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Ruinenforschung

08. August 2022 - Ein Beitrag zur Goldenen Fanficzeit
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Ruinenforschung

Tote Augen starrten ihm entgegen und Lorenzo starrte abschätzig zurück. Vor hundert oder zweihundert Jahren war das Gesicht der Statue sicher ein Blickfang gewesen. Etwas, was den Künstler stolz und seine Muse leicht verlegen gemacht hatte.

Heute war es nur noch eine blasse Erinnerung, gefangen in schneeweißem Marmor und schier endlosen Efeuranken. Lorenzo nahm sich einen Augenblick um das Bild vollständig in sich aufzunehmen. Er wusste, es war nur eine Statue, doch es schien ihm fast, als sei sie Schmuckstück und Warnung zugleich.

Der Eingang zur Ruine, der hinter ihr klaffte, machte das Gefühl nicht besser. Ein Schauer lief über seinen Rücken, während er in die Dunkelheit blickte.

„Da gehe ich nicht rein“, platzte es aus ihm heraus. Fünf Worte, die er noch im gleichen Atemzug bereute. Neben ihm raschelte der Umhang seines Begleiters.

„Warum nicht?“, fragte er, die Stimme so neutral als hätte Lorenzo nicht gerade all seine Pläne über den Haufen geworfen.

 

Betont langsam löste Lorenzo seinen Blick von dem Tor zur Unterwelt. Am liebsten hätte er Geronimo seine Antworten entgegen gebrüllt, doch er wusste, so ein Verhalten brachte ihm nichts. Der Schwarzmagier war nicht empfänglich für Empfindungen dieser Art. Er war …

Nachdenklich warf er einen Blick zur Seite und erstarrte. Im dunklen Schatten der Bäume sah sein Begleiter fast wie eine weitere Statue aus. Die blasse Haut, das schwarze Haar, einzig seine karmesinroten Augen verrieten, dass er mehr als eine weitere marmorfarbene Erinnerung war.

 

Geronimos Blick glitt prüfend über ihn hinweg und blieb schließlich an seinen Händen hängen. Einen Moment lang wusste Lorenzo nichts damit anzufangen. Sollte er etwas tun? Erwartete er eine Reaktion? In ihm wuchs das Bedürfnis die Hände zu Fäusten zu ballen, doch er kämpfte erfolgreich dagegen an. Stattdessen streckte er die Finger probeweise aus.

„Du hast Angst“, stellte sein Begleiter just in diesem Moment fest und brachte ihn damit endgültig aus dem Konzept. Hatte er das aus seiner Handhaltung herausgelesen? Lorenzo starrte ihn an und Geronimo blickte unbeeindruckt zu ihm zurück.

„Ich kann das spüren“, ergänzte er schließlich, in der Stimme eine Unsicherheit, die Lorenzo verriet, dass er sich bei der Analyse von was-auch-immer-er-da-gespürt-zu-haben-glaubte, nicht so sicher war, wie er es vielleicht gerne gewesen wäre.

 

Weitere Sekunden vergingen, dehnten sich zu einer kleinen Ewigkeit aus, dann stieß Lorenzo ein leises Seufzen aus. „Ja. Ja ich habe Angst“, fasste er seine Gefühle in Worte. „Ich bin ein Feuermagier. Höhlen und Ruinen sind einfach nicht mein Ding. Da ist alles feucht, die Luft ist schlecht und meine Flammen werden zu unangenehm kleinen Flämmchen reduziert. Das ist eine Todesfalle. Ich will da nicht hinein.“

Geronimo ließ seinen Blick ein weiteres Mal über ihn hinweg gleiten, dann nickte er knapp. „In Ordnung“, gab er nach, „Du kannst hier draußen auf mich warten.“ Ruckartig wandte er sich von ihm ab und trat langsam auf den düsteren Eingang zu. „Ich werde nicht lange fort sein.“

Lorenzo starrte seinen Rücken an. „Du wirst gar nicht fort sein“, wagte er den Widerspruch, „Diese Ruinen sind steinalt und mit Pech voller Fallen. Ich lasse dich da auf gar keinen Fall hineingehen. Am Ende fällt dir noch die Decke auf den Kopf!“

Er schloss die Augen und atmete tief durch. Jetzt wo er seine Sorgen ausgesprochen hatte, fühlte er sich schon ein bisschen besser. Es tat ihm ja leid, dass er Geronimos Planung ein weiteres Mal zerstören musste, aber diese ganze Unternehmung war einfach zu gefährlich. Was wenn er recht hatte? Was wenn Geronimo da drinnen wirklich verschüttet wurde? Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Das konnte er auf gar keinen Fall zulassen und das würde er Geronimo auch so sagen. Sein Freund mochte Probleme damit haben, Gefühle richtig zu interpretieren, aber wenn er es ihm genau erklärte, würde er es sicher auch verstehen. Entschlossen schlug Lorenzo die Augen wieder auf.

„Gero“, begann er, doch der Rest des Satzes blieb ihm in der Kehle stecken. Sein Freund war einfach schon voraus gegangen.

 

 

Beinahe wäre er in Geronimo hinein gerannt, so dunkel war es in der Ruine. Dabei waren sie noch keine zehn Meter vom Eingang entfernt. Die Luft roch abgestanden und schal. Eine Erinnerung daran, dass es hier nur wenig Sauerstoff gab. Besorgt blickte Lorenzo hinauf zur Decke, doch alles was er erkennen konnte, war weitere allumfassende Dunkelheit.

„Ich dachte du wolltest hier nicht hinein?“, fragte Geronimo leise, als er ihm unsicher die Hand auf die Schulter legte.

Lorenzo nickte. „Wollte ich auch nicht“, gab er zu, „Aber du hast mir ja nicht zugehört. Es ist gefährlich hier drinnen. Was ist wenn dir die Decke auf den Kopf fällt?“

Sein Freund wagte einen knappen Blick nach oben. „Dann bin ich vermutlich tot.“

Lorenzo presste die Zähne zusammen. Diese Antwort hatte er eigentlich nicht hören wollen. Betont langsam hob er die freie Hand und ließ Magie in seine Fingerspitzen gleiten. Eigentlich seine einfachste Übung, doch heute flackerte die Flamme in seiner Handfläche stärker als es ihm gefiel.

Einen Moment lang starrten sie beide in das Feuer.

„Du musst dir keine Sorgen machen“, murmelte Geronimo schließlich, „Die Decke ist die letzten zweihundert Jahre lang nicht eingestürzt, sie wird es auch nicht tun, wenn wir gerade darunter stehen.“

Rein statistisch betrachtet, hatte er damit vermutlich recht, doch Lorenzo wusste, das Leben lief selten rein nach Statistik ab. Tagtäglich wagten sich leichtsinnige Abenteurer in irgendwelche Ruinen hinein und nicht selten kamen am Abend nicht alle von ihnen zurück. Er wollte gar nicht genau wissen, wie oft: „Rein statistisch gesehen“, die letzten Gedanken eines Abenteurers waren. Wobei … Wie viele Abenteurer dachten wohl über Statistik nach?

„Wollen wir nicht doch besser wieder gehen?“, fragte er, während er die langen Schatten an den Wänden musterte. „Wir könnten ins nächste Dorf reiten und einen Abenteurer anheuern. Jemanden der sich mit Ruinen auskennt.“

„Abenteurer erwarten eine Gewinnbeteiligung“, entgegnete Geronimo trocken, „Und im Moment wissen wir noch nicht einmal, ob es hier wirklich was zu holen gibt. Außerdem, so schwer ist das mit dem Abenteurerdasein nicht. Pass einfach auf, dass du nicht in eine Falle trittst, dann kriegen wir das schon hin.“

Lorenzo blickte auf seine Füße hinab. Im schwachen Schein der Flamme wirkten seine Stiefel grau und farblos. Die Steine unter seinen Füßen waren irgendwie matt. Wenn es hier wirklich Fallen gab, würde er sie nicht erkennen. Doch Geronimo ging unbeirrt weiter und so blieb ihm gar nichts anderes übrig, als ihm tiefer in die Ruine hinein zu folgen.

 

Der Gang wurde lang und länger, die Erinnerung an das Sonnenlicht immer blasser und die Flamme in seiner Hand flackerte mit seinem Herzschlag um die Wette. Vielleicht hatte Geronimo recht. Vielleicht war diese Ruine nicht gefährlicher als ein Lager voller Goblins. Doch hätte man Lorenzo gefragt, er hätte die kleinen Monster jederzeit vorgezogen. Von irgendwo erklang ein stetes Tropfen, Geronimos Schuhsohlen kratzten auf dem Boden und gelegentlich stieß das Flämmchen ein besonders lautes, unzufriedenes Knistern aus.

War das normal? Und wenn es so war, warum fühlte er sich dann so unwohl dabei? Noch in Gedanken bemerkte er erst, dass sein Begleiter stehen geblieben war, als er schon halb in ihn hineingelaufen war. Für einen Moment mischte sich der Geruch nach Sandelholz mit der abgestandenen Luft, dann machte Lorenzo einen schnellen Schritt zurück.

„Entschuldige“, murmelte er.

Geronimo reagierte nicht.

„Was hast du?“, fragte Lorenzo noch einmal, während sein Freund langsam in die Hocke ging.

Neugierig leuchtete Lorenzo über seine Schulter. „Sind das …“

„Knochen.“

Die feinen Härchen auf seinen Armen stellten sich auf, während er sich auf die Zehenspitzen stellte, um zu sehen, wie Geronimo mit dem Zeigefinger einen langen, weißen Knochen hinauf strich.

„Ist das ein günstiger Moment um dich zu bitten doch noch umzukehren?“, fragte er.

Geronimo schüttelte den Kopf. „Eher nicht.“

„Aber Cerebrito“, widersprach Lorenzo ihm, „zeigt das hier nicht eindeutig, dass die Ruine gefährlich ist? Vielleicht hat er sich hier drin verlaufen und den Ausgang nicht mehr gefunden. Vielleicht ist er verdurstet.“

Geronimo stieß ein Seufzen aus. „Seit wir hier hineingegangen sind, sind wir noch nicht einmal abgebogen“, erinnerte er ihn, „Wie soll man sich da verlaufen? Außerdem ist wer-auch-immer-das-war nicht hier gestorben, das ist offensichtlich.“

„Offensichtlich?“, fragte Lorenzo. Zugegeben, Geronimos Einwand mit dem Verlaufen machte Sinn, aber der Rest des Arguments erschloss sich ihm nicht.

Sein Freund schien das Problem zu erkennen, denn er griff etwas unwirsch nach dem größten Knochen. „Das hier ist ein Unterarm“, erklärte er und hielt ihm das Ding erschreckend weit entgegen. „Nur ein Unterarm. Selbst bei einem Untoten wäre der nicht ohne den Rest des Körpers hier hinein gekrabbelt. Siehst du das da? Die kleinen Kerben im Knochen? Ich denke Etwas hat ihn abgenagt. Und das bedeutet, dass hier wird gerade zu deinem Spezialgebiet.“

Lorenzo schluckte. Es stimmte schon, menschenfressende Monster waren sein Spezialgebiet, zumindest wenn er ihnen unter freiem Himmel entgegentreten konnte. „Können wir ihm nicht vor der Ruine auflauern?“, versuchte er es trotzdem noch einmal, doch Gero zog es vor, ihn zu ignorieren. Betont langsam erhob er sich, zupfte seinen pechschwarzen Umhang zurecht und blickte den Gang hinunter.

„Ich schätze, wenn es noch hier ist, hat es sich weiter in die Ruine zurückgezogen. Irgendwohin, wo es drei Wände und nur einen Zugang gibt.“

Lorenzo nickte knapp. Das klang nach etwas, was ein Raubtier tun würde. „Vielleicht ist es auch schon lange geflohen“, wagte er einen optimistischen Einwand. Möglich war es immerhin. Vielleicht hatte ein Wolf sich in diese „Höhle“ verkrochen um in Ruhe zu fressen, oder ein neugieriger Bär hatte die Ruine auf Höhlenqualität geprüft und sie war durchgefallen. Er hoffte, sie war durchgefallen. Ein einsamer Wolf ließ sich vermutlich mit einem kleinen Feuerzauber verschrecken, ein wütender Bär dagegen war ein ganz anderes Kaliber und mit Blick auf die stickige Luft und die wenig brennbare Umgebung ...

„Kennst du einen Zauber, der es mit einem Bären aufnehmen kann?“, fragte er hoffnungsvoll.

Geronimo drehte sich zu ihm um. Einen Moment lang schien er zu überlegen, dann nickte er langsam. „Ich kann die Schatten gegen ihn nutzen“, erklärte er knapp. „Wenn wir ein Skelett finden, von dem mehr Knochen übrig sind, kann ich das auch kämpfen lassen.“

Lorenzo blickte zu dem Unterarm zurück. „Wieso haben wir eigentlich kein Skelett genommen, um den Gang auf Fallen zu testen?“, fragte er.

Geronimo folgte seinem Blick. „Weil es im schlimmsten Fall zu leicht für den Auslöser gewesen wäre. Ein Skelett wiegt vielleicht 10 Kilogramm. Mit Pech wäre es über die Falle hinweg spaziert und du wärst in trügerische Sicherheit gehüllt einfach hinein gerannt. Außerdem habe ich hier noch nichts gesehen, was über diesen Unterarm hinaus geht und ich bezweifle, dass du mich hättest begleiten wollen, hätte ich darauf bestanden, dass wir vorher noch einen Abstecher auf den Friedhof machen.“

Lorenzo erlaubte sich ein dünnes Lächeln. In diesem Punkt hatte Geronimo recht. Er war kein Leichenfledderer, er grub keine Toten wieder aus und eigentlich war ihm auch nicht wohl dabei, sich hinter einem von ihnen zu verstecken.

„Mein Feuer wird hier unten nicht gut brennen“, erinnerte er sicherheitshalber noch einmal, doch Geronimo winkte ab.

„Davon bin ich schon ausgegangen“, antwortete er, während er sich langsam wieder in Bewegung setzte. „Ich wollte nicht, dass du mich begleitest, damit du meine Gegner für mich grillst.“

Lorenzo musterte seinen Hinterkopf. „Was wolltest du dann?“

 

Zunächst glaubte er, Geronimo würde ihm die Antwort schuldig bleiben, denn der stapfte stur weiter, doch nachdem er ihm einige Atemzüge lang gefolgt war, hörte er ihn doch noch antworten.

„Ist es so unwahrscheinlich, dass ich einfach nur Zeit mit dir verbringen wollte?“

Lorenzo schluckte. So hatte er die Nachfrage eigentlich nicht gemeint. „Es tut mir leid“, murmelte er, den Blick stur auf Geronimos Hinterkopf gerichtet. „Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass du einen Grund brauchst, um Zeit mit mir verbringen zu können. Es ist nur …“

„Du hasst Ruinen“, brachte Geronimo den Satz zu Ende. „Das hast du mir bereits erklärt. Und wenn ich ganz ehrlich bin, hatte ich schon einen Grund, warum ich wollte, dass du mit mir kommst. Weißt du, eigentlich hatte ich gehofft, dass du mit diesem Feuerzauber na ja ... Das du mir damit die Fackel sparst.“

Lorenzo starrte auf die Flamme hinab, die nach wie vor zwischen seinen Fingerspitzen brannte. „Du wolltest, dass ich für dich die Fackel spiele?“, fragte er noch einmal.

Geronimo nickte. „Du bist mit Feuerzaubern einfach besser als ich. Und außerdem ist es ganz nett, hier unten nicht allein zu sein.“

Einen Moment lang war sich Lorenzo nicht sicher, ob er sich von dieser Antwort beleidigt fühlen sollte, doch schließlich beschloss er, sich doch lieber auf den letzten Teilsatz zu konzentrieren.

„Wenn du das nächste Mal Lust auf Gesellschaft hast, würde ich das gerne unter freien Himmel verlegen“, murmelte er, während er die Hand hob, um den Gang vor ihnen weiter auszuleuchten. Vielleicht kam es ihm nur so vor, aber irgendwie hatte er den Eindruck, dass sich die Schatten verändert hatten. Fast so, als würde das Licht jetzt auch von vorne zurückgeworfen werden. Und das bedeutete …

„Wir haben das Ende unseres Ganges erreicht.“

Geronimo nickte. „Wenn es hier einen Schatz zu finden gibt, dann sicher in diesem Raum.“ Sein Schritt beschleunigte sich, das Kratzen seiner Stiefel wurde leiser und obwohl Lorenzo es nicht sehen konnte, war er sich sicher, dass sich ein hungriges Funkeln in die Augen seines Freundes geschlichen hatte.

Pflichtbewusst eilte Lorenzo ihm nach, die Flamme erhoben, um möglichst schnell möglichst viel des Raumes ausleuchten zu können. Geronimo mochte es verdrängt haben, doch er erinnerte sich noch gut an den bleichen Knochen, den sie gerade erst gefunden hatten.

 

Der Raum, den sie betraten, wirkte allerdings so gar nicht wie der Schlafplatz eines Bären. Er wirkte auch nicht, als hätte sich ein Wolfsrudel hier aufgehalten. Eigentlich sah er mehr so aus, als hätten mindestens drei Gruppen schatzversessener Abenteurer ihn schon einmal durchsucht.

Ein paar Truhen lagen auf dem Boden, die Deckel weit geöffnet. Lorenzo musste noch nicht einmal hinein blicken um zu erahnen, dass ihr Inneres leer war. Ein alter Teppich lag zerschlissen auf dem Boden. Vielleicht hatte er einmal als Zierde an der Wand gehangen. Jetzt war er dreckig, voller Löcher und er stank.

Geronimo stieß ein enttäuschtes Stöhnen aus. Offensichtlich hatte er wirklich auf ein paar Goldmünzen gehofft.

„Sieht aus, als wäre das eine Luftnummer gewesen“, stellte Lorenzo fest, bemüht nicht all zu sehr so zu klingen, wie Jemand, der froh darüber war, dass er diesen Ort bald wieder verlassen konnte. „Es tut mir leid, Cerebrito“, murmelte er, doch in Wahrheit war er erleichtert. Kein Schatz hieß, dass sie umdrehen konnten. Das sie nicht noch irgendetwas einsammeln oder im schlimmsten Fall mehrfach in die Ruine hinein und wieder hinaus laufen mussten. Es hieß, dass dieser furchtbare Ausflug bald ein Ende fand. Auch wenn es bedeutete …

Geronimo trat auf eine der Kisten zu. Hätte eine Holzkiste dem bösen Blick erliegen können, sie wäre sicher einfach umgekippt. So aber blieb sie wo sie war und präsentierte ihr leeres Inneres. Sein Freund verpasste ihr einen Tritt. „Verdammt“, fauchte er,

Lorenzo hob die Augenbrauen. „Nimm es nicht so schwer“, versuchte er Geronimo zu beruhigen, „Es sollte eben nicht sein. Sieh es so, wenigstens hat hier kein Monster auf uns gewartet, oder eine Armada tödlicher Fallen. Es war einfach nur eine -“

Lorenzo unterbrach sich selbst, denn Geronimo schien ihm gar nicht zuzuhören. Er starrte auf einen Punkt hinter ihm. Betont langsam wandte Lorenzo sich um. Fast fürchtete er, den Bären doch noch herbei geschwatzt zu haben, doch hinter ihm war nichts als mehr von dem ergrauten Teppich. In einer Ecke schien er eine besonders große, unförmige Beule zu haben. Eins war klar, das Ding taugte nicht mal mehr zum Putzlumpen.

Gerade wollte er fragen was daran Geronimos Interesse geweckt hatte, da machte dieser einen vorsichtigen Schritt in seine Richtung und die Beule begann zu zappeln.

 

Die Flamme in seiner Hand lebte auf, wurde sichtbar größer und einen Augenblick lang war Lorenzo versucht sie einfach auf den zappelnden Teppich zu schleudern. Vermutlich hatte sich eine Ratte zwischen den Stofffetzen versteckt.

Doch Geronimo griff nach seinem Arm und drückte ihn hinunter. „Ich kann ihre Angst spüren“, flüsterte er, bevor er sich auf die Knie sinken ließ. Einen Moment lang starrte er die Beule an und Lorenzo kam es fast so vor, als starrte sie zurück.

Ein paar quälend lange Sekunden vergingen, dann schob Geronimo sich vorsichtig ein bisschen vorwärts. Wieder verharrte er und wieder verging wertvolle Zeit. Schließlich ließ er eine seiner Hände unter seinem Umhang verschwinden und einen kleinen, schmalen Dolch heraus befördern. Es war die Art Dolch, die immer ein bisschen zu spitz, ein bisschen zu düster wirkte, um mit gutem Gewissen erhoben zu werden, doch wenn Geronimo um die Wirkung seiner Waffe wusste, zeigte er es nicht. Stattdessen ließ er ihn langsam und sorgfältig durch den mausgrauen Stoff des Teppichs gleiten.

„Was tu-“

„Psst“, unterbrach ihn Geronimo, während er einen großzügigen Kreis um die Beule beschrieb. „Ich will sie nicht verschrecken.“

Beinahe hätte Lorenzo gelacht. Er kannte so in ziemlich jede Art auf eine Ratte zu reagieren. Von Angst über Ekel bis hin zu Wut war ihm schon alles untergekommen. Aber noch nie hatte ihn Jemand gebeten das Tier nicht zu verschrecken.

„Sei vorsichtig“, flüsterte er trotzdem zurück, „Verängstigte Ratten beißen.“

Sein Freund nickte, steckte aber trotz der Warnung seinen Dolch weg, bevor er mit spitzen Fingern nach dem Teppich griff. Lorenzo ließ die Flamme in seiner Hand noch ein bisschen größer werden. Wenn sie schon eine Ratte aus einem Teppich befreiten, wollte er sie wenigstens sehen, bevor sie ihnen als Dank in den Knöchel biss.

Geronimo hob den Teppich ein bisschen an und verharrte. Dort, ein kleines Stück vor ihm, saß sie. Sie war groß, schwarz-grau und hatte sich zu einer Kugel gerollt, die ein zischendes Geräusch von sich gab.

Er legte den Kopf zur Seite und musterte das Tier.

„Du bist ja gar keine Ratte“, bemerkte er schließlich. Lorenzo spähte unter den Teppich. Geronimo hatte recht. Das Tier, das sich da in die Ecke drückte, war definitiv keine Ratte. Es erinnerte ihn eher an -

„Oh, bist du ein süßes Miezekätzchen“, hörte er seinen Begleiter schnurren. „Na zeig mir mal den Tentakel.“

Mit großen Augen beobachtete Lorenzo, wie sein Freund unter den Teppich griff, und mit noch Größeren musste er feststellen, dass er das mit dem Tentakel ernst gemeint hatte. Ein langer, schwarzer Tentakel schlang sich vorsichtig um seine Hand, schien ihn zu betasten, bevor sich auch noch ein zweiter probeweise an ihn hängte. Grüne Augen starrten aus dem schwarzen Pelz hervor.

„So ein braves Kätzchen“, lobte sein Begleiter noch einmal.

Lorenzo räusperte sich leise. „Ich will deine Begeisterung ungern schmälern“, erklärte er, „aber das ist kein Kätzchen.“

Geronimo ließ sich davon nicht stören, inzwischen war seine Hand auf Pelzhöhe angekommen und verschwand vorsichtig in dem dicken schwarzen Haarkleid. Das Tier stieß ein katzenartiges Schnurren aus.

„Natürlich bist du ein Kätzchen“, wiederholte er, „Du schnurrst wie ein Kätzchen, du guckst wie ein Kätzchen und du hast vier Pfoten wie ein Kätzchen. Wie bist du nur hier rein gekommen? Oh je, bestimmt bist du auch hungrig wie ein Kätzchen.“

Lorenzo holte tief Luft. „Es hat Tentakel wie ein Kätzchen“, ergänzte er abschätzig. „Außerdem sind seine Pfoten viel zu groß. Wer weiß, was es wirklich ist? Am Ende hat es den Knochen hier hinein geschleppt.“

„Hast du an dem ollen Knochen nagen müssen?“, säuselte Geronimo weiter, während der Fellball langsam näher kam. „Keine Sorge, Lorenzo hat bestimmt was zu essen für dich.“

„Was? Ich?“

Mit dem „Kätzchen“ auf dem Arm drehte sich Geronimo zu ihm um. „Natürlich du“, entgegnete er, „Du hast doch immer was in deiner Tasche. Jetzt gib’s schon her. Du siehst doch, dass das Kleine Hunger hat.“

„Ich sehe vor allem, dass es zwei Tentakel hat“, murmelte Lorenzo, griff aber tatsächlich in die Innentasche seines ockerfarbenen Umhangs, in der er seine Notration aufzuheben pflegte. „Denkst du es frisst Trockenfleisch?“, fragte er, während er versuchte mit einer Hand einen Streifen aus dem Packpapier zu fischen.

„Schmeckt sicher besser als ein Unterarm“, entgegnete sein Gegenüber und erhob sich langsam. Das „Kätzchen“ auf seinem Arm guckte ihn misstrauisch an. Lorenzo blickte skeptisch zurück. Dann hielt er ihm das Fleischstück entgegen.

Ein Tentakel schoss auf ihn zu, umfasste das Trockenfleisch und zog es ihm aus der Hand. Einen Moment lang hing es zwischen ihnen, dann zog das „Kätzchen“ es zu sich heran und begann zu fressen.

„Scheint als hättest du recht. Es hat Hunger“, murmelte Lorenzo, während er dem Tier dabei zusah, wie es sich durch sein Essen nagte.

„Das arme Ding hat sich bestimmt hier drinnen verlaufen“, stellte Geronimo fest. Lorenzo öffnete den Mund um seinen Freund daran zu erinnern, dass es nur einen Weg hier hinein gab und das er ihm höchst selbst erklärt hatte, dass das mit dem Verlaufen unter solchen Umständen ziemlich unmöglich war, doch dann sah er das fressende Tier und beschloss den Kommentar zu schlucken.

Letztlich war es ja auch nicht wichtig, wie die „Katze“ hier hinein gekommen war. Vielleicht hatte irgendein Abenteurer sie mitgebracht und dann hier zurückgelassen. Möglicherweise weil er verstanden hatte, dass das Tier definitiv kein Kätzchen war. Oder es war beim Spielen zu weit von seiner „Mutterkatze“ weggelaufen und dabei in die Ruine geraten, oder -

„Was machen wir jetzt mit ihm?“, hörte er sich fragen, noch bevor er den Gedanken an eine „Mutterkatze“ vollständig zu Ende gedacht hatte. Die Vorstellung an noch mehr Tentakel behagte ihm nicht.

„Wir nehmen sie definitiv mit nach draußen“, entschied Geronimo für ihn. „Sie ist noch klein und hier drinnen gibt es nichts geeignetes zu fressen. Wir können sie hier nicht zurücklassen. Am Ende kommt noch ein großer, böser Abenteurer und versucht sie zu erschlagen, nur weil sie ein kleines bisschen anders ist.“

„Sie hat Tentakel“, formulierte Lorenzo das Offensichtliche noch einmal aus, denn Geronimo hatte scheinbar vor, diesen Fakt zu ignorieren. „Zwei davon, um genau zu sein. Sag was du willst, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das kein Kätzchen ist.“

„Um so besser“, entgegnete er, „Ein Schwarzmagier mit einem Kätzchen sieht schon ein bisschen albern aus. Ein Schwarzmagier mit einem Monster dagegen ist bereits allseits etabliert.“

„Du willst es behalten?!“, entfuhr es Lorenzo, während sein Freund begann erneut durch den schwarzen Pelz zu streichen.

„Ja, warum auch nicht? Es ist klein, niedlich und es hat Tentakel.“

„Und was machst du, wenn es nicht so klein und niedlich bleibt?“

„Dann kauf ich mir ’nen Sattel.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  CharleyQueens
2022-08-16T19:56:52+00:00 16.08.2022 21:56
Wieso seh ich eigentlich nur durch Zufall, dass du ne neue Geronimo und Lorenzo-Fic geschrieben hast?!
 
Hach, ich mag die Dynamik zwischen den beiden. Ich kann Lorenzo so gut verstehen, an seiner Stelle hätte ich auch an jeder Stelle damit gerechnet, dass gleich ein Monster auftaucht oder eine Falle ausgelöst wird. Und Gero ist so putzig, wie er mit der Tentakelkatze umgeht. Ich hätte gerne mehr davon!
Antwort von:  _Delacroix_
18.08.2022 22:16
Ach, war doch nur eine ganz Kleine.^^

Auch wenn ich fürchte, die Katze rückt er jetzt nicht mehr raus. Vielleicht sollte ihm einer sagen, dass auch Monsterkatzen Kosten verursachen.^^
Von:  Kerstin-san
2022-08-14T09:57:20+00:00 14.08.2022 11:57
Hallo,
 
die beiden sind ja ein unterhaltsames Duo, es hat richtig Spaß gemacht, mit den beiden die Ruine zu erkunden (ich war ganz bei Lorenzo und hab die ganze Zeit gewartet, dass irgendeine Falle ausgelöst wird oder sie in ein hungriges Monster reinlaufen, das sie beide fressen will xD) und das Nicht-Kätzchen am Ende ist ja herzallerliebst. Zu süß, wie Geronimo sofort Feuer und Flamme für das kleine Wesen ist und natürlich passt so ein äh gefährliches Tentakelkatzenmonster perfekt zu seinem Schwarzmagierimage.
Wirklich ein sehr unterhaltsamer One-Shot :)
 
Liebe Grüße
Kerstin
Antwort von:  _Delacroix_
14.08.2022 12:04
Danke^^
Ich freue mich, dass du Spaß mit en Beiden und dem ähm Dungeon hattest.^^


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