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Abseits der Wege

Eine kleine Vorweihnachtsgeschichte
von

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Hallo zusammen,

Ich weiß nicht, was schiefgelaufen ist, aber das Kapitel wurde nicht für euch veröffentlicht, obwohl ich ziemlich sicher auf den entsprechenden Knopf gedrückt habe. Deshaöb kommt es erst jetzt...
 

Der Fuchs ist einem Hotel/Restaurant nachempfunden, was es wirklich gibt, allerdings nach einem anderen Wildtier benannt ist. Die leicht abgewandelten Eindrücke hier entstammen aus der Zeit des Vorbesitzers, was der neue Koch serviert und wie sich das Lokal sonst verändert hat, weiß ich nicht.

 

 

~ 2 ~

 

„Was meinst du Paula? Lieber Hemd oder Pullover?” Hilflos sah Jakob zu seiner Bernersennenhündin hinüber, die ihn jedoch nur mit schiefgelegtem Kopf und treuen, braunen Kulleraugen ansah. Mikesch und Lea hatten sich schon vor etlichen Minuten vor der Hektik in ihren Kratzbaum geflüchtet und wo die restlichen Katzen aushingen, wussten wohl nur sie selbst. Vermutlich im Stall oder im Heuschuppen.

Eigentlich hatte er keinen Grund so aufgeregt zu sein. Bis vor einer halben Stunde war er das auch gar nicht gewesen, doch mit einem Mal war ihm bewusst geworden, dass er mit Amir eine Verabredung hatte. Okay, es war nur ein nett gemeintes Danke für seine selbstlose Hilfe heute. Und der andere würde nie im Leben ein Date mit ihm wollen, ihn vermutlich sogar allein für diese absurde Idee kastrieren, vierteilen und im See versenken. Aber leider interessierte das sein dummes Herz nicht, das schon beim ersten Blick auf den geschniegelten Geschäftsmann mit lustigen Purzelbäumen angefangen hatte und seine Libido machte fröhlich mit.

Jakob hatte ja mit vielem gerechnet, als er an dem verunglückten Auto gehalten hatte. Zugegeben, auf einer so geraden Strecke von der Fahrbahn abzukommen, war selbst mit Heckantrieb und Allwetterreifen auf schneebedeckter Straße ein Kunst für sich und er hatte sich eigentlich innerlich über einen weiteren Idioten lustig machen wollen, wenn er denn schon hielt und aushalf. Nur war der Idiot leider verdammt sexy anzusehen. Schwarzes, glänzendes Haar, der etwas dunklere Hautton mit dem Bronzestich und die dunklen Augen unter den verärgert zusammengezogenen Brauen. Dazu der schmal getrimmte Bart, der sich rund um den Mund und an der Kieferlinie entlang zog und gleichzeitig hart und weich wirkte. Der Anzug war garantiert maßgeschneidert, so perfekt wie er passte. Völlig unpassende Kleidung für einen Ausflug in die Eifel, aber Amir hatte garantiert auch keine Wanderung über die Stege geplant gehabt. Immer wieder hielt er in seinem Tun inne und ließ er den leicht fremd klingenden Namen über seine Zunge rollen. Verdammt, passte der gut zu dem sexy Kerl.

Seufzend entschied sich Jakob letztendlich für eine Jeans und sein blassblaues Hemd. Er würde bei weitem nicht so elegant aussehen, wie seine Verabredung, aber mit leicht hochgekrempelten Ärmel war er leger genug für sein eigenes Wohlbefinden und zeitgleich noch schick genug für die Ansprüche des 'Fuchs'.

Kritisch beäugte er sich im Spiegel. Rasieren oder nicht, das war hier die Frage...

 

~*~

 

Amir drehte das kühle Glas Bier in den Fingern und beobachtete konzentriert die Tropfen, die sich an der Außenseite bildeten. Er war sich der verstohlenen Blicke der Einheimischen bewusst, die an anderen Tischen ihre Köpfe zusammensteckten. Ignorantes Pack. Dass die Hälfte der Kundschaft hier französisch sprach, schien keinen zu stören, aber wehe man sah mal nicht so typisch mittel- oder nordeuropäisch aus, wie sie es gerne hätten. Dabei konnte man ihn wenigstens einwandfrei verstehen, wenn er etwas bestellte. Na ja, die Bedienungen waren durchweg nett zu ihm und er tat ihnen unrecht, sie mit in den Topf zu den mürrischen alten Käuzen und den runzeligen Tantchen zu stecken, die es eigentlich nur waren, die sich das Maul zerrissen. Wenn er ganz ehrlich war, gab es niemanden hier unter sechzig, der ihm mehr als eine kurze neugierige, aber flüchtige Aufmerksamkeit schenkte. Aber trotzdem, er war das nicht gewohnt. In Berlin müsste er schon mehr auffahren als türkische Vorfahren, um beachtet zu werden.

Der Raum selbst war anders, als er ihn vor seiner Anreise erwartet hätte. Statt urig und vollgestopft, war es eine Mischung aus altem Fachwerk und einer sehr aufgeräumten Moderne. Stilisierte Füchse erinnerten an den Namen und versilberte Hirschgeweihe verbanden Prunk und Naturnähe. Die Einrichtung war in Blau, Silber und ein bisschen Weiß gehalten. Die Stühle dick gepolstert und mit einem samtartigen Stoff bezogen, auf den Amir lieber keine Flecken kommen lassen würde. Wirklich unpraktisch für ein Restaurant, aber immerhin bequem.

Die Eingangstür fiel, wie so oft schon an diesem Abend, ins Schloss und kurz darauf kam der eigentliche Grund für Amirs verleugnete Nervosität in den Gastraum. Jakob sah ganz anders aus, als er sich ihn unter den dicken Arbeitsklamotten vorgestellt hatte und ja, da war er mal ehrlich zu sich selbst: anders, als er befürchtet hatte. Statt grüner Latzhose und Gummistiefeln trug der Bauer eine gut sitzende Jeans im dezenten Usedlook, saubere schwarze Sneaker und ein hellblaues Hemd, welches an den Schultern gerade genug spannte, um sie zu betonen ohne einengend zu wirken. Er kam nicht direkt auf Amir zu, sondern ließ sich von Gästen an einem anderen Tisch aufhalten. Was immer sie sagten, er lachte erheitert, klopfte einem der Männer auf die Schulter und kam genau zwei Tische weiter, ehe man ihn erneut stoppte.

Ein fieses Stechen machte sich in Amirs Bauch breit, ohne, dass er den Grund genau benennen könnte. Scheinbar hatte er sich vom Dorfliebling retten lassen. Wobei, ein kleines bisschen Genugtuung gönnte er sich, als sich besagter Everybodys-Darling ausgerechnet am Tisch des komischen Fremden mit Migrationshintergrund niederließ.

„Hey, ich hoffe du wartest noch nicht lange?” Jakob lächelte ihn so offen an, dass er gar nicht anders konnte, als es zu erwidern.

„Nein, erst ein paar Minuten.”

Amir wollte sich zur Begrüßung erheben, doch sein Gegenüber machte eine abwinkende Geste, zog sich den noblen Stuhl im blauen Polsterbezug zurück und ließ sich darauf sinken. Er nestelte an den umgeschlagenen Ärmeln herum und Amir konnte nicht anders, als die unbewusst präsentierten Muskeln an den Unterarmen zu bewundern, was sein Kopfkino als Anlass nahm, auch über die restliche körperliche Konstitution des Dorfbewohners zu fantasieren. Entschieden riss er sich von den unangemessenen Gedanken los und sah stattdessen in die grauen Augen. Hier im gedimmten Licht wirkten sie deutlich dunkler, als noch früher am Tag.

Eine Bedienung unterbrach die unangenehme Stille und brachte die Karten. Kurz darauf kam sie mit Jakobs Getränk zurück. Interessiert beäugte Amir die dunkle, sprudelnde Flüßigkeit in dem etwas zu dicken Weinglas. Das Logo war zwar zu erkennen, die Schrift aber ätzend altertümlich.

„Das ist Leffe”, erklärte der Blonde zuvorkommend, ein leichtes Schmunzeln im Mundwinkel. „Dunkles, oder vielmehr 'brunes'. Belgisches Bier.”

„Belgisches?” Nun war es an Amir, zu schmunzeln. „Ich dachte, alles, was nicht nach deutschem Reinheitsgebot gebraut wird, ist Teufelswerk?”

„Was bringt einem ein Reinheitsgebot, wenn es anderswo doch viel besser schmeckt?” Zwinkernd nahm er einen Schluck des dunklen Bieres.

„Ganz ehrlich: Ich hab den Wahn darum noch nie verstanden”, kommentierte Amir schulterzuckend und nahm ebenfalls einen Schluck seines eigenen, streng nach Vorschrift gebrauten Pils-Bieres. Ein bisschen neugierig war er ja schon, wie das andere wohl schmecken würde.

„Keine Ahnung, wie das anderswo ist, aber hier in der Ecke sind belgische Biere ganz normal. Gibt auch 'normale'”, hier setzte er Anführungszeichen in die Luft, „oder richtige Starkbiere. Und wer es süßer mag, kann auch Kirsch- oder Himbeerbier nehmen.”

„Himbeerbier!?”, keuchte Amir, hoffend, dass er nicht ganz so entsetzt klang, wie er sich selbst hörte.

Leider lachte Jakob und machte seine Hoffnung damit zunichte. „Ist eigentlich auch ganz lecker, aber nichts, was ich vor dem Essen trinken würde.”

Na, darauf war er jetzt gar nicht neugierig. Dann doch lieber sein konservatives Gebräu. Er schüttelte sich innerlich und widmete sich dann wieder der Speisekarte. „Kannst du irgendwas empfehlen?”, fragte er, um die Unterhaltung in ungefährlichere Bereich zu lenken.

„Die Wildgerichte haben einen ausgezeichneten Ruf”, kam es von hinter der zweiten Karte.

Amir sah sich die entsprechende Rubrik an. Klang wirklich alles sehr verlockend...

„Ach, übrigens: Schau bitte nicht nach den Preisen. Die Firma zahlt”, teilte er seinem Gegenüber zwinkernd mit. Wenn die ihn schon mitten in die Pampa zwangen, konnten sie auch ein bisschen blechen.

„Ich will dir keinen Ärger einhandeln”, sagte Jakob zweifelnd.

„Quatsch.” Amir winkte ab. „Bei Spesen sind die immer sehr großzügig, solange ich nicht zehn Leute in ein Sternerestaurant einlade, fragen die gar nicht nach. Und wenn doch, erkläre ich einfach, wie du mir geholfen hast und gut ist.”

„Hm... na gut? Auf deine Verantwortung.” So richtig überzeugt klang der Blonde noch nicht, aber das war ihm egal.

Wann waren sie eigentlich zum Duzen übergegangen? Früher am Tag war es noch das steife 'Sie' gewesen. Egal, so gefiel es ihm auf jeden Fall besser.

 

Einige Zeit später hatten sie bestellt und saßen sich nun an dem dunklen Holztisch mit der gestärkten, weißen Tischdecke gegenüber.

„Darf ich fragen”, setzte Jakob an, zögerte und sprach dann doch weiter, „was dich beruflich hierher verschlägt? Nicht, dass es hier nicht auch gut etwas zu tun gäbe, aber du wirkst weder wie ein Vertreter für Landmaschinen, noch wie ein Bauunternehmer.”

„Bin ich auch weder noch.” Grinsend stellte er sich selbst auf einer Baustelle oder neben einem Erntewerkzeug vor. Das passte wirklich nicht. Auch wenn es ein bisschen an seinem Stolz kratzte, so durchschaubar zu sein. „Ich bin in einem Softwareunternehmen tätig. Eigentlich habe ich als langweiliger Programmierer angefangen, doch irgendwie bin ich die Karriereleiter immer weiter hochgeklettert. Aktuell mache ich viel Außendienst, das macht Spaß, ist aber auch ziemlich anstrengend auf Dauer. Deshalb habe ich eine Versetzung beantragt.” Seufzend dachte er an seinen Besuch heute, seine Gefühle waren wirklich zwiegespalten.

„Und dein neuer Arbeitsort gefällt dir nicht?” Jakob war wirklich feinfühlig für einen... ja okay, vielleicht war er selbst auch nicht frei von Vorurteilen.

„Ich soll die Leitung eines Teams übernehmen. In Aachen. Da kam ich eben auch her.”

„Aachen? Das ist aber doch noch ein Stück zu fahren. Warum dann ausgerechnet ein Hotel hier bei uns? Ausgebucht ist die komplette Stadt unter Garantie nicht.” Wenn er so kritisch schaute, zogen sich die dunkelblonden Brauen auf spannende Weise zusammen, ein scharfes V bildete sich zwischen ihnen, das sonst, im Gegensatz zu den Lachfältchen, nicht zu sehen war.

„Ist sie auch nicht.” Amir strich sich stöhnend durch die schwarzen Haare. „Meine Chefin wollte mir eine Freude machen.” Er sprach es aus, als handele es sich dabei um eine ansteckende Krankheit.

„Indem sie dich mindestens 35 Kilometer fahren lässt?” Nun klang der andere Mann wirklich verwirrt.

„Nein, indem sie mich in ein romantisches Dorf schickt mit einer wunderschönen Winterlandschaft und einem sooo tollen Weihnachtmarkt in der Nähe.” Theatralisch war er die Arme seitlich hoch.

Jakob brach in schallendes Gelächter aus und zog nicht nur Amirs Blicke auf sich. „Oh man, da hat dich die wunderschöne Winterlandschaft aber ganz schön übers Ohr gehauen.”

Bei der Erinnerung an seine unfreiwillige Rutschpartie verzog der Schwarzhaarige das Gesicht. „Ja, ein ganz toller Einstand. Zu ihrer Verteidigung sei gesagt, ich glaube nicht dass sie auf dem Schirm hatte, dass ich für Schneefall lieber einen Jeep mit Allrad und Schneeketten brauchen würde.”

„Schneeketten sind normalerweise nicht nötig. Aber ordentliche Winterreifen wären schon besser gewesen.” Immer noch brach ab und an ein leichtes Kichern hinter seiner vorgehaltenen Hand hervor. Die grauen Augen blitzten vergnügt und die nun ausgeprägten Lachfältchen passten deutlich besser zu ihm.

Amir grummelte leise etwas vor sich hin, musste dann aber doch grinsen. War ja alles gut gegangen. Der Wagen war gut versichert und ihm selbst war bis auf ein paar nasser Socken auch nichts geschehen. Daran, dass es auch anders hätte enden können, wollte er lieber nicht denken.

Ihre Suppen wurden gebracht. Sie hatten sich beide für Tomatencreme entschieden. Die künstlerische Verzierung sah toll aus, über den breiten Rand zogen sich feine Fäden von... Balsamico? Tupfer Tomatenmark und ein bisschen Grünzeug vervollständigten das Bild.

Seine Befürchtung, die Suppe könnte bei all dem Aufwand kalt geworden sein, erwies sich als falsch. Er genoss den fruchtigen Geschmack der hausgemachten Speise.

„Und? Wirst du die Stelle annehmen?”

Überrascht blickte Amir auf und musste sich kurz erinnern, was der andere meinen könnte. Er zuckte mit den Schultern. „Weiß noch nicht. Es ist eine tolle Gelegenheit, aber der Schritt von Berlin nach Aachen ist schon nicht gering.”

„Also bist du wirklich aus Berlin? Ich war mir nicht sicher, Firmenwagen sind ja gerne am Hauptsitz zugelassen”, erklärte Jakob auf seinen fragenden Blick hin.

„Ich bin waschechter Berliner. Aber keine Sorge, Berlinern tu ich nur, wenn ich mich aufrege.”

Wieder ließ der Blonde sein Lachen hören. „Ich fürchte, mir hört man meine Heimat sehr deutlich an.”

„Ach was”, er winkte ab. „Wenn du Hochdeutsch sprichst, ist alles okay.”

„Also besser kein Plattdeutsch mit dir reden?”

„Wenn du willst, dass ich dich verstehe? Nein. Andernfalls tu dir keinen Zwang an.”

Sie löffelten in gemütlichem Schweigen die Teller leer.

Langsam wurde ihm wirklich warm und so schälte sich Amir geübt aus seinem grauen Sakko, welches er anschließend über dem Stuhl neben sich drapierte. Mit den Ärmeln seines dunkelroten Hemds verfuhr er ebenso wie Jakob und schlug sie präzise um, bis kurz vor die Ellbogen. Als er wieder aufsah, begegnete er dem leicht abwesenden Blick seines Gegenübers, der ihm jedoch schnell auswich und im unaufdringlichen Schein der Deckenleuchten zu erröten schien. Nanu?

Die fleißige Bedienung tauchte wie aus dem Nichts neben ihnen auf und griff sich die leeren Suppenteller. „War alles bis jetzt in Ordnung?”, fragte sie freundlich.

„Ja, sehr gut.”

„Alles bestens, wie immer Lisa.” Der Blonde lächelte ihr zu und sie erwiderte es aufrichtig, die Mimik wohl als Aufforderung zum Smalltalk verstehend.

Aus irgendeinem Grund fand Amir Lisa schlagartig unsympathischer. Er wusste, es war blödsinnig, aber schließlich war Jakob wegen ihm hier und nicht, um wie jetzt mit der Bedienung zu plaudern. Und dass sie ihn dabei völlig außen vorließen, gefiel ihm noch viel weniger.

Ein anderer Gast, der Aufmerksamkeit forderte, erlöste sie von der Plage namens Lisa.

„Du bist wohl ziemlich beliebt”, rutschte es Amir wider besseren Wissens raus.

Jakob sah ihn verwirrt an. „Ich... kenne einige Leute? Und ich hoffe, dass mich die meisten auch mögen?” Sein schiefes Lächeln ließ ihn für einen Moment wie einen spitzbübischen Jungen aussehen. Er dachte kurz nach. „Na ja, zumindest wäre es schon praktisch, wenn ich mich nicht allzu unbeliebt machen würde.” Er wirkte wieder so lieb, dass Amir seine Anwandlung nicht lange beibehalten konnte.

„Entschuldige. Ich denke, ich bin das einfach nicht gewohnt.”

„Die städtische Anonymität ist also kein Vorurteil?” Der Blonde sah ihn neckend an und sein Herz machte einen kleinen Satz.

„Ist sie nicht. Ich kenne zwar einige meiner Nachbarn und in meinen üblichen Lokalen und Supermärkten kenne ich auch ein paar der Angestellten, aber es passiert eher selten, dass ich rumlaufe und erkannt werde. Außer, man ist ein wirklich bekannter Promi.”

„Gibt es hier im Dorf aber auch, gerade bei den Jüngeren. Wichtige Leute kennt man, alle, die mit Landwirtschaft und Handwerk zu tun haben, kennen einander und wer viel in Vereinen ist, wird logischerweise auch eher erkannt. Aber es gibt auch genug Leute, die ich maximal vom Sehen her kenne, wenn überhaupt.” Der Rest des dunklen Bieres geriet in Bewegung, als er das Glas locker aus dem Handgelenk rotierte.

„Hat wahrscheinlich beides Vor- und Nachteile”, meinte Amir versöhnlich.

„Wie bei fast allem also.”

 

Der Hauptgang war fantastisch! Amir hatte noch nicht oft Wild gegessen, aber mit dem hauchzarten Rehgulasch konnte er sich wirklich anfreunden. Dazu gab es Preiselbeeren und eine interessant eingelegte Birne, beides eindeutig selbstgemacht.

Sein Gast hatte etwas, das er als Kartoffelpizza vorgestellt hatte. Er würde auf ein Art Reibekuchen mit Gemüse und Käse überbacken tippen, auf keinen Fall ein Gericht, was ihm so bereits untergekommen wäre.

Unbewusst rutschte sein Blick vom Teller höher zu dem blonden Mann dahinter. So fremd ihm die ländliche Umgebung auch war, er kam nicht umhin sich einzugestehen, dass er sich bei dem Anderen schon ein bisschen zu wohl fühlte. Und das lag bei Weitem nicht an den tadellosen Tischmanieren oder den angenehmen Gesprächsthemen. In ihm stieg eine Wärme auf, die er schon lange nicht mehr gefühlt hatte und die hier leider wirklich fehl am Platz war.

„Stimmt was nicht?” Jakob sah ihn fragend an.

„Doch, doch, alles bestens. War nur in Gedanken”, wiegelte Amir schnell ab und zwang seine Augen zurück auf seinen eigenen Teller. Er griff nach seinem Weinglas und nahm einen großen Schluck. So gut er schmeckte, gerade wünschte er sich lieber etwas mit mehr Umdrehungen.

„Warst du eigentlich schon auf dem Weihnachtmarkt?”, fragte sein nichtsahnendes Gegenüber nach einigen Minuten einträchtiger, gefräßiger Stille.

„Ne, bin gestern erst angekommen und der öffnet ja immer nur am Wochenende.” Und ehrlich gesagt, hatte Amir bislang auch keinerlei Gedanken daran verschwendet, die Info zu den Öffnungszeiten hatte er unfreiwillig von seinen möglichen neuen Kollegen bekommen.

„Willst du denn?”

Etwas an der Art, wie der Blonde ihn ansah, ließ den Geschäftsreisenden zögern und seine Antwort überdenken. „Ich... habe schon Interesse”, formulierte er vorsichtig die Unwahrheit, zumindest, sofern sie sich auf die Fressbudenlandschaft unter Lichterketten bezog, die er zu erwarten glaubte. Betont lässig zuckte er mit den Schultern, als würde er einen Besuch ernstlich in Erwägung ziehen.

„Ich wollte morgen Abend runterfahren. Mich später vielleicht mit ein paar Freunden treffen. Wenn du magst, können wir ja etwas früher hin und ich führe dich ein wenig rum?”, bot Jakob an und nur seine Augen, die sich nicht so recht fokussieren wollten und die roten Ohrspitzen verrieten, dass er innerlich nicht ganz so locker war, wie er tat. Was Amir auf seltsame Art erleichterte.

„Klar, gerne”, hörte er sich schon zustimmen, noch bevor er weiter drüber nachdenken konnte.

Das breite Lächeln des Mannes vor ihm war ansteckend.

 

~*~



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