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Als die Dunkelheit das Licht verschlang

Buch I: Hohepriester Chaths
von

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Prolog

Amsu entglitten die Gesichtszüge, als er beim Essen inne hielt. „Vater, ich soll was? Du bist doch kerngesund und es herrscht Frieden, also warum soll ich denn jetzt schon die Weihe bekommen?!“, entfuhr es ihm fassungslos. Sah er doch sein relativ unbeschwertes Leben den Nil hinunter schwimmen.

Hanbal seufzte tonlos und er brauchte sich nicht zu seinen besten Freund und Hohepriester Ausar umzudrehen, um zu wissen, dass dieser Mühe hatte, nicht laut los zulachen.

„Amsu. Wie oft muss ich dir das noch erklären, dass die Erben des Pharaos bereits bei der Geburt die Weihe zum Thronerben erhalten. Wir haben das nicht getan, damit du so normal wie möglich aufwachsen kannst. Du bist jetzt alt genug und hast bereits Fünfzehn Sonnenwenden gesehen. Ich verlange, dass du deine Weihe bei der kommenden Sonnenwende erhältst! Natürlich liegt mir nichts ferner, als in naher Zukunft den Thron abzutreten, aber es gibt den Volk Sicherheit und Vertrauen, wenn sie wissen, dass ein Thronerbe da ist.“

Amsu grollte innerlich. Sein Pa hatte ja recht, aber er wollte nicht von den alten Opas bevormundet werden... Da kam ihn eine Idee.

„Also gut, Papa. Ich lasse mich weihen. Unter einer Bedingung! Ich suche mir meine Vertrauten und meinen Hohepriester selber aus! Ich will nur von meinem Hohepriester die Weihe erhalten!“

Hanbal öffnete schon den Mund, um etwas zu sagen, als Ausar sich leise und kaum vernehmlich räusperte. So atmete der Pharao tief durch. Er hatte sich auch nur von seinem besten Freund Ausar weihen lassen und so nickte er ergeben. Er war nicht ungerecht. „Also gut, du empfängst die Weihe von deinem von dir ausgesuchten Hohepriester. Ausar wird ihn ausbilden und belehren“, gab er also nach und Amsu strahlte über das ganze Gesicht. Es fühlte sich wie ein Sieg über seinen Papa und die ganzen strengen Regeln des Hofes an!

„Super, Papa! Ich hab dich lieb, Papa!“, jauchzte er und sah sich in Gedanken schon in der Stadt, um das zu feiern!
 

Chaths näherte sich dem feiernden Volk. Die Stimmung war ausgelassen und kaum jemand achtete auf seine Wertsachen. Das war DIE Chance! Wenn Chaths es richtig anstellen würde, konnte er hier reich werden oder zumindest wieder einen längeren Zeitraum überleben.

Er lief gemütlich zwischen den Menschen entlang. Man nahm keinerlei Notiz von ihm. Er besaß nur das, was er am Leibe trug und lebte auf der Straße oder wo er einen Unterschlupf fand. Wegelagerer wie er waren noch weniger wert als Sklaven und demzufolge unsichtbar. Was in solchen Menschenmengen ein Vorteil war.

Da fiel ihm ein junger Mann auf. Dieser trug zwar Kleidung des einfachen Volkes, doch seine Haltung und Bewegungen erzählten etwas anderes. Chats Augen blitzten amüsiert auf. Oh ja, wenn die hohen Herrschaften sich unter das Volk mischten, bedeutete dies meist einfache und reichliche Beute! Und so näherte er sich gemütlich den jungen Mann, blieb neben ihn stehen, um den Feuerschlucker zu beobachten und ließ seine Hand auf Wanderschaft gehen. Schon erfühlte er den Goldbeutel, als sein Handgelenk blitzschnell und fest gepackt wurde und sein Opfer sich mit einem scharfen Blick zu ihm wandte.

Auch Chaths wandte sich um und blickte nun ruhig in funkelnde blaue Seen. „Ich glaube du hast da etwas, was mir gehört“, spottete Chaths, während seine Augen wie flüssiges Silber herausfordernd blitzten. Sein Gegenüber hob beinahe gelangweilt eine Augenbraue und blickte runter zum Handgelenk, was er immer noch umschlossen hielt. „Und warum sollte ich es dir wieder zurückgeben?“, kam es mindestens genauso spottend zurück.

Chaths schnaubte nun leicht genervt. „Weil ich dir dein Gold lasse.“

Sein Gegenüber neigte erhaben und doch so alles verachtend den Kopf und ließ das Handgelenk los. „Hast du Mut, kleiner Dieb?“, fragte er dann ruhig.

Chaths verengte nun beleidigt die Augen. „Mein Name ist Chaths. Und ich darf dich daran erinnern, dass du unter Garantie genauso alt bist wie ich...“, grollte er.

„Sehr gut gekontert. Mein Name ist Amsu. Und ich möchte mich etwas amüsieren. Wie sieht es aus? Du bekommst den gesamten Goldbeutel, wenn du es schaffst mehr zu trinken als ich.“

Chaths blinzelte verdutzt und brach dann in leises Lachen aus, als er den Inhalt der Worte begriff. Oh das würde ja so einfach werden! Jeder wusste, dass die vom Hof nichts vertrugen und schon beim Geruch diverser Getränke des einfachen Volkes umkippten!

„Die Herausforderung ist angenommen, Amsu!“, gluckste er, legte einen Arm vertraut um die Schulter des anderen und ging mit ihm zum ersten Stand, wo vergorene Säfte verkauft wurden.
 

Chaths blinzelte in die Sonne. Leise stöhnend griff er sich an den Kopf, während er es sich auf seiner weichen und warmen Unterlage bequem machte. Sein Mund war trocken und seine Zunge schien ein einziges totes Pelztier zu sein. Sie war so schwer und einfach alles war... Bäh! Er vergrub sein Gesicht in die Matratze unter sich und döste wieder weg.

Plötzlich wurde er brutal gepackt und von seiner Matratze gerissen. Er schrie leise auf, als brutaler Schmerz durch seine Schläfen hämmerte. Er wurde irgendwo dagegen geschmettert, was ihm die Luft aus den Lungen presste und dann hielten Schraubstöcke ihn an den Armen fest und auf den Beinen. Chaths war schlecht. Alles drehte sich um ihn, die Sonne brannte zu hell und die Stimmen, die brüllten, drohten nicht nur seine Ohren zu zerstören, sondern schienen darauf angelegt, seinen Kopf zum Platzen zu bringen!

Langsam konnte er etwas erkennen, während er so gehalten wurden. Und das, was er erkennen konnte, gefiel ihm gar nicht. Es erinnerte an einem Albtraum oder an einem schlechten Scherz!

Langsam kam auch sein Verstand auf touren und er fing an zu begreifen, was er da sah:

Seine warme und weiche Matratze war Amsu gewesen. Sie hatten wohl irgendwo am Straßenrand genächtigt. Soweit war dies ja nicht wirklich besorgniserregend. Nur irgendwie gefiel es ihm nicht, wie Amsu, der so aussah, wie er sich selber fühlte, auf der einen Seite besorgt untersucht wurde, ob ihm ja nichts fehlte und auf der anderen Seite eine Standpauke erhielt, vor der selbst der große Seth den Kopf eingezogen hätte.

Amsu wurden die Kleider regelrecht vom Leib gerissen, damit er gleich direkt durch standesgemäße Roben gekleidet wurde. Doch der kurze Blick auf Amsus Körper ließen Chaths die Gesichtszüge entgleisen. Er hatte die Armreife gesehen. Er hatte die Tätowierungen nicht nur gesehen, sondern auch erkannt! Bei Seth! Er hatte mit dem Kronprinz die ganze Nacht durchgezecht und war dann irgendwie AUF ihm eingeschlafen!

Chaths stöhnte gepeinigt auf. Oh, er war ja so was von tot!

Und da trafen sich seine Augen mit denen von Amsu. Amsus Blick bat um Verzeihung und schon wurde der Kronprinz weggeführt, während Chaths gefesselt und einmal gründlich durchgeprügelt wurde.
 

Amsu klingelten noch immer die Ohren. Nicht nur die Standpauke des Generals von Papas Leibgarde hatte es in sich, auch die Standpauke von Ausar war nicht ohne. Ja und dann das Gebrüll von seinem Papa. Papa hatte noch nie gebrüllt.

Komplett erledigt, ließ er sich aufs Bett fallen und stöhnte gepeinigt auf. Sein Kopf schmerzte so tierisch und ihm war so schlecht. Bei Ra, was hatten sie denn alles getrunken?!

Und plötzlich schreckte er hoch und schrie schmerzgepeinigt auf. Sofort waren Diener bei ihm, doch er kämpfte sich auf die Beine und verließ sein Gemach. Er musste zu seinem Papa! Er musste Chaths retten! Bei Seth, wie konnte er das nur vergessen? Sie würden Chaths umbringen! Nicht nur dass er ihn, den Kronprinzen angeschaut hatte, nein, er hatte ihn auch berührt und auf ihn gelegen und geschlafen und... Chaths war so was von tot!

Mittlerweile rannte er und stürzte in den Thronsaal, wo Hanbal gerade Audienzen gewährte. Der gesamte Saal blickte zu Amsu.

„Chaths soll mein Hohepriester werden!“, rief er laut aus und gespenstische Stille folgte.
 

Chaths konnte später nicht sagen, wie lange er ohne Wasser und Brot im Kerker gewesen war. Er hatte viele gebrochene Knochen und er hustete immer wieder Blut. Er staunte, dass man ihn nicht totgeprügelt hatte.

Nun wurde er aus den Kerkern gezerrt, gefesselt und einfach mitgeschliffen. Gierig schnappte er nach der frischen Luft, nur um dann halb zu ersticken vor Husten, während man ihn nun auch mit brutalen Schlägen vorwärts trieb. Oder es versuchte.

Vage konnte er erkennen, dass er zur Tempelanlage geschleift wurde. „Nicht...“, kam es ihn panisch über die Lippen. Er hatte so viele Schauermärchen gehört, wie brutal die Priester bei Bestrafungen vorgingen.

Schließlich erreichten sie den Platz, auf den riesige Götterstatuen standen. Chaths erkannte, dass schon andere arme Sünder jeweils bei einer Statue wie aufgehängt waren. Mühsam blickte er auf und erkannte Anubis, unter dem er nun gefesselt und dann an Seilen hochgezogen wurde, die Arme gespreizt. Er schrie gellend auf, als seine Füße den Boden nicht mehr berührten und er nun so da hing.

Vage nahm er war, wie sie ihn auslachten, anspien und noch eine ganze Weile malträtierten.

Endlich waren sie gegangen und er hing da. In der glühenden Sonne und mehr tot als lebendig. Immer wieder wurde ihm schwarz vor Augen. Sein Körper zitterte unkontrolliert, wenn ihm ein Kälteschauer überkam und er sah das Blut aus seinem Mund tropfen.

Wie lange er da hing, wusste Chaths nicht, als er langsam und behutsam abgelassen wurde, so dass er wieder Boden unter die Füße bekam und er stöhnte erleichtert auf. Allerdings hatte er keine Kraft mehr, aufzublicken und sich für diese Wohltat zu bedanken.

„Was wird dir zur Last gelegt?“, wollte eine tiefe Stimme ruhig wissen. Chaths runzelte die Stirn. Ihm kam diese Stimme so bekannt vor. „Hohepriester Ausar...“, entwich es Chaths leise und er wusste nicht, ob er erleichtert oder besorgt sein sollte.

„Richtig, mein Kind. Nun antworte mir bitte.“

Chaths atmete schwer und es tat weh. Doch bemühte er sich der Aufforderung nach zu kommen.

„Ich weiß es nicht genau. Ich wollte Amsu um seinen Goldbeutel erleichtern, aber er erwischte mich und dann hat er mir angeboten, dass ich den ganzen Beutel bekomme, wenn ich mehr trinken kann, als er. Und dann bin ich auf ihn aufgewacht...“, presste er mühevoll jedes Wort leise hervor.

„Trink...“, raunte der Hohepriester nachsichtig und hielt eine Schale an Chaths Lippen.

Kapitel I

Chaths richtete sich langsam auf, als er die ersten Vogelstimmen hörte. Gedankenverloren blickte er auf seine Hände und atmete tief durch. Drei Monde war es nun her, dass er hier ankam und er begriff immer noch nicht, wie Hohepriester Ausar es geschafft hatte, ihn vollständig zu heilen.

Leise seufzend stand er auf und ging zum Brunnen, um sich zu reinigen. Seit etwa fünf Sonnenläufen war er soweit fit, dass er arbeiten konnte. Er sollte zum Hohepriester ausgebildet werden, weil er Amsu, wenn dieser einmal Pharao war, zur Seite stehen sollte. Chaths schnaubte leise. Er bezweifelte, dass ein Hohepriester Boden putzen musste. Nichts anderes machte er nämlich. Boden putzen. Und heute sollte er anfangen die großen Statuen zu putzen. Oh wie sehr er sich darauf freute.

Chaths fragte sich sowieso, wie man auf diese kranke Idee kam, ihn zum Hohepriester ausbilden zu wollen. Die Götter konnten ihm den Buckel runterrutschen – mal davon abgesehen, dass er bis jetzt nie irgendeinen Beweis bekommen hatte, dass diese komischen Figuren auch wirklich existierten – und die hohen Herrschaften, allen voran der Pharao sollten doch in der Verdammnis verfaulen!

Als Chaths sich gereinigt hatte, warf er sich das grobe Leinentuch wieder um und band sich die Tunika geschickt. Noch durfte er diese tragen, um seinen Körper zu schonen. Dann ging sein Blick zur aufgehenden Sonne und er vergaß alles um sich herum.
 

Ausar beobachtete aus dem Schatten heraus Chaths. Er verstand, warum Amsu unbedingt das Leben von diesen Straßenkind erhalten wollte, aber er verstand nicht, warum es zum Hohepriester ausgebildet werden sollte. Er hatte sehr schnell bemerkt, dass Chaths Glauben an die Götter, praktisch gesehen, überhaupt nicht existierte und er würde auch vor dem Pharao ausspeien. Chaths war respektlos, sehr aufbrausend und voller Wut und Hass.

Und dennoch, als er den Jungen so verträumt in den Sonnenaufgang blicken sah, musste er an die tiefe Demut und Dankbarkeit denken, die ihm jedes mal für scheinbare Selbstverständlichkeiten begegneten. Chaths war dankbar für jeden Tropfen Wasser und für jedes nette Wort. Deshalb wusste Ausar auch, dass er alles versuchen würde, damit Chaths diese Chance, die er jetzt bekam, nicht nur nutzen, sondern auch zu würdigen wissen würde. Doch noch war er ein Kind, dass jetzt zwar Grenzen und Regeln lernen musste, aber immerhin ein Kind! Und so sollte der Kleine noch etwas Kind bleiben.
 

Chaths saß zwischen den Beinen der großen Anubisstatue im Schatten und machte Pause. Irgendwie hatte er keine Lust mehr. Seine Aufgabe war, alle Götterstatuen hier auf dem Platz zu reinigen. Es waren zwar nur fünf Götter, aber es war dennoch eine langwierige Arbeit. Er hatte schon begriffen, dass dieser Platz hier wohl ein Zeremonienplatz oder so was war. Hier waren alle wichtigen Götter des Totengerichtes, außer der Ma'at, was Chaths wiederum merkwürdig fand. Er musste da mal Ausar fragen. Auf jeden Fall war dieser Platz kreisrund und in der Mitte stand eine Säule. Zwischen den einzelnen Göttern konnten Gefangene gefesselt werden. Ja, es war der gleiche Platz, an dem Chaths in den Seilen hing, bevor Ausar ihn losgebunden hatte. Wenn man es genau nahm, passte es auch auf eine makabere Weise, dass hier an dem Platz, an dem laut den Überlieferungen über die Toten gerichtet wird, Ausar über die irdischen Angeklagten richtete. Schließlich stand Ausar für Osiris und Osiris war nun mal der Totenrichter.

Wie dem auch sei. Chaths hatte die Statuen zu reinigen. Ammit war eigentlich sehr schnell fertig gewesen. Auch für Thot hatte er nur einen Tag gebraucht. Für Osiris zwei Tage und so eben war er mit Horus fertig geworden, mit dem er gestern früh begonnen hatte. Jetzt fehlte eigentlich nur noch Anubis...

Chaths musterte die Säule vor sich. Sie war schlank und trug keinerlei Verzierungen. Langsam ließ er seinen Blick nach oben gleiten und stockte dann, als er die Schenkel der Waage erkannte. Die Säule war Ma'at! Er begann zu grinsen. Ob die Waage sich bewegen würde?

Plötzlich horchte er jedoch auf. Unruhe kam auf und da hörte er seinen Namen rufen. Aber nicht von Ausar. Langsam erhob sich Chaths, trat aus den Schatten und stand einen grinsenden, komplett verdreckten und verschwitzten Amsu gegenüber.

Langsam ließ Chaths seinen Blick über den Pharaonensohn gleiten.

„Du hast auch schon bessere Tage gesehen...“, meinte er trocken und Amsu lachte schallend auf. „Hallo, Chaths. Ich hoffe, es ist dir nicht allzu schlecht ergangen. Aber wie ich sehe, geht es dir dennoch gut. Mein Vater und ich sind auf Durchreise und bleiben die Nacht hier. Mein Vater und Hohepriester Ausar wollen einiges besprechen und ich darf mit dir Zeit verbringen.“

Chaths blinzelte etwas verwirrt, als er versuchte den Fluss an Informationen zu verarbeiten. „Ich fasse zusammen: Wir haben Spaß?“, fragte er dann noch einmal nach und Amsu nickte. Da begann er breit zu grinsen. „Lass uns erst einmal schwimmen gehen. Das kühlt uns ab und du kannst dich reinigen“, schlug er vor und sein Gegenüber sagte nicht nein.
 

Chaths saß am Beckenrand der riesigen Zisterne und beobachtete wie Amsu seine Bahnen zog. Ja, er war etwas neidisch, als er diese Eleganz und Kraft sah. „Kann es sein, dass du im Wasser geboren wurdest?“, rief er da leise und Amsu lachte warm auf. „Du wirst lachen, ich bin tatsächlich im Wasser geboren. Meine Eltern haben mir erzählt, dass ich es wohl sehr eilig hatte. Und wie sieht es bei dir aus?“

Chaths blickte zur Decke und betrachtete die Bilder. „Ich denke, ich bin normal geboren. Ich weiß es nicht. Ich kann mich nur vage an meine Eltern erinnern. Ich weiß noch, dass wir eines Tages Besuch bekamen. Reisende. Sie bekamen zu essen und durften bei uns schlafen. Am nächsten Morgen waren sie bereits aufgebrochen und plötzlich standen die Truppen des Pharaos vor unserer Tür. Ich weiß noch, wie sie meinen Papa die Haut vom Rücken gepeitscht haben und wie meine Mama geschrien hatte. Mein Onkel hat mich im Vorratsloch versteckt und ich sollte erst wieder rauskommen, wenn ich einmal geschlafen habe. Ich schlief irgendwann ein und als ich wach wurde, stieg ich aus dem Vorratsloch und stand in den rauchenden Resten von unserem Heim.“

Amsu war langsam zum Beckenrand geschwommen, als Chaths erzählte und verharrte nun vor dessen Füßen.

„Das tut mir Leid, Chaths. Du bist auf der Straße groß geworden?“, wollte er leise wissen. „Ja, Irgendwie habe ich es geschafft zu überleben. Und da war niemand, der mir half oder mich wärmte oder mich beschützte. Amsu, warum bin ich hier? Schau mich an! Ich kann weder lesen noch schreiben oder rechnen. Für mich sind die Götter nur die Bilder und die Steine da draußen. Der Pharao kann mir die Füße küssen. Wir können uns doch auch so treffen und Spaß haben. Also warum bin ich hier, Amsu?“, wollte Chaths leise, ja beinahe verschüchtert wissen.

Amsu seufzte und stemmte sich aus dem Becken, um sich dann neben Chaths hinzusetzen.

„Weißt du, Chaths, du hast ein Leben geführt, wovon ich träume. Frei, ungebunden, nur mein eigener Herr sein. Nur klingt es aus deinem Mund nicht annähernd so toll, wie ich es mir vorstelle. Meine Eltern lieben mich, ja. Aber dennoch bin ich der Thronerbe meines Vaters. Ich muss mich an Regeln und Gebräuche halten und darf die Palastmauern nicht ohne Erlaubnis und entsprechender Eskorte verlassen. Ich wünsche mir jemanden an meiner Seite, der mir auf Augenhöhe begegnet.

Chaths, du hast mir imponiert. Ich habe an meinem Verstand gezweifelt, als du meintest, dass ich etwas besitze, was dir gehört. Und ja, ich hatte wirklich Spaß. Ich konnte einmal alles vergessen und normal sein. Danke, Chaths. Eigentlich war es lustig, wie wir aufgewacht sind. Ich habe immer noch keine Ahnung wie wir dorthin gekommen sind.“

Chaths gluckste leise vor sich hin und auch Amsu lachte warm. Wurde dann aber wieder ernst. „Es ist dem einfachen Volk verboten, den Pharao oder dessen Familie anzusehen, geschweige denn anzufassen und du hast auf mir geschlafen. Ja, man wollte dich öffentlich zu Tode foltern. Ich habe meinen Vater angefleht, dass ich jemanden an meiner Seite haben möchte wie dich. Er hat schließlich zugestimmt, jedoch die Bedingung gestellt, dass Hohepriester Ausar entscheiden soll. Denn die einzige Möglichkeit, immer jemanden an meiner Seite zu haben, ist ein Hohepriester zu werden. Dazu musstest du ihm vorgestellt werden. Du wurdest hierher gebracht und Ausar hat dich als seinen Schüler aufgenommen. Mein Vater hat dich begnadigt und öffentlich zu meinen Wegbegleiter ernannt. Du wirst an meiner Seite stehen, sobald ich zum Pharao ernannt werde.“
 

Chaths schwieg lange und ließ sich die Worte immer wieder durch den Kopf gehen. „Also sind wir Freunde?“, fasste er zusammen und Amsu nickte. „Genau, wenn du möchtest.“

Chaths zuckte mit den Schultern. „Warum nicht. Wird bestimmt lustig werden. - Aber jetzt was anderes. Da draußen steht die Ma'at. Meinst du sie bewegt sich?“ Amsu blinzelte verdutzt und dachte angestrengt nach.

„Keine Ahnung.“ Da grinste Chaths frech und seine Augen funkelten. „Wollen wir es heute Nacht herausfinden?“ - „Mit dem größten Vergnügen!“

Kapitel II

Hanbal ließ seinen Blick gleiten, während er aus dem Schälchen trank, was ihn Ausar gegeben hatte.

„Wie macht sich der Straßenjunge?“, wollte er ruhig wissen und musterte dann seinen Hohepriester kühl. Dieser schmunzelte leicht. „Was möchtest du hören?“, fragte er dagegen.

Der Pharao zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Am liebsten etwas wie, dass er keine Gefahr für Amsu ist. Ich weiß nicht warum, aber mein Sohn hängt an den Straßenjunge.“

Ausar legte leicht amüsiert den Kopf schief. „Weißt du das wirklich nicht? Hanbal, hat Amsu denn einen Kameraden? Hat er Gleichaltrige, die ihn auf Augenhöhe begegnen?“ Der Pharao schüttelte den Kopf. „Nein, bloß nicht!“, erwiderte er. „Ich will nicht, dass er etwas tut, dass seiner Position nicht würdig ist!“

Ausar biss sich kurz auf die Lippen, während seine Augen blitzten. „Hanbal, mein Freund. Denke doch nur an deine Kindheit zurück. Du warst doch auch nicht gerade ein artiger Bursche.“

Hanbal funkelte seinen Hohepriester an. „Erstens: Wer hat mich denn ständig dazu verführt? Und zweitens heißt es ja, wie der Vater so der Sohn. Ich möchte nicht, dass Amsu auch in diesen Bereich in meine Fußstapfen tritt!“

Nun lachte Ausar warm auf und legte einen Arm um Hanbals Schultern. „Ist er das denn nicht schon? Mal ganz ehrlich, mein Pharao. So wie die beiden gefunden wurden, in dem zustand und in der Art und Weise, scheint dein Sohn nicht das erste mal sich außerhalb der Palastmauern vergnügt zu haben.“

Hanbal knurrte und machte dabei einen großen Wolf Konkurrenz. Dann jedoch atmete er tief durch. „Aber warum dieser Straßenjunge?“, wollte er nun beinahe verzweifelt wissen.

„Weißt du, mein Freund, Chaths stand nicht nur auf Augenhöhe mit Amsu, sondern war gleich direkt mit dabei, etwas normales zu tun. Chaths hat Amsu wie einen Menschen behandelt. Deshalb ist dein Sohn in den Straßenjunge so vernarrt. Und natürlich hat da Chaths Charme auch so einiges mit dazu beigetragen. Lass sie Freunde werden. Und alles wird gut. Der Straßenjunge wird deinem Sohn kein Leid zufügen. Und mal ehrlich... Was soll denn schon groß passieren, wenn sie zusammen sind?“, meinte Ausar beruhigend.

Hanbal lehnte sich zurück und nippte wieder an der Trinkschale.

„Ausar... ich war mit meinem Sohn beim Orakel des Amun. Wir kommen direkt von dort und es hat dunkle Zeiten vorhergesagt. Mein Sohn ist in Gefahr und in den angrenzenden Reichen herrscht Unruhe. Verstehst du? Ich möchte nur, dass Amsu in Sicherheit ist“, erklärte er und schrak hoch als es plötzlich laut donnerte, krachte und schepperte. Der Pharao wurde leichenblass. „Was kann kaputt gehen?“, keuchte er, als er auch schon aus dem Tempel stürmte, gefolgt von dem Hohepriester, um dessen Mundwinkel es verräterisch zuckte.
 

Amsu und Chaths standen im Mondenschein vor der Ma'at und schauten mit blitzenden Augen an ihr hoch. „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, das wir gestört werden?“, wollte Chaths ruhig wissen und Amsu grinste. „Nicht existent. Papa und Ausar sind beste Freunde und kennen sich schon von klein auf. Die werden in Erinnerungen schwelgen!“

Chaths nickte und lachte leise auf. „Also dann. Einmal hochgeklettert!“ Da räusperte sich Amsu leicht. „Meinst du nicht, dass es Ärger gibt? Ich meine, wir sind im Begriff auf einem Gott herum zu klettern.“

Chaths drehte sich langsam zu Amsu und musterte ihn ungläubig. Er überlegte, ob die Frage ernst gemeint war. Scheinbar ja! So atmete er tief durch,

„Amsu. Auch wenn das hier die Götter darstellen, so sind sie es nicht. Es ist nur Stein, Sand und Dreck. Es kann nichts passieren! Ich bin die letzten Tage auf den Statuen geklettert und es hat sich nichts geregt oder jemand hat sich beschwert. Also keine Sorge. Es wird keinen Ärger geben, weil es niemand erfahren wird und es keine Götter gibt. Es sind einfach nur Geschichten, die man den Kinder vor dem Schlafen gehen erzählt!“

Amsu blinzelte verdutzt. „Du glaubst, das sind alles nur Geschichten? Aber ich habe gehört, dass es einen Tempel gibt, der wie eine Grabanlage gebaut ist und in dem man die Prüfung des Herzens vornehmen kann, ohne tot zu sein.“

Chaths schnaubte abfällig. „Das ist Schwachsinn! Wir können da gerne mal hingehen und schauen. Nun lass uns hochklettern!“

Amsu musterte Chaths eine Weile. „Ich nehme dich bei Wort!“, sagte er dann, blickte wieder hoch und sprang ab, um die Säule hochzuklettern – gefolgt von seinem Freund.
 

Die beiden Jünglinge hangelten sich geschickt die Säule hinauf und wurden immer langsamer, je höher sie kamen. Die Kräfte ließen nach und sie rutschten immer öfter ab, da ihre Finger und Zehenspitzen immer seltener Halt fanden. Schließlich erreichten sie die Spitze der Säule und zogen sich mit letzter Kraft auf die Querstreben hinauf.

Chaths lag schwer atmend auf der Felsenstrebe, die den einen Schenkel der Waage bildete und ließ seinen Blick nach unten gleiten.

„Wir sind ganz schön hoch“, stellte er trocken fest. „Hätte ich dir sagen können!“, schoss Amsu atemlos zurück, als er sich langsam aufrichtete. „Wenn du die Bilder des Totengericht und ganz besonders die Prüfung des Herzens vor Augen hast, dann weißt du, dass Ma'at größer als alle anwesende Götter ist. Nun schau dir nur die Götterstatuen an und du weißt, wie groß diese Ma'at hier ist.“

Chaths verdrehte leicht genervt die Augen und setzte sich nun auch auf. „Falls du es nicht bemerkt haben solltest, es war lediglich eine Feststellung, wie wenn ich auf einem Felsvorsprung stehe und sage, dass ist hoch“, murrte er und ließ seinen Blick über die Landschaft gleiten.

„Schau mal, die Lichter von Ipet!“, rief da Amsu freudig aus und zeigt in Richtung Osten. Chaths folgte mit seinem Blick dem Fingerzeig und er war ergriffen von der Schönheit, die ihm entgegenschlug. „Und du siehst sogar das Wasser glitzern...“, raunte er leise, während Amsu andächtig nickte.

So verharrten sie und sogen die Ruhe und den Frieden der Nacht tief in sich auf.

„Wollen wir mal nachschauen, ob wir in den Schalen etwas Interessantes finden?“, durchbrach da Amsu die Stille und funkelte Chaths herausfordernd an. Dieser hob spöttisch eine Augenbraue und blickte zu den Waagschalen. Sie hingen an Ketten, die aus Stein gemeißelt waren.

„Von mir aus“, zuckte er mit den Schultern und erhob sich. Er lief zu Amsu und bedeutete ihn aufzustehen. „Schauen wir bei deiner Schale als erstes nach.“ Amsu nickte und stand ebenfalls auf. Gemeinsam liefen sie den Schenkel entlang, bis sie direkt über der Schale standen. Amsu atmete tief durch und ließ sich fallen. Geschickt griff er nach der Kette und fing seinen Sturz ab. Durch den Ruck lief ein Beben durch die Ma'at und Chaths runzelte misstrauisch die Stirn.

„Amsu, komm lieber wieder hoch“, rief er da besorgt und der Kronprinz lachte spöttisch auf, als er sich nun an der Kette zur Schale hinunter hangelte. Chaths beschloss nicht zu folgen, um nicht noch unnötig Gewicht auf die Kette und die Schale zu bringen, denn Erstere rieselte und knirschte bedrohlich.

„Amsu, bitte! Das Gestein gibt nach. Komm wieder hochgeklettert. Bitte!“, rief Chaths nun energischer und wurde immer nervöser. „Feigling!“, kam es da nur von Amsu und er ließ sich auf die Schale fallen. Geschickt kam er auf seinen Füßen auf. Da gab es einen Ruck und die Schale sackte etwas nach unten. „Woah...“, rief Amsu lachend auf und blickte hoch. „Siehst du? Alles gut!“

Chaths schnaubte und knirschte mit den Zähnen. Fieberhaft suchte er eine Möglichkeit, wie er Amsu dazu bewegen konnte, wieder hoch zu klettern.

„Amsu, bitte...“, versuchte es Chaths noch einmal, doch der Prinz lachte nur. „Schau, alles gut!“, rief er und sprang zum Beweis mehrmals auf und ab, um dann durch die Schale zu brechen. Amsu schrie auf und krallte sich irgendwie fest. So hing er nun über der Erde, sich an den Resten der Schale festhaltend.

„AMSU!“, rief Chaths panisch auf und wider besseren Wissens ließ er sich fallen, griff nach der Kette und hangelte sich zu Amsu hinab, um ihn zu retten. Doch hatte er gerade die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, als es über ihn knirschte und Staub rieselte. Er blickte auf und da sprang die Kette entzwei. Chaths Augen weiteten sich, als sie fielen. Verzweifelt versuchte er sich soweit zu drehen, dass er nach unten schauen konnte. Da schlug Amsu brutal auf dem Boden auf und über ihn die schweren Steine der Schale. Und nur Sekundenbruchteile später knallte Chaths auf den Steinhaufen.

Schmerzen rasten durch seinen Körper und es wurde ihm schwarz vor Augen, doch kämpfte er dagegen an und schließlich bekam er wieder etwas Luft. Mühsam stemmte er sich hoch und blickte sich suchend um, bevor er begriff, dass er auf Amsu lag.

Mühsam begann er den Schutt wegzuräumen. Seine Ohren rauschten und immer wieder wurde es ihm schwarz vor Augen. „Amsu! Amsu!“, wisperte er wie ein Mantra und da wurde er von zwei kräftigen Händen gepackt, die ihn wegzerrten und irgendwo dagegen lehnten.
 

Hanbal und Ausar blieben wie angewurzelt stehen, als sie den Steinhaufen sahen. Auf dem Haufen kniete Chaths, der versuchte sich einen Weg freizuräumen und unter dem Steinhaufen konnten sie einen Arm von Amsu erkennen.

Sofort war Ausar bei Chaths, packte ihn und zerrte ihn weg, um ihn zu setzen und gegen die Beine von Anubis zu lehnen, während Hanbal bereits sich an die Arbeit machte, Amsu freizulegen.

Mit vereinten Kräften konnten der Pharao und der Hohepriester schließlich den Prinzen bergen und Ausar verschwand mit ihm direkt in seine Kräuterkammer, wo er sich um Amsu kümmerte und ihn versorgte. Er betete dabei leise zu allen Göttern, dass Hanbal Chaths nicht umbringen würde. Ihm war bewusst, dass es ein Unfall war, ausgelöst durch die Unbekümmertheit der Jugend. Doch das würde der Pharao nicht gelten lassen – nicht nach der Nachricht vom Orakel!
 

Hanbal näherte sich nun bedrohlich Chaths, der müde aufblickte und Mühe hatte zu erkennen, wer vor ihm stand. Immer wieder drohte er bewusstlos zu werden.

„Wessen Idee war es, da hinauf zu klettern?“, wollte der Pharao ruhig wissen. Chaths dachte gar nicht daran etwas anderes, als die Wahrheit zu sagen. „Es war meine Idee gewesen“, antwortete er leise. „Wir haben uns gefragt, ob sie sich bewegt.“

Hanbal verengte gefährlich seine Augen. „Ist dir nichts heilig, Straßenkind?“ Chaths runzelte verwirrt die Stirn und verstand nicht, was der Pharao von ihm wollte. „Warum? Wir sind doch nur auf Felsen geklettert“, erwiderte er leise. Das dies wohl die falsche Antwort war, wurde Chaths in dem Moment klar, als er plötzlich gepackt und wie Dreck weggeschmissen wurde.

Mit Fußtritten wurde er vom Pharao wie ein räudiger Köter in einen Gebetsraum getrieben. Wimmernd blieb Chaths zusammengekauert auf dem Boden liegen. Er zitterte und verstand nicht, was los war. Er verstand nicht, warum Amsus Papa so gemein zu ihm war. Sollte ein Pharao nicht jedes noch so kleine Leben achten und ehren?

Schwach lauschte er den Geräuschen, die Hanbal machte und plötzlich wurde er im Nacken gepackt.

„Ich werde dir Respekt beibringen! Du wirst erst wieder das Tageslicht erblicken, wenn du Demut gegenüber den Göttern gelernt hast!“, zischte der Pharao und zog einen Zeremoniendolch, den er vorher in einen Kräutersud gelegt hatte, kraftvoll quer über Chaths Augen. Dieser schrie gellend auf, als die Klinge durch seine Augäpfel schnitt und riss sich los, nur um dann zu Boden zu krachen. Er wimmerte und zitterte vor Panik, da er nichts mehr sah. Er spürte die Flüssigkeit und das Blut über sein Gesicht laufen.
 

Ausar hörte den gellenden Schrei und er war froh, dass Amsus Bewusstlosigkeit zu tief war. Da der Prinz außer Lebensgefahr war, eilte er dorthin, wo er den Schrei lokalisiert hatte und blieb wie angewurzelt stehen, als er Chaths wie ein Haufen Elend am Boden zittern sah, zusammengekrümmt wie ein Kleinkind. Seine Augen wanderten zu Hanbal. „Was hast du getan?“, wollte er mit mühsam beherrschter Stimme wissen.

„Er wird erst wieder sehen können, wenn er Demut den Göttern gegenüber gelernt hat!“, kam es trocken von dem Pharao, als er den Zeremoniendolch zur Seite legte. Ausar atmete tief durch, als er begriff, was passiert war. „Mein Pharao, ich erinnere dich daran, dass es dir nicht zusteht solche Strafen zu verhängen! Verlasse im Morgengrauen mit Amsu den Tempel! Du hast dich erst wieder Chaths zu nähern, wenn Amsu den Thron besteigt!“, donnerte Ausars Stimme bedrohlich durch den ganzen Tempel. Er war außer sich vor Wut über Hanbals Anmaßung.

Mit zitternden Händen und beruhigende Worte murmelnd, trat der Hohepriester an seinen Schüler, hob ihn auf die Arme und trug ihn behutsam in seine Räume, um ihn zu versorgen.

Kapitel III

Chaths stöhnte leise, als er wach wurde. Langsam setzte er sich auf und griff sich an den Kopf. Als seine Hände den Verband berührten, der ihm um die Augen lag, stockte er.

„Wie ich sehe, bist du wach“, erklang Ausars warme Stimme und der Hohepriester näherte sich dem Schlaflager. „Wie fühlst du dich, Chaths?“, wollte er wissen, doch Chaths zuckte beinahe hilflos mit den Schultern. „Wie geht es Amsu?“, fragte er besorgt dagegen.

Ausar setzte sich zu Chaths und atmete tief durch. „Es geht ihm gut. Er hat genauso wenig wie du schwere Verletzungen davon getragen. Die Knochen sind alle heil“, erklärte er ruhig.

„Wie kann das sein? Ich hab doch gesehen, wie er auf den Boden aufgeschlagen ist und die ganzen Felsen der Schale...“, raunte Chaths besorgt. Der Hohepriester schwieg eine Weile. „Die Götter sahen in euren Handeln dasselbe wie ich: Jugendliche Unbekümmertheit. Ihr wolltet niemanden schaden oder verhöhnen. Deshalb haben sie euch geschützt.“

Chaths dachte über die Worte nach und nickte dann verstehend. Langsam legte er seine Hände auf seine Beine ab und schien in Gedanken versunken. Er ließ die Ereignisse Revue passieren.

„Was bedeutet Demut?“, fragte er dann schließlich und wirkte sehr müde. Ausar schluckte leicht. „Es gibt viele Bedeutungen, doch in einem Punkt sind sie alle gleich. Demut ist die Fähigkeit sich zu unterwerfen und jemanden anderen als höherwertig anzuerkennen, ohne dabei sich und seinen Überzeugungen zu verraten.“

Chaths legte den Kopf schief und runzelte die Stirn. „Was meinte der Pharao damit, dass ich Demut den Göttern gegenüber lernen soll?“, fragte er nach, weil er es nicht so recht verstand.

„Ich nehme an, er meint damit, dass du die Götter als solche akzeptierst, sie nicht mehr verhöhnst oder verleugnest und ihnen Respekt entgegenbringst. Und dass du lernst, dein Haupt zu beugen.“

Chaths schluckte, als er diese Worte hörte. Tränen liefen stumm über sein Gesicht und nickte dann. „Verstehe. Ich werde nie wieder sehen können, richtig?“

Der Hohepriester atmete tief durch und ließ seinen Blick schweifen. „Erzähl mir, was passiert ist, Chaths“, bat er schließlich.

Chaths schwieg lange und Ausar dachte schon, dass er keine Antwort mehr bekommen würde, als der Jüngling tief durch atmete.

„Ich habe mich gefragt, ob die Ma'at sich bewegt. Und da haben wir beschlossen, dass wir es herausfinden wollen. Wir sind hoch geklettert. Und da hat sich Amsu gefragt, ob wir etwas in den Schalen finden würden. Er kletterte als erstes hinunter und da bebte die Ma'at schon. Ich hab ihn gebeten, dass er wieder zurückkommen soll, doch er sprang auf die Schale und zeigte mir, dass sie stabil ist, in dem er immer wieder auf und ab sprang. Und dann brach er durch. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte ihn retten und bin dann auch an der Kette hinuntergeklettert, obwohl ich wusste, dass sie mein Gewicht nicht auch noch halten würde. Es tut mir leid, aber ich wollte ihn retten. Ich wollte ihn nur helfen... Da riss die Kette und wir fielen in die Tiefe.

Plötzlich stand der Pharao vor mir und wollte wissen, wessen Idee das war. Ich habe es ihm gesagt und warum. Da fragte er mich, ob mir nichts heilig wäre. Ich wusste nicht, was er meinte, habe gesagt, dass wir doch nichts gemacht haben. Wir sind doch nur auf Steinen geklettert.“ Chaths stockte und schluckte schwer. Er begann zu zittern, als er die Fußtritte wieder zu spüren schien. „Er hat mich zu Boden geworfen und mit Fußtritten in irgendeinen Raum getrieben. Dann packte er mich und zog die Klinge über meine Augen. Er sagte, dass ich erst wieder sehen werde, wenn ich Demut gegenüber den Göttern lerne oder so. Ausar, was habe ich falsch gemacht? Ist er böse auf mich, weil ich die Kette zum reißen gebracht habe und Amsu dadurch in die Tiefe flog?“, wollte Chaths zum Schluss leise, beinahe verzweifelt wissen und Ausar wusste nicht, was er dazu sagen sollte.

„Ich weiß es nicht, Chaths. Ich kann es dir leider nicht sagen, wofür er dich bestraft hat. Er hat zu mir auch nur gesagt, dass du erst wieder sehen wirst, wenn du Demut gegenüber den Göttern gelernt hast. Solche Strafen darf er aber nicht erteilen. Sie werden nur von den Göttern persönlich verhängt.“ Chaths schluckte. „Also werde ich nie wieder sehen?“, fragte er mit erstickter Stimme. „Es tut mir leid, Chaths. Vermutlich wirst du nie wieder sehen, denn die Strafe kam nicht von den Göttern - es sei denn, sie erbarmen sich deiner.“

Chaths lachte bitter auf. „Wir wissen beide, dass dies niemals der Fall sein wird. Warum sollten sie sich auch meiner erbarmen? Ich bin doch nur ein Straßenköter...“

Ausar nahm den Jüngling fest in seine Arme. „Versuch ihnen zu vertrauen. Bitte, Chaths. Es gibt so viele Götter. Es muss doch einen geben, den du vertrauen kannst“, raunte er leise und Chaths lehnte sich Trost suchend an den Älteren. „Wer will sich denn mit mir abgeben?“, schluchzte er leise.

Sanft streichelte Ausar den Heranwachsenden durchs Haar. „Pass auf, Kleiner. Ich bring dir jetzt Essen und trinken. Dann legst du dich wieder hin und schläfst. Wenn du wieder fit bist, wirst du weiter deine Aufgaben lösen und du machst dir Gedanken.“

Chaths nickte leicht und kuschelte sich noch enger an den Hohepriester. „Wie soll ich das machen?“

Ausar lächelte leicht. „Höre auf dein Herz. Der Gott, den dein Herz dir zuflüstert, bittest du um Hilfe.“

Chaths schwieg eine Weile. Er beruhigte sich langsam und atmete tief durch. „Anubis...“, murmelte er dann. Ausar hob verwirrt eine Augenbraue. Warum ausgerechnet Anubis? „Dann kannst du ihn ja direkt fragen. Wir haben hier einen Anubis stehen“, schmunzelte er jedoch und Chaths nickte.

Da löste sich der Hohepriester von dem Jüngeren und erhob sich. „Ruh dich aus. Ich bring dir essen und trinken“, sagte er und verließ den Raum.
 

Chaths verließ zögernd und tastend sein Zimmer. Er war soweit wieder fit und sollte erst einmal den Dreck wegräumen, den er und Amsu hinterlassen hatten. Er wusste zwar noch nicht, wie er das schaffen sollte, aber so hatte er etwas zu tun.

Er redete kaum noch und duckte sich immer weg. Er versuchte unsichtbar zu werden und hatte angst etwas falsch zu machen. Da auch Ausar ihm nicht wirklich erklären konnte, für was er bestraft wurde, war er nun komplett verunsichert und scheu.

Langsam tastete er sich durch die Räume und die Tempel und trat schließlich auf den Platz des Totengerichts raus. Tief atmete er die Luft ein und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht.

Schließlich erreichte er den Geröllhaufen. Vorsichtig tastend griff er einen größeren Stein und schaffte ihn zur Seite. Nach und nach bekam er Übung darin und seine Griffe und Schritte wurden sicherer. Die ganze Zeit ließ er sich Ausars Worte durch den Kopf gehen und er kam zum Schluss, dass er keinen Gott um Hilfe bitten würde, da es für ihn offensichtlich war, dass der Pharao ihn nicht mehr in der Nähe von Amsu haben wollte. Emotional fühlte er sich leer.

Während er so in Gedanken versunken war, ließ er seine Finger behutsam über den Boden gleiten. Er stieß gegen etwas Weiches. Leicht runzelte er die Stirn und legte leicht den Kopf schief, während er dieses weiche Etwas langsam abtastete. Da wurde er angezüngelt und er spürte die hauchfeine Berührung einer Schlangenzunge. „Oh... sei gegrüßt“, raunte er leise und tastete nun behutsam den Körper ab, aber er schien unverletzt. „Du kannst schlecht hier liegen bleiben. Ich muss das Geröll aufräumen und da kann ich dich aus versehen verletzen“, erklärte er leise, während er die Schlange einfach auf die Arme nahm und sie vorsichtig zu dem Geröll trug, das er zur Seite geräumt hatte. „Hier hast du auch Sonne und bist nicht in Gefahr, verletzt zu werden“, sagte Chaths behutsam, als er die Schlange wieder ablegte. Dann wandte er sich um und ging seiner Arbeit nach.
 

Ausar war besorgt. Chaths hatte sich seit dem Vorfall komplett in sich zurückgezogen und schien seinen Lebenswille verloren zu haben. Noch immer war der Hohepriester sauer auf den Pharao.

Chaths versuchte alles richtig zu machen. Er gab keine Widerworte und fragte auch nicht mehr. Es schien, als ob er seine Stimme verloren hat.

Leise seufzend trat er auf den Gerichtsplatz, eine Trinkschale für den Jungen tragend. Da stockte er plötzlich, als er sah wie Chaths Finger sich etwas dunklem näherten. Ausar verengte seine Augen misstrauisch und zog dann scharf die Luft ein. Chaths tastete da gerade eine Uräusschlange ab. Keine Frage, die Kobra war wunderschön und erstrahlte im seltenen Schwarz, aber dennoch. Das Gift war tödlich!

Nun musste sich der Hohepriester festhalten, als er sah, wie Chaths die Schlange behutsam auf die Hände hob und sie vorsichtig wegtrug. Da die Kobra die ganze Zeit entspannt blieb und nur neugierig züngelte, sah sie in Chaths wohl keine Gefahr. Und dies wiederum ließ Ausar nur noch nachdenklicher werden. Der Junge schien nicht nur in sich zu ruhen, sondern war ohne jegliche Arglist. Chaths ging respektvoll und äußerst behutsam mit dem Lebewesen um, was tatsächlich nicht selbstverständlich war. Der Hohepriester fragte sich, was Hanbal denn eigentlich genau verlangte, denn Chaths brachte Demut und Respekt jedem Lebewesen entgegen.

Still stellte er die Trinkschale ab und zog sich wieder zurück. Er musste das Orakel befragen!
 

Chaths horchte auf. Irgendwas hatte ihn geweckt und so setzte er sich langsam auf. Gespannt lauschte er und da war es wieder! Jemand rief nach ihm. Leise und flehend. Chaths runzelte die Stirn. Er erhob sich und schlich sich vorsichtig durch die Räume, den Rufen folgend und stockte, als er auf den Platz des Totengerichts trat.

„Amsu? Was machst du denn hier?“, fragte er leise. Amsu, der zwischen Anubis Beinen verharrte, atmete erleichtert auf. „Chaths. Wie geht es dir?“, rief er leise. Chaths näherte sich dem Prinzen langsam. „Bis auf, dass ich dank dem Pharao nichts mehr sehe, geht es mir gut. Was machst du hier?“

Amsu biss sich auf die Lippen. „Chaths, ich muss weg. Papa will, dass ich die Weihe des Thronfolgers erhalte.“ Verwirrt legte Chaths den Kopf etwas schief. „Ja und wo ist das Problem? Du bist doch der rechtmäßige Thronerbe und es war doch so oder so geplant oder habe ich etwas verpasst?“

Amsu zögerte und ließ seinen Blick hektisch gleiten. Ihm war klar, dass jeder Moment, den er zu lange hier verbrachte, dafür sorgen konnte, dass sein Vater ihn erwischte. Allerdings wollte er nicht ohne Chaths gehen und der verlangte nun einmal eine Erklärung.

„Ja, ich bin Erbe und Thronfolger, aber Papa will, dass ich die Weihe in drei Tagen bekomme und nicht wie vereinbart zur Sonnenwende. Ich bekomme das Zeichen meines Gottes eintätowiert und in einer Zeremonie werde ich dem Volk als Erbe von meinem Vater vorgestellt. Derjenige, der mir das Zeichen meines Gottes tätowiert, wird dann bis zu meinem Tod an meiner Seite als mein Freund, Kamerad und Berater stehen. Und mein Vater will, dass es jemand anderes macht als du. Und ich will, dass du es machst. Er will, dass ich das Zeichen des Ra bekomme, aber ich fühle mich Ra nicht verbunden.“

Chaths Mundwinkel zuckten minimal. „Ich geh Vorräte holen“, meinte er trocken und betrat wieder den Tempel. Er ging dabei an Ausar vorbei, der sich im Schatten verborgen hielt und alles gehört hatte. Der Hohepriester war gespannt, wie sich das alles entwickeln würde. Und vor allem konnte er sich vorstellen, was auf ihn zukam. Er rechnete nach Amsus Worten mit dem Pharao bei Sonnenaufgang.
 

Tatsächlich war Hohepriester Ausar soeben mit dem Morgengebet fertig, als er in der Ferne eine Staubwolke sich nähern sah. „Oha, kleiner Amsu. Dein Vater will es wissen“, murmelte er amüsiert und ging ein Frühstück vorbereiten.

Es dauerte auch nicht lange, als er energische Schritte in den Hallen des Tempels hörte. „Hohepriester Ausar!“, donnerte Hanbals Stimme durch die Anlage und Ausar atmete tief durch.

„Was ist dein Begehr, Pharao?“, trat er also mit kühlem Blick vor dem Neuankömmling. „Amsu soll die Weihe erhalten und ist weggelaufen. Führe mich zu ihm!“

Ausar musste sich ein leises Lachen verkneifen. „Warum denkst du, dass er hier ist?“ Hanbal erdolchte Ausar mit seinen Blicken. „Weil du vielleicht einen Köter beherbergst, den er toll findet?“

Nun verengte Ausar seine Augen. „Ich dulde nicht, dass du über Chaths so redest! Warum habe ich nichts von der Weihe erfahren? Chaths muss darauf vorbereitet werden.“

Der Pharao hob herrisch eine Hand. „Hohepriester Ausar, Chaths wird weder die Weihe durchführen noch der Begleiter von Amsu werden. Amsu benötigt einen reifen Berater und Beschützer und keinen dahergelaufenen Köter, der ihn nur in Gefahr bringt!“

Tief atmete Ausar ein und nickte. „Verstehe. Amsu wirst du hier aber nicht finden. Er ist nicht da. Ich hab ihn auch das letzte Mal gesehen, als du mit ihm abgereist bist.“

Gefährlich verengte der Pharao seine Augen. „Ich glaube dir nicht! Soll ich alles durchsuchen lassen?!“

Ausar neigte nur leicht sein Haupt. „Ich stehe dir nicht im Weg!“

Kapitel IV

Fasziniert beobachtete Amsu Chaths und seine Schlange. Ja, er war sehr erschrocken gewesen, als Chaths mit einem Sack Vorräte zurückkam und dann zu einem Geröllhaufen gegangen war und tatsächlich nach einer Schlange griff und ihr eine Art Ledergeschirr anlegte.

Und nun schlängelte die Kobra vorweg und Chaths folgte ihr auf den Fuß, hatte er ja eine dünne Leine an dem Ledergeschirr befestigt und hielt diese in der Hand.

Als die Sonne am höchsten stand, machten sie Pause. Sie teilten sich das essen und auch die Kobra bekam ein Ei und Wasser. Nach zwei Stunden Rast zischelte die Kobra und sie setzten ihren Weg wieder fort. Sie redeten kaum miteinander, weil sie ein jeder in ihren eigenen Gedanken vertieft waren.

Die Nacht verbrachten sie unter dem freien Sternenhimmel eng aneinander gekuschelt und Amsu musste sich sehr überwinden, die Kobra in ihrer direkten Körpernähe zu akzeptieren.

So waren sie tatsächlich drei Tage unterwegs, als sie schließlich einen alte, verlassene Tempelruine des Aton fanden.

Als sie drei auf den Vorplatz standen, beugte sich Amsu ohne nachzudenken zur Kobra runter und nahm ihr das Geschirr ab.

„Ich würde sagen, wir bleiben hier, Chaths. Es ist ein alter verfallener Tempel des Aton“, erklärte der Prinz leise und Chaths nickte. „Wir brauchen essen und trinken, wenn wir hier bleiben wollen“, gab er zu bedenken.

„Ich weiß. Lass uns mal in die Hallen und die Wohnräume gehen und schauen, ob und was wir finden“, meinte Amsu und zog Chaths hinter sich her.
 

„Amsu? Wenn die Götter so toll sind und es so wichtig ist, den Göttern zu huldigen. Warum kann es dann dazu kommen, dass Tempel einfach so verlassen und sich selbst überlassen werden?“, fragte Chaths nach einer Weile, als sie schon eine gefühlte Ewigkeit durch die Ruinen wanderten.

Amsu blieb stehen und ließ seinen Blick gleiten. Das war eine wirklich gute Frage. „Ich weiß es nicht, Chaths. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass jeder Pharao anders entscheidet, welcher Gott es wert ist, dass man ihm einen Tempel widmet oder ihn mehr huldigt“, versuchte der Prinz zu erklären.

„Aber warum? Ich meine die Götter verändern sich doch nicht. Sie sind doch heute genau dieselben wie vor Ewigkeiten. Warum müssen denn immer so viele Tempel errichtet werden? Reicht denn nicht ein einziger?“, harkte Chaths nach. Amsu senkte den Blick. „Ich weiß es nicht. Vielleicht fragen wir da mal Ausar“, schlug er vor und Chaths nickte leicht. „Einverstanden. Hast du nun schon etwas gefunden, wo wir bleiben können?“, fragte er dann nach und Amsu wiegte den Kopf. „Also wir haben kein Dach über den Kopf, aber wir können uns eine Ecke gemütlich herrichten“., schlug er vor und Chaths lächelte spitzbübisch. „Dann los. Ich bin müde.“ Amsu lacht schallend auf und gemeinsam richteten sie sich ein Lager her.
 

Am nächsten Morgen schlug Chaths die Augen auf und streckte sich genüsslich. Er atmete tief die frische Luft ein und erhob sich langsam. Vorsichtig tastete er sich durch die Ruinen, bis er die freie Wüste betrat und vom warmen Wüstenwind ergriffen wurde. In diesen Moment fühlte sich der Junge frei von allen Verpflichtungen.

Plötzlich stutzte er und neigte leicht den Kopf. Er hörte Fußschritte im Sand, die sich ihm langsam näherten. „Amsu?“, fragte er leicht verunsichert. Ein sanftes Lachen war die Antwort.

„Nein, mein Name ist nicht Amsu. Mein Name ist Anpu und ich bin ein Wanderer. Ist es mir erlaubt einige Tage hier zu rasten?“

Chaths runzelte die Stirn und lauschte der Stimme und den Worten nach. „Wenn Amsu damit einverstanden ist...“, nickte er schließlich und wandte sich um. Langsam tastete er sich wieder in den Tempel zurück.

„Amsu, wir haben Besuch!“, rief er laut. „So lange wie deine Schlange ihn mag, ist mir alles egal!“, kam es zurück gemurrt und Chaths lachte leise. Es hörte sich so an, als ob Amsu noch am schlafen war. Er deutete in Richtung Amsus Stimme. „Dort ist unser Schlaflager. Allerdings musst du dir deinen Platz selber herrichten“, sagte er zu Anpu und der Wanderer nickte leicht. „Verstanden. Ihr seid Flüchtlinge?“, fragte er vorsichtig.

„Wir sind Pilger und auf Bildungsreise“, trat Amsu langsam näher und musterte den Wanderer prüfend. Irgendetwas war an diesem Mann, der scheinbar mittleren Alters war, unheimlich. Ja beinahe mystisch, um nicht zu sagen göttlich. Oder es wirkte nur so, weil das Gesicht des Fremden ihn an irgendeinen Gott erinnerte, nur wusste er nicht an welchen.

Der Fremde verzog seine Lippen sanft zu einem Lächeln. „Mein Name ist Anpu. Und ihr seid?“ Amsu schnaubte abfällig. „Ich bin Amsu, der zukünftige Pharao und das hier ist Chaths, mein Hohepriester.“

Anpu lachte leise auf. „Warum trägt dein Hohepriester nicht die Insignien und auch bei dir sehe ich nirgends Zeichen, dass du einen Hohepriester an deiner Seite hast.“

Chaths schmunzelte sanft. „Wie Amsu bereits sagte, wir sind auf Pilgerreise. Ich hab erst vor kurzen das Augenlicht verloren und nun müssen wir uns neu kennenlernen. Vor allem, weil ich ihn tätowieren soll. Ich muss erst lernen ohne Augenlicht zu schreiben“, erklärte Chaths ruhig. „Verstehe“, neigte Anpu anerkennend sein Haupt. „Soll ich euch behilflich sein, als Dank dafür, dass ich hier bei euch rasten darf?“

Amsu zögerte und blickte zu Chaths, der wiederum nur hilflos mit den Schultern zuckte. Schließlich nickte der junge Prinz. „Wir nehmen das Angebot dankend an!“

Anpu lächelte und folgte dann Amsu zu dem Schlaflager, um sich eine eigene Schlafstelle herzurichten. Dann verabschiedete er sich von den beiden Jungs und ging jagen.
 

Die Sonne ging unter, als die Drei an einem Lagerfeuer saßen und gemeinsam von der Gazelle speisten, die Anpu erlegt hatte.

„Warum wurdest du geblendet?“, wollte da Anpu direkt wissen und Chaths stockte. Er zögerte und biss sich auf die Lippen. „Spielt das eine Rolle?“, fragte Amsu bedrohlich. Anpu blickte kühl den jungen Prinzen an und seine Augen funkelten kalt. „Ja, das spielt sehr wohl eine Rolle. Denn so wie ich es sehe, wurde er in einem Ritual geblendet und das bedeutet, dass er große Schuld auf sich geladen hat!“

Ungläubig starrte Amsu den Älteren an, während Chaths keuchte. Er fing an zu zittern und Tränen liefen stumm über seine Wangen. Hilflos schlang er seine Arme um sich und Amsu wusste nicht, was er nun tun sollte. Schließlich nahm er Chaths tröstend in die Arme und hielt ihn fest. „Wir haben nichts getan!“, fauchte er beinahe mit rauer Stimme.

Anpu hob beschwichtigend die Hand. „Bitte erzählt, was passiert ist“, bat er leise.

Chaths räusperte sich und begann leise zu erzählen von der Idee auf die Ma'at zu klettern und was dann passiert war. Er erzählte wie sie wohl von den Göttern beschützt worden waren, da sie ohne Verletzungen davon gekommen sind, er erzählte von Pharao Hanbal, wie er wirklich sauer war und ihn dann geblendet hatte. Dann erzählte er von Ausar und was dieser gesagt hatte.

Anpu hörte schweigend zu und nickte schließlich sehr ernst. „Der Pharao hat seine Befugnisse überschritten. Es stand ihm nicht zu, dich zu blenden.“

Da lachte Amsu leise auf. „Soweit waren wir auch...“, sagte er und begann dann zu erzählen wie sein Papa ihn zugesichert hatte, dass Chaths sein Hohepriester werden würde und es sich dann anders überlegt hatte. Er erzählte wie er zu Chaths geflohen war und dass er wollte, dass Chaths ihn seinen Gott eintätowierte. Ihn als Thronfolger in einem Ritual legitimierte.

Erneut hörte Anpu zu und nickte diesmal beinahe amüsiert. „Und welchen Gott fühlst du dich gehörig?“, wollte er leise wissen.

Da regte sich Chaths leise. „Aton. Amsu fühlt sich Aton gehörig. Und ich... Anubis“, erklärte er ruhig.

Tief atmete Anpu ein. „Verstehe. Eine sehr interessante Kombination. Fehlt eigentlich nur noch ein Leibwächter in eurem Bunde der Seth oder Apophis gehörig ist“, stellte er fest.

„Niemals!“, entfuhr es Amsu. „Die beiden sind böse!“, zischte er und Chaths hob verwirrt eine Augenbraue. „Wie kommst du darauf?“, wollte er wissen. „Seth tötete seinen Bruder Osiris und verriet seinen Geliebten Horus, in dem er ihn den Thron rauben wollte!“, erklärte Amsu beinahe empört und Chaths legte leicht seinen Kopf schief.

„Aber Amsu, die Überlieferung, dass Seth seinen Bruder Osiris getötet haben soll wurde doch nur von den Menschen erdacht. Und zwar von einem Pharao, der die Verehrung Seths unterbinden wollte. In den alten Überlieferungen, die noch älter als diese Geschichte von dem Brudermord ist, wird berichtet, dass Osiris schlichtweg im großen Fluss ertrunken ist. Mehr nicht. Seth hat damit überhaupt nichts zu tun. Und Seth ist der Beschützer Ras. Er sorgt dafür, dass Ra jeden Tag aufs neue seine Bahn in unserer Welt ziehen kann. Und Apophis ist so alt wie die Götter selber, wenn nicht sogar noch älter. Es gibt keine wirklichen und verlässlichen Überlieferungen zu Apophis!“, predigte Chaths beinahe und Amsu starrte ihn ungläubig an. „Woher weißt du das alles?“, wollte der Prinz wissen. „Das weiß doch jedes Kind“, kam es nur trocken zurück, was Anpu amüsiert lachen ließ.

Amsu jedoch schwieg nachdenklich über das Gehörte. „Kein Gott ist besser als der andere!“, kam er zur Erkenntnis und Chaths nickte. „Meine Worte.“
 

Am nächsten Morgen wanderte Chaths schon bei Sonnenaufgang in den Ruinen der großen Tempelhallen. Er lief die Wände entlang und tastete mit seinen Fingern die Einkerbungen ab. Schließlich kam er an einen Altar und er bemerkte ein Zeichen, dass sich sehr oft wiederholte. Geduldig fuhr er mit den Fingern über die Einkerbungen und begann sie sich einzuprägen.

„Das ist das Zeichen für Aton“, erklang ruhig die Stimme von Anpu und Chaths zuckte leicht zusammen. „Ich hab dich nicht gehört...“, raunte er und Anpu lachte leise. „Wenn ich es nicht will, kann mich niemand hören. - Du versuchst dir die Zeichen einzuprägen. Kannst du denn überhaupt lesen und schreiben?“, fragte der Wanderer ruhig. Chaths schüttelte beschämt den Kopf.

Anpu nickte und ließ seinen Blick über die Wände gleiten und stockte dann. „Chaths, weißt du wie diese rituelle Weihe abläuft? Weißt du, was du tun und was du sagen musst? Wie und was du Amsu tätowieren musst?“, fragte er ruhig und erneut schüttelte Chaths den Kopf.

„Ich weiß nicht, ob ich der Richtige bin. Ich halte nichts von den Göttern und soll sogar ein Hohepriester werden! Ist das nicht so etwas wie eine Verhöhnung der Götter?“, fragte er leise.

Amsu trat dazu und räusperte sich leise. „Chaths... ich hab noch nie solch ehrliche Worte gehört. Noch nicht einmal von Priestern. Meinst du nicht, dass es nur auf dein Herz ankommt? Es ist doch egal ob du an die Götter glaubst, sie liebst oder hasst. Was zählt ist doch unterm Strich, dass du dir zum Schluss, wenn du vor dem großen Gericht stehst, nichts vorwerfen musst und nichts bereust“, meinte der Prinz und Chaths dachte nach und wiegte den Kopf. „Du meinst, dass wir alle vor dem Totengericht stehen werden?“, fragte er dann und Amsu nickte überzeugt. „Genau das!“

Anpu beobachtete die beiden und lauschte den Worten und leicht neigte er anerkennend seinen Kopf. „Sehr gute Worte, Prinz. Chaths, wirst du Amsu weihen und an dessen Seite stehen?“, fragte er dann ernst.

„Wenn Amsu es wünschst, werde ich es tun“, antwortete Chaths schlicht, was Amsu vor Freude aufjauchzen ließ und Chaths in seine Arme zog. Dieser lachte amüsiert auf und erwiderte die feste Umarmung.

Anpu nickte. „Dann haben wir nur das Problem, dass du Amsu erst weihen darfst, wenn du die Weihe von deinem Gott erhalten hast, Chaths.“

Chaths runzelte die Stirn. „Und wie funktioniert das? Was muss ich tun?“

Amsu schaute nun ebenfalls fragend zu Anpu, denn das hatte er nicht bedacht. Anpu lächelte nachsichtig. „Entweder er wird von einem Priester geweiht oder er lässt sich von seinem Gott weihen“, erwiderte er ruhig. „Und woher will er ganz ohne die alten Lehren wissen, welcher Gott der seinige ist? Ja, er hat Anubis erwählt, aber woher weiß er, dass Anubis der Richtige ist?“, fragte Amsu sofort und neugierig.

Chaths lachte leise. Waren es genauso seine Fragen und Bedenken, die Amsu da aussprach. Anpu nickte nur verstehend zu den Fragen.

„Wie Hohepriester Ausar bereits gesagt hat, soll Chaths einfach nur auf sein Herz hören. Und wenn Anubis nicht der Richtige ist, dann wird er sich weigern Chaths zu weihen und als seinen Diener zu zeichnen“, erklärte Anpu ruhig.

Beide Jungen schwiegen und dachten nach. Amsu nickte als Erster. „Gut, dann habe ich keine Sorgen mehr, dass etwas falsch laufen könnte“, sagte er ernst. Anpu schmunzelte. „Auch du, junger Prinz kannst dich von deinem Gott persönlich zeichnen lassen“, schlug er vor, doch Amsu schüttelte energisch den Kopf. „Nein! Chaths soll mich weihen!“

Nun lachte Chaths leise auf. „Keine Angst, Amsu. Ich werde dich weihen. Anpu, wie trete ich mit Anubis in Kontakt?“, wollte er wissen und Anpu zuckte mit den Schultern. „Das musst du selber herausfinden. Tut mir leid.“

Chaths seufzte leise und ließ seine Schultern hängen, während Amsu sich nachdenklich umblickte. „Ich hab dir doch von dieser Tempelanlage des Anubis erzählt, Chaths. Ich denke, dort werden wir ihn rufen können“, überlegte der junge Prinz. Chaths hob seinen Kopf und sein Gesicht erhellte sich. „Das ist eine super Idee! Weißt du, wie wir dahin kommen? Und wie lange dauert es?“

Amsu wiegte den Kopf hin und her, während er nachdachte. „Wir müssen den großen Fluss erreichen und von da kann ich dich zu dem Tempel des Anubis bringen.“

Chaths nickte. „Dann sollten wir Vorräte vorbereiten und dann mit dem neuen Sonnenlauf aufbrechen!“
 

Als die Sonne am nächsten Tag aufging, verabschiedeten sich die beiden Jungs von Anpu, der amüsiert beobachtet hatte, wie Chaths der Kobra, die auf den Namen Apophis hörte, eine Art Ledergeschirr anlegte.

Lange blickte er den beiden und der Schlange, die an einem Lederriemen vor Chaths her schlängelte, nach. „Wir sehen uns wieder...“, murmelte er warm und fragte sich, was wohl Apophis dazu sagen würde, wenn er wüsste, zu was sich eines seiner Geschöpfe herabließ.

Kapitel V

Ausar ließ sich nicht stören als Hanbals Leibgarde die gesamte Tempelanlage auf den Kopf stellte. Im Gegenteil, er genoss sein Frühstück und beobachtete das Geschehen amüsiert.

„Du hast deinen Spaß?“, trat Hanbal grollend dazu und griff nach einer Traube. „Mein Pharao, ja, ich habe tatsächlich großen Spaß... Setz dich und iss. Ich möchte dir gerne eine Geschichte erzählen...“, bat er und der Pharao setzte sich aufseufzend zu Ausar und begann zu essen.

Der Hohepriester schmunzelte und trank vom Traubensaft.

„Es war einmal ein junger Prinz. Er wuchs sehr streng und konservativ auf. Von früh bis spät musste er lernen. Lesen, schreiben, rechnen. Er musste die Geschichte des Reiches beherrschen und auch die Geschichte der Götter. Er lernte die Rituale und er sollte mit sehr jungen Jahren den Thron besteigen. Seine Eltern liebten ihn. ABER er durfte nie Kind sein. Er wusste nicht, wie man spielte und wie es außerhalb der Palastmauern aussah oder zuging.

In einem Anflug von Aufbegehren schlich er sich aus seinen Gemächern und verließ den Palast. Er huschte zu dem Tempel und sah sich mit großen Augen um. Dort traf er auf einen Tempeldiener und gemeinsam zogen sie in die Welt“, begann Ausar leise.

Hanbal hielt in seiner Bewegung inne und blickte seinen Hohepriester mit flackerndem Blick an.

„Warum willst du mir die Geschichte von uns beiden erzählen?“, wollte er kühl wissen.

Ausar ließ seinen Blick gleiten. „Weil du dich im Moment so verhältst, wie dein Vater und deine Lehrer. Du bist im Moment so, wie du es nie werden wolltest. Angefangen mit der Bestrafung eines jungen Mannes, der nichts Falsches getan hat“, erklärte er ruhig.

„Amsu war hier...“, stellte der Pharao fest und Ausar nickte.

„Ja, er war hier und war komplett verzweifelt. Er war verstört, weil du plötzlich gesagt hast, dass er in drei Tagen die Weihe erhalten soll und nicht erst zur Sonnenwende. Außerdem sollte er die Weihe von jemanden anderen als Chaths bekommen. Und er will nicht Ra als seinen Gott haben. Er hat Chaths überredet, ob er mitkommt. Sie sind gemeinsam unterwegs.“

Hanbal brauchte einen Moment, um die Information zu verdauen und runzelte die Stirn. „Der Straßenjunge kann wieder sehen?!“, fragte er ungläubig. Der Hohepriester schüttelte den Kopf. „Nein. Es ist auch fraglich, ob er je wieder sein Augenlicht erhalten wird.“

Der Pharao schluckte und blickte tatsächlich beschämt zur Seite. „Ich habe nicht nachgedacht. Es ist einfach so über mich gekommen... Es tut mir leid.“

Ausar erhob sich und atmete tief durch. „Sag es ihm und nicht mir. Sie sind auf einer Reise. Selbstfindungsphase. Chaths wird von seinem Gott die Weihe erhalten und Amsu wird die Weihe von Chats erhalten. Akzeptiere es und denk bitte darüber nach. Dein aktuelles Verhalten könnte die Prophezeiung vom Orakel wahr machen.“

Hanbal schluckte trocken. „Weißt du, wo sie hin sind?“ Ausar schmunzelte. „Versuchen wir unser Glück doch mal beim Tempel des Anubis...“
 

Chaths stockte leicht, als es unter seinen Füßen nicht mehr knirschte. „Wo sind wir?“, fragte er nervös. „Keine Angst. Wir erreichen das Ufergebiet des Nils. Wir haben die Wüste hinter uns“, erklärte Amsu und beobachtete nun die Kobra, die auf einmal flußaufwärts strebte. Chaths folgte direkt dem Zug und Amsu blieb keine andere Wahl, als sich anzuschließen.

Nach eine Weile erreichten sie eine kleine Felsgruppe, die von einigen Bäumen und Sträuchern eingerahmt war und direkt am Fluss lag. Die Kobra verharrte und zischelte leise. Daraufhin nahm Chaths ihr das Geschirr ab und tastete sich zu seinem Felsen, an dem er sich seufzend nieder ließ.

Amsu seufzte und blickte sich um. „Ich versuche ein paar Fische zu fangen, einverstanden?“, fragte er unsicher.

Sie hatten fast vier Tage gebraucht, um den Nil zu erreichen und während dieser Zeit hatte Chaths kein einziges Wort gesprochen. Dies verunsicherte Amsu und er stellte die ganze Reise und auch sein Handeln in Frage.

„Amsu... mach dir nicht zu viele Gedanken. Du vergisst, dass ich mein Augenlicht verloren habe. Es ist sehr anstrengend für mich, verstehst du?“ erklang da sanft Chaths Stimme und der Kronprinz lächelte. „Es tut mir leid. Du läufst so trittsicher, da vergesse ich immer wieder diese Tatsache. Wenn ich ein paar Fische gefangen bekomme, würde ich vorschlagen, dass wir uns einige Tage hier ausruhen. Oder was meinst du?“

Chaths lachte leise auf. „Ich bin dafür. Amsu, ich bin kaputt und wäre nicht abgeneigt, hier einige Tage zu verweilen. Und was die Fische angeht... Lass uns doch Seth fragen, ob er uns was beschaffen kann.“

Der junge Prinz hob fragend eine Augenbraue. „Seth?! Wie kommst du denn auf ihn?“ - „Er ist Herr über den Nil... und wenn ihr alle darauf besteht, dass diese Götter wirklich existieren... frage ihn. Vielleicht hilft er uns...“, spottete Chaths.

Nun grinste Amsu diabolisch. „Da gibt es nur ein Problem. DU wirst Hohepriester, also musst DU die Götter fragen... also? Dann frag mal Seth, ob er uns helfen mag!“

Chaths holte tief Luft und plusterte die Backen empört auf. „Wie du willst!“, zischte er erbost. „Seth! Wir haben Hunger!“, flaumte der Junge und dem Prinzen blieb der Mund offen stehen. „Du kannst doch nicht so mit einem Gott reden!“

Chaths schnaubte. „Du siehst doch, wie ich das kann. Seth, wir wollen auch ein Dach über den Kopf!“, maulte er weiter.

Da tauchte plötzlich wie aus dem Nichts ein kauerndes Wesen mit einer langen gebogenen Schnauze und aufrecht stehenden und beschnittenen Ohren auf. Seinen an der Spitze gespaltener Schwanz peitschte amüsiert hin und her. Amsu wich einen Schritt zurück und stieß mit dem Baum hinter sich zusammen.

„Ein Feuer wäre auch nicht schlecht und etwas Obst. Ach ja, Eier und Mäuse für Apophis!“, zählte Chaths weiter auf.

Amsu blieb die Luft weg, als das Wesen sich langsam in eine menschliche Gestalt wandelte und ihm war klar, wer vor ihm und neben Chaths stand, der wirklich genervt aussah. Ob das gut ging?
 

„Hohepriester Chaths?“, sprach Seth den Jüngling an. „Ich bin kein Hohepriester!“, kam es da auch schon angefaucht. Chaths hatte sich zwar bei der Ansprache erschrocken, da aber seine Schlange ruhig blieb, blieb er auch sitzen und beschloss, seinen ganzen Unmut, an den Fremden auszulassen, in der Hoffnung, dass sie schnell wieder alleine waren.

Amsu jedoch rutschte langsam am Baum auf den Boden und starrte auf die beiden, zu keinem Ton fähig!

„Verzeih, aber mir wurde berichtet, das du ein Erwählter und Hohepriester bist“, erwiderte Seth nun ruhig. Erneut schnaubte Chaths abfällig. Er erhob sich, wandte sich Seth zu und holte tief Luft.

„Erstens: Wäre es mir neu, dass ich ein erwählter bin. Zweitens: Kann ich kein Hohepriester sein, weil ich dafür die Weihe erhalten muss, welche ich noch nicht habe! Drittens: Woher weißt du, wer ich bin und viertens: Ich habe Hunger, bin müde und will meine Ruhe haben!“

Seth lächelte nachsichtig und legte sanft eine Hand auf Chaths Haupt. „Wehr dich nicht dagegen“, raunte er leise. „Ihr seid auf den Weg, damit du deine Weihe bekommst. Das allein berechtigt dich ein Hohepriester zu sein. Erlaube mir euch Proviant zu geben.“

Chaths zuckte leicht zusammen, als er die Hand auf seinem Kopf spürte und wurde dennoch ganz ruhig. Wärme durchflutete seinen Körper und er schloss seine Augen, spürte dem Gefühl nach. Zaghaft nickte er schließlich. Seth neigte minimal sein Haupt und küsste Chaths auf die Stirn. „Viel Glück auf eurer Reise und wir sehen uns wieder!“, raunte er und verschwand.

Im gleichen Moment tauchte eine eingerichtete Hütte auf und Fleisch, Fisch und Obst im Überfluss.

Amsu ließ langsam seinen Blick gleiten und ja... Daran könnte er sich wirklich gewöhnen, wenn man von der Tatsache absah, dass er bis zu diesen Moment selber auch nicht wirklich daran geglaubt hatte, dass die Götter existierten.

Chaths blinzelte verwirrt, als Seth einfach verschwunden war und wandte sich dann in Richtung Amsu. „Amsu? Was war denn das?“, wollte er verwirrt wissen.

Der junge Prinz schluckte trocken. „Ich glaube du wurdest erhört... Magst du etwas essen?“

Kapitel VI

Ausar blickte zur Sonne, die hoch am Horizont stand. „Ich will mich nicht beschweren, Hanbal, aber dir ist schon bewusst, dass wir vom Wasser weg reiten? Um den Tempel zu erreichen, müssen wir zum Wasser hin reiten.“

Der Pharao schmunzelte leicht. „Das ist mir sehr wohl bewusst, aber wenn ich mich schon auf so eine Reise herablasse, dann können wir doch wie früher auch einen Umweg machen. Ich denke, es würde mir ganz gut tun, mal einige Zeit nicht im Palast zu sein“, meinte er und der Hohepriester hob amüsiert eine Augenbraue. „Das ich das noch einmal erleben darf...“, grinste er frech. „Wenn wir weiter in diese Richtung reiten, erreichen wir einen alten Tempel des Aton. Willst du durchreiten bis heute Abend?“

Hanbal blickte sich um und schaute sich die Pferde an. Sie wirkten noch sehr frisch. „Wir reiten durch. Wir reiten ja gemütlich“, erklärte er ruhig und Ausar schüttelte amüsiert den Kopf. Nach all den Jahren hatte der Pharao es tatsächlich geschafft ihn zu überraschen. Nicht nur, dass er zum Tempel des Anubis reiten wollte, um Chaths persönlich seinen Segen zu geben, nein; er hatte auch seine Leibgarde heimgeschickt und nun wollte er sogar einen Umweg reiten. Oh wie erinnerte ihn das an ihre Jugendzeiten, als Hanbal noch nicht den Thron bestiegen hatte und die Welt gefühlt noch in Ordnung war.
 

Anpu horchte auf und lauschte den Wind. „Das ist ja interessant...“, murmelte er leise und erhob sich. Langsam trat er an den Rand der Ruine und schaute in die Wüste. Er sah sich zwei Reiter nähern und lachte leise auf. „Das wird amüsant...“, murmelte er und ging wieder zurück. Er entfachte ein kleines Feuer und bereitete Essen zu. Erwartungsvoll blickte er nun den beiden Reitern entgegen.
 

Da ritten der Pharao und der Hohepriester in den Hof der Tempelruinen und hielten ihre Pferde verblüfft an, als sie Anpu an einem Feuerchen sitzen sahen.

„Seid mir willkommen, oh Pharao“, grüßte Anpu und erhob sich stolz.
 

Hanbal ritt sein Pferd bis direkt vor Anpu und musterte diesen beinahe angewidert. „Ein Landstreicher wie du hast dich vor mir in den Staub zu werfen!“, erwiderte er auf den Gruß.

Ausar jedoch erbleichte minimal, als er diesen vermeintlichen Landstreicher erkannte und ein warnender Blick hielt ihn davon ab, seinen Pharao aufzuklären.

„Pharao, verzeih, aber ich verneige mich vor niemanden, also auch nicht vor dir.“, erwiderte Anpu amüsiert. Und dieses Amüsement ließ Hanbal stutzen. Er verengte seine Augen und ließ sofort seinen Blick suchend gleiten.

„Du wirst den jungen Pharao und seinen Hohepriester hier nicht finden.“

Hanbals Blick zuckte wieder zu Anpu und bevor er noch recht nachdenken konnte, war er schon vom Pferd gesprungen, hatte Anpu am Kragen gepackt und sein Säbel lag gefährlich an Anpus Kehle.

„Was hast du mit ihnen gemacht?!“ zischte der Pharao unbeherrscht und Ausar vergrub das Gesicht beschämt in seine Hände.

„Ich darf dich daran erinnern, dass du dich gerade wie ein ungestümer Jüngling verhältst.“, murmelte Ausar leise, noch bevor Anpu antworten konnte.

Hanbal hob spöttisch eine Augenbraue. „Ach, tu ich das? Wäre es da nicht deine Aufgabe, mich daran zu hindern?“, schoss er zurück. „Mache ich das nicht gerade?“

Der Pharao schnaubte und gab Anpu wieder frei. „Du lässt nach, alter Freund“, stellte er fest, was dem Hohepriester laut auflachen ließ. „Ich konnte ja nicht wissen, dass du zu so etwas noch fähig bist.... so eingestaubt wie du bist“, spottete er dagegen.

Hanbal seufzte und neigte sein Haupt vor Anpu. „Bitte verzeih mein Verhalten, ich mache mir nur Sorgen um meinen Sohn – und seinem Begleiter“, versuchte er zu erklären und Anpu schmunzelte nachsichtig. „Vergeben und vergessen. Versorgt eure Pferde und dann seid meine Gäste. Ihr müsst erschöpft sein“, lud er die beiden ans Feuer ein.
 

Mitten in der Nacht, trat Ausar aus den Ruinen und etwas in die Wüste hinein. Er blickte in den Nachthimmel und hing seinen Gedanken nach.

„Was bedrückt dich, Hohepriester?“, trat Anpu neben Ausar und wank ab, als dieser sich verneigen wollte.

„Die beiden sind auch auf dich getroffen?“, fragte der Hohepriester dagegen. Anpu lachte leise amüsiert auf. „Er hat die Schlange Apophis getauft. Ich bin gespannt, was Apophis dazu sagen wird“, schmunzelte er und Ausar lachte leise. „Apophis also... er wollte mir nicht sagen, wie er die Schlange getauft hat. Wird er sein Augenlicht wieder bekommen?“

Anpu schwieg eine Weile. „Wenn er sich Apophis unterwirft, ja. Nur er ist in der Lage dem Jungen das Augenlicht zurückzugeben.“

Ausar stockte und wurde blass. „Unterwerfen?“, keuchte er auf und Anpu nickte sehr ernst. „Ja, unterwerfen. Wenn er die Weihe von Apophis bekommt, wird er unterworfen.“

„Du wirst ihn nicht weihen?“ wagte sich Ausar vor und Anpu lächelte nachsichtig. „Ihr werdet sehen, von wem er geweiht wurde. Apophis, Seth und Aton. Eine sehr interessante Konstellation.“

Der Hohepriester runzelte die Stirn und musterte Anpu eine Weile. „Was weißt du?“, verlangte er zu wissen.

„Der Pharao muss sich sehr beeilen, wenn er die Weihe seines Sohnes verhindern möchte“, war nur die kryptische Antwort.
 

Die Sonne stand hoch, als es Hanbal zu bunt wurde. „Ausar, was ist los? Du bist so schweigsam und in dich gekehrt.“, wollte er von seinem besten Freund wissen. „Was wäre, wenn Chaths von Apophis geweiht wird?“, wollte Ausar da leise wissen.

Die Augen des Pharaos weiteten sich vor Entsetzen. „Das ist nicht dein Ernst! Ausar, sag mir, dass das nicht dein Ernst ist! Weißt du, was das bedeutet, wenn die beiden einmal uneins sind? Das gibt Chaos! Apophis und Aton... Die Dunkelheit und das Licht...“

Ausar lächelte wehmütig. „Genau das bereitet mir Sorge. Amsu benötigt einen Beschützer, Seth, der ihn vor der Dunkelheit des Apophis schützt“, erklärte er leise und dann verfielen beide in Schweigen, die Pferde nun zu einem höheren Tempo antreibend.

Kapitel VII

„Amsu, ich kann nicht mehr“, murmelte Chaths leise. Nachdem sie zwei Tage am Fluss Rast gemacht hatten, waren sie nun sieben Tage unterwegs gewesen und Chaths war am Ende. Er litt immer mehr darunter, dass er nichts sehen konnte.

Amsu hielt inne und blickte besorgt zu seinem Freund. „Halt noch etwas durch, Chaths. Ich kann den Eingang des Tempels schon sehen. Wir sind gleich da.“

Chaths nickte leicht seufzend und flog fast auf die Nase, als seine Schlange plötzlich anfing zu ziehen und immer schneller wurde. Chaths strauchelte immer wieder bei der Geschwindigkeit. Amsu folgte verblüfft und doch leicht amüsiert. Anscheinend war der Schlange die Wärme zu viel.

Nach einer knappen halben Stunde betraten die drei den Tempel und Chaths seufzte erleichtert auf. Er ließ sich an der Wand einfach niedergleiten und entfernte dann Apophis das Geschirr.

Amsu ließ sich neben seinen Freund in den Staub fallen und lehnte sich gegen das kühle Gestein, während er Chaths etwas zu trinken reichte. „Wir sind da“, frohlockte er müde.

Chaths lächelte erleichtert und trank gierig. Dann gab er seiner Schlange noch etwas und reichte den Wassersack wieder Amsu. „Erstmal ausruhen, dann gehen wir in den Tempel“, schlug er vor, während er es sich schon bequem machte und erschöpft einschlief.

Amsu beobachtete seinen Freund besorgt. Dieser war blass und eingefallen und eigentlich gar nicht mehr in der Lage zu stehen, geschweige denn zu laufen. „Oh ihr Götter, bitte gebt ihm das Augenlicht wieder zurück...“ murmelte er inbrünstig, während stumme Tränen über sein Gesicht liefen.
 

„Und du bist dir sicher, dass wir im richtigen Tempel sind?“, fragte Chaths wohl zum hundertsten Mal, als sie nun schon mehrere Stunden in den kargen Räumlichkeiten umherirrten.

„Ja, bin ich!“, erwiderte Amsu genervt. „Ich frag ja nur, weil ich in den Inschriften, die ich bis jetzt erfühlen konnte nicht einmal den Namen Anubis ertasten konnte“, kam es leicht zynisch zurück.

Amsu verengte sein Augen gefährlich und blickte sich um. „Wir müssen nur tiefer!“, schnappte er bissig und bog in den nächsten Gang ein. Chaths zuckte nur mit den Schultern und folgte einfach Amsus Schritten. Dabei stellte er fest, dass sie wohl immer tiefer ins Erdreich gelangten.

Schließlich hielten sie vor einem Eingang und Amsus Augen leuchteten auf, da auf den Steintafeln das Totengericht verzeichnet war. Ohne nachzudenken öffnete er den Eingang zur Kammer und trat ein.

Chaths folgte und stockte minimal. Es roch nach Tod! Langsam traten die beiden Jugendliche immer tiefer in die Kammer. Amsu zündete ein Öllicht an und war gelinde gesagt irritiert. „Merkwürdig...“, murmelte er, was seinen blinden Freund unruhig werden ließ. „Was ist?“, wollte er wissen.

Der junge Prinz blickte sich um. „Das hier ist die letzte Kammer, aber hier stehen nur einige Sarkophage und Kanopen. Keine Ma'at“, meinte er verwirrt und Chaths brauchte einen Moment, bis er begriff. „Wir sind falsch!“, stöhnte er auf und schlug seine Hand an die Stirn. „Wir sind in keinem Tempel, wir sind in einer Grabanlage!“

Amsu blinzelte verdutzt. „Ja, aber das würde ja heißen, dass wir die Totenruhe stören.“ Chaths schnaubte und begann dann sich tastend umzuschauen. „Korrekt. Schau mal, ob es noch was essbares gibt!“, befahl er.

„Was?! Das können wir nicht machen, das wäre Raub! Der Tote braucht die Nahrung, um auf seiner Reise durch die Verdammnis nicht zu hungern!“

Chaths atmete tief durch und mahnte sich zur Ruhe. „Amsu! Der Kerl ist TOT! Der kann nicht mehr hungern oder sterben oder was auch immer! Und so lange wie der hier wohl liegt, dürfte er schon mehrere Male durch die Verdammnis und die Brücke der Seligkeit überquert haben! Also such, ob es was essbares gibt!“ zischte er leise.

„Chaths, nein! Das ist Frevel! Das ist eine Sünde! Wir würden unser Seelenheil verlieren! Wir...“ - „Amsu, dann habe ich mein Seelenheil schon vor Ewigkeiten verloren! Was glaubst du, warum ich auf der Straße überhaupt überleben konnte? Ich habe mich von den Grabbeilagen ernährt“, unterbrach Chaths den jungen Prinz.

„Das ist nicht wahr! Du lebst noch! Und die Götter lieben dich!“, entfuhr es Amsu fassungslos.

„Falls du Honig findest, den nehme ich!“, überging Chaths einfach diesen Ausruf und begann nun vor den entsetzten Augen seines Freundes die gesamte Grabkammer zu untersuchen und fand tatsächlich Honig, getrocknete Früchte und Trockenfleisch.

„So, jetzt können wir wieder gehen. Ich bevorzuge es unter dem Sternenhimmel zu speisen“, spottete Chaths und verließ die Kammer.

Amsu folgte direkt, schloss die Grabkammer wieder und schließlich setzte er sich neben Chaths draußen in den Wüstensand. „Du isst das nicht wirklich? Das ist nicht unser Eigentum!“

Leise grollend führte Chaths ein Stück vom Trockenfleisch zu seinem Mund und biss ein Stück ab. „Lecker!“, spottete er und Amsu fühlte sich alles nur nicht wohl dabei.

„Ich glaube, ich werde mich von jemand anderem weihen lassen“, meinte der Prinz da plötzlich. „Du hast keinen Respekt vor den Toten und dem Eigentum von fremden Leuten.“

Chaths verharrte und seine blinden Augen wanderten zu Amsu. „Sagt der, der sich gegen Regeln auflehnt, nicht auf andere hört, immer nur seinen Kopf durchsetzen will, wegläuft vor seinen Verpflichtungen und in seinem ganzen Leben noch nicht einmal hungern musste!“, erwiderte er gefährlich leise.

Amsu sprang empört auf. „Ich weiß sehr wohl, was Hunger ist!“, brauste er auf. „Wie oft hat mein Papa mich ohne Essen ins Bett geschickt, wenn ich nicht gehört habe!“

Chaths fletschte leicht angenervt die Zähne. Doch bevor er antworten konnte, trat eine Gestalt aus dem Schatten und auf die Jungs zu. „Ich wünsche einen angenehmen Abend. Darf ich mich zu euch setzen?“

Amsu musterte den vermummten Mann. „Ja, natürlich. Sei unser Gast.“

„Nein!“, kam es zeitgleich von Chaths, der sich überhaupt nicht wohl fühlte.

„Ignoriere Chaths. Er muss noch Respekt lernen“, sprach Amsu unbewusst die Worte seines Vaters nach.

Chaths keuchte auf über diese Anmaßung von Amsu. „Apophis!“, donnerte er daher und schon kam die Schlange angeschlängelt – ungläubig beobachtet von der vermummten Gestalt.

„Wo willst du hin?“, wollte Amsu alarmiert wissen, als er sah, wie Chaths der Schlange das Ledergeschirr anlegte.

„Nach Hause, Respekt lernen!“, grollte Chaths bebend vor Wut, Enttäuschung und unbeschreiblichen Hass.

Amsu lachte gehässig auf. „Du vergisst, dass du blind bist! Du kommst nicht weit. Du bist auf mich angewiesen!“, meinte er herablassend.

Chaths schwieg dazu und da schlängelte seine Schlange los. Er folgte dem Zug und hoffte, dass Apophis ihn nach Hause führte.
 

Ungläubig blickte Amsu den beiden nach, wie sie in der Nacht verschwanden. „Möchtest du ihn nicht aufhalten? Er wirkte sehr verletzt“, meldete sich der Vermummte zu Wort. Amsu schüttelte trotzig den Kopf. „Nein, er wird nicht weit kommen und morgen früh wird er angekrochen kommen!“, behauptete er und musterte nun seinen Gast. „Was treibt dich hier her?“, wollte er ruhig wissen. „Ich bin auf dem Weg zu einem Tempel, einen Priesteranwärter suchen. Und ihr?“, antwortete der Gast.

Amsu seufzte. „Wir waren auch auf dem Weg zu einem Tempel, damit Chaths seine Weihe bekommt. Allerdings sind wir falsch“, erklärte er zerknirscht.

Der Fremde gluckste leise. „Ihr ward nicht wirklich hier in der Grabanlage, oder?“ - „Ja sehr witzig. Wir haben alle gelacht!“, murrte der Prinz. „Wir waren sogar in der Grabkammer! Und da hat er den Toten beraubt! Die ganzen Lebensmittel hat er mit genommen!“, echauffierte er sich.

„Ist das denn so schlimm?“, wollte der Fremde behutsam wissen. „Natürlich ist das schlimm! Die Lebensmittel sind dazu da, dass der Tote nicht Hungern muss auf der Reise ins Totenreich! Und auch dort keine Not leiden muss! Er hat nur gelacht und gemeint, dass er durch solch einen Raub überlebt hat! Und behauptet, dass ich nicht weiß, was Hunger ist! Er ist respektlos, achtet nicht das Eigentum anderer und er ist ein Dieb!“

Der Fremde blickte lange in die Ferne, während er über all das nachdachte, was Amsu gesagt hatte.

„Warum ist er blind?“, wollte er dann wissen und Amsu erzählte ihm von ihren Abenteuer.

„Hm... wessen Idee war es denn, in die Schalen der Ma'at zu klettern?“ Amsu stutzte leicht. „Meine Idee, warum?“

Der Fremde schien weiter nachzudenken. „Warum hast du nicht auf ihn gehört, als er dich mehrmals bat, wieder hochzuklettern?“, wollte er wissen. Amsu schwieg und der Fremde lächelte nachsichtig.

„Mein Prinz, wenn man es genau nehmen will, hat Chaths wegen deinem Übermut, deiner Ignoranz und Egoismus sein Augenlicht verloren. Und diese Ignoranz hat ihn gerade wieder vertrieben. Du hörst nicht zu... Es existiert nur deine Welt und deine Meinung. Warum verurteilst du jemanden, der es nicht besser weiß? Der es nie anders gezeigt bekommen hat? Und ja, mein Prinz, er hat Recht. Du weißt nicht, was Hunger ist.“

Amsu war beschämt und dann auch wieder beleidigt. Er wollte immer wieder aufbrausen, doch irgendwas an dem Fremden unterband dies. „Wer bist du und woher willst du das wissen?!“, fauchte er seinen Gast an und dieser ließ zur Antwort seine Hüllen fallen. „Ihr niederen Geschöpfe nennt mich Apophis. Prinz, möchtest du, dass Chaths dich weiht?“ wollte der Gott wissen.

Amsu starrte komplett entgeistert sein Gegenüber an und war zu keiner Reaktion fähig. Er schluckte trocken und nickte dann zaghaft.

Apophis lächelte sanft. „Dann, Amsu, wirst du dich jetzt auf den Heimweg machen. Sobald Chaths die Weihe von mir erhalten hat, wirst du wieder im Palast sein!“, sprach er mystisch und verschwand.

Amsu starrte an den Fleck und griff nach dem Wasser. Nur um festzustellen, dass Apophis alle Vorräte mitgenommen hatte. „Nein!“, stöhnte er genervt auf. Musste er halt so nach Hause. Was ja kein Problem war, schließlich wusste er ja, wie es war, wenn man mal kein Essen bekam.
 

Hanbal lag ganz unköniglich im Sand auf den Rücken. Seine Arme waren unter seinem Kopf verschränkt und er schaute in den Himmel.

„Ausar, du bist dir sicher, dass sie hier her kommen wollen?“, rief er leise, als er sah, dass sein Hohepriester mit beten fertig war.

„Unsere Bekanntschaft war Anubis persönlich. Und er hat bestätigt, dass die beiden hier her unterwegs sind“, erwiderte er und trat neben den Pharao. „Warum zweifelst du?“

Hanbal zuckte mit den Schultern. „Wir warten jetzt seit drei Tagen hier und es ist noch immer nichts von ihnen zu sehen.“

Ausar wiegte bedächtig den Kopf. Sein Freund hatte Recht und tatsächlich wurde er innerlich auch langsam unruhig.

„Dieser Tempel ist der Einzige weit und breit zwischen hier und dem Tempel des Atons. Es gibt nur noch vereinzelte Grabstätten“, überlegte er. „Aber sie werden ja nicht gerade in einer dieser Grabstätte landen...“ Ausar stockte. Auch Hanbal saß mit einem Ruck kerzengerade. „Die beiden sind auf die Ma'at geklettert...“, erwiderte der Pharao nur trocken und musste dann laut lachen, denn Ausar begann zu fluchen und alles und jeden zu verwünschen, während dieser zu seinem Pferd eilte und es sattelte.

Hanbal hätte sich nie träumen lassen, dass sein bester Freund und Weggefährte so die Fassung verlieren kann.

Nur wenige Minuten später rasten sie auf ihren Pferden in Richtung der ersten Grabstätte.

Sie fanden den Ort, wo die Jungs gerastet hatten, aber die beiden fanden sie nicht. Nun wurden sie nervös. Irgendetwas musste vorgefallen sein und so fächerten sie sich etwas auf und ritten in Richtung Fluss, auf jede Spur oder Veränderung in der Landschaft achtend.

Nach drei Tagen fanden sie Amsu, ausgemergelt und bewusstlos. Sofort flößte Ausar dem Prinzen Flüssigkeit ein und als dieser zu sich kam, wurde er mit einem Brei gefüttert.

Weitere vier Tage später erreichten sie den Palast, wo Ausar sich nun komplett um Amsu kümmerte und ihn wieder gesund pflegte.

Kapitel VIII

Chaths runzelte immer wieder die Stirn, als er so seiner Schlange folgte. Am Stand der Sonne erkannte er, dass sie nicht nach Hause liefen. „Wo führst du mich hin, Apophis?“, fragte er leise und seufzte erleichtert auf, als seine Schlange im Schatten eines Felsens Rast machte.

Chaths setzte sich und atmete schwer. Er gab Apophis etwas Wasser und lehnte sich dann an den Felsen.

Er legte seinen Kopf in den Nacken und dachte nach. Er verstand nicht, warum Amsu so verärgert gewesen war und so grübelte und grübelte er und fand doch keine Lösung.

Und immer wieder musste er schniefen. Er stellte alles in Frage, auch die Freundschaft von Amsu. War es denn überhaupt eine Freundschaft? Hatte Amsu ihn denn nicht nur für seine Zwecke benutzt? Es hatte so wehgetan, als Amsu aus heiterem Himmel sagte, dass er nicht mehr von ihm geweiht werden wollte. Was sollte er jetzt tun? Er wusste es nicht.

Plötzlich stockte er. Er spürte wieder diese furchteinflößende Präsenz. „Was willst du?“, grollte er bedrohlich und Apophis trat in den Schatten. „Darf ich mich zu dir setzen?“, fragte der Gott leise. Am liebsten hätte Chaths nein gesagt, doch seine Schlange züngelte ihn wie beruhigend an und so seufzte er leise und nickte nur.

Apophis lächelte warm. „Danke“, raunte er und setzte sich neben Chaths, diesen komplett in seine dunkle Aura hüllend, damit der Junge sich daran gewöhnen konnte.

Chaths erschauerte, als er so eingehüllt wurde und Panik wollte sich seiner bemächtigen.

„Wehr dich nicht dagegen, Chaths. Mach dich mit dieser Dunkelheit vertraut. Atme ruhig und akzeptiere sie, heiße sie willkommen“, befahl Apophis leise.

„Wer bist du?“, fragte Chaths zögernd. „Ich höre auf den Namen Apophis.“ stellte der Gott sich vor und musste grinsen, als er das schamvolle Zusammenzucken des Jünglings sah. „Ja, ich war sehr überrascht, dass du sie Apophis getauft hast. Es freut mich aber auch, dass du ohne Vorurteile zu sein scheinst und jedes Lebewesen achtest. Sie mag dich.“

Chaths streichelte sanft den Kopf seiner Schlange, während er zuhörte und musste dann scheu lächeln. „Ich mag sie auch. Sie ist wirklich lieb und hilft mir wo sie nur kann“, nickte er. Und dann schwieg er, um wieder nachzudenken.

„Darf ich dich was fragen?“, begann er nach einer Weile und Apophis nickte leicht. „Frag.“

„Ist es wirklich so schlimm? So verwerflich? Ich meine, sie sind tot und brauchen die Lebensmittel nicht mehr.“

Apophis ließ seinen Blick gleiten und überlegte kurz, wie er es Chaths am besten beibringen sollte.

„Stell dir vor du baust ein eigenes Haus. Mit deinen eigenen Händen und bezahlst mit dem Geld, was du dir hart erarbeitet hast“, begann er geduldig und Chaths nickte.

„Du richtest dich ein. Und du legst dir einen Vorrat für schlechte Zeiten an. Wenn nun jemand Fremdes einfach in dein Haus kommt, um sich zu bedienen, was dann?“

Der Jüngling legte den Kopf schief. „Das darf er doch nicht. Das ist mein Eigentum!“, erklärte er. Der Gott nickte. „Das ist korrekt. Was aber, wenn du nicht da bist? Wenn du auf Reisen bist. Der Fremde wird sich sagen, da du ja eh nicht da bist, kann er sich bedienen.“

Chaths runzelte die Stirn. „Nein, kann er nicht. Nur weil ich nicht da bin, ist das immer noch mein Eigentum!“

Erneut nickte der Gott lobend. „Richtig. Und genauso ist es mit den Grabbeilagen. Nur weil sie tot sind, also im Moment nicht da sind, kannst du dich nicht einfach so bedienen. Schließlich haben die Toten zu ihren Lebzeiten hart für ihre Grabstätten arbeiten müssen“, erklärte er ruhig.

Chaths schluckte betroffen. „Oh, tut mir leid. Ich wusste das nicht.“

Apophis lächelte. „Ich weiß... Möchtest du noch immer an Amsus Seite sein? Sein Hohepriester werden und ihn weihen und treu zur Seite stehen?“

Der Jüngling stockte leicht. „Ich... Ja, eigentlich schon, aber er will mich nicht mehr...“, erklärte er leise und vergrub aufschluchzend sein Gesicht in die Schlange.

Der Gott schüttelte amüsiert den Kopf über das so untypische Verhalten der Kobra. Dann musterte er diesen jungen und doch so alten Mann. „Amsu will dich als seinen Hohepriester und Freund. Und er möchte von dir die Weihe erhalten. Und du wirst mein Diener werden. Ich werde dich zu meinem Priester machen. Allerdings wirst du dich vorher der Ma'at stellen. Dein Herz muss rein sein, sonst kannst du nicht gerecht mit meiner Macht umgehen“, erklärte Apophis ernst.

Chaths schluckte leise. „Aber Ausar hat gesagt, ich soll den Gott erwählen, dessen Name mir mein Herz zuflüstert. Und das ist Anubis...“, wagte er vorsichtig einzuwenden.

Apophis nickte anerkennend. „Ich schlage dir vor, dass du vor die Ma'at trittst. Wenn dein Herz gewogen ist und du dich immer noch Anubis zugehörig fühlst, dann wirst du dessen Diener. Einverstanden?“

Chaths strahlte warm, als er nickte. „Einverstanden.“
 

Chaths schrie leise auf, als Apophis ihn packte und er einen Zug spürte. Als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, spürte er sofort, dass er überall war, nur nicht in einem Tempel. Er spürte so viel Macht, so viel Dunkelheit und alles, was nicht irdisch wirkte.

Chaths keuchte leise auf und begann zu zittern. Apophis legte beruhigend eine Hand auf Chaths Schultern und drückte sie warm.

So beruhigte sich der Jüngling und ließ nun die Atmosphäre auf sich wirken. Da stockte er, als sich ihm jemand langsam näherte.

Chaths runzelte die Stirn. „Anpu?“ fragte er leise und seine Stimme klang so dumpf und leise.

Anubis blieb stehen und schmunzelte. „Ja, Anpu... oder Anubis“, erklärte der Gott ruhig.

„Wie ich sehe bist du nun hier, um dich von der Ma'at prüfen zu lassen?“

Chaths nickte zaghaft. „Ja. Apophis meinte, ich muss es tun, damit ich meine Weihe bekomme, um Amsu zu weihen“, erklärte er und schien wie in den Raum zu lauschen.

„Ich bin nicht in diesen Tempel, richtig?“

Anubis nickte, während er seinen Blick gleiten ließ. „Das ist korrekt. Da du als Diener des Apophis in Frage kommst, wirst du so geprüft werden, wie eine verstorbene Seele“, erklärte er.

„So richtig mit Osiris als Richter und den ganzen anderen Götter als Zeugen?“, fragte der Junge ungläubig.

„Korrekt.“ Chaths runzelte die Stirn. „Und was passiert, wenn... wenn mein Herz nun schwerer ist als die Feder?“

Da räusperte sich Apophis leise. „Es wird dir nichts passieren. Nur wirst du dann nicht mein Diener werden und auch die Weihe nicht bekommen“, erklärte der Gott ruhig.

Chaths nickte verstehend. „Ok. Dann los?“, schlug er vorsichtig vor.

Apophis legte nun beide Hände schwer auf Chaths Schultern und hielt ihn fest, während Anubis nun näher trat.

Langsam drang seine Klaue in Chaths Oberkörper ein. Der Jüngling weitete seien Augen entsetzt, als er die Klaue in seinen Körper spürte. Er wurde panisch und versuchte sich zu wehren, doch Apophis hielt ihn unerbittlich fest. „Ruhig, Kleiner. Wehr dich nicht dagegen. Dir passiert nichts“, raunte Apophis sanft.

So beruhigte sich der Junge langsam und Anubis schloss seine Klauen um das warme, schlagende Herz des Jünglings. Sanft nahm er das Herz aus der Brust und brachte es zur Ma'at, um es dort in die eine Schale zu legen. Dann nahm er die Feder der Ma'at und legte sie in die andere Schale.
 

Instinktiv wusste Chaths, was nun zu tun war. Aus irgendeinem Grund spürte er, dass sein Herz in der Waagschale der Ma'at lag.

Er löste sich von Apophis und trat vorsichtig einige Schritte vor. Er atmete tief durch.
 

„Gruß dir, du Größter Gott, Herr der Vollständigen Wahrheit!

Ich bin nicht freiwillig zu dir gekommen, mein Herr, ich bin geholt worden, um deine Vollkommenheit zu schaun.

Ich kenne dich nicht, und ich kenne deinen Namen nicht, ich kenne die Namen dieser 42 Götter nicht, die mit dir sind in dieser Halle der Vollständigen Wahrheit, die von denen leben, die zum Bösen gehören, und sich von ihrem Blut nähren an jenem Tag, an dem Rechenschaft abgelegt wird vor Osiris“, begann Chaths mit voller Stimme zu sprechen. Und nicht nur Apophis Augen weiteten sich bei den Worten, die der Junge da von sich gab.

„Ich habe viele Götter beleidigt.

Ich habe kein Waisenkind um sein Eigentum gebracht.

Ich habe Dinge getan, was die Götter verabscheuen.

Ich habe keinen Diener bei seinem Vorgesetzten verleumdet.

Ich habe anderen Schmerz zugefügt und ich habe niemanden hungern lassen, ich habe viele Tränen verursacht.

Ich habe nicht getötet, und ich habe nicht zu töten befohlen; einigen habe ich aber ein Leid angetan.

Ich habe die Opferspeisen in den Tempeln vermindert und die Götterbrote angetastet;

ich habe die Opferkuchen der Verklärten fortgenommen“, sprach Chaths weiter.
 

Apophis musste sich ein Lachen verkneifen und auch Anubis schmunzelte. Der Gott brauchte nicht zur Ma'at zu schauen, um zu sehen, dass die Feder schwerer war als das Herz des Jungen. Denn dieser sprach die Worte aus dem Totenbuch, die vorgeschrieben waren, während das Herz gewogen wurde. Aber nicht auswendig gelernt, sondern der Wahrheit angepasst. Und er sprach die reine Wahrheit. Er war grundehrlich.

Selbst der schlimmste Sünder würde die Prüfung des Herzens bestehen, wenn er ehrlich wäre und all seine Taten gestehen würde.

Osiris hatte alles schweigend beobachtet und nickte schließlich. Er erkannte das Urteil der Ma'at an. So brachte Anubis das Herz wieder zu Chaths und legte es ihn behutsam in die Brust.

„Du wurdest gerichtet und für rein befunden!“, sprach Anubis und über den Herzen von Chaths entstand eine goldene Ma'at.

„Ich bezeuge es und akzeptiere das Urteil“, sprach Anubis weiter und legte seine Hand auf Chaths Stirn, wo sich die feinen Linien eines Schakalkopfes zwischen den Augenbrauen bildeten. Dann trat der Gott zurück und Chaths drehte sich instinktiv zu Apophis um.

„Wirst du mein Diener werden?“, wollte der Gott ruhig wissen und der Junge horchte in sich, lauschte dem Herzen.

Unmerklich nickte er. „Ja, ich will“, raunte er und da trat Apophis an ihn ran und legte seine Hände auf Chaths Augen.

Chaths schrie gellend auf, als glühender Schmerz durch seinen Körper raste.

Kapitel IX

Ausar trat in den Palastgarten und näherte sich langsam Amsu. Der Kronprinz verweigerte im Moment jede Kooperation mit jedem. Verstehen konnte der Hohepriester es. Schließlich hatte Hanbal seinen Sohn ein Versprechen gegeben und war es nun einfach am ignorieren. Amsu sollte die Weihe erhalten, aber von einem Priester, den Hanbal ausgesucht hatte.

Der Pharao ließ da nicht mit sich reden. Nun sollte Amsu von den Priestern vorbereitet werden, doch dieser weigerte sich in einer Tour und ging sogar Hanbal aus den Weg, ja ignorierte diesen rigoros.

„Amsu?“, sprach er den jungen Prinzen leise an. Dieser schaute auf und musterte Ausar. Und während er noch am überlegen war, ob er Ausar ignorieren oder einfach weggehen sollte, warf er sich in die Arme des Hohepriesters und fing an zu weinen.

„Chaths, ich vermisse ihn. Was ist, wenn ihm was passiert ist?“, rief er beinahe verzweifelt aus.

Ausar schlang seine Arme tröstend um den Prinzen und seine Augen weiteten sich minimal vor Entsetzen. Sie alle hatten vergessen mit Amsu zu reden, ihn zu fragen, was passiert war, was er erlebt hatte und warum sie getrennt waren. Sie alle waren froh, Amsu lebend zu finden und ihn sicher nach Hause zu bringen, hatten es einfach so hingenommen, dass Chaths nicht dabei war – schließlich war er nur ein Straßenkind und nicht zuverlässig. Hanbal hatte sich nur bestätigt gefühlt.

„Was ist passiert, Amsu? Warum warst du alleine?“, wollte Ausar leise wissen und schalt sich innerlich einen Tor. Sie hatten vergessen, dass Amsu noch ein Kind war. Hatten nur an sich gedacht.

Amus schniefte leise und blickte dann zu Ausar auf.

„Wir wollten zum Tempel des Anubis, damit Chaths seine Weihe bekommt. Aber wir... ich habe mich verlaufen. Wir fanden eine Grabstätte anstatt des Tempels und drangen da ein und dann waren wir in der Grabkammer und Chaths hat die essbaren Grabbeilagen genommen und dann haben wir uns gestritten und dann tauchte Apophis auf und dann ist Chaths gegangen. Ich... Ich hab ihn verletzt und beleidigt und vertrieben! Dabei ist er doch blind!“, erzählte der junge Prinz und weinte wieder.

Ausar war blass geworden und das Herz setzte aus. Chaths... Sie hätten auch nach ihm suchen müssen! Er war blind und somit leicht Beute! Bei den Göttern! Wie konnte er nur! Chaths war ihm anvertraut worden! Ausar war so unendlich schlecht und nur mit Mühe konnte er sich wieder auf Amsu konzentrieren, der sich gerade soweit beruhigt hatte, dass er weiter erzählte.

„Apophis hat mit mir geredet und mich gefragt, ob ich Chaths noch immer als meinen Hohepriester haben will. Ich sagte ja und da meinte er, ich soll nach Hause gehen. Chaths würde die Weihe erhalten, wenn ich zu Hause ankomme“, erklärte er weiter.

„Verstehe...“, murmelte Ausar und dachte siedend heiß nach. Was sollte er jetzt tun?

„Amsu... ich sorge dafür, dass Chaths dein Hohepriester wird und dass du die Weihe wie versprochen zur Sonnenwende bekommst. ABER, dafür musst du nun mit den anderen Priestern zusammenarbeiten und dich unterrichten lassen. Sie werden dir alles beibringen, was du wissen musst. Einverstanden?“

Der junge Prinz blickte auf und schaute fest in Ausars Augen.

„Aber ich will Chaths!“

Ausar musste sich ein Seufzen verkneifen.

„Amsu. Chaths wird jetzt selber ausgebildet werden und kann dich da leider nicht unterweisen. Dein Vater wurde auch von den alten Priestern unterrichtet und eingewiesen, weil ich auch erst ausgebildet werden musste“, erklärte er ruhig und Amsu nickte.

„Einverstanden!“, sagte der Kronprinz fest und erhob sich. Er richtete sich die Roben und ging nun mit festem Schritt in den Tempel zu den Priestern und seinen Lehrern – als ob nie etwas gewesen wäre.

Ausar blickte dem jungen Prinz nach. Er glaubte nicht, dass Amsu Apophis begegnet war! Apophis hatte sich noch nie einem Menschen gezeigt und wenn doch, dann hatte dieser es nicht überlebt! Aber was er definitiv glaubte, dass Chaths noch da draußen war!
 

Hanbal wollte gerade in die Stallungen, als er aufgehalten wurde.

„Mein Pharao, auf ein Wort!“, bat Ausar fest und drängend. Sofort blieb Hanbal stehen und wandte sich seinem Hohepriester zu, der sich näherte.

„Worum geht es, Ausar?“, wollte er neugierig wissen.

„Ich bitte dich, dich an dein gegebenes Wort zu halten, und Amsu erst zur Sonnenwende zu weihen. Er versperrt sich im Moment komplett und braucht daher Zeit, bis er vollständig unterwiesen ist“, erklärte er ruhig.

Hanbal atmete unwillig durch.

„Ist es wegen diesen verdammten Köter?! Ausar! Er hat Amsu einfach allein gelassen und in Gefahr gebracht. Amsu sollte das endlich einsehen! Ich denke eine ordentliche Züchtigung mit der Rute würde helfen!“

Ausar blinzelte und war schockiert. Wollte Hanbal seinen Sohn wirklich prügeln lassen, bis dieser nachgab?! Doch schnell hatte er sich wieder unter Kontrolle.

„Mein Pharao, tatsächlich hat Amsu Chaths im Stich gelassen und dieser ist noch irgendwo da draußen. Ich bitte um Leute, damit ich Chaths suchen gehen kann. Und wenn es nur dazu dient, seine Leiche zu finden, damit Amsu sich seiner Pflichten bewusst wird!“ versuchte der Hohepriester es äußerst diplomatisch.

Seit Hanbal beim Orakel war, schien er wie ausgewechselt. Er war herrischer und ungerechter. Ja beinahe despotisch!

Der Pharao verengte die Augen und dachte kurz nach. Dann nickte er.

„Amsu bekommt die Weihe zur Sonnenwende. Aber ich werde dir keine Leute mitgeben, Ausar. Such dir von mir aus ein zwei meiner besten Pferde aus, aber du bekommst keine Leute mit. Alleine bist du schneller unterwegs. Und wenn du Chaths noch lebend finden willst, dann musst du dich beeilen“, sagte er ruhig und man sah es dem Pharao an, dass dieser hoffte, dass Chaths tot war.

Ausar neigte kurz sein Haupt und wandte sich ab, um davon zu eilen.

Hanbal blickte seinem langjährigen und besten Freund nach. Er verfluchte diesen Chaths! Seit dieser Straßenjunge hier aufgetaucht war, ging alles drunter und drüber!

Nun wandte er sich auch ab und ging endlich in die Stallungen.
 

Ausar eilte durch den Tempel in seine privaten Gemächer und packte schnell einige Vorräte, Heilkräuter und Wasserschläuche ein. Dann warf er sich seine Reiserobe über und mit dem Sack eilte er schon wieder durch den Tempel.

„Und du glaubst, du findest ihn noch lebend?“, fragte jemand aus dem Schatten einer Säule, an der Ausar gerade vorbeigeeilt war. Abrupt blieb er stehen und drehte sich dem Schatten zu. Mit verengten Augen versuchte seinen Gegenüber zu erkennen und erstarrte. Ja, er wurde kreidebleich, als er die Gestalt erkennen konnte.

Zitternd wich er fast schon einen Schritt zurück.

„Anubis...“ hauchte er fassungslos und warf sich schließlich vor dem Gott in den Staub.

Anubis blickte auf den Menschen vor sich und verzog seine Lippen abfällig.

„Der kleine Chaths fügt sich nur sehr schwer in seine neue Rolle. Er verweigert jegliche Zusammenarbeit und ist bereits mehr als nur einmal mit Apophis aneinandergeraten. Im Moment liegt er in Ketten“, erklärte der Gott ruhig.

Sofort hob Ausar seinen Kopf und starrte Anubis an. Dann stand er auf den Beinen.

„Was habt ihr gemacht?! Er soll Hohepriester werden!“, empörte er sich.

„Hat Anubis dir erlaubt dich zu erheben, Hohepriester Ausar?“, erklang da eine tiefe Stimme gebieterisch. Ausar drehte sich zu dem Sprecher um und sank sofort in die Knie, sein Gesicht im Dreck.

Osiris trat nun näher an Ausar heran und blickte kurz zu Anubis. Dieser grüßte mit einem Nicken und verschwand wieder.

„Apophis trat an mich heran mit der Bitte, dich zu Chaths bringen, damit du ihm erklären kannst, warum er jemanden wie euch dienen und Hohepriester werden soll, wenn ihr es noch nicht mal für nötig haltet nach ihm zu suchen. Er sei euch ja egal und fühlt sich wie ein Werkzeug, um Amsu unter Kontrolle zu halten“, erklärte Osiris ruhig seinem Diener.

Ausar versteifte sich und blickte auf.

„Wie kann Apophis so etwas behaupten?!“, brauste er auf. Osiris lächelte fein und schüttelte den Kopf.

„Apophis behauptet gar nichts. Es sind Chaths Worte und Gedanken. Weder Apophis noch Anubis wollten das glauben, dass ihr nicht nach ihm gesucht habt. Glaube mir, es war ein Schock für sie, als Seth die Worte des jungen Hohepriesters bestätigte. Dass ihr nicht einen einzigen Gedanken daran verschwendet habt, nach ihm zu suchen!

Ausar, bitte erkläre mir, warum. Chaths ist dein Schüler, Schützling und ein Hohepriesteranwärter. Er hat sogar die Prüfung des Herzens bestanden und ist somit würdig Apophis Diener zu werden. Warum, Ausar?“, forderte der Gott Rechenschaft.

Ausar schluckte hart. Als er die Worte hörte und ließ sein Gesicht wieder in den Staub gleiten. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Für ihn war klar gewesen, dass Chaths einfach gegangen war und Amsu allein zurückgelassen hatte. Schließlich hatte er sich immer irgendwie gegen Regeln aufgelehnt und hatte keinen Hehl daraus gemacht, was er vom Pharao und den Göttern hielt.

Osiris musterte lange den Körper, der vor ihm im Staub lag. Er war regelrecht erschüttert, wie Ausar über den Jungen dachte.

„Erhebe dich, Ausar. Ich bringe dich zu Chaths. Und dann erklärst du ihm, warum er sich den ganzen Ritualen unterwerfen sollte“, befahl Osiris kühl und der Priester schluckte trocken und tat wie ihm geheißen.

Kapitel X

Ausar zitterte am ganzen Körper, während er Osiris durch die dunklen Gänge folgte. Immer wieder blickte er sich ängstlich um, weil er meinte in den Schatten was gesehen zu haben.

Schließlich betraten beide einen großen Thronsaal. Sofort blickte der Hohepriester sich um und war erschlagen von der Macht und der überirdischen Präsenz, die jeder Millimeter der Wände, Fresken und Säulen ausstrahlte.

Unbewusst trat er neben Osiris, um sich weiter umzuschauen und sein Blick fiel auf den Thron und auf die vielen Schlangen, die den Thron zierten und sich zu bewegen schienen.

Ausar ließ seinen Blick weiter wandern und erstarrte. Chaths saß zu den Füßen des Thron, an diesen gelehnt und hatte die Augen geschlossen. Er trug an den Handgelenken Eisenmanschetten und um den Hals einen Halsreif. Und an den Manschetten und dem Halsreif waren Ketten eingeschnallt, die fest am Sockel des Throns verankert waren.

„Chaths!“, keuchte Ausar auf und eilte direkt zu den Jüngling hin. Blieb aber abrupt stehen, als Chaths die Lider öffnete und ihn mit unmenschlichen, schwarzen Augen fixierte. Langsam erhob sich der Junge und Ausar konnte die Ma'at über Chaths Herzen und zwischen den Augen den Schakal des Anubis erkennen. Er schluckte, als er dann um den Augen wie eine Brille der Kobra erkennen konnte. Sofort wusste der Hohepriester, was das bedeutete. Apophis hatte Chaths das Augenlicht zurückgegeben.

„Was willst du?“, wollte Chaths wissen und er wirkte um viele Jahre gealtert.

Ausar blickte sich schnell um, Osiris war vergessen.

„Ich will dich hier rausholen. Du bist kein Sklave!“, sagte der Hohepriester und trat näher. Chaths Augen blitzten heimtückisch auf.

„So? Was bin ich denn da? Der Dreck unter euren Füßen?“, wollte er lauernd wissen. Ausar stockte erneut und runzelte die Stirn.

„Wie kommst du darauf?“, wollte der Hohepriester verwirrt wissen.

Da lachte Chaths bissig auf und sprang auf Ausar, um ihn zu würgen, doch die Ketten stoppten ihn und warfen ihn wieder zurück zu den Füßen des Throns. Gefrustet schrie der Junge auf und fing an zu toben und zu wüten und versuchte dabei die Ketten zu sprengen.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sich Chaths wieder beruhigt hatte und fixierte erneut Ausar.

„Was willst du?“, fragte er noch einmal.

Ausar hatte den Wutausbruch mit Entsetzen beobachtet und zweifelte die Prüfung des Herzens an. Dieser Junge da vor ihm KONNTE gar kein reines Herz haben.

„Ich bin hier, weil du zum Hohepriester ausgebildet werden sollst. Du sollst an Amsus Seite stehen“, begann er dann, doch bevor er weitersprechen konnte, warf sich Chaths wieder gegen die Ketten.

„Wieso sollte ich? Ich bin euch doch egal! KEINER von euch hat auch nur einen Gedanken an mich verschwendet. Wäre ich kein Anwärter, wäre ich elendig in der Wüste verreckt! Aber Hauptsache dem Prinzen geht es gut!“, fauchte er. Und ehe sich Chaths versah, hatte Ausar ihm eine schallende Ohrfeige gegeben.

„Mehr Respekt, wenn du von dem Prinzen sprichst! Ihm hast du es zu verdanken, dass du überhaupt noch lebst!“ brüllte der Hohepriester und hielt dann erschrocken inne. Mit Entsetzen musste er feststellen, dass Hanbals Abneigung Chaths gegenüber sich auf ihn abgefärbt hatte.

„Chaths... Es tut mir leid. Ich wollte das nicht. Es war nicht so gemeint.“ setzte Ausar leise an, als er in die Augen des Jungen blickte, die ihn geschockt und verletzt anschauten.

Chaths wich von Ausar zurück, als dieser ihm eine schallende Ohrfeige gegeben hatte und starrte den Hohepriester verstört an.

Chaths hatte Ausar vertraut und in ihm nicht nur einen Mentor, sondern auch sowas wie einen Vater gesehen. Darum war er ja so verletzt, dass keiner nach ihm suchte.

Er drängte sich gegen den Sockel des Thrones und starrte Ausar weiterhin fassungslos an. Der Hohepriester hatte nicht nur mit der Ohrfeige sondern auch mit seinen Gedanken über Chaths selber so eben das letzte Fünkchen Vertrauen zerstört. Der Jüngling fühlte sich verraten.

Nur langsam kamen die Worte von Ausar bei ihm an und sein Verstand und sein Blick klärten sich. Langsam erhob er sich und näherte sich dem Hohepriester bedächtig.

Und nun standen sich die beiden gegenüber.

„Ich werde Amsu weihen. Ich werde sein Hohepriester. Ich werde ihn mit Rat und Tat zur Seite stehen und dafür sorgen, dass er ein gerechter Herrscher wird, der das geringste Lebewesen ehrt und respektiert!“, begann er leise und seine Augen funkelten bedrohlich.

„Und ich gebe dir einen gutgemeinten Rat mit auf den Weg, Hohepriester. Weder du noch der amtierende Pharao sollten mir je alleine in einer dunklen Ecke begegnen...“, mahnte er und Ausars Augen weiteten sich bei dieser Drohung.

„Was, wenn...“, setzte er daher an und Chats lächelte diabolisch.

„Das Totenbuch wird euch nichts nützen, da ihr keine Chance haben werdet im Meer der Verdammnis zu schwimmen und eure Sünden zu bereuen. Ihr werdet noch nicht mal in die Nähe des hohen Gerichtes kommen!“

Ausar schluckt heftig bei der Ansage. Ihm war klar, was das zu bedeuten hatte. Und er würde alles dafür tun, dass Chaths nicht der Hohepriester von Amsu werden würde!

„Wir sehen uns...“, säuselte Chaths gefährlich und Ausar wandte sich abrupt um und ging zu Osiris, der mit ihm wieder verschwand.

Als der Hohepriester endlich gegangen war, sackte Chaths auf die Knie und vergrub bitterlich weinend das Gesicht in seine Hände. Immer und immer wieder fragte er sich, was er falsch gemacht hatte.

Seine ganze Welt, sein ganzes Leben hatte sich auf den Kopf gestellt, seit er Amsu über den Weg gelaufen war. Er war doch für seine Verhältnisse glücklich gewesen auf der Straße.

Er merkte nicht, wie Apophis zu ihm trat, ihn die Ketten löste und sanft auf die Arme nahm. Haltsuchend krallte Chaths sich an Apophis Brust fest, während er mittlerweile schrie.

Es dauerte lange bis der Junge sich beruhigt hatte und schließlich einschlief. Apophis legte ihn sanft in ein großes Bett und deckte ihn zu. Er wusste, Chaths hatte nicht viel Zeit und so würde die Ausbildung sehr hart werden. Und er hoffte, dass der Kleine daran nicht zerbrach.
 

Hanbal betrat den Tempel.

„Wolltest du nicht nach diesen Chaths suchen?“, fragte der Pharao ruhig, als er sich Ausar näherte. Dieser blickte auf und musterte Hanbal. Sehr lange und eindringlich.

„Ich habe ihn gefunden. Er lebt. Er hat die Weihe bekommen. Mein Pharao, wir müssen alles mögliche tun, damit wir verhindern, dass Amsu die Weihe von Chaths erhält!“ sagte der Hohepriester sehr ernst.

Hanbal blinzelte und starrte Ausar verwirrt an.

„Warum auf einmal diese Worte? Warst nicht du derjenige, der solch hohe Stücke auf ihn gehalten hat?“, wollte der Pharao wissen.

Ausar trat auf den Platz des Totengerichtes und musterte lange Osiris. Dieser hatte ihm nur gesagt, er würde schon das Richtige tun. Tief atmete er durch.

„Mal davon abgesehen, dass ich gesehen habe, dass er böse ist, hat er mir und dir gedroht. Sollte er einen von uns mal alleine antreffen, würde er uns töten.“ erklärte er ruhig und Hanbal zog sehr scharf die Luft ein.

„Er wird nicht mehr in die Nähe meines Sohnes kommen!“, versprach er feierlich und Ausar nickte.

„Das wäre wirklich das Beste für uns alle und das gesamte Reich!“
 

Amsu betrat den Garten. Er hatte gesehen wie sein Papa zum Tempel gelaufen war. Bestimmt würde der sich wieder bei Ausar ausheulen, was für ein missratener Sohn er war.

Leise seufzte er auf und blickte in den Himmel.

„Chaths... Hoffentlich geht es dir gut...“ murmelte er leise. Eine Träne löste sich aus seinem Augenwinkel.

„Es tut mir leid, was ich gesagt habe. Bitte... komm bald wieder zurück.“

Er blieb noch eine Weile im Garten und genoss das Mondlicht. Als er sich schließlich abwenden wollte zum gehen, erstarrte er, denn vor ihm richtete sich eine Kobra auf und zischelte.

Amsu erschrak bis ins Mark und dann... Er erkannte das Zischeln.

„Apophis!“ rief er freudig aus und griff nach der Schlange um sie zu umarmen.

„Dir geht es gut! Bin ich froh. Dann geht es Chaths auch gut, ja?“, fragte er und legte die Schlange um seinen Hals. Diese züngelte ihn sanft an und erleichtert zog sich Amsu nun in seine Schlafgemächer zurück.

Kapitel XI

Chaths musste hier raus!

Schnell huschte er durch die dunklen Gänge. Duckte sich immer wieder in den Schatten oder hielt kurz inne, um zu lauschen.

Ihm fiel die Decke auf den Kopf und er wollte wissen, wie es Amsu ging und ganz nebenbei auch mal wieder einfach nur... Mensch sein!

Er wusste, dass Apophis nicht da war und das musste er ausnutzen. Kurz raus, nach Amsu sehen, was trinken und wieder zurück. Apophis würde es gar nicht merken...

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte er den Ausgang dieser riesigen Anlage und er atmete die frische Luft tief ein. Es war Vollmond. Perfekt. Schnell blickte er sich um und huschte los.
 

Amsu musste hier weg!

Dieses ganze Lernen und Unterweisen und das Getue von seinem Vater und Ausar und die ganzen Priester. Er sollte an jemanden gebunden... quasi zwangsverheiratet werden und dennoch musste er still halten!

Es erdrückte ihn und ihm drohte die Decke auf den Kopf zu fallen. Er musste einfach raus, frische Luft schnappen und seinen Kopf freibekommen!

Geschickt und routiniert verließ er die Palastmauern, Apophis um seinen Hals gelegt.

Er rannte im Schatten weg, huschte durch die Gassen und schließlich erreichte er die Stadt. Mit einem Grinsen mischte er sich unter das feiernde Volk. Ach, wie liebte er diese Volksfeste!
 

Schnell huschten Chaths Augen über die Menge. Oh das war perfekt! Hier in der Stadt wurde gefeiert! So lief er zu dem ersten Stand und ließ sich einen vergorenen Saft geben. Oh ja, er würde seine Freiheit genießen!

Er schlenderte von einem Stand zum nächsten, naschte hier und trank da und dann stockte er. Bei dem Feuerschlucker meinte er in der Menge eine Gestalt erkannt zu haben. Langsam näherte er sich ihr, bis er direkt hinter ihr stand und ihr in den Nacken atmen konnte.

„Du hast etwas, was mir gehört...“ raunte er leise.
 

Amsu schlenderte entspannt durch die Menschenmenge. Mal naschte er hier und mal trank er da und schließlich blieb er bei der Vorführung eines Feuerschluckers stehen und war einfach fasziniert von dem Können.

Plötzlich spürte er, wie sich jemand ganz dicht hinter ihn stellte und er wurde blass. Hatten die Palastwachen ihn etwa bemerkt? Als er jedoch die Frage hörte, weiteten sich seine Augen ungläubig und er drehte sich um.

„Wenn du mehr trinkst, als ich, bekommst du es.“ erwiderte der Kronprinz grinsend und Chaths lachte warm auf.

Fest und innig umarmten sich die beiden Freunde.

„Du siehst gut aus, Chaths. Die Tätowierungen stehen dir.“ meinte dann Amsu, als sie sich gelöst hatten und zu einem Stand für berauschende Getränke gegangen waren.

„Danke. Du hingegen siehst sehr schlecht aus, Amsu.“ meinte Chaths ernst, während er an seiner Trinkschale nippte.

Amsu senkte müde den Blick.

„Es ist der Horror. Von Früh bis Spät muss ich lernen, wenn ich die falschen Antworten gebe und wenn ich Antworten gebe, die ihnen nicht gefallen, bekomme ich die Rute. Sie nennen es reinigen und Austreiben böser Geister.“ erklärte er leise.

Chaths runzelte die Stirn.

„Geh zu deinem Pa oder zu Ausar. Sie werden das unterbinden, denn...“ setzte er an und stockte, als Amsu leicht mit den Kopf schüttelte.

„Es kommt von ihnen. Der Pharao führt persönlich die Rute und der Hohepriester... Er hat mich schon mehrere Male in der Sonne an den Pfahl gehängt.“ erklärte der Kronprinz leise.

„Ich darf den Namen des Atons nicht mehr in den Mund nehmen. Auch du sollst mich nicht mehr weihen. Sobald der Priester da ist, der mich weihen wird, werde ich ihm zugeführt. Er wird Sieben Sonnenläufen lang mich in wirklich alles einweisen und dann erhalte ich die Weihe von ihm.“

Chaths blinzelte verwirrt und legte den Kopf schief.

„Was ist daran so schlimm? Also, ich meine, dass er dich in alles einweisen soll. Weil, ob es deinem Papa gefällt oder nicht, du erhältst die Weihe von mir!“ erklärte er naiv und fest.

Amsu biss sich auf die Lippen und ging langsam von den Feiernden weg. Chaths folgte etwas verwirrt und erschrak, als der Kronprinz ihn mit leeren und tränenverhangenen Augen anblickte.

„Chaths... Also es ist Praxis, dass wenn ein Thronerbe noch nicht soweit ist... oder nicht den Vorstellungen und Wünschen des amtierenden Pharaos entspricht, dann wird der Thronerbe einen entsprechenden Priester zugeführt, der ihn... nun ja... bei den Sklaven nennt man das abrichten. Der Thronerbe ist dann quasi nur noch die Hülle für das Volk und der Priester ist der eigentliche Throninhaber.“, erklärte Amsu ruhig und dennoch zitterte seine Stimme.

Chaths brauchte einen Moment, bis er begriff, was die Worte bedeuteten.

„Du sollst zu einem Sexsklaven für irgendeinen daher gelaufenen Priester werden?!“ entfuhr es ihm ganz vulgär und der Kronprinz nickte nur.

Tief atmete Chaths durch und schwieg eine Weile.

„Wann soll er kommen?“, fragte er schließlich.

„Er wird zwischen den jetzigen und nächsten Vollmond erwartet.“ erklärte Amsu nur leise.

Chaths nickte und zog den Kronprinz in eine tröstende Umarmung.

„Ich lasse nicht zu, dass das passieren wird. Lerne, lass dich in alles einweisen und ausbilden. Ich kann dir das nicht bieten, da ich selber noch ein Schüler bin. Aber vertrau mir. Du erhältst die Weihe von mir rechtzeitig und nun lass uns Spaß haben und alles vergessen!“ meinte er und Amsu lachte warm auf.

„Wer wohl mehr verträgt?“, spottete er und ging wieder zu dem feiernden Volk.
 

Der Morgen graute bereits, als Anubis sich den zwei jungen Männern näherte, die in einem komatösen Schlaf eng ineinandergeschlungen kreuz und quer auf der Handelsroute lagen.

„Sie hatten Spaß...“, stellte er amüsiert fest.

„Sie sollten nicht mehr so leichtsinnig sein!“, trat die Sonne neben Anubis und nahm Amsu auf die Arme.

„Und sie sollten sich nicht erwischen lassen!“, grollte die Finsternis neben den Schakal und nahm Chaths auf die Arme.

Und nur einen Augenblick später, waren sie verschwunden. Anubis konnte nicht umhin und hatte Mitleid mit Chaths. Allerdings war er auch froh, dass sie ihn und den Kronprinzen noch rechtzeitig gefunden hatten.
 

Stöhnend schlug Chaths die Auge auf. Oh man... Sein Schädel. Was hatten sie alles getrunken?!

Mühsam setzte er sich auf und stockte. Ganz vorsichtig tastete er den Untergrund ab, auf dem er bis jetzt gelegen hatte.

Nein... bitte nicht... Das war sein Bett...

Langsam drehte er den Kopf zur Zimmertür und stockte, als er die glühenden Augen von Apophis sah.

„Habe ich verschlafen?“ fragte er bemüht unschuldig mit krächzender Stimme.

„Auch...“, kam es gefährlich ruhig von dem Schlangengott. Chaths schluckte trocken.

„Ich nehme an, dass ich nicht von alleine in mein Bett gekommen bin?“, tastete der Jüngling sich vorsichtig vor.

„Du nimmst richtig an.“, erwiderte Apophis noch immer so unnatürlich ruhig und näherte sich nun langsam der Schlafstätte von Chaths. Dieser machte sich ganz klein und duckte sich regelrecht weg.

„Ich denke, dir wird etwas Schwimmen ganz gut tun. Da kannst du dir mal überlegen, was du falsch gemacht hast. Was für Fehler du gemacht hast!“, meinte da Apophis plötzlich, als er Chaths auf die Arme nahm und im nächsten Moment fallen ließ.

Mit einem lauten Schrei fiel Chaths in tiefes, dunkles Wasser. Als er prustend wieder an die Oberfläche kam, fing er direkt an zu schwimmen, weil er spürte, dass irgendwas ihn immer wieder unter die Wasseroberfläche zog.

Chaths keuchte und wimmerte vor Schmerzen. Das war so brutal. Ihm war schlecht, sein Kopf drohte zu platzen und er hatte kaum Kraft. Mal davon abgesehen, dass ihm so speiübel war!

„Ich habe mich deiner Anweisung widersetzt und bin einfach abgehauen!“, rief er flehend, denn er wusste, dass er nicht lange durchhalten würde.

„Versuchs noch einmal.“, kam es nur trocken von Apophis, der Chaths mit kühlem Blick beobachtete.

„Was?!“ rief Chaths verblüfft und wurde direkt in die Tiefe gezogen. Es dauerte lange, doch schließlich schaffte er es sich wieder an die Oberfläche zu kämpfen und er spuckte und keuchte und war so am Ende. Mal davon abgesehen, dass er zu keinem klaren Gedanken fähig war!

„Apophis... Vielleicht ein Hinweis? Ich weiß nicht, was du meinst.“ rief er nach einer Weile nach oben und seine Arme wurden immer schwerer. Ein spöttisches Schnauben war die Antwort.

Langsam liefen Chaths die Tränen der Verzweiflung, weil ihm nichts einfiel und er immer öfter und immer länger in den Tiefen dieses komischen Wassers verschwand.

Als er nicht mehr die Kraft hatte aufzutauchen, wurde er am Arm gepackt und im nächsten Moment lag er zitternd in seinem Bett.

Apophis setzte sich nun zu den Jüngling und fuhr beruhigend über dessen Haare.

„Chaths, du bist so eben im Meer der Verdammnis geschwommen.“ erklärte er ruhig und Chaths wurde schneeweiß.

„Dein Fehler war: Du hast dich erwischen lassen. Merk dir für die Zukunft: Egal was du oder dein Freund Amsu tut – lasst euch niemals erwischen, denn eure Strafen werden nichts im Vergleich zu dem Meer der Verdammnis sein. Hast du mich verstanden? Wenn du deinen Freund helfen willst, dann musst du dir das verinnerlichen!“ meinte der Schlangengott ruhig und Verständnis tauchte in Chaths Augen auf.

„Wir haben wieder mitten auf der Straße geschlafen?“, fragte er.

„Eng ineinander verschlungen. Inniger als ein Liebespaar“, antwortete Apophis schmunzelnd.

„Nein...“ stöhnte Chaths auf und wurde Puterrot. Oh man, wenn man sie so gefunden hätte... Apophis hatte Recht – das Meer der Verdammnis wäre der Himmel auf Erden im Vergleich zu dem was sie beide erwartet hätte.

Apophis nickte leicht vor sich hin, als er sah, dass Chaths begriffen hatte.



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