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Warsong

von

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Blut und Schatten

Shanks' Wagen entpuppte sich als eine mittelgroße, gepanzerte Limousine, die äußerlich für den Konzerner ungewöhnlich unauffällig war, innen aber komfortabel ausgestattet. Ben Beckmann saß hinter dem Steuer und lenkte den Wagen sicher durch den nächtlichen Verkehr in Richtung Shibuya, während Shanks und Marco im hinteren Teil sich gegenüber Platz genommen hatten.
 

Marco sah eine Weile nur schweigend aus dem Fenster, während der Regen unablässig gegen die getönten Scheiben trommelte und rieb sich immer wieder geistesabwesend über das Handgelenk. Shanks ließ ihm die Zeit, um sich mit der neuen Situation vertraut zu machen und führte währenddessen ein paar gedämpfte Telefonate.
 

Draußen zogen bunt blinkende Reklametafeln vorbei und viele Geschäfte und Restaurants waren bereits weihnachtlich geschmückt, denn das christliche Fest bot immerhin genug Gelegenheiten für höhere Umsätze. Trotz der späten Stunde und des schlechten Wetters waren viele Passanten unterwegs.
 

Auf einem Tempelvorplatz drehte sich das haushohe Hologramm von Kaiser Hiroto, der eine feierliche Ansprache hielt und die militärischen Streitkräfte ehrte, die erst kürzlich in die Mongolei entsandt wurden waren, um der dortigen Armee gegen die Scornangriffe zu helfen. Viele würden wahrscheinlich nicht zurückkommen und auch eine Rede des Kaisers würde den Verlust für die Familien wohl kaum erträglicher machen...
 

Hinter den grell erleuchteten Scheiben eines Einkaufszentrums wurde die neue Wintermode effektheischend angeboten, die neuesten, schrillen Kreationen von Bentham, dem australischen Star der Modewelt. Ein paar Mitarbeiter des Zentrums hatten sich verkleidet am Eingang eingefunden und warben in weihnachtlichen Kostümen bei den vermögenden Kunden für Spenden und wohltätige Projekte. Die meisten ließen die bemühten Gestalten unbeachtet stehen. Die Party auf dem Dach des Gebäudekomplexes war wohl eindeutig interessanter.
 

Sie erreichten Shibuya Crossing und Marco blickte mißbilligend auf den riesigen, extra gezüchteten Weihnachtsbaum, den die Stadt auf dem Platz neben der Hachikō Memorial Statue aufgestellt hatte. Es gab genug Familien in der Megacity, die an Weihnachten nichts zu essen auf dem Tisch haben würden... und dann flossen Gelder in solch einen Unsinn. Marco würde die Tradition seines Vaters aufrecht erhalten und einen Teil der Gewinne des Geschäftsjahresabschlusses an Weihnachten gemeinnützigen Hilfsprojekten spenden – nicht, weil es gute Publicity brachte, sondern weil es schlichtweg richtig war.
 

Kopfschüttelnd musterte er den Baum, als sie an der Ampel standen. Das monströse Ungetüm schillerte in allen Farben des Regenbogens und auf der Spitze drehte sich ein überdimensionaler Neonstern. Allein die Kosten für den Energiebedarf dieses Dings würden wohl reichen, um eine ganze Handvoll Familien ein ganzes Jahr über die Runden zu bringen. Ein Holobanner kreiselte um die gewaltige Tanne und bewarb die große, jährliche Datingparty am Tokio Tower.
 

»Na, Interesse?«, fragte Shanks mit einem anzüglichen Grinsen, der Marcos Blick gefolgt war und das Werbebanner ebenfalls bemerkte. Er hatte ein Fach in der Mittelkonsole des Wagens geöffnet und schon wieder eine Flasche Champagner in der Hand. »Doch noch auf der Jagd, hm? Ich hab' mir gleich gedacht, dass Boa Hancock eigentlich fast ein bisschen zu extravagant für deinen Geschmack ist.«
 

Marco warf ihm einen ziemlich finsteren Blick zu. »Wir sind nur Geschäftspartner...« Langsam wurde es wirklich lächerlich.
 

»Ja, natürlich...«, rollte Shanks mit den Augen und trank mit hochgezogenen Brauen von dem Schampus, den er sich eingeschenkt hatte. »Was ist eigentlich mit dieser kleinen, charmanten Blonden, die vor ein paar Jahren ständig an deinem Hintern klebte? Seid ihr nicht mehr zusammen? Sie schien dich ja geradewegs zu vergöttern. Ich dachte eigentlich, du wärst inzwischen längst verheiratet...«, meinte Shanks und schielte vielsagend auf Marcos leeren Ringfinger.
 

»Ich wüsste ehrlich nicht, was dich das angeht...«, sagte Marco abweisend. Unbewusst verschränkte er die Arme und sah aus dem Fenster. Sein eigenes Spiegelbild blickte ihm düster entgegen.
 

»Na, wir sind doch jetzt quasi Partner. Da sollte es doch keine Geheimnisse geben«, entgegnete Shanks lapidar, fügte dann aber nach einem Achselzucken deutlich ernsthafter und ehrlich interessiert an: »Du wirktest recht glücklich damals. Deshalb frage ich mich halt, was passiert ist...«
 

Zu Marcos eigener Verwunderung antwortete er abgeklärt: »Stussy und ich haben uns schon vor drei Jahren getrennt. Es stellte sich heraus, dass ihr mehr an materiellen Dingen lag als an mir.« Er hatte wirklich geglaubt, diese Frau zu lieben... und sie war nur auf sein Geld und eine gute Stellung fixiert gewesen. Seitdem hielt sich Marco bewusst mit privater Zukunftsplanung zurück und stürzte sich mit Freude in die Arbeit.
 

»Hm, ein Fluch von Rang und Namen. Das tut mir ernsthaft leid für dich...«, murmelte Shanks und in seiner Stimme lag genügend Ernsthaftigkeit, dass Marco ihm tatsächlich glaubte.
 

»Willst du mir nicht lieber endlich mal verraten, wohin wir unterwegs sind und warum?!«, versuchte Marco das Gespräch entschieden in eine andere Richtung zu lenken. »Mein Liebesleben wird wohl kaum Grund genug sein, den Wachhund des Senats nach Tokio zu bemühen...«
 

Die Sache mit Stussy lag zwar schon einige Zeit zurück, aber noch immer sprach er ungern darüber – über seine gutgläubige Naivität. Thatch hatte ihn immer gewarnt, dass sein Gottvertrauen in die Menschen ihm irgendwann mal das Genick brechen würde... und in diesem Fall hatte er leider recht behalten.
 

Shanks hob den Zeigefinger und trank den letzten Schluck von seinem Champagner, bevor er das Glas entschieden beiseite stellte. »Da hast du recht.« Per Knopfdruck öffnete sich ein weiteres, kleines Fach der Mittelkonsole. Die Innenbeleuchtung wurde gedämpft und ein Holopaneel erschien zwischen ihnen.
 

»Was haben ein Anwalt, ein Meteorologe, eine Lehrerin, eine Fabrikarbeiterin und ein Ex-Navi Seal gemeinsam?«, fragte Shanks scheinbar zusammenhanglos und betrachtete Marco forschend, während er die Beine überschlug.
 

»... ich hoffe, das gehört zum Thema und soll nicht der Anfang eines sehr schlechten Witzes werden!?« Marco hob zweifelnd eine Braue, doch Shanks gab ihm nur einen auffordernden Wink. Marco ließ sich seufzend auf das Spielchen ein. »Na schön, keine Ahnung… was haben sie denn gemeinsam?«
 

»Ich verrate es dir - nichts! All diese Leute haben rein gar nichts gemeinsam. Nicht die Augenfarbe oder die sexuelle Gesinnung, weder die gleiche Blutgruppe, noch sind sie weitläufig verwandt. Sie leben auf verschiedenen Kontinenten und kennen sich nicht einmal. Sie haben völlig unterschiedliche Hobbys, keine Vorstrafen, nicht mal ausgefallene Laster. Sie sind nicht besonders vermögend, haben keine offenkundigen Feinde, keine zwielichtigen Bekanntschaften, noch nicht mal unbezahlte Rechnungen. Es gibt augenscheinlich keinen Grund, warum man sie aus dem Weg räumen wollen würde - und doch sind diese fünf Menschen tot. Getötet immer auf die gleiche Art und Weise - von einem Phobiokinet zu Tode gefoltert.«
 

»Du sprichst von den Fear-Morden...«, erkannte Marco beunruhigt, immerhin hatten sich die Medien in letzter Zeit lang und breit darüber ausgelassen.

»Exakt... und nun gab es den nächsten Vorfall, hier in Tokio, in Shinjuku. Vor nicht ganz zwei Tagen«, offenbarte Shanks düster.
 

»Das war nicht in den Nachrichten...«

Shanks' Mundwinkel zuckten selbstgefällig ein Stück nach oben. »Weil ich eine vorübergehende Nachrichtensperre verhängt habe... und kein Journalist möchte Streit mit mir, deshalb halten sie sich auch brav an diese Ansage.«
 

Marco sah Shanks irritiert an und ließ endlich die Verschränkung seiner Arme fallen. »Aber ich dachte, man hätte den Kerl endlich geschnappt. Die Staatspolizei hat ihn doch angeblich einkassiert...«
 

»Tja… offensichtlich wollte sich da nur jemand mit fremden Federn schmücken. Den Phobiokinetiker, denn sie erwischt haben, ist zwar alles andere als ein unbeschriebenes Blatt, aber er ist definitiv nicht derjenige, der diese Morde begangen hat...«, erklärte Shanks zerknirscht. »Inzwischen ist der Fall an den Senat übergeben. Man fürchtet langsam einen Aufschrei in der Bevölkerung. Ein MAG, der ungestraft unter den Menschen wüten kann, kommt meist nicht so gut an. Darum hat man mich hergeschickt.«
 

»Und es besteht nicht vielleicht die Möglichkeit, dass wir es hier mit einem „Trittbrettfahrer“ zu tun haben?«, fragte Marco kritisch. Leider gab es immer wieder Menschen, die sich die zweifelhaften Taten krimineller MAGs zum Vorbild nahmen, um ihnen nachzueifern – weil sie diese als Gottheiten ansahen und deren Taten als eine Art Prophezeiung betrachteten.
 

»Eher unwahrscheinlich. Unser angeblicher Fear-Mörder hat sich in den Verhören auch schnell in Widersprüchen verstrickt. Und der Vorfall hier in Tokio... am besten, du siehst es dir selbst an. Es ist schwer zu beschreiben.« Einen Moment zögerte Shanks, doch dann drückte er seinen kybernetischen Daumen auf die Schaltkonsole des Holo-Bedienpaneels. Eine Projektion flammte auf. »Bisher glichen die Morde eher einer effizienten Geradlinigkeit, als hätte der Täter ein bestimmtes Ziel und die Opfer waren nur Hindernisse. Aber dieses Mal... hat unser Mörder regelrecht gewütet, als wäre er emotional geworden.«
 

Das Licht der Projektion verdichtete sich und ein scharfes, detailreiches Bild entstand. Man sah ein Loft im traditionellen, japanischen Stil, einfach, unaufdringlich, doch sehr edel. Die gesamte Wohnung war hell und freundlich, im Außenbereich schloss sich an die gläserne Dachseite ein begrünter Balkon mit einem Yakuzi an. Mitarbeiter der Spurensicherung in weißen Anzügen liefen durch das Bild. »Das ist die Wohnung von Yamamoto Ashitaka. Vielleicht sagt dir sein Name etwas, er ist...«

»... ein ehemaliger Günstling der Kaiserfamilie und einer der letzten, unbestechlichen Staatsanwälte im Land, so heißt es zumindest«, sagte Marco.
 

Shanks nickte. »Ein aufrichtiger Mann, keine Skandale, wenig Medienpräsenz.« Das Bild wechselte und nun erschien ein großer Nebenraum, anscheinend für offizielle Anlässe gedacht. Es gab eine offene, von weißem Stein eingefasste Feuerstelle an einer Wand, eine gemütliche Sitzecke, mehrere runde Tische waren im Raum verteilt, mit Essen und Dekorationen beladen. »Ashitaka war wohl gerade dabei seinen Geburtstag zu feiern«, erklärte Shanks tonlos. Gesetzte goldene und silberne Girlanden hingen von der hohen Decke, Luftschlangen waren verspielt über die Tische verteilt. Das war allerdings auch das einzig freundliche an diesem Bild, an diesem... grotesken Stillleben, das sich Marco präsentierte.
 

Der Raum war rot. Nicht rot gestrichen, nein... er schwamm in Blut. Der glänzende Boden war ein einziger, blutiger See, die Fenster waren bespritzt, die Wände, selbst die Decke. Blut tropfte träge von den Lampen, vom Geschirr, beschmierte die weiße Sitzecke und die beigen Vorhänge - Das Blut der Gäste.
 

In der Mitte des Raumes waberte eine Dunkelheit, die nicht von dieser Welt schien – ein schwarzes, öliges, absonderliches Ding, das wie das Epizentrum einer Detonation anmutete, wie der letzte Rest Rauch, der sich über einem erloschenen Feuer kräuselte. Als hätten die Menschen, Ashitakas Gäste, versucht vor diesem Punkt zu fliehen, waren sie kreisrund im Raum verteilt, stoben von dort auseinander wie ein auf dem Boden zerplatzender Wassertropfen. Und alle waren in der Bewegung erstarrt, als hätte man die Stop-Taste einer Aufzeichnung gedrückt.
 

Einem älteren Mann waren die Augen fast aus den Höhlen gequollen, sein Mund war zu einem lautlosen Schrei geöffnet, die dürren Finger zu Klauen gekrümmt, die sich in die Schulter der Frau vor sich gegraben hatten, so fest, dass Blut geflossen war. Eine andere Frau war völlig von Sinnen über einen anderen Gast auf dem Boden getrampelt, der sich mit blutigen Fingernägeln verzweifelt über den Boden zu zerren versucht hatte.
 

Der gesamte Raum war voller Menschen, die übereinander gekrochen und gestolpert waren, die sich gegenseitig beiseite gedrängt hatten, nur um entkommen zu können, um vor der Raummitte zu fliehen. Unzählige Gesichter waren in schrecklicher Furcht und Pein erstarrt, die nackte Angst stand in ihren Augen.
 

Jedem einzelnen Gast hatte man die Kehle durchgeschnitten, einigen sogar Brust oder Bauch regelrecht aufgeschlitzt... und trotzdem standen viele von ihnen noch aufrecht. Wenn nicht auch hier die Mitarbeiter der Spurensicherung durch das Holo gelaufen wären, hätte man tatsächlich glauben können, dass nur jemand die Aufnahme angehalten hatte...
 

»Sie sind vor lauter Angst sprichwörtlich erstarrt und gestorben«, murmelte Shanks und zum ersten Mal, seit er den anderen kannte, meinte Marco so etwas wie den Anflug von Unbehagen in seiner Stimme zu hören. Der rothaarige Konzerner wühlte in seinem Mantel nach einer Zigarette und steckte diese zwischen die Lippen. Er brauchte zwei Anläufe, um sie zu entzünden. »Die meisten waren bereits tot, als man sich mit einer Klinge an ihnen ausgetobt hat. Also eigentlich völlig überflüssig.« Sein Blick suchte den von Marco über die Projektion hinweg. »Ich vermute, das war ein Statement...«
 

Marco schauderte. Er hatte schon viel gesehen, aber so etwas... er war froh, dass sein Abendessen bereits einige Stunden zurücklag, denn sonst hätte er wohl ernsthaft Mühe gehabt, es bei sich zu behalten.
 

Shanks beugte sich nach vorn, stützte einen Ellenbogen auf das Knie und drehte die Projektion mit einer knappen Fingerbewegung, sodass die Decke der Wohnung in Sicht kam. »Der Gastgeber... und seine Frau«, erläuterte er tonlos, als das Bild auf den Mann fiel, den man mit ausgebreiteten Gliedmaßen förmlich an die Decke genagelt hatte, neben ihm eine Frau, deren Gesicht ihm zugewandt war... als hätte sie selbst im Angesicht größten Leides nach seinem Blick gesucht. Von ihren Gesichtern war nicht mehr viel zu erkennen, die gesamte Zimmerdecke war blutbesudelt...
 

Marco schluckte hart und wandte den Blick fröstelnd ab. Ihm war übel und er war dankbar für Shanks' Umsicht, die Fenster ein Stück weit herunter zu lassen, damit kühle Nachtluft in den Innenraum der Limousine strömen konnte. »Das sieht nicht aus, als hätten wir es nur mit einem Täter zu tun... meine Güte, wer tut so etwas?! Welcher gottverdammte Grund rechtfertigt so ein Blutbad?!«, fragte Marco verständnislos, nachdem er sich tief luftholend über die Augen gerieben hatte. Diese Bilder würde er in absehbarer Zeit aber sicher nicht so schnell loswerden.
 

»Tja, das ist genau die Frage, mein Lieber...« Shanks beendete die Projektion durch einen Knopfdruck. Die Innenbeleuchtung des Wagens schaltete sich wieder ein, konnte die Düsternis aber nicht gänzlich vertreiben. Manchmal war Unwissenheit wohl wahrlich ein Segen.
 

»Bestimmt haben das Gebäude und die Wohnung doch Sicherheitskameras, gibt es denn keine Videoaufzeichnungen?«, fragte Marco und griff nach einer kleinen Flasche Wasser, die im gekühlten Fach der Mittelkonsole lagerte.
 

Shanks schnaubte unzufrieden und blies einen Schwall Zigarettenrauch aus dem halb heruntergelassenem Fenster. »Ashitaka selbst hat das Sicherheitssystem an diesem Abend abgeschaltet, ungefähr eine Stunde vor diesem Vorfall...«

Marco schaute auf und blickte Shanks mit gerunzelter Stirn an. »Er wusste, wer da kam!? Vermutlich hatten sie dann etwas gegen ihn in der Hand«, mutmaßte Marco sofort und Shanks bekräftigte das mit einem Nicken.
 

»Wir haben danach ein wenig nachgeforscht. Ashitakas ältester Sohn ist gerade auf Geschäftsreise in Europa. Er wird seit einer Woche vermisst. Ich würde vermuten, sein Leben war der Toröffner.«
 

Marco rieb sich die Schläfe, dann trank er einen Schluck von seinem Wasser. »All diese Morde... aber wofür?! Wer reist quer über den Planeten, um scheinbar wahllos Menschen zu töten?! Was ist das Motiv dahinter?«
 

»Ich vermute, es ist nicht wahllos. Das ist auf eine kranke Art und Weise systematisch...« Shanks betrachtete die Zigarette zwischen seinen Fingern, dann schnipste er sie aus dem geöffneten Fenster. »Wir sehen die Zusammenhänge nur noch nicht. Aber glücklicherweise haben wir diesmal eine Überlebende, von der ich hoffe, ein paar Antworten zu bekommen. Sie liegt im Central Hospital hier in Shibuya.«
 

Marco weitete überrascht die Augen. »Es hat wirklich jemand überlebt?! Wie?«

Shanks zuckte mit den Schultern. »Glück? Zufall? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Man hat sie im Badezimmer gefunden, wo sie sich vermutlich verbarrikadiert hatte.«

»Hat sie schon etwas gesagt?«
 

»Nun, das ist das Problem und der Moment, an dem du ins Spiel kommst«, meinte Shanks mit einem Fingerzeig auf Marco. Da der ihn fragend ansah, erklärte Shanks entgegenkommend: »Sie hat zwar überlebt, also rein körperlich, aber geistig... ist sie in keinem guten Zustand. Zumindest sagen das die Ärzte. Allerdings hat keiner dort deine Fähigkeiten. Alles andere klären wir am besten, wenn wir da sind.«
 

Den Rest der Fahrt brachten sie schweigend hinter sich und Marco war froh über die Ruhe. Nachdenklich trank er den letzten Schluck seines Wassers und sog die Nachtluft in die Lungen. Was Shanks ihm da gerade gezeigt hatte, war über alle Maßen beunruhigend und Marco hatte das unbestimmte Gefühl, dass dies alles nur die Spitze des Eisberges war...
 

Schlußendlich kamen sie am Krankenhaus an und Marco und Shanks stiegen vor dem Haupteingang bereits aus dem Wagen, während Ben Beckmann noch einen Parkplatz im zugehörigen Parkhaus für die Limousine suchte.
 

Marco schlug den Kragen seines Trenchcoats gegen den anhaltenden Nieselregen hoch und steckte die Hände in die Taschen. Die Temperaturen waren zwar noch deutlich über dem Nullpunkt, doch die anhaltende Feuchtigkeit machte die Luft klamm und unangenehm. Den letzten Frost hatte es in Tokio vor über zehn Jahren gegeben.
 

Marco eilte mit Shanks zusammen unter das Vordach des Haupteingangs, dann betraten sie den Eingangsbereich des Klinikums, in dem ein ziemliches Stimmengewirr und hektische Aufregung herrschte. Offenbar hatte ein Cryomant versucht, in der Innenstadt für ein wenig Schnee zu sorgen, doch die Aktion war wohl mächtig nach hinten losgegangen.
 

Es wurden gerade eine ganze Reihe Notfälle eingeliefert, die mit starken Erfrierungen in Gesicht und an den Händen zu kämpfen hatten. Ein Notfallteam schob einen wimmernden Mann an Marco vorbei, dessen gesamte rechte Gesichtshälfte durch Frost förmlich verbrannt war. Ein kleines Mädchen versteckte sich weinend zwischen den Beinen ihres Vaters, der an der Annahme der Klinik verzweifelt nach einem Ansprechpartner verlangte.
 

»Bitte bewahren Sie Ruhe und bleiben Sie in einer Reihe. Halten Sie bitte Ihre Datenchips für die Überprüfung Ihres Versicherungsstatus bereit und folgen Sie dann dem Aufruf des Personals, das Ihrem Behandlungsumfang zugeordnet ist.« Die KI am Tresen der Aufnahme spulte emotionslos ihr eingespeichertes Programm herunter, während Pfleger und Ärzte eilig über die Gänge huschten. Es roch penetrant nach Desinfektionsmittel und gestressten Menschen.
 

Shanks schlängelte sich gewandt durch den Wartebereich und die vielen Menschen hindurch und steuerte eine Krankenschwester an, die gerade eine aufgebrachte Familie zu beruhigen versuchte, die ihr die golden schimmernden Statusbändchen vor die Nase hielten. Sie wirkten vermögend und wenig begeistert, dass sie trotzdem warten sollten.
 

Marco beeilte sich, Shanks zu folgen, blieb aber kurz stehen, um das Stofftier eines Babys aufzuheben, das dieses fallengelassen hatte und nun mit hochrotem Gesicht kreischte. Er reichte es der jungen, reichlich verzweifelt wirkenden Mutter zurück, die ihn mit Tränen in den Augen kurz dankbar anlächelte und dem schreienden Kleinkind das Plüschtier wieder in die kleinen Hände drückte.
 

Er entdeckte das graue Bändchen an ihrem Handgelenk – ihr Versicherungsstatus räumte ihr kaum mehr als eine karge Notfallbehandlung ein. Sie würde hier vermutlich noch Stunden warten.
 

Marco stockte kurz, als er die leuchtend violett umrissene Iris der Frau bemerkte – ein deutliches Anzeichen für die Einnahme einer synthetischen Droge, die in einschlägigen Kreisen als „Beta“ bekannt war. Lange nach Dr. Vegapunk hatten Wissenschaftler, Chemiker und Labore immer wieder versucht, die Wirkung des Alpha Serums künstlich nachzubilden, doch nur mit mäßigem Erfolg.
 

Beta war ein Ergebnis dieser zwielichtigen Anstrengungen – eine Droge, die hochgradig abhängig machte, Menschen aber kurzzeitig das Gefühl geben konnte, übermenschlich zu sein. Verbesserte Reflexe, höhere Leistungsfähigkeit, schnelleres Denken, manchmal sogar kurzzeitig telepathische oder telekinetische Kräfte. Ein kurzes, sehr vergängliches Vergnügen, für das man meist einen hohen Preis zahlte, da Beta den Körper langsam zerfraß – doch für viele NoMAGs war es der einzige Weg, um mit der immer fordernder werden Leistungsgesellschaft mitzuhalten.
 

»Sind Sie wegen Ihrem Baby hier...?«, fragte Marco die junge Mutter.

Sie musterte ihn nun zögerlich und blickte nach links und nach rechts, als wäre sie nicht sicher, ob er wirklich mit ihr sprach. Dann nickte sie vorsichtig. »Er... er hat Fieber. Und er schreit schon seit Stunden. Ich...« Sie drückte das Kleinkind an sich und versuchte es durch sanftes Wiegen zu beruhigen, »... ich warte hier schon ewig und ich weiß nicht, wo ich sonst hin soll.«
 

Marco zögerte nicht, griff kurzentschlossen nach der Hand der verwunderten, jungen Frau und drückte sein eigenes Handgelenk mit dem implantierten Identifikationschip gegen das metallische Bändchen. Sofort färbte es sich golden und am Rand von Marcos BrillenHUD blinkte die Meldung auf, dass seiner Versicherungshistorie eine medizinische Behandlung hinzugefügt wird.
 

Die junge Frau blickte ihn verdutzt an und starrte sprachlos auf ihr Bändchen. »Danke, Sir...«, murmelte sie dann ergriffen.

»Lassen sie sich und ihr Kind ordentlich untersuchen«, riet er ihr noch mit einem mitfühlenden Lächeln. Dann machte er sich endlich auf dem Weg zu Shanks, während er beinahe Thatchs Stimme im Ohr hatte, die ihn einen gutherzigen Trottel schimpfte.
 

Shanks hatte inzwischen ein paar knappe Worte mit der Krankenschwester gewechselt, die ihn schon höflich, aber sehr bestimmt abweisen wollte. Es war ihr anzusehen, dass sie keinen Nerv erübrigen wollte, um sich mit etwas oder jemanden zu beschäftigen, der augenscheinlich kein Notfall war. Shanks sah sich unauffällig um, dann schob er den Ärmel seines Mantels nach oben und zeigte ihr diskret das eingebrachte Siegel des Senats.
 

Sofort änderte sich die Haltung der jungen Krankenschwester, ihr Gesicht nahm einen beinahe ehrfürchtigen Ausdruck an und sie verneigte sich demütig und mit einer gestotterten Entschuldigung. Sie wies Shanks den Weg und händigte ihm ohne zu Zögern einen Besucherausweis aus, der ihnen vermutlich jede Tür in diesem Krankenhaus öffnen würde.
 

Marco folgte Shanks und Ben Beckmann, der in der Zwischenzeit wieder zu ihnen gestoßen war, zu den Aufzügen. »Ein wirklich nützlicher Trick... sollte ich mir merken für das nächste Mal auf dem Patentamt«, stellte Marco fest, nachdem sie den Lift betreten hatten und sich die Türen hinter ihnen schlossen. Shanks sah ihn fragend an und Marco deutete erklärend auf das Zeichen auf seinem Handgelenk.
 

»Oh, ja... ich sagte doch, Senatsmitglied zu sein, hat schon seine Vorteile«, meinte Shanks grinsend, bevor er mit düsterem Gesicht anfügte: »Leider bringt es überhaupt nichts bei MC Donalds. Dabei wollte ich schon ewig meine Sammlung dieser wirklich grandiosen „Mighty Morphin Mech Cars“ vervollständigen, aber die Idiotien geben mir ständig das Falsche im Happy Meal... den nächsten, dämlichen Mitarbeiter lass' ich nach Impel Down verfrachten«, murrte der rothaarige Konzerner ehrlich angesäuert. Marco warf Ben Beckmann einen verstörten Blick zu, doch der zuckte nur mit den Schultern.
 

Sie erreichten ihre Zieletage und Marco folgte Shanks einfach, der sofort und mit einem unterdrückten Fluch nach der letzten Ecke des Ganges ein Zimmer ansteuerte, vor dem ein kleiner Tumult entstanden war. Marco vermutete Shanks Verärgerung in dem ungleichen Paar - ein Mann und eine Frau -, das vor dem letzten Krankenzimmer der Etage stand und mit dem Mann davor zu diskutieren schien.
 

Der wirkte ziemlich entschlossen, den Zweien den Zutritt zum Zimmer zu verwehren, denn er hatte sich ungerührt im Türrahmen positioniert und starrte den Kerl vor sich mit stoischem Gesichtsausdruck an, der ihm eine Dienstmarke unter die Nase hielt. »... is' mir egal, wer Sie sind. Sie komm' hier nicht rein, Zutritt nur für Befugte«, schnappte Marco den letzten Rest des Gespräches auf, als er mit Shanks und Ben die Gruppe erreichte.
 

Der stämmige Kerl mit den weißen Haaren und einem Gesicht aus Granit schien sich wohl für ausgesprochen befugt zu halten, denn er trat einen weiteren, bedrohlichen Schritt auf den Mann an der Tür zu und grollte ihm angefressen entgegen: »Ich werde durch diese Tür gehen, ist nur die Frage, ob du dann an ihr klebst oder nicht...«
 

»Ah, Smoker-san... beruhigen Sie sich...«, versuchte seine dunkelhaarige, zierliche Begleiterin ihn aufzuhalten und am Ellenbogen zurückzuziehen. Wahrscheinlich hätte sie auch versuchen können einen Bulldozer bei voller Fahrt zu stoppen - es wäre wohl das gleiche Ergebnis gewesen. Die beiden Männer starrten sich finster an.
 

»Aber, aber, Freunde, wir wollen doch keinen Streit!« Shanks schob sich galant zwischen die beiden Kontrahenten und warf nebenher einen Blick auf die Marke des Polizisten. Er legte dem Mann mit den Dreadlocks eine Hand beruhigend auf den Oberarm. »Alles gut, Yasopp... Detektive Smoker und seine hübsche Begleiterin wollten bestimmt gerade gehen...«, seine Stimme wurde aalglatt und gefährlich kalt, »... sicher hat ihnen nur noch niemand gesagt, dass das inzwischen eine offizielle Senatsangelegenheit ist, nicht wahr?!«
 

Shanks wollte den beiden die Chance geben, ihr Gesicht zu wahren, doch der weißhaarige Kerl mit der Statur eines Profiboxers ließ sich davon gar nicht beeindrucken oder gar aufhalten. Wenn es überhaupt möglich war, wurde sein Ausdruck nur noch grimmiger und er baute sich nun vor Shanks auf, auf den er mit dem Finger deutete.
 

»Ich scheiß' auf ihren Senat! Wir gehen nirgendwo hin, bis wir nicht mit dem behandelnden Arzt gesprochen haben«, grollte der Kerl mit den Eisaugen und ignorierte seine Begleiterin geflissentlich, die noch immer an seinem Arm zog, mehr Zierde als wirklich effizient. »Ihr Typen kommt mit euren verfluchten Autorisierungen daher und behindert einfach laufende Ermittlungen, führt euch auf wie Gott persönlich und mischt euch in Arbeit ein, von der ihr keine Ahnung habt! Das Mädel da drin...-« er zeigte nun auf die geschlossene Zimmertür. »... ist unsere Zeugin. Und im Moment auch eine Verdächtige in diesem Fall.«
 

Shanks tippte sich nachsinnend mit dem kybernetischen Zeigefinger gegen das Kinn. »Verdächtig!? Ach wirklich? Sie sind also der Meinung, sie hat das Ganze geplant, ganz allein alle umgebracht und sich dann selbst den Verstand weggeblasen, um den Rest ihres Lebens apathisch ans Bett gefesselt zu sein? Das klingt ja nach einem echten Geniestreich!«, stellte er sarkastisch in den Raum.
 

»Sie können sich kaum vorstellen, wie oft wir es mit Verbrechern zu tun haben, die ihrer eigenen Blödheit zum Opfer fallen. Und wer weiß schon, wie apathisch sie wirklich ist, auf Ihre Aussagen gebe ich einen feuchten Dreck!«, knurrte Detektive Smoker. »Ich werde mir selbst ein Urteil über ihren Zustand bilden, wenn ich mit dem Arzt gesprochen habe. Sie täuschen sich gewaltig, wenn Sie denken, dass wir hier einfach so das Feld räumen werden. Die Kleine gehört zum Joker Kartell, Grund genug, dass sie verdächtig ist!«
 

»Tatsächlich?! Nun, Detektive Smoker...«, Shanks Stimme senkte sich auf ein beängstigendes Niveau, »... und Sie irren sich, wenn Sie mich für einen sehr geduldigen Mann halten.« Scheinbar gelangweilt betrachtete er seine Fingernägel, während er eine Braue in die Höhe zog. »Waren Sie nicht der Einsatzleiter, als man den vermeintlichen Fear-Killer aufgegriffen hat? Und waren Sie es nicht, der vorschnell an die Öffentlichkeit verkündet hat, dass man den Mörder gefasst hat?« Shanks schnalzte mit der Zunge. »So ein Patzer kommt an mancher Stelle gar nicht gut an... aber Sie wollen doch bestimmt auch morgen noch brav zur Arbeit gehen und Ihre Rechnungen bezahlen können, oder etwa nicht?«
 

Smokers Gesicht lief hochrot an und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Marco rechnete schon damit, dass er sich wutschnaubend auf Shanks stürzen würde, doch seine dunkelhaarige Kollegin hielt ihn an der Schulter zurück, mit einer Entschlossenheit, der man der zierlichen Frau kaum zugetraut hätte. »Lassen Sie es gut sein, Smoker-san. Kommen Sie. Wir gehen. Wir können später wiederkommen«, redete sie eindringlich auf ihn ein.
 

Der Detektive starrte Shanks noch einen Wimpernschlag bedrohlich an, dann presste er die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen und drehte sich ruckartig um. Aufgebracht stapfte er davon und seine Kollegin beeilte sich, ihm zu folgen. Shanks sah den beiden kurz noch hinterher, dann öffnete er die Tür zum Krankenzimmer und gab Marco mit einem Nicken zu verstehen, dass der ihm folgen sollte.
 

»War das wirklich nötig...?«, fragte Marco gedämpft.

»Manchmal muss man die Menschen vor sich selbst beschützen... und manche verstehen leider nur diese Sprache«, meinte Shanks abgeklärt. »Aber es macht mir keinen Spaß, falls du das meinst...«, gestand er dann mit einem Seufzen.
 

Marco betrat mit Shanks das Krankenzimmer, während Ben Beckmann bei Yasopp vor der Tür zurückblieb. Der Raum war karg, aber sauber, wie man es von einem Krankenhaus erwartete. Freundliche Farbkleckse bildeten die minzgrünen Vorhänge, die leicht im Zugwind des gekippten Fensters wehten. Von draußen drang das anhaltende Rauschen des Regens und gedämpfter Straßenlärm herein.
 

Gegenüber des Krankenhauses zog sich ein mehrstöckiges Ungetüm von einem Bürokomplex in die Höhe. Die unteren Etagen waren teils noch beleuchtet, vereinzelt saßen noch Angestellte vor ihren PCs. Die oberen Etagen waren leer, offensichtlich ungenutzt wegen Baumaßnahmen, die das Gebäude noch ein bisschen höher werden lassen sollten. Planen flatterten leicht im Wind und der Regen schimmerte auf blanken Stahlträgern.
 

Das Zimmer beinhaltete zwei Betten, die sich gegenüberstanden und nur eines davon war von einer jungen Frau belegt. Davor stand ein älterer Arzt, der die Akte studierte und aufblickte, als die beiden Männer den Raum betraten. Shanks ging zu ihm hinüber und wechselte ein paar leise Worte mit ihm, während Marco die Patientin im Bett musterte.
 

Sie war vielleicht Anfang zwanzig, hatte hübsche, zarte Gesichtszüge und helle Haut. Die hellbraunen, langen Haare waren um ihr Gesicht mit den vereinzelten Sommersprossen drapiert. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, ihre Wangen wirkten eingefallen. Das Kinn und der Rand ihrer Unterlippe waren dunkel verfärbt von einem Hämatom.
 

Im ersten Moment sah es so aus, als wäre sie wach, doch Marco erkannte schnell, dass ihre großen, dunkelbraunen Augen bewegungslos an die weiße Zimmerdecke starrten. Sie reagierte weder auf ihr Kommen, noch zuckte sie auch nur mit dem kleinen Finger. Allein ihr Brustkorb unter dem Laken hob und senkte sich zumindest in regelmäßigen Abständen. Ab und an blinzelte sie träge.
 

Shanks verabschiedete den Arzt, der das Zimmer wieder verließ und trat nun ebenfalls an das Bett der jungen Frau heran. Er setzte sich auf einen Stuhl daneben. »Ihr Identifikationschip wurde offenbar bei dem Vorfall beschädigt«, erklärte Shanks, der vorsichtig ihr Handgelenk nahm, um Marco die schillernden Blutergüsse zu zeigen, die ihren Arm überzogen. Die Abdrücke von Fingern waren noch deutlich zu sehen, offenbar hatte jemand versucht sie gewaltsam festzuhalten.
 

»Aber dafür haben wir das hier...«, vorsichtig griff Shanks jetzt nach dem anderen Arm der jungen Frau und drehte das Handgelenk so, dass Marco das Tattoo dort sehen konnte – ein boshaft grinsender Smiley, das unverkennbare Zeichen eines Kartellkönigs aus Downtown. »Unser eisenharter Detektive hatte nicht ganz unrecht. Sie gehört wahrscheinlich zu Joker, entweder als seine Angestellte oder sein Eigentum. Ich hab' die Polizeidatenbanken checken lassen... ihr Name ist Trafalgar Lamy.«
 

Marco musterte die junge Frau nachdenklich. Was trieb ein Mädchen wie sie nur zu einem Unterweltboss wie Joker? Der Kerl war berüchtigt, vor allem für seine Skrupellosigkeit. Er besaß eine wirklich gut laufende Casinokette, doch sein wahres Vermögen verdiente er Gerüchten nach durch illegalen Waffenhandel und die Herstellung künstlicher Drogen, unter anderem Beta. »Denkst du wirklich, sie hat etwas mit den Morden zu tun?«
 

Shanks legte ihren Arm sanft zurück auf das Bett. »Nein, ich glaube nicht, dass sie mit den Morden unmittelbar in Verbindung steht. Sie ist ein kleiner Fisch in einem Haibecken, aber sie war sicher auch nicht aus reiner Nächstenliebe an diesem Abend bei Yamamoto. Sie wird wegen einigen Diebstählen und ein paar Betrügereien gesucht, aber es ist nicht meine Aufgabe, Diebe zu fangen. Mir ist es herzlich egal, ob sie Ashitakas Unterwäsche oder sein gutes Tafelsilber stehlen wollte... ich will wissen, was sie an diesem Abend gesehen hat.«
 

Marco öffnete seinen Trenchcoat und zog sich selbst einen Stuhl heran, um sich auf die andere Bettseite zu setzen. »Was sagen die Ärzte?«
 

»Rein körperlich geht es ihr gut, bis auf die Hämatome und eine Schnittwunde am Oberschenkel. Aber sie ist in diesem lethargischen Zustand, seit dem sie gefunden wurde...« Shanks beugte sich ein wenig über sie und schnippste mit den Fingern vor ihrem Gesicht – keine Reaktion, nicht einmal ein Blinzeln. Ihre Pupillen blieben starr. »Kannst du ihr helfen?«
 

»Ich werd's versuchen...« Marco rutschte näher an das Bett und sprach die junge Frau mit ruhiger Stimme an: »Hallo Lamy, mein Name ist Marco. Ich möchte gerne versuchen Ihnen zu helfen, dafür muss ich allerdings Ihre mentalen Blockaden ignorieren. Bitte haben Sie keine Angst.« Auch wenn es unwahrscheinlich schien, dass sie ihn überhaupt hörte, gebot es Marco der Anstand einfach, nicht unangekündigt in den Geist eines anderen Menschen einzudringen.
 

Der Verstand war genauso wie der Körper privates Territorium und es war verboten und verpönt, sich gewaltsam oder unaufgefordert Zugriff zu einem Geist verschaffen zu wollen. Nicht umsonst unterlagen MentalMAGs und die Benutzung ihrer Fähigkeiten sehr strengen Auflagen – ihre Kräfte waren die mit Abstand gefährlichsten, denn sie waren unsichtbar und konnten völlig unbemerkt Einfluss auf Persönlichkeiten und Handlungsweisen nehmen.
 

Marco legte nun die Fingerspitzen einer Hand unter Shanks' neugierigem Blick sanft an die Schläfe der jungen Frau. Er holte tief und ruhig Luft, schloss die Augen und ließ seine Magie vorsichtig fließen und nach dem Geist des Mädchens tasten. Wo üblicherweise eine Barriere bestand, ein natürlicher Widerstand - der körpereigene Wille - gegen Übergriffe, lag diese Mauer hier eingestürzt vor ihm.
 

Marcos Energie konnte ungehindert eindringen, doch er beschränkte sich auf ein erstes, oberflächliches Prüfen, ohne zu sehr in die Tiefe zu gehen. Doch schon bei dieser flüchtigen, geistigen Berührung fröstelte ihm und er zog zischend die Luft ein.
 

Der Verstand der jungen Frau war förmlich in Fetzen gerissen, so viele Verbindungen zertrennt, so viele lose Enden, ein Feld der Zerstörung... Ihr Geist war eine einzige, schwärende Wunde, an der die Reste dieser pechschwarzen Finsternis hafteten, die sie in der Wohnung des ermordeten Staatsanwaltes gesehen hatten.  
 

Mit einem unterdrückten Keuchen löste Marco die Verbindung und öffnete die Augen wieder. Shanks sah ihn abwartend an und Marco rollte die Schultern, um das eisige Gefühl abzuschütteln, das diese bösartige Verderbnis ihm beschert hatte. »Ihr Verstand hat sehr schweren Schaden erlitten, ich habe so etwas noch nie gesehen«, gab Marco ehrlich zu. »Ich kann versuchen das zu heilen, aber... das wird definitiv dauern. Das braucht Zeit.«
 

»Zeit ist wahrscheinlich so ziemlich das Letzte, was wir haben...«, grollte Shanks unzufrieden. Marco nahm es ihm nicht übel, dass er auf ein plötzliches Wunder gehofft hatte, aber so funktionierte die Sache nun mal nicht. Einen Geist zu heilen war etwas komplizierter, als bloß ein Pflaster auf eine Wunde zu kleben.
 

Shanks verschränkte die Arme und presste die Lippen nachdenklich aufeinander. Die Fingerspitzen seiner kybernetischen Prothese trommelten dumpf auf dem Kunstleder seines Mantels. »Wie ist deine Einschätzung - hat das ein Phobiokinet getan?«, fragte er dann finster. Marco konnte sich nur zu gut vorstellen, wie Shanks den Verursacher dieses Desasters bis ans Ende der Welt jagen würde...
 

»Ja, diese gewaltsam gerissenen Wunden deuten ziemlich sicher auf einen Phobiokineten hin. Auf einen ziemlich mächtigen, wenn du mich fragst, wenigstens ein Rang B, wenn nicht sogar ein A Rang...«, mutmaßte Marco besorgt und musterte die apathische, junge Frau abermals. »Sie ist selbst eine mental Begabte...«
 

Aufhorchend setzte sich Shanks gerade hin und hob eine Braue. »Wie kommst du darauf?«, fragte er interessiert.
 

Marco tippte sich erklärend gegen die eigene Stirn. »Die Schutzbarrieren mental begabter MAGs sind für gewöhnlich stärker und widerstandsfähiger. Ihre Barrieren sind zwar irgendwann gefallen, doch sie hat erbitterten Widerstand geleistet. Ich habe die Ruinen ihrer Mauern gespürt. Um so etwas zustande zu bringen, muss sie geübt darin sein, sich zu schützen. Wahrscheinlich hat sie deswegen auch überlebt...«
 

»Umso wichtiger ist es, dass wir erfahren, was sie weiß und was sie gesehen oder gehört hat...«, meinte Shanks eindringlich und wischte sich mit einer Hand durch die roten Haare. »Sie ist vielleicht die Einzige, die im Moment ein wenig Licht in die Sache bringen kann.» Sein Fuß wippte ungeduldig auf und ab. »Am besten, du fängst gleich an!«, auffordernd wedelte er mit der Hand in Richtung der Patientin.
 

»So einfach ist das nicht...«, widersprach Marco entschieden und bremste Shanks in seinem Enthusiasmus. »Ich brauche dafür Ruhe. Der Geist ist ein empfindliches Konstrukt. Wenn ich nicht acht gebe, kann ich genauso viel zerstören wie aufbauen. Vielleicht ist hier nicht unbedingt der beste Ort dafür...«
 

»Hrm... und ich dachte wirklich, du wärst nützlich«, grollte Shanks halbernst. Seine Finger wanderten schon zu der Innentasche seines Mantels, wahrscheinlich um sich eine Zigarette herauszuholen, doch er stoppte in der Bewegung und schien sich doch noch zu besinnen, wo sie gerade waren. »Nun, dann werde ich wohl mit dem Arzt sprechen müssen, damit wir sie verlegen...-«
 

Eine Explosion erschütterte das Gebäude. Das Licht flackerte und erlosch dann, erdrückende Dunkelheit legte sich über den Raum. Für einen Augenblick war es beinahe totenstill, bevor die ersten Schreie durch das Gebäude hallten. Die Notbeleuchtung über der Tür sprang flackernd an und tauchte den Raum in grünes, unheimliches Licht, in genau jenem Moment, in dem Ben Beckmann die Tür aufriss. »Es gab eine Detonation irgendwo im Erdgeschoß, vermutlich um die Stromversorgung zu unterbrechen... «
 

Das Fenster des Zimmers zerbarst in einem hellen Klirren und ein pfeifendes Geschoß bohrte sich mit einem dumpfen Geräusch in die Matratze des Bettes, gefährlich nah neben dem Kopf der jungen Frau. Marco lehnte sich sofort über das wehrlose Mädchen und hob sie in seine Arme, als sich der rote Ziellaser eines Scharfschützengewehrs suchend durch das Zimmer bewegte.
 

Shanks sprang ebenfalls auf, er ging völlig unbeeindruckt zum Fenster hinüber, geradewegs hinein in die Schusslinie des Schützen, der irgendwo auf dem gegenüberliegenden Gebäude hocken musste. Doch Marco wurde sofort klar, dass keine Kugel ihn erreichen würde... denn draußen vor dem Krankenhaus zog mit einem Mal ein heftiger Sturm auf. Der Wind fuhr schneidend durch die zerbrochene Fensterscheibe in das Zimmer und Marcos Brillengläser aktivierten sich, um seine Augen vor den scharfen Böen zu schützen, während Shanks mit flatterndem Mantel ungerührt im Zentrum dieser Naturgewalt stand.
 

Der Wind pfiff durch die Häuserschlucht, der Sturm heulte sein unheimliches Echo. Die Stahlträger auf der Baustelle des gegenüberliegenden Gebäudes schwankten kreischend im Wind und der rote Laserpunkt schaukelte mit einem Mal heftig hin und her, bevor er gänzlich verschwand, als hätte eine Böe den Schützen hinfort gerissen.
 

Die roten Haare peitschten Shanks ins Gesicht, als dieser sich mit einem wilden Gesichtsausdruck umdrehte. Seine grünen Augen glommen in einem inneren Feuer und Marco konnte die Kraft spüren, die in Wellen von ihm ausging. Die Macht eines Rang A MAGs war wahrlich beeindruckend... aber Marco wusste auch, dass Shanks diesen hohen Machtausstoß nicht lange würde aufrechterhalten können. Kein MAG konnte seine Kräfte unbegrenzt nutzen, irgendwann musste sich selbst der Mächtigste unter ihnen ausruhen.
 

»Ich hoffe, du bist genauso zielsicher, wie Edward immer behauptet...«, sagte Shanks zu Marco, als er zu ihm kam und ihm die junge Frau aus den Armen nahm, um sie selbst zu tragen. »Im Gebäude kann ich meine Kräfte nicht wirklich effizient nutzen.«

Marco zog seine beiden Sig Sauer. »Denkst du, sie sind wegen der Frau hier...?«

»Höchstwahrscheinlich...«, nickte Shanks grimmig. »Aber ich werde nicht hierbleiben und sie sicherheitshalber fragen. Wir gehen über's Dach raus. Ben, ruf Lou an, er soll uns abholen«, befahl er seinem Assistenten, der sogleich mit bläulich flackernden Pupillen den Anruf tätigte. Yasopp hatte inzwischen draußen auf dem Flur vor der Tür Stellung bezogen und ein Sturmgewehr in den Händen.
 

Marco folgte Shanks aus dem Zimmer, Yasopp lief vor ihnen nun den Flur hinunter und Ben Beckmann bildete die Nachhut. Auch hier draußen bot nur noch die Notbeleuchtung spärlich Licht, ein paar Türen hatten sich geöffnet und verwirrte oder besorgte Patienten spähten vorsichtig nach draußen. Doch als sie Yasopp mit dem Gewehr im Anschlag und Marco mit gezogenen Waffen erblickten, schlossen die meisten die Tür schnell wieder.
 

Ihre kleine Gruppe erreichte die Aufzüge, doch nur einer war durch die Notstromversorgung noch in Betrieb... und bewegte sich laut Digitalanzeige gerade nach oben zu ihnen. Marco betrachtete die hochzählende Anzeige mit gemischten Gefühlen. Irgendwie hatte er die ungute Vorahnung, dass dort bereits jemand auf dem Weg zu ihnen war.
 

Zu dem Schluss schien auch Shanks zu kommen, denn er deutete mit dem Kinn weiter den Flur entlang. »Wir nehmen das Treppenhaus. Los!«, trieb er sie zur Eile an.
 

Sie hatten die Tür zum Treppenhaus fast erreicht, als hinter ihnen die Aufzugtüren mit einem sanften Pling aufglitten... und eine ganze Gruppe gut gerüsteter Söldner ausspuckten. Ihre roten Lasersucher glitten durch den düsteren Flur, die eh schon karge Beleuchtung wurde von dem Schwarz ihrer Kampfanzüge geschluckt. Eine Frau mit orangen Locken betrat mit ihnen die Etage. Ihr Kopf ruckte herum, als würde sie ihre Präsenz spüren und mit einem Fingerzeig wies sie auf Marco und die anderen: »Bringt mir die Kleine. Sofort!«
 

Yasopp trat die Tür zum Treppenhaus auf und Shanks huschte mit der Frau auf dem Arm hindurch. Marco hastete ihnen hinterher, genau wie Ben Beckmann, nur Yasopp blieb noch kurz im Türrahmen stehen, um das Feuer zu eröffnen und ihren Rückzug zu sichern.
 

Marco sprintete hinter Shanks die Treppen des gläsernen Treppenhauses hinauf und zog einen Arm schützend nach oben, als neben ihm die Scheibe zersprang, da eine Kugel sie förmlich zerfetzte. Er warf einen Blick zurück. Yasopp hastete jetzt ebenfalls hinter ihm die Stufen hinauf, denn durch die Tür ergoss sich die Flut an Söldnern, die sie sofort ins Visier nahmen.
 

Marco schwang sich um eine Kurve der Treppe, ging in die Hocke und zielte durch das Geländer auf die ersten beiden Söldner, die nach oben stürmten, um ihnen zu folgen. Eine Kugel traf den ersten in die Schulter, die Zweite bohrte sich in den Hals des Nachfolgenden. Yasopp feuerte sein Magazin ebenfalls in die rasch nachrückenden Söldner und wechselte einen kurzen Blick mit Marco, als er nachladen musste.
 

Marco nickte und gab Yasopp Feuerschutz, während der an ihm vorbei stürmte, das Magazin entleerte und routiniert nachlud. Dann übernahm er wieder das Schießen, so dass Marco nach oben vorrücken konnte. Immer wieder zerbarsten die Scheiben unter dem Kugelhagel und kühle Nachtluft blies in das Treppenhaus. In der Ferne war das Geräusch von Rotorblättern zu vernehmen und Marco hoffte wirklich, dass dies ihr Taxi hier raus war und nicht noch mehr Nachschub für ihre Angreifer.
 

Das HUD auf den Gläsern seiner optischen Implantate schärfte Marcos Sicht auch in dem düsteren Zwielicht des Treppenhauses. Er setzte einem Söldner eine Kugel genau zwischen die Augen und einen anderen brachte er durch einen Treffen in den Oberschenkel aus dem Gleichgewicht. Aber es waren viele, so viele, die da mit stampfenden Stiefeln hinter ihnen die Treppe hoch marschierten... deren Vorrat an Männern und Munition schien unerschöpflich.

Marco duckte sich unter einer dröhnenden Gewehrsalve, die hinter ihm die Mauer durchlöcherte und schwang sich dann die nächsten Stufen hinauf.
 

»Los los los!«, schrie Shanks eine Etage über ihnen. Er stand inzwischen vor der verschlossenen Tür zum Dach. Marco stürmte die Treppe hinauf, nahm jetzt immer gleich zwei Stufen auf einmal und warf einen Blick nach oben, wo Ben Beckmann eine Beretta gezogen hatte und auf die Türsicherung schoß. Oranges Mündungsfeuer blitzte noch ein, zweimal auf, dann hastete Yasopp an Marco vorbei, sein Sturmgewehr geschultert. »Keine Munition mehr...«, grollte er finster.
 

Ganz toll..., war Marcos nüchternes Resümee, eigentlich das Resümee des ganzes Abends. Er hob seine Sig Sauer, bereit, ihre Verfolger so lang wie möglich aufzuhalten, als plötzlich die Tür zum Treppenhaus dieser Etage neben ihm aufschwang. Eine Bewegung ließ ihn herumfahren und eine silberne Katanaklinge zog haarscharf an seinem Gesicht vorbei. Der Angreifer setzte sofort nach und Marco konnte gerade noch einen Arm hochreißen und die herabsausende Klinge mit dem Lauf seiner Sig stoppen.
 

Silberne, stahlharte Augen kreuzten Marcos Blick, dann wurde er beiseite gestoßen und der schwarzhaarige Kerl in der schwarz-gelben Motorradkluft wollte die Treppe hinaufstürmen, um dorthin zu gelangen, wo Ben Beckmann die Dachtür gerade mit der Schulter rammte und diese endlich aufsprang. Oh nein, vergiss' es. Marco warf sich entschlossen auf den jungen Mann und riss ihn mit sich zu Boden.
 

»Marco, komm schon!«, scholl Shanks' Stimme zu ihm herunter, der rothaarige Konzerner blickte zwischen Marco und der offenen Tür hin und her. Ein Scheinwerfer drang von draußen herein und der Wind drehender Rotorblätter zerwühlte Shanks die Haare. Von unten kamen die Schritte der Söldner immer näher.
 

Marco kassierte einen wirklich schmerzhaften Schlag gegen die Rippen, als sich der junge Mann ziemlich geschickt freimachte und mit dem Stiefel nach seiner Hand zielte, um ihm eine seiner Waffen aus den Fingern zu treten. Die Sig schlitterte auf dem Boden davon. »Verschwindet!«, rief er Shanks zu.
 

Der Fremde wirkte verbissen und sehr entschlossen, doch sein scharf geschnittenes Gesicht nahm einen beinahe verzweifelten Ausdruck an, als er nach oben blickte und zusah, wie Shanks mit der jungen Frau im Arm auf das Dach verschwand. »Nein...«, keuchte er.
 

Marco versuchte den unbekannten, jungen Mann erneut unter sich zu zwingen, er schlang ihm einen Arm um den Hals und verdrehte sein Handgelenk so lange, bis seine verkrampfenden Finger das Katana endlich los ließen. Wütend krallten sich daraufhin Fingernägel in Marcos Arm, nur ungenügend gedämpft durch den Stoff des Trenchcoats. »Was... habt ihr... meiner Schwester angetan, ihr miesen Schweine?!«, stieß der Fremde durch zusammengebissene Zähne aus. »Wo bringt ihr sie hin?«
 

Moment mal... "Schwester"?! Marco lockerte seinen Griff ganz unbewusst und der junge Mann nutzte diese Schwäche, um ihm einen Ellenbogen in den Magen zu rammen. Marco krümmte sich mit einem schmerzhaften Knurren und zog die Hand mit seiner verbliebenen Waffe hoch, genau in dem Moment, indem der junge Mann sein Katana wieder ergriff und herumwirbelte, um die Klinge auf Marcos ungeschützten Hals zu richten. Sie starrten sich über ihre Waffen hin abschätzig an.
 

»Oh, hast du einen Freund gefunden?«, säuselte eine Stimme.
 

Marco und der Fremde blickten gleichzeitig zur Tür des Treppenhauses hin, in der jetzt ein schwarzhaariger Kerl mit einem Zylinder auf dem Kopf und einem hellen Umhang mit violettem Federbesatz erschienen war. Seine Haut war ungewöhnlich blass, seine Lippen dagegen grotesk grell violett geschminkt. Er hatte einen Gehstock in den Händen, auf den er sich lässig stützte... und ein Scharfschützengewehr geschultert.
 

»Du!«, grollte der junge Mann zornerfüllt, packte sein Katana fester und sprang auf, um sich auf den anderen Mann zu stürzen.
 

»Ich denke... ihr solltet euch mal eine Auszeit gönnen...«, meinte der blasse Kerl mit einem bösen Lächeln und streckte die Hand aus. Eine Raumzeitverzerrung breitete sich kreiselnd von seiner Handfläche aus... und bewegte sich dann nach vorn, um den jungen Mann und Marco zu verschlucken.
 

Schatten und Wind rissen an Marco, als er das Gefühl hatte, unendlich zu fallen. Er wusste nicht mehr, wo oben oder unten war, als ihn das Portal schlussendlich wieder ausspuckte und er in die Dunkelheit fiel. Unsanft landete er bäuchlings auf felsigem Boden, in unangenehm kaltem Schlamm und rollte sich sofort herum, um auf die Knie zu kommen.
 

Noch immer hielt er seine letzte Sig Sauer umklammert, mit der er jetzt in die bedrohliche Finsternis zielte. Mit einem angewiderten Laut wischte er den Dreck aus seinem Gesicht und aktivierte sein optisches HUD. Durch die integrierte Nachtsicht erkannte er, dass er sich in einer Art Höhle befand. Neben ihm war der junge Mann gelandet, der sich jetzt ebenfalls stöhnend aufrichtete.
 

Das unmenschliche Kreischen in der Ferne schickte Marco einen eiskalten Schauer über den Rücken und ihm dämmerte mit Schrecken, wo sie gelandet waren. Verfluchte Scheiße... »Das ist ein Scorn-Bau.«



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Votani
2022-10-04T19:59:18+00:00 04.10.2022 21:59
Es bleibt spannend! *-*
Ich liebe das world building und das Setting total. Einerseits hast du die Faelle innerhalb der Stadt etc, aber auch die Scorn-Bedrohung (sollte es miteinander zusammenhaengen, weiss man es einfach noch nicht). Alles wirkt so realtisch und komplex. Ich mag die Geschichte wirklich sehr - und jetzt haben sich Law und Marco auch endlich getroffen und stecken gleich mal in Schwierigkeiten. Es bleibt spannend! :D
Antwort von:  Ceydrael
06.10.2022 16:32
Hey, schön, dass ich dich wieder vom Setting überzeugen konnte :) Ich hoffe, ich kann die Spannung auch im weiteren Verlauf aufrecht erhalten, ab jetzt dürfen Marco und Law ja immerhin mehr miteinander agieren und ich bin schon recht neugierig, wie du den Beziehungsaufbau der beiden im weiteren Verlauf so beurteilen wirst ^^


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