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Ter´nak Band 1: Wind

von

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Der erste Auftrag

»Ich danke Ihnen, werter Magier«, sprach mich der dicke Mann erschöpft an.

»Kein Problem«, erwiderte ich möglichst selbstsicher, wobei ich ein leichtes Zittern in meiner Stimme nicht unterdrücken konnte. Dieser Kampf hatte mir mehr abverlangt als ich bereit war zuzugeben.

Schnell beugte ich mich vor und bot ihm meine Hand an. Sichtlich dankbar ließ er sich von mir auf die Beine ziehen.

Ich schätzte den Mann auf Mitte fünfzig. Seine ergrauten, kurzen Haare standen ihm wirr vom Kopf ab. Dieses Mal handelte es sich um einen Menschen.

Der Mann trug ein durchgeschwitztes, vergilbtes Leinenhemd, dazu eine schlichte, braune Stoffhose und Ledersandalen. Er war hellhäutig, soweit ich das unter dem ganzen Staub erkennen konnte und hatte schon einen kleinen Bauchansatz. Schade eigentlich. Ein netter durchtrainierter Wolfsmensch mit flauschigen Wolfsohren wäre mir lieber gewesen.

Doch im Gegensatz zu dem Katzenjungen war dieser Mann nicht geflohen. Daher nahm ich an, dass er ein Händler war und ihm die Waren auf dem Wagen gehörten.

Wie zur Bestätigung meiner These, verbeugte sich der Mann vor mir und sagte: »Ich bin Garret, der fahrende Händler. Dürfte ich nach Ihrem Namen fragen, werter Magier?«

Aufgrund der höflichen Anrede kratzte ich mich verlegen am Hinterkopf. »Nenn mich Adrian. Und wir können gerne zum Du übergehen.«

Im Nachhinein fiel mir auf, dass dies der Zeitpunkt gewesen wäre, mir einen neuen Namen zuzulegen, würdig für den Mächtigsten aller Magier. Innerlich seufzte ich, der Zug war leider abgefahren. Auf die Schnelle wäre mir sicher auch nichts Brauchbares eingefallen.

»Oh, welch große Ehre.« Ehe ich mich versah hatte er meine rechte Hand ergriffen und schüttelte sie eifrig. »Ein hochrangiger Magier, der mir das Leben rettet und auch noch das Du anbietet. Ich kann es kaum glauben.«

Nach dieser Aussage zu schließen, standen Magier wohl recht weit oben in der Hackordnung und ich war etwas über das Ziel hinausgeschossen. Ich musste so schnell wie möglich mehr über diese Welt erfahren. Nicht, dass ich mich zum Gespött der Leute machte, indem ich mich nicht so verhielt, wie ich es sollte.

Nachdem ich meine Hand seinem Klammergriff entwunden hatte, fragte ich frei heraus: »Kannst du mir sagen, wo wir sind?«

Nur zu gerne schien Garret bereit mir diese Information zu geben. »Wir befinden uns am Rande des Wolfswaldes. Etwa eine halbe Tagesreise vom Handelsposten Meerblick entfernt.«

Natürlich sagte mir das gar nichts, ich war kein Einheimischer. Besser aber ich fragte nicht weiter nach, um kein Aufsehen zu erregen.

Garret rieb sich verlegen drein sehend die Hände, während er von einem Bein aufs andere trat. »Du bist nicht zufällig ein Abenteurer, oder?«

Ein Abenteurer? Ob das in dieser Welt eine Art Berufsbezeichnung war. Langsam nickte ich. »Ich glaube, das bin ich.«

»Du glaubst?« Ich sah, wie sich die Pupillen seiner braunen Augen misstrauisch verengten.

Na großartig, so viel zu meinem Vorsatz nicht aufzufallen. Fieberhaft dachte ich nach, wie ich mich aus dieser Lage befreien konnte. Da kam mir eine Idee. Warum nicht die Wahrheit ein wenig verdrehen?

Gespielt verlegen kratzte ich mich am Hinterkopf und grinste Garret an. »Es ist mir zwar peinlich das zu sagen, aber ich weiß es nicht. Kurz bevor ich dich fand, bin ich dort drüben im Wald aufgewacht. Ich erinnere mich an kaum mehr als meinen Namen.«

Dass ich ein Wiedergeborener aus einer anderen Welt war, ließ ich besser aus. Wer wusste schon, wie die Leute hier auf so etwas reagierten. Am Ende würden sie mich noch als Hexer oder Dämon auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Nein, darauf konnte ich gut und gerne verzichten.

Gespannt wartete ich auf seine Reaktion. Wenn er mir meine Geschichte abkaufen würde, dann könnte ich ihn alles fragen, was ich wollte, ohne weiteres Misstrauen zu erregen.

»Das erklärt so einiges. Allem voran dein Versuch Feuermagie einzusetzen.« Garret seufzte schwer, dann nickte er verständnisvoll. »Ich vermute, einer deiner Zauber ist nach hinten losgegangen. Eine Amnesie nach einem Unfall mit Magie ist nichts Ungewöhnliches. Bestimmt wird dein Gedächtnis bald zurückkehren.«

Sollte ich mir nun Gedanken machen? Magier lebten offenbar recht gefährlich. Nicht nur Monster wollten ihnen ans Leder, nein, selbst ihre eigene Magie war eine Bedrohung. Inständig hoffte ich, dass mir das Schicksal ein sabbernder Idiot zu werden, erspart bleiben würde.

Sicherlich hatte Garret meine bestürzte Miene gesehen, da er mir mitfühlend auf die Schulter klopfte. »Das ist einer der Gründe, warum ich die Finger von der Magie lasse. Man weiß nie was alles passieren kann.«

Das Thema magische Fehlschläge verschob ich auf später. Mein Plan war ein voller Erfolg gewesen. Erleichterung durchflutete meine Adern. Damit stand meinen unzähligen Fragen nichts mehr im Wege.

Aufgeregt rieb Garret sich die Hände, während er auf mich einredet: »Wie wäre es, wenn du mich begleitest. Ich muss eh meine Waren abliefern, bevor sie verderben. In Meerblick gibt es eine Außenposten der Abenteurergilde. Wenn du wirklich ein Abenteurer bist, wird man dir dort sicher helfen können.«

Im Grunde war das kein schlechtes Angebot. Wenn ich aber an den Kampf mit den Wölfen zurück dachte, so kam ich zu dem Schluss, dass da noch mehr dahinter steckte. Dieses Schlitzohr wollte meine Lage ausnutzen und mich als kostenlose Eskorte missbrauchen. Aus diesem Grund hatte er mich gefragt, ob ich ein Abenteurer war.

Ich grinste ihn an und fragte frech: »Was bietest du mir für meinen Schutz?«

Wie aus der Pistole geschossen erwiderte Garret: »Zehn Drachmen, wenn du mich sicher zum Handelsposten bringst.«

War das viel oder wenig? Ohne einen Vergleich wusste ich nicht, was ich sagen sollte. In diesem Augenblick bemerkte ich ein diebisches Funkeln in seinen Augen. Es war eindeutig, der wollte mich über den Tisch ziehen.

»Aber, aber, dankt man so seinem Lebensretter?« Gespielt beleidigt zog ich einen Schmollmund.

Garrets Gesichtszüge entgleisten. Dann lachte er laut auf. »Bitte verzeih mir diese Finte. Bei der Aussicht auf einen guten Handel konnte ich nicht widerstehen.«

Schlagartig beruhigte er sich und hielt mir die Hand entgegen. »Hundert Drachmen, mehr kann ich selbst meinem Retter in der Not nicht bieten.«

Dieses Mal schien er es ehrlich zu meinen. Ich konnte jedenfalls keinerlei verräterische Anzeichen entdecken.

»Einverstanden.« Wir besiegelten unsere Abmachung mit einem Handschlag. Somit nahm ich meinen ersten Auftrag an.

*

Keine halbe Stunde später saß ich neben Garret auf dem Wagen. Auch wenn der Ochse ein sehr gemächliches Tempo an den Tag legte, tat mir jetzt schon der Hintern weh. Es gab weder ein Kissen noch hatte der Karren eine Federung. Jede noch so winzige Unebenheit bekam ich hautnah zu spüren.

Wehleidig dachte ich an die roten Sitze im Zug nach Paris. Im Gegensatz zu meiner aktuellen Lage waren diese als sehr bequem einzustufen. Das Schlimmste jedoch war der langsam trocknende Blutfleck auf meiner Robe. Farblich war er zwar kaum zu sehen, fühlen konnte ich ihn dafür um so mehr.

Laut Garret gab es keinen Bach oder Fluss in der näheren Umgebung. Meine Frage danach, schien ihn Glauben zu lassen, dass ich Durst hätte. Aus diesem Grund bot er mir etwas zu Trinken aus seinem Wasserschlauch an. Allerdings konnte ich schlecht unser Trinkwasser für meine Robe missbrauchen, das würde bestimmt nicht gut ankommen bei ihm.

In meiner Verzweiflung hatte ich es erfolglos mit einem Wasserzauber probiert. Meine Vermutung bestätigte sich weiter, in der Domäne des Windturms konnte ich nur Windmagie einsetzen. Ohne Wechselklamotten musste ich wohl oder übel mit dem ekligen Gefühl des nassen Blutes zwischen den Beinen leben.

Garret neben mir hatte schlechte Laune und schimpfte leise vor sich hin. »Diese verdammte Kanalratte. Ich hätte dem Bengel die Kehle durchschneiden sollen.«

»Meinst du den Katzenjungen?«

»Ja, ich hoffe, die Wölfe fressen diesen elenden Tiermenschen.«

Oh ha, die Tiermenschen, ich nahm an, so nannte man diese Halbmenschen, waren offenbar nicht sehr beliebt. »Was hat der Junge denn angestellt?«

Miesepetrig erzählte mir Garret die Geschichte: »Bei meinem letzten Halt in dem Dorf am Rande des Wolfswaldes, hatte er gefragt, ob ich ihn ein Stück mitnehmen könnte. Gegen einen kleinen Obolus von zehn Drachmen hatte ich mich breitschlagen lassen.

Denn allein durch den Wald zu fahren, ist seit Kurzem nicht mehr sicher und ich hatte auch keine Eskorte ordern können. Doch der Bengel hat versucht mich zu bestehlen. Ich konnte ihn gerade so überwältigen und fesseln. Bevor ich mich entscheiden konnte, was ich mit dem Bengel anstelle, griffen die Wölfe an. Den Rest kennst du ja.«

Wütend schlug Garret mit der Faust in die Luft. »Ich habe ihn wohl nicht richtig festgebunden. Der Bengel konnte seine Fessel lösen. Zu allem Überdruss hat er sich auch noch an meinen Waren bedient.«

Garret schien nicht mitbekommen zu haben, dass ich es gewesen war, der den Katzenjungen befreit hatte. Am besten ich hielt die Klappe und ließ diese Version der Geschichte unkommentiert im Raum stehen.

Im Zusammenhang mit dem Jungen dachte ich wehleidig an meinen Zauberstab. Da kam mir eine Idee, für was hatte ich einen Händler neben mir sitzen. »Ich habe da mal eine Frage«, begann ich nachdenklich.

»Was, nur Eine?« Mit einem breiten Grinsen im Gesicht nickte er mir auffordernd zu.

»Kannst du mir ein wenig über den Wert verschiedener Dinge erzählen?«

Die schlechte Laune meines Mitreisenden war wie weggeblasen. Ganz in seinem Element begann er sein Wissen mit mir zu teilen.

Dabei erfuhr ich unter anderem, dass ein einfaches Abendessen in einer billigen Schenke gerade mal vier bis fünf Drachmen kostete. Für ein Einzelzimmer in einem Gasthaus zahlte man im Schnitt pro Tag zehn bis zwanzig Drachmen, je nach Qualität der Ausstattung. Mit den versprochenen hundert Drachmen hatte ich somit genug, um einige Tage zu überleben.

Wissbegierig lenkte ich das Thema auf andere Waren. »Was würde mich ein einfacher Zauberstab kosten?«

»Magische Gegenstände sind extrem teuer. Einen einfachen Zauberstab, wie deinen, würde ich auf rund zehntausend Drachmen schätzen.«

Entsetzt klappte mir der Mund auf. Auch wenn der Stab optisch nicht viel hergemacht hatte, war das Ding ein Vermögen wert. Mit seinem Verkauf hätte ich ein gutes Leben führen können.

Dieser verdammte Katzenbengel. Sollte ich den in den Finger bekommen, würde ich ihm so lange den Hintern versohlen, dass er eine Woche nicht sitzen könnte.

Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Garret mich stirnrunzelnd von oben bis unten musterte. »Sag mal, wo hast du deinen Zauberstab denn versteckt? Unter der Robe?«

Musste der Kerl Salz in die Wunde streuen? Ruhig Blut. Es war meine, nicht Garrets Schuld.

Betreten ließ ich den Kopf hängen und gestand: »Der Katzenjunge hat ihn mir gestohlen.«

Lachend tätschelte er mein linkes Bein. »Geteiltes Leid ist halbes Leid. Ich hoffe der Bengel wird geschnappt und hingerichtet.«

Für meinen Geschmack wäre ein Todesurteil deutlich übertrieben. Aber so lief es in dieser Welt wohl. Drakonische Strafen zur Abschreckung, fast wie bei uns im Mittelalter. Ein Grund mehr für mich, ein braver, gesetzestreuer Bürger zu sein.

*

Gut drei Stunden und unzählige Fragen später erreichten wir den Waldrand. Die Sonne hatte längst ihren Zenit überschritten.

Wie ich es schon bei meinem Sturz aus dem Himmel beobachtet hatte, breitete sich vor meinen Augen ein ebenes Areal aus. Vereinzelt konnte ich Laubbäume und hochgewachsene grüne Sträucher erkennen. Überwiegend gab es außer Gras nichts zu sehen.

In der Ferne sah ich auf einer kleinen Anhöhe eine undefinierbare braune Silhouette. Der Weg, auf dem wir fuhren, führte direkt darauf zu.

»Das ist der Handelsposten Meerblick«, erklärte mir Garret, während er nach vorne deutete. »Nur noch ein kurzes Stück, dann sind wir da.«

In seiner Stimme schwang Erleichterung mit. Ich vermutete, er war froh den Wald hinter sich gelassen zu haben. Auch wenn uns keine Wölfe oder anderes Getier angegriffen hatte, war ich ebenfalls glücklich darüber dem Zwielicht der Baumkronen entkommen zu sein.

Über meine Schulter spähend warf ich einen Blick zurück. Ein kalter Schauer jagte mir über den Rücken. Dieser Wald hatte etwas Bedrohliches und tief in meinem Inneren spürte ich eine undefinierbare Gefahr. Etwas, was mir die Haar zu Berge stehen ließ. Ein sehr eigenartiges Gefühl.

Ich schüttelte den Kopf und sah wieder nach vorne. Bestimmt bildete ich mir das nur ein. Genau in diesem Augenblick hob sich der Ochsenschweif. Angewidert hielt ich mir die Nase zu und den Atem an, während das Mistvieh ungeniert seinen Darm entleerte.

Ewig konnte ich dir Luft nicht anhalten. Wie es zu erwarten gewesen war stank es jetzt auch noch. So langsam begann ich dieses Furzmaschine, wie auch den harten Karren zu hassen. Mein Hintern würde nie wieder derselbe sein. Nun, den ganzen Weg laufen zu müssen wäre unangenehmer gewesen.

*

Kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir den Handelsposten Meerblick. Die braune Silhouette stellte sich als eine altertümlich aussehende Holzpalisade heraus. Angespitzte Holzstämme waren im Halbkreis um den Hügel in den Boden gerammt worden.

In den letzten Stunden hatte der Wind aufgefrischt. Je näher wir Meerblick kamen, desto stärker wurde der Geruch nach Salz in der Luft. Auch konnte ich das sanfte Rauschen der Wellen hören. Das Meer, dem dieser Ort wohl seinen Namen verdankte, konnte nicht fern sein.

Garret grüßte die beiden Wachen am Tor freundlich, während ich ihnen lediglich zunickte. Was hätte ich auch sagen sollen? Guten Abend die Herrn. Schönes Wetter heute, oder? Am besten, ich hielt die Klappe.

Die Soldaten, beides Männer mittleren Alters, trugen eine Art lederne Uniform mit einem Wappen auf der Brust. Ein weißer Pegasus auf grünem Grund.

Durch Garrets Erzählungen hatte ich erfahren, dass dies das Wappen des Königreichs Lusira war, in dem wir uns befanden. Lusira, die gleichnamige Hauptstadt des Königreichs, war um den magischen Windturm herum errichtet worden, dem Herzstück des Landes.

Ich erinnerte mich einen kurzen Blick auf den Turm, wie auch die Stadt drumherum, erhascht zu haben, nachdem ich bei meinem Fall die Wolkenwand durchbrochen hatte.

Im Vorbeifahren wechselte Garret ein paar Worte mit den Wachen, die sich gelangweilt auf ihren langen Piken abstützen.

»Wie geht es deiner Frau, Balthasar? Ich habe frische Wurzelsalbe mitgebracht.«

Der eine Wachmann schüttelte mit einem schiefen Grinsen im Gesicht den Kopf. »Die du mir liebend gerne für einen Wucherpreis verkaufen wirst, du alter Halsabschneider. Tu mir bitte den Gefallen und sag Ingrid, du hättest keine bekommen.«

Garret lachte laut auf. »Aber, aber, das kann ich einer treuen Kundin doch nicht antun. Vor meiner Reise hat sie drei Tiegel bestellt.«

»Drei?« Unter der Lederkapuze wurde Balthasar deutlich weiß um die Nase. Der zweite Soldat boxte ihm gegen den Arm, während er ausgelassen spottete: »Du solltest beim Hauptmann um Sonderschichten betteln. Dein Eheweib treibt dich noch in den Ruin.«

Da waren wir auch schon an den beiden vorbeigefahren. Hinter uns konnte ich Balthasars leises Wehklagen vernehmen. Mein Interesse galt aber der Stadt vor mir. Einen Blick später korrigierte ich mich gedanklich. Das hier war keine Stadt, sondern eher ein Dorf, aus einer handvoll Holzgebäude.

Auf dem Schild eines der Häuser zu meiner Linken stand Frische Brise. Darunter war ein Bierkrug, sowie ein Bett abgebildet, offenbar Taverne und Gasthaus in einem. Laute Stimmen, sowie der Geruch nach würzigem Essen drangen durch die einladend offene Tür.

Garret deutete auf dieses Gebäude und sagte: »Dort bekommst du etwas zu Essen und kannst übernachten. Das hier …«, er zeigte auf ein kleines Haus rechts von mir, »… ist der Außenposten der Abenteurergilde.«

Auf dem Wappen über dem Eingang waren ein Schwert gekreuzt mit einem Zauberstab, auf blauem Grund abgebildet.

Neben mir seufzte Garret erleichtert. »Was für ein Glück, der Gleiter hat noch nicht abgelegt.«

Ich folgte seinem Blick und blinzelte. Vor mir, in der Mitte des Dorfes stand ein seltsames Bauwerk. Die Basis schien ein großes, zweistöckiges Lagerhaus zu sein. Allerdings ragte mitten aus dem Gebäude ein hölzerner, runder Turm, locker weitere fünf Stockwerke hoch. An der Spitze befanden sich rechts und links eine kleine Plattform.

Angedockt an der Rechten lag eine Art Flugschiff vertäut. Seine Grundstruktur bestand aus einem normalen Schiffsrumpf. Anstelle von Mast und Segeln ragten rechts und links hölzerne Flügel aus dem Rumpf.

Leicht wippte der Gleiter, wie Garret dieses Ding nannte, auf und ab, so als würde es auf unsichtbaren Wellen schwimmen. Wie hielt sich das Flugschiff in der Luft? Meines Erachtens nach war das physikalisch unmöglich. Die einzige sinnvolle Erklärung war: Magie.

Bisher hatte ich angenommen, diese Welt würde sich auf einem mittelalterlichen Niveau befinden. Jedoch war es den Einwohnern gelungen, mittels Magie so einen Gleiter zu konstruieren. Insgeheim fragte ich mich, was für Wunder mich noch alles erwarteten. In einer Welt der Magie, würde mir sicher nicht langweilig werden.

Eine laute Glocke erklang. Garret neben mir straffte sich und sagte hastig: »Verdammt, ich muss mich beeilen. Wenn du willst, kannst du absteigen. Oder du kommst mit. Ich muss meine Waren im Kontor abliefern bevor der Gleiter ablegt.«

Spontan entschied ich: »Ich komme mit. Die Gilde rennt ja nicht weg.«

Kaum waren meine Worte verklungen, trieb Garret den Ochsen an. Wir fuhren direkt auf die offene Doppeltür des Kontors zu. Der Wagen schien wie dafür gemacht zu sein, genau durch diese große Tür zu passen.

Mittels großer Öffnungen in der Decke fiel das letzte Licht des Tages in den Raum hinein. Zusätzlich spendeten unzählige kristalline Gebilde an Wänden und Säulen helles weißes Licht. Offenbar eine auf Magie basierende Beleuchtung.

Im Inneren des Gebäudes herrschte hektisches Treiben. Wohingegen ich draußen keine Menschenseele gesehen hatte, außer den beiden Wachen am Tor, wuselten hier locker dreißig Personen umher. Männer, Frauen und Kinder. Hier und da sah ich sogar Tierohren in der Menge. Leider hatte ich keine Zeit mir die Tiermenschen genauer anzusehen.

Lautes Stimmengewirr drang an meine Ohren und gab mir das Gefühl mitten in einem Bienenstock gelandet zu sein. In der Luft lagen unterschiedliche Gerüche. Von Gewürzen, Ölen, über Hölzer, bis hin zu frischem Brot.

Fasziniert beobachtete ich, wie die Arbeiter Kisten, Fässer und andere Behältnisse hin und her schleppten. Aus einem Fass ragten Bögen und Pfeile, aus dem daneben Angelruten. Eine Kiste weiter war befüllt mit Fischernetzen.

Die Leute verteilten die Waren von einem Gebinde in ein anderes. Fertige Kisten und Fässer wurden zugenagelt und anschließend durch eine der unzähligen Türen rechts und links getragen.

»Garret«, rief eine Frauenstimme laut über das Stimmengewirr hinweg. Ich hob den Blick. Auf einer kleinen Empore im ersten Stockwerk stand eine blonde Dame mitte dreißig. Sie hatte ein schönes Gesicht, doch ihre Miene war streng. Ihr langes rotes Kleid wollte nicht so recht in das vorherrschende Bild passen. Bestimmt war sie hier der Chef, ihr ganzes Gebaren strahlte das jedenfalls aus. In der Rechten hielt sie ein primitives Megafon, aus Holz. »Du kommst spät.«

Garret formte mit den Händen einen Trichter und rief ihr zu: »Ich wurde von Wölfen angegriffen.«

Die Frau nickte und rief in die Menge: »Isaak, Lars, Klaus, los gehts. Garrets Waren müssen noch auf den Gleiter. Beeilung die Herren, die Zeit drängt.«

Drei Männer kamen auf uns zugerannt. Während der eine die Zügel übernahm, scheuchte der andere die Leute aus dem Weg.

»Füll bitte die Lieferscheine aus.« Ein dritter, braunhaariger Mann übergab Garret einen Stapel Papiere. »Du solltest dich besser beeilen, bevor Sonja einen Anfall bekommt.«

»Danke, Lars«, erwiderte Garret. Er zückte Feder und Tintenfass. Sogleich begann er die Formulare auszufüllen. Nebenbei fragte er: »Ist irgendetwas vorgefallen?«

Lars schürzte die Lippen. Bei seinen nächsten Worten musste ich mich zu den beiden beugen, um ihn zu verstehen. »Kann man so sagen. Vier deiner Kollegen haben uns ebenfalls von Wolfsangriffen berichtet. Außerdem werden drei Händler, samt Gespann seit Tagen vermisst. Die Stimmung ist derzeit ein wenig angespannt, könnte man sagen.«

»Verstehe«, brummte Garret.

Eine Bewegung in meinem linken Augenwinkel zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich wandte mich der Ladefläche zu und sah einen metallenen Transportkorb herab schweben. Dieser hing an einem schweren Haken, befestigt an einer dicken Eisenkette.

Den Kopf in den Nacken legend sah ich staunend nach oben. Der Turm, den ich von außen gesehen hatte, war innen hohl. Umringt von einer schmalen Treppe, die sich spiralförmig nach oben zog, konnte ich durch eine viereckige Öffnung auf der obersten Etage bis zur flachen Spitze des Turms sehen.

Ich folgte dem Verlauf der Kette über mehrere Umlenkrollen, angebracht an schweren Balken unter der Decke, zur Wand, zurück zum Boden. Dort befand sich eine etwa drei Meter hohe Winde aus Holz.

Angetrieben wurde dieser einfache Flaschenzug von vier Eseln, die im Kreis um eine Stange liefen. Die Drehbewegung der Tiere wurde mittels mehrerer massiver Holzzahnräder auf die Winde übertragen.

Wenn man keinen Strom für einen modernen Kran hatte, so war das wohl die einfachste Lösung. Ehrfürchtig sah ich der primitiven Maschine bei der Arbeit zu. Hier konnte ich Geschichte hautnah miterleben.

Überraschend zügig wurden Garrets Kisten verladen. Die Fahrt nach oben dauerte nur ein paar Minuten. Etwas mulmig war mir schon. Der Metallkorb allein hatte bestimmt schon einiges an Gewicht, von den vielen Kisten ganz zu schweigen. Ohne eine Absicherung unter einer schwebenden Last zu sein, schien mir nicht ungefährlich. Jedoch störte das hier keinen.

Der Karren unter mir ruckte vorwärts. Schnell warf ich einen letzten Blick nach oben. Mit schweren Holzplanken wurde das Loch in der oberen Etage abgedeckt. Im nächsten Augenblick verschwand der hohle Turm aus meinem Sichtfeld.

Durch eine zweite Doppeltür auf der anderen Seite des Kontors gelangten wir wieder nach draußen. Hinter dem Gebäude befanden sich einige Ställe, sowie Abstellflächen für die Karren. In diesem Areal standen nur wenige kleinere Holzhäuser.

Ein breiter Weg führte auf eine Klippe etwas abseits der Behausungen zu. Von dort aus hörte ich die Brandung der Wellen. Bestimmt hatte man dort eine gute Aussicht auf das Meer.

Allerdings war die Sonne dabei unterzugehen. Mit jedem verstrichenen Augenblick wurde es dunkler. Ich nahm mir fest vor, morgen einen Blick über die Klippe zu werfen.

Abermals erklang die Glocke.

Bei dem Versuch dem Gleiter bei seinem Abflug zuzusehen, verrenkte ich mir fast den Hals. Aber das war es wert gewesen. Wie ein Schiff auf dem Meer, legte der Gleiter ab. Schneller als ich es erwartet hatte, rauschte er in den rötlichen Abendhimmel davon.



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