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Das Glück der Erde

von

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Die Goldsteingeschwister

»Und? Wie sind die so? Erzähl!«

Elena machte sich und für den Mann hinter der Kücheninsel Kaffee. Er war total aufgeregt wie ein kleines Kind, als die junge Frau ihm von ihrem gestrigen Erlebnis erzählte und überreichte ihm endlich seine heißgeliebte Tasse.

»Wie sollen die schon sein?«, fragte sie nüchtern und begann an ihrem Kaffee zu nippen. »Kleine Jungs eben, die mit Bällen spielen«

»Lenchen.« Der Mann grinste sie an und ließ sich vom Duft des heißen Getränks berauschen, bevor er einen Schluck davon nahm. Sein kastanienbraunes, volles Haar war ordentlich und, bis auf ein paar Strähnen, die seitlich am Gesicht hingen, nach hinten gekämmt. Sein weißes Shirt betonte seine athletische Statur zunehmend.

»Was willst du denn von mir hören, Timur? Dass ich die toll finde? Dass ich total begeistert von deren Fußball bin?«

»Wie wäre es denn mit „Hey Jungs, mein absoluter Lieblingsbruder ist ein großer Fan von euch Rotburgern, der jedes Spiel von euch anschaut und es wäre echt cool, wenn er ein paar Autogramme von euch bekommen könnte?“«

»Daher weht also der Wind«, zwinkerte sie ihrem Bruder zu, der gerade sein Smartphone in seine Pfoten hielt. »Gratis Autogrammkarten und vermutlich auch VIP – Pässe, um die Spieler Backstage zu treffen. I see, I see«

»Prominenz trifft auf Prominenz. Wie nennt uns die Presse noch gleich? „Die neue Generation von Reitern, die die Pferdewelt revolutionieren wird“.«

Dann musste Timur kichern, als er amüsiert aufs Display seines Smartphones starrte.

»Was ist?«, fragte sie zwischen den Schlucken ihres Kaffees.

»Du hast einen Fa – an, du hast einen Fa – an~«

»Neuer Follower auf Insta? Und?«

Er gackerte weiter. »Wenn du nur wüsstest, wer dir seit heute folgt.«

Jetzt hatte er sie. Ihre Neugierde wuchs. Sie schnappte sich Timurs Smartphone und starrte auf den Bildschirm. Er hatte ihre Instaseite aufgerufen. Das tat er oft, aber sie störte sich nicht daran. Nachdem sie auf den „Follower“ – Button drückte, hätte sie beinahe ihren Kaffee direkt auf ihren Bruder gespuckt. Stattdessen wäre sie daran beinahe erstickt, als sie sah, wessen Namen sie dort sah.

»WAS?!«

»Ja, oder? Ich hab's zuerst auch nicht glauben können und hab mir dann sein Profil genauer angesehen, und Tatsache. Genzo Wakabayashi höchstpersönlich folgt dir auf Insta.« Timur musste über den schockierten Anblick seiner Schwester so laut lachen, dass er beinahe vom Hocker gefallen wäre.

»Oh Gott, warum?«, hörte er sie jammern und musste sich seine Lachtränen wegwischen, die sich in seinen Augenwinkeln gesammelt hatten.

»Ja, warum denn nicht? Ist ja nicht so, dass der ein oder andere Fußballprofi oder anderer Profisportler uns Reitern folgt. Was ist denn schon dabei?«

»Den blockier ich jetzt.« Sie holte ihr Telefon heraus und hörte bereits das laute Einatmen ihres Bruders.

»Was?! Nein! Lass das!«

Sofort hatte Timur gleich zwei kleine Geräte in seinen Händen, um seine Schwester vor einer Dummheit zu bewahren. »Wieso willst du ihn blockieren?«

»Mit Idioten will ich nichts zu Schaffen haben«, antwortete sie fest. »Außerdem so toll ist er gar nicht. Eigentlich ist er ein ziemlicher Arsch, der Dilas schlecht macht. So einer braucht mir nicht folgen und jetzt gib mir mein Smartphone!«

Er dachte nicht daran ihr das Ding wiederzugeben, sondern ließ es zügig in seine Hosentasche verschwinden und tippte eifrig auf seinem herum.

»Timur!«, wurde sie ungehalten und stand auf.

»Ich klär das mal für dich, Schwesterchen. Bedanken kannst du dich später bei mir.«

Tipp, Tipp, Tipp. Das hörte sie immerzu, als sie ihren Bruder eifrig beim chatten beobachtete und geschockt auf dem Bildschirm starrte, als sie folgenden Text las, den Timur an Genzo schrieb:
 

Hi, Genzo! Sorry, wenn ich dich so überfalle, aber ich bin Timur Goldstein und der Bruder von Elena, der du gestern begegnet bist. Freut mich sehr, dass du Lenchen folgst, denn sie hatte gerade vorgehabt dich zu blockieren, weil du sie offenbar sauer gemacht hast und sie mit einem, ich zitiere „blöden Arsch“ nichts am Hut haben will. Ihre Worte, nicht meine :D

Schreib zurück, dann kann ich sicher etwas machen, damit ihr euch vertragen könnt! :)
 

»Ich hasse dich«

»Aww!«, freute er sich und gab seiner kleinen Schwester einen dicken Schmatzer auf die Wange. »Sei doch nicht so fies und gemein und vertrag dich mit ihm«

»Ich bin nicht fies und gemein! Er ist es und ich vertrage mich ganz sicher nicht mit ihm!«

Timurs Smartphone rumorte auf der glatt polierten, marmorierten Tischplatte und sah, dass Genzo ihm zurückschrieb:
 

Oh hi, Timur! Ja, ich bin gestern deiner reizenden Schwester eher zufällig begegnet.
 

Als der junge Mann ihr die erste Zeile der Nachricht vorlas, machte sie eine Würg – Geste. Dann hörte sie ihn weiter vorlesen und ihr wurde ein wenig mulmig zumute.
 

Und was? Sie wollte mich blockieren? Und einen blöden Arsch hat sie mich auch noch genannt? Das ist gemein :'(

Dabei habe ich so sehr gehofft, dass die innige Freundschaft zwischen Balljunge und Ponyhalterin Bestand haben könnte. Schade, schade ~
 

Timur schrieb eifrig weiter mit ihm, aber die Textnachrichten las er ihr nicht mehr vor. Es dauerte nicht lange, da folgten sich die beiden Männer gegenseitig und nach dem Gesichtsausdruck ihres Bruders zu urteilen, schienen sie sich immer mehr zu verstehen.

»Ernsthaft, Lenchen ich weiß gar nicht, was du hast. Er ist super nett!«

»Da hat wohl jemand eine neue, beste Freundin gefunden«, spottete sie über ihn und schmierte sich etwas Erdbeerkonfitüre auf ihr aufgeschnittenes Weizenbrötchen. »Krieg ich jetzt mein Telefon zurück?«

»Erst, wenn du mir versprichst Genzo nicht zu blockieren«

»Fein, ich versprech's«

»Du weißt, dass ich das prüfen kann, oder?«, zwinkerte er ihr zu und starrte direkt in das finstere Gesicht der jungen Frau.

»Bist du bei der Stasi? Jetzt gib mir endlich das verdammte Ding oder du kannst was erleben!«

Lachend steckte er seiner Schwester wieder ihr dunkelblaues Smartphone zu und Elena versprach ihrem Bruder hoch und heilig ihn nicht von ihrer Follower – Liste zu verbannen. Immerhin musste sie ihm nicht folgen und wenn er ihr hinterher schnüffeln wollte, dann sollte er das eben machen.

»Außerdem tut es ihm wegen gestern wirklich leid«, setzte Timur mit etwas mehr ernst in seiner Stimme an. »Ich hab ihm die Sache mit dir und Dilly erklärt. Ist zwar lustig sich das anzuhören, hab ihm aber auch klar gemacht, wie sehr du an ihm hängst, wie deine Beziehung zu ihm ist und du es gar nicht leiden kannst, wenn man böse von ihm spricht. Das versteht er völlig und würde sich auch gerne persönlich bei dir entschuldigen«

»So, will er das, ja?«, klang sie wenig überzeugt und biss unbeeindruckt in ihr Brötchen rein.

»Jetzt hab dich nicht so und geb' dir einen Ruck, Lenchen«, sagte er mit ein bisschen Nachdruck. »Und wenn du ihn noch immer für einen blöden Arsch hältst, dann werde ich dich nie wieder damit nerven und kannst ihn meinetwegen von der Liste streichen«

»Deal?«

»Deal.«

Jetzt vibrierte auch ihr Telefon und sah auf die eingegangene Nachricht.

»Na, wenn man vom Teufel spricht«, seufzte sie leise und las sich den Text durch, den Genzo ihr schrieb:
 

Hi, Elena. Auch auf die Gefahr hin, dass du meine Nachricht sofort löschst, wollte ich wirklich nicht respektlos zu deinem Pferd und dir gegenüber sein. Ich hab zwar deinem Bruder gesagt, dass ich das gerne persönlich klären würde, aber um das Eis irgendwie zu brechen, wollte ich ein bisschen Vorarbeit leisten und dir eine kurze Nachricht zukommen lassen. Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir das Kriegsbeil zwischen uns begraben könnten. :)
 

Liebe Grüße, Genzo
 

Bei der Nachricht musste sie ein bisschen schmunzeln, was, zu ihrem Bedauern, nicht unbemerkt blieb.

»Ha ha, du hast ihn doch gern«

»Ich find ihn weiterhin total blöd«, verteidigte sie sich schnell.

»Er hat mich gefragt, ob wir mal bei ihnen vorbeischauen könnten, wenn sie Training haben«

»Geht das denn?«

»Der Verein hat auch Öffnungszeiten für Besucher und Schaulustige«, erklärte er sachlich. »Heute wäre so ein Tag, also falls du Lust hast, komm vorbei«

»Danke, aber ich lehne ab«, winkte sie ab, was Timur dazu veranlasste ein kleines Seufzen auszustoßen.

»So werdet ihr niemals Freunde sein«

»Wer sagt denn, dass ich das will?«

»Dein schmales Lächeln, als er dir geschrieben hat und du wohlwollend darauf reagiert hast«, antwortete er augenzwinkernd.

Er trank seinen Kaffee aus und stand dann auf. »Ich jedenfalls kann es kaum erwarten Gen und die anderen persönlich zu treffen«

»Kaum schwärmst du für diesen Keeper, schon willst du ihn sofort um dich haben«

»So weit sind wir noch nicht«, scherzte Timur herzhaft. »Wir sollten aber so langsam in die Puschen kommen. Die Pferde versorgen sich nicht von allein«

»Ja.« Sie nahm schnell die letzten Bissen und den letzten Schluck ihres Kaffees zu sich und räumte das Geschirr weg. Dann ging es aus dem Haus und machten sich ans Werk.
 

»Sie ist nicht gekommen? Wie schade.«

Man konnte Shos Enttäuschung heraushören, als Timur den Jungs mitteilte, dass Elena sich entschloss nicht am Verein zu erscheinen. Bis auf Levin, Sho, Schneider und Genzo wusste der Rest der Mannschaft nicht, um was es hier ging. Viel mehr stellten sie die Frage, wer der Mann war, der bei ihnen stand.

»Okay, Chef. Klär uns auf. Wer ist das?« Es war Coleman, der zusammen mit Seaken und Minba zu seinen Kameraden schlenderte und neugierig den Besucher musterten.

Karl stellte Timur der Mannschaft vor, die ihn alle herzlich begrüßten.

»Sie hasst mich«, klagte Sho, während er es sich auf der Zuschauerbank gemütlich machte und seine Hände übers Gesicht schlug.

»Sie hasst dich nicht, Kumpel«, versuchte Timur ihn zu beruhigen. »Sie hasst ihn hier.« Er deutete mit einem Kopfnicken zu Genzo, der grinsend beide Daumen nach oben hielt.

»Und wer ist „sie“, von dem hier die Rede ist?«, wollte Minba wissen.

»Das mit Abstand hübscheste Mädchen Münchens«, schwärmte der Chinese ununterbrochen von ihr. »Ihr habt gestern echt was verpasst, sag ich euch. Wie sie mit diesem Pferd aufs Fußballfeld ritt...«

»Und ich jeden Ball von ihr gehalten habe«, fügte Genzo lachend hinzu.

»Also ein Ehrentor hättest du Elena lassen können«

»Aber dann wüsstest du nicht, dass sie Elena Goldstein heißt.«

Auch wieder wahr, dachte sich Sho und legte urplötzlich seine starken, gebräunten Hände auf Timurs Schultern. »Eine Frage hätte ich!«

Alle, einschließlich der Reiter selbst, waren gespannt darauf, was Sho wollte. Vermutungen gab es dahingehend bereits.

»...So wie du für meine Schwester schwärmst, willst du glatt wissen, ob sie einen Freund hat... oder ob du als Profifußballer jemals eine Chance bei ihr hättest, richtig?«

Seltsamerweise fürchtete sich Sho vor der Antwort. Ein merkwürdiges Gefühl breitete sich in seiner Brust aus und als er das beherzte Schulterklopfen und den wehleidigen Blick des Gegenübers bemerkte, wurde das miese Gefühl größer.

»Ich glaube die Antwort kennst du bereits – zumindest was dich als Fußballer betrifft«

»Neiiiin...« Sho war geknickt, einige seiner Kollegen lachten, andere sahen ihn mitleidig an, obwohl sie sich auch darüber amüsierten, wie der arme Spieler sich falsche Hoffnungen machte.

»Dabei ist sie doch der Traum vieler Männer. Wieso nur, wieso?«

»Sie ist kein großer Fan von Fußball«, merkte er grübelnd an. »Und Single ist sie auch seit kurzem wieder«

»Dann besteht ja doch noch Hoffnung für mich!«

»Oh man dich hat's ja richtig erwischt«, lachte Karl, was Sho Kopf kratzend und mit schüchternem Kichern erwiderte. »Viel Glück dabei«

»Das kannst du vergessen, Kollege.«

Die Männer sahen dann zu Timur, der plötzlich so ernst wurde und seine Arme verschränkte. Sein Blick hatte auf einmal jegliche Freundlichkeit verloren und sah die Spieler mit strenger Mine an.

»Sie hat momentan genug von Männern und ganz ehrlich ich möchte sie vor einer weiteren Enttäuschung bewahren. Also Finger weg von meiner Schwester, Freunde.«

Timur hatte schnell begriffen, dass tatsächlich einige Interesse an ihr hatten – nicht zuletzt, weil Sho den anderen Spielern freudestrahlend ihr Instaprofil zeigte und die Angesprochenen dahingehend für sie auch nur liebe Worte übrig hatten – und zog ab da eine Grenze. Was anfänglich als Spaß begann, wurde für ihn schlagartig ernst und das machte er den Fußballern mehr als deutlich.

»Oh. Klingt, als habe sie eine furchtbare Trennung hinter sich«

»Eigentlich sollte ich das nicht erwähnen, weil ich es Lenchen versprochen habe, aber, wenn ich wieder an dieses Arschloch denke, kommt mir die Galle hoch«

»Du musst uns hier nichts erklären«, kam es von Genzo und merkte, dass sich auf Timur Zornesfalten bildeten. »Allein deine Reaktion auf ihren Exfreund sagt doch schon alles«

»Elena ist wirklich ein herzensguter Mensch und hat jemanden verdient, der sie aufbaut, motiviert, unterstützt. Einfach auf den sie sich verlassen kann und keinen selbstgefälligen Idioten, dem seine eigene Karriere wichtiger ist als seine Freundin.«

Ein missmutiges Raunen ging plötzlich um, als Timur darauf ansprach. Das Thema kannten viele Sportler und besonders in der Fußballwelt konnten sie den ein oder anderen Partner ihrer Kollegen beobachten, wie sie eher auf den Erfolg des Spielers aus waren, als um die Person selbst. Geld ist ein unglaublich effektiver Köder für solches Klientel und nicht selten kam es vor, dass die verwöhnten Spielerfrauen sich gerne an die Teamkollegen ihrer Männer heran schmissen. Dass das Einfluss auf die Kameradschaft und den Spielfluss hatte, war ihnen völlig egal gewesen. Wer in deren Augen nicht gut spielte, verdiente weniger und suchten sich dann anderorts eine Geldquelle, um ihren verschwenderischen Luxus auszuleben.

Das kannten Genzos Jungs gut. Das Gefühl von diesen Mädchen nur ausgenutzt und als kleine Errungenschaft angesehen zu werden, bis sie was besseres fanden und sie fallen ließen. Er hatte das bei einigen der Grünwälder, aber auch bei den Rotburgern hautnah miterleben müssen, wie die Freundinnen seiner Kollegen mit anderen Spielern fremdgingen und sich daraufhin auf unschöne Weise trennten.

Weibliche Fans hatten sie mehr als genug und welcher Profifußballer freute sich nicht darüber. Aber unter ihnen jemanden zu finden, der es wirklich ernst mit ihnen meinte, war wie eine Nadel im Heuhaufen zu finden. Genzo musste diese Erfahrung zum Glück nicht machen. Seine letzte Beziehung lag Jahre zurück und hatte sich bis dahin nicht in irgendwelche Frauenabenteuer gestürzt. Nicht einmal One Night Stands hatten ihn gereizt. Dafür war er einfach nicht der Typ. Er erinnerte sich gern an seine erste und bis jetzt einzige Beziehung, die er führen durfte.

Damals lebte er in Hamburg und spielte für den FC Grünwald. Er war vierzehn, als er Nina kennen und lieben lernte. In dieser Zeit hatte er bereits begonnen sich einen Namen in Deutschland zu machen und sich einen Stammplatz bei der Mannschaft zu sichern. Es war alles andere als leicht gewesen, aber Nina war diejenige, die ihn immer unterstützt und motiviert hatte weiter am Ball zu bleiben und diese Hartnäckigkeit hatte sich letztendlich ausgezahlt. Sie führten eine sehr glückliche Beziehung, taten alles, was Paare nun mal machten und erlebte sogar mit ihr sein Erstes Mal. Perfekter hätte es für ihn damals nicht sein können, doch das Schicksal meinte es nicht gut mit ihnen.

Ihre Beziehung hielt nur ein Jahr, da Nina in den Vereinigten Staaten umziehen sollte, weil ihre Eltern dort ein Jobangebot hatten, den sie annahmen. Sie sprachen sich lange aus und kamen zu dem Schluss, dass eine Fernbeziehung für sie nicht in Frage käme. Sie gingen in Frieden auseinander, wünschten sich gegenseitig, dass ihre Träume in Erfüllung gingen und sahen sich das letzte Mal am Flughafen. Genzo war sehr bestürzt darüber, dass seine erste große Liebe so ein Ende nahm. Gleichzeitig aber war er froh darüber solch eine Erfahrung machen zu dürfen und hoffte für sie, dass sie in den USA jemand Nettes fand, der sie noch viel glücklicher machen konnte als er es je könnte.

»Mann, da denkt man, man könnte sich ein nettes Mädel anlachen, nur um dann enttäuscht zu sein«, hörte Genzo plötzlich Seaken sagen.

»Was soll man denn machen? Viele von denen sehen aber auch zum Anbeißen aus«, musste Coleman zugeben und musste dabei lachen.

»Eine hübsche Verpackung hat noch lange keinen schmackhaften Inhalt...«, murmelte Genzo in Gedanken und ignorierte Kalles fragenden Blick.

»Vielleicht solltet ihr anderswo auf Brautschau gehen?«, schlug Timur lächelnd vor. »Welche, die sich nicht als Influencer oder sonst was bezeichnen, sondern einfach nur... na ja... ganz normale Mädels sind? Die habe ich persönlich viel lieber um mich als diese gekünstelten Weiber, die mir oft im Blitzlichtgewitter begegnen. Da habt ihr viel mehr von, glaubt mir.«

Ein Anreiz, den die Sportler ernsthaft in Erwägung zogen.

»Vielleicht doch keine so schlechte Idee, Jungs«, Coleman und die anderen schienen ihm zuzustimmen.

Timur verabschiedete sich dann von der Mannschaft und trat den Rückzug zum Goldsteingestüt an. Während die Fußballer ihrerseits auf dem Weg nach Hause waren, rannte Genzo mit gepackter Sporttasche zum Reiter, der gerade ins Auto stieg.

»Tim, warte mal!«, hielt er ihn auf und legte seine Hand auf das silberfarbene Autodach. »Bist du auf dem Weg nach Hause?«

»Ja, wieso? Willst du dir das Gestüt anschauen?«

»Eigentlich wollte ich die Sache mit Elena klären und habe gehofft, dass sie heute auf dem Vereinsgelände kommt«, kratzte er sich verlegen am Kinn. »Und ich kann mir auch das Gestüt aus der Nähe ansehen. Ich habe bereits einen kleinen Einblick davon auf eurer Website bekommen und oh Mann! Pferd müsste man sein, um da leben zu dürfen.«

Die Männer lachten, dann stieg Genzo auf die Beifahrerseite ein und schmiss seine Sporttasche in den Rücksitz. Während der rund zehnminütigen Autofahrt über die weiten Felder beantwortete Timur jede Frage, die Genzo ihm rund um das Thema Pferd stellte. Der Keeper hörte aufmerksam zu. Er hätte nie gedacht, wie umfangreich und komplex die Pflege und Ausbildung der Pferde wirklich war. Ehrlich gesagt wusste er nicht, warum ihm dieses Thema auf einmal interessierte, aber das tat es.

»Und ich dachte immer, man sitzt einfach auf dem Sattel, zieht an den Zügeln und sagt dem Tier, wohin man reiten will«

»Oh, das hören wir Reiter absolut nicht gern«, kommentierte er lachend. »Beim Reiten geht es viel mehr als nur dem Pferd zu sagen, in welche Richtung es zu laufen hat. Es geht um Vertrauen und Respekt, welches man aufbaut. Das Pferd ist unser Freund. Es will unser Freund sein, ein Gefährte und Partner sein. So ein Band zwischen Pferd und Reiter kann niemals reißen, wenn beide sich ihr Vertrauen hart erarbeitet haben. Turnierpferde haben zum Teil ein hartes Leben. Nicht jeder Reiter sieht sein Pferd als Freund, sondern als Sportgerät an. Sie fordern von ihnen Leistung, die Tiere wollen leisten, aber wenn die Leistung über das Wohl des Pferdes liegt, hört da schon der Sportsgeist auf. Reiten ist ein Teamsport und wenn man verbissen an die Sache herangeht, kommt nicht weit und das tut weder dem Reiter noch dem Pferd gut.«

Genzo ließ die Worte auf sich wirken. So hatte er es nie gesehen und es machte ihn traurig, dass es auch in dieser Szene schwarze Schafe gab. Eigentlich sollte es ihn gar nicht überraschen. Es war doch überall so, dass, wenn es um viel Geld ging, nicht wenige über Leichen gingen.

»Deswegen tun wir Goldsteins alles, damit wir der Welt zeigen können, dass Reitsport auch toll sein kann und dass man durchaus mit gesunden, motivierten und vor allem glücklichen Pferden Turniere bestreiten und auch gewinnen kann. Ja, wir bilden Sportpferde aus. Das war schon seit der Gründung dieses Gestüts der Fall gewesen, aber sie dürfen und müssen sogar Pferd sein, damit sie voller Elan in den Training starten können und danach viel Freizeit haben, um mit anderen Pferden zusammen auf unserer Koppel zu grasen und zu spielen«

»Das ist schön zu hören, ehrlich«

»Tut auch unter anderem unserem Image gut, wenn jeder sieht, wie wir uns um die Tiere kümmern«, fügte er hinzu. »Schlechte Publicity können wir uns nicht leisten und die Anerkennung, die meine Familie sich hart erarbeitet hat, dürfen und wollen wir nicht wegen Negativschlagzeilen beflecken. Nicht, dass du jetzt denkst uns geht es nur darum! Uns geht es wirklich um die Pferde und in der turkmenischen Kultur haben sie einen extrem hohen Stellenwert«

»Ach tatsächlich?«

Stolz erzählte Timur einiges über das Land seiner Familie und über die besondere Verbindung zu den Pferden. Was sie für das Volk bedeuteten und dass selbst das Pferd immer zuerst freudig begrüßt wurde, ehe die Familienmitglieder dran kämen.

»Würdest du meine Schwester fragen, ob sie mich oder Dilas vor einem Brand retten würde, sie würde ohne Zögern das Pferd wählen.«

Er lachte und Genzo hatte für ihn nur einen schrägen Blick übrig. Ihm war schon zu Ohren gekommen, dass Reiterinnen eine besondere Bindung zu ihren behuften Lieblingen hatten, aber dass es in manchen Ländern so extrem sein konnte, hätte er nicht gedacht. Verrückte Pferdewelt, dachte er sich und sah wieder aus dem Fenster.

»Du hast doch etwas, Kumpel.«

Der Keeper warf ihm einen fragenden Seitenblick zu, als er auf halber Strecke kein Ton mehr von sich gab.

»Du schaust mir so aus, als wärst du gedanklich ganz woanders. Ist alles in Ordnung?«

»Na ja...«, begann er zu antworten, wusste jedoch nicht, ob er weitersagen sollte.

»Ich beiß' dich schon nicht, also wo drückt der Schuh?«

»Eigentlich geht es mich auch nichts an... und ich weiß nicht, ob ich da wirklich nachbohren soll...«

»Du meinst Elenas Ex – Geschichte, oder?«

Genzo traute sich nicht ihm zu antworten geschweige ihn anzusehen. Timur lächelte warm. Offenbar war es dem Spieler wichtig, wie es seiner kleinen Schwester ging. Sie kannten sich nicht einmal wirklich und machte sich jetzt schon Sorgen um sie.

»Och, ich denke ich kann es dir erzählen. Aber nur, weil du es bist.«

Sie erreichten ein elegantes, schwarzes und mit goldenen Ornamenten verziertes Tor, welches augenblicklich für den Wagen des Reiters geöffnet wurde und durch eine Allee fuhr. Schon von weitem konnte Genzo die riesige Reitanlage der Familie Goldstein entdecken. Pferde mit goldschimmerndem Fell konnte der Fußballer zwischen den üppigen Eichen grasen und munter galoppieren sehen.

»Jens Küpfer«, antwortete Timur lose. »So hieß ihr Exfreund. Er ist Sportjournalist und berichtet vorläufig über die Ereignisse rund um den Fußball. Selbsterklärend ist er begeisterter Fußballfan und in seiner Freizeit verbringt er auch ganz oft auf dem Platz – zusammen mit seinen Freunden«

»Ok, kein Vereinsmitglied also«

»Nö, dafür reichen seine Fähigkeiten bei weitem nicht aus, um als Profi wirklich durchzustarten. Du machst es ja hauptberuflich und stehst gefühlt den ganzen Tag auf dem Feld, aber für ihn als Sportjournalist fehlt einfach die Zeit dafür richtig zu spielen. Sie lernten sich auf einem Schützenfest kennen und verliebten sich schnell, aber ich hatte bei ihm von Beginn an ein mulmiges Gefühl gehabt, gleichzeitig wollte ich ihrem Glück nicht im Wege stehen. Er war ihr erster Freund und ich freute mich ja auch für sie, nur... ab da ging bei ihnen alles drunter und drüber«

»Wie das?«, fragte Genzo vorsichtig.

»Nun am Anfang unternahmen sie eine Menge zusammen und es schien, als wäre sie mit Jens glücklich gewesen, aber als Elena mehr Zeit für die Pflege und das Training von Dilas investierte, besonders dann, sobald Turniere anstanden, da begannen die ersten Probleme. Er fand es, in seinen Augen, unfair, dass sie mehr Zeit auf dem Gestüt als mit ihm verbrachte. Sie hatte Verständnis für seinen Unmut, aber zeitgleich hatte sie versucht ihm zu erklären, dass der Reitsport für sie kein Hobby, sondern Arbeit ist, mit dem sie ihr Geld verdient. Sie trainiert die Pferde, vermittelt sie zusammen mit unseren Eltern an Kunden, die unsere Tiere kaufen wollen, nimmt an Turnieren teil und kümmert sich um die Pflege der Ausrüstung. Natürlich haben wir dafür auch Personal, aber Elena besteht darauf, dass sie sich zumindest alleine um Dilly kümmert und dass das enorm zeitaufwändig ist, muss ich dir hoffentlich nicht erklären«

»Nein«, antwortete er leise. »Natürlich nicht«

»Jens sah das nicht wirklich ein und es gab dahingehend oft Streit zwischen ihnen. Um die Wogen irgendwie glätten zu können, hatte sie sogar begonnen etwas zurückzustecken, damit sie es ihm recht machen konnte, um gemeinsame Zeit zu verbringen. Meist gab sie ein Teil ihrer Arbeit an mich ab, damit sie Jens öfters sehen konnte, was ich ihr zuliebe tat. Ab da mochte ich ihn echt nicht und habe Elena darauf angesprochen, aber sie meinte, dass es nur eine Eingewöhnungsphase sei und dass ihr Ex für ihre Arbeit früher oder später Verständnis hätte. Kannst dir ja denken, was von seiner Seite aus kam, oder?«

»Ich habe da so eine vage Vermutung.«

Die Stimmung im Wagen wurde zunehmend dunkler. Selbst Genzo bekam ein unangenehmes Kribbeln im Bauch, während Timur ihm die Geschichte erzählte und behielt seinen festen und mittlerweile unterkühlten Blick weiter auf die Koppel gerichtet.

»Er nahm ihre Kompromissbereitschaft als selbstverständlich an. Glaubst du er hat das Gleiche auch für sie getan? Und wenn sie mal wirklich freie Tage hatte, um sich mit ihm zu treffen, hatte er sie immerzu vertröstet. War mit seinen Jungs verabredet oder musste länger Arbeiten. Oder aber sein Verleger brachte ihn für Events in irgendwelche Länder, um dort über den Fußball zu berichten. Ihm war es auch erlaubt jemandem mitzunehmen. Dass er nicht einmal daran dachte, Lenchen zu fragen, kam ihm nicht in den Sinn. Vermutlich glaubte er, sie hätte ohnehin keine Zeit für ihn, obwohl sie viel für ihn zurücksteckte, nur, um paradoxerweise Zeit mit ihm zu verbringen.« Timur stoppte, als er endlich das Gestüt erreichte und Genzo beinahe die Augen ausfielen, als er die luxuriöse Einrichtung in Natura bestaunte. Alles wirkte so edel und bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Gepflegte Hecken, die dunkle Fassade der Gebäude war sauber und selbst auf dem Boden zeigte sich kein einziger, schmutziger Fleck. Kurios, wenn man bedachte, dass es sich hier um eine Reitanlage handelte und er zumindest Strohreste auf den Boden vermutete.

Er beobachtete ein paar Menschen, die sich gerade um die Pferde kümmerten und manch einer leere Schubkarren in Richtung der Ställe führten, um die Boxen zu reinigen.

»Ziemlich cool hier, oder?«, lachte Timur und fuhr einem bedachten Durchgang entlang, wo ihnen ein Springbrunnen begrüßte und auf dem Sockel eine Pferdestatue thronte, die sich imposant auf den Hinterbeinen aufrichtete.

»Ich glaub ich hab den falschen Beruf ausgesucht«, sah er die Villen, die sich hinter dem Gestüt zeigten und auch zur Goldsteinfamilie gehörten.

»Ach was. Beim Fußball verdient man doch auch eine Menge.«

Der Wagen hielt dann vor einer Ausfahrt an und drehte den Zündschlüssel um. Sofort verstummte der Motor und der Wagen bewegte sich nicht mehr. Der Reiter blieb noch eine Weile still im Wagen sitzen und hatte noch immer eine Hand auf dem Lenkrad liegen.

»Tim?«

»Ich hasse diesen Kerl wirklich.«

Er kochte innerlich vor Wut und das konnte Genzo an seiner angespannten Körperhaltung sehen. Und nach allem, was er so von ihm hörte, konnte er ihn zu eintausend Prozent verstehen.

»Er hat sich wirklich einen Dreck für sie interessiert. Er hatte sogar mehrmals ihr Angebot abgelehnt sie mal auf dem Gestüt zu besuchen. Er wollte den "Pferdegestank" nicht an seiner Kleidung haben oder auch nur in der Nähe dieser Tiere kommen. Einmal hatte er sie ernsthaft gefragt, warum sie eine Reiterin ist und warum sie nicht etwas anderes hätte machen können. Das war der Moment, wo sie ernsthaft die Beziehung in Frage gestellt hatte und sich nicht sicher war, ob das noch mit ihm Sinn machte. Ich sagte ihr, was ich von ihrem tollen Freund hielt, riet ihr aber auf ihr Bauchgefühl zu hören. So kam es schließlich, dass sie ihren Ex spontan in seine Wohnung besuchen kam und... nun... ihn mit einer anderen Frau inflagranti erwischt hat. Und seit dem gehen sie getrennte Wege. Zum Glück, kann ich da nur sagen.«

Genzo war fassungslos. Ihm verschlug es wortwörtlich die Sprache. Er hatte absolut keine Ahnung, was er daraufhin sagen sollte. Dieser Scheißkerl, dachte er und er spürte, dass auch ihm langsam die Wut hochkam.

»Wenn... wenn er sich für ihren Sport nie wirklich interessiert hat«, setzte er in Ruhe an, nachdem er endlich in der Lage war wieder etwas zu sagen. »warum war er dann mit ihr zusammen?«

»Ach Genzo. Diese Frage ist selbsterklärend. Geld und Erfolg sind attraktiv. Und sie sieht obendrein auch noch Top aus. Welcher Mann hätte denn nicht gerne ein berühmtes Anhängsel an seiner Seite, mit dem er angeben kann? Hat auch seine Karriere ordentlich gepusht, als rauskam, dass er mit einer bekannten Turnierreiterin zusammen kam. Und das Schlimme dabei ist, er kam aus der Geschichte relativ gut weg – zumindest in der Öffentlichkeit«

»Was?!«, glaubte Genzo sich verhört zu haben. »Hat er sich irgendwie rausreden können oder was ist passiert?«

»Das war Elena«, sagte er schlicht. »Sie gab der Presse bekannt, dass sie einfach zu unterschiedlich waren und hat gemeint, dass sie „im Guten“ auseinandergegangen sind. Sie hat bewusst gelogen, damit die Presse vom eigentlichen Grund nichts mitbekommt. Sie wollte das Ganze einfach hinter sich haben und nicht von der ganzen Welt bemitleidet werden. Auch hat sie das gemacht, um ihn zu schützen, weil sie, trotz allem, was er ihr angetan hat, nicht wollte, dass er Probleme bekommt. Sie hat so viel für ihn getan und dafür so gut wie nichts von ihm verlangt, außer Respekt, Liebe und Zuneigung, die er ihr nicht wirklich gab. Es tat mir weh sie in ihrem Trennungsschmerz zu sehen, aber ich denke mir, dass sie darüber hinweg gekommen ist. Sie hat auch eingesehen, dass Jens rückblickend einfach ein totaler Vollidiot ist, der ein so tolles Mädchen hinterging. So eine wie Lenchen wird der Trottel nie wieder kriegen.«

Dem war nichts mehr hinzuzufügen. Der Keeper fand es bemerkenswert, wie viel Größe die junge Frau ihm gegenüber zeigte und trotz seiner miesen Masche ihn nicht vor der ganzen Welt vorgeführt hatte. Verdient hätte er es allemal. Er wusste nicht, ob er es jemals gekonnt hätte, wäre er an ihrer Stelle gewesen. Er bemerkte nicht einmal, wie er zu lächeln begann, wenn er auch nur ihren Namen hörte... oder an sie dachte.

»Tu mir ein Gefallen und sag ihr nix davon, okay? Ich hab es dir nur anvertraut, weil du wirklich in Ordnung bist... und du auch einer meiner Lieblingsspieler bei den Rotburgern bist.«

Genzo musste unweigerlich lachen und sah ihn an. »Jetzt muss ich dir ein paar Autogramme geben und ein Selfie mit dir machen. Und ich werde nichts verraten, versprochen. Danke für dein Vertrauen in mich. Ich habe jetzt ein völlig anderes Bild, was deine Schwester angeht«

»Na ja. Die Chancen stehen gut, dass ihr euch doch noch zusammenrauft und euch anfreundet. Ich merk dir an, dass du kein Beef mit ihr haben und du dich wirklich bei ihr entschuldigen willst.«

Dann öffnete Timur die Fahrertür und deutete Genzo damit an das Gleiche zu tun. Sie stiegen aus dem Wagen und der Reiter schloss ihn ab.

»So«, sagte er, während er sich kurz streckte und sich den Nacken ausgiebig rieb. »Dann wollen wir mal schauen, wo sich meine Lieblingsnervensäge aufhält.«



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