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Vogelfrei

von

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Die Flucht

„Wir sollten ihn hier lassen.“

„Was? Er gehört zu uns! Wir können ihn nicht einfach hier lassen!“

„Mit der Wunde kann er nicht reiten, geschweige denn bei Bewusstsein bleiben.“

„Nein. Er kommt mit uns. Die Kleine da drüben hat gesehen, dass er…anders ist.“

„Du bist daran schuld, dass das hier überhaupt nötig ist!!“

„Oi…ohne meine Hilfe wäre Aizawa tot!“

„Tse…der verdammte Waldschrat hätte nie allein-“

„Hört auf zu streiten. Das bringt nichts.“

Hawks sah ebenso wie Enji auf, wobei ihnen Toshinoris ernster Blick begegnete. Dieser hatte die Wunde so gut es ging abgebunden, kniete neben ihrem Kameraden auf dem Boden. In der Ecke schluchzte und heulte immer noch das Mädchen, während die Überreste der getöteten Dämonen den Boden in Blut tränkten.

„Toshinori. Er ist nicht stabil. Er wird verbluten.“

„Dann wird Hawks ihm eben sein Blut geben“, hielt der Blonde dagegen und es klang verbissen.

„Nicht, dass ich was dagegen habe“, brummte Hawks. „Aber…ich weiß nicht, wie mein Blut bei jemandem wie ihm wirkt. Vielleicht wird mich sein eigenes Blut abstoßen…ich habe echt keine Ahnung, aber…er ist nicht rein menschlich. Vielleicht schafft er es allein.“

Man sah Toshinori seine innere Zerrissenheit an, denn auch dieser musste wissen, dass ein Ritt mit solch einer Wunde alles andere als hilfreich war. Sie mussten den Einsiedler nähen, ihm Gelegenheit zum Heilen und Ruhen geben – und so gesehen hatte Enji sogar Recht. Ihre Flucht, die er ja leider tatsächlich verursacht hatte, war ein höheres Risiko für Aizawa.

Aber was hätte er machen sollen? Schließlich hatte ihn der Geruch ihres Kameraden auf die richtige Spur gebracht, ihn zum Geheimgang im Keller des Schlosses gebracht, der zum Versteck der Blutsauger führte. Er hatte die ganze Zeit gewusst, dass hier etwas nicht stimmte. Dass der Feind nahe war…und wenn er sich das mit Bisswunden und Kratzern übersäte Mädchen so ansah, ahnte er, dass das hier ebenso die Speisekammer wie das Schlafzimmer war.

Anstelle der zu erwartenden Dankbarkeit schluchzte das Mädchen bei seinem Anblick jedoch nur erneut auf und machte sich möglichst klein. Hawks hätte gern gesagt, dass ihn das schockierte, doch das tat es nicht. Sie war hier drin über Tage oder länger gequält worden. Sie hatte gesehen, wie er die Dämonen zerrissen hatte. Er war kein Mensch. Und auch, wenn er keine lebensgefährlichen Wunden davongetragen hatte, so war er blutbesudelt. Natürlich hatte sie Angst vor ihm. Vor ihnen allen vermutlich. Sie konnten nicht darauf bauen, dass die Kleine nicht hysterisch wurde und sie vor dem kompletten Volk als Dämonen und Besessene darstellte.
 

„Wir müssen hier weg“, durchbrach Enji das Schweigen zwischen ihnen. „Da ihr ihn nicht hier lassen wollt, schlage ich vor, dass Toshinori und ich wieder nach oben gehen. Hawks, du nimmst Aizawa. Ihr nehmt den Weg zurück, durch den er gekommen ist. Versteckt euch hinter der nördlichen Grenze. Wir holen die Pferde und kommen dann zu euch.“

Hawks zögerte merklich, denn das setzte voraus, dass er den Einsiedler tragen musste. Und dass sie durchs Wasser mussten. Er roch es. Vermutlich der Brunnen, den Aizawa öfter erwähnt hatte. Na gut, da mussten sie wohl durch.

Toshinori nickte, auch wenn es ihm schwer fallen musste, so wie er Aizawa ansah, welcher mit dem Oberkörper in seinem Schoß lag. Als würde der Blonde ihn nicht loslassen wollen. Dann aber straffte er die Schultern, sein Blick wurde entschlossen.

„Verlieren wir keine weitere Zeit. Kannst du ihn tragen, Hawks?“

„Ja. Wird schon gehen. Mit einem von euch wäre es schwerer…“

„Hn“, kam es nur schroff von Enji, der sich nun an das Mädchen wandte. „Komm. Wir bringen dich hier weg.“

Leichter gesagt, als getan, denn sie reagierte gar nicht. Als Enji einen Schritt auf sie zumachte, begann sie zu wimmern und wich zurück.

„Sie hat Schlimmes erlebt. Lass sie“, murmelte Toshinori, während er ihm Aizawa möglichst vorsichtig übergab. „Der Fürst soll eine Heilerin runterschicken…“

Hawks lud sich Aizawa über die Schulter – so konnte er ihn, gestützt von seinen Flügeln, besser tragen. Dann sah die Harpyie zu den beiden Männern, die sich erhoben hatten. Irgendwie gefiel es ihm nicht, dass sie sich trennen würden – und sei es auch nur kurz. Wehe, Shirakumo ließ zu, dass man den beiden etwas antat.

„Eh…na dann, also, wir sehen uns auf der…anderen Seite?“

Irgendwie kam ihm sein eigener Witz gerade geschmacklos vor, aber immer noch besser als ein Abschied, der nachher noch ein schlechtes Omen war.

„Bescheuerter Vogel“, hörte er Enji knurren und grinste schief.

„Pass auf euch beide auf“, fügte Toshinori hinzu und man merkte ihm an, dass auch er angespannt war. „Wir kommen so schnell wie möglich zu euch.“

„Ja. Verlasst euch auf mich. Ich krieg das hin…und ihr, lasst euch ebenfalls nicht abmurksen, klar?“

„Wofür hältst du uns?!“, grollte Enji zurück. „Los, verschwinde schon!“

Hawks zwinkerte ihm lieblich zu, ehe er Aizawa über seiner Schulter noch mal gerade rückte und mit ihm zum anderen Ausgang lief.
 

Dass es so dunkel war, machte ihm nichts aus, schließlich hatte er noch andere gute Sinne. Dementsprechend kam er recht schnell am Eingang des Brunnens an – und es gefiel ihm gar nicht, dass er mit Aizawa tauchen musste. Erstens, weil er nicht gern schwamm, und zweitens, weil es das Fliegen erschwerte – und er musste fliegen. Na ja, es würde schon klappen, immerhin waren dort oben nur die Dörfler. Die Wachen bewachten nach dem Aufruhr sicherlich noch gewissenhafter das Schloss.

Hawks atmete durch, ehe er Aizawa von seiner Schulter gleiten ließ. Der Einsiedler war noch bleicher als sonst, wobei das Blut einen harten Kontrast bildete. Nun, er selbst sah bestimmt nicht viel besser aus.

„Stirb mir nicht weg“, murmelte er ihm zu, ehe er ihn ins Wasser zog.

Dann schlang er den Arm um ihn, presste ihm die klauenbesetzte Hand aufs Gesicht und tauchte unter, nachdem er noch mal nach Luft geschnappt hatte. Hoffentlich soff ihm der andere nicht ab. Er musste schnell wieder auftauchen. Zum Glück schien es wirklich nur eine kurze Hürde zu sein, denn bereits ein paar Sekunden später sah er schon das Licht. Er riss Aizawa hoch, welcher hörbar röchelte und gierig den Sauerstoff einsog. Ein paar Mal blinzelte er durch seine nassen Haare, doch er schien ihn gar nicht richtig zu sehen. Mit Körperspannung war auch nichts los, so wie dieser in seinem Arm hing, den Kopf gegen seine Schulter gekippt.

Wenigstens sollte kein Wasser in seine Lunge eingedrungen sein. Dennoch…Enji hatte nicht Unrecht damit gehabt, dass es besser gewesen wäre, ihn bei Shirakumo zu lassen. Doch wenn das Mädchen redete oder sonst jemand damit ankam, dass der Einsiedler mit ihm im Bunde war…nein. Es ging nicht anders.

Hawks hielt Aizawa fest, während er seine Flügel im Brunnen spreizte, soweit es der Platz zuließ. Dann schlug er mit den roten Schwingen, versuchte die Feuchtigkeit aus seinem Gefieder zu schütteln. Es dauerte ein wenig, aber immerhin war das Wasser nicht sonderlich hoch, sodass er stehen konnte.

Ein Blick nach oben sagte ihm, dass die Dämmerung bald einsetzen würde. Gut, denn bei Dunkelheit war eine Flucht sehr viel einfacher. Er hievte sich Aizawa wieder über die Schulter, ehe er mit seinen Klauen den Brunnen hinaufkraxelte – und dabei aufpassen musste, dass ihm der Einsiedler nicht abstürzte. Dämonenblut hin oder her, unsterblich war er damit nicht, und aus dieser Höhe…
 

Hawks presste die Flügel eng an den Körper, damit Aizawa gut gesichert war und er nicht die ganze Aufmerksamkeit auf sich zog, sobald er oben war. Allerdings klappte das wohl nur zum Teil. Er stutzte, als er den Rand des Brunnens erklomm und in braune Kulleraugen sah.

Der Blick des Jungen wanderte über sein Gesicht und von dort zu seiner Last, blieb an den Flügeln hängen und senkte sich dann auf seine Klauen.

„Eh…hallo?“, brach Hawks die Stille und grinste schief, wobei seine Fänge hervorblitzten. „Schön leise sein, ja?“

Der Junge weitete seine Augen, starrte ihn an wie eine Erscheinung – und dann öffnete er den Mund, um das halbe Dorf zusammenzuschreien. Hawks fluchte hörbar und schwang sich auf den Brunnenrand, auf welchem er mit Aizawa für einen Moment hocken blieb. Köpfe drehten sich zu ihnen um, Getuschel wurde laut und Hawks wusste, als nächstes würde zu den Waffen gegriffen werden.

„Ein Dämon!! Das…das ist ein…“

„Da ist ein Monster!!“

„Hilfe!!“

„Bringt es zur Strecke!!“

So vertraut. Leider weckte es kaum Nostalgie in ihm, sondern eher eine Art altbekannte Übelkeit. Wenn er so in ihre Gesichter sah, den Schrecken und die Angst darin erkannte, wurde ihm wieder bewusst, warum er so lange einsam gewesen war. Bitter. Aber so war das Leben. Außerdem gab es Wichtigeres, denn er musste Aizawa in Sicherheit bringen.

„Oi!“, rief er dennoch. „Ich bin eine Harpyie, klar? Und wenn ihr lieb zu mir seid, bin ich auch lieb zu euch, also leg die Mistgabel weg! Ja, dich meine ich, Opa!“

Bevor der Greis, der mit seiner Waffe aus einem der Häuser kam, etwas erwidern oder tun konnte, breitete Hawks seine Schwingen aus, denn die Panik würde bald Überhand nehmen. Zumal er von Armbrüsten und Pfeilen in seinen Flügeln oder anderswo wirklich genug hatte. Er war keiner von ihnen und würde das auch niemals sein, damit musste er sich abfinden.

Um mehr Gleichgewicht zu bekommen, ließ er Aizawa nach vorn rutschen, sodass er diesen nun in den Armen trug. Wirklich gut, dass der Mann nicht so viel wog wie die anderen beiden.

„Bis dann, macht’s schön!“, zwitscherte er und stieß sich dann vom Brunnen ab.

Zuerst brach ihm der Schweiß aus, denn die Angst, dass ihn die Nässe in seinem Gefieder doch an den Boden fesseln würde, war noch da. Ebenso wie die Befürchtung, dass er mit seiner Last nicht hoch genug kommen würde. Umso befreiender war es, den Wind unter seinen Flügeln zu spüren, als er schließlich an Höhe gewann und aus dem Sichtfeld der Menschen verschwand.
 

Wie besprochen flog Hawks Richtung Grenze, beziehungsweise ein Stück darüber hinaus, falls doch noch Patrouillen unterwegs waren. Er suchte eine möglichst geschützte Stelle, umgeben von Bäumen und Felsen, ehe er Aizawa im weichen Moos ablegte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie eiskalt dieser war – und er verfluchte sich selbst. Die Nässe und der Wind mussten ihn völlig durchgefroren haben und dass das nicht gut war, musste ihm nicht erst ein Heiler sagen. Aizawa atmete unruhig, während ihm der Schweiß auf der Stirn stand und Hawks‘ schlechtes Gewissen damit noch steigerte.

„Scheiße“, murmelte er in sich hinein und sah sich verunsichert um.

Sollte er ein Feuer riskieren? So würden Enji und Toshinori sie leichter finden – potenzielle Feinde jedoch ebenso. Hawks seufzte stumm, ehe er sich zu dem Einsiedler kniete und sich daran machte, diesen aus seiner nassen Kleidung zu schälen. Der Mann hatte wirklich viele Narben am Körper, wenn er ihn sich so ansah und…er sollte nicht so gaffen, sondern ihn warm halten. Toll. Er hatte nicht mal eine Decke.

Und Aizawas Wunde blutete wieder, was ebenfalls nicht gut war. Ob er doch sein Blut nehmen sollte? Nach wie vor erschien ihm das zu heikel, da er nicht wusste, was passieren könnte. Stattdessen nahm er einen nassen Streifen Kleidung des anderen und band ihn stramm um dessen Seite – hoffentlich würde das nicht in einer Blutvergiftung enden, aber ihm fiel nichts Besseres ein.

Danach zog er sich selbst komplett aus und lehnte sich an die Felswand in seinem Rücken, ehe er Aizawa dicht an seinen Körper zog, ihn mit Klauen und Flügeln umschlang, bis nichts mehr von diesem zu sehen war. Es war die einzige Möglichkeit, die er sah, um den anderen wenigstens vor einer Unterkühlung und Fieber zu bewahren. Vollkommen uneigennützig. Auch wenn er wünschte, jemand würde ihm mal wieder so nahe kommen. Ohne, dass dieser jemand bewusstlos und kurz vorm Sterben war.

Hawks seufzte erneut, dieses Mal mit einer Spur Wehmut, während Aizawas Kopf an seiner Halsbeuge ruhte. Er lauschte dessen Atem, lehnte die Wange an dessen Stirn…noch fühlte er keine alarmierende Hitze. Nun gut, wenn es sein musste, würde er die ganze Nacht auf ihn aufpassen. Der Einsiedler war sein Freund. Sie alle waren Freunde. Kameraden. Es war immer noch schön, es sich vorzustellen. Dass er von nun an dazu gehören sollte. Zu diesem ungewöhnlichen Rudel.

Er musste lächeln, blickte vor sich hin in die Dunkelheit. Zwei Ritter, ein Halbdämon und eine Harpyie. Klang wie eine sehr fantasievolle Geschichte. Hoffentlich überlegte es sich Enji nicht anders, bei Toshinori hatte er da weniger Bedenken.

Andererseits hatte er schon bemerkt, dass der Rothaarige Probleme damit hatte, seine wahren Absichten und Emotionen darzulegen. Hawks durchschaute ihn langsam. So wie bei der Frage, ob sie Aizawa mit sich nahmen. Hörte sich herzlos an, wenn er aber nun zu seinem Patienten heruntersah, konnte er es nachvollziehen. Trotzdem sie sich nicht ganz grün waren, sorgte sich Enji ebenfalls um Aizawa, daran bestand für ihn kein Zweifel.

Hawks spürte, wie Aizawas Zittern schwächer wurde, und wertete dies als gutes Zeichen. Dieser würde es schaffen. Sie alle würden es schaffen und dann würden sie gemeinsam weiterreisen und…eh…Dämonen jagen? Wäre für ihn kein Problem, schließlich hatte er ja schon klargestellt, dass er diesbezüglich keinerlei Hemmungen besaß. Andernfalls hätte er die Blutsauger nicht zerfleischt. Er sah andere Dämonen nicht als seine Rasse an, hatte mit ihnen nichts gemeinsam. Es sei denn, sie begegneten jemandem wie ihm selbst. Manche Dämonen suchten kein Chaos, keine Zerstörung…nicht alle ernährten sich von Menschen. Vielleicht war es seine Aufgabe, dies diesem rothaarigen Sturkopf näherzubringen. Auf dem richtigen Weg war er ja anscheinend…

Hawks schloss die Augen, hielt Aizawa weiterhin fest, während er seinen Gedanken nachhing. Er würde nicht schlafen, seine Sinne aufs Äußerste gespannt lassen. Aizawas Zustand im Auge behalten und potenzielle Feinde in Schach halten – oder töten. Er hatte endlich Freunde gefunden. Das würde er sich nicht nehmen lassen. Nicht einmal vom verdammten Tod.
 

Stunden später, es war bereits finstere Nacht, fuhr er aus seinem dämmrigen Zustand hoch. Dieser Geruch…vor Aufregung erzitterten seine Flügel, ehe er Aizawa die Ohren zuhielt und einen grellen Schrei ausstieß. Gleich darauf ertönte Hufgetrappel und Pferdewiehern aus der Ferne. Am liebsten wäre Hawks ihnen entgegen geflogen, damit sie schneller hier waren, doch er besann sich. Er konnte Aizawa nicht einfach hier liegen lassen, so ungeschützt, wie er war.

Glücklicherweise musste er aber auch nicht lange ausharren, denn wenige Minuten später hielten die beiden Gäule bei dem Lager, das er für sie auserkoren hatte.

„Was zur Hölle tust du da?!“, entkam es Enji, welcher soeben von seinem Pferd stieg.

Beide Tiere waren mit vollen Satteltaschen ausgestattet, was Hawks vermuten ließ, dass Shirakumo sich noch ordentlich hatte bedanken wollte. In der Tat, der Fürst war ein guter Kerl, auch wenn er sich nicht zu ihnen bekennen konnte.

„Wonach sieht’s denn aus? Er war total unterkühlt und ich wärme ihn, damit er nicht auch noch krank wird!“, erwiderte Hawks, der nicht verstand, was die Frage überhaupt sollte. „Unsere Kleidung ist noch nicht trocken und ich wollte kein Feuer machen, um auf uns aufmerksam zu machen. Ich kann mit ihm nicht kämpfen.“

„Schon gut“, brummte der Rothaarige und winkte ab. „Wir haben Decken dabei…und Verbandszeug.“

„Ja. Ich mache das ab hier, Hawks“, pflichtete Toshinori ihm bei. „Danke, dass du dich so gut um ihn gekümmert hast.“

Dabei lächelte er ihn so ehrlich an, dass Hawks ganz warm ums Herz wurde. Scheinbar war Aizawa Toshinori wirklich wichtig…

„Natürlich! Wir sind Kameraden, nicht wahr?“, gab er freudig zurück und löste sich dann von dem Einsiedler.

„Zieh dir gefälligst was über!“, knurrte Enji ihn an und schmiss ihm eine Decke zu. „Ich gehe Holz holen und mache Feuer.“

Verdutzt blinzelte Hawks den anderen an, wobei er nicht nachvollziehen konnte, warum dieser so angefressen war. Schließlich hatte er sich doch vorbildlich um Aizawa gekümmert. Toshinori legte diesen gerade auf der zweiten Decke ab, bedeckte dessen Unterleib damit, ehe er sich der Wunde widmete. Hawks kuschelte sich in den Stoff, setzte sich neben ihn und sah zu.

„Ich muss die Wunde nähen“, hörte er den Blonden murmeln. „Sie blutet immer noch.“

Mit diesen Worten erhob er sich und holte die Utensilien, die er dafür benötigte. Scheinbar hatte Shirakumo an alles gedacht – und Alkohol zum Desinfizieren war auch dabei.

„Kannst du dafür sorgen, dass er sich nicht die Zunge abbeißt?“, fragte Toshinori ihn und drückte ihm einen Ast in die Klauen. „Falls er wach wird…und sich erschreckt…“

„Eh…ja. Sicher, ich passe auf.“

Hawks setzte sich hinter den Bewusstlosen und klemmte ihm den Ast zwischen die Lippen, wobei er dessen Kopf auf seinen Beinen bettete. Allerdings schien Aizawa nichts mitzubekommen, als der Blonde den Alkohol auf die Wunde kippte und die Nadel durch die Haut stach. Machte er wohl nicht zum ersten Mal, aber gut, wenn man ein Mensch war und keine guten Selbstheilungskräfte hatte, musste man wohl darauf zurückgreifen.

Als Toshinori fertig war, legte er Aizawa einen sauberen Verband an, wobei Hawks ihm half, indem er ihn etwas anhob. Vermutlich würde er von seinen Klauen den einen oder anderen Kratzer haben, aber das war wohl das kleinste Problem. Toshinori packte den Einsiedler so in die Decke, dass dieser komplett eingemummelt war und es schön warm hatte. Dann legte er die große Hand an dessen Wange und strich sanft darüber, ein bedauernder Ausdruck in den blauen Augen.

Hawks musterte Toshinori einen Moment lang, wobei ihm die Intimität hierbei nicht entging. Auch wenn er sonst wenig Taktgefühl besaß, das hier war offensichtlich. Er erhob sich, drückte im Vorbeigehen Toshinoris Schulter und machte sich dann daran, sich die noch feuchte Hose überzustreifen. Er würde zusehen, dass er ihnen was Gutes zum Abendessen fing.
 

Als er wenig später mit einem jungen Wildschein im Schlepptau zurück zum Lager ging, kreuzte er absichtlich Enjis Weg. Anscheinend hatte dieser denselben Gedanken gehabt, wenn er die beiden toten Kaninchen so betrachtete. Der Rothaarige fuhr zu ihm herum, wobei ihm das Feuerholz aus den Armen fiel – ebenso wie die Pelztiere, die oben auflagen.

„Was zum…schleich dich nicht an!“, wurde er angeknurrt und hob eine Braue. „Und was…ist das zur Hölle? Wir haben noch Proviant in den Taschen. Das ist wieder zu viel.“

„Keine Sorge. Das Vieh würde ich auch allein schaffen“, beschwichtigte er den Hünen.

Warum dieser schon wieder so gereizt war, war ihm schleierhaft. Immerhin hatten sie es doch geschafft? Oder war genau das der Grund? Wurde Enji an sein Wort erinnert? Wollte er ihn gar nicht dabei haben? Der Gedanke verpasste ihm einen Dämpfer.

„Gierschlund“, hörte er den Rothaarigen murmeln, während dieser Holz und Kaninchen aufsammelte.

Hawks erwiderte nichts darauf, sondern beobachtete ihn dabei. Er war unsicher, ob er einfach fragen oder es dabei belassen sollte. Aber wenn er keine Gewissheit bekam…

„Hast du es dir überlegt?“

Enji sah nicht auf, schnaubte bloß.

„Was überlegt?“

„Das mit mir. Dass ich mit euch zusammen weiterreise“, führte Hawks es näher aus. „Du hast heute erlebt, was für Konsequenzen es für euch haben kann, mit mir gesehen zu werden. Das wird sich nicht ändern. Vermutlich niemals.“

Enji antwortete nicht sofort darauf, richtete sich langsam wieder auf. Seine verbissene Miene deutete Hawks nicht gerade als gutes Zeichen. Das Schlimme daran war, dass er es sogar verstehen würde. Der Gedanke schmerzte, aber er war nachvollziehbar. Seine Vorfreude war verfrüht gewesen, er hatte sich zu sehr hineingesteigert.

„Hawks“, hörte er Enji schließlich sagen und blickte ihn an. „Dass du dich so offen gezeigt hast, hätte uns alle heute das Leben kosten können. Aizawas Alleingang kostet ihn vielleicht das Leben. Beides ist inakzeptabel.“

Die Worte waren hart gesprochen und ließen Hawks ein wenig zusammenzucken. Die Endgültigkeit in Enjis Stimme ließ ihn nichts Gutes erahnen und er machte sich innerlich bereit, davongejagt zu werden.

„Du sprichst von Kameradschaft, aber das macht nicht nur ein gemeinsames Ziel aus. Deswegen darf das in Zukunft nicht mehr passieren. Wenn wir zusammen weiterreisen, müssen wir uns aufeinander verlassen können. Verstanden?“

Hawks starrte in die türkisfarbenen Augen, die ihn fest anblickten.

„In…Zukunft?“, wiederholte er irritiert.

„Sagte ich doch. Hn. Falls Aizawa nicht ins Gras beißt. Dieser verdammte Waldschrat…der macht uns genauso viele Probleme wie du. Tse. Klettert in dieses Loch runter, sagt keinem was. Wenn er wieder bei Bewusstsein ist, verpasse ich ihm eine.“

Vielleicht war das Enjis Art, seine Sorge auszudrücken. Hawks jedenfalls hatte sich nicht verhört, oder? Was der andere gerade gesagt hatte?

„Ich darf bei euch bleiben?“, hakte er nach und spürte, wie das breite Lächeln kam.

„Was sonst?“, ranzte Enji ihn genervt an. „Und jetzt komm endlich.“

Damit wandte er sich ab und lief in Richtung ihres Lagers. Hawks heftete seinen Blick auf den breiten Rücken vor sich, ehe er das Wildschwein wieder am Bein packte und dem anderen folgte. Auch wenn die Sorge um Aizawa noch präsent war – das warme Glücksgefühl in seiner Brust konnte und wollte er nicht ersticken.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Heyho! :D
Das Kapitel ging mit leichter von der Hand als das Letzte...
Vielleicht auch, weil es ab jetzt einen neuen roten Faden gibt, den ich vor allem Lichtregen zu verdanken habe. <3
In letzter Zeit haben mich die FFs echt bei Laune gehalten.
Daher geht's hier vermutlich sehr bald weiter. :)

LG Komplett anzeigen

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