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Der Untergang der Isekai

von

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Bedauern

Leise ließ ich die Tür ins Schloss fallen, lehnte mich einen Augenblick daran an. Mein Herz hatte ich noch immer nicht unter Kontrolle. Was ist nur in mich gefahren? Sollte Ares gewinnen, würde ich Yusei mit diesem Kuss nur noch mehr verletzen. Zu sagen, dass es nur ein Moment der Schwäche war, hätte das Gleiche zur Folge. Dabei wünschte ich mir nichts sehnlicher, als die strahlend blauen Augen aus dem geröteten Gesicht wiederzusehen. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich an den Moment zurückdachte. Doch schnell zwang ich mich in die Gegenwart. Frustriert rieb ich mir den Nacken und stieß mich von der Tür ab. Eins nach dem anderen. Ich muss mich endlich fokussieren!
 

Auf dem Hof angekommen, gesellte sich Yubel zu mir. Ich verschaffte mir einen Überblick, doch bis auf die übliche Zahl an Wachen, die außer Hörweite waren, war niemand zu sehen. „Irgendwas neues?“ fragte ich, senkte dennoch meine Stimme.

„Morgen schicke ich einen Suchtrupp zum See. Drei Dämonen müssen reichen, damit wir keinen Verdacht erwecken.“

„Mir wäre wohler, du würdest mitgehen.“

Ich konnte ihr Augenrollen förmlich spüren, doch mein Blick war auf den Palast gerichtet, auf den wir zuliefen. „Kommt nicht in Frage. Bei allem, was gerade los ist, weiche ich Euch nicht so lange Zeit von der Seite.“

„Das mit dem Befehlen Folge leisten, geht immer noch nicht in deinen Kopf, oder?“

„Dann sperrt mich ein“ erwiderte sie belustigt.

Nun warf ich ihr doch einen skeptischen Blick zu. Sie wusste genau, dass ich das niemals machen würde. Damit hatte sie mich seit Jahren in der Hand. „In Anwesenheit irgendeines anderen gibst du mir keine Wiederworte, verstanden? Ich habe jetzt schon das Gefühl, dass meine Autorität untergraben wird.“

„Macht Euch keine Sorgen, das wird nicht passieren. Aber versprecht Euch von der Mission nicht zu viel. So alt wie das Pergament aussieht, würde es mich wundern, wenn wir im See irgendetwas finden.“

„Die Koordinaten weisen direkt auf die Mitte. Was auch immer dort ist, Lymans Mörder war sich anscheinend ziemlich sicher, dass mehr hinter dem Ganzen steckt.“

„Wie Ihr meint. Bei Sonnenaufgang reiten sie los, dann sollten sie am Abend ankommen.“

„Und wenn ihnen jemand folgt?“ gab ich zu bedenken, flüsterte schon fast. In den Gängen des Palasts zu reden, war mir zu riskant.

„Ich habe sie eigens ausgewählt. Niemand wird ihnen folgen. Zumindest nicht lang.“

Ich nickte.
 

Vor meinen Gemächern angekommen, hielt Yubel mich zurück. Abwartend betrachtete ich sie. „Was ist los?“ flüsterte ich.

„Da ist jemand.“

Was? Wer könnte in meine Gemächer gelangen? Dieser Teil des Palastes wird nachts immer sorgfältig bewacht, dafür hatte Yubel gesorgt. Gespannt öffnete ich die Tür, hielt überrascht inne. Jesse saß auf meinem Schreibtisch, den Blick scheu auf mich gerichtet. Dass direkt daneben ein Stuhl stand, ignorierte er geflissentlich. Ich neigte meinen Kopf zu meiner Beschützerin. „Schon okay. Du kannst dich zurückziehen.“ Einen flüchtigen Blick warf sie zu Jesse, schließlich folgte sie meiner Aufforderung. „Ich hoffe es ist wichtig“ sagte ich kühl. „Wenn du um Verzeihung bitten willst, kannst du gleich wieder gehen.“

Er seufzte leise, stand auf. „Schließ bitte die Tür.“

Meine Augen verengte ich zu Schlitzen. In seinen Worten steckte eine tiefe Ernsthaftigkeit, sodass ich seiner Bitte nachkam. Doch seine gesamte Haltung und sein Äußeres standen im Kontrast zu seinem Ton. Er sah abgeschlagen aus, müde. Seine Haut war blass, dunkle Schatten untermalten seine Augen. Irgendetwas war passiert. Das war kein Versuch sich bei mir zu entschuldigen. „Was ist los?“ fragte ich deshalb.

„Ich war bei meinem Onkel… Ich weiß jetzt, was die ganze Sache mit Yuseis Stand zu bedeuten hat.“ Nun hatte er doch meine volle Aufmerksamkeit. Abwartend betrachtete ich ihn, doch er brauchte einen Moment, um weiterzusprechen. „Er wird ihn als Späher ausbilden, so wie abgesprochen. Er vermutet, dass der Zeitpunkt bald gekommen ist. So wie die Weisen es vorhergesagt haben.“

„Wie kommt er darauf?“ fragte ich konfus. „Wenn er so eine Information hat, hätte er sie mir schleunigst weitergeben müssen!“

„Es ist nur eine Vermutung. Die Vorhersage der Weisen war damals recht kryptisch. ‚Wenn der rote Drache erwacht, und drei Monde vorüberziehen, werden die Menschen sich vereinen‘.“ rezitierte er.

„Ich weiß, was sie damals gesagt haben. Aber Sternenstaubdrache ist weiß, er hat nicht einmal einen Hauch von rot an sich. Wie kommt Ares darauf?“

„Wie wahrscheinlich ist es, dass nach so vielen Jahren ein weiterer Drache erscheinen wird?“ stellte er die Gegenfrage. Damit hatte er zwar recht, aber trotzdem ergab es für mich wenig Sinn. Allerdings steckte hinter den Visionen der Weisen schon immer mehr, als es den Anschein hatte.

„Schön, nehmen wir eben an, dass Sternenstaubdrache der rote Drache aus der Vision ist. Das erklärt dennoch nicht, was Ares vorhat.“

„Er will Yusei, wie geplant, in die Menschenwelt schicken. Dort soll er aber nicht Informationen, Schwachpunkte und dergleichen beschaffen und zu uns zurückkehren, so wie du es wolltest, sondern die Menschen mithilfe von Sternenstaubdrache vernichten.“

„Was?! Glaubt er allen Ernstes, dass Yusei da mitmachen würde?“ fragte ich fassungslos. Jesse nickte betrübt. Was denkt sich dieser alte Sack?! „Mal abgesehen davon, dass er sich meinen Befehlen widersetzen würde!“

„Das ist genau der Punkt. Strategisch hätte er damit vermutlich alle Generäle auf seiner Seite. Auch wenn alles auf deinen Befehl hin passiert, kannst du nicht steuern, was Yusei tatsächlich in der anderen Welt treibt. Mein Onkel braucht ihn nur zu erpressen.“

„Inwiefern?“

„Mit seinem Leben. Oder noch effektiver, mit deinem. Ich bezweifle stark, dass er dir irgendwie schaden würde, aber nehmen wir an, dass er Yusei so etwas wie ‚Töte sie, oder du wirst selbst getötet‘ sagt, dann würde Yusei vielleicht darüber nachdenken. Zumal mein Onkel keine Strafe dafür erwarten würde. Es wäre allenfalls Sachbeschädigung, wenn er den Antrag im Rat durchbekommt. Nicht einmal das, wenn sich Yusei im Besitz meines Onkels befindet.“

„Er glaubt doch nicht wirklich, dass er damit Erfolg hat! So leicht lässt sich Yusei nicht manipulieren.“

„Dann gäbe es noch eine andere Möglichkeit, wie er den Plan durchsetzen kann“ sagte er leise.

Ich brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, was er meinte. Schließlich wich mir jegliche Farbe aus dem Gesicht. „Gedankenmanipulation“ wisperte ich.

Jesse nickte, sprach traurig weiter. „Das ist zwar seit einigen Jahrhunderten verboten, und wird nicht mehr gelehrt, aber du weißt, dass er sich sehr für schwarze Magie interessiert. Es würde mich nicht wundern, wenn er es durch alte Schriften erlernt hätte. Und wenn Yusei nur als Gegenstand zählt…“

Er brach ab, musterte mich vorsichtig. Doch er brauchte nicht weiterzureden. Niemand könnte Ares belangen, denn er hätte nur mit seinem Eigentum experimentiert und könnte nicht für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, raubte mir den Atem. Das Schlimmste, was er zu befürchten hätte, wäre ein Ausschluss vom Rat, während ich Yusei nicht helfen konnte. „Hat er dir das wirklich so gesagt?“ presste ich hervor. Versuchte Halt an meinem Schreibtisch zu finden. Meine Hände zitterten. Ob vor Wut oder Verzweiflung konnte ich nicht sagen.

„Indirekt. Ich kenne ihn lange genug, und würde ihm diese Vorgehensweise durchaus zutrauen.“

„Scheiße!“ fluchte ich, fegte meinen Tisch dabei leer. Das Pergament raschelte, während es quälend langsam zu Boden segelte. Mit flachem Atem beobachtete ich das Tintenfläschchen, das klirrend zu Boden ging und die pechschwarze Flüssigkeit über den Steinboden verteilte. Ich konnte nichts tun. Wenn dieser verdammte Antrag durchgehen würde, konnte ich nichts tun! Hilflos sah ich zu Jesse, doch sein Blick war ähnlich verzweifelt. „Das war es noch nicht, oder?“ flüsterte ich. Er sagte nichts, sah mich nur unschlüssig an. „Spuck es schon aus!“

„Naja… Das ist nur eine Vermutung, aber… egal, wie Yusei sich fügen würde, ich glaube nicht, dass er… nach Beendigung der Sache noch leben wird.“ Ich konnte ihn nur anstarren, zwang mich zu atmen. „Es ist wie gesagt nur eine Vermutung… Seine genauen Worte waren: ‚Wir werden erst in Frieden leben können, wenn jeder einzelne dieser widerwärtigen Menschen getötet wurde‘.“

Geräuschvoll ließ ich die Luft aus meinen Lungen weichen, stützte meine zitternden Arme auf den Tisch und starrte das Holz an. Wie sollte man das anders verstehen? Wenn alles vorbei ist, wird Ares Yusei töten. Er hat viel zu viel Angst vor ihm, niemals würde er einen Menschen am Leben lassen, der die Macht eines Drachen besitzt. Und ich könnte nichts tun… Warm tropften meine lautlosen Tränen auf meine zitternden Hände. „Er darf die Abstimmung nicht gewinnen“ wisperte ich.

„Ich weiß“ flüsterte er. Legte mir seine Hand tröstend auf die Schulter.

„Wenn gegen ihn entschieden wird, gibt es keine Möglichkeit mehr, die Sache umzukehren“ sagte ich mit erstickter Stimme. „Und du bist leider erst nach Abschluss der Morduntersuchung an Lyman ein Mitglied des Rats.“

„Madame Tredwell und Meister Damian sind auf eurer Seite“ versuchte er mich zu beruhigen. Strich dabei mit seiner Hand über meinen Rücken. „Du und Yusei, ihr braucht nur noch eine weitere Stimme aus dem Rat. Was ist mit Stone?“

„Auf Ares‘ Seite, befürchte ich.“ Ein Schluchzen entglitt mir. Im Moment sah es schlecht aus.
 

Jesses Arme schlangen sich um mich. Zögerlich lehnte ich mich in die tröstende Umarmung, legte meinen Kopf auf seine Schulter. Auch wenn ich noch immer wütend auf ihn war, seine Näh beruhigte mich, ließ mich wieder halbwegs normal atmen. Längst hatte ich es aufgegeben das Schluchzen zu unterdrücken. Er war die einzige Person, bei der ich mir einen solchen Ausbruch leisten durfte. „Es tut mir so leid“ murmelte er immer wieder. Fuhr dabei behutsam über meinen Rücken. Damit meinte er mehr als diese Situation, das wusste ich. Auch wenn ich gern weiter sauer auf ihn wäre, in diesem Moment war ich froh darüber, dass er bei mir war. Ein bitteres Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Das letzte, was Yusei zu mir sagte war, dass ich mich mit Jesse aussprechen sollte. Unwillkürlich erwiderte ich die Umarmung, suchte Halt in seinem Gewand. Ich hatte schreckliche Angst davor, Yusei in wenigen Tagen zum letzten Mal zu sehen. Das beklemmende Gefühl in meiner Brust schnürte mir die Luft ab. Das musste ich um jeden Preis verhindern.
 

Jesse redete mir gut zu, versuchte mir die Angst zu nehmen und strich mir behutsam durchs Haar. Doch es dauerte eine ganze Weile, ehe ich mich wieder im Griff hatte. Das letzte Mal, als ich einen derartigen Gefühlsausbruch hatte war, als mein Vater gestorben war. Schließlich löste ich mich von meinem besten Freund und wischte mir hastig die letzten Tränen aus dem Gesicht. Atmete tief durch. Ich musste jetzt einen kühlen Kopf bewahren und mir überlegen, wie ich den Rat auf meine Seite ziehen konnte. Irgendwie musste ich Yusei helfen. Um jeden Preis.
 

Jesse musterte mich nachdenklich. „Du liebst ihn, oder?“

Diese Worte kamen aus dem Nichts, ich wusste nichts darauf zu erwidern. „Was?“ fragte ich deshalb perplex.

„Das hätte ich früher sehen sollen“ murmelte er mehr zu sich selbst. „Ich meine… Solche Sorgen, wie du dir um ihn machst…“

„Das muss nicht heißen, dass ich verliebt bin“ erwiderte ich fast schon trotzig. Er bedeutete mir unheimlich viel, aber Liebe? Yusei war glatt 80 Jahre jünger als ich.

„Ich hatte schon so eine Vermutung, als wir ihn im Kerker gefunden haben“ überging er meine Worte. „So wie du ihn angesehen hast… Ich habe mir immer gewünscht, du würdest mich mit diesem Blick ansehen.“

Wieder erwischten mich seine Worte eiskalt. Ich konnte ihn nur anstarren. War das eben ein Liebesgeständnis? Ausgerechnet von meinem Kindheitsfreund? „Jesse, ich…“ stammelte ich, doch wusste nicht, was ich sagen sollte.

Er schüttelte nur lächelnd den Kopf. „Schon gut, ich weiß, woran ich bei dir bin. Oder… zumindest war“ fügte er betrübt hinzu und mied meinen Blick.

Ich seufzte und musterte ihn genauer. So wie er aussah, schien ihm die ganze Sache wirklich leid zu tun. Und das nicht nur, weil er mich mit seinen Entscheidungen enttäuscht hatte. Er bereute es. „Du hast dich bei ihm entschuldigt“ stellte ich fest.

Er nickte, mied es noch immer mich anzusehen. „Das war das mindeste, nachdem er wegen mir fast gestorben wäre. Allerdings weiß ich nicht, ob er mir je verzeihen kann. Oder du.“

„Ich glaube, Yusei hat dir längst vergeben“ sagte ich. Nun sah er doch überrascht zu mir, was mir ein flüchtiges Schmunzeln entlockte. „Als ich heute bei ihm war, hat er darauf bestanden, dass ich mit dir rede. Er beteuerte, dass es dir leid zu tun scheint, und ich glaube, dass er recht hat.“

Unglaube flackerte in seinen Augen auf. Kaum merklich schüttelte er seinen Kopf. „Heißt das, du verzeihst mir?“

Ich schenkte ihm ein warmes Lächeln, schloss ihn in meine Arme. „Bei dem Chaos, das auf uns zukommen wird, brauche ich meinen besten Freund an meiner Seite. Ohne dich schaffe ich das nicht.“

Zögerlich legte er seine Arme um mich, suchte Halt in meinem Gewand und drückte sein Gesicht in meine Halsbeuge. Erleichtert ließ er die Luft aus seinen Lungen weichen. Auch wenn ich seine Gefühle nicht teilte, so wollte ich ihn dennoch an meiner Seite wissen. So egoistisch das auch sein mochte, aber ich brauchte ihn. Sollte alles schief gehen und Yusei in Ares‘ Hände fallen, würde ich das nicht ohne Jesse überstehen.



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