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The Last Name

Sam x Bucky
von

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The Last Name

Als Bucky die Augen aufschlug, war es Nacht.

Die Luft war heiß und trocken und schmeckte nach Rauch. Um ihn herum war nichts als Steppe, so weit der Blick reichte. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand, doch als er an sich herabsah, stellte er fest, dass er taktische Ausrüstung und ein Scharfschützengewehr trug.

Ah. Es war also einer von diesen Träumen.

Der Winter Soldier sah auf und richtete seinen Blick in die Ferne, hin zu seinem Ziel.

Genauer gesagt seinen beiden Zielen.

Trotz der Dunkelheit konnte er sie schon von weitem mit bloßem Auge erkennen. Kleine LEDs an ihren Harnischen, kaum größer als Glühwürmchen, verrieten ihre Position am Nachthimmel.

„Sorg dafür, dass das Programm scheitert“, hatte der Mann im Anzug in Washington zu ihm gesagt. „Du tust der Welt einen Gefallen, wenn sie die ersten und letzten ihrer Art bleiben.“

Er hatte mit ihm gesprochen, als hätte der Winter Soldier noch immer so etwas wie einen moralischen Kompass oder eine Meinung – als hätte man sich nicht jahrzehntelang darum bemüht, ihn zur perfekten, willenlosen Tötungsmaschine zu machen. Und war das nicht ironisch.

Der Winter Soldier ließ sein Gewehr sinken und griff stattdessen nach der RPG-7, die neben ihm an den Überresten einer Mauer lehnte.

Mit ruhiger Sicherheit hob er sie auf seine Schulter und sah durch das Visier.

Und plötzlich wusste Bucky, wo – und vor allem wann – er war, und er hatte das Gefühl, als würde sich eine eiskalte Hand um sein Herz legen. Wie ein Tier im Käfig begann er an den Gitterstäben seiner dunkelsten Erinnerungen zu rütteln, um dem Alptraum zu entkommen denn er konnte das nicht weiter mit ansehen, wieso musste er das mit ansehen?

Doch ohne Erfolg. Die Ereignisse spielten sich wie ein Film gnadenlos vor seinen Augen ab.

Sobald der Winter Soldier den ersten der beiden Soldaten im Visier hatte, drückte er den Abzug.

Einen Moment später traf die Granate den Mann frontal gegen die Brust und explodierte. Die mechanischen Flügel, die ihn wenige Sekunden zuvor noch so elegant durch die Luft getragen hatten, wurden zerfetzt wie Papier, und in einem Regen aus glühenden Drähten und Metallsplittern fiel er vom Himmel.

Sein Partner stieß einen Schrei aus und ging in den Sturzflug über, doch er war nicht schnell genug, um ihn aufzufangen und vor dem Aufprall zu bewahren.

Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte.

Der Mann war schon längst tot.

Seelenruhig lud der Winter Soldier die RPG nach und sah erneut durch das Visier.

Er musste einen Moment nach ihm suchen, doch schließlich entdeckte er den zweiten Soldaten wieder, der mittlerweile an der Absturzstelle seines Partners gelandet war und an seiner Seite im Sand kniete.

Selbst aus der Entfernung konnte der Winter Soldier seine würgenden Geräusche und sein Schluchzen hören.

Nein, Sam, oh Gott, nein...! Das war Riley, ich hatte keine Ahnung, es tut mir so leid, es tut mir so leid!

Er zögerte für einen Moment, dann ließ er die RPG sinken und griff wieder nach seinem Scharfschützengewehr. Für seine zweite Zielperson sollte eine einzelne Patrone genügen; angesichts des aktuellen, emotionalen Zustands des Mannes war es sehr unwahrscheinlich, dass er sich in den nächsten Minuten wieder in die Lüfte schwingen würde.

Zielstrebig lief der Winter Soldier auf die Absturzstelle zu, bis er eine erhöhte Position gefunden hatte, von der aus er eine ungestörte Schusslinie hatte.

Der Soldat weinte noch immer und schien so vertieft in seine Trauer und seinen Schmerz, dass er den winzigen, roten Lichtpunkt auf seiner Brust nicht bemerkte.

Für einen flüchtigen Moment spürte der Winter Soldier fast so etwas wie... Erleichterung.

Es war seine Aufgabe, Menschen zu töten, doch er empfand keine Freude dabei, und es war immer einfacher, den Abzug zu drücken, wenn seine Opfer nicht ahnten, was sie erwartete.

Doch seine Erleichterung sollte nicht lange anhalten.

Endlich bemerkte der Soldat, dass auf ihn gezielt wurde, und sah sich suchend nach dem unsichtbaren Schützen um. Doch anstatt in Panik zu verfallen oder um sein Leben zu betteln, tat er etwas, womit der Winter Soldier absolut nicht gerechnet hatte.

„Worauf wartest du?“, rief er in die Nacht hinaus. „Tu es!“

Und wie um seine Aussage zu unterstreichen, stemmte er sich hoch und breitete die Arme aus.

Dieser Mann wollte sterben.

Wieso wollte er sterben? Der Winter Soldier verstand nicht.

Ich habe Riley getötet, ich habe Sams Riley getötet; Sam hat ihn geliebt und ich habe ihn vom Himmel geschossen, warum muss ich das mit ansehen, warumwarumwarum.

Tu es!“, wiederholte der Soldat und es war nicht länger eine Aufforderung, sondern ein Flehen.

Als wollte er ohne den Mann, der tot zu seinen Füßen lag, nicht mehr leben.

Der Winter Soldier zögerte.

Sein Finger krümmte sich um den Abzug, doch er schaffte es nicht, ihn zu drücken.

Die Reaktion des Soldaten verwirrte ihn. Er hatte noch nie jemanden getötet, der sterben wollte – der darum flehte, von ihm erlöst zu werden.

Es verwirrte ihn und es... weckte Erinnerungen.

Erinnerungen an sonnengebleichte Haare und blaue Augen, an den Geruch von Schießpulver und Leder und Metall, an das Gefühl von Kameradschaft und Geborgenheit.

Du weißt, dass ich dich jedes Mal zurückholen würde, nicht wahr, Buck? Was auch immer es kostet. Denn dich an meiner Seite zu haben ist das einzige, was all das hier erträglich macht.

Er blinzelte.

Er hatte keine Ahnung, wo die Bilder plötzlich herkamen und was sie getriggert hatte, doch nach und nach prasselten immer mehr Eindrücke und Erinnerungen auf ihn ein.

Leiser Gesang in verschiedensten Sprachen am nächtlichen Lagerfeuer. Der Geschmack von Tabak und billigem Wodka auf seiner Zunge. Der Geruch von Fichten und Harz und frisch gefallenem Schnee. Der Rauch in den Schützengräben, der in seinen Lungen brannte. Die blauen, angsterfüllten Augen des Mannes, der die Hand nach ihm ausstreckte, als er fiel.

Seine Stimme.

Buck!

Und dann Schmerzen und Einsamkeit und Kälte – eine nie enden wollende Kälte.

Langsam ließ er das Gewehr sinken.

Buck...

War das sein Name? Und wer war der Mann mit den blauen Augen?

Er wusste es nicht. Falls er es einst gewusst hatte, dann hatte man es erfolgreich aus ihm herausgebrannt. Doch wer auch immer dieser Buck war, etwas sagte ihm, dass er keine wehrlosen Menschen töten würde.

Der Winter Soldier nahm den Finger vom Abzug und stand ruckartig auf.

Er musste weg von hier. Er musste zurück zu dem Mann im Anzug und ihm sagen, dass er für diese Aufgabe nicht geeignet war. Dass er ihm einen anderen Auftrag geben sollte.

Sie werden dich niemals gehen lassen, sie werden dich nur erneut quälen und deine Erinnerungen löschen, weil du ungehörig warst; du hast Riley getötet, du hättest Sam fast getötet, und sie werden dich foltern und foltern, so lange, bis du tust, was sie von dir verlangen.

Es war das erste Mal seit vielen, vielen Jahren, dass der Winter Soldier bewusst eine Entscheidung traf – und sich von seinem Ziel abwandte.

Wenige Augenblicke später war er wieder mit der Dunkelheit verschmolzen.

Und Bucky erwachte.

 

Laut der Digitaluhr neben seinem Bett war es kurz nach drei Uhr in der Nacht, als sein Handy klingelte.

„Oh mein Gott, was gibt es jetzt schon wieder“, stöhnte Sam, während er noch halb im Schlaf versuchte, nach seinem Smartphone zu greifen, und es erst beim zweiten Anlauf endlich in die Finger bekam.

Er hatte sich den ganzen Tag und die halbe Nacht lang mit unerträglich selbstgefälligen Senatoren im US Kongress herumärgern müssen und war erst vor zwei Stunden endlich ins Bett seines Hotelzimmers gefallen. Deshalb war er nicht begeistert davon, aus dem Tiefschlaf gerissen zu werden.

Als er Buckys Namen auf dem Display sah, verschwand sein Unmut jedoch und er war augenblicklich hellwach.

„Bucky?“, fragte er mit heiserer Stimme, kaum dass er den Anruf angenommen hatte. „Baby, was ist los?“

„Sam“, sagte Bucky und er klang so klein und hilflos und verloren, dass Sam sofort wusste, dass etwas nicht stimmte.

Mit einem unguten Gefühl im Bauch setzte er sich auf und schaltete die Lampe auf dem Nachttisch an.

„Bucky“, sprach er vorsichtig. „Was ist passiert?“

„Kannst du nach Hause kommen?“, fragte Bucky leise. „Bitte?“

Sam sah auf die Uhr.

Er war in keiner Verfassung, um die Flügel anzulegen und zurückzufliegen, dafür war er viel zu erschöpft, doch wenn er um halb sechs den nächsten Flug nach New York City nahm, konnte er im Flugzeug noch eine Stunde schlafen.

„... okay“, erwiderte er. „Ich packe noch schnell meine Sachen, dann mache ich mich auf den Weg zum Flughafen.“

„Danke“, sagte Bucky und Sam entging die grenzenlose Erleichterung in seiner Stimme nicht.

„Jederzeit“, entgegnete Sam und er meinte es auch so. Für Bucky würde er stets ohne Zögern alles stehen und liegen lassen.

„Kannst du mir wenigstens kurz sagen, was passiert ist, damit ich mir bis dahin nicht vor Sorgen den Kopf zerbreche?“, wagte er dann zu fragen.

Für einen Moment herrschte Stille am anderen Ende der Leitung und Sam befürchtete schon, dass er eine Grenze überschritten hatte.

Doch schließlich konnte er Bucky leise schlucken hören.

„Ich habe einen neuen Namen für die Liste“, erwiderte er dann.

Fuck.

Sam war wie erstarrt. Er war davon ausgegangen, dass sie schon seit Monaten über diesen Punkt hinweg waren, doch wie es aussah, hatte er sich geirrt. Offenbar war Buckys psychischer Zustand noch immer fragiler, als sie beide angenommen hatten, und natürlich war Sam ausgerechnet in dem Moment, in dem Bucky ihn am dringendsten brauchte, nicht für ihn da.

„Ich mache mich auf den Weg“ versprach Sam, als er seine Stimme schließlich wiedergefunden hatte. „In ein paar Stunden bin ich zu Hause.“

„Okay“, war alles, was er als Antwort bekam. „Bis dann.“

Dann hatte Bucky auch schon aufgelegt.

 

Bucky hatte es Sam einst so erklärt:

Die Liste mit Namen, die er in Steves altem Notizbuch mit sich herumtrug, setzte sich aus zwei Teilen zusammen. Der erste Teil bestand aus den Namen prominenter Opfer des Winter Soldiers, die er aus offiziellen Regierungs- und S.H.I.E.L.D.-Akten zusammengetragen hatte. Der zweite, nicht minder umfangreiche Teil bestand hingegen aus Namen von Zielpersonen oder Kollateralopfern, die Bucky mühselig aus seinen bruchstückhaften Erinnerungen und seinen Alpträumen herausgefiltert und rekonstruiert hatte.

Diese Tode hatte man oftmals nicht mit dem Winter Soldier in Verbindung gebracht, da sie zu „unbedeutend“ für jemanden von Buckys Kaliber erschienen. Doch Bucky erinnerte sich noch immer deutlich an jedes einzelne Gesicht und wusste mit absoluter Sicherheit, dass er derjenige gewesen war, der den Abzug gedrückt hatte.

Nachdem sie die Flagsmashers aufgehalten hatten und Sam und Bucky sich näher gekommen und schließlich sogar zusammengezogen waren, hatten die Alpträume mit der Zeit nachgelassen, und seit mehr als vier Monaten hatte Bucky keinen neuen Namen mehr auf die Liste gesetzt.

Sam hatte bereits gehofft, dass es vorbei war und die Geister aus Buckys Vergangenheit ihn endlich ruhen lassen würden.

Doch offensichtlich hatte er zu früh gehofft.

Einen weiteren – und hoffentlich letzten – Namen hatten sie ihm noch beschert, und um wen auch immer es sich dabei handelte, es hatte Bucky so aufgewühlt, dass er Sam mitten in der Nacht angefleht hatte, zu ihm zurückzukehren.

Nein, Sam hatte absolut kein gutes Gefühl bei dieser Sache.

 

Die ersten Sonnenstrahlen erhellten den Horizont, als Sam die Schlüssel ihres gemeinsamen New Yorker Apartments aus der Hosentasche fischte und die Tür aufschloss.

In der Wohnung war es dunkel und still. Die Gardinen waren zugezogen und wären Buckys Schuhe und Lederjacke in der Garderobe nicht gewesen, wäre Sam zu dem Schluss gekommen, dass niemand zu Hause war.

Vorsichtig stellte er seine Tasche ab und zog seine Schuhe aus, bevor er ins Wohnzimmer trat.

„Bucky?“, rief er leise, während er durch die stille Wohnung ging. „Ich bin es. Ich bin zu Hause. Wo bist du?“

„Schlafzimmer“, kam schließlich die gedämpfte Antwort und Sam atmete vor Erleichterung auf. Bucky war wach und schien auf ihn gewartet zu haben. Das war schon mal ein Anfang.

Schwacher Lichtschein drang durch den Spalt der angelehnten Tür und als Sam sie aufstieß, saß er, dass die Lampe auf Buckys Seite des großen Doppelbettes brannte.

Seinen Freund sah er jedoch nicht, jedenfalls nicht sofort.

Erst nachdem Sam das Schlafzimmer betreten hatte, fand er Bucky zusammengekauert in der Ecke hinter der Tür auf dem Boden sitzen. Er hatte die Beine an seinen Körper gezogen und die Arme darum geschlungen und starrte blicklos vor sich hin.

„Hey, Buck“, sagte Sam behutsam, bevor er sich mit etwas Abstand vor ihm auf den Boden setzte, um sich auf seine Augenhöhe zu begeben. „Wie geht es dir?“

Etwas sagte ihm, dass Bucky schon in dieser Position verharrte, seitdem sie miteinander telefoniert hatten, und alles in ihm schrie danach, seinen Freund in die Arme zu ziehen. Doch er unterdrückte den Drang, wusste er doch nicht, ob Bucky diesen Kontakt im Moment überhaupt wollte.

Eine halbe Minute verstrich, doch schließlich hob Bucky den Blick und sah ihn an.

„Ich liebe dich, Sam“, sagte er leise. „Das weißt du, oder?“

Sam starrte ihn einen Augenblick lang überrascht an. Es kam selten vor, dass Bucky offen über seine Gefühle sprach, erst recht über seine Gefühle für Sam, darum hatte er mit dieser Äußerung nicht gerechnet.

„Ja, Buck, das weiß ich“, beeilte er sich zu erwidern, bevor Bucky sein Schweigen falsch interpretieren konnte. „Ich liebe dich auch. Nur was hat das mit–“

„Und ich werde nie aufhören, dich zu lieben“, unterbrach Bucky ihn jedoch, als hätte er seine Worte nicht gehört, „egal, ob du mich zurückliebst oder nicht.“

Sam blinzelte.

„Ich verstehe nicht“, erwiderte er, „warum glaubst du, dass ich aufhören könnte, dich zu...?“

Und dann machte es plötzlich ‚klick‘.

Sams Augen weiteten sich. Dachte Bucky etwa...?

„Bucky“, sagte er leise und rückte ein kleines Stück näher an seinen Freund heran. „Was kann so schlimm sein, dass du denkst, ich könnte dich nicht mehr lieben? Welcher Name macht dir solche Sorgen?“

Bucky schloss die Augen und zog die Knie noch dichter an seine Brust, machte sich noch ein bisschen kleiner. Es tat Sam in der Seele weh, ihn so zu sehen, und wenn er HYDRA ein weiteres Mal zur Fall bringen könnte für all die Dinge, die Bucky in den letzten 80 Jahren hatte durchleiden müssen, dann würde er es ohne Zögern tun, notfalls auch im Alleingang.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Bucky sich wieder gefasst hatte und den Mut fand, seine Augen zu öffnen und Sams Blick zu erwidern, und der tiefe Schmerz und die Verlustangst auf seinem Gesicht brachen Sam fast das Herz.

„Riley“, flüsterte Bucky. „Ich habe Riley gesehen.“

Er holte zitternd Luft.

„Ich habe ihn getötet, Sam.“

 

Sam war für einen Moment vollkommen still.

Bucky war vor Panik und Anspannung so übel, dass er sich zweifellos übergeben hätte, hätte er nicht schon direkt nach seinem Alptraum den kompletten Inhalt seines Magens über der Kloschüssel entleert.

Aber er bereute die Entscheidung nicht, Sam die Wahrheit gesagt zu haben. Er liebte Sam und er hatte sich schon vor Monaten geschworen, nichts mehr vor ihm zu verheimlichen. Selbst wenn das bedeutete, ihm sagen zu müssen, dass er derjenige war, der seinen ehemaligen Freund und Liebhaber ermordet hatte.

Bucky konnte damit leben, dass Sam ihn hasste und ihn aus seinem Leben verstieß. Es würde nicht das erste Mal sein, dass Bucky völlig allein war. Es würde mehr wehtun als sonst, weil es Sam war, der ihm fehlen würde, aber er würde es schon irgendwie überleben.

Wenn Bucky eines konnte, dann überleben.

Sam schwieg noch immer, aber sein Gesicht war nicht länger eine reglose Maske.

Bucky entdeckte Verwirrung auf seinen Zügen – eine Verwirrung, die mit jeder Sekunde, die verstrich, immer mehr in Verstehen umschlug.

Sam zog sich wieder ein Stück zurück – ob bewusst oder nicht, konnte Bucky nicht sagen, aber es schmerzte, dass er sich von ihm distanzierte – und schlang die Arme um seinen Oberkörper, als müsste er einen Schrei zurückhalten, der aus ihm hervorbrechen wollte.

Trauer und Schmerz traten auf sein Gesicht und wechselten sich ab mit Verrat und Bitterkeit, sowie einer Wut, die Bucky nicht mehr in Sams Augen gesehen hatte, seitdem er ihm damals Vorwürfe wegen Steves Schild gemacht hatte.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, doch schließlich hatte Sam sich wieder weit genug unter Kontrolle, dass er sprechen konnte.

„Was ist passiert?“, stieß er mit rauer Stimme hervor.

Bucky musste nicht fragen, was er meinte.

„Der Winter Soldier...“ Er hielt inne und leckte sich nervös die Lippen. „Ich bekam den Auftrag, das EXO-7-Programm zu beenden, bevor es sich in der Air Force etablieren konnte. Aus irgendeinem Grund gefiel Pierce die Vorstellung von fliegenden Soldaten nicht. Vielleicht, weil sie zu viel sahen und zu schwer zu kontrollieren waren.“

Er sah Sam nicht an. Er hätte sonst nicht die Kraft gefunden, um den Rest der Geschichte zu erzählen.

„Also flog ich nach Afghanistan. Ich fand heraus, dass es zwei Testpiloten gab, und wartete auf den geeigneten Moment, um sie auszuschalten. RPGs waren im Kriegsgebiet keine Seltenheit, was es einfacher machte, es wie einen Hinterhalt der Terroristen aussehen zu lassen. Während einer Nachtmission nutzte ich die Dunkelheit aus, um anzugreifen. Einen von ihnen holte ich vom Himmel.“

Du warst das damals“, raunte Sam. „Du warst der Schütze.“

„Ja“, sagte Bucky, weil es die Wahrheit war.

Sam zögerte und ein Ausdruck huschte für einen kurzen Augenblick über sein Gesicht, den Bucky am ehesten als Scham interpretiert hätte. Aber das ergab keinen Sinn – wofür sollte er sich schämen?

„Ich gebe zu“, sagte Sam dann, „es gab eine Zeit, in der ich diese Option in Betracht gezogen habe.“

Dieses Mal war er derjenige, der Bucky nicht ins Gesicht sehen konnte.

„Man hat den Schützen nie gefunden und es gab keine Gruppierung, die sich zu dem Mord bekannt hat“, sprach er. „Doch Jahre später, nachdem ich Steve zum ersten Mal getroffen und von deiner Existenz erfahren hatte, kam mir der Gedanke, dass du damals vielleicht involviert gewesen sein könntest. Aber ich verwarf die Idee schnell wieder. Wieso hättest du Riley töten, aber mich am Leben lassen sollen? Es machte keinen Sinn.“

„Der Winter Soldier wollte dich töten“, gestand Bucky. „Aber ich habe mich dagegen entschieden. Ich sah deinen Schmerz und ich konnte nicht länger den Abzug drücken.“

Deine Liebe für deinen Partner und dein Verlust haben mich an Steve erinnert, und Steve hätte nie zugelassen, dass ich Unschuldige töte.

„Ich wünschte damals, du hättest es getan“, murmelte Sam.

Er hatte das Gesicht in den Händen vergraben und sein lautloses Schluchzen ließ seine Schultern erbeben. Bucky wollte die Hand ausstrecken und ihn berühren – wollte ihm wenigstens mit einer Umarmung Trost spenden, wenn er es schon nicht mit Worten konnte. Aber er unterdrückte den Impuls und hielt sich zurück.

Er wusste nicht viel über Riley, nur dass er Sams erste, große Liebe gewesen war und sein Tod eine Narbe auf Sams Seele hinterlassen hatte, die bis heute schmerzte.

„Es tut mir leid“, sagte Bucky, was bei Weitem nicht als Entschuldigung ausreichte und gleichzeitig das einzige war, was er in diesem Moment sagen konnte.

„Ja“, stieß Sam erschöpft hervor. „Mir tut es auch leid.“

Er rieb sich über das Gesicht, dann ließ er die Hände wieder sinken. Seine Augen waren gerötet und seine Wangen verdächtig feucht.

Bucky fühlte sich elend.

Er lockerte den Griff um seine Knie und stemmte sich dann hoch.

„Ich sollte gehen“, sagte er leise, ohne Sam anzusehen. „Ich packe nur schnell ein paar Sachen ein.“

„... was?“, fragte Sam und Bucky war sich für einen Moment nicht sicher, ob er sich die Verwirrung in seiner Stimme nur einbildete.

Er wandte sich ab. „Ich denke, es wäre besser, wenn ich verschwinde.“

„Warum?“ Sam streckte die Hand aus und schloss seine Finger um Buckys Handgelenk. „Bucky, bitte rede mit mir.“

Frustriert fuhr sich Bucky mit seiner freien Hand durch die Haare. „Es gibt nichts mehr zu bereden. Was ich dir sagen wollte, habe ich gesagt.“

„Und jetzt willst du mich sitzen lassen?“, fragte Sam. „Ist das dein Ernst?“

Bucky blinzelte und sah dann vorsichtig auf Sam herab. „Wäre es dir nicht lieber, wenn ich weg wäre?“

Sam sah ihn fassungslos an. „Wieso? Weil du in der Vergangenheit eine Killermaschine warst und Leute gegen deinen Willen ermordet hast? Das weiß ich doch schon längst.“

„Macht es dir denn gar nichts aus, dass ich Riley ermordet habe?“, fragte Bucky, den Sams Reaktion immer mehr irritierte.

Sam hob warnend einen Finger.

„Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte er. „Glaub mir, dein Geständnis wird mich noch für eine ganze Weile beschäftigen. Aber – und das ist der wichtige Teil – ich bin trotzdem froh, dass du es mir gesagt hast.“

Seine Stimme wurde leiser.

„Und es ändert auch nichts an meinen Gefühlen für dich.“

Bucky blinzelte.

Er wusste nicht, womit er gerechnet hatte – so gut er Sam kannte, so schwer war es doch manchmal, seine Reaktionen zu erahnen – aber er wusste, dass es mit Sicherheit nicht diese Worte gewesen waren.

„Du... willst, dass ich bleibe?“, fragte er vorsichtig.

„Bucky...“ Sam stieß ein Seufzen aus. „Ich habe keine drei Stunden geschlafen und einen überteuerten Flug gebucht, damit ich so schnell wie möglich bei dir sein konnte, weil ich mir verdammt noch mal Sorgen um dich gemacht habe. Natürlich will ich, dass du bleibst.“

Ein Anflug von Hoffnung breitete sich in Bucky aus.

Vielleicht... vielleicht war dies doch noch nicht das Ende.

Sam stand vom Boden auf und schenkte ihm ein schwaches Lächeln. Bucky fiel auf, dass er sein Handgelenk immer noch festhielt, als würde Sam befürchten, dass Bucky sich in Luft auflöste, wenn er ihn losließ.

„Lass uns ins Bett gehen, okay?“, sagte Sam leise. „Ich bin mir sicher, dass du den Schlaf genauso nötig hast, wie ich.“

Bucky starrte ihn an, wie so oft, wenn Sam etwas Unerwartetes tat oder sagte.

Dann schlich sich ein zaghaftes Lächeln auf seine Lippen.

„Okay.“

Vielleicht musste er doch nicht herausfinden, wie es war, ohne Sam zu leben.



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