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Euch die Uhren, uns die Zeit

von

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Himmelblau

Erbarmungslos brannte die Sonne auf den sengenden Asphalt nieder. Vor der Eisdiele neben dem Stadttheater tummelten sich Menschentrauben, um sich eine süße Abkühlung zu gönnen. Auf dem Platz der alten Synagoge tanzten und planschten die Kinder der entnervten und überhitzten Eltern im Wasser des Brunnens. Der Platz der alten Synagoge und das gegenüber liegende Stadttheater sind an einer Straßenbahnkreuzung gelegen, das Kollegiengebäude II der Albert-Ludwig-Universität grenzt direkt neben dem Platz. Fahrräder und Straßenbahnen sowie diverse Menschenmassen tummelten sich in regelmäßigen Wellen vorbei.
 

Zwischen dem Getümmel, dem Gegröle der Kinder und dem gurren der Tauben, saß eine Gruppe von Punks. Die Ausgestoßenen, die Abtrünnigen der Gesellschaft, diejenigen, die am Ende dastehen und einen großen Mittelfinger parat haben. Einst von der Familie verstoßen, von der Gesellschaft verbannt, rotteten diese sich zusammen wie die Ratten in den letzten Winkeln der Stadt, um mit ihren Klimper Beuteln den „Reichen“ das Geld abzuknöpfen.

Die Studenten überquerten mit dem Rad oder zu Fuß das Gelände. Hier und da wurde es sich im Schatten bequem gemacht und ein Tabakbeutel heraus gekramt.

Christine, Meg und Raoul hatten sich wie jeden sonnigen Tag, nach der Uni, den perfekten Platz unter einem der Schattenspenden Bäume ergattert.

„Eins sag’ ich dir, wenn der Herr Döhler mich noch einmal Fräulein nennt, dann erzähl’ ich dem alten Sack woher dieser Begriff kommt und was der mit uns Frauen in der heutigen Zeit eigentlich macht!“ schnatterte Meg drauflos und drehte sich nebenher eine Zigarette. „Ich denke, er weiß ganz genau was er tut“ frotzelte Raoul und kramte nach seiner Trinkflasche. „Ich mein’, wie alt ist er, hundert?“

„Mindestens!“; warf Meg ein „Also muss er den 2. Weltkrieg ja miterlebt haben, da nannte Mann das weibliche Geschlecht nun mal so. Aber ich muss dir beipflichten, wir leben nicht mehr im Jahr 1900, komm klar alter.“ lenkte Raoul ein, als er Meg’s Augenbrauen unter dem Pony verschwinden sah.

Christine saß lächelnd neben den beiden. Die Beine in den Schneidersitz verknotet, die Arme auf dem Boden gestützt, ließ sie ihren Blick über den weiten Platz der alten Synagoge schweifen. Sie genoss es sehr, die Mittagspause mit ihren 2 besten Freunden zu verbringen. Unter diesem alten Baum, auf diesem geschichtsträchtigen Platz, umgeben von Menschen, Tauben und Bäumen, was kann es schöneres geben? Wie jeden sonnigen Tag war auch der Musiker da, der mit seinem Hund etwas abseits von den anderen Punks saß. Christine warf einen Blick zu dem Punk. Noch hatte er nicht angefangen zu spielen. Seine Gitarre lag neben ihm. Auf seinem Schoß lag ein Spaniel-Mix, zusammengerollt. Der Punk drückte sein Gesicht fest in den Körper des Hundes hinein, ganz so als wolle er verschwinden. Ein trauriges Lächeln umschmeichelte Christines Lippen. Sie hatten den Punker schon öfters hier gesehen und gehört. Er zupfte die Gitarre, wie sie es noch nie erlebt hatte, denn sie wusste wie gute Musiker spielten. Wie gute Musiker die Musik lebten und fühlten.

Ihr Vater war selbst ein großartiger Geigenspieler und begleitete regelmäßig die skandinavische Philharmonie Orchester. Zuletzt sah sie Ihren Vater vor mehr als 6 Monaten. Sie vermisste ihn sehr. Quasi ohne Vater aufzuwachsen, der nur für die Musik lebte, ließ ihr mit den Jahren einen dumpfen Schmerz in ihrer Brust heranwachsen. Dieser Schmerz trieb sie nach und nach in die Kunst. Auch wenn sie wusste, dass das Kunststudium ihr am Ende nicht wirklich das brachte, wonach sie sich eigentlich sehnte. Immerhin konnte sie eine Professur ansteuern. Ein milder Trost für jemanden, der sich nach so viel mehr sehnte.
 

Die ersten Akkorde erklangen über den Platz. Der Punk stand nun in seiner vollen Größe. Christine war immer wieder beeindruckt, wie groß und vor allem wie dünn er war. Ein Strich in der Landschaft mit einer Präsent, die den ganzen Platz einnahm. Und dann, kam die Stimme. Erst zart, dann immer lauter und anschwellend durchdrang er die Ohren der Menschen.

Christine schloss die Augen und summte mit. Meg drehte sich um, nahm einen festen Zug an ihrer Zigarette und atmete aus „Hey, das ist doch der Typ vom letzten Mal, oder?“ sie stieß mit ihrem Ellenbogen in Raoul’s Seite, sodass auch er sich jetzt umdrehte. „Ah... der wieder.“ er wandte sich wieder seinem Buch um. BWL. Wer studierte bitte BWL? Jemand, der nicht weiß, was er sonst nehmen sollte, dachte Christine. Armer Raoul.

„Boah Chrissy, ist das nicht Florence and the Machine?“, rief Meg schließlich, „Ich... ich glaube schon“ Christine lauschte dem Text ~And I never wanted anything from you~ „Ja!“ rief sie und stand schließlich auf.

Meg sah ihr nach „Was zum... CHRISSY!“ rief sie noch, Raoul sah wie ihr Rucksack langsam umfiel, da war sie schon bei dem jungen Mann mit Gitarre und sie stieg in den Song mit ein ~Happiness hit her like a bullet in the back~ für einen winzigen Augenblick stolperte der Akkord, aber der Punk fand sich wieder und sah zu ihr herunter. Seine gelben Augen starrten unerbittlich, aus einer weißen Maske ohne Gesichtszügen hervor und fingen ihre himmelblauen Augen ein. Kurz schnappte sie nach Luft und sang weiter.

Seine Stimme verlor an Volumen, er begleitetet sie lediglich nur noch. Die Ohren der Hündin zuckten sachte, sie stand auf, um mit ihrer feuchten Nase, an Christines Fuß zu schnuppern. Christine lächelte, beugte sich runter und streichelte die Hündin, sang dabei aber stetig weiter. Sie war dankbar, nicht mehr weiter in das Gesicht des Punkers schauen zu müssen.

Ein Gesicht gab es schlicht nicht. Sie wusste nie ganz recht, wo sie hinschauen sollte, wenn sie ihn ansah. Das Lied ebbte ab. Ein paar Menschen, die stehen geblieben sind, warfen etwas Kleinod in seinen Gitarrenkoffer. Manche tuschelten und manche zogen wortlos ab.

Der junge Mann beugte sich, langsam und behutsam, zu Christine und seinem Hund herunter „Sie heißt Sasha“ murmelt er fast tonlos. „Ein Weibchen also? Ohhhh du bist so süß!“ Christines Stimme wurde eine Oktave höher, so wie es Menschen eben taten, wenn sie mit süßen Wesen sprachen. Sasha rollte sich auf den Rücken und präsentierte ihren wuscheligen Bauch, genüsslich brummelte sie dabei. „Sie hat keine Flöhe oder so, du kannst sie ruhig richtig streicheln“, raunte die Stimme sachte durch die Maske. Christine sah schließlich zu ihm hoch. Er wich ihrem Blick aus, schien in sich zusammenzufallen, er stimmte seine Gitarre nach. Ihr Blick wanderte auf seine Hände. Lang. Dünn. Knochig. Erst jetzt fiel ihr auf, wie schrecklich dünn er wirklich war. Sie spürte, wie sie ihn starrte. Ihm fehlten ein paar Fingernägel. Pflaster überall. Fehlt da eine Fingerkuppe? Christines Augen wurden größer. „Wenn du weiter starrst, muss ich Gebühren verlangen.“ sprach er ruhig und stand auf. „Oh Gott, Entschuldigung! Es ist nur“ sie strich sich die wilden Locken hinter beide Ohren „Ich habe schon lange keinen so guten Gitarristen mehr gesehen“

„Ah...“

„Du stimmst nach Gehör?“, sie versuchte verzweifelt das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken „Wenn man sich kein Stimmgerät leisten kann, dann versucht man es eben so.“ murmelte er. Sasha’s Brummen wurde immer lauter und ging in ein forderndes Jaulen über. „Tja...“ er sah zu Christine „Ihr Bauch. Du streichelst zu sanft.“ seine Stimme hellte sich auf. „Schau“ er ging erneut in die Hocke zu Christine und Sasha runter, griff in das dichte Fell der Hündin und streichelte los. „So geht das“, murmelte er ernst. Christine fing an zu lachen „Ich wusste nicht, dass das einer Raketen-Wissenschaft gleicht“ und da sah sie, die Augen hinter der Maske starrten sie erst einige Sekunden an und dann, lächeln. Er lächelte. Die in Schatten gehüllten Augenwinkel zogen sich zusammen und schlugen winzige Fältchen. „Ich bin Christine Daaé“, sagt sie schließlich und löste den Punker beim Streicheln ab „Erik“ antwortete er tonlos und stand wieder auf.

„Christine Daaé, wie stehst du zu Nirvana?“, fragte er schließlich und schlug den ersten Akkord von Smells Like Teen Spirit an.
 

Die Hitze stieg an. Der Asphalt flimmerte. Geld klimperte in dem Gitarrenkoffer. Christines Stimme wurde heißer. Erik brach ab und sah sie an. „Du singst nicht?“

„Wa-“

„Für gewöhnlich. Du singst nicht für gewöhnlich, aber du hörst dich an wie ein Profi“ er drehte sich ab und sammelte das Geld ein. „Erwischt. Ich singe für gewöhnlich ein oder zwei Lieder unter der Dusche“

„Verschwendetes Talent“ knurrte er in ihre Richtung. Sie wich zurück. „Sagt der Richtige, Straßenmusiker!“ Konterte sie. Erik schwieg und packte seine Sachen zusammen. „Ja. Klar. Sorry.“ murmelte er und schien gehetzt. „Ich muss jetzt los, komm Sasha“, die Hündin sprang von ihrer schlafenden Position auf und trottete zu ihrem Herrchen.

Ihre Blicke trafen sich ein letztes Mal an diesem Tag. Dann trennten sich ihre Wege.

Der Punker, der nicht mal bei den Punks saß, machte sich auf und davon. Christine setzte sich wieder in den schattigen Baum. „Woah Chrissy, der hat deinen Anteil gestohlen“ kicherte Meg, „Ihr hättet ruhig fifty fifty machen können“

„Red keinen Unsinn“ Christine lächelte unbeholfen und griff nach der Wasserflasche.

Lady in Gold

Das kleine Apartment direkt unter dem Dach ertrinkt in Hitze. Die Fenster stehen offen. Kein Wind zieht durch. Erik liegt bäuchlings auf seiner Matratze am Boden. Sasha drückt sich daneben auf den kühlen Boden. Erik schreibt, radiert, schreibt wieder und schließlich, dreht er sich auf den Rücken und starrt die Decke an „Ich bekomm’s nicht auf Papier, Sasha“ murmelt er. Leise, ganz zart, zieht sich die Musik durch Eriks Gedanken wie ein goldener Faden den er noch nicht greifen kann. Er fährt sich mit der Hand über die Stirn, Schweißperlen wechseln den Ort und werden auf dem Bettlaken abgestrichen. Erik dreht sich zu Sasha. „Was denkst du. Gehen wir heute wieder auf den Platz?“ die Hündin sieht auf und schleckt dem jungen Mann quer über das Gesicht. „BAH! Pfui Sasha!!!“ quäkt Erik angewidert und steht auf. Fast blind wandert er von seinem Zimmer, durch den Flur ins Bad. Tunlichst schaut er nicht in den Spiegel. Er weiß was ihn Erwartet, stattdessen blinzelt er zum Wasserhahn und lässt das kalte Wasser erst über seine Finger rinnen, dann spritzt er es sich vorsichtig ins Gesicht. Er versucht das Klaffende Loch, dort wo seine Nase sein sollte, irgendwie auszusparen. Blind greift er nach dem Handtuch und tupft sich das Gesicht ab. Wenn er schon mal hier ist, konnte er noch eine schnelle Katzenwäsche machen und sich Deo von seinem Mitbewohner nehmen. Er kämmt sich die zerzausten pechschwarzen welligen Haare.

Mit weiterhin gesenktem Blick geht er aus dem Bad und läuft seinem Mitbewohner über den Weg. „Wieso putzt du dich so raus?“, fragt dieser ohne Umschweife. „Hm?“ Erik schaut zu dem Mann herunter. Sein Mitbewohner ist einen halben Kopf kleiner als Erik, er trägt einen Kinnbart, einfache schlichte Basic Kleidung und scheint immer den Schalk im Nacken zu haben. „Wieso du dich so herausputzt, frage ich. Mann Erik, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen“ er knufft dem größeren in die Seite. Erik weicht aus, schlängelt sich an seinem Mitbewohner vorbei und versucht ins Zimmer kommen. „Ah Ah Ah. Du weißt, wie die Regeln sind.“

„Die Regeln, die du dauernd neu erfindest? Oder die Regeln, die tatsächlich existieren? Hilf mir auf die Sprünge Nadir.“ knurrt Erik ihn an. „Sei ehrlich.“, erklärte Khan in einer Engelsgeduld. „Sasha hat mir über das Gesicht geleckt, das war alles.“ zischt Erik und dreht sich um „Deine Haare sind gekämmt und...“ er riecht an Erik „Du benutzt Deo? Seit wann benutzt du Deo???! Moment. Ist das MEIN Deo?“ Nadir reißt die Augen auf und zeigt mit dem Finger auf Erik „Entweder hast du ein Date oder du hast ein Vorstellungsgespräch! ERIK HAST DU EIN DATE?!“ Erik dreht sich um und geht wortlos in sein Zimmer. Ein lautes Klick signalisiert, die Tür ist verschlossen, Khan steht vor der hölzernen Mauer und grinst breit. „Also ein Date, schön“
 

Erik rutscht an der Tür herunter, kauert sich zusammen. Er wollte sich doch nur das Gesicht waschen. Wieso muss ausgerechnet dann, Khan auftauchen und ihn auf seine Körperhygiene hinweisen? Trotz der 32 Grad im Zimmer wird Erik kalt und eine Gänsehaut ziert seine freien dünnen Arme. Sasha steht auf und trottet zu ihm. Die Welt scheint zu kippen. Wie kann so etwas Kleines ihn nur so aus der Fassung treiben. Dunkler Nebel wabert an seinem Sichtfeld hoch. „Sasha“, flüstert er mit dünner Stimme. Sie kommt. Legt ihre feine Schnauze auf seinem Schoß ab und brummt leise. Eine tiefe dunkle Übelkeit kriecht aus seinem Magen heraus. Kälte breitet sich bis in seine Wangen und Zehen aus. Dann kalter Schweiß. Gefolgt von Zittern und Zähneklappern. Sein Atem setzt aus. Sasha leckt ihm über das Kinn und er schnappt endlich nach Luft. Nach der Taubheit folgt die Unruhe. Er steht auf, schaut sich um und greift nach seiner Maske. Sasha wusste von Anfang an, was los war, Erik war nicht in seinem Gleichgewicht. Sie spürte es sofort, noch als er auf der Matratze lag, lange bevor ihm klar wurde, was ihn heimsucht. Er zieht sich die Maske an, prüft in einem kleinen Handspiegel, ob diese gut und fest sitzt, er greift nach seiner alten Gitarre und steckt diese in den Koffer. „Date“, murmelt er. Das war doch kein Date, ja er trifft Christine seit ein paar Wochen, aber es war kein Date im eigentlichen Sinne. Sie singen zusammen. Sie streichelt seinen Hund. Sie lächelt ihn an. Sie behandelt ihn wie einen Menschen. Nicht wie einen Aussätzigen. Den goldenen Faden sieht er deutlich vor sich. Er kann die Musik hören, er fühlt es, die aufkommende Wärme. Dann ist es wieder Weg. „Ich bekomme es nicht gegriffen. Fuck“ er greift nach Sasha’s Leine und öffnet die Tür. Khan ist nicht zu sehen. Eine leise Stimme schallt aus der Küche, anscheinend telefoniert er wieder mit seiner Freundin. Ohne einen Laut von sich zu geben, läuft Erik zur Haustür, greift nach seiner Baseballcap, zieht sich diese über, schnallt sich seinen Klimper Beutel um die Hüfte und verschwindet leise mit dem Hund nach draußen.
 

Auf dem Asphalt staut sich die Hitze. Die Sonne brennt unerbittlich auf das städtische Gebiet herunter. Erik schnappt nach Luft, zieht diese tief ein und geht dann los. Er fährt nicht mit der Straßenbahn, obwohl eine Haltestelle direkt 2 Minuten Fußweg entfernt ist, bereiten Erik zu viele Menschen auf zu engem Raum Unbehagen. Außerdem mag seine Hündin das Gewackel und Geklapper nicht und wird jedes Mal nervös, wenn sie dann doch mal Straßenbahn fahren. Also laufen sie in Richtung Innenstadt, vorbei an kleinen Secondhand Läden, Apotheken und Buchshops. Erik achtet darauf, dass Sasha überwiegend im Schatten läuft, damit der heiße Asphalt ihre Pfoten nicht versengt. Die Ampel schaltet auf Rot. Erik bleibt stehen. Er fährt sich mit den Fingerspitzen unter die Maske und wischt sich den Schweiß vom Kinn. Die Ampel schaltet um. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite kommen ein paar Kinder und Erwachsene auf ihn zu. Er senkt den Kopf, tut so, als wäre er nicht da, als könnten sie ihn nicht sehen, nur weil er sie nicht sieht. Sein Blick ruht auf dem Spaniel-Mix und er zieht die Leine etwas mehr zu sich.

Erik schlängelt sich an den Menschen vorbei und lässt Sasha’s Leine wieder lockerer. Schweiß tropft unter der Maske hervor und er flucht leise. „Scheiße. Sasha es ist viel zu heiß heute.“ er bleibt entmutigt stehen. „Das wird nix“ seine Hündin bleibt stehen und schaut hechelnd an ihm vorbei.

„... ist gut, wir gehen weiter.“ brummt er und setzt sich wieder in Bewegung „Ich weiß nicht mal ob sie heute da ist, die meisten Leute gehen bei so einem Wetter ins Schwimmbad oder an den Baggersee“ ein lautes seufzen entfährt ihm und sie nehmen seine gewohnten Schleichwege durch die Gassen bis hin zum Platz der alten Synagoge. Wie erwartet verdrängt die Hitze das Menschenaufkommen. Selbst die Obdachlosen und die Punks waren nicht zu sehen. Die wenigen Schattenplätze sind jedoch mit Eisessenden Pärchen und kleineren Familien besetzt. Auch waren hier und da ein paar Studenten zu sehen. Erik hält nach Christine Ausschau. „Mist“ sie ist nicht zu sehen. „Komm, jetzt sind wir eh schon da“ er zieht leicht an der Leine und trottet mit Sasha zu seinem Stammplatz, etwas abseits vom Platz, dort wo er nicht direkt zu sehen aber gut zu hören ist.

Erik lässt die Leine los, Sasha schüttelt sich und lässt sich in eine bequeme Platzposition fallen, währenddessen öffnet er seinen Gitarrenkoffer und stellt diesen offen vor sich hin. Er setzt sich neben seine Hündin und fängt an ein paar Akkorde zusammenhangslos aber melodisch vor sich hin zu klimpern.
 

Die Sonne wandert über den Platz. Die Schatten ziehen sich in die Länge. Menschen kommen und gehen. Kinder rennen über den Platz und fangen das Wasser der Springbrunnen ein. Tauben landen vor Erik und schauen, ob sie etwas zu fressen erhaschen können und fliegen dann wieder davon.

Sasha wechselt mehrmals ihre Position und brummt entspannt. Studenten fluten immer wieder über den Platz. Egal ob die Uni nun zu Ende oder einfach ein Lernplatzwechsel stattfindet. Ab und zu landet auch etwas Kleingeld in dem Gitarrenkoffer. Nach dieser Zeit des Spielens legt er die Gitarre weg. Auf seinen Fingerkuppen bildeten sich tiefe, rote Rillen. Murrend reibt er sich diese, sein Blick bleibt kurz an seinem kleinen Finger hängen, der tatsächlich kürzer war.

Mit einem lauten Geräusch landet eine kleine PET Flasche in seinem Schoß, er schaut auf, Sasha springt auf und fängt freudig an zu Bellen. „Da wo ich dich erwartet hab“ Christine lächelt und geht in die Hocke, um Sasha zu streicheln. Ein goldener Faden tanzt durch die Luft. Ein sanftes Lächeln hinter der Maske. Er nimmt die Flasche und steht auf. „Du bist spät“, sagt er schließlich und geht aus ihre Sichtweite und trinkt die Flasche in einem Zug leer. „Ich dachte du kommst heute nicht hier her“, ruft er ihr zu, während er zurückkommt. „Na eine Person muss ja nach dir schauen“ sie zwinkert ihm lachend zu, „Bei dieser Hitze ist es echt gefährlich hier draußen zu sein“ Sasha leckt ihr über die Wange.Erik setzt sich wieder hin. „Im Schatten geht es. Danke für das Wasser“ er reicht ihr die Flasche.

Schweigen.

Der goldene Faden tanzt sachte vor seinen Augen.

„Erik?“

„Hm“

„Wo bist du?“

„Musik. Ich habe seit Wochen eine Musikidee. Aber ich bekomme sie nicht gefasst“ er seufzt, schüttelt den Kopf und schaut dann zu Christine.

Kurz mustert er sie. Ein helles, zartes Sommerkleid umschmeichelt ihre sonnengebräunte Haut. Kleine Sommersprossen zieren ihre Schultern. Ihre wilden braunen Locken sind zu einem dicken Dutt zusammengebunden. Der goldene Faden tanzt um ihren Körper herum. Er bleibt an ihrem Gesicht hängen und ihre Blicke treffen sich. Ertappt, weicht er ihrem Blick aus. Hatte sie ihn genauso gemustert? Der goldene Faden verschwindet und ein dumpfer Schmerz breitet sich langsam in seinem Bauch aus. „Was ist?“, fragt sie vorsichtig „Du hast...ein Gesicht“ stammelt er unbeholfen, sie fährt sich mit der Hand ins Gesicht „Ja, das habe ich, ist mein Mascara verschmiert?“ sie tastet sich ab. Er schüttelt den Kopf „Ich meine, ein schönes Gesicht, du hast ein sehr schönes Gesicht“ er schaut sie nicht an. Starrt den Boden an. Sie lächelt irritiert „Danke?“

„Ich bin kein geselliger Mensch“, murmelt Erik und verfällt in Schweigen.
 

„Ich hab mir gedacht“ unterbricht Christine die Stille „Heute bringe ich ein paar Songs mit. Vielleicht kennst du die ja schon, aber falls nicht...“ sie kramt in ihrer Umhängetasche und hält Notenblätter vor seine Augen. „Ich hoffe, du kannst Noten lesen“ ein liebevolles Lächeln strahlt Erik entgegen. Er schluckt. Löst die verkrampften Hände und greift nach den Notenblättern. „Natürlich kann ich Noten lesen“ nuschelt er und begutachtet die Musikauswahl.
 

Die Schatten ziehen sich immer länger auf dem Platz der alten Synagoge. Gitarrenmusik, eine zarte klare Frauenstimme und eine, durch die Maske abgeschwächte, Männerstimme schallt Stunde um Stunde über den Platz. Das Licht färbt sich Orange. Auch wenn die jungen Erwachsenen nicht singen, dann ertönt stetige Gitarrenmusik. „Tun dir nicht langsam die Finger weh?“, fragt Christine lachend und sucht ihre Sachen zusammen. „Geht schon“ nuschelt Erik. Natürlich taten seine Finger weh, aber er war diesen dumpfen Schmerzen gewohnt. „Gehst du?“

„Ja, ich bin noch mit Raoul verabredet“ sie sieht wie seine Haltung sich versteift, Christine ist es schon öfters aufgefallen, dass sobald sie Raoul oder Meg erwähnt, sich seine Haltung und auch sein Wesen verändert. Ganz so als würde er sich mehr als nur distanzieren, als würde er sich versuchen aufzulösen. „Dann wünsche ich dir noch einen schönen Abend“ er ringt sich ein Lächeln ab, wohl wissend, dass sie stetig an seinen Augen versuchte, abzulesen wie seine Mimik war. Christine steht auf und klopft sich den Straßenstaub aus dem Kleid. „Danke. Dir auch noch einen ruhigen Abend. Ah...wo schläfst du eigentlich?“ sie versucht die Frage so beiläufig zu stellen wie es nur geht, sie durfte schon einmal feststellen, wie allergisch Erik auf private Fragen reagierte. Sie weiß nur seinen Namen, den Namen des Hundes. Auf sein Alter, wo er herkam und wo er Gitarre gelernt hatte, wich Erik stets aus. Er zögert und schaut auf den Boden. „Hier und da“, murmelt er und packt seine Sachen schließlich ebenfalls zusammen. „In diesem Fall, wünsche ich dir eine sichere Nacht“ eröffnet Christine ihm und reicht Erik einen Zettel. „Das ist meine Nummer.“ Er nimmt den Zettel entgegen und starrt erst den Zettel an, dann sie. „Ich muss jetzt los, aber wenn du mal einen Schlafplatz brauchst oder Probleme hast...ehm... ja ruf an Ok?“ er nickt stumm. Er besitzt kein Handy, Telefonzellen sind vor Jahren abgeschafft worden. Er wüsste nicht wie er sie hätte erreichen sollen. „Danke.“ bringt er schließlich hervor „Das werde ich“ hastig greift er nach Sasha’s Leine, nickt Christine zu und ihre Wege trennen sich. Erik läuft an Raoul vorbei, hält seinen Kopf wie immer auf den Boden gerichtet, die Baseballcap tief ins Gesicht gezogen. „Ey Mann, wie geht’s?“ versucht es Raoul, wie jedes mal wenn sie sich sehen. „Gut“ murmelt Erik nur und sein Schritt wurde schneller. „Gutes Gespräch“ ruft Raoul ihm nach und geht zu Christine. „Was findest du an ihm?“ fragt er und nimmt sie in den Arm. „Vieles“ lachte Christine und erwidert die Umarmung „Zum Beispiel ist er ein begnadeter Sänger und Gitarrist wie du weißt“

„Und nicht zu vergessen, so ein kommunikativer Typ. Richtig offen und freundlich“ witzelt Raoul. „Er ist nur etwas Schüchtern. Wo wollen wir essen?“ lenkt Christine ein „Entscheide du, ich lade dich ein.“

„Ohhhh hat da jemand einen Goldtopf gefunden?“

„Besser! Die Kindergeld Nachzahlung ist da“ trällert Raoul überaus Glücklich. Christine klatscht in die Hände und beide ziehen los. „Holen wir noch Meg dazu, oder nur du und ich?“ fragt Christine.

„Meg hat ein Date hehe“

„Ist nicht wahr! Wer?“

„Kim aus dem Englisch Seminar“ Raoul lächelt „Das wird richtig gut, wenn Meg es nicht wieder verkackt“ Christine hält sich die Hände vor den Mund „AWWWW die passen so gut zusammen!“ sie zückt ihr Handy und schreibt Meg.

Grrrrrl, viel Glück!

Dann steckt sie ihr Handy weg und hakt sich bei Raoul ein „Also, wenn das so ist, bitte einmal Burger und Nachtisch“

„Wie es Madame wünscht hehe“
 

Erik steht etwas Abseits auf der anderen Straßenseite in einem Hauseingange und beobachtete die beiden. Er hält die Luft an. Christine und Raoul halten die ganze Zeit körperlichen Kontakt. Sei es eine freundliche Umarmung, ein Streicheln auf der Schulter, ein sanfter Stoß während dem Reden, Einhaken beim Gehen. Waren sie nur Freunde oder ein Paar. Taubheit breitet sich in Eriks Beine aus. Er rutscht langsam in die Hocke, Sasha kommt direkt zu ihm und schleckt seine Hand ab. Endlich atmete er stockend ein. So sehr wollte er sie berühren, ihr freundschaftlich die Schulter streicheln, sie in den Arm nehmen. Ihre zarte Haut auf seiner fühlen. Das Zerren an seiner Hose zieht ihn aus dem Strudel der Gedanken. Die gute Sasha achtet tunlichst darauf, dass Erik präsent bleibt. „Hmh. Ich bin da. Komm“ er greift nach ihrer Leine, richtet sich auf.
 

Die Treppen kommen Erik besonders steil vor. Auf der Hälfe bleibt er schwer schnaufend stehen, zieht die Maske aus und wischt sich mit dem unteren Teil seines Pullovers über das Gesicht. Vorsichtig und bedacht, die zerstörte Haut nicht zusätzlich zu reizen. Sein Herz beruhigt sich. Er setzt die Maske auf und geht weiter, bis in den obersten Stock.
 

Khan lugt aus der Küche heraus, er trägt kein Shirt. Die Hitze in der Dachwohnung ist drinnen noch schlimmer als draußen. „Hey Erik!“, er winkt ihn in die Küche „Wie war dein Tag?“ der Iraner steht auf und richtete ihm ein Glas Wasser. Erik schweigt, schwarze Flecken tanzen vor seinen Augen. Erst jetzt fällt ihm auf, dass er heute nichts gegessen und zu wenig getrunken hat. Khan mustert ihn. Drückt ihn auf den Stuhl. „Hast du einen Hitzestich?“, fragt er und zieht ihm die Maske ab. In einer besseren Verfassung hätte Erik sich gewehrt, doch jetzt sieht er ihn nur trübe an. „Du bist blass“ kommentiert Nadir, geht aus der Küche raus und kommt wieder mit einem nassen Waschlappen. „Hier“ er drückt diesen Erik ins Genick. Er lässt es über sich ergehen. „Trink bitte“ Nadir greift nach dem Glas. Erik sieht zu ihm auf, versucht sich zu orientieren. Khan blickt in ein Schlachtfeld. Eine tiefe nach innen gerichtete Narbe, bahnt sich ihren Weg von der Oberlippe zu dem klaffenden Loch, wo einst eine Nase war, das Rot der Narbe leuchtet auf der blassen Haut hervor. Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte war die erste Narbe, die Erik mit zur Welt brachte.

Die Haut selbst, eingefallen, fleckig, rot und stellenweise dick vernarbt, spannt sich wie ein Pergament über die Wangen, Stirn und Kieferpartie. Die Wangenknochen stehen hervor. Die Augenbrauen kann man nur noch erahnen, die Haut lässt kaum Bewegung zu. Erik verzieht die deformierten Lippen. „Dir geht’s bald besser“, sagt Nadir ruhig und hält ihm immer noch das Glas hin. Erik tat wie gebeten. Er kippt das Wasser in sich rein, hält den kühlenden Lappen im Genick und spürt wie langsam die Lebensgeister zurückkehren. Der Iraner stellt ein, mit Nuss-Nougat Creme bestrichenes Brötchen, auf den Tisch. „Iss das. Ich geb’ dir 10 Minuten“, damit verlässt er den Raum. Er weiß, dass Erik nicht vor anderen Menschen Nahrung aufnehmen konnte und in schlechten Zeiten nicht einmal vor ihm.
 

Der leere Teller steht in der Spüle. Die Küche ist verlassen. Erik und Sasha im Zimmer.

Unter dem offenen Dachfenster liegend, starrt Erik in den Himmel. Rot, Orange und Pink zieren den Abendhimmel. Ab und zu fliegt ein Vogel vorbei. Eriks nassgeschwitzter Pullover, seine Leder-Jacke, seine lange Hose und die Chucks, liegen um ihn herum verteilt. Sasha liegt zusammengerollt direkt neben Eriks mageren Brustkorb. Er streichelt sie. Spürt ihre Wärme, ihren ruhigen Atem.

Der goldene Faden, direkt vor ihm. Er beginnt zu summen. Er hört es deutlich, er kann es spüren, wie sich die Musik in ihm manifestiert. Wie sie immer lauter wird. Wie sie ihn auffrisst.
 

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Songs zum Anhören:

Blues Pills – Lady in Gold

Lesm, Olexy – Acoustic Guitars Ambient Uplifting Background Music

Doria Roberts – Perfect

Open up my Head

Menschen rennen aneinander vorbei. Regenschirme bleiben ineinander stecken. Laute zurufe. Autos, die durch Pfützen fahren und Passanten mit Spritzwasser treffen. Der Geruch von nassem Hund und altem Urin steigt in die Luft. Die Rückseite des Unigebäudes verschafft den Punks einen trockenen Platz. Erik sitzt etwas abseits. Sie kannten sich. Sie tolerierten sich. Sie ließen sich in Ruhe. Es ist Ok, so wie es ist.

Der Platz der alten Synagoge ist eine Verbindung zwischen der Unibibliothek und der nächsten Straßenbahnhaltestelle. Keine spielende Kinder. Keine Studenten. Nur Regenschirme und Gehetze.

Keine Christine. Erik hat seine Gitarre nicht mitgebracht.

Nach dem letzten Hitzestich musste Erik sich der unerbittlichen Fürsorge von Nadir fügen. Nach zwei Tagen verbesserte sich sein Zustand, dann kam der Regen.
 

Erik seufzt, heute würde er Christine wohl nicht sehen. Er steht auf. Nimmt Sasha und nickt den Punks zum Abschied zu.

„Tschüsselkowski“

„Tschaussn“

„Mach et jutt“ schallte es ihm entgegen. Ein Dosenbier wird geöffnet. Lautes schlürfen. „EY wart ma, da fällt ma jrade dit eene ooch noch ein!“ einer der älteren Punks, steht auf. „Da war jestern so ne Type!“ Erik bleibt stehen und schaut zu ihm „Wer?“

„Na dit Mädel. Die dümst immer bei dir rumm. Die, die so jut singt. Na jedenfalls, die war jestern da und hat nach dir jestochen.“ schweigend starrt Erik den älteren an, er versteht nur die Hälfte, dieser Dialekt ist ihm immer noch fremd. „Fahre fort“, murmelt er „Die hat mir ’nen Zehner rüberjeschobn, wenn ick dir ausrichte, dass se heute nich kommt. Aber wenn de willst, kannst'e dich mit ihr treffen, du sollst sie anrufen. Haste wohl ihre Nummer.“, der Punker grinst breit und entblößt dabei eine unregelmäßige Reihe fehlender Zähne. Erik nickt. „Cool. Danke Jago.“, er dreht sich ab und geht mit Sasha die Straßenbahnlinie entlang. Wie sollte er sie erreichen, ohne Smartphone? Gedankenverloren und mit gesenktem Blick drückt er sich an den Menschen und ihren Regenschirmen vorbei. Er wird immer wieder angerempelt. Irgendwann reicht es ihm, die nächste Person würde ihn nicht wegrempeln. Die 1,95 m sind doch für irgendwas gut. Die nächste Person bleibt an seiner Schulter hängen, er gab nicht nach. Ein blonder Mann mit einem echt peinlichen Schnauzer im Gesicht schaut unter dem schwarzen Regenschirm hervor „Oh Pardon...Ah, du bist das!“ ruft eine bekannte Stimme, Erik hält inne und schaut auf den etwas kleineren jungen Mann herunter. Hinter der Maske verzieht er die Lippen nach unten. Raoul steht direkt vor ihm. Hätte er sich doch nur zur Seite schieben lassen. Dummer Erik

„... Hallo Saul“ brummt er nur und will schon weiter gehen „Raoul, ich heiße Raoul“ der Schnauzbart hebt sich zu einem lächeln. „Du bist Erik, stimmt's? Du hast eine echt starke Schulter“ 

Erik schweigt. „Nicht sehr redselig, ich sehe schon.“ er hebt abwehrend die Hand „Ich geh’ mal weiter, die Uni ruft“ Raoul dreht sich um „K...kann ich dein Handy benutzen?“ krächzt Erik und räuspert sich.

Raoul stockt und dreht sich um, er mustert den Punk.

„Was hast du damit vor?“

„Christine anrufen. Sie hat gestern nach mir gefragt“

Raoul reicht ihm sein Smartphone „Drück die Wahlwiederholung, sie war mein letzter Anruf“ Erik nickt, nimmt das Handy und tippt. Der Regenschirm beherbergt nun die beiden jungen Männer. Leise schallt das Anrufzeichen aus dem Lautsprecher. Ein Klick „Gut, dass du anrufst, du hast dein Mäppchen hier liegen lassen“ schallt es lachend aus dem Lautsprecher, Erik entgegen. Ein Blitzt durchfährt Erik. Er presst den Kiefer zusammen, drückt das Handy wortlos Raoul in die Hand und dreht sich zum Gehen um. „Ha..wa...warte!....ah Christine? Ja Hi, ich bin’s, hi... ja mein Mäppchen? Oh Danke! Das hab ich schon gesucht, haha … ja warte kurz.“ er hält das Handy vom Ohr weg „Erik warte!“ 

„ERIK? RAOUL, DU HAST IHN GESEHEN?!“ schreit es aus dem Lautsprecher. Abrupt bleibt Erik stehen. Regen tropft von seinen Haaren auf die Maske. Er nimmt das Handy und hält es sich ans Ohr. „Christine“, murmelt er, „Erik.“, antwortet sie erleichtert, „Ich hab mir schon Sorgen gemacht, dir sei was zugestoßen“ plappert sie drauflos. Er schüttelt den Kopf. Verlegen zieht er die Schultern hoch. Raoul hält sich und Erik den Regenschirm wieder über. „Die Hitze hatte mir zugesetzt, das war alles -“ er wechselt das Thema „Christine, ich habe die erste Strophe aufgeschrieben. Die Musikidee“ Raoul versucht nicht zu interessiert zuzuhören. „Oh, das ist wunderbar! Kannst du es mir vorspielen? Wann sehe ich dich wieder?“

„Ich hab kein Handy.“, antwortet er beschämt. „Wo...Wo bist du?“

„Zuhause, lass dir von Raoul die Adresse geben, du kannst gerne vorbeikommen“ Erik nickt und legt auf. „Normalerweise verabschiedet man sich noch“ murrt Raoul, seufzt schließlich „Ich muss jetzt echt los“

„Wo wohnt Christine?“
 

Der Regen lässt nach. Erik steht vor der Haustür. Er klingelt. Ein Surren. Die Tür öffnet sich. Die Hündin betritt den Hauseingang und schüttelt sich. Erik rennt die Treppen hoch. Er nimmt 2 Stufen auf einmal. Nadir begrüßt ihn mit einem irritierten Blick. „Schlüssel vergessen.“ Ruft er nur und eilt in sein Zimmer. Schlägt die Türe hinter sich zu. Khan blinzelt, reibt sich den Hinterkopf und trottet ihm nach „Alles OK?“ fragt er und bleibt vor der Tür stehen. Er hört es poltern. Nasse Klamotten klatschen auf den Boden. Schuhe fliegen in die Ecke. „Eriiiiiik“ trällert er „Ob alles OKAYYYYHAAYYY ist, frage ich!“ ruft Nadir nun lauter. Schweigen. Die Tür öffnet sich. Ein frischer schwarzer Hoodie mit einem Totenkopf und Rosen Print, eine schwarze ordentliche Jeans mit Löchern und zwei ungleiche Socken zieren seinen dünnen Leib. „Ja“, antwortet er und drückt sich an dem Iraner vorbei. „Okay, gehst du wieder?“ Er schaut zu, wie Erik sich sein anderes Paar Schuhe, Springerstiefel, anzieht.

„Ja.“

„Nochmal auf den Platz der alten Synagoge?“

„Nein“

„Sondern?“

„Christine, sie hat mich zu sich eingeladen“

Nadirs Kinnlade fiel runter „Halt Stopp! Müssen wir über Verhütung reden?!“ er greift nach Eriks Schultern und hält ihn fest. Abrupt windet er sich heraus, „Nein. Hör Mal. Ich bin heute Abend wieder da. Ich soll ihr nur etwas vorspielen. Kann ich deine Violine mitnehmen?“ Nadir verzieht das Gesicht, „Pass aber auf Charlotte gut auf.“ Da eilt Erik schon in Nadirs Zimmer und kam direkt mit einer Violine im Koffer zurück. „Melde dich zwischendurch“

„Ich hab’ immer noch kein Handy“ Nadir nickt, „Erik. Ruf mich an, wenn ich dich abholen soll, Christine hat sicher ein Festnetz!“ 

„Tschüss Khan.“
 

Die Springerstiefel stehen im Hauseingang eines Einfamilienhauses, am Rande der Stadt. Sasha’s Leine hängt an der Garderobe neben der alten zerschlissenen Lederjacke. Erik sitzt auf Christines Bürostuhl und dreht sich leicht nervös hin und her. Christine bringt Getränken und Knabber Sachen in das Zimmer „Ok, wir haben alles“ sie grinst aufgeregt. „Das ist das erste Mal, dass ich dich Violine spielen hören werde“ Sasha hüpft an ihrem Bein hoch und versucht einen Keks zu ergattern. „Sasha nein!“, knurrt Erik und wendet sich Christine zu „Ich kann auch Cello und Klavier spielen“

„Wo hast du das alles gelernt?“, sie stellt das Tablett auf ihrem Schreibzimmertisch ab. „Ich habe Zeit.“ Erik greift nach Sasha und zieht sie zu sich. „Mach jetzt Platz“ zischt er „Ach was, lass sie ruhig“

„Schokolade. In den Keksen ist Schokolade. Hunde dürfen das nicht essen.“ Christine wird rot. „Oh... das wusste ich nicht“ Sie setzt sich auf ihr Bett. „Tut mir leid“, murmelt sie. Erik schüttelt den Kopf und seine welligen Haare fliegen hin und her. „Nicht dafür.“

Betretenes schweigen kehrt zwischen den beiden wieder ein. Das Rhythmische hecheln von Sasha hallt durch den Raum.

„Die Strophe...“ nuschelt Erik und holt die Violine aus ihrer Transportbox. Christine sieht ihm schweigend zu. Er schraubt die Kinnstütze ab. „Brauchst du die nicht?“

„Nein...“ er hält inne „Das ist die Violine meines Mitbewohners“ er sieht sie kurz an. Sie erinnerte sich genau an seine letzte Aussage, wo er denn schliefe. Sie geht nicht darauf ein, er hatte sicher seine Gründe nicht zu sagen, wo er schläft, erklärt sie sich. Er setzt die Violine an das maskierte Kinn und beginnt eine Tonleiter zu spielen. „Sie ist verstimmt. Warte.“ Christine steht auf, verschwindet und kommt mit einem kleinen Stimmgerät wieder.
 

Der Regen lässt nach. Die Musik der Violine erklingt, dunkel und behutsam. Die Noten gleiten schier durch das Zimmer. Die Haustür geht auf und eine ältere Frau kommt rein. Sie steht im Hauseingang. Hört die Töne. Sieht die Springerstiefel und die Jacke. Die Frau geht die Treppe hoch. Sie sieht Christine mit einem Hund auf dem Boden sitzen. Vor ihr steht ein viel zu hoch gewachsener Mann mit Maske und einer Violine.

Die Frau schreitet durch die Tür „Hallo zusammen“ Christine schreckt auf „Mama!“, der Hund springt hoch und läuft freudestrahlend auf Christines Mutter zu. „Ja Hallo, ohhh bist du süß!“ Sie streichelt die aufgeregte Hündin. Dann sieht sie zu Erik. Er ist wie zu einer Salzsäule erstarrt. Hochgezogene Schultern, leicht nach vorne gebeugter Oberkörper, die Arme vor dem Corpus verschränkt, in einer Hand die Violine. Ihr Blick ruht auf seiner Maske „Und du musst Erik sein?“ fragt sie und lächelt ihn an. Das Gleiche liebe lächeln wie Christine es hat, aber sonst findet er keine Ähnlichkeiten. Er nickt stockend. „Ich bin Valerie Daaé, schön dich endlich kennenzulernen. Bleibst du zum Essen?“ Christines Augen weiten sich und sie sieht zwischen Erik und ihrer Mutter hin und her. Langsam löst sich Erik aus seiner Starre und schüttelt den Kopf „Das geht nicht. Ich muss bald nach Hause“ er packt die Violine weg „Aber nein. Du musst zum Essen bleiben! Sieh dich doch mal an, so ganz abgemagert! Du isst nicht genug, das sehe ich von hier!“ sie winkt ab und steht auf. „Ich richte euch was und ihr könnt hier oben essen.“, sie geht.

Christine schaut ihr nach und dann zu dem maskierten. Sasha ist schon bei Erik und leckt exzessiv seine Hand.

„Alles ok?“

„Das... war etwas ….“

„Viel?“

„Unerwartet.“, er streichelt den Hund. „Ich muss jetzt echt gehen, Christine“ sie weiß, aufhalten kann sie ihn nicht. Schwach lächelt sie, „Ja...ich weiß, ich erkläre es meiner Mutter, mach dir keinen Kopf“ er geht an ihr vorbei, bleibt kurz stehen und sieht sie an. Diese tiefblauen Augen wie der Himmel, der sich im Meer widerspiegelt, üben eine tiefe Ruhe in ihm aus. „Danke. Wir...sehen uns?“

„Klar.“ Sie lacht und er geht.
 

Auf Eriks Kopfkissen liegt ein altes Smartphone mit Spiderapp. Daneben ein Zettel. „Startguthaben sind 5 Euro, ich zeige dir die Tage wie du das Guthaben wieder Aufladen kannst, die PIN ist 1811, WLAN Passwort ist schon gespeichert“ Erik schaut sich um, sein Kleiderberg ist weg. Nadir hat wohl aufgeräumt. Er setzt sich aufs Bett, startet das Handy und speichert direkt Christines Nummer ein. Eine Weile starrt er das Handy an. Soll er sie anschreiben? Oder anrufen? Er steckt das Handy weg. Nein. Noch war nicht die Zeit dazu. Er setzte die Maske ab und verschwindet im Bad.
 

Sasha liegt auf dem Boden und bringt sich in eine bequeme Position, legt den Kopf ab und brummt leise und entspannt.
 

Hallo Christine, hier ist Erik.
 

Christines Handy leuchtet auf. Sie schaut von ihrem Laptopbildschirm zum Handy. Sie fängt an, zu lächeln.
 

Hey Erik! Das freut mich! Bist du gut zu Hause angekommen?
 

Erik liegt auf seiner Matratze. Seine Haare tropfen noch, um seine Hüfte ein Handtuch gewickelt. Er starrt sein Handy an. „Sie antwortet Sasha.“, der Hund brummt.
 

Ja, wenn es nicht regnet, bin ich morgen wieder am Platz der alten Synagoge.
 

Er setzt sich auf und geht zurück ins Bad. Dort sucht er nach seinen Salben und Cremes. Die letzten Monate hatte er sich nicht besonders gut um sich oder seine Haut gekümmert. Er weiß, wenn er sich wieder vernachlässigt, würde Nadir es irgendwann herausbekommen. Die Geduld seines Mitbewohners sollte er nicht zu sehr ausreizen. Er setzt sich auf die Matratze und beginnt, mit der Narben pflege. Nicht nur sein Gesicht ist völlig zerschunden. Auch der Rest seines Körpers ist von Narben übersät. Helle und dunkle, lange und kurze Narben, wulstige, aber auch kleine runde. Der goldene Faden tanzt um seine Haut. Er starrt diesen an. „Du bist noch da.“ Er schließt die Augen und lauscht. Seine Hände streichen über seine unebene Haut.

Er kann es hören. Die Musik, die Christine in ihm entfacht.
 

Ich freue mich auf dich, ab 14 Uhr bin ich fertig mit Uni. Bis dann.
 

Sein Handy vibriert. Er liest die Nachricht und muss unwillkürlich lächeln.
 

Der Regen wird immer heftiger. Erik und Christine retten sich unter der Markise eines Buchladens. Sasha schüttelt sich und die zwei rufen angeekelt „Nein Sasha!“ Christine schaut sich um „uhhhh Erik, wenn wir schon hier sind, kann ich kurz was nachschauen gehen?“

„Wir warten hier, Sasha sollte nicht rein, sie ist zu nass“

„Ich beeil’ mich“ und damit eilt sie los.

Erik wartet. Stöbert in der Auslage vor dem Laden. Er zieht Faust I und II raus. Mängelexemplare. Statt 3,20 € nur 1,30 €. Er sucht in seiner Hosentasche nach Kleingeld, zählt nach und bindet Sasha an einem der Bücherständer fest. „Warte“, sagt er und sie setzt sich hin. Erik hält die Bücher vor seiner Brust. Er krallt sich daran fest. Er steht am Eingang und versucht hereinzugehen. Menschen kommen entgegen, manche starren, manche drücken sich gedankenversunken an ihm vorbei. Er bricht in Schweiß aus, geht einen Schritt zurück. „Hmmmmh“ leise stöhnt er auf und dreht sich zu der Buchauslage hin. „Willst du das kaufen?“, fragt Christine hinter ihm. Er dreht sich zu ihr „J-JA!“ sie lächelt „Dann komm, ich zeig’ dir wo die Kasse ist“ der große Mann, der mindestens zwei Köpfe größer sein muss als sie, trottet ihr langsam nach. Christine hält einen dicken Bildband zu Van Gogh in den Händen. Erik schaut ihr über die Schulter „Van Gogh... ist das der mit den wirren Sternen?“ sie sieht zu ihm hoch „So kann man es auch ausdrücken, einer der wohl bekanntesten Impressionisten seiner Zeit.“ Erik schweigt und schaut sich dabei das Cover an. Da kommt es Christine „Er sagt dir nichts, oder?“ er schüttelt den Kopf „Klimt? Monet? ...Banksy?“ Er schüttelt wieder den Kopf. „Musik ist mein Spezialgebiet“ Sie starrt ihn mit offenem Mund an, gerade wollte sie noch was dazu sagen, da wird sie von der Kassiererin aufgerufen „Die nächste bitteeee“ Christine bezahlt und macht Erik Platz. Er legt schweigend die zwei Reclam-Ausgaben hin, direkt dazu das Geld, dann zieht er seine Baseballcap etwas tiefer ins Gesicht und wartet. Die Frau an der Kasse schaut ihn nicht an. „Schönen Tag noch, der nächsteee“ Er nimmt die Bücher und eilt an Christine vorbei. Raus zu seiner Sasha. Er steckt sich die Bücher in die Innentasche seiner Lederjacke und bindet die Hündin ab. Wenig später taucht Christine auf und hält Erik einen Schirm hin, „Ich hab den noch schnell gekauft“ sie lächelt.
 

Zusammengekauert laufen sie unter dem Schutz des Regenschirmes durch die Stadt, „Erik?“

„Christine.“

„Was...was ist dir passiert?“ sie sieht zu ihm auf. Ihre Stirn in Falten gelegt. Erik kann ihrem Blick nicht standhalten. Er wusste, eines Tages würde diese Frage kommen, aber schon nach so einer kurzen Zeit, das ist zu schnell. „Ich... weiß es nicht.“, murmelt er. Ihre Stirnfalten wurden tiefer, „Ich kann mich nicht erinnern. Mir fehlen ein paar Jahre“ er sieht sie wieder an „Aber es war schlimm, glaube ich“ er bleibt stehen. Er zeigt ihr seine Hände, dann die Handgelenke. „Ich glaube, es war richtig schlimm“ seine Stimme bricht. Sie nimmt seine Hände in ihre. „Das glaube ich auch...“ Da stehen sie. Händchen haltend im Regen. Der Regenschirm über Eriks Schulte hängend. Er in gebeugter Haltung, um ihr entgegenzukommen, sie leicht auf den Zehenspitzen. Sanft streichelt sie seine Hand. „Egal, was passiert ist. Erik, es ist vorbei.“, sie sieht ihn an, er versucht wenigstens dieses eine Mal ihrem Blick stand zuhalten. Wenigstens dieses eine Mal nicht zu Staub zu zerfallen. Langsam nickt er „Ja...ja das ist es“ er stimmt ihr zu und vielleicht hat sie auch recht, doch in Bezug auf ein Trauma ist es nicht dasselbe. Es hängt tief. Es sitzt in jeder Hirnwindung, in jedem Knochen in jeder Faser des Körpers. „Der Regen hat aufgehört“ sacht zieht er seine Hand aus ihren Händen und klappt den Regenschirm zusammen.
 

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Songs zum Anhören:

Stick to your Guns – Open up my Head

Olafur Arnalds – Film Credits

Familiar

Die Blätter färben sich zunehmend Gelb, Orange und Rot. Das bunte Laub tanzt von den Bäumen auf den Boden herab. Die vorlesungsfreie Zeit neigt sich dem Ende entgegen. Christine lebt ein Leben in zwei Welten, das freie lockere Studentenleben mit Meg und Raoul. Tanzen bis in den Morgengrauen. Lange Gespräche über die Geschichte der Welt, Künstler und BWL und die Überlegung das Studienfach zu wechseln. Raoul fühlte sich alles, aber nicht wohl im BWL Bereich, Jura reizt ihn mehr. Er hatte sich zum Ende des letzten Semesters für das kommende eingeschrieben und kam auf die Warteliste.

Er bekam den Platz, die drei feierten bis in den Morgengrauen.

Christine schläft bis Mittags und macht sich dann auf den Weg zum Platz der alten Synagoge. Sie sitzt neben Erik auf dem kalten Boden, eingehüllt in einen dicken, olivgrünen Parka, einen roten Schal bis zur Nase und die Haare zu einem Dutt gebunden. Erik trägt wie immer die gleiche Kleidung. „Wenn ich dich sehe, wird mir nur noch kälter“ murrt sie und setzt sich dazu „Wie hältst du das aus...“

„Der Trick ist, innerlich tot zu sein“ er grinst hinter seiner Maske. Signalisiert ihr, dass es ein Witz sein soll, und sie rümpft die Nase „Erbärmlich Erik! Das ist ein schlechter Witz“ dann grinst sie und boxt ihren Ellenbogen in seine Seite. „HEEE HEEEE, mehr Singen, weniger Boxen!“ In den letzten Wochen wurden sie Freunde. Sie weiß immer noch nicht viel über ihn. Aber es ist in Ordnung. So langsam taut er auf, das war die Hauptsache.

Er stimmt die Gitarre an, sie holt Luft und ein zarter Ton streicht durch die Herbstluft. Die Leute, die öfters zum Platz kamen, kannte das ungleiche Duo schon. Manche setzen sich absichtlich in Hörweite. Manche bringen regelmäßig Essen oder Decken. Nicht nur für Erik, auch die übrigen Punks profitierten davon. Die Sachspenden reicht Erik weiter, das Geld behält er.
 

„Deine Stimme, du hast gestern übertrieben, oder die kühle Luft tut dir nicht gut.“ Erik hört auf zu spielen und schaut sie an „Ja, das kann es sein. Ich vertrag’ die Kälte nicht so gut, ich bekomme recht schnell Probleme mit den Bronchien“ Seine Augen weiten sich hinter der Maske „Das sagst du erst jetzt?“

„Es ist halb so wild“ lenkt sie ein. Er schüttelt den Kopf „Wenn du es früher gesagt hättest, dann-“

„...-dann hättest du dafür gesorgt, dass wir nicht mehr zusammen singen. Aber ich will nicht, dass das endet“ unterbricht sie ihn. Er packt seine Sachen. „Komm, wir trinken einen Tee“ Sie seufzt und weiß, dass nur sie den Tee trinken würde. Selbst nach mehr als drei Monaten des Kennenlernens er nicht in der Lage, mit ihr zu essen oder zu trinken. Seufzend steht sie auf. Erik greift sich den Gitarrenkoffer und greift nach der Leine von Sasha.

„Ich hab übrigens bald Geburtstag“ wirft sie in den Äther und wird etwas rot dabei. Erik war sich der Gepflogenheiten bewusst, Nadir feierte jedes Jahr in den Geburtstag rein und wieder raus. „Darf ich erfahren, wie alt du wirst?“ Erik hat gelernt, Gegenfragen zu stellen. Auch dann, wenn ihn das Thema nicht sonderlich interessiert. Sie lächelt breit „Ich werde am Wochenende 20“

„Oha, junge 20 also.“

„Kommst du zu meinem Geburtstag? Ich würde dich gerne einladen“ er stockt „Zu...zu dir?“

„Wir gehen was trinken“

„Wir...?“

„Meg, Raoul und ich“ unbewusst zieht Erik Sasha näher zu sich. Die Leine ist nun mehrmals um seine Hand gewickelt „Ich weiß nicht“

„Bitte, nur dieses eine Mal. Ich werde nur einmal 20 und ich hab schon nicht viele Freunde, mit denen ich feiere, aber du gehörst dazu“ Erik spürt eine unbeschreibliche Hitze hinter der Maske, er weicht langsam vor ihr zurück. „Erik, warte“ langsam streckt sie die Hand nach seiner aus, sie wusste, wenn es ihm zu viel wird kann er einfach so verschwinden. „Hör zur, du musst nicht sofort eine Entscheidung treffen. Du hast Zeit es dir zu überlegen“ er starrt auf die Hand, konzentriert sich darauf, seinem Fluchtdrang nicht nachzugeben. „Ist gut“ er zwingt sich dazu auf sie zuzugehen. Sie lächelt. „Danke, merk dir der 11. Oktober“ er nickt langsam.
 

Erik sitzt am Küchentisch, die Maske liegt neben seiner rechten Hand, er hält eine Tasse mit schwarzem Tee. Er schaut aus dem Küchenfenster. Die Musik, der goldene Faden, tanzt durch die Küche. Er kann sie fühlen.

Sasha liegt unter dem Tisch und lauscht dem leisen Summen ihres Herrchens. Nadir kommt zur Tür rein, „Oh, du bist schon da?“

„Ich wohne hier“

„Scherzkeks, wieso so früh? Gibts Gewitter im Paradies?“ Erik rollt mit den Augen und seufzt. „Sie hat am Wochenende Geburtstag. Ich wurde eingeladen. Was schenkt man jemanden, der 20 wird?“ Nadir stockt „Warte, du datest eine, die nicht mal 20 ist?“

„Sie wird 20 und wir daten nicht. Wir sind Freunde“ der Iraner setzt sich an den Tisch „Mein Freund, am Anfang, wollen sie immer nur eine Freundschaft und dann ZACK“ er klatscht seine Hände zusammen „Dann sprühen die Funken und nun ja, den Rest erzählen die Engel“

„Deinen Optimismus in allen Ehren, aber kannst du bitte beim Thema bleiben“ Erik nippt an seiner Tasse. Nadir lenkt ein und bringt einige Vorschläge. Sie sitzen bis spät in die Nacht am Tisch und diskutieren über Geschenke, Christines Vorlieben und Abneigungen. Schließlich zählen sie das Ersparte von Erik.

„Ok, das Geld könnte reichen. Bist du dir absolut sicher, dass sie so n Ding zu Hause stehen hat?“ Erik nickt, „Ziemlich sicher“ Nadir tippt in seinem Smartphone rum „Oookay also ich hab sie dir zurücklegen lassen, schau, da musst du morgen hin und diese Abholnummer musst du angeben. Schaffst du das oder soll ich mitkommen?“

„Ich schaff’ das“, brummt Erik, steht auf und stellt seine leere Tasse in die Spüle.

„Ich geh’ ins Bett, Khan“

„Schlaf gut“, ruft Nadir und räumt die Küche auf.
 

Der Morgen hält den ersten Nebel des Herbstes bereit. Erik läuft durch die Straßen, an seiner Seite Sasha. Er braucht zu Fuß fast eine halbe Stunde bis er den Record Store erreicht. Der Ladenbesitzer öffnet die Tür, um die ersten Postkartenständer herauszuschieben, da huscht Erik auch schon an ihm vorbei. Sasha läuft unter dem Radar mit. „Ja was denn, ja was denn? So früh schon Rockigen Besuch?“ kommentiert der betagte Besitzer „Kann ich schon helfen?“ fragt er und kommt näher. Erik dreht sich um, er ragt über den älteren Mann. Ganz in Schwarz gekleidet, Kapuze über den Kopf gezogen, leuchtet die weiße Maske heraus. „Was wird das? Ein Überfall? Junge, so was macht man nicht am Morgen, wenn die Kasse noch leer ist!“ Er zeigt auf den Ausgang. Erik schüttelt den Kopf, „Ich hab etwas Reservieren lassen, die Nummer ist 2458“ der Mann starrt ihn eine Weile an. Läuft dann aber, schließlich zum Tresen und holt eine Schallplatte heraus „Du hast Glück Junge. Es ist die Letzte, diese Auflage ist jetzt schon vergriffen“ er zeigt ihm die rote Schallplatte. Erik nickt. „Perfekt. Können sie es als Geschenk verpacken?“

„Sicher“
 

Wenige Minuten später läuft Erik zufrieden nach Hause. In der linken Hand die Leine von Sasha, in der rechten Hand eine Geschenktüte, mit einem teuren Geschenk für eine Freundschaft, die erst seit drei Monaten besteht. Aber es war es ihm wert. Sie ist es ihm wert. Immer.
 

Christines Handy leuchtet auf, sie greift danach und liest.
 

Ich biete dir einen Deal an.
 

Sie hebt die Augenbrauen und antwortet.

Ich bin ganz Ohr.
 

Kurze Zeit später leuchtet das Handy wieder auf.
 

Ich feier’ mit dir rein.

Sie liest diesen Satz immer wieder.
 

Bring Schlafsachen mit, dann machen wir zwei eine Pyjamaparty. Keine Sorge, meine Mutter ist nicht da an diesem Wochenende.
 

Sie legt das Handy auf den Nachttisch und dreht sich um und nimmt Raoul in den Arm.

„Hmmm wer war das?“

„Erik. Er kommt doch zum Geburtstag“

„Nett“ er gibt ihr einen Kuss auf die Stirn. „Weiß er das mit uns schon?“

„Noch nicht.“

„Wieso?“

„Es gab noch keine Gelegenheit“

„Chrissy, 2 Monate sind keine Gelegenheit?“

„Du weißt, wie er drauf ist. Neue Dinge brauchen Zeit.“
 

Erik klingelt und tritt sich währenddessen die Springerstiefel an der Fußmatte sauber. Christine öffnet ihm und nimmt ihn in den Arm. Zum ersten Mal nimmt sie in den Arm. Seine Knie werden schwach. „Was...was tust du da?“ fragt er zaghaft. Sie atmet seinen Duft ein, er riecht nach Seife und frische Luft, „Ich begrüße dich, wie es Freunde so tun, komm rein“ sie lässt ihn los und tritt zur Seite. „Hallöchen Sasha“ grüßt sie und Sasha schüttelt sich. „Ok, du hast Schlafsachen dabei, ja? Ich hab dir das Bett im Gästezimmer hergerichtet“ er nickt, trottet ihr nach.
 

Ein Zimmer neben dem von Christine leuchtet eine kleine Tischlampe. „Tadaaaa“, ruft sie voller Stolz und zeigt auf ein frisch bezogenes Bett. „Cool.“, kommentiert er trocken und setzt seinen Rucksack ab. „Mach es dir erstmal bequem, wir treffen uns gleich im Wohnzimmer“, mit funkelnden Augen klimpert sie ihn an und stiefelt aus dem Zimmer. Erik wischt sich die schwitzigen Hände an seiner Hose ab. „Sasha...steh mir bei...“ der Hund lehnt sich an ihn. Christine rennt in Schlafsachen an seinem Zimmer vorbei, huscht die Treppe runter ins Wohnzimmer. Sasha bellt und rennt ihr hinterher. Erik starrt den beiden nach. Wortlos zieht er sich seine Schlafsachen an. Ein schwarzes Shirt und eine dunkelgraue Jogginghose. Er sitzt auf dem Bett, den Kopf in die Hände gestützt und versucht zu atmen. Eine Nacht nicht zu Hause, eine Nacht mit einer für ihn fremden, aber vertrauten Person. Er beginnt zu zittern. Übelkeit steigt in ihm hoch, sein Hals schnürt sich zu. Sasha kommt zur Tür rein, sachte wedelt sie mit dem Schweif, kommt näher und leckt ihm über das Narbengewebe am Ellenbogen. Die zerschmolzene Haut beginnt zu glänzen.
 

Erik taucht im Wohnzimmer auf. Er trägt wieder seinen Pulli. Christine lächelt ihn an „Ich hab mir gedacht, ich zeige dir meine Top 3 liebsten Liebesfilme“ Erik setzte sich daneben auf die Couch, Sasha springt auf seinen Schoß „Klingt nach Spaß“ brummt er heißer. Sie sieht ihn kurz an und mustert ihn „Wirst du krank?“

„Quatsch“

Sie starten mit 27 Dresses, während Christine lachend, weinend und schmachtend sich neben Erik auf der Couch räkelt und Chips isst, sitzt er Stock steif neben ihr und starrt ungläubig den TV an.

Der Abspann läuft, „UND?“, sie sieht ihn mit großen Augen an, Erik schaut Hilfe suchend zu Sasha. „Kitschig“

„Jaaaaaaa manchmal brauch’ ich das! Der nächste wird dafür gefühlvoller“

„...Fein.“ er schaut auf die Uhr und steht auf „Moment“ er läuft aus dem Wohnzimmer und kommt wenig später wieder. „Es ist Mitternacht. Alles Gute zum Geburtstag, Christine“ er überreicht ihr die Geschenktüte und lässt sich wieder auf seinen Platz fallen. „Awwwww dankeee“ sie schaut in die Tüte und zieht etwas schmales rechteckiges raus. „Eine Schallplatte?“

„Fragt sich nur welche“ nuschelt er.

Eine Florence and the Machine – Lunge – 10th Anniversary Limited Edition strahlt Christine aus dem aufgerissenen Geschenkpapier heraus an. Sie starrt die Platte an, sagt nichts. Erik wird nervös. „Erik...“

„I...ich kann sie umtauschen!“ fällt er ihr ins Wort „Wenn sie dir nicht gefällt...“ sie legt die Schallplatte weg und nimmt ihn zum 2. Mal an diesem Abend, in den Arm. „Vielen, vielen vielen Dank. Die war doch unbezahlbar, hast du eine Ahnung wie teuer die gehandelt wird?“ vorsichtig legt er seine Arme um ihre Taille. Sie drückt ihren Kopf auf seine Schulter. Seife und frische Luft. „Danke Erik. So etwas Schönes hat mir bisher niemand geschenkt“, mit glasigen Augen schaut sie hoch zu ihm. Das erste Mal, dass sie sich so nah sind. Sie kann sehen wie abgenutzt die Maske ist, kleine feine Risse und Kanten zeichneten sich auf ihrem Profil ab. Sie konnte seine Kieferknochen sehen und zerschmolzene Haut. Er zieht sich, ihren Blick spürend, aus ihrer Umarmung heraus und steht auf. „Ich trink’ kurz was“ Erik verschwindet in die Küche, dicht gefolgt von Sasha.

Christine schaut wieder auf die Schallplatte. Sie kennt diese Limited Edition, sie wollte diese schon einmal kaufen, der Preis war zu hoch. Hatte er sie gestohlen oder wirklich bezahlt? Woher hatte er so viel Geld?
 

Erik kommt zurück, „Wie heißt der nächste Film?“

„PS Ich liebe dich“, murmelt Christine gedankenversunken und schaut immer noch die Platte an „Erik, wieso?“

„Du hast den Film ausgesucht“ er schaut sie irritiert an, „Wieso genau SO ein Geschenk?“

„Ihr habt hier einen Plattenspieler und das erste Lied, dass du für mich gesungen hast, war von Florence and the Machine. Also wurde es dieses Album“ rattert er monoton herunter, er verstand nicht, worauf sie hinaus wollte „Diese Platte ist vergriffen. Sie ist unfassbar teuer. Wieso gibst du so viel Geld aus für mich?“

„Du hast Geburtstag?“, verständnislos blinzelt er „Christine, ich kann sie zurückgeben, wenn du die Platte nicht gut findest“ lenkt er nochmal ein „Nein...ist schon gut, bitte gib nicht mehr so viel Geld für mich aus.“

„Aber, ich mach’ es gerne“ er zuckt mit den Schultern „Aber du hast doch selber kaum-“

„Ich mache es gerne“ unterbricht er sie, hält sie dabei an den Schultern „Du atmest Musik. Du lebst Musik. Deine Stimme gleicht der eines Engels. Wenn ich dir auch nur ein bisschen Musik schenken kann, dann mache ich das gerne.“, er stockt und lässt sie los. „Für dich mache ich es gern...“ nuschelt er noch und schaut betreten weg.

Sasha’s leises Schnarchen untermalt das unerbittliche Weinen von Christine. Der Abspann von PS Ich liebe dich, schallt durch das Wohnzimmer. „Flogging Molly... Das könnten wir auch mal zusammen spielen“ kommentiert Erik unberührt. „Das ist alles, was du zu sagen hast?“ Christine schaut ihn mit geschwollenen Augen an. Er dreht sich zu ihr, zieht ein Bein auf die Couch und lehnt einen Arm auf die Lehne. „Der Film ist purer Quatsch.“, er sucht nach Worten „Er hat ihr die Möglichkeit eines richtigen Abschiedes genommen. Er hat ihr diese Briefe gegeben und diese Mission seine blöden Aufgaben zu lösen und am Ende wird sie dadurch auch noch verkuppelt, aber ganz ehrlich. Sie hatte keinen richtigen Abschied, er wusste, er stirbt und hat es ihr verheimlicht“ Erik steht auf und geht in die Küche. Christine hört Wasser in ein Glas gluckern und schnäuzt sich die Nase. „Er wollte sie doch nur Beschützen...Er hat ihr damit einen Abschied geschenkt“, Eriks Glas knallt auf die Küchenzeile „Diese Frau hat ihren Mann verloren an Krebs“ ruft er und kommt aus der Küche „Er hatte sein Todesurteil mit der Diagnose erhalten. Wovor will er sie denn Beschützen?“ Christine schweigt. Er hatte recht. „Aber die Briefe...“

„Einen riesengroßen Aufwand... Ein richtiger Abschied hätte ihr 12 Monate Trauer erspart. Am Ende wollte er sich selber beschützen. Feigling.“ er setzt sich neben sie. Sie war ein Feigling. Er hatte Recht. Sie wollte es ihm nicht sagen, weil sie Angst hatte, er würde sich von ihr abwenden. Sie wollte sich nur selbst schützen.
 

Sie schiebt die nächste DVD ein, Tatsächlich Liebe.

Der Film läuft keine 30 Minuten, da kippt Eriks Kopf nach vorne und er ist eingeschlafen. Mit der Zeit rutscht Christine näher an Erik rann und legt ihren Kopf auf seine knochige Schulter.

Der Film endet, der Abspann läuft. Beide schlafen auf der Couch.
 

Sasha’s bellen reißt Erik aus dem Schlaf. Ruckartig setzte er sich auf und schaut sich orientierungslos um. Seine Hand fährt sich über das Gesicht. Die Maske ist da, wo sie sein sollte. Er steht taumelnd auf und geht zu Sasha in den Hausflur. Christine steht im Türrahmen. Raoul steht vor ihr und sie küssen sich. Sie hält einen großen Blumenstrauß in der Hand. Erik starrt die beiden an, geht in die Hocke und greift nach Sasha’s Halsband und zieht sie von den beiden weg.

Erik kann etwas Leises knirschen hören. Sein Brustkorb schmerzt.

Die küssenden lösen sich. „Guten Morgen Erik“, ruft Raoul und wirft ihm ein perfektes perlweißes Lächeln zu. Erik schweigt. Das Bild der Küssenden geht ihm nicht aus dem Kopf. „Ich habe einen Kuchen und Donuts zum Frühstück mitgebracht“ brabbelt Raoul weiter und tritt ein, geht an Erik vorbei in die Küche. Christine kniet sich zu Erik runter. „Ich wusste nicht, dass Raoul jetzt schon kommt“

Schweigen.

Starren.

„Ich muss los“ zwingt er sich heraus. Sie will ihn aufhalten. Aber sie weiß, wenn sie ihn jetzt bedrängt, ihn zum Reden zwingt, würde es alles nur noch viel schlimmer machen.
 

Nach kurzem Packen, greift Erik nach der Leine, der Lederjacke, wirft sich den Rucksack über die Schulter und geht durch die Tür. Er sagt nichts und verschwindet.

 

 

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Songs zum anhören:

Agnes Obel – Familiar

Katzenjammer – Land of Confusion

Amy Winehouse – Valerie

Flogging Molly – If I ever leave this World Alive

Kelly Clarkson – The Trouble with Love is

 

Bother

Wolken türmen sich am Himmel. Die Sonne steht hoch.

Erik. Wo bist du? Ich bin an deinem Stammplatz.
 

Die Läden schließen.

Auch wenn du dich nicht meldest, ich komme morgen wieder.
 

Sie liegt im Bett.

Erik, bitte geh ans Handy.
 

Es klopft an der Tür. „Erik, aufstehen. Es wird Zeit, dass du aus dem Zimmer kommst“ ruft Nadir. Erik liegt auf der Matratze. Er dreht ihm den Rücken zu.
 

Ich bin am Stammplatz, die Punks sagen du warst die ganze Woche schon nicht da.
 

Sie läuft durch die Stadt, schaut sich gehetzt um.

Wo bist du?
 

Die Tür öffnet sich, Nadir kommt rein und reißt das Fenster auf. Erik liegt auf der Matratze, starrt die Wand an. „Komm, steh endlich auf. Ich hab dir was zu essen gerichtet.“
 

Sie sitzt unter dem Baum, auf dem Platz der alten Synagoge. Raoul sitzt neben ihr und liest.

Es tut mir leid. Ich hatte Angst, dass genau das passiert, was jetzt passiert ist. Bitte rede mit mir.
 

Auf einer Party läuft das Lied Dog Days Are Over

Lebst du noch? Bitte gib mir wenigstens ein Lebenszeichen.
 

Der goldene Faden ist verschwunden. Die Stille hüllt Erik mehr und mehr ein. Schweigend sitzt er am Küchentisch. Starrt sein Abendessen an. Übelkeit steigt auf. Er beißt ab. Nadir sitzt ihm gegenüber, dankbar darum, dass Erik endlich etwas isst. „Wie geht es dir heute?“

Die lange, dünne Gestalt starrt die Tischplatte an. „Gehst du heute mit Sasha raus? Wenn sie hier nochmal hin kackt, haben wir ein Problem miteinander“ führt Kahn aus und hofft auf eine Reaktion.

Erik steht auf und geht mit Sasha in sein Zimmer.

Die Tür knallt zu.
 

Sie sitzt in einer Vorlesung, hält das Handy unter dem Tisch versteckt und tippt.

Erik, bitte rede mit mir. Es tut mir leid.
 

Sasha setzt einen Haufen in die Ecke des Zimmers ab. Leise fiepst sie.
 

Sie sitzt am Esstisch, gegenüber sitzt ihr Vater, der angeregt mit seiner Frau redet.

Mein Vater ist für ein paar Tage in der Stadt! Ich hab ihm die Aufnahmen von uns gezeigt. Er lobt dich in den höchsten Tönen. Er sagt, du kannst es mal weit bringen mit der Musik.

Ich vermiss’ dich...
 

Er legt das Handy weg und stimmt die Gitarre. Er kann sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal gesungen haben. Wann sie aufgenommen wurden.
 

Hey... ich musste eben an dich denken. Wir hatten in der Vorlesung Van Gogh. Ich glaube, er konnte die Kunst genauso sehen, wie du die Musik sehen kannst, auf der Welt.

Ich vermisse dich und es tut mir leid.
 

„MIR REICHT ES, GEH RAUS MIT IHR“ Nadir schiebt Erik und Sasha zur Tür raus. Erik hämmert gegen die Tür. Er schreit. Langsam rutscht er an ihr runter. Kauert sich zusammen. Sasha leckt ihm über das verheulte Gesicht. „Lass...lass mich rein...bitte...“
 

Sie steht im Garten und schaut in den Himmel.

Hey Erik, schau schnell aus dem Fenster. Es schneit! Ich liebe den Geruch von Schnee.
 

Er öffnet das Dachfenster. Kleine Schneeflocken tanzen in das Zimmer herein. Er schließt für einen Moment die Augen. Stellt sich vor, Christine wäre hier. Stellt sich vor, dass die Dunkelheit in ihm, endlich ein Ende hat. Sein Atem verwandelt sich in Wölkchen.
 

Nadir kommt zur Tür rein „Gibst du mir Sasha, ich geh’ kurz raus mit ihr“ Nadir’s Gesicht ist fahl, dunkle Ringe zeichnen sich unter seinen Augen ab. Die letzten Wochen mit Eriks schlechter werdenden Zustand hinterlassen ihre Spuren.

„Es schneit rein.“, brummt er und nickt zum Fenster.

„Ja. Tut mir leid.“ Erik starrt betreten zu Boden.

„Ist schon gut.“, er kommt näher.

„Nein, es tut mir leid, Nadir. Ich hab mich unmöglich benommen.“

„Wie gesagt. Ist schon gut“ die Hand des Iraners legt sich sanft, auf die Schulter, der dünnen Gestalt ab.

„Ich geh’ mit ihr raus“, sagt Erik schließlich und zieht sich Schuhe an, sucht nach seiner Maske und seiner Jacke. „Komm Sasha“

Die Wohnungstür fällt ins Schloss.
 

Nadir starrt auf das zurückgelassene Handy.
 

Hey Christine, hier Nadir. Ich bin Eriks Mitbewohner. Es hat eine Weile gedauert, bis ich auf die dich gekommen bin, aber ich denke, wir müssen uns treffen.

Er steckt sein Smartphone in die Hosentasche und schließt die Tür hinter sich.
 

Das Art-Dekor Fenster des kleinen Cafés ist beschlagen. Hinter der Tresen steht eine kleine blonde Frau mit lauter Stimme. Sie lacht viel, schnackt mit den Gästen, lässt Kaffee aus der Maschine und richtet Kuchen.
 

Nadir und Christine sitzen an einem kleinen Tisch nahe am Fenster. Nadir stellt seinen Espresso ab. „Es freut mich, dass du Zeit hast. Ich weiß, du bist mitten im Semester und hast sicher viel um die Ohren.“

„Kein Problem. Wie geht es Erik? Wo ist er?“ sie hat ihren Tee nicht angerührt. „Ich will ehrlich zu dir sein. Ihm geht es nicht gut. Er kann die Wohnung aktuell kaum verlassen.“ Christine Augen werden größer und sie hält sich die Hand vor den Mund „Ist...ist er krank?“

„In gewisser Weise schon. Aber nicht körperlich... Was ist zwischen euch vorgefallen?“ Nadir beugt sich vor „Auch wenn es dir unangenehm ist, ich muss es wissen, damit ich ihm helfen kann.“ Sie mustert ihn, das Grün in seinen Augen ist mit gräulichen Flecken besprenkelt. Kleine Lachfältchen zeichnen sich um seine Augen ab, tiefe Sorgenfalten liegen auf seiner Stirn. Sein üblicher Kinnbart ist zu einem dichten Vollbart herangewachsen. Er muss in seinen Mittdreißigern sein.

Christine erzählt langsam und stockend von ihrem Geburtstag. Sie schaut dabei kaum auf. „...und das schlimmste ist. Ich hätte es ihm sagen sollen, dann wäre er nicht so überrumpelt worden...Aber ich hab damit irgendwie auch nicht gerechnet. Ich hätte es wissen müssen, so seltsam wie er sich benimmt, aber irgedendwie...da dachte ich, es wird sich schon regeln. Ich weiß nicht, wie ich es wiedergutmachen kann Nadir.“ sie greift nach ihrer Tasse.

Nadir fährt sich mit der Hand durch das schwarze Haar und lehnt sich auf dem kleinen Stuhl zurück. „Er kann mit dieser Art Situation nicht umgehen. Das hat er nie gelernt. Christine,“ Nadir leckt sich über die trockenen Lippen „Ich glaube, er mag dich echt gern. Er ist in den letzten Monaten, vor eurem Missverständnis, richtig aufgeblüht. Unserer Wohnung war voller Musik. Wir haben zusammen gegessen. Er hat mit mir geredet. Richtig geredet, wir konnten längere Gespräche führen. Er hat dieses Jahr einen immensen Fortschritt hingelegt. Aber diese zwischenmenschlichen komplizierten Dinge, die für euch Studis ja total normal sind, die kennt er nicht.“

„Was ist mit ihm passiert, Nadir?“ sie schaut auf. Nadir schweigt, starrt auf seine Espressotasse, unbewusst greift er nach dieser und schaut auf den Bodensatz.

„Das willst du nicht wissen.“ sagt er schließlich, „Stell dir das Schlimmste vor...und wundere dich, warum er noch lebt. Christine, er hat es nie gelernt.“ Nadirs Miene verdunkelt sich und er schüttelt den Kopf. „Ich möchte, dass du am Wochenende zu uns kommst. Ich werde ihn darauf vorbereiten, ihr müsst miteinander reden.“

Christine nickt sofort „Ja auf jeden Fall!“

 

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Songs zum Anhören:

Stone Sour – Bother


Nachwort zu diesem Kapitel:
Songs zum Anhören:

Die Ärzte – Himmelblau

Florence + The Machine – Dog Days Are Over

Nirvana – Smells Like Teen Spirit Komplett anzeigen

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