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Ter´nak Band 1: Wind

von

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Die Höhle

Etwa eine Stunde später betrat ich den Außenposten der Abenteurergilde. In meinen Armen trug ich Lucky, während Rogue mir langsam hinterhertrottete.

»Ich will sterben«, jammerte er leise vor sich hin.

Sein Verhalten ging mir so langsam auf den Zeiger. »Ich hatte dich gewarnt. Iss nur so viel, wie du verträgst. Das hast du jetzt davon, du neunköpfige Raupe.«

Der Bengel hatte tatsächlich die Nerven besessen, alle zehn Sandwichs wegspachteln. War ja klar, dass er anschließend kaum noch japsen konnte.

Leicht grün um die Nase hielt er sich den Mund zu.

»Wehe du übergibst dich hier drin. Warte draußen, ich werde nicht lange brauchen.«

»Mir gehts gut«, nuschelte er zwischen seinen Fingern hindurch.

»Kann ich den Herren behilflich sein?«, fragte Fiona, die gerade durch die Tür hinter dem Tresen erschien.

»Alles in Ordnung. Ich wollte mal einen Blick auf die offenen Aufträge werfen.«

»Wenn sie wünschen, kann ich ihnen gerne einen passenden Auftrag aussuchen.« Sie trat einen Schritt auf mich zu.

Schnell winkte ich ab. »Passt schon.« Ich musste meine Drachmen im Auge behalten. Nochmal wollte ich mich nicht über den Tisch ziehen lassen. Bestimmt würde sie mir ihre Hilfe in Rechnung stellen. Darauf konnte ich gut und gerne verzichten.

Vor dem schwarzen Anschlagbrett stehend, holte ich Fionas Zettel vom Vortag aus meinem Seesack. Bisher hatte ich noch keine Zeit gehabt, mir diese anzusehen.

Schnell überflog ich die Papiere. Das Einmaleins der Abenteurer. Umfangreich war es nicht gerade. Wie man eine Gruppe fand, so ein Schwachsinn. Oder hier: Wie man sich in einer Gruppe verhält. Wollten die mich verarschen?

Dann fand ich, was ich gesucht hatte. Aufträge, alles was sie wissen müssen. Aufmerksam las ich mir diesen Abschnitt durch.

Die Aufträge wurden in dieselben Ränge, wie die Abenteurer eingestuft. Ok das hätte ich mir auch selbst zusammenreimen können. Das Interessante dabei war aber, dass ein Abenteurer nur Aufträge seines Ranges oder denen darunter annehmen durfte.

Abgesehen vom Rang gab es noch eine weitere Angabe zu beachten. Aufträge mit einem Stern waren Gruppen vorbehalten, die aus mindestens zwei vollwertigen Personen bestehen mussten. Bei zwei Sternen benötigte man bereits vier Mitglieder. Hinzu kam noch, alle Gruppenmitglieder mussten mindestens dem Rang des Auftrags entsprechen.

Soweit so gut. Ich hob den Blick und sah mir die Aufträge an. Die meisten waren entweder zu hochrangig oder hatten einen Stern. Demnach gab es nur vier, die für mich in Frage kamen.

Drei waren Sammelaufträge vom Rang Selenit. Ich sah mir die Belohnungen genauer an. Einmal zwanzig Drachmen und zweimal dreißig Drachmen. Das klang doch nicht schlecht. Der Haken an der Sache war nur, sie alle würden mich tief in den Wolfswald führen.

Meinen letzten Besuch dieses Ortes noch schmerzlich vor Augen, sah ich auf den letzten Auftrag Rang Silber: Goblinhöhle säubern. Belohnung vierzig Drachmen, plus fünf Drachmen pro erlegtem Goblin. Laut dem Zettel war die Höhle gar nicht weit weg, nur ein paar Stunden zu Fuß.

»Den nehm ich«, sagte ich laut und deutete auf den Auftrag mit der Goblinhöhle.

»Oh, dieser.« Ich drehte mich zu Fiona um und sah gerade noch, wie sie sich auf die Unterlippe biss. »Verzeihen Sie, aber ich muss Ihnen dringend davon abraten.«

Fragend hob ich eine Augenbraue. »Ich verstehe nicht, was das Problem ist. Ich bin Rang Silber, so wie gefordert.«

»Nun ja, dieser Auftrag stellt für einen Anfänger ein zu hohes Risiko dar. Normalerweise müsste ich ihn mit einem Stern versehen oder hochstufen. Das kann sich die Auftraggeberin nur leider nicht leisten.«

In Gedanken ermahnte ich mich, Ruhe zu bewahren. »Was wenn ich nicht allein wäre?«

Fiona lächelte mich an. »Dann hätte ich keine Bedenken mehr.«

Ich hielt Lucky in die Höhe. »Ein Glück, dass ich dich habe, meine Kleine.«

»Beschworene Tiere zählen nicht als vollwertige Gruppenmitglieder«, blaffte mich Fiona an.

Verdammt nochmal. Dann eben anders. Ich hob den Blick. »Hey, Rogue. Was ist mir dir? Lust, mich auf ein Abenteuer zu begleiten?«

»Was ich?«, erklang sogleich die Gegenfrage.

»Es ist unhöflich, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten.« Streng hob ich eine Augenbraue und sah, wie er verlegen den Blick abwandte.

»Wenn ich darf, gerne.« Na geht doch. Der Bengel würde es sicher noch lernen. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Rogue hatte nichts dagegen, mich zu begleiten und ich hatte eine zweite Person für meine Gruppe.

Abermals mischte sich Fiona ein. »Nur registrierte Personen dürfen Mitglieder einer Abenteurergruppe werden.«

Diese Frau raubte mir noch den letzten Nerv. Abermals ermahnte ich mich zur Ruhe. »Wie viel würde mich das kosten?«

Wie aus der Pistole geschossen, sagte Fiona: »Das kommt auf die Stufe an. Bei Selenit wären es siebzig Drachmen, bei Silber neunzig. Jedoch …« Sie verstummte.

»Jedoch, was?«, fragte ich mit deutlicher Schärfe in der Stimme. Meine Geduld war aufgebraucht und ich wollte nur noch hier raus.

»Es gibt kein Problem an sich«, meinte Fiona und wedelte abwehrend mit den Armen. Ihrem Tonfall nach zu schließen, kam da noch mehr und ich wurde nicht enttäuscht. »Nur eine Frage, sind Sie sicher, dass sie ihrem Sklaven das erlauben wollen.«

»Wieso, ist das verboten?« Dieses Mal klang meine Stimme deutlich mehr, als nur ein wenig gereizt. Diese Weib trieb mich allmählich zur Weißglut.

»Nein, es ist nur ungewöhnlich.«

Mein rechtes Auge begann zu zucken. Einen tiefen Atemzug später sagte ich mit bemüht ruhiger Stimme: »Bitte registrieren Sie Rogue als Abenteurer. Anschließend nehme ich diesen Auftrag an. Ist das in Ordnung?«

»Selbstverständlich«, mit diesem Wort tauchte Fiona hinter ihrem Tresen ab.

Der Rest ging reibungslos über die Bühne. Rogue wurde dem Rang Selenit zugeordnet und ich zahlte siebzig Drachmen. Während der kleine Dieb sich mit großen Augen seinen neuen Abenteurer-Ausweis ansah, durfte ich endlich meine Quest annehmen.

Interessiert sah ich zu, wie Fiona unsere Abenteurer-Ausweise auf den Aushang legte und auf beide Karten tippte. Auf dem Zettel erschienen unsere Namen und Ränge, darunter das Wort: Angenommen.

Erstaunlicherweise kostete mich das nichts. Diesen Gedanken behielt ich aber besser für mich. Ich wollte keine schlafenden Hunde wecken.

Anschließend stattet ich dem Kontor einen Besuch ab. Ich kaufte zwei Tagesrationen, zwei Fackeln, einen Feuerstein, sowie eine Karte der Umgebung und drei Wasserschläuche. Das kostete mich zwar weitere vierzig Drachmen, aber sicher war sicher.

Von meinem Startkapital waren lediglich acht Drachmen übrig geblieben. Frohen Mutes blendete ich meine finanzielle Lage aus. Mit der Erfüllung meines ersten offiziellen Auftrags sollte es bergauf gehen.

Gegen Mittag, die Sonne hatte ihren Zenit bereits überschritten, waren wir endlich bereit. Mit Sack und Pack verließen wir zu dritt den Handelsposten Meerblick, dem Abenteuer auf der Spur.

*

Etwa zweihundert Meter nachdem wir Meerblick verlassen hatten, bogen wir nach rechts ab und folgten einem kleinen Trampelpfad zwischen den Klippen. Wenig später erreichten wir das Meer.

Ich gönnte mir einen tiefen Atemzug und genoss einen Moment lang die schöne Aussicht. Den Wellen zuzusehen, hatte einen sehr beruhigenden Effekt auf mich.

Anschließend folgten wir dem schmalen Strand vor den hohen Klippen, den Handelsposten im Rücken. Mehrere Stunden liefen wir, bis wir einen kleinen Höhleneingang fanden.

Im Sand davor waren etliche Spuren zu erkennen. Erst vor Kurzem mussten hier einige Wesen mit kleinen Füßen etwas in die Höhle geschleift haben. Offensichtlich hatten wir unser Ziel erreicht.

Ich warf einen Blick in die ewige Finsternis der Höhle. Mein Herzschlag schnellte nach oben. Ob aus Angst oder Vorfreude über mein erstes offizielles Abenteuer, das konnte ich nicht sagen.

Abrupt wandte ich mich um und ging vor Lucky in die Knie. »Wenn du lieber hier draußen auf mich warten willst, dann nehme ich dir das nicht übel, verstanden? Ich würde mich sogar besser fühlen, dich in Sicherheit zu wissen.«

Lucky gab ein helles Bellen von sich und schüttelte den Kopf. Die Botschaft war eindeutig, sie würde mich begleiten.

Ich hob den Blick und sah zu Rogue hoch. Augenblicklich bekam ich ein schlechtes Gewissen. Er war doch noch so jung. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, ihn mitzuschleppen?

»Das gilt auch für dich, Rogue. Ich möchte nicht, dass du verletzt wirst.«

Verständnislos starrte er mich an. »Ich bin doch nicht den ganzen Weg hierhergelaufen, um vor der Höhle zu warten.«

»Wie ihr wollt«, seufze ich und stand auf. »Aber ihr bleibt in meiner Nähe. Keine Alleingänge. Ich meine es vollkommen ernst.«

Während Lucky mit den Augen rollte, grinste mich Rogue frech an. »Keine Sorge, ich beschütze dich armen, magielosen Magier vor den bösen Monstern. Goblins sind so doof wie ein Sack Steine und schreckliche Angsthasen. Das wird ein Kinderspiel.«

Empört schnaubte ich. In diesem Zusammenhang fiel mir noch etwas ein. Ich wollte eh noch meinen Zauberstab ausprobieren, am besten vor einem echten Kampf. Dem frechen Bengel würden gleich die Augen rausfallen.

Ich hob meine rechte Hand und befahl: »Windschnitt!« Als Ziel hatte ich die Felswand vor mir gewählt. Im Gestein bildete sich ein feiner Schnitt, während Steinstaub zu Boden rieselte.

»Du kannst ja doch zaubern!?«, warf Rogue überrascht ein.

Für die Frechheit, mich unterschätzt zu haben, strafte ich ihn mit Missachtung. Rasch zog ich meinen Zauberstab hervor und wiederholte den Zauber. Ein zweiter Schnitt entstand.

Mit gerunzelter Stirn untersuchte ich die beide Narben, die ich dem Felsen zugefügt hatte. Wenn mich nicht alles täuschte, dann war der Windschnitt mit Zauberstab schwächer als ohne.

Ich startete einen zweiten Test. Diesmal zielte ich aufs offene Meer hinaus. Den Stab in der Rechten haltend, setzte ich mit beiden Händen gleichzeitig Windstoss ein. Anschließend wechselte ich mit dem Zauberstab zur linken Hand und wiederholte den Test.

Maßlos enttäuscht, ließ ich den nutzlosen Stab in meinem Seesack verschwinden. Es war eindeutig: Ohne Zauberstab war meine Magie stärker als mit.

Rogues fragende Miene weiterhin missachtend, zog ich zwei Fackeln hervor. »Hier für dich«, sagte ich und hielt ihm eine entgegen.

Auf seine Augen deutend, belehrte er mich: »Ich kann im Dunkeln sehen, so etwas brauche ich nicht.«

Ich nickte ihm knapp zu und steckte eine der Fackel wieder weg. Bewaffnet mit dem Feuerstein, versuchte ich, eine Weile einen Funken zu erzeugen. Egal was ich tat, meine störrische Fackel wollte nicht brennen.

Am Ende giff Rogue schnaubend ein. »Her damit. Du kannst ja gar nichts. Ohne mich wärst du echt aufgeschmissen.«

Da er es mit einem Schlag schaffte, die Fackel zu entzünden, ließ ich ihm seine unverschämten Worte dieses Mal durchgehen.

Ich stand auf und sah mich um. »Alle bereit? Keiner hat Durst, Hunger oder muss auf die Toilette?«

Vom Eingang der Höhle her schüttelte Rogue den Kopf. »Komm schon, ich will nicht den ganzen Tag hier rumstehen.«

Offenbar musste ich ihm mal zeigen, wer von uns beiden das Sagen hat. Da fiel mein Blick auf Lucky. Gerade noch so sah ich, wie sie gemeinsam mit Rogue in die Höhle verschwand.

»Hey, wartet gefälligst auf mich«, rief ich ihnen nach und setzte mich rasch in Bewegung. So eine Frechheit. Ich machte mir Gedanken um deren Sicherheit und nun waren sie es, die mich zurückließen, wie einen blutigen Anfänger, der ich zugegebenermaßen auch war. Aber das tat hier nichts zur Sache. Ich war der Anführer dieser Gruppe!

*

Meine beiden Begleiter hielten sich kein Stück an meine Anweisungen. Außerhalb des spärlichen Lichts meiner Fackel, ging Rogue voraus. Leider gab es einen guten Grund dafür, weshalb ich ihn nicht maßregeln konnte. Im Gegensatz zu mir, konnte er im Dunkeln sehen.

Einige Meter nach der ersten Biegung nach rechts, sprang Lucky in die Dunkelheit davon und schloss zu Rogue auf. Entsetzt starrte ich ihr nach, bis ich bemerkte, dass die Fuchsdame einen neuen Extra Skill erworben hatte: Dunkelsicht. Großartig, damit war ich der Einzige mit Handicap.

Allerdings hatte auch ich einen Vorteil. Dank Analyse konnte ich die Umrisse der beiden trotz der Dunkelheit erkennen. Ein praktischer kleiner Nebeneffekt, wie ich fand. So konnte ich sie im Auge behalten, jedenfalls solang meine Sicht nicht verdeckt wurde.

Missmutig trabte ich, so leise ich konnte, den beiden hinterher. Soviel zu meiner Position als Anführer. Im Licht der Fackel glänzten unzählige spitze Stellen an den Wänden, während der Boden aus einer Sandschicht, über nacktem Fels bestand.

Plötzlich sprang Rogue auf mich zu, direkt in meinen Lichtkreis hinein. Sich die Augen zuhaltend, flüstere er: »Dort vorne im Gang, nächste Ecke links, stehen zwei Goblins. Bisher haben sie uns noch nicht bemerkt. Soll ich ihnen den Garaus machen?«

»Nein«, zischte ich wütend, »Keine Alleingänge. Lucky, kannst du mich hören?« In der Dunkelheit vor mir sah ich, wie sich ihr Schemen zu mir umdrehte.

»Wir machen das so: Lucky, du gehst vor und benutzt Lockvogel. Anschließend rennst du zu uns zurück. Rogue, du setzt deinen Skill Schleichen ein und wartest außerhalb meiner Fackel an der Wand. Der erste Gegner ist meiner. Du kümmerst dich um den zweiten.«

Rogues Schweif zuckte angriffslustig umher. Einen Augenblick lang war ich davon überzeugt, dass er mir Widerworte geben würde. Dann nickte er und seufzte leise: »Du bist der Boss.«

Sicherheit war die Mutter der Porzellankiste. Auch wenn er meine Vorgehensweise für übertrieben hielt, wollte ich kein Risiko eingehen. Ich stieß die Fackel vor mir in den Sand und wartete, bis Rogue mit gezückten Dolchen auf Position war. Dann nickte ich Lucky zu.

Augenblicklich verschwand ihr Umriss. Sie war nach links abgebogen. Innerlich betete ich zum weißen Götterdrachen, meinem kleinen Liebling durfte nichts geschehen.

Vollkommen geräuschlos erschien Luckys Umriss wieder. Wie der Wind rannte sie auf mich zu. In dem Augenblick, als sie schlitternd neben mir zum Stehen kam, bemerkte ich zwei Umrisse in der Dunkelheit. Beschriftet waren diese mit: [Goblin].

Rasch warf ich einen Blick auf das Infofenster. Erleichtert atmete ich aus. Außer den beiden Spezies Skills Dunkelsicht und Höhlenbewohner, besaßen sie keine weiteren Fähigkeiten.

Ich hob meine rechte Hand und machte mich bereit. Unsere Feinde gaben ein seltsam gackerndes Geräusch von sich. Ich interpretierte das als Lachen. Da sie nur mich und Lucky sehen konnten, waren sie sich ihres Sieges wohl sicher.

Angespannt wie eine Bogensehne, wartete ich ab. In genau dem Augenblick, da mein Feind in Sicht kam, rief ich: »Windschnitt.«

Gezielt hatte ich auf seinen Hals. Der grünhäutige Goblin, der entfernt wie ein kleines Kind mit spitzer Nase und Ohren aussah, hielt inne. Mit seiner Rechten hielt er eine schäbige, kleine Keule empor.

Überrascht sah ich, wie sich durch meine Magie ein Schnitt öffnete. Blut spritzte, einer Fontäne gleich, im hohen Bogen hervor. Ich hatte ihm beide Halsschlagadern durchtrennt.

Der Goblin ließ seine primitive Waffe fallen und griff sich mit beiden Händen an die Kehle. Zwecklos, sein Tod war gewiss. Ruhelos zuckten seine Augen umher.

Was hatte ich getan? Vollkommen erstarrt, sah ich zu, wie der Goblin zu Boden sackte. Sich am Boden windend, quoll sein Blut unaufhörlich zwischen seinen langen Fingern hervor. Gefangen im Todeskampf, streckte er hilfesuchend eine Hand nach mir aus.

Mit angehaltenem Atem sah ich, wie sein Lebenslicht erlosch. Seine Hand landete auf dem Boden, während noch immer Blut aus der Wunde am Hals aus seinen reglosen Körper floß.

Dunkelheit stürzte auf mich ein. Mein Körper zitterte wie Espenlaub. Ich war unfähig, mich zu bewegen. Ich hatte ein Leben genommen. Etwas, was ich schon unzählige Male in einem Computerspiel getan hatte. Jedoch war das hier kein Spiel. Die bittere Realität sah anders aus.

In meiner grenzenlosen Ignoranz hatte ich ein fühlendes Wesen ermordet. Es einfach so abgeschlachtet. Ich hatte nicht einmal den Versuch unternommen, die Angelegenheit auf friedlichem Weg zu lösen. Wie hatte ich nur so dumm sein können? Mit dieser Schuld würde ich nun leben müssen. Ich war ein Mörder, ein Monster!

Jemand rüttelte mich an der Schulter. »Hey, alles ok bei dir? Du bist ja ganz weiß im Gesicht. Geht es dir gut?«

Durch Rogues Eingreifen wurde meine Gedankenspirale durchbrochen. Ich musste mich dem stellen, was ich getan hatte. Die Dunkelheit vor meinen Augen lichtete sich. Bewusst nahm ich wieder meine Umgebung wahr. Ich hatte mich keinen Millimeter bewegt, noch immer starrte ich die Leiche des Goblins vor mir an.

Beim Anblick seiner starren, glanzlosen Augen, drehte sich mir der Magen um. Hastig stieß ich Rogue beiseite. Auf allen Vieren erbrach ich mich auf den sandigen Boden.

Bevor ich mich wieder gefangen hatte, rief Rogue: »Achtung, da kommen noch drei.«

Entsetzt riss ich den Kopf in die Höhe. In diesem Augenblick stürmten zwei Goblins mit erhoben Keulen auf Rogue zu, verwickelten ihn in einen Kampf. Der dritte hatte seine Augen auf mich gerichtet. Todbringend schwang er seine Keule über dem Kopf.

Panik erfasste mein Herz. Auf allen Vieren krabbelte ich weg. Weg von dem Monster, das mein Leben bedrohte. Meine linke Hand landete in der Blutlache des ersten Goblins und rutschte weg. Halb auf die Seite fallend, stieß ich mich mit den Füßen ab. Ich konnte nicht mehr. Das war alles zu viel für mich.

Mein Gegner kam lauernd näher. Unachtsam trat er dabei auf seinen verstorbenen Kumpel, ohne mich auch nur einen Wimpernschlag aus den Augen zu lassen.

Das war mein Ende. Ich hatte es verdient. Ich hatte gemordet. Ich war ein Monster. Dennoch wollte ich nicht sterben. So schnell ich konnte, drückte ich mich vom Boden ab und gelangte in eine sitzende Position. Rückwärts kriechend, hob ich meine rechte Hand.

Wenn ich nur die Wahl hatte, töten oder getötet werden, so wählte ich das Leben. Ich konzentrierte meine Magie und rief: »Wind -« Vor meinem inneren Auge sah ich abermals mein erstes Opfer sterben. Nein, ich wollte nie wieder töten. Mitten im Wort entschied ich mich anders. »- stoß.«

Durch die Wucht meiner Magie wurde mein Gegner aus dem Lichtkreis der Fackel katapultiert. Ich sah seine schemenhaften Umrisse auf dem Boden aufschlagen. Hatte ich es übertrieben. War ich nun ein zweifacher Mörder?

Als ich sah, wie der Schemen sich aufrappelte, fiel mir ein schwerer Stein vom Herzen. Aber wie sollte es weitergehen? Kaum auf den Beinen, stieß der Goblin einen markerschütternden Schrei aus. Dann rannte er abermals auf mich zu.

Ich durfte ihn nicht töten, konnte es nicht. Auch wenn ich nicht sterben wollte, so würde ich kein zweites Leben nehmen, nur um Meines zu retten.

Ich krabbelte rückwärts und stieß gegen eine Wand. Verdammt, es gab keinen Ausweg mehr. Mittlerweile stand der Goblin abermals mit erhobener Waffe vor mir. Eine seltsame Ruhe breitete sich in mir aus und ich schloss die Augen. Ich hatte mit meinem Leben abgeschlossen.

In diesem Augenblick hörte ich ein helles Bellen. Schlagartig wurde mir bewusst, ich war nicht allein. Lucky und Rogue. Verdammt, was tat ich da?

Ich riss die Augen auf und sah die Keule des Goblins nur Zentimeter vor meinem Gesicht heruntersausen. Wohin hatte das Monster denn gezielt? Mit den Augen folgte ich der Flugbahn des Totschlägers.

Die Erkenntnis traf mich, wie ein Schlag ins Gesicht. Lucky. Die Keule zielte auf Lucky. Um mich zu retten, musste sie ihren Skill Lockvogel eingesetzt haben.

Als ich mir dieser Tatsache bewusst wurde, war es bereits zu spät. Die Keule traf die Fuchsdame im Gesicht. Luckys Körper rollte gut zwei Meter über den Boden.

Mit zitternden Gliedern versuchte meine mutige Kleine, sich auf die Pfoten zu kämpfen. Dann brach sie zusammen. Tränen stiegen mir in die Augen, während Lucky sich in unzählige kleine Lichtpunkte auflöste.

Der Goblin vor mir gab ein ein gackerndes Lachen von sich. Ehe ich mich versah, hatte ich eine Hand erhoben und schrie: »Windschnitt.«

Aufgrund meiner verschwommenen Sicht traf ich nicht richtig. Mit einem blutigen Schnitt quer über die Brust, rannte mein Gegner in die Dunkelheit davon, seine Waffe zurücklassend.

Ich sah zu der Stelle, an der eine Sekunde zuvor noch meine kleine, treue Lucky gestanden hatte. Ich konnte es nicht glauben. Ich wollte es nicht wahrhaben. Sie war tot. Meinetwegen. Für die Dummheit, meinem Gegner Gnade zu erweisen, hatte sie ihr Leben gelassen.

Im nächsten Augenblick war ich auf den Beinen, den Blick starr auf die Umrisse meines fliehenden Feindes gerichtet. Rache. Ich würde bitter Rache nehmen. Für das, was dieses Drecksvieh Lucky angetan hatte, gab es kein Pardon.

Aus dem Schatten sprang Rogue auf mich zu. Seine Lederrüstung war blutverschmiert und seine Dolch glänzend schwarz im Schein der Fackel.

»Wir müssen hier raus!«, schrie er und riss an meinem Arm.

Vollkommen gelassen fragte ich: »Sind deine Gegner tod?«

»Ähm, ja. Aber da sind noch mehr. Ich kann ihr Gelächter hören. Das sind zu viele für uns.«

Ich nickte ihm zu und befahl: »Egal was du tust, bleib hinter mir.«

Vor meinen Augen senkte sich ein roter Schleier. Länger konnte ich meinen Zorn nicht mehr zügeln. Im Vorbeirennen schnappte ich mir die Fackel mit der linken Hand. Wutentbrannt stürmte ich dem fliehenden Goblin hinterher. Bevor ich in der Lage war, einen Zauber einzusetzen, bog mein Gegner nach links ab.

»Komm sofort zurück«, schrie ich ihm hinterher. Natürlich tat er mir nicht diesen Gefallen. Ohne auf meine Umgebung zu achten, folgte ich ihm in einen kleineren Tunnel nach links. Da war er wieder. Ich konnte ihn sehen.

»Windschnitt, Windschnitt«, brüllte ich meinen Zorn heraus.

Der Goblin schrie schmerzerfüllt auf, mindestens einer meiner Zauber hatte ihn getroffen. Jedoch nicht richtig. Laut vor sich hin gackernd, rannte mein Gegner weiter. Langsam kam ich näher, dann stürmte er nach rechts und verschwand abermals aus meinem Sichtfeld.

Ich bog um dieselbe Ecke und da war er, aber er war nicht allein. Vor mir öffnete sich der Gang zu einer geräumigen Höhle, locker fünf Meter im Durchmesser. In der Mitte des von Fackeln erhellten Raumes, stand mein Ziel, drum herum drei weitere Goblins.

Ich bremste und blieb im Eingang stehen. Das Monster vor Augen zu haben, das mir Lucky genommen hatte, ließ mein Blut kochen. Vor lauter Wut begann ich zu zittern.

Meine Gegner lachten ihr grässliches gackerndes Lachen. Offenbar glaubten sie, mich in eine Falle gelockt zu haben. Falsch gedacht. Ich war hier nicht die Beute. Sie waren es.

Ihr Gelächter ließ meinen Zorn überkochen. Ich wollte nur noch eines, sie zerreißen, sie zerfetzen. Ihrem wertlosen Leben ein Ende bereiten.

Ehe ich mich versah, ließ ich die Fackel fallen und überkreuzte beide Hände vor der Brust. Alle zehn Finger gespreizt, die Handflächen auf meine Opfer gerichtet, schrie ich: »Wirbelwind!«

Ein schwacher Windhauch wirbelte durch die Luft. Die Goblins keckerten, dann brach die Hölle los. Im Zentrum der nahezu runden Höhle erschien eine Art Miniatur-Tornado. Den Bruchteil einer Sekunde später dehnte er sich schlagartig aus.

Die überraschten Goblins hatten keine Chance. Sie wurden von den Füßen gerissen und flogen im Kreis umher. Ihr Gelächter wandelte sich in Entsetzensschreie, anschließend in Schmerzenslaute.

Von meinem Wirbelwind aufgenommener Sand, Steine, ja selbst die Keulen meiner Feinde, schossen wie Gewehrkugeln umher. Das Blut der Goblins, aus unzähligen Schnitt und Schürfwunden, färbte meinen Zauber mit schaurigen roten Schlieren.

Das war nicht genug. Noch lange nicht genug. Ich wusste es war vorbei, aber mein logisches Denken kam nicht gegen meinen überquellenden Zorn an.

Ich schrie auf und ließ alle meine Wut in meinen Zauber fließen. Der Wirbelwind explodierte. Meine mittlerweile stummen Gegner wurden in alle Richtungen davon katapultiert. Während sie gegen die Wände krachten, konnte ich ihre Knochen brechen hören.

Dann wurde es dunkel. Mein Zauber hatte alle Fackeln gelöscht, selbst die zu meinen Füßen. Begleitet von allem anderem, was mein Wirbelwind erfasst hatte, schlugen die zerfetzten Leichen meiner Gegner auf dem Boden auf.

Unendliche Finsternis und Stille hüllten mich ein.



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