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Das Feuer in der Nacht

von

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Eine Nacht wie jede andere


 

Eine Nacht wie jede andere

499 n.d.T
 

Das sanfte Rascheln von Papier durchschnitt die Stille in den riesigen Hallen der Bibliothek für die Flüchtigkeit eines Augenblickes. Eine emsig flackernde Flamme erhellte einen kleinen Bereich um einen schnörkellosen, hölzernen Tisch und hob die feinen Konturen einer jungen, schwarzhaarigen Frau aus der Finsternis. Ihre Stirn war in tiefer Konzentration gerunzelt und die Augenbrauen, welche sich über tiefblaue Augen wölbten, bildeten fast eine schmale, durchgängige Linie. Das Feuer brachte ihre sonderbaren Augen zum Glitzern, was ihnen starke Ähnlichkeit zu der Oberfläche von sonnengeküsstem Wasser verlieh. Die unterschiedlichen blauen Nuancen schienen in ihren Iriden umher zu wirbeln, wie in Glas gefangenem Rauch, was ihrem Blick eine ungewöhnliche Intensität verlieh. Mit jener Intensität betrachtete sie das Buch, welches vor ihr aufgeschlagen auf dem Tisch ruhte, mit vergilbten, teilweise fadenscheinigen Seiten, welche sich schon lange vor ihrer Geburt gewölbt hatten. Ihre Lippen bewegten sich stumm im Einklang mit einem ihrer schlanken Finger, welcher die kaum leserlichen Worte sanft nach strich. Doch so sehr sie es auch wollte, innerlich wusste sie, dass sie auch diesem Buch nicht die gewünschten Informationen entnehmen würde, selbst wenn sie sich die Mühe machte, es bis zur letzten Seite mühsam zu entziffern.

Der lederne, durchgesessene Ohrensessel unter ihr ächzte leise, gleich einem Seufzer, als sie sich resigniert brummend zurück lehnte und sich mit den Fingern die Schläfe massierte, welche schon vor Stunden dumpf zu pochen begonnen hatte. Jetzt, da sie ihren Fokus verloren hatte, wurde der Schmerz aufdringlicher und erinnerte sie daran, dass sie sich schon wieder für mehrere Stunden unbewegt und hochkonzentriert zwischen den Zeilen alter Geschichtsbücher verloren hatte. In den vergangenen Wochen, in denen sie Nacht für Nacht in der Bibliothek durch unzählige Bücher blätterte, war das Pochen zu einem ständigen Begleiter geworden. Für einige Minuten gönnte sie sich etwas Ruhe, versank ganz und gar in der Stille um sich herum und genoss das Gefühl der schwachen Flamme, welche ihr Gesicht mit warmen, weichen, doch körper- und formlosen Fingern liebkoste. Es reizte sie, die Augen einfach geschlossen zu lassen und sich der süßen Umarmung des lockenden Schlafes hinzugeben, doch die Angestellten, insbesondere ihr oberster Bibliothekar, Yiamos, würden ihr die Leviten lesen, sollten sie heraus finden, dass eine Magiern der Gilde ihren Status ausnutzte, um zu solch gottlosen Zeiten zwischen den Regalen herum zu schleichen. Und dann auch noch mit einer Öllampe im Schlepptau. Feuer war in den Hallen des Wissens strengstens verboten und sie, als eine Magierin im Zeichen des Feuers, wurde auch ohne so einen Frevel unlängst mit misstrauischen Augen bedacht. Das erste Mal, als Yiamos sie gesehen hatte, mit einem seiner wohlbehüteten Schätze zwischen den Fingern, hatte er sie derart abschätzig gemustert, dass ihr trotz ihrer ihr eigenen, nie verlöschenden Körperwärme ein eiskalter Schauer über die Haut gekrochen war. Seitdem vermied sie es tunlichst, ihm irgendeinen Anlass zu geben, ihr zu zürnen und ging ihm – so gut es ging, immerhin schien er fast in der Bibliothek zu wohnen – aus dem Weg. Der alternde Hochelf hatte sein gesamtes Leben zwischen den Worten anderer Lebewesen verbracht und war dementsprechend distanziert. Die jüngeren Magier der Gilde (und selbst einige seiner Angestellten) nannten ihn hinter seinem Rücken gerne „Marmor“, da sein Gesicht genauso aus Stein gemeißelt zu sein schien, wie die Statuen berühmter Historiker, welche man überall in dem riesigen Gebäude fand. Er sprach nur sehr selten und wenn, dann klang er dabei überaus gelangweilt, doch wenn er wütend wurde, dann glichen seine Züge einem Himmel voller schwarzer Wolken, die ein gewaltiges Unwetter androhten.

Nein, seinen Ärger wollte sie nun wirklich nicht auf sich ziehen und so streckte sie seufzend ihre Gliedmaßen, um sich aus dem wunderbar bequemen Sessel zu erheben. Mit der einen Hand bugsierte sie drei Bücher, während die andere den erwärmten Griff der Lampe umschloss. Und obwohl der schwache Lichtschein der kleinen Lampe kaum genügte, um die Dunkelheit effektiv zu vertreiben, wussten ihre Füße wie automatisiert, wohin sie sie tragen mussten. Mit der Häufung ihrer Besuche hatte sich ihre Orientierung stark verbessert, sodass sie den Weg zu einem im äußeren Ring befindlichen Regal in kürzester Zeit fand. Die Bibliothek war ein imposantes, rundes Gebäude und die einzelnen Stockwerke nicht durch eine durchgängige Decke getrennt, sodass man, wenn man in der Mitte der riesigen Halle an einem der Tische saß, weit oben die vom fahlen Mondlicht berührte Kuppel schemenhaft ausmachen konnte. In jener Nacht jedoch versteckte der Mond sich gänzlich hinter einem Meer aus schweren Wolken, welche schon seit Tagen unheilverkündend über der Stadt hingen und selbst die Tage trübte, weshalb die Kuppel gänzlich mit der Nacht verschmolz.

Als die junge Frau am richtigen Regal angekommen war, stellte sie die kleine Lampe behutsam auf dem Boden direkt neben der Leiter ab, deren Stufen sie vorsichtig fast bis ganz oben erklomm. Die Regale waren meist so groß, wie drei Mann, sodass das Licht ihr dort oben kaum noch Sicht gewährte, dennoch stellte sie das Buch sicher an seinen angestammten Platz zurück und kletterte wieder gen Boden.

„Wo du dich mitten in der Nacht so herumtreibst ist schon interessant, Cinny.“ Der Angesprochenen fuhr der Schreck hör- und sehbar in die Glieder, als sie auf der letzten Sprosse der Treppe beinahe das Gleichgewicht verlor und mit einem erstickten Schrei landete sie etwas holprig auf dem Boden. Aus der Dunkelheit, die sich außerhalb ihres kleinen Lichtkreises erstreckte, erklang ein süffisantes Kichern.

„Bei den Göttern, Yarnh, musst du mich so erschrecken?“, fuhr sie die Person an, welche sich noch immer in den Schatten versteckt hielt, „Und außerdem: wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mich nicht so nennen sollst?“ Cinae runzelte die Stirn und war dennoch erleichtert, als sie ihre Freundin und Arbeitskollegin Yarnh aus den Schatten hervor treten sah. Ihr schelmisches Grinsen entblößte eine Reihe perlweißer Zähne und ließ ihre ebenfalls meerblauen Augen schalkhaft blitzen. Bis auf die sonderbar intensive Augenfarbe hatten die beiden nichts gemein, weder optisch, noch charakterlich und vermutlich ergänzten sie sich genau deshalb so perfekt. Während Cinae ihr nachtschwarzes Haar stets zu einem praktischen Zopf zusammen band, fielen Yarnhs wilde, weiße Locken unbändig über Schultern und Rücken. Beide hatten Porzellane Haut, doch während Cinaes Haare ihre Blässe nur noch deutlicher machte und sie beinahe kränklich wirken ließ, akzentuierten Yarnhs Haare die ihre so perfekt, als wäre sie in ihrer Gesamtheit von einem Maler liebevoll gezeichnet worden. Um ihre Augen und Lippen lagen feine Grübchen, untrügliche Zeichen dafür, dass sie viel und gerne lachte, während Cinae ihre Gefühle und Gedanken meist für sich behielt. Yarnh hingegen war temperamentvoll und leidenschaftlich und trug ihr Herz beinahe buchstäblich auf der Zunge.

„Entschuldige, Cinae“, antwortete sie, wobei sie ihren richtigen Namen voller Ironie extra betonte. Das Grinsen um ihre Lippen wurde noch ein wenig breiter, als sie einen weiteren Schritt in den schmalen, beleuchteten Bereich machte. Sie wirkte an diesem späten Abend beinahe schmuddelig, mit ihrem zerzausten, vom Schmutz teilweise verklebten Haar. „Ich wollte dich nicht erschrecken, nur zuhause warst du nicht und auch nicht im Schwarzen Phönix und viel mehr Orte, an denen du dich herum treiben könntest, fielen mir nicht ein.“ Allem Anschein nach war Yarnh erst vor Kurzem von einem Auftrag zurück in der Stadt angekommen, ein Umstand, der Cinae ein wenig misstrauisch machte. Normalerweise hätte es Yarnh selbst dann nicht gekümmert, wenn der Himmel über ihr in Flammen aufgegangen wäre – sie wäre als Erstes nach Hause geeilt, um ein ausgiebiges, heißes Bad zu nehmen und ganz sicher nicht in der Stadt unterwegs, um nach ihr zu suchen. Fürs Erste jedoch, beschied Cinae, war es schlauer, kein Wort darüber zu verlieren, denn Yarnh, obgleich sie eine quirlige, aufgeschlossene Persönlichkeit war, wurde stets eigenartig schweigsam, wenn es um ihre eigenen Motive ging.

Cinae beugte sich zu der Lampe und bedeutete ihrer Freundin seufzend, ihr zu folgen. „Wie außerordentlich rücksichtsvoll von dir, mich vom – wie nennst du es so schön? - Herumtreiben abzuhalten, aber ich war ohnehin im Begriff, nachhause zu gehen.“ Sie verzog das Gesicht, als ihr bewusst wurde, dass sie die letzten Wochen wirklich nicht viel mehr getan hatte, als sich herumzutreiben, denn im Gegensatz zu Yarnh erhielt sie selbst keine Aufträge mehr von der Gilde. Nur aus diesem Grund wanderte sie überhaupt durch die dunklen Gänge der Bibliothek und las in Büchern. Etwas, was ihr zutiefst missfiel, wenn sie bedachte, wie es um sie herum in Cradon zu immer mehr Unruhen kam.

„Du willst mir also sagen, dass ich den ganzen Weg hierher umsonst gelaufen bin? Na super.“ Yarnh zupfte sich naserümpfend etwas Dreck aus den Haaren und schnippte ihn arglos weg. Wenn Yiamos das sehen würde... „Und? Schon was neues von der Gilde?“, wechselte sie nonchalant das Thema und Cinae wusste, dass diese Frage ihr förmlich unter den Nägeln gebrannt hatte.

„Nein, nichts“, gab Cinae achselzuckend zurück und dachte an das letzte Mal zurück, als sie in die Hallen der Gilde getreten war, nur um prompt wieder hinaus gebeten zu werden. Es frustrierte sie, um es milde auszudrücken, dass man ihr die Arbeit verweigerte und nicht einmal einen Grund dafür nannte.

„Langsam wird es gruselig.“

„Wem sagst du das?“, pflichtete sie Yarnh bei und seufzte noch einmal. „Aber was will ich groß machen? Ich komme kaum in die Gilde herein, geschweige denn zu jemandem, der mir die Situation erklären könnte.“

Yarnh lachte ein recht freudloses Lachen. „Dann wirst du bald wohl den alten Yiamos um Arbeit bitten müssen, wenn das so weiter geht.“ Es war ein Scherz, das wusste Cinae, doch der Gedanke allein genügte ihr, um sich zitternd zu schütteln.

„Bloß nicht“, murmelte sie, „Nicht, dass er jemals auch nur auf den Gedanken kommen würde, eine Feuermagierin beruflich jeden Tag an seine geliebten Bücher zu lassen.“ Diesmal war das helle Lachen ihrer Freundin echt und in ihren Augen leuchtete eine fast schon diebische Freude.

„Eher würde er sich selbst die Haut abziehen, das stimmt wohl.“ Yarnh wurde wieder nachdenklicher, das Lächeln auf ihren Lippen erstarb so jäh, wie eine Kerze, die man auspustete. „Schon einmal überlegt, Baerk um Hilfe zu bitten?“ Die beiden traten durch das hölzerne Eingangsportal der Bibliothek, welches reich verziert war mit goldenen Runen in der Sprache der Hochelfen. Die meisten bekannten Historiker und Autoren gehörten diesem Volk an, sodass man ihren Beitrag zur Geschichte mal mehr, mal weniger subtil in der gesamten Bibliothek ehrte.

„Der taucht seit Neuestem auch kaum noch auf. Hab ihn bestimmt schon eine Woche nicht mehr im Schwarzen Phönix gesehen.“ Baerk war ein Zwerg, genauer gesagt der einzige Zwerg, der in Cradon lebte. Die beiden Magierinnen hatten sich nur durch ihn überhaupt kennen gelernt und verdankten ihm so manchen lukrativen Auftrag. Viel wussten sie nicht über ihn, außer dass er sie zu mögen schien und dass er Macht besaß. Wie viel und vor allem woher? - das war ein Rätsel, dessen Lösung Cinae vermutlich gar nicht kennen wollte.

„Also bekommst du keine Arbeit mehr und Baerk macht sich noch rarer, als sonst?“ Yarnh bedachte Cinae mit einem ungläubigen Blick, sodass diese nur ratlos mit den Achseln zuckte. „Fantastisch“, bemerkte sie sarkastisch, „Fantastisch. Vor allem, weil man diesen vermaledeiten Zwerg nie findet, wenn man ihn mal wirklich dringend braucht.“

„Ich weiß. Ich hab es versucht.“ Für eine kurze Weile herrschte beharrliches, jedoch nicht unangenehmes Schweigen zwischen den beiden, während sie Seite an Seite die gepflasterte und von Feuerstellen gesäumte Hauptstraße des Magierviertels entlang spazierten. Das Viertel um sie herum wirkte gänzlich ausgestorben, keine Besonderheit, denn um diese späte Stunde fand das gesamte Leben der Stadt für gewöhnlich auf dem großen Platz statt. Tagsüber wurden dort allerlei alltägliche Dinge gehandelt, meist Nahrungsmittel. Nach Sonnenuntergang hingegen verwandelte sich der gewaltige Marktplatz in einen Ort magischen Treibens. Es gab nichts, was es nichts gab. Wenn die Dunkelheit heran brach und wie ausgelaufene Tinte das Firmament entlang kroch, wurden die Verkaufsstände abgebaut, um Platz für all die Künstler und Barden zu machen, die dort ihre Fähigkeiten zur Schau stellten und die Bewohner der Stadt Nacht um Nacht zumindest temporär von ihren weltlichen Sorgen befreiten. Überall wurde getrunken, getanzt und mehr oder weniger schief gesungen und inmitten dieses regen Treibens befand sich die kleine Taverne, die auf den Namen „Schwarzer Phönix“ hörte. Genauer gesagt lag die Taverne, in deren Dachgeschoss Cinae zusammen mit Yarnh den ehemaligen Lagerraum bewohnte, ein klein wenig abseits von dem Großteil des Gedränge, am Anfang einer der zahllosen Gassen, die vom großen Platz wegführten. Das Schild, welches an windigen Tagen laut quietschte, zeigte einen schwarzen Phönix, der eher einem Raben ähnelte und auch sonst war das Haus von außen sehr herunter gekommen, was seine Beliebtheit bei der Bevölkerung der Stadt jedoch nicht im Mindesten verringerte. Grund dafür war die Bardame, welche auf den Namen Calahea hörte und von allen nur liebevoll Calli genannt wurde. Sie war für die beiden Magierinnen wie eine Mutter, wenngleich sie nur knapp zehn Zyklen älter war, als sie. Bei dem Gedanken an sie wärmte sich Cinaes Innerstes und ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.

„Du bist heute noch seltsamer als sonst.“ Es war Yarnhs amüsierte Stimme, die sie zurück in die Realität holte. „Wanderst nachts in der Bibliothek umher und jetzt grinst du auch noch dümmlich vor dich hin.“ Es war nicht böse gemeint, das war es bei Yarnh nie und das wusste sie und dennoch rollte Cinae gespielt mit den Augen.

„Ich hab an Calli gedacht. Und an ihren sündhaft leckeren Eintopf und dass ich für eine Schale davon gerade über Leichen gehen würde“, entgegnete sie. Yarnh machte ein überraschtes Gesicht, doch dann erhellte sich ihre Miene in verzückter Begeisterung.

„Das klingt wirklich fantastisch. Aber erst nachdem ich mich gebadet habe“, fügte sie lachend hinzu und klaubte demonstrativ noch ein wenig mehr Schmutz aus ihrem Haar. Cinae wusste, dass Yarnh gespannt war wie ein Bogen, begierig ihrem Unmut über ihren Auftrag Luft zu machen. Nun, weniger über den Auftrag selbst, als über den Zustand ihrer Unterkunft und die Menschen, denen sie begegnet war. Yarnh verabscheute das Dorfleben, mit einer Inbrunst, die fast fanatisch war und nach jedem Auftrag, der sie außerhalb der Stadtmauern führte, durfte Cinae sich einen ewigen Sermon darüber anhören, wie furchtbar ungerecht ihr Leben war. Es war in gewisser Weise ironisch, dass ausgerechnet Yarnh eine Magierin im Zeichen des Lichts war: Heilen, Flüche brechen, Gegenstände und Menschen reinigen, die der Dunkelheit anheim gefallen waren; in all diesen Dingen war sie herausragend und genau das brachte sie oft in die entlegensten Gegenden Ashkendias. In den freien Städten gab es auch genug zu tun, keine Frage, doch dafür waren zum größten Teil die Heilerinnen des Krankenhauses zuständig. Die Magier der Gilde wurden also meist zu den Dörfern entsandt, was Yarnh ganz und gar nicht passte, doch ihre Beschwerden waren bisher ausschließlich auf taube Ohren gestoßen.

„Es wundert mich, dass du das nicht sofort getan hast“, bemerkte Cinae trocken, „Ich fühle mich sogar richtig geschmeichelt, dass du mir den Vorrang gegeben hast.“

Yarnh machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. „Immer doch, meine Liebe. Dein Wohlergehen steht bei mir an oberster Stelle“, antwortete sie und ihr typisch süffisanter Unterton war wieder da. Es war offensichtlich, dass Yarnh neugierig war und mehr wissen wollte und sie verstand sich blendend darauf, andere Menschen so zu reizen, dass sie mehr erzählten, als sie eigentlich wollten, doch Cinae kannte ihre Tricks, dafür waren die beiden schon zu lange befreundet. Fast drei Jahre kannten sie sich nun schon.

„Gut, dass wir das geklärt haben“, entgegnete sie mit einer Ernsthaftigkeit, die das Thema eindeutig für beendet erklärte, „Und jetzt schieß los. Wie war dein Auftrag?“ Und es war wirklich, als hätte Yarnh nur auf das Startsignal gewartet, den prompt klappte ihr Mund auf, um sich nach Herzenslust aufzuregen.

Grässlich“, jammerte sie übertrieben und hob theatralisch die Hände dem dunklen Nachthimmel entgegen, ein Gebet an die Götter um Gnade. „Wirklich, du solltest sehen, wie diese Menschen... ja, wie Tiere hausen... Wobei, wenn ich es mir recht überlege, das sollte nun wirklich niemand sehen müssen“, korrigierte sie sich augenblicklich und rümpfte angewidert die Nase. „Sie wollten mich in der Scheune hausen lassen, Cinae, in der Scheune. Zusammen mit ihrem Nutzvieh! Sehe ich aus wie Nutzvieh?“ Yarnh starrte sie auffordernd an, sodass Cinae schmunzelnd den Kopf schüttelte. „Eben drum, das habe ich ihnen also auch klar gemacht und immerhin haben sie mir dann vor dem Kamin eine improvisierte Schlafstelle hergerichtet. Immer noch menschenunwürdig, aber besser, als beim Vieh zu schlafen!“, wiederholte sie und ihre Verärgerung war schon längst kein Teil mehr ihrer anfänglichen Theatralik. Es war nicht das erste Mal, dass Yarnh sich über die primitiven Zustände in den Dörfern außerhalb der Freien Städte erzürnte und je weiter sie reisen musste, desto vernichtender fiel ihre Berichterstattung im Nachhinein aus.

Cinae konnte sich ein Lachen kaum noch verkneifen, doch ihre Neugierde war aufrichtig und so hakte sie nach und fragte: „Und? Was war das Problem? Wieso musstest du überhaupt dorthin reisen?“

Yarnh war zu kultiviert und besaß zu viel Anmut, um auszuspucken, doch ein empörtes Schnauben konnte sie nicht unterdrücken. „Ein Schattenfloh. Kannst du dir das vorstellen? In der dunklen, modrigen Hütte musste er sich gefühlt haben, wie die Made im Speck!“

„Und wen hat er befallen?“

„Den kleinen Jungen der Familie, kaum älter als fünf Zyklen.“ Yarnhs Gesichtsausdruck wurde etwas weicher. Im Grunde liebte sie ihre Arbeit, nur eben nicht die... einfache Lebensart von Dörflern. „Ich weiß gar nicht, wie sie es ausgehalten haben solange, immerhin braucht man von Cradon gut eine Woche, um dorthin zu kommen. Er war wie besessen, hat sogar einmal versucht, ihre Kühe mit einem Küchenmesser zu schlachten. Danach haben sie ihn schweren Herzens festgebunden.“

„Die Dorfbewohner waren bestimmt nicht sehr begeistert von der Sache, nehme ich an?“ Cinae war in ihrer Zeit als Magierin auch schon viel herum gekommen und wenn sie eines wusste, dann dass die Leute fernab der freien Städte nur wenig Empathie besaßen für all jene, die einem Fluch oder etwas ähnlichem zum Opfer gefallen waren.

Yarnh schüttelte den Kopf. „Sie wollten nicht warten, bis Hilfe kommt. Sie wollten ihn loswerden. Ich glaube, wenn ich nur einen Tag länger gebraucht hätte, hätte ich keine Familie mehr vorgefunden, der ich hätte helfen können.“ Ihre Stimme klang plötzlich seltsam belegt. Hinter all der heißen Luft und dem Ärger lag die wohl empathischte Seele, welcher Cinae je begegnet war und sie wusste, dass Yarnh oft darüber nachdachte, was hätte sein können, wenn sie in ihrer Anreise langsamer gewesen wäre. Nicht nur bei diesem speziellen Auftrag, sondern allgemein. Ihre Arbeit war nicht risikofrei, die Wege oft lang und noch öfter gefährlich. Hin und wieder kommt es vor, dass man zu spät kam und Dörfler ihre Probleme „selbst in die Hand genommen haben“ und das bedeutete für die Betroffenen meistens nichts allzu gutes.

„Aber du hast es geschafft“, ermunterte Cinae sie deshalb, „Gute Arbeit, wie immer!“ Yarnh schenkte ihr eines ihrer strahlenden Lächeln, doch es erreichte ihre Augen nicht gänzlich.

„Danke. Aber im Grunde ist mein Gebrabbel über die Arbeit eher unwichtig. Zumindest solange sich deine Lage nicht verbessert hat.“ Es war klar gewesen, dass Yarnh mit dem Thema noch nicht fertig war, denn sonst hätte sie nicht nach ihr gesucht, schon gar nicht, wenn sie gerade erst von einem Auftrag zurück gekommen war.

Cinae seufzte. „Worauf genau willst du hinaus?“

„Es interessiert mich, wieso du dich nachts in der Bibliothek herum treibst. Und dann mit einer billigen Lampe, statt die wundervollen Lichter zu nutzen, fast so, als würdest du etwas Kriminelles machen.“ Sie hielt inne, wortwörtlich, als sie zögernd neben ihr stehen blieb und sie mit einem unangenehm eingehenden Blick musterte. „Du suchst etwas Bestimmtes, nicht wahr? Etwas, von dem du nicht möchtest, dass die Gilde Wind davon bekommt!“ Es stimmte, dass die Bibliothek ein atemberaubendes System aus magischen Laternen sein eigen nannte. Laternen, allesamt mit Papier bespannt, in den angenehm warmen Farben der Dämmerung, welche durch die riesige Halle flogen und sie in ihr sanftes Licht tauchten. Doch unter der gläsernen Kuppel war das Licht selbst weit entfernt auf dem großen Platz noch zu erkennen und erregte entsprechend Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit, die Cinae tunlichst vermeiden wollte, wie die Lichtmagierin unbewusst ins Schwarze getroffen hatte. Yarnh war jedoch nicht die Einzige, die ihre wahre Gefühlswelt gut kaschieren konnte, wenn sie es wollte und so blieb Cinaes Miene unlesbar.

„Ich fand heute keinen Schlaf.“ Yarnh schnaubte leise und äußerst ungläubig, aber Cinae ignorierte sie. „Und sonst gibt es für mich nicht viel zu tun.“

Der Lärm, der an ihre Ohren drang, wurde immer lauter. Yarnh seufzte. „Nun denn.“ Sie klang, als wollte sie das Thema noch nicht für beendet erklären, aber nach kurzem Schweigen fügte sie hinzu: „Also ein heißes Bad und etwas von Callis sündhaft leckerem Essen, das ist auch ein Plan.“
 


 

Der große Platz schien tatsächlich aus allen Nähten zu quellen. Die Bewohner amüsierten sich bei perlendem Wein oder einem Krug voll Bier, tanzten zu den verschiedensten Melodien der Barden, welche sich miteinander zu einem Ensemble zu verweben schienen und die Luft war voller fröhlichem Gelächter. Man mochte wahrlich nicht meinen, dass die Lage innerhalb der Stadtmauern in den vergangenen Wochen immer angespannter geworden war. Cinae hielt von derartigen Versammlungen nichts, war sie lieber für sich, Yarnh hingegen blickte mit erröteten Wangen zwischen den einzelnen Künstlern hin und her und schien mit sich und ihrer Reinlichkeitsliebe zu ringen.

„Bin nur ich das oder wird es jeden Abend voller hier?“, grübelte sie und fischte in ihrem ledernen Reisebeutel nach ein paar Silbermünzen, um einem umstehenden Händler ein paar eingelegte Pflaumen abzukaufen. Sie wies eine gewisse Ähnlichkeit zu kleineren Beuteltieren auf, als sie sich die köstliche Süßigkeit mit eiligen Fingern in den Mund schob. „Man kommt ja fwast nicht mehr durch“, stellte sie mit vollem Mund fest und grinste verschlagen.

„Liegt sicher an der allgemeinen Stimmung in Cradon, aktuell“, stellte Cinae fest und bedankte sich mit einem Kopfnicken für die ihr angebotene, süße Frucht. Immerhin hatte sie den Anstand zu warten, bis sie fertig gegessen hatte, ehe sie weitersprach. „Hier passieren jeden Tag immer beunruhigendere Dinge. Nicht nur die Diebstähle werden mehr, auch immer mehr Leute verschwinden und wenn sie überhaupt wieder auftauchen, dann tot.“ Wie immer, wenn sie darüber nachdachte, was um sie herum geschah, während sie selbst zur Tatenlosigkeit verdammt worden war, prickelte ihre Haut.

Yarnh aß noch eine der eingelegten Pflaumen und schien über die düstere Bedeutung der Worte nachzudenken. „Stimmt“, pflichtete sie ihr schließlich bei, „Ein wenig Ablenkung ist zu solchen Zeiten vermutlich das Beste.“

Die beiden bahnten sich langsam einen Weg durch die immer dichter werdende Menschenmenge und waren froh, als sie endlich den unförmigen Phönix auf dem hölzernen Schild über ihren Köpfen erblickten. Hinter den Fenstern erkannte man, dass die Taverne ebenso voll war, wie jeden Abend und vereinzelt konnte man erheitertes Gelächter hören.

„Du kommst nach deinem Bad wieder nach unten?“ Es war nicht wirklich eine Frage und dennoch nickte Yarnh.

Als sie die Tür öffnete, schlugen ihnen eine beinahe erdrückende Wärme entgegen, zusammen mit dem Geruch von Alkohol und frisch gebackenem Brot, bei dem Cinae das Wasser im Mund zusammen lief. Erst jetzt fiel ihr auf, wie hungrig sie eigentlich war, denn ihr Magen zog sich geräuschvoll zusammen. Yarnh zwinkerte ihr über die Schulter hinweg zu und verschwand ohne viel Federlesen die Treppe nach oben, während Cinae an den überfüllten Tischen entlang zum Tresen wanderte, hinter dem eine füllige Frau mit knallroten Haaren fröhlich pfeifend frisch gespülte Krüge mit dem Handtuch trocknete. Als ihre Augen Cinae fanden, hellte sich ihre Miene noch ein wenig mehr auf und ein strahlendes Lächeln zog ihre Mundwinkel von einem Ohr zum anderen. Ihre Wangen glühten rot, doch ob dies an der Wärme oder ihrer unerschöpflich guten Laune lag, konnte man nie sagen.

„Cinae!“ Sie winkte ihr überschwänglich zu und stellte einen der Krüge ab, um ihr prompt etwas zu trinken einzuschenken.

„Guten Abend, Calli“, grüßte sie und bedankte sich mit einem Kopfnicken für das Bier, welchen sie vor ihr abgestellt hatte.

„Guten Abend, Cinae, ich habe dich vorhin gar nicht heraus laufen sehen!“ Calahea musste fast schreien, denn es war schon spät und bei einem Bier zu viel hatten die anderen Gäste vergessen, wie man sich gedämpft unterhielt. Lässig warf sie das Handtuch über ihre Schulter und lehnte sich zu Cinae hinüber, um ihr etwas zuflüstern zu können. „Baerk hat vorhin nach dir gefragt. Ist bestimmt noch keine Stunde her!“ Sie zwinkerte ihr verschwörerisch zu und wandte sich wieder den Krügen zu.

Cinae nahm einen Schluck von dem prickelnden Bier, welches gebraut worden war aus den Beeren des Weißen Waldes. Es war fruchtiger, als herkömmliches Bier und somit Cinaes bevorzugte Wahl, wenn es um Alkohol ging, nicht, dass sie oft welchen trank. Das kalte Getränk belebte ihren vom Essensgeruch und der Wärme ganz weich gewordenen Geist.

„Er hat gesagt, dass er später noch einmal vorbei schaut und dass er vorher noch etwas erledigen würde. Natürlich hat er sich nicht groß die Mühe gemacht, mich einzuweihen.“ Sie rollte gespielt mit den Augen und Cinae zuckte daraufhin nur mit den Achseln. Baerk war nicht dafür bekannt, viele Worte über seine Aufträge und Geschäfte zu verlieren, daran hatte sie sich bereits gewohnt, wenngleich es sie dann und wann fuchste, wenn er sie oder Yarnh mit einbezog, während er mit Details nur so geizte. Die beiden waren schon oft in seinem Auftrag unterwegs gewesen, sowohl innerhalb, als auch außerhalb der Stadt, doch hatte er es für nötig gehalten, ihnen den Grund des Ganzen zu nennen. Natürlich übernahmen sie dennoch stets gerne eine Arbeit für ihn, nicht nur des Goldes wegen. Baerk entlohnte den beiden ihre Dienste oft zusätzlich mit dem ein oder anderen Gefallen, welcher nicht mit Gold aufzuwiegen war.

„Möchtest du etwas essen, meine Liebe. Nimm' es mir nicht übel, aber du siehst blass aus. Blasser noch, als sonst.“ Ein fürsorgliches Lächeln umspielte ihre Lippen und Cinae fühlte eine warme Woge der Zuneigung in ihr aufwallen.

„Genau dafür bin ich hier“, antwortete sie schlicht und nahm einen weiteren Schluck ihres Biers.

„Ich habe gesehen, dass Yarnh ganz eilig nach oben gelaufen ist. Sie war eine Weile mit einem Auftrag beschäftigt, nicht? Gesellt sie sich später auch noch zu uns?“, fragte Callie, während sie hinter sich eine tiefe Schale aus dem Schrank zog und für einen Moment in die Küche hinter sich verschwand.

„Sie wollte erst baden. Du weißt doch, sie und das Dorfleben“, erklärte Cinae ihr und grinste verschmitzt, als Callie mit einer Schale voll Eintopf und frischem Brot zurück kam. Sie lachte ihr herzliches Lachen, bei dem ihr ganzer Körper zu beben schien und eine ihrer kupferroten Strähnen lösten sich aus ihrem chaotischen Zopf und fiel ihr direkt über das Auge.

Schrecklich, wie diese Menschen wie Tiere hausen. Wie halten die das nur aus. Das nächste Mal beschwere ich mich bei der Gilde, wenn sie mich wieder in so ein Rattenloch schicken“, imitierte sie Yarnh nahezu perfekt und gestikulierte wie wild mit den Händen.

„Nicht schlecht, du wirst immer besser, aber wehe dir, wenn du das auch bei mir machst.“ Sie prostete ihr zwinkernd zu und begann ohne weitere Umschweife mit dem Essen.

„Normal ist Yarnh doch die Ungeduldige von euch beiden“, frotzelte sie.

Cinae hatte den Mund voll, sodass sie nur ein eifriges Kopfnicken zustande brachte. „Ich habe heute noch nichts gegessen. Ist irgendwie einfach untergegangen“, erklärte sie keuchend zwischen zwei Löffeln. Der Eintopf war noch viel zu heiß, um derart gierig verschlungen zu werden, doch Cinae konnte sich ausnahmsweise nicht beherrschen.

„Du musst mehr auf dich achten, meine Liebe. Irgendwann fällst du noch um vor lauter Arbeit.“ Callie musterte sie besorgt, ehe sie sich wieder dem Trocknen von Gläsern widmete und einen prüfenden Blick durch den Schrankraum warf.

„Von wegen. Seit Wochen habe ich doch schon keinen Auftrag mehr bekommen und wenn ich in der Gilde nachfrage, bekomme ich keine richtige Antwort“, schnaubte sie verächtlich.

„Gibt es denn derzeit keine Arbeit?“, hakte Callie nach. „Ich meine, sonst warst du kaum drei Tage am Stück in der Stadt.“

„Das ist es nicht, nein, da bin ich mir sicher. Aber mehr kann ich dazu leider auch nicht sagen.“ Sie hatte sich selbst immer als fleißig betrachtet und jeden noch so absurden Auftrag von der Gilde übernommen, weswegen es sie ein wenig kränkte, so lange übergangen zu werden und dass, ohne ihr einen triftigen Grund dafür zu nennen.

„Vielleicht kann Baerk da etwas für dich machen. Ich bin mir sicher, er wollte euch sehen, weil er Arbeit für euch hat“, warf Callie mit aufmunterndem Tonfall ein. Es stimmte, der Zwerg hatte oftmals nur wenig freie Zeit an der Hand, weswegen er sie nur in dringenden Angelegenheiten aufsuchte. Gewiss kam er später mit einem Auftrag für die beiden zurück. Bei dem Gedanken wurde Cinae etwas leichter ums Herz und sie widmete sich wieder voll und ganz ihrem Essen. Callie ließ ihr ihre Ruhe und so verging eine Weile in angenehmer Stille, nun, abgesehen von dem restlichen Lärm in der Taverne. Hin und wieder verschwand sie, wenn einer der Gäste ihr etwas zurief, doch die meiste Zeit verbrachte sie hinter dem Tresen damit, Bier nachzuschenken und Krüge zu putzen.

Nach dem Essen und dem Bier fühlte Cinae sich satt und zufrieden und war versucht, Yarnh nach oben zu folgen und unter die mollig warme Wolldecke in ihrem Bett zu schlüpfen, doch Baerk mochte es nicht, wenn man ihn allzu sehr warten ließ und sie wollte es vermeiden, den Zwerg zu verärgern.

„Ist Yarnh im Badezuber verloren gegangen?“, scherzte Callie nach einiger Zeit.

„Wäre nicht das erste Mal“, gab Cinae zurück und starrte die Treppe nach oben zu ihren Gemächern an, als könnte sie ihre Freundin so herbei beschwören. Zwar tauchte kein wilder, weißer Lockenkopf auf der Treppe auf, aber dafür schwang die Tür zur Taverne erneut schwungvoll auf und Baerk flanierte in aller Seelenruhe herein, begleitet von einem hünenhaften Mann mit stoppeligen Bart und zerzausten, matschblonden Haaren, welcher neben Baerk absurd groß aussah. Seine grünen Augen glotzten schwerfällig über die Leute im Schankraum hinweg und ließen erahnen, dass er sich eher auf das Anpacken, als denn das Nachdenken verstand. Bei seiner Statur uns einen Muskeln war es aber offensichtlich, dass Baerk ihn nicht fürs Denken angeheuert hatte.

Der Zwerg ließ sich viel Zeit damit, sich neben ihr auf den Hocker nieder zu lassen und mit einer Ruhe, die nur ihm eigen war, durchstöberte er seinen fein gearbeiteten Lederbeutel nach seiner Pfeife und einem noch kleineren Beutel mit Tabak. Das Zeug roch beim Verbrennen grässlich und trieb Cinae stets die Tränen in die Augen, doch der Zwerg schwor darauf, dass es dafür vortrefflich schmeckte. Als er fertig damit war, die Pfeife zu befüllen und den Beutel voll Tabak zurück in seiner Tasche zu verstauen, blickte er sie beinahe auffordernd an, während er sich mit der freien Hand sein vergoldetes Monokel zurecht rückte. Noch etwas, was ihn absonderlich machte. Jeder andere Bürger Cradons würde in seiner ganzen Lebzeit nicht auf den Gedanken kommen, etwas derart Wertvolles so unverhohlen zur Schau zu stellen, aus Angst um das eigene Leben, doch Baerk lief erhobenen Hauptes durch die Straßen der Stadt und noch nie hatte jemand auch nur die Hand gegen ihn erhoben, was mitnichten auch an seiner angsteinflößenden Begleitung lag. Sein Beiname „Goldbart“ kam nicht von ungefähr. Er besaß Macht und nur die Götter selbst wussten, wie viel und vor allem woher.

Cinae kam seiner unausgesprochenen Bitte nach und mit einem einfachen Schnippen ihrer Finger fing das dunkle Kraut das Glühen und Dampfen an. Mit der Andeutung eines Kopfnickens bedankte er sich bei ihr, ehe er das stinkende Kraut genüsslich inhalierte.

„Guten Abend Cinae. Ein Glas Wein bitte, meine Liebe“, fügte er an Callie gewandt hinzu. Auch er behandelte die Bardame mit regelrechter Ehrerbietung, was Callies Aussage nach daran lag, dass er auch dann schon Gast bei ihr gewesen war, als er noch keinerlei Reichtümer besessen hatte. Das musste allerdings schon weit über zehn Jahre her sein. Er kam nicht mehr so oft, wie damals, doch er versuchte, wenigstens einmal die Woche auf ein Glas Wein vorbei zu schauen, selbst wenn er nichts von Cinae und Yarnh wollte.

„Also...“, begann Cinae zögerlich. Sie wollte nicht unhöflich wirken, doch die Neugierde ließ ihre Müdigkeit zu einer übersehbaren Randnotiz werden. Baerks Aufträge waren oft äußerst seltsam und weit davon entfernt, langweilig zu sein; im Gegenteil – nicht selten waren sie Cinae eine Spur zu interessant. Sie erinnerte sich nur all zu gut an die Aufstände vor knapp zwei Jahren, in welche die Handelsgilde verstrickt gewesen war. Nicht wenige waren in den Wochen der Unruhe gestorben und Baerk hatte sie und Yarnh mit der „Schadensbegrenzung“ betraut, eine undankbare Aufgabe, die beinahe auch für die beiden Konsequenzen nach sich gezogen hätte.

„Wir unterhalten uns gleich darüber, aber nicht hier“, kanzelte er sie direkt ab und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas. Sein Begleiter starrte auf das Glas in den wurstigen Fingern seines Chefs und schien ein wenig neidisch zu sein. „Wo ist Yarnh? Ist sie noch unterwegs?“

„Die ist oben, baden.“ Baerk nickte und schnippte seinen Bodyguard zu sich herunter, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Dieser richtete sich kurz darauf wieder auf und verschwand zu der Treppe, die zu ihrer Wohnung oberhalb des Schankraums führte.

„Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?“, bemerkte Cinae zweifelnd und blickte dem Hünen hinterher, welcher sich bücken musste, um die Treppe überhaupt betreten zu können. „Yarnh wird einen Infarkt bekommen, wenn plötzlich so ein Riese vor ihr auftaucht. Außerdem wird sie nicht gerne beim Baden unterbrochen...“, fügte sie hinzu.

„Ich möchte nicht, dass sie uns heute Abend stört. Es ist nichts persönliches, bei den Göttern, aber die Angelegenheit geht nur dich und mich etwas an“, erklärte er und blies eine Wolke Qualm aus den Nasenlöchern, direkt in Cinaes Gesicht. Sie zog eine Grimasse, doch verkniff sich jede weitere Reaktion.

„Davon wird sie noch viel begeisterter sein“, scherzte Cinae sarkastisch. Yarnh würde dem riesenhaften Mann die Leviten lesen, wenn er ihr mitteilte, dass man ihre Anwesenheit nicht wünschte, völlig ungeachtet dessen, dass er sie vermutlich mit bloßen Händen in der Mitte entzwei brechen konnte, wenn er das wollte. Zugegeben, dachte Cinae, eine lustige Vorstellung. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Grinsen.

„Ist mir egal“, gab er schulterzuckend zurück, „Sie muss ihre hübsche Nase nicht in alles stecken, das habe ich ihr schon öfter gesagt.“

„Du kennst sie, sogar noch länger als ich und du weißt genauso gut, wie ich, dass nichts und niemand sie davon abhalten wird, heute auch noch zu unserer Unterhaltung dazuzustoßen. Auch dein Riese nicht.“

„Vermutlich.“ Baerk seufzte, schüttelte den Kopf und rückte sein Monokel zurecht. „Dieses Mädel treibt mich irgendwann noch in den Wahnsinn“, murmelte er, doch ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen. Er hatte ein weiches Herz, sowohl für Cinae, als auch für Yarnh und so ließ er – vor allem Yarnh – mehr durchgehen, als jedem anderen, der mit ihm zusammen arbeitete.

„Das kannst du ihr gleich persönlich sagen“, lachte Cinae und deutete mit einem Finger auf die Treppe. Baerk drehte sich sogleich um und schüttelte erneut den Kopf, als er eine Yarnh mit nassen Haaren auf äußerst wütende Art die Treppen hinab stapfen sah, gefolgt von einem eingeschüchtert wirkenden Riesen.

„Ich glaube, ich hab mich verhört!“, schimpfte sie sogleich los, wie immer wild gestikulierend, „Mir Hausarrest zu erteilen, als wärst du mein Vater oder so etwas in der Art!“ Sie funkelte Baerk wütend an und dieser hob beschwichtigend die Hände.

„Schon gut, schon gut, entschuldige, meine Liebe, kommt nicht wieder vor.“ Es kam nicht oft vor, dass Baerk sich entschuldigte, dementsprechend verpuffte Yarnhs Wut so schnell, wie sie aufgewallt war. Sie nickte heftig, wie um ihren Standpunkt noch einmal zu verdeutlichen und ließ sich neben dem Zwerg auf einen Stuhl fallen. Baerks Begleitung stellte sich in höflichem Abstand an der Wand ab und verschränkte die muskelbepackten Arme vor der Brust. Er behielt den Raum im Auge und Cinae könnte schwören, dass es in seiner Anwesenheit ein wenig leiser im Schrankraum wurde.

„Also, was gibt es?“, flötete Yarnh und kämmte sich mit den Fingern die nassen Haare aus dem Gesicht, „Hast du Arbeit für uns?“ In ihren Augen funkelte beinahe kindliche Freude, obgleich sie erst vor wenigen Stunden von einem Auftrag zurück gekommen war. Es war ein Rätsel, denn Baerks Aufträge waren zuweilen die dreckigsten von allen – in mehr als einer Hinsicht.

Baerk musterte sie durch ausdruckslose Augen und ließ sich viel Zeit bei seiner Antwort. „Eigentlich nur für Cinae, meine Liebe.“ Yarnhs Wangen blähten sich erneut auf und sie sah aus, als wollte sie zur nächsten Schimpftirade ansetzen, als Baerk sie abkanzelte. „Es geht in den Weißen Wald. Den meidest du noch mehr als das schmutzigste Dorf, also entspann dich.“ Die Weißhaarige blinzelte verwirrt, schien mit der Antwort aber zufrieden zu sein, denn sie erhob ihre Hände in stummen Ergeben. Cinae hingegen wurde stutzig. Der Weiße Wald war, wenngleich von atemberaubender Schönheit, einer der gefährlichsten Orte der Welt. Er glich einer wunderschönen fleischfressenden Pflanze, deren Gefahr man erst erkannte, wenn es schon zu spät war. Es hatte sie schon öfter dorthin gezogen, doch sie müsste lügen, wenn sie behauptete, es war ihr sonderlich wohl dabei zumute.

„Was brauchst du von mir?“

Baerk schüttelte nur den Kopf. „Nicht hier, wir verschwinden gleich in das Hinterzimmer. Die Details sind nicht für jedermanns Ohren gedacht.“ Cinae bezweifelte stark, dass irgendeiner der anwesenden Gäste überhaupt noch in der Verfassung war, zu lauschen und selbst wenn, so würde der Alkohol gewiss das meiste davon über Nacht verschwinden lassen, doch sie behielt ihren Gedanken für sich.

„Ich bring euch sofort hinter, lasst mich nur schnell noch die Bestellungen machen“, warf Calli ein und deutete auf die zwei silbern leuchtenden Motten, die aus dem oberen Gastraum heran geflattert kamen. Ihr Flügelschlag zog einen silbrigen Schimmer hinter sich und als sie sich auf dem hölzernen Tresen vor Calahea absetzen, zerliefen sie wie hell schimmernde Tinte und hinterließen einige krakelig geschriebene Worte im Holz. Die Bardame seufzte und murmelte etwas, was sich wie „Diese Burschen sollten eigentlich gar nichts mehr trinken“ und dennoch machte sie sich an die Arbeit und befüllte einige kleine Gläser mit einer stark riechenden Flüssigkeit, bei der Cinaes Augen schon aus der Distanz brannten. Sie verschwand im oberen Stockwerk und die Worte der Motten verblassten auf dem blank poliertem Holz, als hätte es sie nie gegeben. Als Calli zurück kam, stürzte Baerk den Rest seines Weines hinunter und erhob sich geschäftsmäßig.

„Wollen wir?“, fragte er und blickte zwischen Cinae und Yarnh hin und her. Die beiden erhoben sich wortlos und folgten ihm und Calahea zu einem Zimmer, welches mal vom vorderen Bereich des Schankraumes gar nicht sehen konnte. Sie war unterhalb der Treppe und führte in einen beengten Raum ohne Fenster oder magisches Licht. Auf dem einzigen Tisch in dem Zimmer standen einige Kerzen, welche Cinae mit einem weiteren Schnippen ihrer Finger entzündete, doch auch ihr Licht genügte gerade so, um die Umrisse der Anderen schemenhaft zu erkennen.

„Ich bin dann mal draußen, wenn ihr etwas braucht.“ Calahea verabschiedete sich mit einem verschwörerischen Augenzwinkern und zog die Tür knarrend hinter sich zu. Eine unangenehme Stille legte sich über die vier Anwesenden und weder Cinae, noch Yarnh trauten sich, diese zu unterbrechen.

„Kommen wir doch zum Punkt“, erhob Cinae schlussendlich doch das Wort. „Wieso bist du hier?“

„Ah, Cinae, habe ich dir schon einmal gesagt, wie sehr ich deine Prägnanz liebe? Von allen Magiern, mit denen ich zusammen arbeite, hat niemand deine Effizienz und deinen Pragmatismus, leider.“ Er schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln und der Stolz, welchen Cinae just verspürte, ließ sie wieder ein wenig aufrechter stehen. Baerk war sparsam mit Lob, umso mehr war es wie Balsam, wenn er es aussprach. „Gut, kommen wir also zum Punkt, ich habe tatsächlich noch etwas vor, deswegen wollen wir keine weitere Zeit mit Plaudern verschwenden. Ich habe einen Auftrag für dich. Er wird dich in den weißen Wald führen. Ich weiß, du versuchst ihn ebenfalls zu vermeiden, aber ich fürchte, dieses eine Mal wird kein Weg daran vorbei führen. Du bist die Einzige, der ich einen derart wichtigen Auftrag anvertrauen kann und es ist äußerst wichtig, dass du alleine gehst.“ Die Worte waren klug gewählt und nach außen mochten sie harmlos klingen, doch Baerk erpresste sie, das wusste sie. Wenn sie nicht wollte, dass er sich von ihr abwandte (und das war das Letzte, was sie wollte), musste sie den Auftrag wohl oder übel annehmen, dass hatte der Zwerg sehr deutlich gemacht. Cinae versteifte sich, doch das schien den Anwesenden nicht aufzufallen.

„Was könnte im weißen Wald sein, was für dich von Bedeutung ist?“, hakte sie nach. Die Verhandlungen mochte sie bereits verloren haben, doch sie weigerte sich, darüber hinaus, wie sonst, in absoluter Ahnungslosigkeit zu agieren. Baerk schien nicht davon begeistert zu sein, dass sie Fragen stellte, doch das war ihr ausnahmsweise egal.

„Es geht nicht um mich. Du musst mir etwas... Außergewöhnliches beschaffen. Und ich werde das weiterleiten in Hände, die gut zahlen, aber nicht in Gold.“

„Wie außergewöhnlich?“ Cinae verengte die Augen; die Lust, den Auftrag anzunehmen, wurde rapide weniger. Im weißen Wald wimmelte es von Wesen, die weitaus gefährlicher waren, als ein gewöhnlicher Wolf. Noch dazu standen diese Wesen unter dem ausdrücklichen Schutz der Nymphen. Wer in den Wald kam, um ihm zu schaden, würde nicht sehr weit kommen, um davon zu berichten.

„Einer der Schutzgeister ist entartet. Was das bedeutet, weißt du sicher?“

„Er steht nicht mehr unter dem Schutz der Nymphen, aber sie unternehmen auch nichts gegen ihn“, folgerte Cinae prompt. Sie fühlte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Die Richtung, die dieses Gespräch eingeschlagen hatte, gefiel ihr ganz und gar nicht. Schutzgeister waren die mächtigsten Wesen des Waldes. Körperliche Schäden vermögen sie nicht anzurichten, doch mit ihrer Magie konnten sie den Geist geringerer Lebewesen nach Belieben lenken. Ein Magier vermag sich dagegen noch zu erwehren, wenn auch unter großer Anstrengung, doch die Tiere des Waldes waren für Schutzgeister so lenkbar wie ein Blatt für den Wind. Für gewöhnlich nutzten sie diese Kraft ausschließlich, um dem Wald zu dienen, doch für eine Entartung galt das nicht. Entartungen waren grundsätzlich böse und nutzten ihre Kräfte nach Gutdünken und Cinae war sich durchaus bewusst, dass sie bei dem Versuch, diese Entartung zu töten, selbst sterben könnte. Zumindest verstand sie nun, weshalb sie unbedingt alleine gehen sollte. Je mehr Köpfe anwesend waren, die der Schutzgeist bearbeiten kann, desto größer das Risiko für alle Beteiligten.

„Sehr richtig, das heißt, du kannst dich um ihn kümmern. Ich brauche sein Totem. Für wen, kann dir egal sein, genauso wie das wofür.“ Damit war klar, dass er keine weiteren Fragen zu den Details wünschte. Cinae war geneigt, abzulehnen, doch Baerk hatte ihr auch diesbezüglich nicht viel Spielraum eingeräumt. Der Zwerg rieb sich den Bart und schien ihr Gesicht nach einer Reaktion abzusuchen. „Du hast das Recht, darüber nachzudenken. Einen entarteten Schutzgeist wird so schnell keiner angreifen. Die wenigen Dörfler, die am Rande des Waldes wohnen, halten sich den Berichten nach bereits gänzlich von ihm fern.“ Darüber nachdenken? Cinae runzelte die Stirn angesichts dieses Angebotes und zermarterte sich auf Hochtouren das Hirn, um eine logische Begründung dafür zu finden. Baerk hatte sehr subtil, aber ausdrücklich klar gemacht, dass er ihr keine Wahl ließ, aber wieso gewährte er ihr dann eine Bedenkzeit? „Ein Tag sollte dafür völlig ausreichen“, beschloss er, ohne auf eine Antwort zu warten und richtete sich von seinem Stuhl auf. Gleichzeitig löste sein riesiger Begleiter sich von der Wand und lief auf die Tür des Hinterzimmers zu – es war offensichtlich, dass das Thema beendet war, was Cinae ganz und gar nicht passte. Sie hatte so viele Fragen, die sie Baerk noch stellen wollte, doch wäre es der Sache nicht zuträglich, wenn sie ihn damit jetzt bedrängte.

„Verstanden“, hörte sie sich selbst sagen und war verwundert, wie ruhig sie klang. Ein Blick in Yarnhs alarmiertes Gesicht verriet ihr, dass sie sich zurecht Sorgen machte. „Du bist morgen Abend gewiss hier?“

Baerk schüttelte den Kopf und schien für einen Augenblick über seine folgenden Worte nachzudenken. „Ich kann morgen nicht schon wieder hierher kommen, fürchte ich. In den letzten Wochen werde ich immer öfter... beobachtet und das Problem ist, dass ich das Paar Augen dazu noch nicht gefunden habe“, erklärte er, „Du wirst mich privat aufsuchen müssen.“

„Und wo wäre das?“, schaltete sich Yarnh nun ein, die in den letzten Minuten beharrlich geschwiegen hatte, „Wo wohnst du überhaupt?“

„In einem Zimmer im Singvogel. Symeris weiß Bescheid, sprich sie morgen einfach an, sie wird dich zu mir führen“, gab Baerk zurück und Cinae hob erstaunt die Augenbrauen. Damit hatte sie nicht gerechnet.

Yarnh schien es ebenso zu gehen.

„Du wohnst in einem Zimmer im Singvogel? Jetzt bin ich aber enttäuscht“, brummte Yarnh. Ihre Euphorie war so schnell verlöscht, als hätte man die Flamme einer Kerze mit den Fingern aus gemacht.

„Was hattest du den erwartet, wo ich wohne?“ Baerk musterte Yarnh eindringlich, was diese wiederum ein wenig nervös zu machen schien. Nicht sicher, ob sie darauf antworten sollte, wippte sie auf ihren Füßen auf und ab und schien innerlich mit sich selbst zu ringen.

„Naja“, stammelte sie, „Ich dachte schon, dass dir eines der riesigen Anwesen in der Nähe vom großen Platz gehört.“ Sie schien sich plötzlich selbst sehr albern vorzukommen, denn sie wandte den Blick ab, sodass ihr der fast zornige Blick des Zwerges entging. Umso erschrockener war sie, als er sie anfuhr. „Nur ein Narr stellt seinen Besitz derart zur Schau!“, polterte er. Die beiden Magierinnen verstanden nicht so recht, woher die Wut kam, immerhin war Baerk immer in den feinsten Sachen gekleidet, dementsprechend perplex waren sie. „Wahre Macht kommt nicht von irgendwelchem golden funkelnden Tand!“ Er schnaubte, schien sich aber wieder zu besinnen, denn er rückte sein Monokel, welches der Heftigkeit seiner Ansprache wegen etwas verrutscht war, zurecht und atmete tief durch, ehe er weitersprach. „Außerdem reizt all der Prunk nur den Neid in allen Wesen, die diesen zu spüren vermögen. Und nichts ist giftiger, als Neid, und es gibt nichts, was die dunkelste Seite in einem Wesen besser zutage fördert“, erklärte er nun mit ruhiger Stimme, „Und ich habe nicht vor, mit aufgeschnittener Kehle in irgendeiner schmutzigen Gasse gefunden zu werden.“ Cinae warf unbewusst einen Blick auf den Hünen, welcher etwas entfernt an der Wand stand und mit ausdruckslosen Augen das Geschehen beobachtete. Sie zweifelte, dass Baerk sich darum sorgen musste, tätlich angegriffen zu werden, solange dieser Berg von einem Mann in seiner Nähe war.

„Klingt einleuchtend“, antwortete Yarnh lahm. Sie wirkte noch immer etwas erschüttert, was Baerk zu merken schien.

„Entschuldige, dass ich dich so angeschrien habe. Wenn es um Maßlosigkeit geht, kann ich, wie du gemerkt hast, etwas aufbrausend werden. Trotzdem hatte ich dich für intelligent genug gehalten, um nicht von derartigen Oberflächlichkeiten beeinflusst zu sein.“ Cinae wollte den Zwerg darauf aufmerksam machen, dass er ein goldenes Monokel am Leibe trug und man seine Stummelfinger vor lauter Ringen kaum ausmachen konnte, hielt es aber für klüger, Baerk nicht erneut aufbrausen zu lassen und schluckte die sarkastische Bemerkung deshalb mühsam herunter. Yarnh tat ihr Leid, denn sie sah aus, als hätte er sie geschlagen, doch seine Worten waren wohl schlimmer, als jeder Hieb, den er hätte austeilen können.

„Also“, begann Cinae zögerlich, „Dann werde ich morgen zum Singvogel kommen und dir meine Antwort geben.“

Baerk nickte zustimmend und hob seine beringte Hand zum Abschied. „Du wirst mich nicht enttäuschen, da bin ich sicher. Einen schönen Abend noch den Damen.“ Und damit verschwand er in Begleitung seines Riesen aus dem Hinterzimmer. Das Licht des Schankraumes zerschnitt die dämmrige Dunkelheit wie eine Sichel und blendete Cinae im ersten Moment. Die beiden standen schweigend in dem warmen Licht und musterten sich gegenseitig.

„Das ist Wahnsinn“, platzte es schließlich aus Yarnh heraus. Die beiden Frauen waren unter sich, sodass Cinae die Fassade bröckeln und die Schultern sacken ließ. „Und ich meine das wortwörtlich. Das ist Wahnsinn. Ein entarteter Schutzgeist? Will er dich umbringen?“, wetterte sie wütend. Auch sie hatte schon öfter unter Baerks aberwitzigen Aufträgen zu leiden gehabt, doch dieser sprengte jeden Rahmen. „Was auch immer sein dubioser Freund mit dem Totem eines Schutzgeistes anfangen kann, es rechtfertigt nicht, dass er dafür dein Leben aufs Spiel setzt!“

„Ich fürchte nur, ich kann nicht ablehnen“, seufzte Cinae und rieb sich die pochenden Schläfen. Der dumpfe Schmerz war unlängst zu einer richtigen Migräne geworden und machte ihr zusammen mit der Müdigkeit zu schaffen. Sie fühlte, wie ihre Konzentration sank.

„Er hat doch gerade gesagt, dass du darüber bis morgen nachdenken sollst“, gab Yarnh zu bedenken. Scheinbar war ihr die subtile Botschaft des Angebots nicht aufgefallen.

„Hast du ihm nicht richtig zugehört? „Du bist die Einzige, der ich einen derart wichtigen Auftrag anvertrauen kann.“ Das waren seine Worte. Sprich, er hat keine Alternative. Ihn nicht anzunehmen, würde für Baerk bedeuten, dass er nicht bekommt, was er will und du weißt, wie er ist, wenn er nicht bekommt, was er will“, erklärte sie. Yarnhs Miene verfinsterte sich in der Dämmerung der Erkenntnis.

„Dieser miese...“ Sie verschluckte den Rest ihrer Bemerkung, doch Cinae konnte sich gut vorstellen, dass Yarnh an eine Reihe äußerst... bunter Ausdrücke dachte, mit welchen sie den Zwerg verfluchen konnte.

Cinae seufzte tief. „Lass uns nach oben gehen, ich bin fertig mit der Welt. Zumindest für heute.“

„Klingt gut, ein bisschen erholsamer Schlaf und die Sache sieht schon wieder besser aus.“ Yarnh lächelte aufmunternd, dennoch bezweifelte Cinae, dass dem so sein würde, doch sie erwiderte nichts und verschwand als erste aus dem Hinterzimmer und ohne weitere Umschweife nach oben. Der dröhnende Lärm der Taverne klang unwirklich in ihren Ohren und machte den Schmerz in ihrem Kopf beinahe unerträglich.

„Yarnh?“

„Hm?“ Ihre Freundin folgte ihr auf dem Fuß und je höher sie die Treppen erklommen, desto kühler wurde es. Es verschaffte ihrem Schmerz ein wenig Linderung, aber nicht genug, um ihr beim Einschlafen zu helfen.

„Kannst du mir einen Tee gegen meine Kopfschmerzen zubereiten, während ich mich umziehe? Du kannst das besser als ich“, bat sie und spürte kurz darauf eine sanfte Hand auf ihrer Schulter.

„Klar, kein Problem.“

„Danke.“

Während sie die letzten Stufen zu ihrer Wohnung erklommen, durchsuchte Cinae ihren an der Hüfte befestigten Lederbeutel nach dem Schlüssel. Er wog schwer in ihrer Hand und schien auch schon ein wenig verbogen zu sein, denn wie immer dauerte es ein wenig, bis sie ihn in das Schloss bekam. Knarzend öffnete sich die ausgebeulte Tür und gewährte den beiden Frauen Einlass in ihr kleines, aber gemütliches Domizil. Es roch noch immer nach getrocknetem goldenen Tahlian, zweifelsohne von Yarnhs ausgiebigem Bad. Cinae pfiff eine Melodie aus drei Tönen und in ihrem Zimmer hörte sie ein Feuer jäh einige Holzscheite entflammen, welche sie vor ihrem Aufbruch in die Bibliothek vorsorglich dort platziert hatte. Sogleich flutete angenehm warmes Licht die kleine Wohnung, denn ihr Zimmer verfügte nur über einen Türrahmen, nicht jedoch über eine Tür. Schatten tanzten in wilden Mustern an den Wänden.

Fühlt sich an, als wäre ich auch von einem Auftrag zurück, dachte Cinae und streifte sich prompt den ledernen Wams von den Schultern, um ihn an einem äußerst wackeligen Haken an der Wand anzubringen.

„Bin gleich bei dir.“ Yarnh drängte sich an ihr vorbei und verschwand hinter einem weißen Vorhang in ihrem eigenen Zimmer. Yarnhs Zimmer war, obgleich sie deutlich mehr besaß, als Cinae, immer wesentlich aufgeräumter. Alle Kräuter, die sie auf den Märkten erstand, waren fein säuberlich, in gläserne Gefäße verschlossen, in einem perfekt organisierten Schrank untergebracht. Ihre Bücher waren alphabetisch in einem Regal sortiert und sogar ihre Kleider hingen nach Farbe geordnet an einer Stange. Und neben ihrem ganzen Mobiliar fand sie sogar noch den Raum für einige Pflanzen, welche sie von ihren Reisen mitgebracht hatte und nun mit viel Liebe hegte und pflegte.

Cinae dagegen wurde von Chaos begrüßt. Ihre getragene Kleidung stapelte sich zu einem kleinen Berg in der Ecke neben ihrem Fenster. Direkt daneben ruhte ihr Schwert Morgendämmerung an der Wand - zusammen mit ihrem Phönix Farja das letzte Memento, was ihr von ihrem verstorbenen Vater geblieben war. Das Schwert war für ein Wesen des Lichts geschmiedet worden und somit für sie untauglich und dennoch behielt sie es aus sentimentalen Gründen. Farja hingegen war, wie immer, nicht auf ihrer Stange, sondern flog frei durch die dunkle Nacht. Der Phönix kam dann und wann zischend durch den Kamin zurück zu ihrem eisernen Nest, um einen neuen Zyklus des Todes und der Wiedergeburt zu erleben, doch ansonsten ließ der schöne Feuervogel sich nur selten sehen. Obwohl Cinae Farja nun seit fast zehn Jahren besaß, war sie noch immer fasziniert, wenn sie vor ihren Augen zu schwelender Asche zerfiel, nur um daraus in alter Schönheit von neuem zu erwachsen. Darüber hinaus verfügte sie jedoch scheinbar über keine weiteren magischen Fähigkeiten, was Cinae nicht weiter störte. Farja war ihr immer eine treue Gefährtin gewesen und der Zyklus ihrer Wiedergeburt ein tröstlich konstantes Ereignis.

Noch bevor sie die Fäden ihres Wamses lösen konnte, um sich zu entkleiden, wuselte Yarnh bereits in ihr Zimmer, einen kleinen tönernen Becher in der Hand, von welchem heißer Dampf aufstieg. Prompt breitet sich ein süßliches Aroma in ihrem Zimmer auf, doch Cinae wusste, dass dies täuschte – das Gesöff würde schrecklich bitter schmecken. Sie hatte es schon öfter getrunken und dennoch schauderte sie jedes Mal genauso sehr, wie beim ersten Mal.

„Danke“, nuschelte sie, als sie den Becher entgegen nahm und den Inhalt ohne die Spur eines Zögerns herunter kippte. Die heiße Flüssigkeit hinterließ ein Kribbeln auf Lippen und Zunge, doch als Wesen des Feuers verbrannte sie sich zumindest nicht.

Yarnh blickte sie mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Abscheu an. „Dass du das jedes Mal so herunter stürzen musst.“ Sie schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf in Unglaube.

„Besser, als es Schluck für Schluck herunter zu würgen“, versicherte Cinae ihr, „das macht es nur schlimmer, glaub mir.“ Ein leicht benommenes Gefühl wattierte ihren Verstand und sie hatte die Vermutung, dass sie soeben nicht nur einen schmerzlindernden Tee getrunken hatte. „Was war da drin?“

Ihre Freundin lächelte milde und auch ein wenig schuldbewusst und zuckte mit den Achseln. „Ich habe ein wenig Mondkraut beigefügt, das wirkt beruhigend.“

„Danke, aber ich wäre auch ohne gut eingeschlafen“, entgegnete Cinae scharf.

„Bist du sicher? Du wirkst seit dem Gespräch mit Baerk ziemlich aufgewühlt.“

Cinae schnaubte und stellte den Becher auf dem Sims des Kamins ab, in welchem es mittlerweile angenehm knisterte. Der kleine Salamander, der darin wohnte und das Feuer für sie entzündet hatte, war an die rußverklebte Wand gekrabbelt und fuhr mit dem geschuppten Schwanz durch das Feuern.

Mit fahrigen Fingern setzte sie ihre Arbeit an dem Wams fort, während sie in ihrem müden Verstand nach den richtigen Worten suchte. „Ich weiß, du willst mir nur helfen, aber mach das bitte nicht noch einmal, ohne mich vorher zu informieren.“

„Das hätte ich. Ist nicht meine Schuld, dass du das Zeug immer sofort herunter stürzt“, schnappte Yarnh beleidigt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Cinae seufzte. Sie fühlte sich mit jeder Sekunde, die verstrich, müder und ihre Fingerspitzen wurden langsam taub.

„Tut mir Leid“, murmelte sie und ließ schlussendlich von ihrem Wams ab. Sie hatte sich von dem Gedanken verabschiedet, sich heute noch umzuziehen und schlurfte auf ihr Bett zu. „Ich geh schlafen.“ Und damit ließ sie sich kraftlos auf die weiche Matratze fallen. Sie schaffte es gerade noch so, sich in eine ihrer unzähligen Wolldecken zu hüllen und hinzulegen. Das Letzte, was sie sah, bevor sie vom Schlaf überwältigt wurde, war Yarnh, die einige Holzscheite in den Kamin schmiss.



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