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Apnoe

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Den Cocktail gibt es tatsächlich und er heißt genau so. xD Komplett anzeigen

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Adios, MF!

 

 

Obwohl ihm durchaus bewusst war, dass er die wichtigste Bedingung für seinen Besuch hier nicht erfüllen würde, betrat Alvaro unbefangen und völlig davon überzeugt, dass er am Ende doch bekam, was er wollte, das The Gorge, das einem wie gewohnt seine hör- und sichtbaren Obszönitäten ins Gesicht prügelte.

Wie man hier arbeiten oder, so schlimm es sich anhörte, leben konnte, ging ihm nicht in den Kopf. Er war alles andere als wohlbehütet aufgewachsen, doch das The Gorge war ein unerträglicher Seuchenherd, dessen Siff, der wie eine ätzende Wolke um es herum waberte, in alle Poren sickerte, sobald man sich dessen Dunstkreis näherte.

Es warf sich einem wie ein aufdringlicher Besoffener mit seinem ganzen Gewicht an den Hals und lallte einem mit seinem alle Sinne benebelndem Atem aus Alkohol und Magensäure die ganze, vor Selbstmitleid triefende Lebensgeschichte seiner gescheiterten Existenz ins Ohr, die dem Zuhörer eigentlich völlig am Arsch vorbei ging.

Es war zu viel von allem und dennoch tat man hier, als sei das normal, was das wirklich schockierende war.

Alvaro merkte mit jedem Schritt, den er dem Empfangstresen näher kam, wie sich alles an ihm gegen diesen Ort sträubte. Der schäbige abgewetzte Läufer klang wie Sandpapier unter seinen Schuhsohlen und er hatte das Gefühl, während des Gehens davon ausgebremst zu werden.

Und trotzdem ließ es sich nicht umgehen, hier zu sein.

Der einzige wirkliche Lichtblick war der junge Mann, der hinter dem Empfang stand und mit dem üblichen gelangweilten Blick am Display seines Telefons hing. Und als könnte er Gedanken lesen, sah er in diesem Moment auf und erkannte Alvaro direkt, der mit den Händen in den Hosentaschen auf ihn zu geschlendert kam und dann direkt vor dem Empfangstresen stehen blieb.

 

"Guten Tag, der Herr, schön Sie wiederzusehen!", spulte Nate sein einstudiertes Begrüßungsritual ab. Das fette Grinsen auf seinem Gesicht reichte förmlich von einem Ohr zum anderen. "Womit könnte ich unserem liebsten Stammkunden denn dieses Mal eine Freude machen? Wollen Sie unser heutiges Special ausprobieren?"

"Vielleicht will ich das ja wirklich", erwiderte Alvaro gelassen, der dieses Mal besser auf Nate und dessen Spinnereien vorbereitet war. Und Nate wusste offensichtlich auch, wie weit er gehen konnte.

"Was ist denn das heutige Special?" Alvaro klang so geheuchelt interessiert, wie es ihm an diesem widerwärtigen Ort nur möglich war.

Nate grinste scheinheilig. Der Auftragskiller in spe hatte scheinbar Zeit zum Lernen gehabt. Vermutlich mit Nachhilfe. "Ich denke, das wäre nichts für Sie."

"Woher willst du denn wissen, dass das nichts für mich ist?", konterte Alvaro ruhig, aber auch Nate war heute gut gelaunt.

"Aus Sicherheitsgründen darf man diesen Bereich nur unbewaffnet betreten."

"Dann wird das wohl leider nichts." Alvaro zog eine Broschüre aus dem unordentlichen Stapel vor Nate und begann, darin zu blättern.

"Schon wieder den Schlüssel vergessen?", witzelte Nate und hielt Alvaro eine weitere Broschüre hin.

Alvaro lächelte süffisant. Er ließ das Werbeprospekt - warum auch immer ein Bordell Werbung brauchte - auf den chaotischen Stapel fallen und verschränkte die Hände vor sich auf dem Tresen. Er lehnte sich so weit wie möglich vor und betrachtete sich Nate ausgiebig, als müsse er sich jedes Detail an dem jungen Mann merken - das wie immer ungebügelte Hemd, den fehlenden Knopf daran, und quasi als Krönung von alledem das auf dem Kopf stehende Namensschild.

"Ich darf dich also nicht erwürgen?"

Augenblicklich fiel Nate das überhebliche Grinsen aus dem nun knallrot anlaufenden Gesicht. "Dieser verdammte Mistkerl!", schimpfte er los, riss sich aber gleich wieder zusammen. Das würde er später mit Gabe persönlich klären...

"Also schön", begann Nate nach ein paar möglichst ruhigen Atemzügen. "Der Schlüssel ist hier. Du weißt ja sicher noch, zu welchem Appartement er gehört."

"Lass dieses dämliche Gerede und gib mir endlich den Schlüssel!", unterbrach Alvaro sein Gegenüber jetzt etwas genervt.

Zu seinem Erstaunen gehorchte Nate wirklich. Er zog den Schlüssel aus seiner Hemdtasche und platzierte seine Hand samt innenliegendem Schlüssel auf dem Prospektstapel vor sich, ohne aber die Hand wegzunehmen. "Da wäre noch die Kiste, die du mir zuerst zeigen sollst", erinnerte Nate sein Gegenüber an die Bedingung, die an die Herausgabe des Schlüssels geknüpft war.

Alvaro sah auf den Schlüssel hinab, der von Nates Hand bedeckt blieb. Dann sah er wieder hoch zu Nate, der Alvaros Gedanken in dessen Gesicht bestens ablesen konnte.

Alvaro seufzte. Der Abend würde länger dauern als geplant.

 

"Die Kiste gibt es nicht mehr", gestand Alvaro sein Dilemma kurz und knapp. "Weggeworfen."

"Wohin?", fragte Nate ehrlich verblüfft.

"Weiß nicht, wo wirft man denn seinen Müll üblicherweise hin?", war die sarkastische Gegenfrage.

Nate lachte auf. "Also hier in diesem Viertel einfach auf die Straße..."

"Dann versuch dir jetzt mal vorzustellen, wo normale Menschen ihren Müll entsorgen, nicht die Freaks."

"Unter diesen Umständen kann ich den Schlüssel leider nicht rausgeben." Nate zog seine Hand samt Schlüssel unter Alvaros finsteren Blicken zurück.

Am liebsten hätte er Nate wieder am Hals gepackt. Einfach nur aus Spaß.

Und Nate, dem ihre letzte Begegnung noch allzu gut in Erinnerung geblieben war, machte einen Schritt nach hinten - weg von seinem Gegenüber, der sich nun aufrichtete, als würde er gleich ohne Anlauf über die Theke springen.

"Du weiß ja, wie leicht es für mich wäre, dir den Schlüssel einfach so wegzunehmen." Betont ruhig schob Alvaro den unordentlichen Papierstapel vor sich zusammen, bis er ein Rechteck mit exakt aufeinander liegenden Kanten bildete. "Ich müsste dich nur hinter deinem Tresen hervorziehen und dir langsam einen Knochen nach dem anderen brechen, bis du mir diesen verfickten Schlüssel gibst."

"So weit wird es sicher nicht kommen", konterte Nate selbstsicher, der bei dieser Drohung immer noch ungewöhnlich ruhig blieb.

Alvaro hörte, wie etwas dumpf zugeschlagen wurde und ein rasselndes Geräusch folgte. Er sah zu Nate, der ihn unschuldig anlächelte.

So gefasst wie möglich ging Alvaro um den Tresen herum und Nate ging die gleiche Anzahl an Schritten rückwärts, ohne Alvaro aus den Augen zu lassen.

Ein scheiß Tresor, dachte Alvaro, als er in das Regal unter dem Tresen sah. Seine Blicke wanderten langsam zu Nate, der in gebührendem Abstand atemlos auf den Ausbruch des sich gerade vor seinen Augen zusammenbrauenden Sturms wartete.

"Dann regeln wir das eben auf meine Art und Weise", verkündete Alvaro und betonte dabei jedes einzelne Wort. "Ich könnte dir ja trotzdem noch den ein oder anderen Knochen brechen. Dann wäre ich wenigstens nicht umsonst hergekommen."

Nate machte noch zwei Schritte zurück. Sein Hals war so trocken wie die Sahara. Stumm verfluchte er das Management, das aus Kostengründen auf einen Sicherheitsdienst verzichtete.

 

 

"Ist er doch nicht gekommen?", begrüßte Gabe Nate, als er auf die Rezeption des The Gorge zuging. Er hatte zuerst bei sich zuhause nachgesehen, doch dort hatte nichts den Anschein erweckt, dass sein angekündigter Besucher dagewesen sein könnte, worüber Gabe enttäuschter war, als ihm lieb war.

Erst als er direkt vor dem jungen Mann am Empfangstresen stand, bemerkte Gabe die säuerlichen Blicke, die Nate ihm zuwarf.

"Was ist los? Hat er wenigstens angerufen?"

Ohne ein Wort zu sagen nickte Nate stumm zur Sitzgruppe des Wartebereichs hinüber.

Gabe folgte den giftigen Blicken und dort saß umrahmt von ausgeblichenen Kunstpflanzen Alvaro in einem der Sessel mit dem abgewetzten Polster. Er hatte ein Bein lässig über das andere geschlagen und winkte Gabe freundlich zu. Vor ihm auf dem niedrigen Marmortisch mit den abgeplatzten Kanten stand ein hohes Glas mit irgendeinem bunten Getränk, das Gabe nicht von hier kannte und von dem Alvaro nun in aller Seelenruhe einen Schluck trank.

"Nimm ihn bloß mit!", zischte ihm Nate wütend zu. "Willst du wissen, was er getan hat?"

"Unbedingt!" Gabe versuchte das Lachen zu unterdrücken. Die Situation war insgesamt verdammt komisch, obwohl sie auf den ersten Blick so harmlos wirkte. Alleine Alvaro, der sich hier so gar nicht ins Bild fügen wollte, benahm sich, als täte er das jeden Tag.

"Zum Dank dafür, dass er mich nicht erwürgt oder mir die Knochen bricht, hat er mich behandelt, als wäre ich sein persönlicher Butler!", spie Nate voller Verachtung aus. Wäre er doch nur stärker und mutiger...

"Und wie es aussieht, hat er sich daran gehalten, wo ist das Problem?" Gabe wandte sich wieder an Nate, der seine zornigen Blicke nicht von Alvaro lassen konnte. Wenn er ihn schon nicht eigenhändig rauswerfen konnte, konnte er ihn immerhin aus der Ferne mit Blicken durchbohren.

"Gib mir den Schlüssel und dann erlöse ich dich von ihm."

 

"Ich wusste gar nicht, dass im The Gorge Cocktails serviert werden", begrüßte Gabe Alvaro, der nun das halbvolle Glas mit dem blau schillernden Getränk erhob und Richtung Nate prostete.

"Den hat Nate eigenhändig für mich gemixt", erklärte Alvaro gut gelaunt. Er nickte zu Nate hinüber, der das Gesicht verzog, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

"Ein Adios, Motherfu-"

"Schon klar, Nate", unterbrach Gabe seinen Freund lachend.

"Mit extra wenig Alkohol", erklärte Alvaro belustigt. "Er hat wohl Angst, dass ich mir hier sonst ein Zimmer nehme."

"Wie wär's mit dem Keller?", giftete Nate prompt zurück.

"Du hattest hier also deinen Spaß?" Amüsiert sah Gabe auf Alvaro hinab, der ihm mit einem breiten Grinsen antwortete. Seine Augen funkelten fröhlich. Keine Spur von Don Vito, dachte Gabe. "Warum hast du Nate nicht einfach die Kiste gezeigt?"

Auf der Stelle wurde Alvaro ernster, als hätten Gabes Worte einen Schalter umgelegt. Er stellte das Glas auf der zerkratzen Oberfläche des Tisches ab und seufzte kaum hörbar. "Es gibt da ein Problem mit der Kiste", gestand er Gabe, der kurz zu lächeln aufhörte, sich aber gleich darauf wieder zusammenriss.

"Und ich schätze, dafür gibt es eine Erklärung, oder?" Gabe bemühte sich zu lächeln, auch wenn ihm die Antwort vermutlich nicht gefallen würde. So langsam entwickelte er ein Gespür dafür, wann es gut war, sich nicht zu sehr zu freuen. "Komm mit." Er wartete, bis Alvaro sich erhoben hatte und ihn zum Ausgang begleitete.

Als sie an Nate vorüberkamen, warf Alvaro diesem ein letztes triumphierendes Lächeln zu, dass der junge Mann mit einem extra bösen Blick quittierte.

"Von wegen harmlos", murmelte Nate zu sich selbst, nachdem die Tür endgültig hinter Alvaro zugefallen war.

 

 

In seiner Wohnung angekommen, stellte Gabe die Tasche, die er bei sich trug auf der Arbeitsfläche der schmalen Kücheninsel ab. Er nahm zwei Schachteln aus der Tasche, öffnete die Verpackung und stellte die beiden Silberschalen in den Ofen. Nicht besonders nahrhaft, aber besser als Jules' Snacks.

Alvaro, der ihm stumm gefolgt war und nun neben Gabe in der offenen Küche stand, wartete geduldig, bis das Essen im Ofen war und das Gerät leise vor sich hin brummte.

"Du hast also eine andere Wohnung gefunden? Das ging ja schnell."

"Bot sich praktisch von selbst an." Gabe hängte das Geschirrtuch, mit dem er die Arbeitsfläche abgewischt hatte, zurück an die schmale Eisenstange, welche die Kücheninsel auf der Innenseite zwischen Schubladen und Türen geländerartig säumte. "Wir ziehen wieder zu Nate."

Alvaro schwieg verblüfft. Er wusste nicht, welche Aussage aus diesem knappen Satz ihn mehr verwirrte: das wieder oder Nate. "Wieder?", hakte er kurzerhand nach.

Gabe wandte sich zu Alvaro um, der ihn keine Sekunde aus den Augen gelassen hatte. "Bis vor einem Jahr haben wir zusammengewohnt", erklärte er Alvaro und beobachtete dessen Reaktion genau. Aber der ließ sich nichts mehr anmerken.

"Also Nate, Jules und ich, bevor-" Gabe machte eine kurze Pause und sah an Alvaro vorüber. "Bevor dieser ganze Irrsinn anfing", stieß er mit gepresster Stimme hervor. Er sah zurück zu Alvaro, wie der reagierte, doch der war scheinbar noch dabei, die ganzen erhaltenen Informationen zu verarbeiten.

Er hatte eine Ahnung, was Gabe mit Irrsinn meinte. Es konnte nur der Grund sein, den er ihm vor Kurzem genannt hatte und wegen dem es wohl jetzt diese Probleme mit Jules gab.

"Sie hat Jules damals nach Hause geschickt, weil-" Gabe lachte bitter auf. "Weil sie nicht wollte, dass sie dabei ist, wenn sie stirbt." Erschrocken hielt Gabe inne. Das erste Mal überhaupt hatte er dieses Wort ausgesprochen und es jetzt aus seinem eigenen Mund zu hören, überwältigte ihn kurz. "Sie hat es ja nicht mal böse gemeint, aber genau das Gegenteil erreicht."

"Und deshalb hast du Jules auch nichts von LaRue erzählt?", riet Alvaro ins Blaue und traf, wie er an dem schnellen, ertappten Blick sah, der ihn kurz streifte. "Irgendwann wirst du es ihr sagen müssen. Nicht nur ihretwegen."

"Ich weiß." Gabe war so viel Verständnis unangenehm. Er drehte Alvaro den Rücken zu und sah in den Ofen. Die Wärme, die das Gerät ausstrahlte fühlte sich angenehm auf seinem Gesicht an. Fast so, als wäre er lebendig und doch nicht dieser Untote, als der er sich fühlte. "Welche Probleme gibt es denn nun mit der Kiste?"

"Ich habe sie weggeworfen."

Gabe fuhr herum und wartete darauf, dass Alvaro über seinen eigenen vermeintlichen Scherz zu lachen anfing, doch der sah ihn gefasst an, ohne die leiseste Regung, die auf ein Lächeln hindeuteten könnte.

 

"Aus Versehen?"

Alvaro schüttelte langsam den Kopf. Gabes prompte Enttäuschung ließ ihn kurz ein schlechtes Gewissen bekommen, dass er so kopflos und aus Wut reagiert hatte.

Gabe nickte abwesend. "Das heißt, du bist völlig umsonst hergekommen?" Er schaltete den Ofen aus und ging zu Alvaro, der seinen Platz nicht verlassen hatte und mit dem Rücken gegen den Schrank gelehnt dastand.

"Du kannst ja nicht mal beweisen, dass die Kiste überhaupt existiert hat."

"Doch, kann ich." Alvaro griff in die Innentasche seiner Jacke.

Zum ersten Mal sah Gabe die Ledergurte des Holsters, die sich von den Schultern kommend straff an Alvaros Brust vorbei hinab zu seinem Gürtel spannten. Gabe musste den Kopf abwenden und hoffte, dass man ihm nicht ansah, was er dachte.

Zwei zusätzliche Ersatzmagazine - auf was wollte oder musste Alvaro vorbereitet sein? Welche Sachen hatte Thomas noch so zu erledigen gehabt, dass es nötig war, einen derart bewaffneten Chauffeur einzustellen?

Nates Worte fielen ihm wieder ein, ob Alvaro ihn bedrohen würde, und Gabe lachte innerlich auf. Selbst wenn er das würde, was könnte er schon dagegen tun? Er käme sicher nicht weit, bis ihn die knapp 50 Schuss völlig zerfetzt hätten.

Den Kopf voller lähmender Gedanken sah Gabe zu, wie Alvaro ein etwa handgroßes Objekt aus seiner Jacke hervorzog und es ihm hinhielt.

Gabe griff danach und hätte es beinahe wieder fallen lassen, als er Thomas' Handschrift auf der Vorderseite des Taschenkalenders erkannte.

 

 

 



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