden war. Tränen konnte ich für unseren Vater nicht vergießen, dafür hatte ich einfach zu viele schlechte Erinnerungen an ihn. Den restlichen Tag blieb ich bei ihr, so war sie nicht alleine und ich konnte zumindest versuchen, sie ein wenig zu trösten. Aber so richtig konzentrieren konnte ich mich nicht, ich machte mir große Sorgen um Marcus. Für die Polizei war klar, dass er der Täter war, das hatten sie mehr als deutlich gemacht. Ich wusste nicht, ob Jen das auch bemerkt hatte, aber entschloss mich, zumindest heute nicht mit ihr darüber zu reden.
 

Die kommenden Wochen wurden mehrere Termine mit dem Kinder- und Jugendpsychiater festgelegt, der für unsere Einrichtung zuständig war. Das sollte uns helfen, mit der Situation umzugehen. Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn Jen konnte das mit Sicherheit gut gebrauchen. Für mich war das aber pure Zeitverschwendung, hatte aber keine andere Wahl, als daran teilzunehmen...
 

***
 

Als wir in Berlin am Bahnhof angekommen waren, gingen wir in eine Fotobox. Marcus holte das Messer aus der Jackentasche. Das Blut, das an ihm klebte, war schon trocken und hatte sich an manchen Stellen bereits schwarz gefärbt. Ich empfahl ihm, das Messer einfach in eine Tüte einzuwickeln und in einen der vollen Mülleimer zu stopfen. Selbst wenn man das Messer unwahrscheinlicher Weise finden würde, würde man es hier in Berlin nicht mit einem Mord in Essen in Verbindung bringen. Doch Marcus schüttelte mit dem Kopf und hielt mir das Messer hin. Auf dem Messer stand groß das Wort “Starre” eingraviert. Dann sagte er mit gedämpfter Stimme: “Mit der Gravur ist das Risiko einfach zu groß. Außerdem gehörte das Messer meinem verstorbenen Opa. Ich habe ihn zwar nie kennengelernt, aber scheinbar ist das Messer schon seit Generationen in unserer Familie. Davon kann ich mich leider nicht trennen”. Wir suchten eine öffentliche Toilette auf, um das Messer zu reinigen. Auch seine Hände wusch Marcus nochmal gründlich ab. Sie waren zwar schon sauber, aber ich glaube, darum ging es ihm auch nicht. Plötzlich fiel Marcus auf die Knie und sagte, dass es ihm schlecht gehen würde. Er beugte sich über eine der Toiletten und fing an, sich mehrfach zu übergeben. Ich kniete mich hinter ihn und strich behutsam über seinen Rücken. Dabei betete ich, dass wir nicht erwischt werden und unser ruhiges Leben nicht enden würde. Aber ganz gleich, was auch passieren wird, ich werde für immer an Marcus seiner Seite sein.
 

„Soll ich mich der Polizei stellen?“, fragte Marcus plötzlich und seine grünen Augen waren glasig und mit Tränen gefüllt. Ich half Marcus aufzustehen und nahm ihn fest in den Arm, da ich auf seine Frage keine Antwort kannte. Dann schlug ich vor: „Lass uns erst einmal zu mir nach Hause gehen“. Doch Marcus sagte, dass er meiner Mutter nicht in die Augen sehen könne. Das konnte ich nachvollziehen, also machten wir uns auf zum Bordell. Als wir dort ankamen, öffnete Monika die Tür und schaute uns mitleidig an. „Du meine Güte, ihr seht ja völlig fertig aus. Geht es euch gut? Und woher ist das ganze Blut?". Marcus antwortete, dass es uns gut gehen würde und dass das Blut nicht von uns sei, wir aber gerade zu müde wären, um darüber zu reden und sie sich aber keine Sorgen machen müsste. “Gott sei Dank, ich dachte schon, ihr wärt schwer verletzt. Jagt einer Dame doch nicht so einen Schreck ein”, erwiderte Monika sichtlich erleichtert.
 

Dann bot sie uns einen Kaffee an, um uns ein wenig aufzuheitern. Aber wir lehnten ab und gingen in das Zimmer, was für Marcus hergerichtet war. Zusammen ließen wir uns auf das Bett fallen und ich legte mich auf Marcus Schulter. Wir beide konnten weder schlafen noch sprechen, so bedrückt war die Stimmung. Wir lagen einfach da und umarmten uns. Vielleicht wäre es wirklich besser, wenn Marcus sich stellen würde, dann würde die Strafe vielleicht nicht so hoch ausfallen. Außerdem hatte Marcus eigentlich nichts Falsches getan, wenn er mich nicht beschützt hätte, wäre ich jetzt vermutlich tot…
 

Er war doch kein skrupelloser Mörder...



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück