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Kigan

– The crime scene of Gotamo City –
von

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Kapitel 3
 

Eine Woche später
 

„Möchtest du noch ein Stück Kuchen, Kaoru?“

Blinzelnd löste ich mich aus der Betrachtung der verblassten Blumentapete und traf auf Frau Sumidas erwartungsvollen Blick. Sie saß mir gegenüber auf dem Sofa, schon halb über den Tisch gebeugt, die Kuchenzange in der Hand.

„Gerne.“

Schließlich wollte ich die alte Dame nicht enttäuschen, obwohl ich mehr als satt war. Wen wollte sie hier eigentlich mästen? Gut, beschweren würde ich mich nicht, denn Kuchen war eins der letzten Dinge, die ich mir für gewöhnlich gönnte. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen hielt ich ihr meinen Teller bereitwillig hin, auf den sie das mittlerweile dritte Stück schob. Wenn ich nicht aufpasste, packte sie mir nachher noch die Reste ein, von denen ich mich anschließend noch eine Woche ernähren könnte.

Frau Sumida liebte es einfach, andere zu bewirten und sich um sie zu kümmern. Und wenn ihre üblichen Stammgäste am Ruhetag schon nicht ins Café kommen konnten, kamen sie eben zu ihr nach Hause. Sie war wirklich eine der wenigen, guten Seelen in dieser Stadt. Außerdem schmeckte ihr Kuchen herausragend gut und den konnte ich beim besten Willen nicht verschmähen.

Eine Berührung am Fuß riss mich erneut aus meinen Gedanken und ließ mich hinabblicken. Ein braun-schwarz-gestreifter Stubentiger schlängelte sich laut schnurrend um meine Beine.

„Jetzt lass Kaoru doch erst einmal aufessen, Mila“, erklang Frau Sumidas gutmütiges Lachen, während ich den Teller beiseite stellte und das Fellknäuel, das mich aus grünen Augen anfunkelte, hochhob.

„Ach, das macht nichts. Ich glaube, sie hat einen Narren an mir gefressen, sonst würde sie nicht ständig auf meiner Matte sitzen.“

Ich konnte gar nicht mehr sagen, wie viele Male ich die kleine Katzendame in den letzten Jahren vor meinem Haus aufgesammelt hatte, um sie anschließend drei Straßen weiter bei ihrem Frauchen abzugeben. Ein dutzend waren es bestimmt. Zwischenzeitlich war mir bereits der Verdacht gekommen, dass sie auf das Ausbüchsen trainiert war, nur um Frau Sumida einen Grund zu liefern, mich einzuladen und mit Kuchen vollzustopfen. Allerdings hatte ich nie nachgefragt und wirklich böse darüber konnte ich auch nicht sein.

Mit der Katze auf dem Schoß konnte ich wenigstens vorübergehend mit dem Essen zu pausieren. So lehnte ich mich im Sessel zurück und ließ den Blick durch den Raum schweifen.

„Haben Sie umgeräumt?“

Überrascht sah Frau Sumida von der Kaffeetasse in ihren Händen auf und folgte meinem Blick.

„Ich brauchte mal etwas Abwechslung. Was dir so alles auffällt…“

„Ab und zu muss ich eben meinen detektivischen Spürsinn trainieren“, lachte ich leise.

„Stimmt. Nicht, dass der gerade dann eingerostet ist, wenn du ihn brauchst.“

Ihre Mundwinkel zuckten, als sie ihren Kaffee trank.

Unterdessen sah ich mich weiter um, es war bereits ein paar Monate her, seit ich das letzte Mal hier gewesen war. Für gewöhnlich besuchte ich sie regelmäßig im Café. Überall an den Wänden hingen Bilder, sowohl Gemälde als auch Fotografien. Nur selten blitzte ein größeres Stück der Tapete hindurch. Dennoch war diese Fülle nicht erdrückend und zusammen mit den etwas in die Jahre gekommenen Möbeln wirkte die Wohnung durchaus stilvoll eingerichtet. Allerdings war ich nicht unbedingt ein Experte in solchen Dingen. Mich interessierte Dekoration herzlich wenig. Funktional musste es sein, weshalb man meine Wohnung auch gut und gerne als karg bezeichnen konnte. Völlig anders als Frau Sumidas Behausung. Die deckenhohen Regale waren vollgestopft mit Büchern, erinnerten dabei an eine Bibliothek, auf der Kommode hinter dem Sofa standen diverse Schatullen und verzierte Vasen. Ein Hauch vom früheren Glanz der Wohnung haftete diesen Dingen an.

„Sagen Sie, Frau Sumida, haben Sie nie daran gedacht, hier wegzuziehen?“

Verständnislos blinzelte sie mich an.

„Ich meine, dies ist nun nicht die beste Gegend und so ein Café ist sicher auch in einem anderen Viertel der Stadt gern gesehen.“

„Ach nein, Kaoru. Ich bleibe hier bis zum Schluss. Die Wohnung gehört mir bereits seit über 30 Jahren. Auch wenn ich zwischendurch mal woanders gewohnt habe, hat sich mein Herz immer wieder hierher zurückgesehnt. Frag nicht, warum. Es ist einfach so.“

Ihr Lächeln war ansteckend. Teils konnte ich sie verstehen, teils auch nicht. Denn die Gegend hatte meines Erachtens nichts Liebenswertes an sich, das irgendeine Sehnsucht erwecken konnte. Anscheinend sah man mir meine Zweifel deutlich an, denn sie lachte leise, als sie sich erhob, um einen Teil der Teller wegzubringen.

„Du musst es nicht nachvollziehen können.“

„Das kann ich auch nicht.“

Eilig scheuchte ich Mila von meinem Schoß und stand ebenfalls auf, um der Hausherrin zur Hand zu gehen.

„Weißt du, Kaoru, es gibt immer etwas, was jemanden an einen Ort bindet. Seien es Verwandte oder Bekannte, Besitztümer, Erinnerungen oder einfach das Gefühl, genau hier richtig zu sein.“

Darauf wusste ich nichts zu entgegnen, so nickte ich nur schweigend und folgte ihr in die Küche.
 

*
 

Es stank nach Benzin und nassen Sitzpolstern. Angeekelt zog ich meinen Schal höher, vergrub die Nase darin, um dem Geruch wenigstens etwas zu entkommen. Gleichzeitig verbat ich mir den Gedanken, was sich in diesen Sitzen noch so alles an Lebewesen tummelte. Bloß nicht darüber nachdenken.

An sich waren die vier Stationen mit dem Bus nicht weit, aber im Moment kamen sie einer Weltreise gleich. Die Scheiben waren beschlagen und nur mit Mühe waren die vorbeiziehenden Straßenzüge dahinter zu erkennen. Nicht, dass es dort draußen etwas Reizvolles zu sehen gab.

Mit einem unsanften Ruck kam der Bus zum Stehen, drückte mich dabei in die Lehne des Vordersitzes. Mir lag bereits eine gepfefferte Verwünschung auf den Lippen, doch ein flüchtiger Blick auf die Anzeigetafel verhinderte den Schwall an Schimpfwörtern. Hastig erhob ich mich und schlängelte mich durch die Reihen nach draußen.

Endlich frische Luft.

Während sich hinter mir die Türen zischend schlossen und der Bus seine Fahrt röhrend fortsetzte, blieb ich einen Moment lang auf dem Fußweg stehen und atmete tief ein. Gott, wie ich diese Busse hasste. Alles versifft, man fühlte sich eingeengt wie eine Sardine in der Dose. Die Luft war abgestanden und generell musste man darauf vertrauen, dass der Fahrer wusste, was er tat. Und bei vielen bezweifelte ich das stark.
 

Ein kalter Windstoß, der mir die Nässe des Nieselregens direkt ins Gesicht trieb, holte mich schließlich aus meiner Starre. Fluchend trat ich in den nächsten Hauseingang, um mir eine Zigarettenlänge Zeit zum Verschnaufen zu gönnen. Natürlich klappte das Anzünden erst beim dritten Versuch. Wie sollte es auch anders sein?

Dezent verstimmt drückte ich mich tiefer in den Hauseingang, nahm einen kräftigen Zug, während meine Augen langsam die Straße entlangwanderten. Es war zwar kaum eine Menschenseele unterwegs, dennoch fühlte ich mich wie auf dem Präsentierteller – wie das sprichwörtliche, schwarze Schaf in einer Herde voll weißer.

In diesem Teil der Stadt war ich seit Ewigkeiten nicht mehr gewesen. Er war zwar nur wenige Kilometer von meinem jetzigen Viertel entfernt und wirkte trotzdem vollkommenen anders – gleich einer komplett anderen Welt. Früher war mir diese Gegensätzlichkeit gar nicht so bewusst gewesen.

Während mein Blick über die Hausfassaden auf der anderen Straßenseite schweifte, wurde mir die Diskrepanz dieser Stadt wieder einmal deutlich vor Augen geführt. Hier konnten es sich die Leute leisten, ihre Häuser schön zu verputzen, die Eingänge sogar mit Blumenkübeln zu verzieren. Zeitgleich mutierten andere Viertel zu wahren Geisterstädten, kurz vor dem endgültigen Verfall. Und es würde sich nie ändern. Keiner, der hier wohnte, scherte sich darum, wie es anderen ging, solange es ihm selbst an nichts fehlte. Ich versuchte den bitteren Geschmack auf meiner Zunge hinunterzuschlucken. Aufregen brachte nichts, denn ich konnte sowieso nichts dagegen machen. Diesen aussichtslosen Kampf hatte ich vor Jahren aufgegeben.
 

Schnaubend trat ich die Zigarette aus, zog die Kapuze tiefer ins Gesicht und machte mich auf den Weg. Es war nicht weit.

Je näher ich meinem Ziel kam, desto unruhiger wurde ich, auch wenn ich nicht genau sagen konnte, warum. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass ich einer Spur nachging oder dass ich in solch einer Gegend unterwegs war. Nein, alles keine Gründe nervös zu werden, doch diesmal ging es mich persönlich etwas an. Die Sache mit der Visitenkarte und dem Brand ging mir nicht aus dem Kopf, jegliche Verdrängungsversuche funktionierten nicht. Mittlerweile war der Besuch der Polizisten eine Woche her und seither hatte sich niemand mehr gemeldet, dennoch ließ mir die Sache keine Ruhe. Es war wie bei unterschwelligen Kopfschmerzen. Mal waren sie nur ganz leicht spürbar, sodass man sie beinahe vergaß, um dann im nächsten Moment wieder kräftig zuzuschlagen. Es war zum Verrücktwerden. Dabei konnte mir die ganze Sache eigentlich gepflegt am Allerwertesten vorbeigehen, solange die Cops nicht erneut auf meiner Matte standen.

Ich glaubte zwar nicht, dass das Ganze hier zu irgendetwas führen würde, doch anscheinend war mein immer noch vorhandener Drang nach Gerechtigkeit und Wahrheit, gemischt mit einer Portion Neugier, stark genug gewesen, um mich zum Stadthaus der Hanedas zu führen. Innerlich schüttelte ich über mich selbst den Kopf. Ich würde es wohl nie lernen.

Wenigstens waren meine spontanen Nachforschungen in den vergangenen Tagen soweit erfolgreich gewesen, dass meine Vermutung, bei dem Verschwundenen könnte es sich um Hanedas Stiefsohn handeln, bestätigt worden war. Und das war‘s dann auch schon mit den Anhaltspunkten. Viel mehr gab es über diese Familie nicht herauszufinden, egal, wie viele Zeitungsartikel ich im elektronischen Archiv der Stadt durchforstet hatte. Nur kleinere Anzeigen über irgendwelche Spenden- und Eröffnungsgalas gab es dort und einen kurzen, fünfzehn Jahre alten Artikel über die Heirat von Akihiko Haneda mit einer Eri Terachi und einige Jahre später ihre Todesanzeige. Dafür, dass die Familie anscheinend zu den Angesehenen dieser Stadt gehörte, hielt sie sich reichlich bedeckt, anders als manch andere aus diesen Kreise.

Vielleicht hatte gerade das meine natürliche Neugier endgültig entfacht und mich dazu angetrieben, meine Nase in die Sache zu stecken, obwohl es mir nichts brachte, besonders kein Geld.
 

Mit einem schnellen Blick über die Schulter wechselte ich die Straßenseite, versuchte meinen Puls bewusst unten zu halten. Am liebsten hätte ich noch eine geraucht.

Zwar hatte ich den beiden Cops gesagt, dass es viele Leute gab, die meine Karte besaßen, dennoch war es mir schleierhaft, warum sie ausgerechnet bei dieser Familie gelandet war. Denn selbst, wenn sie wirklich für irgendetwas einen Detektiv hatten engagieren wollen, warum dann ausgerechnet mich? Ich war unbedeutend, ein kleines Licht am Firmament der Ermittler und garantiert nicht in der gewünschten Liga.

Und das war wohl eher der Grund, weshalb ich hier war. Ich rechnete nicht mit Antworten, aber irgendwo musste ich schließlich anfangen.
 

Ich bog um die nächste Ecke und stockte mitten in der Bewegung. Ein kurzer Blick auf die Hausnummer neben mir, bestätigte, dass mein Ziel nur wenige Meter entfernt vor mir lag.

Ungesehen huschte ich in den nächsten Eingang, in der Hoffnung, dass nicht just in diesem Augenblick die Bewohner das Haus verlassen wollten. Stirnrunzelnd blickte ich auf die beiden Autos, die vor einem der Gebäude parkten. Theoretisch nicht ungewöhnlich, allerdings war der große, schwarze Wagen mit den getönten Scheiben selbst für dieses Viertel reichlich auffällig. Und hätte ich noch Zweifel daran gehabt, hier richtig zu sein, die drei finster ausschauenden Typen, die neben der Haustür aufgereiht standen, räumten diese aus. Personenschützer, und zwar wohl von der weniger spaßigen Sorte. Da fühlte sich anscheinend jemand sehr wichtig.

Vorsichtig schlich ich noch ein Stück weiter heran, duckte mich hinter einer kleinen Mauer, direkt gegenüber meines Ziels. Ich spekulierte darauf, dass die zunehmende Dunkelheit mir ausreichend Schutz bieten würde. Ein Gefühl sagte mir, dass es besser war, ungesehen zu bleiben und dieses Gefühl hatte mich diesbezüglich noch nie im Stich gelassen. Eigentlich hatte ich bereits heute Vormittag hier sein wollen, um wenigstens einen Blick von außen auf das Haus zu werfen, aber dann war mir Frau Sumidas Katze in die Quere gekommen. Nun war ich ganz froh darüber.
 

Mein Blick glitt prüfend über das dreistöckige Gebäude. Bis auf die Autos und die Wachen unterschied es sich überraschender Weise nicht sonderlich von den anderen in dieser Straße. Keine Ahnung, was ich erwartet hatte. Die Häuser standen dicht gedrängt aneinander, so war es nicht verwunderlich, dass es bei dem Brand das Nachbargebäude miterwischt hatte. Von diesem war allerdings nur ein kleiner Teil der Fassade betroffen, während der erste Stock bei den Hanedas tiefschwarz und verrußt war. Doch schien sich der Schaden im Inneren in Grenzen zu halten, denn im Stockwerk darüber brannte Licht, ebenso wie im Erdgeschoss.

Gut, so kam ich nicht weiter. Und nachfragen, ob ich mich drinnen umschauen könnte, sparte ich mir. Schließlich hatte ich mit der Angelegenheit nur entfernt etwas zu tun, war nicht die Polizei und die Schränke dort drüben würden mich hochkant zurück auf die Straße befördern, sollte ich mich nähern.

Während ich darüber nachdachte, wie ich möglichst unauffällig wegkam – ich hatte das Gefühl, dass die Wachen in meine Richtung schauten – ging hinter ihnen die Tür auf und lenkte ihre Aufmerksamkeit so weit von mir ab, dass ich aus dem Staub machen konnte.



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