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Anfängerfehler

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Wie immer gilt: Wem Rechtschreib-, Zeichensetzungs- oder Grammatikfehler auffallen, darf mir das gerne mitteilen :) Komplett anzeigen

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Anfängerfehler

„Grab gefälligst schneller, Sam!“ Parallel zu der Aufforderung ertönte ein lautes Krachen, als Dean einen weiteren Schuss aus seiner Schrotflinte abfeuerte.

Der Angesprochene sparte sich eine schnippische Antwort, während er die Zähne zusammenbiss und seine eh schon brennenden Armmuskeln zu neuen Höchstleistungen antrieb. Das Erdreich war dank des Regens, der gestern niedergegangen war, noch relativ feucht und gab sich alle Mühe, Sam das Leben noch schwerer, als es ohnehin schon war, zu machen. Mit einem unterdrückten Fluch auf den Lippen schleuderte Sam eine weitere Schaufel voll nasser Erde über seine Schulter.

Erneut war schräg über ihm ein Knall zu hören und Sam hoffte, dass Dean noch etwas durchhalten würde. Gott, wie hatte das hier eigentlich so schief gehen können? Es war ein absoluter Anfängerfehler gewesen, zu glauben, dass es ein ganz simpler Job werden würde. Und dabei hatte doch alles so vielversprechend angefangen.

 

                                                                                                                        ~ Sieben Tage zuvor ~

 

Sam war gerade von seiner morgendlichen Joggingrunde zurückgekehrt und sehnte sich in erster Linie nach einer warmen Dusche. Zwar war von ihnen beiden Dean derjenige, der mit Vorliebe ausgiebig und brühend heiß duschte und sich immer wieder aufs Neue für den großartigen Wasserdruck im Bunker begeistern konnte, aber wenn Sam ehrlich war, genoss auch er die Vorzüge, die ihnen ihr Hauptquartier in dieser Hinsicht bot. Im Gemeinschaftsbad gab es mehr als genug Duschen für sie beide, sodass kein Streit mehr über die Frage entbrannte, wer als erster die Dusche in Anspruch nehmen durfte, wenn sie beide mal wieder erschöpft und blut- und dreckverschmiert von einer Jagd nach Hause zurückkehrten. Sie mussten auch nicht befürchten, dass ihnen jemals das warme Wasser ausging. Nach all der Zeit im Bunker wusste Sam zwar immer noch nicht, wie genau das möglich war - wenn er raten müsste, würde er auf Magie tippen -, aber Dean hatte es sich zu Beginn ihres Einzugs nicht nehmen lassen, einen ganzen Tag lang das warme Wasser im gesamten Gebäude laufen zu lassen, nur um ganz sicher zu gehen. („Ist ja nicht so, als müssten wir uns um eine Wasserrechnung Sorgen machen, oder Sammy?“)

Und das Beste war die ungewohnte Geräumigkeit. Vorbei waren die Zeiten des sich in enge Duschkabinen hineinquetschen müssen und es war auch kein zusammenkauern, weil der Duschkopf mal wieder so niedrig angebracht war, dass Sam nur gebückt darunter Platz fand, mehr nötig.

Beschwingt stieg er daher die Treppe des Bunkers hinab, um auf direkten Weg in ihren großzügigen Duschraum abzubiegen, als Dean ihm am Fuß der Treppe den Weg versperrte und ihm einen Strich durch die Rechnung machte.

„Ich hab einen Fall für uns. Lies“, forderte er ohne jegliche Morgenbegrüßung und drückte seinem Bruder eine zusammengerollte Zeitung in die Hand. Irritiert sah Sam zwischen Deans Gesicht und der Zeitung hin und her.

„Seit wann liest du den Kansas Daily Star?“, fragte er ehrlich verdutzt. „Funktioniert unser WLAN etwa nicht mehr?“ Mental ging er schon mögliche Gründe für einen potenziellen Schaden an ihrer Internetverbindung durch. Sam fand es noch immer erstaunlich, dass es so unkompliziert gewesen war, im Inneren des Gebäudes überhaupt Internetzugriff zu bekommen, wo der Bunker doch relativ alt, sehr gut geschützt und mit dicken Mauern ausgestattet war.

Dean verdrehte seine grüne Augen.

„Keine Sorge, du Nerd. Damit ist alles in bester Ordnung und die Zeitung gab’s gratis zu den Brötchen dazu. Sie ist vom Vortag und Estelle hat darauf bestanden, dass ich sie mitnehme, wo du doch so gerne Kreuzworträtsel machst.“ Sam musste schmunzeln. Estelle arbeitete in der lokalen Bäckerei und hatte einen Narren an Dean und ihm gefressen, seit sie ihr mit einem dauerpiepsenden Rauchmelder geholfen hatten. Sie ließ es sich nicht nehmen, ihnen seitdem immer besonders zuvorkommend zu begegnen und ihnen mit großer Freude Gratisbackproben mitzugeben. Anfangs hatte Dean noch protestiert, schließlich waren es - wie er mehrfach betont hatte - nur die Batterien gewesen, die gewechselt werden mussten, aber nachdem er zum ersten Mal einen der hauseigenen Apfelkuchen gekostet hatte, war seine Gegenwehr abrupt zum Erliegen gekommen. Stattdessen hatte er die Bäckerei zu seinem neuen Lieblingsladen erklärt und machte nun auffallend viele Ausflüge dorthin, um Brötchen und anderes Gebäck zu kaufen. Wäre Estelle nicht schon in ihren 60ern gewesen, hätte Sam vermutet, dass es nicht nur die Backwaren waren, die Deans Interesse geweckt hatten.

Auffordernd deutete Dean auf die Zeitung.

„Du wirst es nicht glauben, Sammy, aber ich habe den perfekten Fall gefunden, um dich dieses Jahr aus deiner Anti-Halloween-Stimmung zu reißen.“ Sam unterdrückte nur mühsam ein genervtes Stöhnen, wie so oft, wenn die Sprache auf Halloween und seine Abneigung dagegen kam. Ehrlich gesagt war es für ihn ein viel größeres Rätsel, wie Dean sich derart für diesen Tag begeistern konnte. Sicher, es gab haufenweise Slasherfilme, aber die konnte man sich auch an anderen Tagen des Jahres ansehen - wenn man sie denn überhaupt sehen wollte.

War es möglich, dass Dean wirklich verdrängt hatte, wie viel reizbarer und noch unzugänglicher als sonst ihr Dad rund um Halloween immer gewesen war? Der gewaltsame Tod von Mary hatte zu dieser Zeit des Jahres stets wie ein ganz besonders dunkler Schatten über ihnen gelegen und Dad war in den Tagen rund um ihren Todestag wahlweise in mürrisches Schweigen verfallen, hatte Sam verärgert den Mund verboten, selbst wenn er nur simple Fragen gestellt hatte oder hatte sich in schöner Regelmäßigkeit fast bis zur Besinnungslosigkeit in Kneipen betrunken, nur um anschließend verkatert und noch schlechter gelaunt als vorher zu sein.

„Hat es Zeit bis nach meiner Dusche?“ Deans Gesicht verzog sich, während sein Blick über Sams verschwitztes Laufshirt und die feuchten Haare seines kleinen Bruder glitt, als wäre ihm erst jetzt aufgefallen, wie Sam aussah.

„Allerdings, aber beeil dich.“

 

„Ein Geist?“

„Nein, ein - und ich zitiere - blasses, dunkelhaariges Mädchen, das aussieht wie Sadako, nur heißer, in einem weißen Kleid, das teleportieren kann und einem die Augen auskratzt, wenn man nach dem Amulett-“

„Also ein Geist?“

„Nein, ich hab doch gerade- Schön, ja, vermutlich ein Geist. Aber ein Geist aus The Ring, also quasi ein Ringgeist und-“ Sam massierte mit geschlossenen Augen seine Nasenwurzel und gab sich große Mühe, sein gequältes Seufzen zurückzuhalten. War das wirklich der Grund, warum er eben seine wohl verdiente Dusche abgekürzt hatte?

„Ist das dein Ernst? Das soll deine große Überleitung sein?“ Deans Begeisterung fiel angesichts der Reaktion seines Bruders merklich in sich zusammen.

„Schon gut, du Grinch“, grummelte er. „Sei nur weiterhin so griesgrämig und mürrisch, wie dein grünes, haariges Vorbild und du wirst schon sehen, was du davon hast.“

„Der Grinch hasst Weihnachten“, wandte Sam umgehend ein. „Ich hab nichts gegen Weihnachten, sondern gegen deine schlechten Wortspiele.“ Der Impuls, Dean zu widersprechen und ihn zu korrigieren, wann immer dieser falsch lag, war etwas, das Sam im Laufe der Jahre nahezu in Fleisch und Blut übergegangen war. Nicht immer wollte oder konnte er die Worte zurückhalten, die sich in solchen Momenten wie selbstverständlich ihren Weg bahnen wollten. Fast erwartete er, dass Dean sich nun zu einer ausgiebigen Diskussion über die Genialität seiner Wortspiele hinreißen lassen würde, aber zu seiner Überraschung ging der gar nicht auf die Belehrung seines kleinen Bruders ein. Er strich lediglich die Zeitung auf dem Küchentisch glatt und tippte mit dem Zeigefinger auf den Artikel, der seine Aufmerksamkeit erregt hatte.

„Fakt ist: Sie treibt in einem alten, verlassenen Haus in Topeka ihr Unwesen, was quasi in unserer Nachbarschaft ist. Sie hat dort schon mehrere Leute schwer verletzt und alles scheint mit einem ganz bestimmten alten Amulett zusammenzuhängen, das dort ist. Und nächste Woche ist Halloween.“

„Ich hab keine Ahnung, was letzteres damit zu tun haben soll, aber du hast Recht. Wir sollten das Amulett verbrennen, damit nicht noch mehr Teenager wegen blöder Mutproben zu Schaden kommen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jemand stirbt.“ Dean schenkte Sam ein anerkennendes Nicken und klopfte ihm auf die Schulter.

„Das ist die richtige Einstellung. Also: Abflug in 20 Minuten bei Baby. Pack deine Tasche.“

 

Bis dahin war alles gut gewesen. Auch nach ihrer Ankunft in Topeka (was nach Sams Definition von Entfernungen definitiv nicht in ihrer Nachbarschaft lag) hatte nichts auf zu erwartende Schwierigkeiten hingedeutet.

Sie befragten zuerst mehrere Jugendliche, die direkt („Und dann hat sie sich einfach auf ihn gestürzt. Wie ein Vampir. Nur, dass sie nicht zugebissen hat, sondern ihm die Augen auskratzen wollte. Vielleicht wollte sie ihn auch nur würgen. Sie hat nach der alten Kette gegriffen, die Mike dort gefunden hat. Irgendwie hab ich die auf einmal in den Händen gehabt. Und dann ist sie auf mich losgegangen, bis ich das Ding fallen gelassen hab. Mann, hatte die scharfe Fingernägel!“) oder indirekt („Ich war draußen, weil ich mich nicht wirklich rein getraut hab. Meine Mom würde mich umbringen, wenn ich in ein altes Haus einbrechen würde, aber Brian wollte unbedingt sein blödes Selfie machen, wegen dieser dämlichen Mutprobe. Und dann hab ich ihn schreien gehört. Also bin ich doch rein gerannt und hab ihn ohnmächtig auf dem Boden liegend gefunden. Sah aus, als wäre er durch ein morsches Geländer im 1. Stock gebrochen. Er lag inmitten von altem Porzellan und neben ihm eine Kette mit Anhänger. Und dann war sie auf einmal da. Hat einfach da gestanden in ihrem altmodischen weißen Kleid, hat das Medaillon angestarrt und gelächelt. Mir hat’s einen richtigen Schauer über den Rücken laufen lassen. Und dann... Ich weiß nicht, ich erinnere mich nur noch daran, dass ich auf einmal so wütend war und irgendwie war auf einmal dieses seltsame schwarze Zeug in meinem Gesicht und das Mädchen und die Kette waren einfach weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Und dann hab ich den Krankenwagen gerufen.“) Zeugen der Attacken geworden waren.

„Teenager“, murmelte Dean abfällig, kaum dass sie das Krankenhaus hinter sich ließen und sich auf den Weg zu dem Haus, in dem die Angriffe stattgefunden hatten, machten, um es in Augenschein zu nehmen.

Es sah aus, wie so ziemlich jedes andere alte Haus, das schon seit vielen Jahren unbewohnt war und um das sich keiner mehr wirklich kümmerte. Ein verwildertes Anwesen, auf dem das Gras teilweise hüfthoch stand, umgeben von einem löchrigen Zaun und einem verrosteten Eisentor. Dazu eine improvisierte Feuerstelle, die etwas abseits des efeuüberwucherten Gebäudes lag und die eindeutig jüngeren Datums war sowie ein Gemisch aus leeren Bierdosen und teilweise zerborstenen Glasflaschen, die auf dem Gelände verstreut waren und zeigten, dass der Ort nicht ganz so in Vergessenheit geraten war, wie man hätte annehmen können.

Sam runzelte nachdenklich die Stirn.

„Das macht nicht wirklich Sinn, oder? Jenny und Mike haben gesagt, dass das hier schon seit Jahren der Treffpunkt der Jugendlichen ist und es sieht definitiv auch so aus, als würden hier schon seit längerem Partys stattfinden. Beide haben auch gesagt, dass sich die Feiern nicht nur draußen an der Feuerstelle abspielen, sondern sie sich bei schlechtem Wetter oder für Mutproben auch drinnen aufhalten. Trotzdem haben sich alle Angriffe erst in den letzten Wochen ereignet. Was hat sich also geändert?“ Sam kniff die Augen zusammen, während er angestrengt über den Zaun spähte. „Nach irgendwelchen Bauarbeiten, die einen Geist aufgescheucht haben könnten, sieht es hier jedenfalls nicht aus.“

„Vielleicht haben sie die Partys und die Menschen nicht gestört, so lange nur alle die Finger von ihrem kostbaren Amulett gelassen haben. Was, wenn es die ganze Zeit vergessen in irgendeiner Schublade lag, irgendjemand es beim Durchsuchen der Schränke gefunden und hochgehoben hat und Boom! Schon kommt Sadako ins Spiel, weil jemand ihren Schaaaaatz angefasst hat.“

 

Deans Theorie klang plausibel und nach einiger Recherche zu der Geschichte des Anwesens und den vergangenen Besitzern, ergab alles Sinn. Vor über 100 Jahren war die Tochter der damaligen Eigentümer bei einem Unfall auf dem Gelände ihres Elternhauses ums Leben gekommen. Genau genommen war sie in einen Brunnen gefallen, nachdem sie versucht hatte, ihre Lieblingskette, die ihr dort hineingefallen war, wieder herauszufischen. Als Dean das hörte, war er nicht mehr zu bremsen. („Mann! Sie ist Sadako!“)

Es war ein tragisches Unglück gewesen, das damals einiges an Aufsehen hervorgerufen hatte. Die Familie war relativ angesehen gewesen und hatte im selben Jahr schon ihre andere Tochter bei einem Autounfall verloren. Angesichts dieser beiden großen Schicksalsschläge in so kurzer Zeit waren die Zeitungen waren voller Anteilnahme gewesen. Nach dem Unfalltod ihrer zweiten Tochter waren die Eltern der beiden Mädchen schließlich aus der Stadt gezogen. Das Anwesen war nach ihrem Ableben auf andere Verwandte übergegangen, die aber nie Interesse daran gezeigt hatten, das Herrenhaus zu beziehen.

 

Sam und Dean hatten also erst das Grab von Marina - so hieß das verstorbene Mädchen in Wirklichkeit - ausfindig gemacht und ihre Überreste in einer wahren Nacht- und Nebelaktion erst gesalzt und anschließend verbrannt.

Am darauffolgenden Abend schlichen sie sich in das heruntergekommene Herrenhaus und fanden das besagte Medaillon schließlich, nachdem das EMF eindeutig bei einer verzogenen Kommode im Obergeschoss ausschlug. Während Dean fluchend versuchte, die klemmende Schublade zu öffnen, hielt Sam wachsam nach ihrem Geist Ausschau. Keiner der beiden Brüder zweifelte daran, dass dieser sich ihnen zeigen würde. So viel Glück hatten sie praktisch nie.

Nach einer gefühlten Ewigkeit gelang es Dean endlich die Schublade weit genug aufzuziehen, um darin herumwühlen zu können. Sobald seine Finger das gesuchte Schmuckstück ertasteten, sackte die Temperatur im gesamten Zimmer allerdings von einem auf den anderen Moment ab. Marina tauchte plötzlich mitten im Raum auf und stieß ein wütendes Fauchen aus, als sie Dean erblickte.

Sam fackelte nicht lange und hielt das Geistermädchen mit Hilfe eines gezielten Schlags mit seinem Brecheisen davon ab, sich auf seinen Bruder zu stürzen. Unglücklicherweise erholte sie sich jedoch schneller als geplant von dieser Attacke und Sams Rücken machte daraufhin schmerzhaft Bekanntschaft mit einem uralten Eichenbuffet, als das Mädchen hinter ihm erschien und er ihr nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte.

Dean ließ sie schließlich mittels eines gezielten Treffers mit einer Steinsalzpatrone dematerialisieren. Anschließend zog er Sam auf die Beine zog, packte dann die Kette mit dem roten Anhänger und stürzte mit seinem Bruder im Schlepptau hastig nach draußen, um das Schmuckstück über der Feuerstelle im Garten zu verbrennen.

Alles in allem war es ein leichter Job gewesen - bis es am Abend darauf einen weiteren Angriff gab und den beiden Jägern klar wurde, dass sie irgendetwas entscheidendes übersehen hatten.

 

Deans Idee bestand darin, einfach das ganze Haus niederzubrennen, für den Fall, dass Marina an das Gebäude geknüpft war oder es irgendeinen anderen Gegenstand dort gab, an den sie sich klammerte, was bei Sam nur auf wenig Begeisterung stieß.

„Hast du nicht gesehen, wie dicht die Bäume um das Haus herumstehen? Willst du etwa einen Waldbrand riskieren? Außerdem ist der Angriff diesmal draußen erfolgt, in der Nähe des Brunnens, wo sie gestorben ist. Es hat nichts mit dem Haus zu tun!“

Widerwillig stimmte Dean schließlich Sams Vorschlag zu, dass sie es mit einem Reinigungsritual versuchen sollten. („Aber wenn das nichts bringt, machen wir es auf meine Art, klar?“)

Sam musste das Ritual, in das er seine Hoffnungen setzte, erst noch etwas modifizieren, da es für Wohnräume und nicht für Brunnenschächte konzipiert worden war. Er nahm deswegen einige kleine Änderungen an der lateinischen Beschwörungsformel vor und fügte den geforderten Zutaten noch die gepressten Blütenblätter einer Wasserpflanze hinzu. Er hatte keine Ahnung, ob es im Endeffekt überhaupt funktionieren würde, aber angesichts Deans Alternativvorschlägen, bei denen unter anderem auch der Einsatz eines Betonmischers zur Debatte stand, war es ihm den Versuch definitiv wert.

Zur Kontrolle, ob das Reinigungsritual seinen Zweck auch wirklich erfüllt hatte, verbrachten die Brüder die beiden darauffolgenden Nächte mit Brecheisen und geladenen Schrotflinten bewaffnet auf den Gelände des Herrenhauses. Dabei beobachten sie ungläubig, wie ein zweitägiger Partymarathon inklusive Mutprobe statt fand, bei der zwei Mädchen am ersten Abend unter allgemeinen Gejohle in das Haus gingen. („Alter? Lernen die denn nie dazu?“)

In übernatürlicher Hinsicht tat sich aber nichts.

Auch in der zweiten Nacht, als der einsetzende Regen dafür sorgte, dass sich die muntere Feier in den frühen Morgenstunden nach drinnen verlagerte, während Sam und Dean draußen bis auf die Knochen durchweicht wurden, blieb alles ruhig. Dean stieß lediglich zähneklappernd Verwünschung um Verwünschung aus, je länger der Regen andauerte und versuchte vergeblich, sich tiefer in seiner Jacke zu vergraben. Sam hingegen warf den ausgehöhlten und mit Grimassen verzierten Kürbissen, die rund um die Veranda gruppiert worden waren und ihn von dort aus höhnisch anzufunkeln schienen, missmutige Blicke zu und wischte sich ein ums andere Mal seine tropfenden Haare aus dem Gesicht. Mit vor Kälte steifen Fingern beschlossen die beiden Brüder kurz vor Sonnenaufgang ihre Nachtwache zu beenden und in ihr Motel zurückzukehren. Sie waren davon überzeugt, dass das Reinigungsritual erfolgreich gewesen war und Marina kein Problem mehr darstellen würde.

Dies stellte sich allerdings als weiterer Trugschluss heraus, da im Laufe des Morgens die Nachricht die Runde machte, dass der Friedhofsgärtner am Abend zuvor bei seiner Arbeit attackiert worden war und nur etwas von dem blassen und dunkelhaarigen Mädchen im weißen Kleid gemurmelt hatte, ehe er auf der Straße zusammengebrochen war.

 

„Was zur Hölle?!“, fluchte Dean wütend und mit vollem Mund, während er unruhig im Motelzimmer auf und ab tigerte. Dabei zog er eine Schmutzspur hinter sich her, weil er es mal wieder für überflüssig befunden hatte, seine Schuhe vor der Eingangstür abzutreten. „Was zur verfluchten Hölle ist in dieser verfluchten Stadt eigentlich los?“

Aufgebracht knüllte Dean sein leeres Burgerpapier zusammen und warf es schlecht gelaunt in Richtung ihres Mülleimers, nur um sein angepeiltes Ziel um mehr als eine Handbreit zu verfehlen. Kopfschüttelnd und murrend bückte er sich, um die verräterische Verpackung, die sich nun auch noch gegen ihn verschworen zu haben schien, aus nächster Nähe in den Abfallkorb zu pfeffern. Dort schlug sie mit einem befriedigendem Klong-Geräusch auf und Dean nahm seine rastlose Wanderung wieder auf.

Sams Augen tanzten derweil über den Bildschirm seines Laptops, während er geistesabwesend auf seine Unterlippe biss und versuchte, Deans wütendes Gemurmel auszublenden. Auch er war langsam mit seinen Latein am Ende.

Sie hatten heute Mittag nur kurz mit Mr. Miller - das war der Friedhofsgärtner - sprechen können, aber er hatte Stein und Bein geschworen, dass es sich nicht um einen verfrühten, aus dem Ruder gelaufenen Halloweenscherz der lokalen Jugendlichen (die Idee der hiesigen Polizei), eine Folge von zu viel Alkohol seinerseits (die Erklärung der beschuldigten Jugendlichen) oder gar seinen verzweifelten Versuch, Aufmerksamkeit erregen zu wollen (die zweite Erklärung der beschuldigten Jugendlichen, nachdem die Tests der Polizei ergeben hatten, dass Mr. Miller an diesem Abend keinen Tropfen Alkohol angerührt hatte), gehandelt hatte. („Ich sagte doch gerade, dass sie mich verletzt hat. Glauben Sie, ich bin aus Spaß hier im Krankenhaus? Hier, sehen Sie nicht diese Würgemale?“)

Er bestand darauf, ein junges, blasses Mädchen mit langen schwarzen Haaren gesehen zu haben, das ihn angegriffen hatte, als er damit beschäftigt gewesen war, ein beschädigtes Grab wieder herzurichten. („Immer diese Vandalen, sage ich Ihnen, Agent Walsh. Irgendjemand hat hier vor ein paar Tagen eine Grabstätte geschändet und ich habe nur versucht, alles wieder in Stand zu setzen und auf einmal taucht wie aus dem Nichts dieses Mädchen auf, stürzt sich auf mich und fängt an, mich zu würgen. Keine Ahnung, woher sie überhaupt die Kraft genommen hat, sie war ein ganz dürres Ding. Ich bin einfach nur gerannt, als sie mich kurz losgelassen hat.“)

Vorsichtiges Nachfragen hatte ergeben, dass es zwar nicht nach Schwefel gerochen hatte („Ich hatte zugegebenermaßen Bohneneintopf zu Mittag gegessen, aber nein, Agent Ehart. Und überhaupt, was tut das denn jetzt zur Sache?“), es aber merklich kälter geworden war. („Jetzt, wo Sie danach fragen. Es hat sich wirklich angefühlt, als hätte jemand hinter mir einen Klimaanlage angeschaltet und das ganze auf die tiefstmögliche Temperatur gestellt.“)

Sofern hier also nicht zwei Geister ihr Unwesen trieben, die auch noch identisch aussahen- Verdammt!

„Die Schwester!“

„Hu?“

„Die Schwester, Dean. Marinas Schwester, die bei einem Autounfall umgekommen ist. Melinda? Nein, Melina.“ Sam schnipste triumphierend mit seinem Finger, bevor er zu Dean blickte, der sein unermüdliches hin- und hergehen gestoppt hatte und nun sichtlich verwirrt zu seinem jüngeren Bruder hinübersah. „Sie hatte eine Zwillingsschwester. Es muss mit ihr zu tun haben.“

„Verdammte Scheiße, du machst Witze, oder? Ernsthaft? Zwei Geister, die nacheinander anfangen herumspuken?“ Sam zuckte mit den Schultern.

„Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Geist einen anderen in Schach gehalten hat“, wandte er ein. „Erinnerst du dich noch an den Fall auf dieser Fan-Convention mit Chuck?“ Deans wütendes Schnauben war Antwort genug und Sam lehnte sich mit gerunzelter Stirn etwas in seinem Stuhl zurück, während er versuchte, eine sinnvolle Erklärung für alle Geschehnisse zu finden.

„Vielleicht“, meinte er nachdenklich, „ist sie wütend, dass wir die Überreste ihrer Schwester verbrannt haben. Wenn sie Zwillingsschwestern waren, standen sie sich bestimmt sehr nahe und da Melina vor Marina gestorben ist, ist es gut möglich, dass die Präsenz ihrer Schwester - ob tot oder lebendig - sie beruhigt hat. Und jetzt wo Marina gar nicht mehr hier ist...“

„...eifert sie ihrer Schwester nach und wird selbst zum Psycho. Verdammte Geister, Mann.“ Dean schloss aufseufzend die Augen und fuhr sich über die Bartstoppeln an seinem Kinn. „Bitte sag mir, dass sie nicht eingeäschert wurde.“

„Ich glaube nicht.“ Sams Finger flogen schon fieberhaft über die Tasten seines Laptops und er zog seine Augenbrauen konzentriert zusammen. „Ich meine, dass sie auch hier begraben wurde, aber lass mich das kurz überprüfen.“

Sams Gedächtnis hatte ihn nicht getrogen. Melina war nur einige Monate vor dem Tod ihrer Zwillingsschwester bei einem Autounfall in einer Nachbarstadt ums Leben gekommen, bei dem noch zwei weitere Passanten verletzt worden waren und war auf dem Friedhof in ihrer Heimatstadt beigesetzt worden.

 

An diesem Abend waren Sam und Dean daher erneut zu dem besagten Friedhof von Topeka gefahren. Diesmal um nach dem Grab von Melina zu suchen. Angespannt und mit einer Flinte im Anschlag, hatte Dean die Führung übernommen, während der Lichtstrahl von Sams Taschenlampe über die Gräber tanzte und sich sein Pulsschlag bei jedem kühlen Luftzug beschleunigte. Obwohl die Brüder erwarteten, jeden Moment einem wütenden Geist zu begegnen, konnten sie unbehelligt Grabreihe um Grabreihe entlanggehen. Dort, wo sie vor fünf Tagen Marinas sterbliche Überreste verbrannt hatten, hielten beide inne.

Letzte Reste von Absperrband flatterten im leichten Abendwind und es war deutlich zu sehen, dass Mr. Miller sich bemüht hatte, wieder so etwas wie Ordnung zu schaffen und das Grab in seinen Ursprungszustand zurückzuversetzen. Weit war er allerdings nicht gekommen.

Die Brüder warteten kurz ab, ob sich ihr gesuchter Geist zeigen würde, aber in der Dunkelheit um sie herum regte sich nichts.

Sam atmete vorsichtig aus, ehe er eilig das Grab zu seiner Rechten beleuchtete. Mr. Miller hatte gesagt, dass seine Angreiferin von dort gekommen war und Sam beugte sich vor, um die verwitterte Inschrift zu entziffern. Irritiert blinzelte er und neigte sich noch näher zu dem Grabstein. Merkwürdig.

Sam ging zurück zu Marinas Grab und betrachtete intensiv den dortigen Grabstein, ehe er wieder zu der letzten Ruhestätte ihrer Zwillingsschwester schritt und mit zusammengekniffenen Augen auf die dortigen Worte starrte. Eine steile Falte hatte sich zwischen seinen Augenbrauen gebildet.

„Sam?“ Dean hatte die ruhelose Wanderung seines Bruders hauptsächlich aus dem Augenwinkel beobachtet, während er den Großteil seiner Aufmerksamkeit auf ihre unmittelbare Umgebung gerichtet hielt, um im Fall der Fälle schnell reagieren zu können.

„Hu.“

„Was?“

„Wir... Ich glaube, wir haben die falschen Überreste verbrannt“, murmelte der Angesprochene schließlich etwas betreten und blickte zu Dean hinüber.

„...Sag das nochmal.“

„Ich glaube, wir haben die falschen Überreste verbrannt“, wiederholte Sam folgsam, ehe er wieder zu seinem Bruder trat, der immer noch konzentriert nach potenziellen Geistern Ausschau hielt, einen größeren Teil seiner Aufmerksamkeit aber nun auf Sam gerichtet hatte. „Die beiden Namen sind sich so ähnlich und die Inschrift ist so verwittert, dass wir... Sieh es dir an.“

Sam drückte Dean seine Taschenlampe in die Hand und deutete auf das Grab zu seiner Linken, während er selbst eine Schrotflinte zückte, um seinen Bruder im Zweifelsfall decken zu können. „Man sieht das „M“ und die letzten drei Buchstaben einigermaßen deutlich, aber dazwischen? Der dritte Buchstabe ist fast nicht zu lesen und das „e“ an zweiter Stelle geht leicht für ein „a“ durch. Und siehst du das Todesdatum? Es ist fast identisch. Beide sind am 15ten gestorben, das Jahr ist auch dasselbe, aber hier? Was wir für eine neun gehalten haben, ist eigentlich eine drei und-“

„Wir haben das falsche Grab erwischt.“

„Genau.“

„Großartig!“

„Aber das ist doch gut. Na ja, nicht wirklich gut, aber es erklärt, warum Marina immer noch herumspukt und wieso sie jetzt hier auf dem Friedhof ist. Nachdem unser Reinigungsritual funktioniert hat, konnte sie nicht mehr zu dem Brunnen zurück, wo sie gestorben ist und in ihrem Elternhaus konnte sie sich nur bewegen, weil ihr Medaillon dort war und das haben wir zerstört. Jetzt müssen wir nur noch ihre Überreste salzen und verbrennen und der ganze Spuk ist vorbei.“

„Ja ja, schon gut. Dann fang mal an zu graben. Gott, das dürfen wir echt keinem erzählen, Sammy. Wie die letzten Anfänger.“

Kopfschüttelnd wischte Dean sich ein herabgefallenes Blatt aus den Haaren, positionierte mehrere Lampen so, dass das Grab gut ausgeleuchtet wurde und griff wieder nach seiner Flinte, während Sam im Gegenzug einen großzügigen Salzkreis um seinen Bruder legte. Anschließend kontrollierte er sorgfältig, dass er alles, was er später zum Vernichten von Marinas Gebeinen benötige, griffbereit hatte. Zu guter Letzt zog er eine Klappschaufel aus seinem Seesack und setzte zum ersten Stoß in die Graberde an.

Das war der Zeitpunkt, als die Temperatur urplötzlich von kühl auf eisig herab fiel und die beiden Brüder sich mit einem äußerst wütenden Geist konfrontiert sahen.

 

                                                                                                                        ~ Jetzt ~

 

Endlich traf Sams Schaufel auf hölzernen Widerstand und mit verbissenem Gesichtsausdruck ließ er seinen Spaten wieder und wieder auf den Sarg niedergehen, um zu dessen Inhalt vorzudringen.

„Sam? Wie lange noch? Die Kleine ist mächtig sauer.“

„Ich hab’s gleich“, rief Sam über die Geräusche mehrerer schnell hintereinander abgefeuerter Schüsse zurück, während er mit seinem rechten Bein ausholte, um dem morschen Holz nun mit kraftvollen Tritten zu Leibe zu rücken. Spürte Marina, wie nah er seinem Ziel war? Am Anfang hatten noch längere Pausen zwischen Deans Schüssen und ihrem Wiederauftauchen gelegen, aber in den letzten Minuten waren die Abstände merklich geringer geworden. Das einzig Gute war, dass sie sich von Dean ablenken ließ und nicht zu realisieren schien, dass Sams Buddelei die größere Bedrohung für sie darstellte.

„Komm schon, komm schon, komm schon“, murmelte Sam hektisch, ehe er erneut fest zutrat und endlich fühlte, wie ein großer Teil des Sargdeckels unter seinem Fuß nachgab und nach innen gedrückt wurde. Eilig griff er nach seinem Salzkanister und schüttete eine großzügige Portion über den Sarg und die darin befindlichen Knochen.

„Hab keine Patronen mehr, muss es mit dem Brecheisen probieren“, ertönte es über ihm und Sams Magen machte einen Satz. Das war gar nicht gut. Er sparte sich aber eine Antwort und kippte stattdessen ohne viel Federlesen eine Portion Flüssiganzünder über das Gemisch aus Holz, Erde, Gebeinen und Salz vor ihm, bevor er nach den Streichhölzern in seiner Tasche tastete. Über sich konnte Sam Deans Schritte vernehmen, die das herabgefallene Laub zum Rascheln brachten. Sein Bruder hatte sich offenbar aus seinem schützenden Salzkreis bewegt, um es aus nächster Nähe mit Marina aufzunehmen.

„Argh!“ Ein laues Poltern erklang und Sams Herz rutschte ihm in die Hose. Er wusste genau, was das bedeutete - ihm blieben nur noch Sekunden. Adrenalin schoss durch seinen Körper und instinktiv rief Sam nach seinem Bruder, der ihm aber nicht antwortete. Mit zittrigen Fingern entzündete er ein Streichholz und hoffte gleichzeitig, dass es Dean nur ausgeknockt hatte und sein Bruder für Marina jetzt nicht mehr länger von Interesse war. Energisch schob Sam die in ihm aufsteigenden Schreckensbilder des Geistermädchens, das einen nun wehrlosen Dean attackierte, bei Seite und bemühte sich, seinen Fokus zurückzugewinnen. Er musste sich auf seinen Teil des Jobs konzentrieren. Damit half er Dean jetzt am allermeisten.

Vor ihm flackerte die kleine Flamme im Wind unbeständig auf und ab und drohte nur kurz nach ihrer Entzündung schon wieder zu erlöschen. Mit wild pochendem Herzen und einem Fluch auf den Lippen, versuchte Sam das kleine Flämmchen am Leben zu erhalten, indem er es mit einer Hand etwas von dem Luftzug abschirmte. Es konnte nur wenige Augenblicke gedauert haben, bis sich die Flamme stabilisierte und höher aufloderte, aber ihm kam es wie eine halbe Ewigkeit vor. Erleichtert atmete Sam auf, nur um festzustellen, dass sich mit einem Mal weiße Atemwölkchen vor seinem Mund bildeten und sich die feinen Härchen in seinem Nacken aufrichteten.

Ohne einen Blick über seine Schulter zu riskieren, warf er das brennende Streichholz sofort von sich und hoffte, dass es, ohne zu erlöschen, seinen Weg in den Sarg finden würde. Fast im selben Moment schloss sich eine eiskalte Hand um Sams Hals und drückte fest zu. Automatisch versuchte er, den Klauen des Geistermädchens zu entgehen, aber es war hoffnungslos. Er konnte sich nicht aus ihrem entschlossenen Griff winden und nur hilflos um sich schlagen, ohne eine Wirkung zu erzielen. Sam spürte, wie er den Boden unter den Füßen verlor, als Marina ihn anhob und mühelos zu sich herum drehte.

Dunkle Augen musterten ihn, während sich ein sanftes und daher umso unheimlicheres Lächeln auf den ebenmäßigen Gesichtszügen des Geistermädchens ausbreitete, bevor sie urplötzlich den Druck auf Sams Kehlkopf verstärkte. Ihre spitzen Fingernägel sich dabei schmerzhaft in seinen Hals.

Sam entwich ein klägliches Röcheln, als er vergeblich nach Luft rang und sich sein Sichtfeld auf Grund des Sauerstoffmangels merklich verkleinerte. Sein Herzschlag beschleunigte sich und mit neuer Verzweiflung begann er gegen den unnachgiebigen Druck, der ihn am Atmen hinderte, anzukämpfen.

Zu seiner großer Überraschung gelang es ihm nur Momente später tatsächlich, einen dringend benötigten Atemzug in seine Lungen zu befördern, da Marina plötzlich merklich irritiert wirkte und ihren schraubstockartigen Griff etwas lockerte. Das Geistermädchen sah verdutzt an sich herab und an Hand der aufzüngelnden Flammen, die ihr weißes Kleid umspielten, wurde Sam auch klar, was sie abgelenkt hatte.

Pure Erleichterung durchflutete ihn, als Marina ihn aufheulend zu Boden fallen ließ und panisch ihren Oberkörper musterte, auf den das Feuer nun übergegriffen hatte. Hustend rappelte Sam sich auf, rutschte nach hinten, um etwas Abstand zwischen sich und den Geist vor ihm zu bringen und sah mit an, wie die Flammen vor ihm immer höher leckten. Kurz bevor das Geistermädchen komplett in einer Feuerwand verschwand, traf ihr völlig verängstigter Blick auf den von Sam.

Beinahe hilfesuchend streckte Marina eine zitternde Hand nach Sam aus, der mit einem Mal keinen aggressiven Geist, sondern nur ein junges Mädchen vor sich sehen konnte, das viel zu früh aus dem Leben gerissen worden war. Als sie sich ein letztes Mal verzweifelt umsah und nach ihrer Schwester rief, durchfuhr ihn ein Anflug von Bedauern, der aber beinahe sofort von grenzenloser Sorge um seinen eigenen Bruder abgelöst wurde.

„Dean? Bist du okay?“, rief er mit krächzender Stimme und bemühte sich auf seinen zittrigen Beinen so schnell wie möglich aus dem Grab zu klettern, sobald Marinas körperlose Erscheinung endgültig verschwunden war.

„Ja, alles in Ordnung. Hab mir nur etwas den Kopf angeschlagen.“ Die vertraute, wenn auch nicht ganz so kraftvoll wie sonst klingende Stimme seines Bruders sorgte dafür, dass eine zentnerschwere Last von Sam abfiel. Befreit atmete er aus und ließ seinen eigenen Kopf für einen kurzen Moment auf seinen Handrücken sinken, ehe er seine Kletterpartie wieder aufnahm.

Als er endlich oben angekommen war, fiel sein Blick sofort auf Dean, der sich eine heftig blutende Platzwunde zugezogen hatte und gerade langsam auf ihn zugehumpelt kam. Der Blutlache nach zu urteilen, die sich um den Grabstein hinter Dean gebildet hatte, hatte dieser dort länger als nur einen kurzen Moment am Boden gelegen. Trotzdem war dessen ganze Aufmerksamkeit auf Sam gerichtet.

„Hat sie dich erwischt?“ Deans Blick glitt prüfend über das schlammige Shirt und die völlig erdverkrustete Jeans seines kleinen Bruders. Sam rieb sich kurz über seinen Hals, wo die Finger des Geistermädchens unerbittlich zugedrückt hatten. Er war sich ziemlich sicher, dass man die Abdrücke ihrer Hand noch eine Zeit lang sehen würde. Trotzdem.

„Nur das Übliche“, meinte er lapidar und verzog angesichts seiner rauen Stimme etwas den Mund. Dean nahm die Worte nickend zur Kenntnis, bevor er sorgenvoll zum Eingangstor des Friedhofs blickte, sich geistesabwesend über seine Rippen rieb und zischend ausatmete. Sams Augen zogen sich beunruhigt zusammen. So viel zu nur etwas den Kopf angeschlagen.

„Wir sollten besser verschwinden. Wer weiß, ob nicht jemand die ganzen Schüsse gehört hat.“ Dem konnte Sam nur zustimmen, weswegen er sich auch eilig daran machte, all ihre Habseligkeiten zusammenzupacken. Dean drückte er kurzerhand einen alten Lappen in die Hand, den der auf seine immer noch blutende Schläfe pressen konnte. Anschließend wuchtete Sam beide Taschen auf seine eigenen Schultern. So angeschlagen wie Dean aussah, würde er ihn nicht noch irgendetwas schleppen lassen. Wer wusste schon, welche weiteren Verletzungen sein Bruder noch vor ihm verbarg. Immerhin schien er sich keine Gehirnerschütterung zugezogen zu haben, was zumindest eine gute Nachricht war.

„Hey, Sam?“

„Hm?“ Sam sah zu Dean hinüber, der erschöpft an einem unbeschädigten Grabstein lehnte, aber aus irgendeinem Grund nur schlecht sein Grinsen unterdrücken konnte und vielsagend auf seine Armbanduhr tippte. Irritiert blickte Sam auf sein eigenes Ziffernblatt, das knapp zwei Uhr morgens anzeigte. Gott, das hatte eindeutig länger gedauert, als sie geplant hatten. Es erklärte trotzdem nicht, was daran so lustig war, also zog er fragend eine Augenbraue in die Höhe. Angesichts Sams offensichtlichem Nichtverständnis gluckste Dean ein weiteres Mal auf, bevor er auf seinen Bruder zuhinkte und diesem kräftig auf die Schulter schlug.

„Happy Halloween, Sammy!“ Es dauerte einen Moment, bis die Bedeutung der Worte bei Sam einsank. Kopfschüttelnd fuhr er sich über seine Augen, ehe ihm unwillkürlich ein Schnauben entwich, seine Mundwinkel sich aber gleichzeitig auch etwas anhoben.

Unglaublich. Einfach unglaublich.

Dean verbuchte seine Reaktion offenbar als Erfolg.

„Na, sieh mal einer an. Hat der Halloweengrinch tatsächlich an Halloween etwas zu lachen?“ Sam biss sich entschieden auf die Unterlippe, um seinen spitzen Kommentar, der ihn zum Thema Halloweengrinch - was sollte das überhaupt für ein Wort sein? - bereits auf der Zunge lag, zurückzuhalten. Er konnte aber nicht verhindern, dass sich gleichzeitig ein warmes Gefühl in seiner Brust ausbreitete.

„Glaub bloß nicht, dass ich dafür heute Abend mit dir auf Süßigkeitenjagd gehe“, grummelte er dennoch in bester angesäuerter kleiner Bruder-Manier. Dean sah ihn empört an.

„Ein toller Bruder bist du.“ Sein Gesicht verzog sich zu einem triumphierenden Lächeln. „Aber dann trifft es sich ja gut, dass ich schon vorgesorgt habe und mich zu Hause ein ganzer Berg an Lakritz erwartet.“ Gekonnt ignorierte er das angeekelte Würgegeräusch, das Sam daraufhin von sich gab. „Dazu noch Freitag der 13., ein wahrer Klassiker der Filmgeschichte. Den haben wir uns nach der Woche echt verdient.“ Dean seufzte träumerisch auf, bevor er den Schlüssel des Impalas zückte und sich in Bewegung setzte.

„Na los, komm endlich“, rief er über seine Schulter und hob gleichzeitig drohend seinen Zeigefinger. „Und pass ja auf, dass du mir nicht den ganzen Dreck auf Babys Sitze schmierst, sonst kannst du zu Fuß nach Hause gehen.“



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