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Herz über Kopf

von

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Süße Kaffeeküsse

Den ganzen Samstag verbringt Elsa damit, sich durch die Reisebüros zu telefonieren und ergattert schließlich ein Flugticket nach Sapporo Chitose. Die Fahrt mit dem Zug wäre zwar deutlich günstiger, würde sie aber einen ganzen Tag mehr kosten. Und Zeit ist etwas, das sie im Moment nicht hat. Zum ersten Mal seit Wochen spürt sie eine kleine Flamme in ihrem Kopf, die sie unglaublich wach und fokussiert sein lässt und sie hartnäckig antreibt. Sie erzählt Mario, dass sie noch ein paar Tage bei ihren Eltern bleibt, und ihren Eltern, dass sie zu einer Freundin fährt. Sonntag früh um 6 Uhr verlässt sie das Haus und nimmt den Regionalzug zum Flughafen Osaka.
 

Mit klopfendem Herzen tritt sie durch die automatischen Schiebetüren in die Ankunftshalle in Sapporo. Würde er auf sie warten? Würde er sie überhaupt finden? Kommt er rechtzeitig? Während sie sich umsieht, stößt ihr ein fremder Koffer in die Fersen. Elsa will höflich aus dem Weg gehen, als sie beinahe mit einer riesigen Ski-Tasche kollidiert. Bevor sie es sich versieht, befindet sie sich inmitten einer aufgeregt schnatternden Touristengruppe, die mit tausenden Koffern und Ski-Gerät jeden Weg versperrt. Als sie sich aus dem Knäuel endlich befreien kann, steht sie orientierungslos im Mittelpunkt der großen Halle. Lautsprecherdurchsagen tönen unverständlich über ihren Kopf hinweg. Links und rechts von ihr hetzen rotgesichtige Menschen zum Gate oder entgegengesetzt zum Bahnhof. Wieder dreht sie sich suchend im Kreis. Hat sie ihn jetzt verpasst? Wo ist er? Ihr Herzschlag beschleunigt sich. Vielleicht kommt er ja doch nicht? Vielleicht ist ihm sogar etwas zugestoßen?

Da umschlingen sie plötzlich zwei Arme von hinten und ihr Gesicht versinkt in einem großen, roten Blumenstrauß. Sie wird an einen warmen Körper gedrückt und hört eine Stimme an ihrem Ohr, die ihr Herz explodieren lässt.

„Du bist da, du bist wirklich da.“

Elsa dreht sich in seinen Armen zu ihm um und drückt sich so fest an ihn, wie sie nur kann. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, ohne dass sie so recht weiß, warum. Dabei fühlt sie sich doch einfach nur glücklich. Zaghaft zieht sie ihren Kopf zurück, streift mit ihrer Nase seine Wange entlang, legt ihre Stirn auf seine. Seine fast schwarzen Augen sehen sie ebenfalls glasig an. Sie nimmt sein Gesicht in beide Hände und küsst ihn. Endlos. Bis sie keine Luft mehr bekommt.
 

„Also, was willst du alles sehen?“, fragt Viktor als sie beide in seinem Auto sitzen. „Sapporo hat einiges zu bieten: Wir sollten unbedingt hoch zu den Aussichtsterrassen von Mt. Moiwa, oder auch auf den Fernsehturm, wenn du magst. Eine Fahrt mit der alten Straßenbahn ist gesetzt. Die Schneeskulpturen im Odori-Park sind zwar inzwischen geschmolzen, aber er lohnt sich trotzdem. Susukino, der Jingu-Schrein, Maruyama-Park, unser Heimstadion…“, zählt er atemlos auf, „… was du willst.“

Elsa drückt fester seine Hand, die während der ganzen Fahrt zwischen ihnen auf der Mittelkonsole liegt, damit er sie trotz Lenkens und Schaltens nicht loslassen muss.

„Die einzige Sehenswürdigkeit, wegen der ich hier bin, bist du“, kichert sie, beugt sich zu ihm hinüber und gibt ihm einen schnellen Kuss. „Zeig mir dein Leben hier.“

Kurz mustert er nachdenklich ihr Gesicht, dann holt er sich einen längeren zweiten Kuss zurück. „Gut, dann fahren wir erst einmal zu mir. Du kannst deine Tasche ablegen und die Füße hoch und dann starten wir das Besichtigungsprogramm nach einer heißen Tasse Kaffee.“

Elsas Augen leuchten. „Das klingt gut“, haucht sie, wird aber von einem lauten Hupen übertönt.

Wild gestikulierend deutet der Fahrer hinter ihnen auf die Ampel, die anscheinend schon länger grün zeigt. Unter Elsas Kichern grummelt Viktor nur, lässt widerstrebend ihre Hand los und fährt an.
 

„Die Wohnung gehört Steves Eltern“, erklärt er eine halbe Stunde später und reicht ihr eine dampfende Tasse Kaffee. Lächelnd nimmt sie sie in ihre Hände und kuschelt sich ins Sofa. „Sie sind eigentlich jeden Winter hier oben zum Skifahren. Steve sagt, so lange er denken kann, waren sie in den Ferien auf Hokkaido. Daher hat er auch viele Bekannte hier und ist nach der Schule hierhergezogen.“ Er grinst etwas schief, als hätte er diese Bekannten gerade nur allzu gut vor Augen.

„Aber wollten seine Eltern während des Winters nicht hier wohnen?“ Kurz muss Elsa an all die Touristen denken, die mit ihr im Flieger saßen.

Viktor zuckt mit den Schultern. „Sein Vater hat‘s wohl mit der Hüfte, mit der er zur Zeit nicht Skifahren kann. Daher konnte ich hier bleiben. Ich zahle ihnen natürlich eine Miete.“

„Und deine Eltern? Sie wissen nicht, dass du hier bist, oder? Conny weiß es jedenfalls nicht.“

Ein Schatten huscht über sein Gesicht. „Nein“, sagt er langsam, „wissen sie nicht.“

„Willst du es ihnen nicht sagen?“

„Ich wollte…“, beginnt er und muss seufzen, „… Abstand von Allem. Und dazu gehörten auch gut gemeinte Ratschläge. Als Steves Anruf kam, war es, als würde sich für mich eine neue Tür öffnen. Es war so weit weg von Allem, ein neuer Verein, eine neue Stadt, neue Freunde. Sapporo ist schön, etwas kalt vielleicht. Die Menschen hier sind offen und ziemlich sportverrückt. Der Sapporo S.C. ist schon lange eine Größe in der Regionalliga. Den Vertrag als Manger des Vereins zu bekommen, war mehr eine Formalität. Es gibt so viel zu tun, dass sie mich nach dem ersten Tag hier kaum gehen lassen wollten. Inzwischen bin ich auch Spieler in der Stammmannschaft. Es lief ausgezeichnet. Ich dachte, ich könnte alles hinter mir lassen und von vorne beginnen.“

Elsa beißt sich auf die Unterlippe und blickt verkrampft in ihre Tasse. Einerseits freut sie sich natürlich für ihn, dass es ihm gelungen ist, sich woanders etwas aufzubauen und an seiner Stimme erkennt sie, dass er damit glücklich ist. Aber andererseits versetzt ihr die Erkenntnis einen Stich ins Herz: Er hatte sie, Elsa, vergessen wollen.

Seine warme Hand auf ihrer lässt sie zusammenfahren. „Es hat nicht funktioniert“, sagt er sanft und drückt ihre Hand.

Sie lächelt und legt ihren Kopf auf seine Schulter. „Bei mir auch nicht.“

„Ich werde mich bei Conny melden, und auch bei meinen Eltern“, verspricht er, „Es ist eh nur eine Frage der Zeit, bis unser Team mal in den überregionalen Nachrichten erscheint. Und wahrscheinlich wird es auch nicht mehr so lange dauern, bis wir deinem Bruder auf dem Spielfeld gegenüberstehen. Ihm und ….“

Elsa schließt rasch die Augen. Sie will den Namen nicht hören. Nicht jetzt.

Viktor scheint ihre Reaktion zu bemerken und lässt den Satz unvollendet. Er streicht ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. „Erzähl, wie ist es dir ergangen?“

Elsa nimmt rasch einen Schluck aus ihrer Tasse um ihn nicht ansehen zu müssen.

„Da gibt es nichts schönes zu erzählen“, murmelt sie.

Er rückt etwas näher zu ihr heran und greift nach ihrer Hand: „Erzähl es mir trotzdem.“

Einen Moment lang zögert sie noch, dann beginnt sie trotzdem zu erzählen: „Eigentlich gibt es ständig Streit, seit du fort bist.“ Fahrig dreht sie die Tasse in ihren Händen. „Mit Sarah, mit meinem Bruder und auch mit Mario.“

Sie spürt das kurze Zucken in seiner Hand, als sie den Namen seiner Ex-Freundin erwähnt. Sie atmet tief durch. „Sarah wirft sich seit Wochen von einer Uni-Party in die nächste. Und sie will, dass ich jedes Mal dabei bin. Mal ganz davon abgesehen, dass ich genügend für die Uni tun muss, habe ich darauf auch überhaupt keine Lust.“

Kurz blickt sie prüfend in sein Gesicht. Er muss nicht alle Details von Sarahs wildem Nachtleben erfahren. Es spielt eh keine Rolle mehr, mit wem sie sich jetzt vergnügt.

„Und Mario? Hast du es ihm…“

Elsa schüttelt schnell den Kopf. „Nein, ich habe ihm nichts gesagt. Aber er spürt auch so, dass irgendetwas ist. Selbst Gregor meint ständig, dass ich ihn unfair behandle, und macht mir dann Vorwürfe. Ich habe es wirklich versucht, Viktor.“ Ihre Stimme beginnt plötzlich zu zittern. „So wie du habe ich versucht, zu vergessen und mein altes Leben wieder fortzuführen. Aber ich schaffe es nicht. Alles und jeder erinnert mich an dich. Ich kann nicht so tun, als wäre das nicht passiert. Ich halte Marios Gegenwart nicht mehr aus, stoße ihn ständig von mir weg. Es gibt auch immer einen plausiblen Grund dafür: Zu viel Training, etwas vergessen mitzubringen, immer steht der Verein an erster Stelle. Aber eigentlich…“ Zaghaft verschränkt sie ihre Finger in seiner Hand und sieht ihn an. „Eigentlich ist es weil… naja… er ist nicht du.“

„Hättest du gerne, dass ich er wäre?“

„Das ist es, woran ich die ganze Zeit denken muss: Was wäre gewesen, wenn Mario gegangen wäre und ich an deiner Seite hätte sein können?“ Ein verträumtes Lächeln huscht über ihr Gesicht. Viktor registriert es und saugt es auf wie Verdurstender einen Schluck Wasser.

„Hättest du das gewollt?“

Mit der freien Hand stellt Elsa endlich die längst leere Tasse vor sich auf den Tisch. „Bis vorgestern hätte ich dir Recht gegeben mit dem, was du damals gesagt hast: Es hätte so viele Konsequenzen, so vieles, auf das wir Rücksicht nehmen müssten. Aber..“ Sie drückt wieder seine Finger. „… jetzt wo ich hier neben dir sitze…“ Eine einzelne Träne rollt ihre Wange hinab. „… ist mir das so egal. Ich bin einfach nur glücklich.“ Mit einem Schluchzen wirft sie sich an seine Brust. Erleichtert spürt sie seine Arme um ihren Rücken, mit denen er sie fester an sich zieht.

„Es tut mir Leid, Elsa“, flüstert er, „dass ich dir so viel Kummer bereitet habe. Seit ich wieder deine Stimme gehört habe, seit du hier bist, bin ich zum ersten Mal wieder glücklich. Ich brauche dich, wie die Luft zum Atmen.“ Er holt ihre Hände zwischen ihnen beiden hervor, nimmt sie in seine und küsst sie. „Ich liebe dich. Immer noch. Nein, mehr als vor drei Monaten.“

Elsas Herzschlag fühlt sich an, als würde ein junges Vögelchen zu ersten Flug ansetzen. Sie schmiegt sich so fest an ihn, wie sie nur kann. „Ich dich auch“, flüstert sie.
 

Das schwache Licht der Nachmittagssonne fällt ins Zimmer als sich Viktors Streicheln über ihren Rücken etwas verändert. „Wie ist es? Möchtest du raus und dir etwas ansehen?“

„Muss ich dich dafür loslassen?“

Viktor tut, als müsste er überlegen. „Hmm, kurz, ja.“

„Dann nicht!“ Trotzig schmiegt sie ihr Gesicht wieder an seine warme Brust und entlockt ihm damit ein leises Lachen.

„Dann müssen wir die Zeit anders herumbringen.“

„Hast du eine Idee?“

Er verschränkt seine Finger mit ihren: „Wie wärs mit Küssen?“

Elsa deutet auf die leere Kaffetasse auf dem Couchtisch. „Das könnten aber Kaffee-Küsse werden.“

Ein breites Grinsen lässt sein Gesicht strahlen. „Ich kann mir gerade keine besseren vorstellen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Tasha88
2022-06-22T18:18:41+00:00 22.06.2022 20:18
da ist es ja ... endlich ;)
hach, endlich vereint - und man fühlt richtig mit - es ist, als würde einem aller Druck genommen werden.
was so ein kleiner Kuss auslösen konnte (ich glaube, diesen Satz wirst du noch oft von mir zu hören bekommen) - gerade meine ich aber, dass es ja nur ein kleiner Kuss, eigentlich nur ein Schmatzer war und dass dieser sowohl Elsas als auch Viktors GEfühlsleben komplett auf den KOpf gestellt hat.

Elsa will Marios Namen nicht hören ... das geht am besten, wenn man die Augen schließt, dann ist man quasi taub ... kenne ich - meine Schwester hat was gesagt, was mich irgendwie öfter zum heulen gebracht hat, so ne Szene aus nem Film - ein Bär verliert sein Teddybär und der wird weggeschwemmt - jap, sowas bringt mich zum weinen, auf jeden Fall wollte meine Mama, dass meine Schwester zu reden aufhört und hat ihr die Hände auf die Ohren gelegt und gemeint, sei still - dann merkte sie, dass das bei der falschen ist- also hat sie mir ihre Hände auf die Augen gelegt, dass ich nichts mehr höre ... ähm ... Spoiler: hat nicht funktioniert ;p

aber sonst - "er ist nicht du" - fühlt sich stimmiger an, auf jeden Fall ^^

so ist es also - die beiden lieben sich ...
und da ist alles eben nebensächlich ... Kaffeeküsse :) na also ;)

freue mich auf mehr, hoffe, du stresst dich damit aber nicht sonderlich ^^
Antwort von:  Centranthusalba
22.06.2022 22:25
😂😂😂😂😂😂😂 das ging ja voll daneben bei deiner Mutter. Aber ich ertappe mich auch ständig dabei, wenn ich die Kassiererin hinter der dicken Glasscheibe nicht verstehe, mir dann die Maske vom Mund ziehe um sie besser zu verstehen…. 🤦🏻‍♀️

Eine kleine Auszeit zum Glücklichsein 😊😊😊
Noch gibts keine Entscheidung. Da kommt im nächste Kapitel eine Person dazu, die Elsa ins Gewissen redet.
Ich hoffe man merkt hier, dass Viktor sie zu nichts drängt?🤔
Jaja, kommt aber zwischendurch brauche ich auch noch Zeit für 🐕🐩


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