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Ter´nak Band 1: Wind

von

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Der 6. Windzauber

Am frühen Nachmittag des folgenden Tages standen wir vor einem der Eingänge in die Kanalisation. Wie nicht anders zu erwarten, stank es grauenhaft nach Urin, Fäkalien und Verwesung. Auf dem Weg hierher hatten wir in einem kleinen Geschäft Halt gemacht, in dem ich, in weiser Voraussicht, Nadel und Faden erstanden hatte. Ich wollte damit die Ohren unserer Beute zusammenbinden, damit ich sie nicht einzeln aus meinem Beutel ziehen musste.

Ich sah zu meinen Kampfgefährten. Wie ich hatten sie eine Hand über Mund und Nase gelegt, um sich vor den austretenden Gerüchen zu schützen. Eine nicht gerade erfolgreiche Maßnahme.

Rogue trat vor und meckerte: »Alter, das kann doch wohl nicht euer ernst sein. Da gehe ich nicht rein.«

In gewisser Weise musste ich ihm zustimmen. Wenn der Gestank bereits hier draußen derart penetrant war, wie roch es dann erst weiter drinnen?

Neben dem lieblichen Aroma dieses Ortes sah ich jedoch noch eine viel größere Gefahr: Giftgas. Nach allem, was ich bisher gesehen hatte, war die Technologie in dieser Welt weit zurück. Die Gefahr, auf eine Gasblase zu stoßen, war demnach recht hoch. Egal ob toxisch oder zu wenig Sauerstoff, das Ergebnis wäre dasselbe: Tod.

Das war einer der Gründe, warum die Aufträge für diesen Ort mit Goldrang eingestuft wurden, um mögliche Unglücke zu verhindern. Soviel hatte Aaron mir jedenfalls erklärt.

Es half alles nichts, wir mussten da rein, um unsere Quests zu erfüllen, aber wie sollten wir das machen? Bestimmt gab es keine Gasmasken in dieser Welt.

Gasmasken? Da kam mir eine Idee. Dank meiner Spielerei auf dem Flugschiff hatte ich den Extra-Skill Windbarriere erworben. Mal sehen, ob der nicht auch hier nützlich sein könnte. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich. Mein Ziel war es, eine Blase um mich zu erschaffen, die nur reine Luft, also Stickstoff und Sauerstoff, hindurch ließ, und das in den richtigen Mengen.

Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gebracht, konnte ich nichts mehr riechen. Erschrocken riss ich die Augen auf, beruhigte mich jedoch schnell wieder. Klar, wenn mein Zauber wie vorgesehen funktionierte, dann würde alles, das schloss jedwede Geruchspartikel mit ein, aus der Luft herausgefiltert werden.

Vielleicht wäre ich sogar in der Lage, das noch weiter zu verfeinern, aber nicht jetzt. Ich hatte einen Weg gefunden, den Gestank loszuwerden, zum Preis des Geruchssinns. Einen Tod musste man eben sterben.

Schnell erklärte ich den anderen, was ich ausgeheckt hatte. Vor allem Aaron, der den Spezies-Skill Spürnase besaß, war ganz und gar nicht angetan von meiner Idee, willigte aber schlussendlich ein. Ausgestattet mit je einer modifizierten Windbarriere, konnte unser Abenteuer beginnen.

Als Magier war es normalerweise unklug vorwegzugehen, aber ich tat es dennoch. In den letzten Tagen hatte sich in mir eine Menge Frust angesammelt und ich benötigte dringend ein Ventil, um meine gesamte negative Energie rauszulassen.

Wie gerufen, traf ich im spärlichen Licht, einfallend durch große Rohre an der Decke, keine fünf Minuten später auf meine ersten Gegner.

Lucky, die sich vor dem Unrat am Boden auf meine Schulter geflüchtet hatte, bellte hell auf. Ich trat um die Ecke und da standen sie: drei Riesenratten. Der Name war, wie so oft, auch hier Programm. Wäre ich in meinem alten Leben Ratten, so groß wie Golden Retriever begegnet, hätte ich die Beine in die Hand genommen und den Kammerjäger gerufen. Oder die Armee, je nachdem, wen ich zuerst an die Strippe bekommen hätte.

Bevor ich handelte, warf ich einen Blick auf das Infofenster der Ratten. Ihre Spezies Skills waren: Allesfresser und dickes Fell. Gut ja, die erhöhte Abwehr gegen physische Angriffe würden Rogue und Aaron etwas beeinträchtigen, mich jedoch nicht.

Problematisch fand ich eher ihren Extra Skill Verseuchung. Solange ich sie allerdings auf Distanz hielt und mich von ihnen nicht beißen oder kratzen ließ, konnten sie mir damit nichts anhaben.

Ich verzog die Lippen zu einem dämonischen Grinsen. Hier, in dieser Welt und in genau diesem Augenblick, war ich der Kammerjäger. »Windschnitt.«

Mein Zauber teilte alle drei Ratten sauber, in mittlerer Höhe, in zwei Hälften. Das tat gut. Endlich konnte ich mal die Sau rauslassen.

»Rogue, sammelst du bitte die Ohren ein. Ich glaube, ich kann noch mehr von denen hören.« Rasch übergab ich Nadel und Faden, während Lucky ein helles Bellen von sich gab. Dank Spürsinn wusste sie immer, wenn sich in unserer näheren Umgebung ein Feind aufhielt. Ich für meinen Teil fand diesen Skill sehr praktisch. Schade nur, dass ich ihn nicht selbst besaß.

Vorsichtig stieg ich über die Kadaver und lugte um die nächste Biegung. Da waren ja auch schon meine nächsten Opfer. Perfekt. »Windschnitt.«

Dieses Mal hatte ich mit einem Schlag fünf Biester erwischt. Das war viel zu einfach, was meiner Euphorie einen starken Dämpfer verpasste. Ich sollte das Abschlachten wohl besser den anderen überlassen. Vor allem, wenn ich mir die tiefen Einschnitte in den Wänden ansah, die mein Zauber hinterlassen hatte. Nicht dass ich aus Versehen noch die Abwasserrohre zum Einsturz brachte.

23 Riesenratten später trafen wir zum ersten Mal auf eine Riesenkakerlake. Ein kalter Schauder lief mir den Rücken hinunter. Das Ding war sogar noch größer als die Riesenratten. Von der Decke hängend, klackerte es uns mit seinen langen Greifzangen an.

Ein Blick auf seine Skills sagte mir, dass die Jungs mit diesem Gegner Probleme bekommen könnten. Bevor ich allerdings etwas sagen konnte, stürmten die zwei los.

Die Riesenkakerlake benutzte ihren Extra Skill Fäulnisatem und spuckte uns eine gelbliche Wolke entgegen. Dank meiner modifizierten Windbarriere, konnte uns dieser Angriff zum Glück nichts anhaben. Ohne davon beeinträchtigt zu werden, rannten die beiden durch die Fäulniswolke und stürzten sich ins Gefecht.

Während Rogue das Vieh mit seinen Dolchen ärgerte, seine Waffen prallten nutzlos am Körperpanzer des Insektes ab, köpfte Aaron das Biest mit einem Schlag und das, ohne einen Skill einzusetzen. Aarons Muskelkraft war schon beeindruckend, wie ich fand.

Anerkennend nickte ich ihm zu. Einen Feind mit einer Axt zu töten, der über den Spezies Skill Chitinpanzer verfügte, war schon eine Leistung. Mit Aarons Stärke konnte Rogue nicht mithalten, was ihn sichtlich ärgerte.

An diesem Gegner konnte ich gut den Unterschied zwischen einem Gold- und einem Opalabenteurer sehen. Die Riesenkakerlake selbst war dem Malachitrang zugewiesen. Ich bezweifelte zwar, dass ich mit diesem Vieh Probleme haben würde, aber für den Katzenjungen war so ein Gegner noch eine Nummer zu groß.

Rogue warf mir einen Blick zu und riss mich aus meinen Gedanken. »Die Dinger haben keine Ohren.«

Na großartig. Leicht genervt antwortete ich: »Dann nehmen wir eben wieder die Köpfe mit.«

Plötzlich dröhnte ein lautes Knacken durchs Abwasserrohr. Entgeistert sah ich zu Aaron, der vor der Leiche kniete. In einer Hand hielt er etwas, das aussah, wie ein gut zwei Meter langes Schilfrohr.

Ich sah, wie er sich ruckartig bewegte. Ein zweites Knacken erklang. Mit reiner Muskelkraft hatte Aaron der Riesenkakerlake beide Fühler vom Kopf gerissen. Er sah auf und brummte: »Die Gilde mag es nicht, wenn wir die Köpfe mitbringen.«

Ich warf die Arme in die Luft. Dann eben so. Eine Bewegung ließ mich innehalten. Der kopflose Torso des Insekts richtete sich plötzlich auf und versuchte zu entkommen. Vielleicht hatte das etwas mit dem Spezies Skill Überlebenskünstler zu tun, war aber auch egal. Reflexartig hob ich eine Hand und rief: »Windschnitt.«

Senkrecht in zwei Teile gespalten, klappte der Torso auseinander. Angewidert sah ich auf die zuckenden Beine, die noch immer die Flucht ergreifen wollten. Ja, dieses Ding war ein Überlebenskünstler. Es war tot und doch versuchte es zu entkommen. Ein Schauder lief mir über den Rücken. Insekten waren so ekelhaft.

Nachdem Aaron seine Jagdtrophäe, die Fühler bewegten sich noch immer, im Seesack verstaut hatte, trottete ich den beiden langsam hinterher. Die Schande, der Riesenkakerlake keinen Schaden zufügen zu können, ließ Rogue nicht auf sich sitzen. Schneller als Aaron sich bewegen konnte, schnetzelte er sich durch die Riesenratten voran.

Erst eine zweite Riesenkakerlake stoppte seinen Vorstoß. Mich im Hintergrund haltend, beobachtete ich den Kampf. Dieses Mal zielte Rogue auf die Gelenke, die nicht vom Körperpanzer geschützt wurden.

Mit dieser Taktik hatte er sogar Erfolg. Während er geschickt den Beißzangen auswich, schlug er dem Gegner zwei seiner sechs Beine ab.

Das Biest klackerte wütend und biss nach ihm. Mit einer gedrehten Schraube sprang Rogue über dessen Kopf hinweg. Seine Dolche blitzten auf und weißlicher Schleim spritzte hervor. Er hatte der Riesenkakerlake in beide Facettenaugen gestochen.

»Sieg«, jubelte Rogue, als sein Gegner zu Boden ging. Lange blieb die Leiche allerdings nicht liegen. Keine Sekunden später versuchte der Kadaver, zu entkommen.

Ich beendete das Schauspiel mit einem Windschnitt. Diese Viecher waren ja so widerlich. Anschließend lobte ich Rogue aufgrund seiner Leistung. Nicht nur ich war offenbar bestrebt, besser und stärker zu werden.

*

Gut zwei Stunden nachdem wir die Kanalisation betreten hatten, kamen wir an einem weiteren Ausgang vorbei. »Genug für heute«, entschied ich und wir verließen das Abwassersystem. Wir hatten weitaus mehr als die angeforderte Menge an Gegnern erledigt.

Auf geradem Weg führte uns Aaron zur Abenteurergilde. Im Gegensatz zu dem kleinen Außenposten in Meerblick befand sich das Hauptquartier der Gilde in einem großen, dreistöckigen Gebäude, nahe des Zentrums.

Laut Aaron gab es in den Randgebieten von Lusira zwei weitere Außenposten der Gilde. Normalerweise hätte er eine dieser beiden angesteuert, jedoch hatte ich keine Lust auf einen Umweg.

Wir hatten die Kanalisation nahe der Innenstadt verlassen und ich wollte nicht quer durch Lusira rennen, nur um unsere Quests abzugeben. Dank meiner modifizierten Windbarriere, waren wir recht sauber geblieben und auch unser Geruch hielt sich in Grenzen. Ein Erfolg auf ganzer Linie.

Ich seufzte und versuchte, die abschätzigen Blicke der anderen Abenteurer, die sich im Inneren des Gebäudes aufhielten, zu ignorieren. Ihr Interesse galt nicht mir, sondern Aaron und Rogue, die die einzigen Tiermenschen hier waren.

Um mich davon abzuhalten, die Leute anzuschnauzen, dass sie sich gefälligst um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern sollen, sah ich mich um. Es gab noch einen zweiten Grund, warum ich das Hauptquartier als Ziel gewählt hatte. Ich suchte nach einem anderen Magier, beziehungsweise nach dessen Klassen-Skills.

Während Aaron und Rogue sich in der Kanalisation ausgetobt hatten, war ich damit beschäftigt gewesen, mir Gedanken zu machen. Aber egal, wie sehr ich mich anstrengte, ich konnte den sechsten Windzauber nicht erraten. Ohne zu wissen, wie sein Name war oder was er bewirken sollte, konnte mir selbst Magiefulminanz nicht helfen. Das war mit einer der Gründe, warum ich schlechte Laune hatte, was wiederum meine Geduld sehr strapazierte.

Wieder mit den Gedanken in der Gegenwart angekommen, sah ich mich um. Ein monotones Stimmengewirr herrschte hier. In einer langen Schlange standen gut zwanzig Abenteurer an, um zu einem der fünf Schalter vorgelassen zu werden. Einige wenige Menschen studierten das schwarze Brett, während andere als Grüppchen dastanden und sich unterhielten. Ich zuckte die Schultern, nichts besonders.

Neben mir entdeckte ich mithilfe von Analyse noch zwei andere Magier. Einer war Novize, der andere im Rang Gelehrter. Rasch warf ich einen Blick auf die Skills der schätzungsweise vierzigjährigen Frau.

Begleitet von einem deprimierten Seufzen, ließ ich den Kopf hängen. Die Magierin kannte gerade mal drei der sechs großen Windzauber. Natürlich war der Skill, den ich suchte, nicht dabei.

»Stellt euch schon mal an. Ich werfe noch schnell einen Blick aufs schwarze Brett und komme dann zu euch.« Ohne ein Antwort abzuwarten, stiefelte ich mit hängenden Schultern davon.

Mehrere gewaltige Pinntafeln säumten die Wände des großen Raumes. Die Zettel darauf waren nach Region und Schwierigkeit angeordnet. Auf einer der Tafeln, rechts vom Eingang, gab es einen Extrabereich nur mit Aufträgen für die Kanalisation in Lusira.

Rasch überflog ich die Quests und nahm vier davon ab. Anschließend trottete ich zu meinem Kameraden zurück.

Knapp zehn Minuten später waren wir an der Reihe. Gemeinsam mit den beiden aktiven Aufträgen, dem einen, den ich in Meerblick angenommen hatte, und dem von Aaron, breitete ich sechs Zettel auf dem Tresen aus.

Streng fuhr mich die Dame am Schalter an: »Werter Magier, Sie dürften nur einen Auftrag gleichzeitig annehmen.«

Unbeeindruckt deutete ich mit dem Daumen über meine Schulter. »Wir sind zu dritt, also darf jeder einen annehmen. Außerdem steht nirgends, dass ich einen Auftrag annehmen muss, um ihn abzuschließen.«

Ich griff in meinen Beutel und zog eine Kette, bestehend aus Riesenratten-Ohren, hervor.

Rasch zählte ich die Ohren ab und trennte mithilfe von Windschnitt die makabere Kette in mehrer Teile. Ich legte zehn Ohren auf den ersten Auftrag, je zwanzig auf den zweiten und dritten, zum Schluss vierzig auf den vierten Zettel. Die restlichen drei Ohrenpaare steckte ich wieder ein.

Anschließend zog ich ein Bündel aus zehn Fühlern und ein weiteres aus zwanzig Fühlern hervor, damit waren die letzten beiden Aufträge abgegolten.

Nachdem ich mit der Vorbereitung fertig war, hob ich den Blick. Mit offenem Mund starrte mich die Dame hinter dem Schalter an. Wann immer einer der zuckenden Fühler sie streifte, fuhr sie zusammen.

»Also, ich für meinen Teil würde das hier gerne schnell und unbürokratisch lösen. Wie Sie sehen, habe ich den Beweis für das Beseitigen der Monster mitgebracht. Entweder sie zahlen mir alles auf einmal aus oder wir nehmen jetzt einen Auftrag an, geben dann drei auf einmal ab, nur um gleich darauf die nächsten drei anzunehmen und auch diese abzugeben. Wie hätten Sie es denn gerne?«

Wie ein Fisch auf dem Trockenen öffnete und schloss sich ihr Mund, ohne das ein Laut daraus hervordrang. Na toll. Das konnte wohl noch eine Weile dauern. War ich der Erste, der auf so eine Idee gekommen war? Ich für meinen Teil hatte kein Interesse daran, für jede Quest einzeln in die Kanalisation zu steigen.

Etwa drei Sekunden starrte mich die Dame noch an, dann schüttelte sie den Kopf. Anschließend fertigte sie die Aufträge der Reihe nach ab. Verdammte Bürokratie. Es wäre viel schneller gegangen, alle auf einmal zu bearbeiten, aber was sollte ich machen? Vorschriften waren nun mal Vorschriften.

Während die Dame vor sich hinarbeitete, seufzte ich genervt auf. Von der Seite her sprach Rogue mich leise an: »Was ist denn los mit dir? Du wirkst so angespannt.«

Schulterzuckend antwortete ich, mit deprimierter Stimme: »Ach, ich komm einfach nicht drauf, was der sechste Windzauber ist. Ich habe schon alles Mögliche ausprobiert, ohne Erfolg.«

Aus den Augenwinkeln sah ich ihn nicken. Schneller als ich reagieren konnte, wandte sich Rogue an die Dame am Schalter: »Entschuldigen Sie bitte, kennen Sie vielleicht die sechs großen Windzauber?«

Entgeistert starrte ich ihn an. Woher zum Teufel sollte denn diese Frau das wissen? Sie war keine Magierin.

»Natürlich kenne ich alle Windzauber. Jedenfalls vom Namen her.« Sie hob den Blick und legte einen Finger an ihr Kinn. »Da haben wir, Windschnitt, Windstoß und Wirbelwind. Das sind die gebräuchlichsten Zauber, die jeder gute Magier kennen sollte. Weniger verbreitet unter den Abenteurern sind Vakuumsphäre und Orkan. Der letzte ist sehr selten. Nur ein Magier auf dem Rang eines Weisen ist dazu in der Lage. Der Zauber heißt: Windsense.«

Sprachlos starrte ich die Frau an. Nun war ich es, der den Mund nicht geschlossen halten konnte. Wie einfältig ich doch war. Natürlich kannte diese Dame alle Zauber. Sie sah diese immer auf den Charakterbögen der Magier, die ihre Skills prüfen ließen.

Windsense also. Blieb nur die Frage, ob damit eine Art verbesserte Version von Windschnitt gemeint war, oder aber die Manifestation einer Sense, bestehend aus Luft. Ich tippe auf Letzteres. Natürlich musste ich meine Theorie sofort prüfen.

Rasch trat ich einen Schritt zurück und hob beide Hände. Innerlich konzentrierte ich mich darauf, eine Sense aus Wind zu erschaffen. Dann sagte ich: »Windsense.«

Durfte man hier überhaupt Zauber wirken? Egal. Es war sowieso zu spät. Meine Hände vibrierten bereits, während ein stetiger Strom Magie aus mir herausfloss, sich ausdehnte und Form annahm. Im nächsten Augenblick hielt ich eine Sense in Händen, bestehend aus reinem Wind oder Magie, je nachdem, wie man es sehen wollte.

Obwohl Wind nicht greifbar war, konnte ich einen Widerstand spüren. Offenbar bestand die glatte Oberfläche aus einer gepressten Form einer Windbarriere. Ich grinste die Dame hinter dem Tresen an.

»Danke für die Info.«

Einen Moment starrte sie mich entgeistert an, nebenbei murmelte sie: »Aber Sie sind doch im Rang Schüler und auch noch so jung.«

Dann schüttelte sie den Kopf. Schlagartig änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Wütend fuhr sie mich an: »Warum fragen Sie mich, wenn Sie ohnehin schon alles wissen?«

Rasch dachte ich mir eine Notlüge aus. Ich ließ die Windsense verschwinden und legte meinen besten Flirtblick auf. »Verzeihen Sie mir diesen kleinen Test. Ich wollte nur wissen, wie gut Sie in Ihrem Job sind.« Augenzwinkernd nickte ich ihr zu. »Sie haben meine Erwartungen weit übertroffen.«

Ein feines Lächeln umspielte die Lippen der Frau, deren Namen ich mir nicht gemerkt hatte. Um kein Misstrauen zu erwecken, flirtete ich noch ein wenig mit ihr, dann steckte ich unsere Belohnung, satte 750 Drachmen, ein und wir verließen rasch die Gilde.

*

Vor dem Gebäude sah ich in den Himmel. Es war noch früher Abend. Ich grinste in mich hinein und stürmte ohne Erklärung für meine Freunde los. Die beiden konnten es sich vermutlich eh schon denken. Mein Ziel war die Magierakademie. Diesem aufgeblasenen Direktor würde ich jetzt eine Lektion erteilen.

Im Sekretariat wurde mir mitgeteilt, dass Jonathan der Weise gerade auf seiner Runde über das Übungsgelände war. Grob zeigte der freundliche Herr hinter dem Tresen in eine Richtung.

Mit meinen Kameraden im Schlepptau setzte ich meine Suche fort. Das Übungsgelände entpuppte sich als eine Art Schießplatz, jedenfalls sah es für mich danach aus. In mehreren voneinander abgegrenzten Bereichen waren in unterschiedlicher Entfernung Zielscheiben angebracht.

Ungefähr zwanzig Schüler standen zusammen, jeweils mit einem Zauberstab bewaffnet, in je einem Areal, wobei lediglich drei von ihnen gleichzeitig zaubern durften. Der Rest sah zu und kommentierte die Leistung der anderen. Offenbar wurden die Schüler nach Können und ihren Fortschritten eingeteilt, nicht nach dem Alter, wie mir ein Blick in ihre Gesichter verriet.

Hinter den übenden Gruppen, mit je einer eigenen Lehrkraft, wanderte der Schulleiter umher. Mal hier, mal da sah er sich die Darbietungen seiner Schüler an. Hin und wieder nickte er oder runzelte die Stirn, sagte aber kein Wort.

Ohne auf die übenden Schüler zu achten, stürmte ich auf den Weisen zu und blieb vor ihm stehen.

Irritiert sah Jonathan mich an. Dann hob er eine Augenbraue. »Du schon wieder. Was immer du willst, ich habe keine Zeit für dich.«

Von seiner ruppigen Zurückweisung ließ ich mich nicht beeindrucken. Verschmitzt grinste ich ihn an und verkündete: »Entsprechend unserer Absprache, bin ich gekommen, um Ihnen alle sechs großen Windzauber vorzuführen.«

Einen Augenblick war Jonathan sprachlos. Seine Augen verengten sich, wobei er streng einen Finger hob. »Genug. Ich werde mir keinen Augenblick länger diese Lügenmärchen anhören. Großzügigerweise hatte ich dir die Chance gegeben, deine Fehler einzusehen und dich wie alle anderen an der Akademie einzuschreiben.«

Er verschränkte die Arme vor der Brust, während er mit bösem Blick an mir vorbeisah. »Entgegen meiner Anweisung hast du abermals diese Halbmenschen mitgebracht. Das kann und werde ich nicht dulden. Nimm deine Haustiere an die Leihe und geh. Von nun an ist dir der Zugang zum Akademiegelände untersagt.«

Geduldig wartete ich, bis er fertig gesprochen hatte. Dann hielt ich ihm die Fehler in seinen Argumenten vor: »Sie sagten, der Zugang zu den Gebäuden sei meinen Freunden untersagt, nicht das Betreten des Geländes. In Zukunft sollten Sie sich klarer ausdrücken.«

Ich sah genau, wie sich sein Blick verfinsterte. Aber das war mir vollkommen egal. Die Zeit nett zu sein, war vorbei. So oder so würde ich ihm zeigen, dass er sich mit dem Falschen angelegt hatte. In dem Augenblick, da er mich unterbrechen wollte, hob ich frech eine Hand und gebot ihm zu Schweigen.

»Ich bin weder ein Scharlatan noch möchte ich hier studieren. Sollte es mir gelingen, alle sechs großen Windzauber zu meistern, dann erhalte ich uneingeschränkten Zugang zur Bibliothek. Das waren Ihre Worte. Hiermit fordere ich Sie auf, sich an unsere Absprache zu halten.«

Da ich in keinster Weise die Stimme gesenkt hatte, war ich mir nun der Aufmerksamkeit aller Schüler, sowie der Lehrkörper sicher. Damit hatte ich den Weisen am Wickel. Einfach herausreden konnte er sich nicht, ohne sein Gesicht zu verlieren.

Ein Getuschel ging durch die Menge. Selbstverständlich entging das Jonathan nicht. Wütend sah er sich um, dann wandte er sich erneut an mich: »Du bleibst also bei deinen dreisten Behauptungen?«

Ich hatte ihn da, wo ich ihn haben wollte. Jetzt war die Zeit gekommen einzulenken. Ihn weiter zu reizen, würde nichts bringen.

»Ja. Alles, was Felix geschrieben hat, entspricht der Wahrheit. Ich bitte Sie, lassen Sie es mich beweisen. Sollte ich nicht in der Lage sein, Ihren Erwartungen gerecht zu werden, gestehe ich meine Niederlage ein. Dann gehe ich und werde nie wieder einen Fuß auf Ihr Gelände setzen.«

Zitternd vor unterdrückter Wut, zeigte er zu einem der Übungsplätze. »Bringen wir es hinter uns. Du hast genau einen Versuch für jeden Zauber.«

»Einverstanden«, sagte ich und grinste ihn an.

Die Schüler machten uns brav Platz, so dass ich an die Linie treten konnte. Alle Augen waren auf mich gerichtet, doch das kümmerte mich nicht. Aus der Ferne begutachtete ich die Zielscheiben. Die sahen nicht gerade stabil aus. Egal, das war nicht mein Problem.

Ich hob eine Hand und zielte auf die Hinterste, die an der Absperrwand angebracht war.

»So ein Stümper, benutzt nicht einmal einen Zauberstab«, murmelte jemand in meiner Nähe. Ohne auf den Kerl zu achten, sagte ich ruhig und gelassen: »Windschnitt.«

Mein Zauber flog davon und traf genau ins Schwarze. Allerdings hatte ich vergessen, meine Magie herunterzuregeln. Gemeinsam mit der Zielscheibe spaltete ich die hintere Mauer. Erschrocken starrte ich auf die Verwüstung, die ich angerichtet hatte.

Etwas verunsichert warf ich einen Blick zu Jonathan. Seine Augen waren kaum merklich geweitet. Mit verschränkten Armen schnaubte er und sagte: »Glaub ja nicht, nur weil du einen Zauber einigermaßen gut beherrschst, würde ich nachgeben. Das war der Erste, es fehlen noch fünf.«

Bitte, wie er wollte. Ich sah wieder nach vorne und sagte: »Windstoß.«

Meine Magie riss alle Zielscheiben in diesem Areal aus den Verankerungen. Begleitet von metallischen Scheppern, bohrten sie sich, Geschossen gleich, in die Schutzwand, die meiner Magie bebend standhielt. Absichtlich hatte ich meine Energie diesmal etwas gedämpft. Ich wollte nicht übertreiben.

Abermals sah ich zu Jonathan. Großspurig meinte er: »Gerade mal annehmbar. Mit diesem lauen Lüftchen kannst du mich nicht beeindrucken.«

Ich blinzelte ihn an. Er wollte, dass ich ihm zeigte, zu was ich im Stande war? Gut das konnte er haben. Den Blick auf mein Opfer, die Mauer, gerichtet, rief ich: »Wirbelwind.«

Im Gegensatz zu meinem vorherigen Zauber setzte ich nun meine volle Kraft ein, allerdings ohne zuvor Magie zu sammeln.

Ein schwacher Windhauch flog auf die Mauer zu. Einen Wimpernschlag geschah gar nichts, dann sprengte mein Zauber die gesamte gut zehn Meter lange Rückwand. Im Inneren des Wirbelwinds wurden die Steine, wie auch die Zielscheiben, zu Staub zermahlen.

Ein Raunen ging durch die Menge. Selbst Jonathan war gegen seinen Willen beeindruckt. Das konnte ich in seinen Augen, sowie der Körpersprache sehen. Seine zuvor verschränkten Hände hingen nun locker an den Seiten.

Unsere Blicke trafen sich. Nach einem raschen Räuspern, meinte er: »Passabel.«

»Windsense.«

Ratlos stand ich mit erhobener Waffe da. Aber worauf sollte ich einschlagen? Dieses Gelände war offenbar für Distanzangriffe vorgesehen, nicht für den Nahkampf. »Entschuldigen Sie bitte, haben Sie zufällig eine Strohpuppe oder so etwas in der Art?«

»Erstaunlich«, erklang es neben mir.

Erschrocken zuckte ich zusammen und sah zu Jonathan auf. Ich hatte nicht bemerkt, dass er zu mir gekommen war. Er streckte eine Hand aus und berührte den kaum sichtbaren Schaft meiner Windsense.

»Die Dichte der Magie ist außergewöhnlich stark. Selbst unsere widerstandsfähigsten Zielscheiben würden dieser Sense nicht standhalten.«

Er hob den Blick und sah mir in die Augen. »Eine Demonstration der Zerstörungskraft ist nicht erforderlich. Nächster Zauber.«

Während ich meine Magie löste, entschied ich mich, ihm eine Frage zu stellen: »Wie soll ich die Vakuumsphäre demonstrieren? Rein Optisch kann man die nicht sehen.«

Er nickte mir zu und sagte: »Ich besitze den seltenen Skill magische Wahrnehmung. Achte bitte darauf, keinen der Schüler zu treffen.«

Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Ob bewusst oder nicht, sein Unglaube meinen Fähigkeiten gegenüber war vollkommen verflogen.

»Vakuumsphäre.«

Jonathan warf einen Blick auf meinen unsichtbaren Zauber und nickte. »Excellent. Ein vollständiges Vakuum. Daran besteht kein Zweifel.«

Kurz warf der Direkter mir einen seltsamen Blick zu, dann wandte er sich an die sprachlosen Schüler. Mit strenger Stimme gebot er: »Alle Mann zurücktreten. Bei dem nächsten Zauber ist ein Sicherheitsabstand von mehr als zwanzig Metern zu wahren.«

Gemeinsam mit den schnatternden Schülern entfernten sich alle von mir. Irritiert runzelte ich die Stirn. Im Gedanken an das letzte Mal, als ich diesen Zauber einsetzte, fragte ich mich, ob der Sicherheitsabstand nicht zu gering sein würde. Ich biss mir auf die Unterlippe und entschied, sicherheitshalber meinen Zauber weit oben in der Luft zu entfalten.

Bewaffnet mit meinem Zauberstab, den ich aus dem Seesack gezogen hatte, hob ich die Hand. Kaum hatte ich den Beschluss gefasst, Magie zu sammeln, schlängelte sich auch schon ein gewaltiger Tornado vom Himmel herab.

Erschrocken riss ich die Augen auf. Ich fokussierte viel mehr Magie, als ich erwartet hatte. Im Hintergrund sah ich den Windturm. Selbstverständlich. Am liebsten hätte ich mir die Hand gegen die Stirn geschlagen.

Dieser Turm war das Zentrum der Windmagie. Die Konzentration an Energie in der Luft musste hier bedeutend höher sein, als im Wolfswald, der am Rand der Wind-Domäne lag. Da ich Zauber einsetzte, ohne zuvor Magie zu sammeln, war mir das bis zu diesem Augenblick nicht aufgefallen.

Etwa drei Sekunden fokussierte ich reine Windkraft in der Spitze meines Zauberstabes, bis der Kristall in einem satten Grasgrün pulsierte.

Was ich wohl mit dieser Menge an Kraft alles bewerkstelligen konnte? Ein einfacher Orkan war doch langweilig. Ich ließ meiner Fantasie freien Lauf und entschied, ein wenig vom Konzept abzuweichen. Mit beiden Händen zum Himmel gereckt, rief ich: »Orkan.«

Ein hoch konzentrierter, grüner Energieblitz schoss empor. In einer Höhe von etwa zwei Kilometern fächerte er sich auf. Seine zuckenden Verästelungen reichten, soweit meine Augen sehen konnten.

Begleitet von tosenden Winden, begann die Luft, sich zu drehen. Eine gewaltige Sturmfront bildete sich und verfinsterte den rötlichen Abendhimmel. Wie ich es mir vorgestellt hatte, lösten sich unzählige Wirbelwinde aus dem schwarzen Wolkenmeer. Es sah so aus, als ob ein Wesen mit etlichen Tentakeln versuchte, nach dem Erdboden zu greifen.

Staunend sah ich diesem beeindruckenden Schauspiel zu. Ganz so wie ich es beabsichtigt hatte, reichten die Tornados nicht auf den Boden, sie wanden und zuckten in einem Kilometer Höhe umher. Wahrscheinlich hätte ich sonst mit einem Schlag die ganze Stadt ausradiert.

Das sich mir bietende Bild erinnerte mich an verschiedene Filme, in denen ich schonmal so etwas gesehen hatte. Mit einem fetten Grinsen im Gesicht schaute ich zu Jonathan und den anderen.

Sie alle starrten, gefangen in einer Art Schockstarre, in den Himmel. Offenbar konnten sie nicht glauben, was sich da vor ihren Augen abspielte. Selbst der Direktor gaffte mit weit offenstehenden Mund nach oben.

Als ich bemerkte, dass einige der Schüler zitterten, verging mir die Freude an meinem Zauber. Ich hatte es eindeutig übertrieben.

Rasch konzentrierte ich mich und befahl dem Sturm mit meiner Willenskraft, sich aufzulösen.

Als hätte jemand den Stecker gezogen, verschwammen die Umrisse der Tornados und zuckten wild umher. Einen Wimpernschlag später zerstreuten sie sich, ohne Schaden anzurichten. Ebenso prompt verebbte die gesamte Sturmfront.

Der Beweis war erbracht. Ich hatte alle sechs großen Windzauber vorgeführt.

*

Noch am selben Tag wurde ich als Ehrenmitglied auf der Windakademie aufgenommen und bekam uneingeschränkten Zugang zur Bibliothek. Selbst Rogue und Aaron durften weiterhin das Gelände betreten, aber nicht die Gebäude, mit diesem Deal konnte ich gut leben.

Ab und an statteten wir als Gruppe der Kanalisation einen Besuch ab, wenn ich genug vom Lernen hatte, jedoch saß ich die meiste Zeit in der Bibliothek, mit Lucky auf meinem Schoß. Von Anfang an war sie an meiner Seite und so würde es auch bleiben.

Lange aber würde ich die Füße nicht stillhalten können. Es gab noch eine ganze Welt voller Magie und Wunder zu entdecken. Als Magier stand ich noch am Anfang, jedoch war es mir gelungen, mir einen gewissen Ruf aufzubauen. Hinter vorgehaltener Hand behaupteten so manche, dass ich bald zum jüngsten Weisen aller Zeiten werden würde.

Als ich davon hörte, konnte ich nur den Kopf schütteln. Ein Weiser zu werden, wäre zwar nett, aber noch lange nicht das Ende. Dieser Titel war lediglich ein Schritt von vielen auf meinem Weg, der Mächtigste aller Magier zu werden.
 

Ende Band 1
 

____________________________________________________________________________________________
 

An meine lieben Leserinnen und Leser,

ich hoffe euch hat meine Geschichte gefallen. Mir als Autor würde es sehr helfen eure Meinungen zu erfahren, denn nur dann kann ich mich verbessern.

Ob, bzw wann es eine Fortsetzung geben wird, ist aktuell nur unklar. Da die bisherige Resonanz weit unter den Erwartungen geblieben war, muss ich nun ein Fazit ziehen.
 

Wer bis hierher gelesen hat, danke für eure Zeit und man liest sich vielleicht nochmal ^^
 

MFG Drachenlords



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