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Die Wölfe 3 ~Der Pianist des Paten~

Teil III
von

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~Emelies Talent~

Als ich die Fabrik betrete, kommt mir Jack entgegen. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet, in der Hand hält er einige Dutzend Centmünzen, die er durchzählt. Seine Aufmerksamkeit ist so auf diese Tätigkeit gelenkt, dass er erst aufsieht, als uns nur noch ein Schritt trennt. Abrupt bleibt er stehen, während sich seine Augen weiten. Eilig nimmt er beide Hände hinter den Rücken, um das Geld dort zu verstecken. „Enrico?“, fragt er erschrocken.

Sein verdächtiges Verhalten lässt mich die Augenbrauen tief ins Gesicht ziehen. Was bitte soll das werden? Beklaut er uns etwa schon wieder? Ich mache den letzten Schritt, der uns trennt und packe sein linkes Handgelenkt grob. Seinen Arm ziehe ich hinter dem Rücken hervor, dann öffne ich gewaltsam seine Finger und nehme ihm das Geld ab. Grob geschätzt ergeben sie einen Dollar. „Ist das aus unserer Dose? Was hast du damit vor?“ Das Geld von Judy müssen wir uns einteilen und dafür ist Anette zuständig. Doch so panisch wie Jack schaut, hat er sie sicher nicht gefragt.

„Ich… also ich…“, stammelt er und zittert dabei am ganzen Körper.

Das reicht mir als Schuldeingeständnis. Seine Hand lasse ich los und lege ihm stattdessen meinen Unterarm quer über den Brustkorb. Hart stoße ich ihn nach vorn und dränge ihn mit dem Rücken gegen die nächste Wand. „Wenn du uns noch mal hintergehst, verlässt du meine Gang mit den Füßen voran!“, drohe ich ihm.

Jacks Lippen beben, er versucht etwas zu sagen, doch scheinen ihm die Worte zu fehlen.

„Bruder warte, ich komme mit…“, mischt sich eine zierliche Mädchenstimme ein, die von einem kratzigen Husten unterbrochen wird.

Ich lockere meinen Griff und drehe mich nach ihr um. Es ist Emelie, eines unserer neusten Rudelmitglieder. Das kleine Mädchen mit den gelockten, blonden Haaren, hat inzwischen volle Wangen bekommen, trotzdem ist sie blass. Ihre blauen Augen sind fiebrig, ein roter Schimmer liegt auf ihren Wangen, die Stirn ist nass, an ihr kleben vereinzelte Haarsträhnen.

„Meine Schwester… sie… sie hat sich bei Streuner angesteckt. Die Medizin wird nicht für beide reichen… deswegen… also ich wollte noch eine Flasche Fiebersaft kaufen.“

Ich hebe langsam den Blick und richte ihn wieder drohend auf Jack. „Ohne zu fragen und mit so einem schlechten Gewissen?“, will ich wissen.

„Anette war nicht in ihrem Zimmer, ich habe sie nicht gefunden…“, erklärt Jack sich.

„Ist mir scheiß egal! Niemand geht ohne Anettes Einverständnis an die Dose. Außerdem seid ihr beide bisher nur ein Kostenfaktor gewesen. Du traust dich noch nicht mal auf dem Markt essen zu klauen“, halte ich ihm vor.

Jack senkt den Blick und schweigt betreten.

„Wenn ihr bleiben wollt, müsst ihr endlich nützlich werden!“, verlange ich und hebe Jack meine Hand mit dem Geld vor die Nase. „Das hier bekommst du nur, wenn du für unser Abendessen sorgst. Wie ist mir egal! Klau, betrüge, bettle aber tu endlich etwas!“, befehle ich. Unnütze Esser können wir uns nicht mehr leisten. Besonders nicht, wenn ich selbst ständig wegen Aaron ausfalle. Das Geld stecke ich in meine Hosentasche, dann stoße ich Jack hart gegen die Schulter und lasse ihn und seine Schwester im Flur stehen. Dabei vermeide ich einen Blick auf die kleine Emelie, um mich nicht von ihren großen Augen und den Tränen darin beeinflussen zu lassen. So langsam geht mein Rudel vor die Hunde. Das mit der Hochzeit muss ich schleunigst über die Bühne bringen und dann in den Reihen der Wölfe aufräumen, nehme ich mir fest vor.

Als ich unseren Aufenthaltsraum betrete, bleibt mein Blick am Kamin hängen. Zeng hockt dort und kehrt die Asche auf, die vom letzten Feuer übriggeblieben ist.

Ich halte auf ihn zu. Als er zu mir aufschaut und mich fragend betrachtet, deute ich hinter mich in den Flur, aus dem ich gekommen bin und weise ihn an: „Geh und hilf Jack! Sorge dafür, dass er sich nützlich macht! Zwei zusätzliche Esser dulde ich hier nur noch, wenn sie dem Rudel nützen.“

Zeng runzelt die Stirn, meine Idee scheint ihm nicht zu gefallen. Während er die Schaufel mit der Asche in einen Metalleimer legt, erhebt er sich. Einen Arm stemmt er in die Seite, dann sagt er: „Er zögert beim Klauen viel zu lange. Wir haben uns schon zwei Mal wegen ihm Prügel von den Marktaufsehern eingehandelt.“

Das klingt fast so, als wenn Zeng aufgegeben hätte Jack in unsere Raubzüge einzuplanen. Kein Wunder, dass er nicht lernt sich zu überwinden. Ich habe auch meine Zeit gebraucht. Erst als Toni ausgefallen ist und ich auf mich allein gestellt war, habe ich es wirklich gelernt. „Dann lasse ihn alles allein machen und beobachte ihn nur. Er muss die Konsequenzen seines Handelns selbst ausbaden. Nur so lernt er es.“

„Na schön!“, gibt Zeng nach und folgt Jack.

„Willst du Jack und Emelie wirklich rauswerfen?“, fragt eine kratzige Kinderstimme.

Ich folge ihrem Klang mit den Augen, bis ich Streuner auf dem Sofa finde. Er liegt dort in einer Decke eingewickelt und mit einem Stofftaschentuch in der Hand. Seine Augen sind ebenso fiebrig wie die Emelies, doch liegt in ihnen noch ein anderes Leid verborgen. Sein Blick ist traurig und vorwurfsvoll.

Ich hole bereits Luft, um ihm zu antworten, als mich dünne Arme an der Hüfte umgreifen. Ein Kinderkopf drückt sich mir in den Rücken. „Bitte! Schicke meinen Bruder und mich nicht zurück auf die Straße! Jack hat das Geld nur meinetwegen genommen“, fleht Emelie aufgelöst.

Ich atme erschwert durch und seufze. Die beiden ihrem Schicksal zu überlassen, wird mir wirklich schwerfallen, doch so wie jetzt kann es nicht weiter gehen. Die Gang kann nicht jedes Mal all unsere Ersparnisse aufbrauchen, wenn Toni und ich nicht hier sind. Das muss aufhören! Doch gerade, als ich Emelie das mitteilen will, fällt mir etwas auf, das ich bisher noch gar nicht bemerkt habe. Jedes Mal, wenn sie sich durch die Gänge der Fabrik bewegt, bemerke ich sie erst, wenn sie mich berührt. Sie ist so leichtfüßig und lautlos, dass es ihr mühelos gelingt, sich an mich heranzuschleichen. Etwas, dass nicht mal mehr Toni schafft. Das hat Potential! Ich drehe mich nach Emelie um und greife sie an den Schultern, um sie daran von mir zu schieben.

Mit verheulten Augen sieht sie zu mir auf. „Bitte…“, fleht sie.

„Höre auf zu weinen, das steht einer Wölfin nicht!“, verlange ich.

Emelie zieht die Nase hoch und schluckt ihre Tränen hinunter. „Wölfin?“, fragt sie.

„Ja! Denn gerade habe ich da etwas in dir entdeckt und ich will sehen, ob ich recht habe. Also gehe Mal da hinten in die Ecke!“, weise ich sie an und deute auf die gegenüberliegende Seite der großen Halle.

Emelie wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. Eilig läuft sie in die ihr zugewiesene Richtung. Als sie die andere Seite der Halle erreicht, dreht sie sich nach mir um. „Hier her?“, will sie wissen.

Ich nicke und richte meine Aufmerksamkeit auf Streuner. „Komm zu mir, du musst mir helfen!“, bitte ich den Jungen.

Streuner robbt auf dem Sofa nach vorn und quält sich auf die Beine. „Aber ich bin krank und heute nicht sehr stark“, lässt er mich wissen.

„Du musst nur lauschen!“, erkläre ich und ziehe ihn am Arm vor mich, bis wir uns gegenüber stehen. „Mach die Augen zu!“, bitte ich ihn.

Streuner nickt und folgt meiner Anweisung.

„Passe ganz genau auf und sage mir, wenn du Schritte oder eine Bewegung hören kannst“, bitte ich ihn.

„Ist gut!“, bestätigt er, dass er die Aufgabe verstanden hat.

Meine Aufmerksamkeit richte ich auf Emelie, die noch immer in der Ecke steht und wartet. „Nun zu dir! Versuche zu uns zu kommen, ohne, dass wir dich hören. Sei so leise wie du kannst. Wenn du es schaffst uns zu berühren, ohne dass wir dich vorher bemerken, dann dürfen du und dein Bruder bleiben!“ Damit sollte ihre Motivation groß genug sein.

Emelie macht ein verbissenes Gesicht, sie nickt verstehend.

Ich schließe die Augen. „Gut, dann los!“, weise ich sie an.

„Das ist keine schwere Aufgabe für Emelie!“, meint Streuner.

„Klappe!“, fauche ich den Zwerg an, will ich mich doch auf die Schritte Emelies konzentrieren, doch in dem Moment kann ich bereits eine kleine Hand an meinem Unterarm spüren.

Augenblicklich öffne ich die Augen. Das blonde Mädchen steht direkt vor mir, obwohl sie eben noch dort hinten in der Ecke war. Ich hatte nicht mal drei Sekunden lang die Augen geschlossen. Sie ist nicht nur leise, sondern auch verdammt schnell. Dennoch bin ich nicht zufrieden, immerhin hat Streuner mir reingequatscht und meine Konzentration damit gestört. „Das zählt nicht! Streuner war zu laut. Noch mal!“, verlange ich.

Emelie schaut mich kämpferisch an. Sie läuft zurück in die Ecke, aus der sie gekommen ist.

Streng sehe ich Streuner an. „Klappe jetzt!“, verlange ich von ihm.

„Das ist sinnlos, man kann sie nicht hören“, sagt er.

„Still jetzt!“, verlange ich wieder.

Streuner atmet genervt ein, dann schließen wir erneut die Augen.

„Noch mal!“, fordere ich Emelie auf.

Dieses Mal bleibt Streuner still. Alles, was ich hören kann, sind unser beider Atem. Da sind keine Schritte, dafür ein Luftzug, der mein Bein streift, dann spüre ich wieder Finger, dieses Mal an meinem Hosenbein. Als ich die Augen öffne, grinst Emelie mich breit an. „Das Spiel ist lustig“, sagt sie.

„Hast du auch nichts gehört?“, will ich von Streuner wissen.

Der Junge öffnet die Augen. Er streichelt Emelie über den Kopf und betrachtet sie mit einem fürsorglichen Lächeln. „Ich kann sie nie hören. Manchmal schleicht sie mir den halben Tag hinterher und ich bemerke es nicht.“

Emelie sieht fröhlich zu mir auf. „Wir spielen oft Verstecken, dann reicht es schon, wenn ich nur hinter Streuner her laufe und seine Bewegungen nachahme.“

„Dann weiß ich zwar, dass sie da ist, aber ich kann sie trotzdem nicht sehen“, erzählt Streuner und legt die Arme hinter den Kopf. „Das ist schon echt gruselig!“

Emelie zieht einen Schmollmund. „Ich bin nicht gruselig!“, schimpft sie.

Ich habe mich also nicht getäuscht. Emelies Talent ist damit klar und sichert zumindest ihr einen Platz in meinem Rudel. Ich lächle sie anerkennend an und lege ihr beide Hände auf die Schultern. „Sehr gut! Dann wirst du von heute an meine Augen und Ohren sein. Du bist in Zukunft unsere Kundschafterin und löst damit Streuner ab.“

„Was?“, fragt Streuner erschrocken.

„Schau nicht so! Du wirst sie unterrichten, sobald ihr wieder gesund seid.“

„Aber wenn sie kundschaftet, was mache ich dann?“, will Streuner wissen.

„Für dich finde ich eine neue Aufgabe, aber alles zu seiner Zeit!“, eröffne ich ihm. „Erst mal müsst ihr wieder gesund werden. Also unter die Decke und ausruhen!“, trage ich beiden auf.

„Okay!“, erwidert Streuner und krabbelt auf das Sofa zurück. Er wirft die Decke über sich und hebt sie dann an einem Ende an. Mit der Hand winkt er Emelie zu sich.

Das kleine Mädchen strahlt ihn fröhlich an und folgt ihm aufs Sofa. Während Emelie sich an ihn kuschelt, wickelt Streuner sie in der Decke ein.

Dass die beiden bereits so vertraut miteinander sind, fällt mir erst jetzt auf. Ich bin eindeutig zu selten hier. Noch etwas das ich endlich ändern und mit Aaron aushandeln muss.

Als mir der Alte wieder in den Sinn kommt, laufe ich weiter, am Sofa vorbei und in den Flur, der zu unseren Zimmern führt. Dieses Mal werde ich Toni Bescheid geben, wohin ich gehe, sollte er nicht schon auf der Suche nach mir sein.

Ich laufe weiter, bis ich vor seiner Zimmertür stehe, dann klopfe ich an. „Toni? Bist du wach? Können wir reden?“, frage ich und öffne die Tür bereits. Eine Antwort erhalte ich nicht, also sehe ich mich suchend um.

Anette liegt mit dem Kopf im Kissen und schaut mich verschlafen an, während Toni ihr im Schoß liegt. Es ist beinah das selbe Bild, dass sich mir am Abend geboten und mich hat aus der Fabrik flüchten lassen. Großartig!

Während Anettes Blick entschuldigend wird, rührt Toni sich nicht. Hat er etwa die ganze Nacht geschlafen und ist bis jetzt nicht wieder wach geworden? Das ist mehr als ungewöhnlich! Bisher ist das nur vorgekommen, als Toni schwer krank war. Geht es ihm so schlecht?

Besorgt halte ich auf das Bett zu und bleibe neben Toni stehen.

„Wir haben nur hier gelegen, sonst nichts!“, verteidigt Anett sich und richtet den Oberkörper auf. Abwehrend wedelt sie mit den Händen herum.

Ich schlucke meine Eifersucht und sage nichts dazu, stattdessen lege ich meine Hand auf Tonis Stirn und meine andere an meinen eigenen Kopf. Unsere Temperatur ist annähernd gleich, also hat er schon mal kein Fieber. Dann hat er sich bei Anette wirklich so sicher und wohl gefühlt, dass er durchschlafen konnte?

„Es tut mir leid“, schiebt Anette hinterher und senkt den Blick, sie knetet ihre Finger.

Meine Aufmerksamkeit lasse ich an ihr hinauf wandern, bis ich ihr in die Augen sehen kann. Ich bemühe mich um ein Lächeln, während ich Tonis Wange streichle. Nicht mal jetzt wird er wach. „Das muss es nicht“, lasse ich Anette wissen und wende mich wieder Toni zu. Ich betrachte seinen friedlichen Schlaf und spüre dabei einen brennenden Schmerz im Herzen. Eine Erkenntnis macht sich in mir breit. „Du warst für ihn da, hast dich um seine Wunden gekümmert und ihm Trost gespendet. Das ist mehr als ich für ihn getan habe.“ Ein Seufzen überkommt mich, fühle ich mich doch gerade, wie der schlechteste Freund, den es auf dieser Erde gibt. Während Toni am Ende seiner Kraft war, bin ich in Eriks Puff und habe dort… Den Gedanken an die vergangene Nacht verbiete ich mir, treibt er mir doch die Tränen in die Augen. Ich bin echt zum Kotzen und kann mich selbst nicht leiden. Umso wichtiger das es Anette in unserem Leben gibt und er bei ihr Ruhe gefunden hat, wie könnte ich da böse auf sie sein?

Anette löst ihre Finger voneinander und streichelt Toni durch die schwarzen Haare, bis ihre Finger auf meinen zum Liegen kommen. Ein mitfühlendes Lächeln bildet sich in ihren Mundwinkeln. „Ihr beide müsst nicht alle Last allein tragen. Lasse mich helfen!“, bittet sie.

„Du hilfst ihm doch schon!“, entgegne ich.

„Dir auch!“, meint sie mit zitternder Stimme und betrachtet mich eindringlich.

Das Mitleid in ihren Augen, erinnert mich viel zu stark an meine eigene Schwäche und die kann ich gerade nicht brauchen. „Mir ist nicht mehr zu helfen!“, sage ich und meine es auch so. Bei mir ist jeder Rettungsversucht sinnlos. Spätestens wenn ich Judy mein Jawort gegeben habe, ist auch das bisschen Glück mit Toni dahin. Doch immerhin werden wir dadurch weiter leben können, das ist alles woran ich noch festhalte.

Anettes Hand greift meine Finger fester, entschlossen sieht sie mich an.

Ich vermeide es ihr in die Augen zu schauen, stattdessen bitte ich sie: „Kannst du auch weiterhin für mich auf ihn aufpassen? Besonders wenn ich geheiratet habe…“ Allein das unvermeidliche auszusprechen, brennt mir bereits tiefe Löcher in die Seele. Wie es erst sein wird, sobald ich verheiratet bin, will ich mir lieber nicht ausmalen.

Tonis Gesichtszüge spannen sich an, seine Augenbrauen zieht er tief in die Gesichtsmitte. „Ich brauche keinen Aufpasser!“, murrt er.

Mir fährt der Schreck in die Glieder, bin ich doch davon ausgegangen, dass er tief und fest schläft. Wie viel von dem, was ich gesagt habe, hat er mitbekommen?

Toni öffnet die Augen und sieht mich durchdringend an. Dabei fühle ich mich, als würde er meine Seele ergründen. „Wo bist du gewesen, dass du so ein schlechtes Gewissen hast?“, will er von mir wissen und richtet den Oberkörper auf. Seine Bewegungen sind schwerfällig und ungelenk. Er hat sichtlich Mühe sitzen zu bleiben.

„Unwichtig!“, erwidere ich lediglich.

Tonis Blick wird düster, er mustert mich so lange mit seinen alles durchdringenden, grünen Augen, bis ich mich zu einer anderen Antwort genötigt fühle.

„Ich war bei Erik, ihn um einen Job bitten. Wir brauchen das Geld“, versuche ich glaubhaft zu lügen. Da ein Teil davon der Wahrheit entspricht, gelingt es mir so gut, dass Tonis zorniger Blick lediglich fragend wird. Also rede ich einfach weiter: „Ich habe in seinem Lokal Klavier gespielt und das kam sehr gut an. Ich soll das nun für 100 Dollar pro Auftritt öfters machen. Das ist immerhin ein Anfang.“

Toni und Anette heben gleichermaßen fragend die Augenbrauen. Dass es sich nicht um einen unserer üblichen Jobs handelt, lässt sie an meinen Worten zweifeln.

„Ja ich weiß, ist nicht unser übliches Geschäft, aber mal ein Job ohne Verletzungsrisiko und das können wir gerade brauchen.“ Besonders intensiv betrachte ich Tonis Verband an dessen Bein.

Mein Freund atmet schwer aus, etwas das bei ihm bereits einer Zustimmung gleich kommt.

Als er auch weiterhin stumm bleibt, wende ich mich Anette zu. Ich hole aus meiner Hosentasche die Centmünzen, die ich Jack abgenommen habe und reiche sie ihr, während ich erklärend anfüge: „Die habe ich Jack abgenommen. Du solltest für unsere Dose ein besseres Versteck finden.“

„Er beklaut uns schon wieder?“, will Toni anklagend wissen.

„Ja. Er meinte er hat Anette nicht finden können und wollte davon Medizin für Emelie kaufen. Ich glaube ihm zwar seine Geschichte, aber dass er sich hier durchschnorrt, ohne etwas für unseren Lebensunterhalt zu tun, dulde ich nicht länger. Ich habe ihn mit Zeng auf Beutezug geschickt. Wenn er erfolglos bleibt, fliegt er aus der Gang!“, berichte ich knallhart.

Toni betrachtet mich überrascht. „Woher kommt denn dieser Sinneswandel?“, will er wissen.

„Ich weiß nicht wie lange Aaron mich wegen der Hochzeit in Beschlag nimmt. Das Rudel muss endlich funktionieren oder alle gehen drauf, wenn wir beide mal ausfallen. Mitleid erlaube ich mir nur noch, wenn es allen nützt.“

„Dann willst du auch die kleine Emelie auf die Straße setzen?“, fragt Anette entsetzt.

„Nein! Emelie hat ihren Wert gerade bewiesen. Ganz anders als Jack bisher.“

„Wenn Jack gehen muss, geht auch Emelie“, gibt Toni zu bedenken.

„Gut, dann haben wir zwei Esser weniger zu versorgen!“, halte ich dagegen.

„Klingt vernünftig!“, erwidert Toni.

„Enrico!“, tadelt Anette.

Ich betrachte den eingefallenen Bauch unserer Finanzministerin und dann ihr schmales Gesicht. „Wie lange hast du selbst schon nichts mehr gegessen, damit die anderen nicht hungern müssen?“, will ich wissen.

Anette senkt seufzend den Blick und zieht die Decke über ihren Bauch, der, als wolle er antworten, zu knurren beginnt. Verschämt sieht sie zur Seite weg.

„Es muss sich hier einiges ändern. Das werde ich auch Aaron klar machen, wenn ich gleich zu ihm gehe.“

„Ach verflucht! Stimmt ja! Wir wollten uns mit seiner Tochter in der Villa des Paten treffen“, meint Toni und kämpft sich an den Bettrand. Als er aufsteht, schwankt er von einem Bein auf das andere und kippt nach vorn. Ich kann gerade noch die Arme ausbreiten, um ihn aufzufangen. „Verdammt!“, knurrt er und greift sich an die Stirn.

„Du solltest hier bleiben und dich von dem Gift erholen. Bei Aaron kann mir nichts passieren. Da passt Jester und sein Personal auf“, schlage ich vor.

„Aber…“, versucht Toni dagegen zu halten, doch dieses Mal dulde ich keine Widerworte.

„Kein Aber! Ich brauche meinen Leibwächter bei bester Gesundheit.“ Einen sorgenvollen Blick setze ich auf und betrachte Toni damit unnachgiebig. „Bitte!“

Einen Moment lang mustert Toni mich. Als ich nicht wegsehe und auch nicht blinzle, seufzt er resigniert. „Na schön! Aber du lässt dich von Jester abholen und bleibst im Anwesen Aarons! Ich ruh mich heute aus und hole dich dann morgen ab.“

„Einverstanden!“, erwidere ich.

Das Hupen eines Automobils dringt durch die Fenster herein. Erschrocken fahren wir alle drei zusammen, kennen wir dieses markante Signal doch bereits schon. Jester ist also schon hier? Wenn Aaron ihn schickt, hat das selten etwas Gutes zu bedeuten.



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