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Based on a true story...

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Das Krabben-Dilemma

Das Krabben-Dilemma
 

- Nach einer wahren Begebenheit -
 

Ende Juli 2002
 

Irritiert blickte ich von meinem Essen auf zu meinem Sitznachbarn und war mir im ersten Moment nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte. Er sah mich nicht an, stocherte dafür unkonzentriert in seiner Reisschüssel herum und schielte nebenbei auf die schmale Speisekarte, die zwischen uns auf dem Tisch lag.

War das sein Ernst?

Langsam ließ ich meine Stäbchen sinken und richtete mich stirnrunzelnd ein Stück weit auf.

„Echt jetzt? Du hast noch nie Krabben gegessen?“

Er zuckte leicht zusammen und löste seinen Blick von dem Kärtchen, auf dem sowieso nur zehn Gerichte standen. Die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen, sah er nun endlich auf. Ich hatte das Gefühl, sein Gesicht nahm ein wenig die Farbe seiner Haare an, aber vielleicht lag das auch nur am schummrigen Licht des Restaurants.

War ihm seine unbedachte Bemerkung etwa unangenehm?

Ein paar Sekunden lang hielt er den Blickkontakt, dann seufzte er auf und schaute sich schnell um, als hätte er Angst, jemand würde unser Gespräch belauschen. Ich bezweifelte, dass sich der ältere Herr am Nachbartisch sonderlich für Dies Essgewohnheiten interessierte. Dennoch beugte er sich etwas weiter zu mir und murmelte: „Mhm. Und Fisch mag ich auch nicht.“

Jetzt fiel ich wirklich vom Glauben ab. Anscheinend sah man mir das deutlich im Gesicht an, denn mein Bandkollege hatte wenigstens den Anstand etwas verschämt dreinzuschauen, als er sich wieder zurücklehnte. Wieso war er dann überhaupt mit mir in ein Spezialitätenrestaurant gegangen, wenn er weder Krabben noch Fisch mochte? Sapporo war schließlich berühmt für seine Hokkaido-Krabben und ihm hätte doch klar sein müssen, dass ein Restaurant, über dessen Tür ein großes Schild mit zwei kämpfenden Krabben prangte, nicht unbedingt Ramen oder Gyoza anbot. Warum hatte er nichts gesagt? Gut, ich hatte mich schon gewundert, warum er nur Reis aß, aber eigentlich gedacht, dass er sich später noch etwas von den regionalen Gerichten bestellte.
 

Ich verkniff mir einen Kommentar und trank stattdessen einen großen Schluck Bier, um das Gesagte erst einmal zu verdauen. Derweil hatte Die seine Stäbchen ebenfalls sinken lassen und fuhr sich unruhig mit der Hand durch die kurzen, roten Haare und brachte sie damit noch mehr durcheinander als so schon. Er wirkte ein wenig wie ein kleiner Junge, der etwas ausgefressen hatte. Dachte er, ich verurteilte ihn dafür?

„Und warum magst du das nicht?“

Jetzt wurde er unübersehbar rot. Ich unterdrückte ein Schmunzeln. Dass ich das mal erleben durfte, Die verlegen zu sehen. Sonst grinste er den ganzen Tag vor sich hin und nichts und niemand schien ihn um seine Ruhe und gute Laune zu bringen und nun das. Etwas überrascht war ich schon, nun diese mir bisher unbekannte Seite an meinem Kollegen präsentiert zu bekommen.

„Na ja, ich finde das Schälen sehr mühsam. Da wird man doch nie fertig und hat dann trotzdem im schlechtesten Fall etwas davon im Mund.“

Ich musste lachen.

„Dein Ernst? Dafür gibt's doch Zangen.“

„Ja, aber das macht es nicht einfacher.“ Er seufzte und fügte leise hinzu: „Obwohl ich es schon gerne mal probieren würde.“

Oh Mann. Ich hatte wirklich nicht vermutet, dass so eine Diva in ihm steckte.

Kopfschüttelnd und immer noch schmunzelnd nahm ich die Speisekarte zur Hand und überflog erneut die Gerichte. Im Endeffekt hatte er hier keine große Chance, um das Schälen herumzukommen. Höchstens bei der Fischsuppe. Der Fisch war dort so klein verarbeitet, dass er nicht Gefahr lief, direkt auf eine Gräte zu beißen – denn vermutlich war genau das der Grund, warum Die auch keinen Fisch mochte, wenn er schon das Schälen von Krabben so anstrengend fand.

Und nun?

„Die, wir können nachher gerne noch woanders hingehen. Du musst nicht wegen mir die ganze Zeit auf trockenem Reis herumkauen. Ich glaub, die anderen sind in dem Ramen-Restaurant gegenüber des Hotels. Wenn dir das –“

„Nein, nein. Ist schon in Ordnung. Du wolltest doch gerne die regionalen Spezialitäten probieren. Ramen können wir auch morgen noch essen. Und der Reis… ist okay.“

Er zwinkerte mir zu, während er einen großen Schluck aus seinem Bierglas trank und sich anschließend wieder seinem Essen zuwandte.

Ungewollt waren mir meine Augenbrauen nach oben gerutscht. Ich kaufte ihm das nicht ab und merkte, wie sich ein kleiner Knoten in meinem Bauch bildete. Ja, Reis war okay für den schnellen Hunger, aber doch nicht hier. Ich spürte beinahe so etwas wie Mitleid in mir aufsteigen, während ich beobachtete, wie wenig begeistert er auf dem Reis herumkaute und dabei so viel Leckeres haben könnte.

Das ging doch nicht!

„Würdest du lieber Krabben oder Fisch essen?“

Er blickte verwirrt auf.

„Ähm…“

Kurz schielte er auf meinen Teller, auf dem noch zwei große Krabbenbeine lagen.

„Toshiya, warum –“

Ungeduldig unterbrach ich ihn und gab gleichzeitig der Bedienung ein Zeichen.

„Also, was möchtest du?“

Mit großen Augen starrte er mich an, die Unsicherheit stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

„Krabben?“

„Gut. Noch einmal Tarabagani bitte.“
 

*
 

Die Schale gab ein befriedigendes Knacken von sich, als ich mit Zange ansetzte, um das letzte Stück der Panzerung zu entfernen.

Ich merkte, wie Die unruhig mit seinem knochigem Hintern auf der Bank hin und her rutschte und immer wieder dazu ansetzte, etwas zu sagen, doch ich ignorierte ihn und konzentrierte mich auf meine Arbeit.

Obwohl ich mir selten den Luxus von Meerestieren gönnte, hatte ich nicht einmal zwei Minuten gebraucht, um Die die Krabbe mundgerecht vorzubereiten.

„Toshiya, du musst wirklich nicht -“

Ich ließ ihn nicht ausreden, stattdessen schob ich den Teller direkt vor ihn.

„Hier, iss.“

Die Skepsis stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben und ließ mich automatisch schmunzeln. Natürlich waren Krabben und Meerestiere jeglicher Art nicht jedermanns Sache, schließlich bestanden die armen Wesen meist aus mehr Schale, denn aus Fleisch. Mein Opa war nie ein Fan davon gewesen, im Gegensatz zu meiner restlichen Familie. Aber es war die eine Sache, den Geschmack oder die Konsistenz nicht zu mögen, doch wenn es nur daran scheiterte, dass das Gefriemel zu viel war, dann half ich gerne weiter.

„Komm, jetzt probiere es einfach. Er beißt auch nicht mehr.“

Die gab ein Geräusch von sich, das irgendwo zwischen Schnauben, Lachen und einem hörbaren Augenrollen angesiedelt war. Ich ließ mich nicht beirren, nahm dafür meine Stäbchen wieder zur Hand, um endlich weiterzuessen. Obwohl mein Essen mittlerweile kalt war, schmeckte es immer noch super und ich war wirklich froh, endlich nach Jahren die Chance bekommen zu haben, mich in Sapporo durch die regionalen Köstlichkeiten zu testen. Und ich hoffte, Die sah das jetzt ähnlich.

Vorsichtig schielte ich zu ihm, beobachtete ihn still dabei, wie er sich den ersten Bissen zwischen die Zähne schob. Ich war wirklich gespannt auf seine Reaktion, die ungewöhnlich lange auf sich warten ließ. Sonst redete er meist schneller, als er denken konnte.

Schließlich hielt ich es nicht mehr aus.

„Und?“

Die blinzelte mich an und wirkte, als wäre er gerade ganz weit weg mit seinen Gedanken gewesen.

„Hm, gut.“

Was für eine detaillierte Aussage. Beinahe hätte ich beleidigt meine Unterlippe vorgeschoben, als sich plötzlich ein Strahlen auf seinen Zügen ausbreitete und nun mich zum Blinzeln brachte.

„Ja, echt gut. Ich hätte nicht gedacht, dass es so süßlich schmeckt.“

Erleichtert entließ ich die Luft zwischen den Zähnen, die ich, ohne es gemerkt zu haben, angehalten hatte und spürte, wie sich der angespannte Knoten in meinem Bauch löste. Wenigstens war die ganze Aktion nicht umsonst gewesen und es schmeckte ihm. Keine Ahnung, warum es mir so wichtig war, aber irgendwie freute es mich.

Mit einem Mal veränderte sich erneut etwas in seinem Gesicht, was mich aufmerken ließ. Mit nervös zusammengepressten Lippen sah er mich an, seine Augen huschten über mein Gesicht, als würde er nach etwas Bestimmten suchen.

„Ähm, Totchi.“

„Hm?“

„Vielen Dank. Das war... sehr nett von dir... Ohne dich –“

Lachend unterbrach ich seine stockende Dankesrede.

„Lass gut sein. Ich kann doch nicht zulassen, dass du dir sowas Gutes entgehen lässt. Wer weiß, wann wir das nächste Mal auf Hokkaido sind.“

Seine Mundwinkel zuckten, als er nach seinen Stäbchen griff.

„Ja, du hast recht. Auch wenn ich zukünftig wohl trotzdem kein Meeresgetier bestellen werde.“

„Außer ich bereite es dir vor?“

Das Schmunzeln wurde stärker.

„Ja, vermutlich.“

„Na dann ist das ja geklärt.“

Schließlich störte es mich nicht und wenn ich ihm damit eine Freude machen konnte, noch weniger.

„Du kannst dich ja demnächst dafür erkenntlich zeigen.“
 

Ende
 

› To be continued… soon… in irgendeiner Form



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  -Pharao-Atemu-
2023-12-09T06:14:10+00:00 09.12.2023 07:14
Ach wie knuffig, aber die Biester zu schälen ist wirklich mäh
Antwort von:  QueenLuna
25.12.2023 11:10
Das ist wahr ^^


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