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Warsong

von

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Abgrund

12.12.2069, 00.09 Uhr, Tokio
 

»Mister Phoenix. Wachen Sie auf.«
 

Die künstliche Stimme sickerte nur langsam in Marcos müdes Hirn und er rollte sich mit einem unwilligen Brummen auf den Rücken, während er blinzelnd ein Auge öffnete und schemenhaft erkannte, dass Haruta vor seinem Bett stand. Inzwischen hatte wieder Regen eingesetzt und bunt verwaschene Schlieren tanzten an der Schlafzimmerdecke seiner Wohnung, da die Scheinwerferlichter eines Partyevents Ikebukuro erhellten und durch die große Fensterfront herein strahlten. Die Digitalanzeige an der Wand verkündete, dass es kurz nach Mitternacht war.
 

Marco stöhnte entnervt. Die KI musste eindeutig einen technischen Defekt haben. »... schalt' dich ab, ich hab' den nächsten Termin erst um acht Uhr«, murrte er verschlafen und drehte sich wieder auf die Seite. »Sabo muss dich unbedingt mal richtig durchchecken...«
 

Aber Haruta ließ sich davon gar nicht beeindrucken. »Trafalgar Law ist eben im Tower eingetroffen. Es scheint ihm nicht gut zu gehen«, teilte die KI erschreckend nüchtern mit.
 

Die Worte hatten auf Marco die effiziente Wirkung eines über ihm ausgekippten Eiswasserkübels. »Was?!« Mit einem Mal war er hellwach und setzte sich ruckartig auf. Irritiert wischte er sich über die Augen, fuhr sich dann durch die vom Schlaf wirren Haare. »Was fehlt ihm? Wo ist er?«, verlangte er überhastet zu wissen, während er die Decke beiseite schlug. Schon war er aus dem Bett gesprungen und warf sich rasch ein weites Shirt über, bevor er in eine lockere Jogahose schlüpfte.
 

Haruta beobachtete ihn aufmerksam. »Er ist in seinem Gästezimmer, er... hm«, die KI schien nach Worten zu suchen, »sieht schlecht aus und seine Vitalwerte spielen ziemlich verrückt. Ich glaube, er könnte Sie brauchen, Sir.« Harutas große, projizierte Augen spiegelten tatsächlich so etwas wie Besorgnis, was nicht gerade zu Marcos Beruhigung beitrug.
 

Er war schon auf dem Weg durch das Penthouse zum Aufzug, kaum dass die KI mit einem Flackern verschwunden war. Marco malte sich bereits die schlimmsten Dinge in seinem Hirn aus, als er herrisch auf den Knopf im Lift einhämmerte und die viel zu langsam schließenden Türen verfluchte. Wurde Law in eine Schießerei verwickelt...? Marco lief unruhig in dem Aufzug auf und ab, während er seine Gedanken zu sortieren suchte. Beruhig' dich, rief er sich selbst zur Ordnung. Wenn er ernsthaft verletzt wäre, hätte Haruta sicher statt dir Makino kontaktiert.
 

Er sollte wahrlich nicht so angespannt sein und trotzdem konnte er nicht verhindern, dass eine ungewohnte Rastlosigkeit sein Herz in Aufruhr versetzte. Obwohl sie sich wirklich noch nicht lange kannten, sorgte sich Marco doch um Law und fühlte sich ihm auf eine unerklärliche Weise verbunden.
 

Auf der einen Seite spürte er einfach, dass der junge Mann ein wenig Freundlichkeit gebrauchen konnte und auf der anderen Seite... war er unbestreitbar fasziniert von Law. So recht konnte er einfach keinen Abstand zu dem verschlossenen, jungen Mann halten, obwohl der ja eigentlich alles dafür tat, dass Marco eben nicht zu nah kam.
 

Die Lifttüren glitten geräuschlos auf und Marco betrat den Aufenthaltsraum der Gästeetage, wo nur der Zimmerbrunnen ein träges Plätschern verbreitete. Durch die Bewegungsmelder aktivierte sich die unaufdringliche Beleuchtung durch indirekte Deckenspots, während Marco die Distanz zu Laws Zimmer rasch überwand.
 

Seine Schritte hinterließen kaum einen Laut auf dem Boden, da er in der Eile seine Schuhe völlig vergessen hatte und nun barfuß über das angewärmte Zedernholz lief. Unter seinen Fußsohlen spürte er ein dumpfes Vibrieren, als würde ein tiefer Ton die Fundamente des Gebäudes zum Klingen bringen - vermutlich der Bass der Party, die ein paar Straßen weiter stattfand.
 

Marco klopfte ruhig, aber nachdrücklich an Laws Zimmertür, doch nur Stille antwortete ihm. Von drinnen war kein Laut zu hören. Harutas Projektion tauchte wieder neben ihm auf. »Er ist noch im Raum«, informierte ihn die KI.
 

»Entsperr' das Schloss«, befahl Marco. Es widerstrebte zwar sämtlichen seiner Moralvorstellungen, die Privatsphäre eines anderen nicht zu respektieren, doch in diesem Fall blieb ihm wohl keine Wahl. Lieber riskierte er Laws Missbilligung, als die Möglichkeit, dass der junge Mann womöglich bewusstlos und verletzt in dem Zimmer lag. Es klickte und Marco betrat mit einem mulmigen Gefühl den dunklen Raum.
 

Kein Licht brannte und Law war auf den ersten Blick nirgendwo zu sehen. Der Regen trommelte in wütenden Tropfen gegen die Fensterscheibe und schwenkendes Scheinwerferlicht glitt am Tower vorbei, wodurch ein blasser Streifen künstlichen Lichtes über die Einrichtung huschte.
 

Marcos kybernetische Brillengläser schnappten automatisch über seinen Augen zusammen und aktivierten die Nachtsicht. Er erspähte jetzt eine achtlos hingeworfene Anzugjacke auf dem ungenutzten Bett und wahrscheinlich hektisch abgestreifte, schwarze Schuhe, die unordentlich auf dem Boden lagen - eine Achtlosigkeit, die gar nicht zu dem sonst so aufgeräumten Law passen wollte.
 

Ebenfalls auf dem Boden lag die Tüte einer 24-Stunden-Apotheke, daneben eine geöffnete Tablettenschachtel, die Marco kurz aufhob und kritisch studierte. Kopfschmerztabletten von der stärksten Sorte... und eine ganze Handvoll des Medikaments aus dem Päckchen war verschwunden, was er mit einem düsteren Stirnrunzeln zur Kenntnis nahm.
 

Und dann spürte Marco es wieder... dieses dröhnende Pulsieren, eine machtvolle Woge, die über ihn rollte und auf seine Sinne drückte, die in seinen Knochen und seiner mentalen Barriere gleichzeitig widerhallte. Der Ursprung schien im Badezimmer zu liegen, von wo er über dem Rauschen des Regens jetzt den Klang von laufendem Wasser vernahm.
 

»Law...?« Vorsichtig schob er die nur angelehnte Badezimmertür auf, wodurch ihm sofort ein Schwall kalter, nasser Luft entgegen schlug, darunter das bereits verwaschene scharf-säuerliche Aroma von Erbrochenem. Marco tastete schon nach dem Lichtschalter, hielt jedoch schon im nächsten Moment inne.
 

Law saß barfuß, in einem weißen, halb geöffneten Hemd, einer dunklen Anzughose und inzwischen völlig durchnässt auf dem Boden der Dusche, mit der Schulter an die gläserne Trennwand gelehnt. Das Wasser prasselte auf ihn herab, lief über sein schockierend blasses Gesicht, von dem sich sein schwarzer Kinnbart und die dunklen Koteletten so kontrastreich abhoben, als hätte sie ein Maler auf eine weiße Leinwand gepinselt.
 

Er hatte den Kopf nach hinten an die Wand gelehnt und die Augen geschlossen, unter denen dichte Schatten waberten. Seine schlanken Hände hingen leblos über seinen angezogenen Knien. Er reagierte nicht auf Marcos Eintreten und im ersten Moment war kaum erkennbar, ob er bewusstlos oder nur zu Tode erschöpft war.
 

Sorge und der Hauch von Furcht überrollten Marco wie eine brachiale Welle. Aber nicht nur wegen Laws erschreckend desolatem Anblick, denn... der junge Mann saß im Zentrum eines kinetischen Malstromes, der die unterdrückte Macht einer Explosion zu haben schien. Marcos mentaler Schild vibrierte unter dem unaufhörlichen Donnern, das gegen seine geistige Barriere brandete wie die wütende See gegen eine einsame Klippe.
 

Die Regeln der Physik schienen im Badezimmer nicht mehr zu gelten - das Wasser der Dusche floss nach dem nächsten Wimpernschlag nach oben und sammelte sich in einer silbern schimmernden Pfütze an der Decke, bevor es einem wütenden Bienenschwarm gleich in einem kreisenden Strudel um Laws reglose Gestalt tobte. Die LEDs des Badezimmerspiegels zerplatzten unter der nächsten Machtwoge, die Marco selbst sämtliche Härchen am Körper aufstellte und deren Epizentrum eindeutig der junge Mann auf dem Boden der Dusche war.
 

Marco ließ den Lichtschalter unberührt, denn Law hatte sich sicherlich nicht umsonst hier in die Dunkelheit zurückgezogen. »Haruta, schalte die indirekte Beleuchtung im Zimmer an.« Der dezente Lichtschein fiel durch den Türspalt und erhellte das Badezimmer zumindest ein wenig.
 

Marco betrat nun selbst die ebenerdige Dusche, wobei er sich gegen die massive Wand aus kinetischer Energie stemmte, die wie Ozon auf seiner Zunge prickelte und seine Ohren knacken ließ. Im nächsten Moment wäre er fast zurückgeschreckt... denn das Wasser war auf eiskalt eingestellt.
 

»Verflucht, Law...«, knurrte er geschockt, als er vor dem jungen Mann auf die Knie ging und vorsichtig nach einer der schlanken, tätowierten Hände griff. Laws Finger waren furchtbar kalt, aber Marco erspürte zumindest einen hektischen Puls am Handgelenk. Er wollte gar nicht so genau darüber nachdenken, was es mit ihm gemacht hätte, wenn das Gegenteil der Fall gewesen wäre...
 

Er rutschte näher an den jungen Mann heran und berührte Law sachte am Oberarm, um sich ihm bemerkbar zu machen, da er immer noch nicht wirklich sicher war, ob er überhaupt etwas wahrnahm. Es war erschreckend, wie eiskalt und klamm sich Laws Haut selbst durch den durchnässten Stoff hinweg anfühlte.
 

»Law... ich bin's, Marco. Kannst du mich hören? Sag' mir, was los ist. Wie kann ich dir helfen?«, sprach er den jungen Mann an, dabei ignorierte er das wütend um ihn kreisende Wasser, das seine eigenen Sachen innerhalb von Sekunden ebenfalls durchweicht hatte und langte mit einer Hand nach oben, um die Dusche abzustellen. Law zitterte am ganzen Leib, Wasser perlte von seiner bebenden Unterlippe, als er jetzt mühsam die Lider hob und Marco mit trüben Augen anblinzelte.
 

In Laws Kopf herrschte Krieg. Zumindest empfand er es, als würde sein Hirn von einem wütenden Gott als Schmiedeamboss benutzt. Der Schmerz drückte gegen seine Schädeldecke und seine Schläfen fühlten sich an, als würden sie mit glühenden Schürhaken bearbeitet. Die Haut spannte über seinen Knochen. Flirrende Punkte tanzten vor seinen Augen, als er seinen Blick zu fokussieren suchte und den Mann vor sich langsam erkannte.
 

Marco… Also war es doch kein Traum oder peingetriebene Wahnvorstellung gewesen, als er diese sanftmütige Präsenz am Rande seines Bewusstseins wahrgenommen hatte. Allein die angenehme Stimme des Konzerners, seine leichte Berührung war wie ein warmes Licht im tiefen Dunkel seiner Selbst, in diesem Abgrund seines Geistes, der ihn zu verschlingen drohte, seit er aus dem Donquixote-Anwesen aufgebrochen war.
 

Law wusste kaum noch, wie er den Weg zum Newgate-Tower überhaupt hinter sich gebracht hatte, er erinnerte sich nicht an viel mehr als Bilderfetzen, aber unbewusst hatte es ihn hierher zurückgetrieben, denn die traurige Wahrheit war... er hätte nicht gewusst, wo er sonst auch hin sollte.
 

Seine eigene Wohnung war ihm ohne Lamy viel zu leer erschienen und der Schmerz in seinem Kopf war bald so erdrückend und furchtbar geworden, dass er einfach nur an einen sicheren, ruhigen Ort gewollt hatte. Der Newgate-Tower war zwar nicht sein Heim, aber in den letzten Tagen doch irgendwie zu einer Zuflucht für Law geworden.
 

Hier war man ihm fast immer offen und freundlich begegnet und… ein winziger, selbstsüchtiger Teil in ihm hatte sicher auch gehofft, dem hilfsbereiten Konzerner doch wieder über den Weg zu laufen. Law hätte niemals darum gebeten, aber... inzwischen wäre er doch dankbar für die Möglichkeit auf Hilfe gewesen, die er vor gar nicht all zu langer Zeit von Marco noch so vehement abgeschmettert hatte.
 

Normalerweise waren seine Kopfschmerzen immer durch Tabletten, ein bisschen Ruhe, Kälte und Dunkelheit in den Griff zu bekommen... doch nicht dieses Mal. Diesmal wuchs und wuchs dieses Dröhnen in seinem Schädel immer mehr an und er schaffte es nicht mehr, seine wütende Magie zu beherrschen. Es fühlte sich an, als wäre etwas in seinem Schädel, in seinem Verstand gerissen und nun brach die Telekinese wie eine unendlich sprudelnde Quelle hervor.
 

Law verspürte selten Angst, jetzt aber tat er es, denn nicht mehr Herr über sich selbst zu sein, die Kontrolle zu verlieren, war mit das Schlimmste, was er sich vorstellen konnte. Er hasste es, sich so hilflos zu fühlen, so machtlos zu sein.
 

»Es sind die Kopfschmerzen, oder?« Marco kniete vor Law, halb über ihn gebeugt, als wollte er ihn instinktiv vor dem herumwirbelnden Wasser abschirmen. Der Konzerner war wahrscheinlich inzwischen genauso bis auf die Knochen durchnässt wie Law selbst, doch das schien ihn wenig zu kümmern. Seine blonden Haare hingen ihm triefend in die Stirn und das Wasser kroch in einer silbernen Spur über seine markante Kieferlinie und tropfte von seinem stoppeligen Kinn. In den leuchtend blauen Augen lag echte, tiefe Sorge.
 

Law brachte zumindest ein halbherziges Nicken zustande, was ihn aber sofort mit Schmerz bestrafte und zischend die Luft einziehen ließ. Sein Hinterkopf drückte sich gegen die kalte Fliesenwand, als sich seine Finger verkrampften und sein Magen erneut rebellierte. Ein Schleier aus grellem Rot und Weiß trübte seine Sicht ein und inzwischen schmerzte sogar sein Kiefer, da er die Zähne so heftig aufeinander presste.
 

»Lass' mich versuchen, dir zu helfen, Law... Aber dafür musst du mich in deinen Kopf lassen, verstehst du?«, sprach der Konzerner die unumstößliche Tatsache aus.
 

Marcos warme, große Hände umschlossen Laws Gesicht vorsichtig und lenkten seinen unsteten Blick auf die ernsten Augen des Konzerners, die seine angespannten Züge analysierend abtasteten. Ohne seine ausdrückliche Zustimmung würde Marco vermutlich nur im äußersten Notfall in seinen Geist eindringen, alles andere lag sicherlich fern ab seiner idealistischen Überzeugungen.
 

Die sanfte Berührung war ein Schock und eine Wohltat zugleich, denn sie machte Law erschreckend deutlich, dass auch er trotz allem, was hinter ihm lag und was er getan hatte... noch immer ein Mensch war und allzu menschliche Bedürfnisse hatte, die sich zwar unterdrücken und zurückstellen, doch niemals gänzlich verleugnen ließen.
 

In den hellen, goldumrandeten Iriden des Blonden lag etwas, was Law schwer einordnen konnte, doch unter diesem intensiven Blick fühlte er sich seit langer Zeit wieder einmal... geborgen. Sicher. Marco sah ihn an, als wäre es ihm wirklich nicht egal, was mit ihm passierte und als wäre er ihm tatsächlich nicht gleichgültig. Warum nur handelst du immer so irrational? Warum bemühst du dich so um mich?
 

Es war fast unerträglich für Law, auf Hilfe angewiesen zu sein, aber so dumm oder leichtsinnig, seinen kritischen Zustand zu leugnen oder zu relativieren, war er auch nicht. Er brauchte Hilfe, das sah er inzwischen selbst ein... und dann lieber von Marco Phoenix, als von irgendjemand anders.
 

Verfluchte Scheiße... »... tu' es«, krächzte Law mit einer Stimme, rau wie aufgeworfenes Eisen. Seine Kehle brannte noch immer, da er sich vorhin durch die Schmerzen hatte heftig übergeben müssen. Er wollte gar nicht wissen, welches furchtbare Bild er gerade abgeben musste.
 

Er grub die Finger in Marcos Unterarme, als er sich mit einem tiefen Atemzug für die geistige Verbindung wappnete und seine mentalen Barrieren widerstrebend senkte. Selten hatte er sich so ausgeliefert und entblößt gefühlt und das Ganze war für ihn schlichtweg nur zu ertragen, weil der aufrichtige Konzerner ihm selbst seine dunkelsten Geheimnisse anvertraut hatte... weil Marco Phoenix ihm irgendwie unter die Haut ging und ihn nicht mehr loslassen wollte.
 

Marco erfasste eine riesige Erleichterung, dass Law ihm tatsächlich die Einwilligung gab und seine Hilfe akzeptieren wollte. Denn seiner Einschätzung nach geschah es in etwa so häufig wie eine Planetenkonvergenz, dass der junge Mann überhaupt jemanden an sich heran, geschweige denn in seinen Kopf ließ.
 

Er schloss die Augen nach einem konzentrierten Atemzug und sandte seine Magie aus, während er Laws Gesicht weiterhin sanft umschlossen hielt und ihm Zeige- sowie Mittelfinger an die Schläfen legte. Obwohl Law seine mentalen Abwehrmechanismen - feste, kalte Mauern aus Eis - gesenkt hatte, musste Marco trotzdem gegen einen Widerstand wie eine zähe Membrane ankämpfen, so als würde Laws scheinbar überschäumende Kraft ihn zurückdrängen und heraushalten wollen.
 

Der Verstand des jungen Mannes war glasklar und perfekt strukturiert - was bei einem strikten und kontrollierten Menschen wie Law vermutlich auch kein Wunder war. Doch die Verbindungen seines Geistes bebten und vibrierten wie das Netz einer Spinne, als würde sich etwas Riesiges und Gewaltiges im Zentrum von Laws Verstand bewegen. Marco folgte diesem lautlosen Pulsieren tiefer in den Geist des jungen Mannes hinein und stieß auf die Quelle seiner Magie.
 

Eigentlich hatte Marco mit einer mentalen Blockade in Laws Geist gerechnet - möglicherweise hervorgerufen durch ein altes Trauma, einen Schock oder eine Phobie - aufgeworfene, rissige Verbindungen, die den Fluss der Energie stören und unter Umständen auch körperliche Schmerzen projizieren konnten. Mit so etwas kannte er sich aus, denn damit hatte er häufiger zu tun und wusste, wie man das behandeln konnte.
 

Aber was er in Laws Kopf stattdessen fand, überstieg all seine kühnsten Erwartungen und ließ ihn atemlos in einer Mischung aus Schock und Faszination erstarren. Heilige...- was ist das?!
 

Jeder MAG hatte eine Quelle seiner Magie - eine Art Brunnen, von der er seine Kräfte abschöpfen konnte, mal mehr und mal weniger tief, ganz abhängig von dem Rang des magisch Begabten. Rang A MAGs hatten die mit Abstand tiefsten und ergiebigsten Quellen, konnten die mächtigste Magie wirken, brauchten dafür aber auch dementsprechend lang, um ihre Kräfte wieder vollständig zu regenerieren.
 

Doch Laws Brunnen... war ein schwarz-golden kreisender Abgrund, ein knisternder Strudel der Macht, bodenlos und schier unendlich. Wenn er einen Grund hatte, dann war der jedoch nicht zu sehen. Selbst Marcos Magie schreckte vor diesem klaffenden Schlund zurück, als sei der ein lauerndes, zusammengerolltes Ungeheuer, was nur auf den richtigen Moment zum Angriff wartete.
 

Über Laws Machtquelle lag eine Art Bannzauber. Marco hatte so etwas noch nie gesehen, er hatte nicht einmal gewusst, dass es überhaupt möglich war und selbst wenn, wäre es vermutlich hochgradig illegal gewesen, solch eine mentale Sperre in einem Geist anzubringen und den MAG damit künstlich zu beschränken.
 

Der durchsichtig schimmernde Bann lag wie eine gewölbte Abdeckung auf dem Magiebrunnen und wie der pfeifende Deckel eines Teekessels schien er kurz vor der Explosion zu stehen. Rund um das eigentlich lächerlich winzig erscheinende Loch, das man wohl gelassen hatte, um Law zumindest einen geringen Zugriff auf seine Kräfte zu gewähren, schossen Fontänen aus Energie empor.
 

Die Ränder umher waren aufgefasert und bogen sich langsam, aber beständig unter dem Druck zurück. Nicht mehr lang und die Beschränkung würde vermutlich anfangen zu reißen und die Magie damit in einem gewaltigen Ausbruch freisetzen. Der Bann schien alt, vermutlich war es ein Wunder, dass er überhaupt so lang gehalten hatte...
 

Marco begann zu schwitzen und seine Gedanken rasten. Er hatte nicht damit gerechnet, eine tickende Zeitbombe in Laws Geist vorzufinden und er konnte nur Vermutungen anstellen, welche Folgen es hätte, wenn dieser Bannzauber mit einem Mal brach... Law hatte seine Magie jetzt schon kaum noch unter Kontrolle, eine ungebremste Entladung wäre wahrscheinlich katastrophal.
 

Er würde improvisieren müssen und Marco betete, dass es funktionierte, denn seine eigenen Kräfte hatte er selbst noch nie so eingesetzt, wie er es jetzt vorhatte... er verwob Teile seiner eigenen Magie mit dem brüchigen Bannzauber und reparierte damit die ausgefransten und gerissenen Stellen, dann kreierte er einen mentalen Schild, um diesen provisorisch über die Sperre zu werfen und diese damit zu stützen und zu stabilisieren. Stück um Stück drängte er die wütende Magie zurück, besänftigte sie mit den Ausläufern seiner Kräfte, bis sich der tobende Abgrund tatsächlich zu beruhigen schien und wie ein satt und zufrieden schnurrender Panther in seinen Bau zurückzog...
 

Marco trennte die Verbindung zu Laws Geist mit einem Keuchen und blickte in die verblüfft geweiteten Augen des jungen Mannes, der ihn regungslos anstarrte. Das Wasser umher war erstarrt und schwebte noch einen Herzschlag lang in der Luft, bevor es in einem nassen Platschen zu Boden fiel. Die darauffolgende Stille war beinahe unheimlich und Marcos eigener, beschleunigter Atem hallte in seinen Ohren nach.
 

Noch immer hielt er Laws blasses Gesicht umfangen. Vermutlich hätte er den jungen Mann längst wieder loslassen sollen, doch ein ungewohnt selbstsüchtiger Teil von Marco genoss diesen fragilen Moment, diese sich ausdehnenden Sekunden, in denen sein Daumen kaum spürbar über Laws Wange strich, knapp unter dem Wangenknochen und diesen verteufelt faszinierenden Augen, die ihn nicht mehr loslassen wollten und um die sich die Schatten jetzt ein wenig lichteten.
 

»Alles in Ordnung...?«, fragte Marco rau und ein wenig atemlos. Was er eben getan hatte, hatte ihn mehr gefordert, als erwartet. »Wie geht es dir?«
 

Law blinzelte. Dann schluckte er mühsam und versuchte wieder ein Gefühl für seinen Körper zu erlangen. Mit einem Mal war alles so... ruhig. Der Schmerz war wie weggeblasen, sein Kopf völlig klar. Dafür spürte er jetzt andere Dinge überdeutlich - die Kälte und die klammen, nassen Sachen, die er trug, dieses sanfte Streifen auf seiner Haut und die warme Berührung von Marcos Händen.
 

»Besser«, gestand er ehrlich. Er konnte den Blick kaum von diesen immer noch viel zu besorgt aussehenden, blauen Augen abwenden und obwohl ein Teil von ihm sich dagegen wehrte, entzog er sich beiläufig den Händen des Konzerners, denn da war plötzlich ein tiefes Sehnen in ihm nach mehr Nähe... ein Verlangen nach Marco Phoenix, das er definitiv nicht auf diese Weise haben sollte.
 

»Der Schmerz ist weg«, erklärte er fast ungläubig, vorsichtig, als traute er dem Frieden nicht gänzlich. Er ließ seinen Blick kurz schweifen, um das Ausmaß seines Kontrollverlustes abzuschätzen, bevor er Marco wieder fragend ansah. »Wie... was hast du gemacht?«
 

Marco stemmte sich in die Höhe. Er streckte Law seine Hand anbietend entgegen und trotz seiner eigentlichen Erwartung, ergriff der sie und ließ sich von ihm auf die Füße helfen. Dankbar nickte er dem Konzerner zu.
 

»Lass' uns das später besprechen. Du solltest dringend aus diesen nassen Klamotten raus, du holst dir sonst noch den Tod...«, bemerkte Marco sachlich, bevor der sich abwandte und aus der Dusche stieg.
 

Marco warf Law eines der Handtücher zu, dann trocknete er sich selbst die Haare notdürftig und lief in das Zimmer hinüber, während er die KI kontaktierte: »Haruta, setz' den Reparaturservice für heute noch auf die Liste und eine Reinigung des Badezimmers.«
 

»Wie Sie wünschen, Sir.«
 

»Verzeih' die Umstände...«, murmelte Law ungewöhnlich betreten, der hinter Marco langsam aus dem Badezimmer kam und sich die feuchten Haare aus der Stirn schob. »Ich werde für den Schaden aufkommen,« versprach er und wich fast verunsichert Marcos Blick aus, um sich wieder sortieren zu können.
 

Was da eben passiert war... niemals sofort war Law einem anderen Menschen so nah und auf diese Weise verbunden gewesen, nicht einmal Corazon. Noch immer konnte er den Konzerner spüren, seine Hände, seine Wärme... und diesen Hauch von Marcos sanfter Präsenz in seinem Geist, was sich seltsam intim und aufregend zugleich anfühlte, wie eine substanzlose Berührung, die wohltuend durch seinen aufgeworfenen Verstand strich.
 

»Sei nicht albern und mach' dir mal darüber keine Gedanken. Ein paar kaputte Lampen und ein geflutetes Badezimmer werden mich wohl kaum in den Ruin stürzen«, wiegelte Marco glucksend ab, wobei er nicht verhindern konnte, dass er den jungen Mann abermals musterte... allerdings nicht nur, um seine körperliche Verfassung zu prüfen.
 

Er kam sich selbst schäbig dabei vor, als er bemerkte, dass er Law durchaus anstarrte... und völlig unangebracht in diesem Moment auf dessen Anblick reagierte. Die nasse Kleidung, die Law wie eine zweite Haut am Körper klebte, verbarg nicht wirklich viel und enthüllte sehr deutlich den schlanken, trainierten Körper mit den sehnigen Muskeln und das ganze Spektrum der faszinierenden Tattoos auf Laws Oberkörper unter dem transparenten Stoff.
 

Marco musste sich eingestehen, dass ihm durchaus gefiel, was er sah... und das wirklich nicht nur auf einer rein platonischen oder rationalen Ebene. Der junge Mann war schrecklich attraktiv und wirkte selbst auf Marco unglaublich anziehend, der mit dieser plötzlichen Erkenntnis erst einmal fertig werden musste.
 

Er rief sich zur Ordnung und zwang seinen Blick zurück in unverfänglichere Gefilde... und da half es auch wenig, dass Haruta unschuldig schmunzelnd neben ihm stand und seinen Blick mit zu hundertprozentiger Sicherheit schon analysiert hatte. »Schalt' dich ab«, brummte er die KI an.

»Gute Nacht, Sir«, wünschte der Junge übertrieben freundlich, bevor er verschwand.
 

Law teilte Marcos Sorglosigkeit nur teilweise und fragte sich insgeheim, wie der es so leicht schaffte, zu ignorieren, was eben passiert war und einfach zum Tagesgeschäft übergehen konnte. Er musste sich doch darüber im Klaren sein, dass er sich mit Law eine unberechenbare Komponente ins Haus geholt hatte, das war doch eben mehr als deutlich geworden. Er an seiner Stelle hätte ihn vermutlich möglichst schnell rausgeworfen...
 

Laws Hände zitterten jetzt ziemlich stark, als er sich mit dem Handtuch über den Nacken fuhr und angestrengt zu seiner Tasche hinüber lief, um nach ein paar frischen und vor allem trockenen Klamotten zu suchen. Doch seine steifen, tauben Finger schafften es nicht einmal, den Reißverschluß zu öffnen, was ihn frustriert schnaufen ließ.
 

Marco bemerkte Laws Misere und kurzerhand trat er zu ihm, schwang sich Laws Tasche unter dessen verwirrtem Blick über die Schulter und nickte bestimmend zur Tür. »Du kommst jetzt mit in meine Wohnung. Ich lass' dich in deinem Zustand sicher nicht allein. Ich kann dir ein paar Sachen von mir leihen und du kannst dich aufwärmen. Einen Drink kann ich dir vielleicht nicht anbieten, aber ich mache ganz passablen Kaffee und du schuldest mir eh noch einen, also komm' jetzt bloss nicht auf die Idee, schon wieder abzulehnen«, erklärte er mit einem unbekümmerten Grinsen.
 

Law starrte den Konzerner einen Moment lang so an, als hätte der den Verstand verloren. Er öffnete den Mund, wollte schon ablehnen, sollte ablehnen, denn inzwischen schuldete er Marco wirklich schon viel zu viel und war darüber hinaus zu gern in seiner Nähe.
 

Das alles waren Warnzeichen, die er nicht ignorieren sollte, aber... jetzt allein zu sein, war gerade tatsächlich wenig verlockend und die Aussicht auf eine Tasse heißen Kaffee dagegen verführerisch. Die Einsamkeit, sonst sein stummer Verbündeter, erschien ihm heute wie sein ärgster Feind.
 

»Okay...«, lenkte er mit einem kleinen Nicken ein und Marco hob überrascht eine Braue, als hätte er eigentlich mit mehr Widerstand gerechnet. Doch er ließ es klugerweise unkommentiert, hielt Law die Zimmertür auf und lief mit ihm zum Lift.
 

Auch wenn Law es vermutlich niemals offen zugegeben hätte, heute war eine dieser Nächte, in denen er sich nach Gesellschaft sehnte und das Alleinsein nur schwer ertrug. Seit Lamy im Koma lag, war Marco schleichend zu einem Bezugspunkt für ihn geworden und zu einem Menschen, dem er - entgegen aller Logik - irgendwie vertraute.
 

Die Fahrt im Aufzug über musste Law die ganze Zeit über an sich halten, den Konzerner nicht allzu offensichtlich anzustarren, vor allem, da er sich einbildete, ihn immer noch spüren zu können, was sehr widersprüchliche Gefühle in ihm weckte. Er lehnte sich mit der Schulter an die Liftwand und verschränkte die Arme vor der Brust, um sein Zittern einigermaßen zu unterdrücken und den fadenscheinigen Rest an Wärme festzuhalten.
 

Jetzt, nachdem er wieder halbwegs klar denken konnte, rekapitulierte er die Geschehnisse der letzten Minuten noch einmal und fragte sich natürlich, wie Marco ihn überhaupt hatte finden können. Law spannte sich leicht an. Ließ er ihn etwa überwachen? Das wäre zwar logisch, aber... irgendwie wollte er nicht, dass Marco das Gefühl hatte, er müsste ihm misstrauen.
 

»Woher wusstest du…«, Law räusperte sich, seine Kehle war noch immer angegriffen und der Geschmack in seinem Mund furchtbar, »warum hast du überhaupt nach mir gesehen?«
 

»Haruta«, erwiderte Marco sofort. »Er ist darauf programmiert, auch die Vitalfunktionen und das Befinden der Belegschaft und der Personen im Gebäude zu überwachen, um bei Notfällen schnell eingreifen zu können. Er hat mich gerufen.« Das klang plausibel und Law entspannte sich wieder ein wenig mehr.
 

»Hätte er dann nicht eher die Ärztin kontaktieren sollen…?«, gab Law zu bedenken. Nicht, dass ihm das lieber gewesen wäre, rückwirkend betrachtet war er eigentlich froh, dass Marco ihn gefunden hatte.
 

»Vermutlich schon…«, räumte Marco achselzuckend ein. »Aber vielleicht schien er geahnt zu haben, dass Makino dir nicht wirklich würde helfen können. Ich werde die KI bei Gelegenheit von Sabo nochmal checken lassen. In letzter Zeit scheint er häufiger eigenmächtige Entscheidungen zu treffen«, brummte er drohend in den Raum, weil die künstliche Intelligenz garantiert mithörte.
 

Marco war fast ein wenig nervös, als sie im Penthouse ankamen und er Law jetzt in seine Wohnung führte. Noch war nicht alles komplett ausgeräumt und dementsprechend herrschte nicht die Ordnung und Struktur, die er eigentlich bevorzugte und gewohnt war. Und es war das erste Mal, dass er einen Besucher mit in sein Reich nahm - von Stussys Auftritt einmal abgesehen - und irgendwie wollte er, dass es Law bei ihm gefiel und er sich wohl fühlte.
 

Doch der junge Mann schien sich an den sporadisch noch herumstehenden Kartons gar nicht zu stören. Er sah sich zwar aufmerksam um, doch das wirkte weniger abschätzend als vielmehr auf Laws nüchterne Art analysierend. Marco stellte die Tasche auf der riesigen Wohnlandschaft ab. »Fühl dich bitte wie Zuhause«, gewährte er freundlich und eilte dann ins Schlafzimmer, um ein paar frische Sachen und Handtücher zu holen.
 

Dann zeigte er Law das großzügige Badezimmer und der bemerkte dankbar, dass Marco sogar so umsichtig gewesen war, ihm neben herrlich duftenden Shampoo und Seife sogar eine frische Zahnbürste bereitzustellen. Allein für diese Weitsicht hätte er den Konzerner gerade wirklich umarmen können... natürlich nur im übertragenen Sinne.
 

Als er frisch geduscht, mit geputzten Zähnen und in einen unglaublich weichen, dunklen Morgenmantel gehüllt einige Minuten später aus dem Bad kam, fühlte sich Law schon fast wieder wie ein Mensch. Darunter trug er eine frische Jeans und ein etwas zu großes, aber bequemes Shirt des Konzerners. Marco hatte inzwischen wie versprochen auf traditionelle Weise Kaffee aufgesetzt und das sanfte Gluckern der Maschine und der sich langsam ausbreitende Geruch von frisch gemahlenen Bohnen wirkte durchaus beruhigend.
 

Law nutzte die Zeit, die Marco jetzt im Badezimmer war, um sich genauer umzusehen. Er war sonst eigentlich nicht der neugierige Typ, doch die Wohnung des Konzerners interessierte ihn doch irgendwie… vielleicht auch, weil er noch mehr über Marco Phoenix herausfinden wollte, diesen ungewöhnlichen Mann, der in keine Schublade passen wollte. Für was begeisterte sich ein Mensch, der augenscheinlich alles zu haben schien?
 

Außerdem musste Law seinen Kopf unbedingt mit etwas anderem als den ewigen Gedankenkreisen um die zurückliegenden Stunden beschäftigen, sonst würde er wohl wahnsinnig werden… die Geschehnisse im Donquixote-Anwesen lasteten schwer auf ihm und seinem Gewissen und mit einem Mal war er sehr froh, dass Marco darauf bestanden hatte, dass er mit ihm kam.
 

Aufmerksam studierte Law das Bücherregal, das eine breite Auswahl an klassischen Bestsellern und Lyrik der verschiedensten Genres beinhaltete. Alles war akkurat sortiert und aufgeräumt. Offenbar war Marco Phoenix jemand, der gern noch an traditionellen Dingen festhielt, denn diese riesige Sammlung war eigentlich unnötig, wo es doch jegliches Werk inzwischen digital und wesentlich platzsparender zu erwerben gab.
 

Law fand auch einige Enzyklopädien und Fachbücher über Astronomie und Sternenkunde, was er verwundert, aber positiv überrascht zur Kenntnis nahm. Er hätte den augenscheinlich bodenständigen Marco gar nicht wie jemanden eingeschätzt, der sich mit solch eher abstrakten Themen wie dem Kosmos auseinandersetzen würde.
 

An der Wand neben dem Regal hingen einige gerahmte Zertifikate über diverse betriebswirtschaftliche Lehr- und Studiengänge, daneben ein paar Medaillen und Urkunden, die von Wettkampfschwimmen stammten. Marco hatte so einige erste Plätze in der Vergangenheit verteidigt, doch in den letzten drei Jahren waren keine Preise weiter hinzugekommen. Vielleicht hatte ihn seine Arbeit dann zu sehr eingespannt.
 

Am meisten verblüffte Law dann aber wohl die Virtual Reality-Ausrüstung an dem riesigen Fernseher des Wohnzimmers und die noch original verpackten Sammelfiguren einer Sci-Fi-Spielereihe, die gerade ziemlich angesagt war und bei der man sich online in Raumschlachten messen konnte. Er erinnerte sich, dass Sabo mal darüber gesprochen hatte.
 

Fasziniert glitt Laws Blick über eines der imposanten Raumschiffe in der Plasteverpackung, das in einer beleuchteten Vitrine neben dem großen Monitor stand und nahm vorsichtig die detailreiche Figur eines Space-Soldiers heraus. Insgeheim fand er solche Dinge durchaus unterhaltsam, doch er gönnte sich selten die Zeit für derlei Zerstreuung.
 

Die Tür zum Badezimmer öffnete sich und Marco kam zurück, ein Handtuch um die breiten Schultern geschlungen, mit dem er sich gerade die Haare trocken rieb. Es war ungewohnt den Konzerner in so einfachen Klamotten wie einem T-Shirt und wenig standesgemäßer Trainingshose zu sehen. Allerdings konnte er auch das tragen und sah trotzdem noch… gut aus.
 

Law nickte mit einem winzigen Schmunzeln auf die VR-Ausrüstung und fragte beinahe scherzhaft: »Ist das nicht ein bisschen unpassend für einen Mann wie dich? Solltest du nicht eigentlich in deiner Freizeit mit deiner Yacht durch den Pazifik schippern oder beim Golf mit dem Finanzminister sein?« Er stellte die Figur zurück in die Vitrine, obwohl Marco es nicht zu missbilligen schien, dass er sich umgesehen hatte. Immerhin sollte er sich ja wie Zuhause fühlen.
 

Der Konzerner grinste verschmitzt. »Ich muss dich leider enttäuschen, ich bin furchtbar schlecht beim Golf und habe auch keine Yacht. Aber… ich könnte mir eine kaufen, falls das dein Weltbild beruhigen sollte«, meinte er lachend und warf das Handtuch über die Lehne der Wohnlandschaft. »Allerdings bestehe ich dann darauf, dass du auf der Jungfernfahrt dabei bist.«
 

»Wieso?«, fragte Law leicht amüsiert und blickte zu den vielen Preisen aus den Schwimmwettkämpfen hinüber. »Einen Rettungsschwimmer wirst du wohl kaum brauchen.«
 

Das Grinsen des Konzerners wurde noch eine Spur breiter, fast verwegen und Law fand das irgendwie… ziemlich anziehend. Marco war trotz allem, was ihm widerfahren war, stets so offen und herzlich - das völlige Gegenteil zu ihm, der seine Emotionen meist verschlossen hielt. »Keinen Rettungsschwimmer, aber ich brauche doch jemanden, der mir stilecht mit dem obligatorischen Palmenwedel Luft zufächelt«, erklärte Marco mit einem Zwinkern. »Wenn schon, dann aber richtig dekadent.«
 

Law stieß ein Schnauben aus, was vielleicht einmal zu einem kleinen Lachen hätte werden wollen. Eigentlich lag ihm bereits eine passende Erwiderung auf der Zunge, doch er verkniff sie sich, denn… er fühlte sich auf dieser Ebene zwischenmenschlicher Interaktion manchmal einfach furchtbar unzulänglich.
 

Obwohl er nicht davon ausging, dass Marco schnell beleidigt wäre, wollte er es allerdings auch nicht riskieren, den Konzerner irgendwie vor den Kopf zu stoßen, immerhin war er der Einzige seit langer Zeit, der nicht sofort in seiner Gegenwart die Flucht ergriffen hatte oder ihn mied wie die Pest. Trotz all seiner Ecken und Kanten und oft so abweisenden Art war Marco stets freundlich auf ihn zugegangen, als könnte er längst hinter diese harte Fassade blicken.
 

»Du spielst…?«, Laws Finger glitten jetzt über die blanke und polierte Oberfläche des Pianos, das in einer Ecke des Wohnzimmers stand. Die Regenschlieren der Fensterfront spiegelten sich in dem lackierten Holz und ließen dieses wie eine unruhige Wasseroberfläche wirken. Law grub die nackten Zehen tiefer in die Tatami-Matten unter seinen Füßen und genoss die Wärme der Fußbodenheizung.
 

Er erinnerte sich schemenhaft, dass er als Kind liebend gern der geistlichen Schwester in dem Krankenhaus beim Klavier spielen zugehört hatte, in dem seine Eltern als Ärzte und Wissenschaftler tätig gewesen waren. All das schien Äonen weit entfernt zu sein - das liebliche Klavierspiel nichts mehr als eine blasse Erinnerung.
 

Marco war inzwischen in die Küche hinüber gelaufen und holte leise klappernd ein paar Tassen aus dem Schrank, bevor er Kaffee einschenkte. »Ja, naja… nicht wirklich gut, fürchte ich. Ich hatte Anfang der Zwanziger eine Selbstfindungsphase und das Bedürfnis, mich kreativ ausleben zu müssen. Irgendwie bin ich aber nicht wirklich lang dabei geblieben«, erklärte er und schob Law jetzt über die Anrichte eine dampfende, große Tasse Kaffee hin.
 

»Warum dann das Piano?« Law ließ sich auf einen der Barhocker am Küchentresen fallen und nahm die warme Tasse dankbar entgegen. Unbewusst raffte er den seidigen Morgenmantel enger um sich, denn obwohl sein Körper wieder annähernd normale Temperatur erreicht hatte, war ihm kalt - eine zehrende Kälte, die ihren Ursprung in ihm selbst hatte und wahrscheinlich auch nicht so leicht weichen würde. Dem Stoff haftete der herbe Duft des Konzerners an, ein Geruch, der Law inzwischen ausnehmend gut gefiel und eine beruhigende Wirkung auf ihn hatte.
 

Marco zuckte leicht mit den Schultern und lehnte sich gegen die Anrichte, während er selbst nun nachdenklich das Klavier betrachtete. »Ach, ich weiß auch nicht… Nostalgie?! Pops hat mir das Ding zum Abschluß meines Studiums geschenkt. Es fällt mir schwer, mich davon zu trennen, obwohl ich eigentlich gar keine Zeit mehr dafür habe, um wieder mit dem Spielen anzufangen«, meinte er, bevor einen Schluck von seinem Kaffee nahm.
 

Law hob nun seine eigene Tasse und der feine Geruch stieg ihm angenehm in die Nase.
 

»Ist eine besonders milde, magenschonende Sorte«, erklärte ihm Marco mit einem Blick aus dem Augenwinkel und Law war wieder einmal überrascht über dessen Feingefühl und Aufmerksamkeit.
 

Er nippte an dem tiefschwarzen, heißen Getränk und war angetan, als sich die dezente Note von Zimt und Kakao in seinem Mund ausbreitete. So hervorragenden Kaffee hatte er lange nicht getrunken, daher urteilte er ehrlich: »Der ist wirklich gut, du hast nicht zu viel versprochen.«
 

Marcos Reaktion war ein kleines Lächeln, bevor er seine Tasse auf dem Tresen zwischen ihnen abstellte und eindringlich Laws Blick auffing. Einen Moment schien er nach Worten zu suchen, dann wollte er nüchtern wissen: »Lohnt es sich zu fragen, was passiert ist? Warum ging es dir vorhin so schlecht?« In Marcos blauen Augen lag echtes Interesse und ungespielte Anteilnahme.
 

Law blickte zur Seite und kaute auf der Innenseite seiner Wange, während er mit sich selbst rang. Die direkte Frage brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Gott, die Verlockung war groß, Marco alles zu erzählen, diesen ganzen Mist endlich einmal loswerden und einfach mit jemanden reden zu können. Vermutlich sollte er das sogar, nachdem, was er Doflamingo an Lügen in Bezug auf den Konzerner aufgetischt hatte, aber… ihm fehlte gerade einfach die Kraft.
 

All die Geschehnisse der Vergangenheit, all das, was er getan hatte und gezwungen gewesen war zu tun, hatte er tief in sich vergraben und verschlossen. Und das aus gutem Grund, denn ohne diese Schutzmaßnahmen hätte er wohl niemals so lang überlebt und seinen Plänen folgen können. Wenn er jetzt alle Mauern niederreißen würde… er wusste nicht, ob er sie dann jemals wieder aufbauen konnte. Vor allem nicht Marco gegenüber.
 

Dieses ganze, mühsam aufgebaute Konstrukt seiner ungerührten Art, diese Masken, die er ständig trug… sie waren das, was ihn am Ende immer noch zusammenhielt. Und Marco gelang es eh schon viel zu einfach, ihn zu verwirren und aus der Bahn zu werfen. Er konnte nicht riskieren, sich selbst in diesem gefährlichen Spiel zu verlieren.
 

Law ließ seinen Kaffee sinken und mit ihm seinen Blick. Er holte tief Luft und glitt mit dem Finger selbstvergessen über das aufgedruckte, blaue Logo der Newgate Corp. auf der Tasse. »Ich musste Dinge tun…«, Law schluckte hart, »die ich nicht tun wollte. Ich habe meine Kräfte zu sehr ausgereizt. Können wir es einfach dabei belassen?«, bat er ruhig.
 

Laws sonst so feste, dunkle Stimme war ungewöhnlich brüchig und die tätowierten Finger mit den Buchstaben auf den Knöcheln zitterten immer noch leicht und klammerten sich fast haltsuchend an die Kaffeetasse. Marco musste arg mit sich kämpfen, um diese schlanke Hand nicht zu ergreifen, in dem starken Drang, dem jungen Mann etwas Wärme spenden zu wollen…
 

Marco zog die Brauen zusammen und musterte Law ergründend. Es war offenkundig, dass dies nur die Spitze des Eisberges war und zu gern hätte er gewusst, was ihn wirklich bedrückte und wie er ihm verdammt noch mal helfen konnte, doch er würde ihn nicht drängen. Aber Law sollte wissen, dass er immer mit ihm reden konnte.
 

»Okay...«, lenkte er verständig ein. Marco wusste selbst, wie schwer es war, über gewisse Dinge zu sprechen und dass es manchmal Jahre dauern konnte, bis man bereit dazu war. Er legte die Unterarme auf die Theke und neigte sich nach vorn, um auf Augenhöhe mit Law zu sein. »Aber über eins sollten wir definitiv reden… was ist da vorhin mit dir geschehen? Ist das vorher schon mal in diesem Ausmaß passiert?« Das Bild des jungen Mannes in diesem kinetischen Mahlstrom an wilder Energie würde er wohl nicht so schnell vergessen.
 

Laws Kiefermuskeln zuckten und seine Finger schlossen sich etwas fester um die Tasse in seiner Hand. »Nein, ist es nicht… und ich weiß auch nicht, was das war«, gestand er zögerlich und hob nun doch wieder den Blick, damit Marco in diese stahlgrauen Augen blicken konnte, die meist dem Licht eines fernen Sterns ähnelten - wunderschön, aber kalt und unerreichbar. Doch jetzt flackerten sie unruhig und straften Laws kontrollierte Gesichtszüge eigentlich Lügen.
 

»Normalerweise habe ich nur Kopfschmerzen. Das ist nicht schön, doch die lassen sich mit Tabletten und Ruhe meist in den Griff bekommen. Aber das vorhin war das erste Mal, dass es mich so… außer Gefecht gesetzt hat und ich die Kontrolle verloren habe«, gab Law widerwillig zu.
 

»Also wird es schlimmer…?«

»In letzter Zeit… Ja.«
 

»Law, hast du jemals deinen MAG Rang prüfen und feststellen lassen?«
 

Law sah ihn im ersten Moment kritisch an, als wüsste er nicht, was Marco mit der Frage bezwecken wollte, antwortete dann aber zurückhaltend: »Ja, vor ein paar Jahren. Rang B Telekinet war das Ergebnis.«
 

Marco musste sich ein ungläubiges Schnauben regelrecht verbeißen. Nie und nimmer war Law nur ein Rang B MAG… er hatte den Abgrund gesehen, diese bodenlose Quelle an Energie, derer sich der junge Mann nicht mal wirklich selbst bewusst zu sein schien. »Deine Augen… weißt du, warum sie die Farbe wechseln, warum sie golden werden, wenn du deine Magie benutzt?«
 

Law schüttelte den Kopf. »Ich habe das immer einfach hingenommen und mir nie großartig Gedanken darüber gemacht. Ich dachte, ich wäre eben einfach... unnormal. Vielleicht ein Genfehler«, erklärte er mit einem beiläufigen Achselzucken. »Die meisten, denen ich begegnet bin, haben es als Laune der Natur, Abartigkeit oder einen Fluch tituliert... und das waren noch die eher harmloseren Bezeichnungen.« Laws Tonlage war viel zu trocken für diesen flüchtigen Funken Verletzlichkeit in seinen Augen.
 

»Du bist wirklich auf keiner Ebene abnormal oder gar verflucht, Law. Das ist Unsinn. Fang' nicht an, dir das einzureden und diesen Mist zu glauben, das macht dich nur kaputt«, beschwor ihn Marco eindringlich. »Vertrau' mir, ich weiß, wovon ich rede... und du bist genau richtig so, wie du bist. Alles andere ist Quatsch.«
 

Law starrte den Konzerner perplex an und nur an seinen leicht geweiteten Augen erkannte man, dass er mit Marcos Offenheit nicht so recht umgehen konnte. Er rettete sich darin, einen Schluck von seinem Kaffee zu nehmen. Marco schimpfte sich in Gedanken schon einen Narren - er hatte einfach ausgesprochen, was für ihn völlig offensichtlich war, aber bei Law musste er sich wirklich angewöhnen, ein wenig dezenter vorzugehen.
 

Marco räusperte sich und fuhr sich dann in einer etwas unbeholfenen Geste durch die noch feuchten Haare, wodurch ihm ein paar längere Strähnen in die Stirn fielen. »Woher hast du deine Kräfte?« Law war weit nach den Magiekriegen geboren, es war unwahrscheinlich, dass er ein ursprüngliches Alpha-Serum in die Finger bekommen hatte. Aber immer wieder gab es schlechte, synthetische Nachbildungen...
 

Law schien wohl zu ahnen, in welche Richtung Marcos Gedanken gingen, denn als wollte er seine Sorgen beschwichtigen, antwortete er: »Unsere Eltern waren MAGs der ersten Generation wie dein Vater. Meine Mutter war Telekinetin und mein Vater ein Telepath...-«
 

»... wie deine Schwester«, führte Marco seinen Satz zu Ende und Law nickte leicht. Das erklärte natürlich einiges. Deshalb waren Trafalgar Lamys mentale Barrieren so stark und ausgeprägt. Marco war nicht entgangen, dass Law auch von seiner Mutter in der Vergangenheitsform gesprochen hatte. Doch jetzt war einfach nicht der richtige Zeitpunkt, um danach zu fragen.
 

»Du hast eine mentale Sperre in deinem Verstand, Law.«
 

Der junge Mann stellte seine Tasse geräuschvoll ab. »Eine was…?!« Law wirkte so ehrlich irritiert, dass der absolut keine Ahnung von dem Konstrukt in seinem Kopf haben konnte. Es hätte Marco auch verwundert, wenn es anders gewesen wäre.
 

»Eine Art... Bannzauber, den irgendjemand, vermutlich ein begabter Mentalmagier, bewusst dort angebracht haben muss«, erklärte Marco. »Und dieser Bann ist nicht erst seit gestern in deinem Kopf. Er ist alt und wird langsam brüchig. Er löst sich quasi auf, daher wohl auch die immer schlimmer werdenden Kopfschmerzen, wenn du deine Kräfte benutzt«, mutmaßte er und tippte sich gegen die eigene Schläfe.
 

Law sah ihn weiter verwirrt, beinahe ein Stück weit verstört an. Auf seiner Stirn gruben sich tiefe Falten ein und er zog die Brauen kritisch zusammen, während er sich über den Nacken rieb und diese Information zu verarbeiten suchte. »Ich… verstehe das nicht, woher… «, begann er kopfschüttelnd. »Ich meine, ich habe nie jemanden zuvor in meinen Kopf gelassen, nicht so wie dich…«, murmelte er sichtlich durcheinander und strich sich mehrere Male durch seinen dunklen Kinnbart, während er finster vor sich hinstarrte.
 

»Vielleicht warst du noch sehr jung, als dieser Eingriff vorgenommen wurde... vielleicht kannst du dich deshalb nicht erinnern«, überlegte Marco.

»Möglich...«, murmelte Law, aber nicht sehr wahrscheinlich. Er ballte die Faust kurz, denn sein Verdacht richtete sich sofort gegen Doflamingo. Aber was hätte der Kartellkönig davon?
 

Law hob den Blick wieder. »Was macht dieses... Ding, dieser Bann?«, fragte er angespannt. Es war eine wirklich beängstigende und beklemmende Vorstellung, dass irgendjemand einfach Etwas in seinem Kopf platzieren konnte, ohne, dass er davon wusste...
 

»Prinzipiell nichts wirklich schlimmes«, versuchte Marco die Sache ein wenig zu entschärfen. »Für mich sah es so aus, als soll diese Sperre deine Kräfte reglementieren. Der Bannzauber wirkt wie eine Abdeckung deiner Machtquelle-« …vielleicht um das ganze Ausmaß deiner Fähigkeiten zu verschleiern, doch das sprach er nicht aus, denn es war nur eine Vermutung seinerseits und er wollte Law nicht noch mehr beunruhigen.
 

»Und was hast du vorhin getan? Konntest du diese Sperre außer Kraft setzen…?«, fragte Law. Die vage Hoffnung in seiner Stimme berührte Marco und er hätte Law wirklich gern zumindest eine seiner Sorgen genommen, doch stattdessen schienen immer mehr hinzuzukommen.
 

Marco schüttelte bedauernd den Kopf und schob seine Kaffeetasse beiseite. »Nein, das war nicht möglich… zumindest ist das nicht so einfach, da ich gar nicht abschätzen kann, welche Folgen das hätte, wenn man diese Barriere mit einem Mal einfach entfernt«, versuchte er zu erklären. »Das könnte dir unter Umständen irreparablen Schaden zufügen und das wollte ich nicht riskieren, daher habe ich den Bann erst einmal wieder provisorisch repariert. Ich habe so etwas vorher auch noch nie getan und ich kann dir nicht sagen, wie lang das halten wird, aber für den Moment sollte es hoffentlich reichen.«
 

Law stützte die Stirn überfordert in seine Finger und blickte mit schmalen Lippen in seine Kaffeetasse. Dann straffte er sich, rieb sich über das Gesicht und kalkulierte Ruhe kehrte in seine Augen zurück. »Na schön... und welche Optionen habe ich jetzt?«, fragte er nüchtern. Da war er wieder, der kühle, kontrollierte junge Mann, der Probleme mit rationalem Abstand angehen wollte... obwohl jemand in seinem Geist herumgepfuscht hatte.
 

Marco schwenkte den Kaffee in seiner Tasse und überlegte kurz. Er wollte Law seine Optionen möglichst sachlich und klar verständlich aufzeigen. »Ich bin wahrlich kein Experte, aber aus meiner Sicht gibt es im Endeffekt nur zwei Möglichkeiten - die Sperre komplett erneuern oder sie völlig entfernen, aber so, wie sie jetzt ist, wird sie nicht mehr ewig halten...«, machte er ungeschönt klar und es war deutlich, was damit ungesagt im Raum schwebte.
 

Law strich über den weichen Ärmelsaum des Morgenmantels und sein Blick verlor sich einen Augenblick an der Fensterfront, an der die Regentropfen wie Tränenströme herabflossen. Marco brauchte es nicht auszusprechen, er konnte sich auch so denken, dass ihn dieser kaputte Bannzauber in seinem Kopf auf kurz oder lang wahrscheinlich umbringen würde...
 

»Bevor du dich entscheidest, solltest du vielleicht den Versuch in Betracht ziehen, herauszufinden, wo diese Sperre überhaupt her kommt und wer sie dort platziert hat«, schlug Marco nachdenklich vor und verschränkte die Arme vor der breiten Brust. »Wenn du Klarheit darüber hast, warum dieser Bannzauber in deinem Verstand installiert wurde, fällt die Entscheidung vielleicht leichter, was du damit machen willst.«
 

Law sah ihn kritisch von der Seite her an. »Und wie kann ich das herausfinden...?«, hakte er zögerlich nach, als wüsste er schon, dass ihm die Antwort wohl wenig gefallen würde.
 

»Nun…«, Marcos Schultern spannten sich an und Law bemerkte irritiert, dass ihn das Muskelspiel unter dem hellen Shirt des Konzerners tatsächlich kurz ablenkte. Die Scornwunde an seinem Oberarm war ungewöhnlich schnell verheilt, doch drei breite Narben waren geblieben. »Es muss Hinweise auf diesen geistigen Übergriff geben, Spuren, ähnlich eines mentalen Fingerabdruckes. Kein geistiger Eingriff geht völlig spurlos vonstatten. Vielleicht hast du die Erinnerung daran tatsächlich vergessen oder nur tief vergraben oder aber…-«
 

»… jemand hat bewusst dafür gesorgt, dass ich mich nicht erinnern kann«, flüsterte Law begreifend. Unbehagen machte sich in ihm breit.
 

Marco nickte vorsichtig und löste die Verschränkung seiner Arme, um ihnen nochmal Kaffee nachzuschenken. »Begabte MentalMAGs können Erinnerungen verschleiern und tief im eigenen Verstand verstecken, so gut, dass man nicht einmal selbst mehr Zugriff darauf hat. Das ist eine bewährte Methode, die manchmal bei besonders traumatischen Erlebnissen eingesetzt werden kann, um dem Betroffenen ein bisschen Ruhe zu schenken. Aber keine Erinnerung ist je wirklich verschwunden oder lässt sich so einfach löschen. Man muss nur wissen, wo man suchen muss.«
 

»Kannst du das? Könntest du so eine Erinnerung finden?«, fragte Law sofort. Ihm war klar, was das bedeutete… jemand musste wieder in seinen Kopf und in seinem Verstand wühlen wie in einem Haufen alter Erinnerungsstücke. Das behagte ihm ganz und gar nicht, aber er musste zwingend herausfinden, wer für diese Sperre in seinem Kopf verantwortlich war, damit er dieses Problem beseitigen konnte, denn vor Doflamingos Niedergang zu sterben stand nicht auf seiner Liste.
 

Marco blinzelte überrascht und hielt mit der Kaffeekanne in der Hand inne. Er hätte nicht erwartet, dass Law ihn so selbstverständlich dafür in Betracht ziehen würde. »Naja, prinzipiell schon, aber ich muss zugeben, ich bin nicht wirklich geübt darin... vielleicht solltest du lieber einen fähigen Telepathen fragen. Deine Schwester…-«
 

»Nein«, entschied Law sofort. »Du musst das machen, Marco«, forderte er bestimmt und bannte den Konzerner förmlich mit seinem unnachgiebigen Blick an Ort und Stelle.

»Na schön... wenn du darauf bestehst«, gab Marco gedehnt nach und stellte die Kanne mit einem leisen Klackern wieder auf die Anrichte.
 

Law strich sich mit dem Zeigefinger angespannt über eine Braue und sein herrischer Tonfall tat ihm augenblicklich leid. Er hatte doch gar kein Recht, auch nur irgendetwas von dem Konzerner zu fordern. »Ich kann Lamy nicht darum bitten. Ich kann sie auf diese Weise nicht in meinen Kopf lassen«, versuchte er Marco zu erklären. »In meinem Kopf gibt es zu viele Erinnerungen… es gibt zu viele Dinge, die sie einfach nicht sehen soll. Sie muss nicht wissen, was ich alles getan habe und sich womöglich schuldig deswegen fühlen, verstehst du?«
 

Und er würde nicht noch mehr Leute in seinen Verstand lassen. Da Lamy für ihn entschieden nicht in Frage kam, war Marco der einzige Mensch, dem er in dieser Hinsicht vertraute. Ein unglaublich großes Zugeständnis, das Law einige Tage früher wahrscheinlich noch für völlig unmöglich gehalten hätte.
 

»Ja, das kann ich natürlich verstehen«, räumte Marco ein, denn er wusste nur zu gut, wie es war, Geheimnisse zu hüten, von denen man fürchtete, dass sie andere verletzten oder in Gefahr bringen konnten. Er stützte die Handflächen auf die kalte Marmorplatte der Küche und begegnete Laws ungewöhnlich unsicherem Blick. »Ich werde dir helfen, Law«, versprach er mit fester Stimme. »Aber nicht unbedingt jetzt gleich...«, meinte er mit einem Seitenblick auf die Uhr des Kochfeldes und leicht gequält gehobenem Mundwinkel.
 

Es war inzwischen fast zwei Uhr nachts und wahrscheinlich bräuchte er doch noch ein bisschen Schlaf, auch wenn er den jungen Mann ungern allein lassen wollte. Aber in ein paar Stunden stand ein wichtiges Meeting an und das konnte er beim besten Willen als neuer CEO nicht einfach sausen lassen.
 

Law folgte seinem Blick und wirkte kurz beinahe schuldig, als er die Uhrzeit sah. »Ja, natürlich... ich wollte dich nicht so lange aufhalten, ich sollte dann wohl besser...-«, murmelte er und machte schon Anstalten, sich erheben zu wollen, während er Marcos Augen auswich, was den Konzerner irgendwie fast verrückt machte...
 

»Hey...«, unterbrach Marco ihn sanft und griff rein instinktiv nach einer von Laws tätowierten Händen auf der Anrichte, um ihn aufzuhalten. Dieser Wagemut zeigte sofort Wirkung, denn der junge Mann hielt erstarrt inne. Doch er zog seine Hand nicht weg... und sah ihn abwartend an, wie ein scheues Tier, das noch unschlüssig war, ob es bleiben oder flüchten sollte. »Du musst nicht gehen. Du kannst gern hier bleiben und es dir auf der Couch bequem machen, wenn du willst. Das stört mich wirklich nicht. Ich habe alle möglichen Streaming-Dienste abonniert, falls du nicht schlafen kannst oder willst, wie gesagt... fühl' dich wie Zuhause«, meinte er mit einem einladenden Lächeln.
 

»Streaming... so richtig dekadent, hm?«, witzelte Law vorsichtig mit einem verhaltenen Schmunzeln, um irgendwie zu überspielen, dass ihn das Angebot genauso überforderte wie es ihn insgeheim freute... ebenso wie diese verteufelt sanfte, große Hand, die auf seiner eigenen lag und plötzlich seine ganze Aufmerksamkeit zu beanspruchen schien.
 

»Naja, wenn ich schon nicht mit der pompösen Yacht punkten kann, dann doch wenigstens mit unbegrenztem Datenvolumen«, grinste der Konzerner amüsiert und zuckte lässig mit den Schultern.
 

Laws Herz holperte ein wenig bei diesem schelmischen Grinsen und gefesselt sah er in diese unglaublich blauen Augen, die ihn wie einen Menschen von Wert ansahen, mit einer Wärme, die ihn regelrecht erschütterte. Dieser ungewöhnliche Mann vermittelte ihm eine Sicherheit, die er lang nicht empfunden hatte.
 

»Danke...«, hauchte Law mit belegter Stimme und meinte damit nicht nur das gerade vorgebrachte, freundliche Angebot des Konzerners. Doch Marco schien die unausgesprochenen Worte auch so zu verstehen, denn sein Blick wurde merklich weicher... und dessen Daumen strich jetzt federleicht über Laws Fingerknöchel und den so unversöhnlich erscheinenden Schriftzug auf dessen Haut.
 

»Du musst dich nicht bedanken, wirklich nicht«, beruhigte ihn Marco. »Ich bin für dich da«, versprach er mit einer Stimme, die irgendwie tiefer geworden war, während sich ihre Blicke ineinander verhakten. »Du musst es nur sagen, wenn du mich brauchst, Law...«
 

Law wurde mit einem Mal furchtbar warm und er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, warum er vor dieser Berührung nicht zurückzuckte... und sich stattdessen fragen musste, wie es wohl wäre, wenn diese sanften Finger sich gänzlich mit seinen verschränken würden, während ihn Marcos kräftiger Körper auf eine Matratze drücken und dessen sinnliche, blaue Augen ihn dabei genauso wie jetzt ansehen würden...
 

Sein Blick fiel auf Marcos Mund… und Law zog seine Hand zurück. Um es nicht wie einen defensiven Fluchtversuch anmuten zu lassen, führte er die Bewegung weiter und zog den Gürtel des Morgenmantels unnötigerweise fest. »Dann würde ich gern hierbleiben...«, entschied er ungewöhnlich intuitiv, obwohl er wusste, dass das mit ziemlich an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein einziger, riesig dummer Fehler war.
 

Marco wirkte nicht verprellt durch seinen Rückzug, eher vertiefte sich das weiche Lächeln auf seinen Lippen erfreut und er richtete sich auf. »Ich hole dir noch ein Kissen und eine Decke«, bot er an und legte kurz darauf das Versprochene bereit, bevor er Law noch eine Gute Nacht wünschte und sich verabschiedete.
 

Wie vorgeschlagen ließ sich Law auf der riesigen Couch nieder und schaltete den Fernseher ein. Er wickelte sich in die flauschige Decke, hob ein Bein auf die Sitzfläche und legte das Kinn auf das angezogene Knie, während er ziellos durch die Masse an unzähligen Programmen zappte, die Marco zur Verfügung standen. Eigentlich hatte er wenig Lust einen Film zu sehen, aber an Schlaf war im Moment wirklich noch nicht zu denken. Bei den Nachrichten blieb er kurz hängen, die von einem weiteren Seebeben in der Nähe von Impel Down berichteten.
 

Seine Augen schweiften zu dem langen Flur, der zu Marcos Schlafzimmer führte. Es war eine seltsame Vorstellung, dass der Konzerner quasi nur ein paar Schritte entfernt in seinem Bett lag und inzwischen vermutlich schlief, arglos, wehrlos, als wären sie... Freunde, bei denen es wohl nicht ungewöhnlich war, diese Vertrautheit und Sicherheit zu teilen. Diese Art Nähe hatte er das letzte Mal bei Corazon zugelassen.
 

Gedankenverloren strich er über seinen Handrücken, spürte beiläufig der sanften Berührung des Konzerners nach, während er die flackernden Bilder auf dem Fernseher und die Ansprache der aufgeregten Nachrichtensprecherin nur mit minderem Interesse verfolgte. Sein Kopf wollte kaum zur Ruhe kommen.
 

Als ihm bewusst wurde, was er tat, ließ er die Hand fallen und griff rasch wieder nach der Fernbedienung, um sich mit dem Wechsel zu einer belanglosen Dokumentation abzulenken. Doch das klappte nur teilweise, denn er konnte nicht leugnen, dass es Marcos Berührung gewesen war, welche die hartnäckige Kälte am Ende restlos aus seinen Knochen vertrieben hatte.
 

Verdammt… Law ließ den Kopf in den Nacken und gegen die Sofalehne fallen. Na schön, er musste offensichtlich akzeptieren, dass Marco Phoenix ihn ganz und gar nicht kalt ließ. Aber er würde diese Emotionen zurückstellen und unterdrücken, wie er es mit den meisten Gefühlen tat. Er hatte gerade genug Probleme, da konnte er sich nicht auch noch damit auseinandersetzen, dass er sich offensichtlich viel zu sehr zu dem freundlichen Konzerner hingezogen fühlte.
 

Heute war eine Ausnahme gewesen, ein Ausrutscher, weil er angreifbar gewesen war durch die Geschehnisse und diesen unkontrollierbaren Ausbruch seiner Kräfte, aber ab morgen würde er sich wieder in den Griff bekommen müssen. So kurz vor dem Ende seiner Sache durfte er das Ziel nicht aus dem Blick verlieren. Zumindest war das sein Entschluss, als er erschöpft auf den Fernseher starrte...
 

Später in der Nacht wachte Law auf.
 

Er musste wohl doch eingenickt sein und blinzelte nun in die Finsternis der Wohnung, während er sich zu orientieren versuchte. Der Fernseher hatte sich inzwischen abgeschaltet und es war ruhig bis auf das unablässige, leise Trommeln des Regens gegen die Fensterscheiben. Die Küche lag still und dunkel da, alle Lichter hatten sich abgeschaltet, selbst der künstliche Wasserlauf des steinernen Raumteilers am Eingang war versiegt.
 

Law lauschte angestrengt in die Stille und atmete flach durch den Mund, seine Intuition und jahrelange Erfahrungen warnten ihn, dass irgendetwas nicht stimmte. Seine Sinne waren alarmiert. Etwas hatte ihn geweckt, ein Geräusch, das nicht hierher gehörte und als Law sich schon damit abfinden wollte, dass ihm seine offensichtlich überreizten Nerven vielleicht doch einen Streich gespielt hatten… hörte er es wieder.
 

Irgendetwas bewegte sich in der Wohnung, schleichend wie auf Spinnenbeinen über den Boden und Law konnte den gedrungenen, seltsam unförmigen Schatten aus dem Augenwinkel ausmachen, nicht mehr als Schwarz im Schwarz der Nacht, der aus dem Badezimmer glitt und fließend wie Wasser durch die angelehnte Tür ins Schlafzimmer des Konzerners huschte.
 

Etwas war hier… und hatte es offensichtlich auf Marco Phoenix abgesehen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Ruha_Ducky
2023-02-13T16:48:13+00:00 13.02.2023 17:48
Uhhh neues Kapitel :D
Und was für eines!
Wieder so schön geschrieben
Ich war echt gespannt auf die nächste Begegnung zwischen Law und Marco nachdem was bei Doflamingo passiert ist
Gut das Marco zur Stelle war und Law sich etwas auf ihn eingelassen hat
Sooo gespannt wie es weiter geht :D
Antwort von:  Ceydrael
25.02.2023 14:12
Hey Ruha_Ducky! :)
Freut mich sehr, dass dir das neue Kapitel wieder gefallen hat!
Ja, Marco durfte hier Retter in der Not spielen und Law begreifen, dass es vielleicht gar nicht so schlimm ist, sich auch mal von anderen helfen zu lassen ^^
Bleib ruhig gespannt dabei, ich denke, es geht aufregend weiter ;D
Liebe Grüße!


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