Zum Inhalt der Seite

Wenn der Winter stirbt

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Wenn der Winter stirbt
 

Der Winter suchte nun schon seit über fünf Monaten Johto heim. Schnee und Eis hatten sich über das Land ausgebreitet und waren wie eine kalte Decke, die sich über die Region gelegt hatte. Der Winterteppich war zu einer Last geworden für die Menschen und die Pokémon. Doch selbst in dieser unwirtlichen Zeit gibt es Leute, die sich davon nicht beirren lassen. Sie versuchen das Beste daraus zu machen.
 

„Komm schon“, seufzte ich leicht genervt und zog meinen Freund hinter mir her. „Ich habe etwas oben auf dem Turm gesehen.“ Wir hatten die Finger miteinander verschränkt und das mochte er eigentlich gar nicht. Er war nicht so der Typ für zärtliche Gesten.

„Was willst du denn da gesehen haben?“, rollte er mit den Augen und folgte mir widerstrebend.

„Ich bin mir sicher, dass es Ho-Oh war!“

„Das Ding ist ein Mythos, Connor. Komm mal wieder runter.“

„Sei nicht immer so ein Miesepeter, Caleb. Jetzt komm!“
 

Die Kälte drang einem durch Mark und Bein, egal ob man Winterjacken und dicke Hosen trug, oder weniger. Dieser Winter war unnatürlich und er hielt schon viel zu lange an. Das sollte aber nicht mein Problem sein, dafür gab es ja Meteorologen und Pokémonforscher und andere schlaue Menschen, die für die Lösungssuche bezahlt wurden. Ich für meinen Teil wollte nur ein paar romantische Minuten mit meinem Freund verbringen und das an einem besonderen Platz.
 

„Connor, es ist kalt und ich habe zuhause noch was zu erledigen“, nörgelte Caleb. „Obendrein sind die Stufen saurutschig. Wenn ich mir wegen dir was breche…“

„Mimimimi – jetzt hör auf zu jammern und komm endlich!“
 

Zu meiner großen Verwunderung stellte er das Nörgeln tatsächlich ein und beschränkte sich auf Schweigen. Ob das besser war konnte man so im Raum stehen lassen. Ich mochte ihn aber, genau so wie er war. Mein Freund. Ungefähr gleich groß wie ich, rabenschwarzes Haar und dunkelbraune Augen, in denen ich mich verlieren konnte. Er war anstrengend aber genau das liebte ich an ihm. Diese seltenen Momente, wenn er doch einmal lächelte oder sich zu einer zärtlichen Geste hinreißen ließ…
 

Auf der Turmspitze angekommen schlug uns eiskalter, pfeifender Wind entgegen. Binnen Sekunden zitterte ich am ganzen Körper. Die Tür hinter uns wurde wie von Geisterhand zugeschlagen. Trotz der Windböen bewegten sich weder die große Zinnglocke noch die goldenen Schellen, die an den Dachecken befestigt waren. Schnee und Reif hatten sich über das rote Holzgeländer gelegt und verschluckten es fast. Ich wischte mit dem Ellenbogen meines Parkas darüber und lehnte mich dann darauf, Caleb neben mich ziehend.
 

„Was sagst du? Ein wunderschöner Ausblick, oder? Die verschneiten Bäume, Teak City, wie es ruhig daliegt, dazu die Schneeflocken, wie sie unablässig fallen und der sturmgraue Himmel, hinter dem spärlich die Sonne hervorkommt.“ Dass es hier arschkalt war ließ ich einmal geflissentlich außen vor.

„Es ist kalt und ich habe Teak City schon öfter so gesehen“, stellte Caleb nüchtern fest, lehnte sich aber ebenfalls auf das Geländer. „Deswegen hast du mich hier heraufgeschleppt? Im Ernst?“

„Nein, eigentlich nicht.“ Ich grinste schief und drehte mich zu meinem Freund. „Ich finde es hier oben romantisch.“

„War ja klar“, verdrehte er erneut die Augen. „Connor, ich habe wirklich was anderes zu tun, als mir hier oben den Hintern abzufrieren. Was auch immer du vorhast, mach schnell…“

„Manchmal habe ich das Gefühl, du würdest an sowas gar keinen Gefallen finden“, schmollte ich gespielt und griff nach seinen Händen, die so herrlich warm waren.

„Habe ich auch nicht.“

„Jetzt lächle doch mal!“

„Mir ist nicht nach Lächeln.“

Caleb war manchmal wirklich ein sturer Esel den man zu seinem Glück zwingen musste. Ich erinnerte mich an unser erstes Date, das ähnlich abgelaufen war. Im Nachhinein fragte ich mich, wieso es am Ende doch geklappt hat – in meiner Welt wäre das wohl auf das Schicksal zu schieben gewesen, in seiner… keine Ahnung.

Ich zog meinen Freund in eine sanfte Umarmung und schaute dabei in diese rehbraunen Augen, denen so viel Kälte und Gleichgültigkeit anhing und doch war da ein Schimmer von Wärme. Hinter seiner groben Fassade verbarg sich ein verletzlicher weicher Kern. Für diesen einen Kern lebte ich. Sein Lächeln war himmlisch und er konnte ganz zärtlich sein, wenn er denn einmal wollte. Den Rest kompensierte ich irgendwie. Caleb würde mir nie offen zeigen, wie sehr er an mir hing, nicht einmal hier, wo uns niemand sehen konnte, dafür tat ich das umso mehr, sehr zu seinem Leidwesen. Meine Lippen legten sich auf seine und formten einen unschuldigen Kuss. Er schmeckte nach dem Kakao, den wir vorher noch rasch getrunken hatten, vermischt mit einem Hauch von Zimt. Es dauerte einen kleinen Augenblick, der für mich wie eine Ewigkeit war, bis er sich endlich breitschlagen ließ und den Kuss erwiderte. Seine rechte Hand legte sich in meinen Nacken und die andere ruhte auf meiner Hüfte. Ich seufzte wohlig in den Kuss hinein und schloss die Augen.

Es war als würde die Zeit stehenbleiben. In diesem Moment gab es nur Caleb und mich. Sein warmer Atem, der mich an der Nase kitzelte, seine sanften Lippen, die auf meinen ruhten und der Schlag seines Herzens, den ich zu hören glaubte. Ich schlang meine Arme um ihn und vergaß alles um mich herum. Die Kälte, genauso wie der beißende Wind, und auch dessen Heulen, verstummten und machten in meinen Gedanken anderen Dingen Platz. Ich hörte wie die Schellen an den Dachecken zu vibrieren begannen, immer heftiger und sie leise läuteten, jede nacheinander. Mir war als würde die große Zinnglocke sich in Bewegung setzen, ganz sanft und im Einklang mit Calebs Herzschlag. Der ganze Turm schien zu erbeben und eine wohlige Wärme breitete sich auf meinem Gesicht aus, so als würde ich in eine warme Badewanne eintauchen. Meine Finger kribbelten, wie auch mein Nacken. Aus der Ferne war ein lautes Kreischen zu hören. Flügelschläge näherten sich. Sie wurden immer lauter und verstummten plötzlich als es über uns knackte. Ich öffnete die Augen und schrak zurück. Caleb seufzte genervt, seine eigenen noch immer geschlossen und murrte leise.

„Connor, jetzt lasse ich mich schon auf dieses Spielchen ein und du brichst es dann ab. Was willst du eigentlich?“

„Caleb, schau!“, rief ich und zupfte ihn am Jackenärmel.

„Wenn das wieder einer deiner Tricks ist, dann…“

Mein Freund verstummte ebenfalls, denn er sah das Gleiche wie ich. Auf der Spitze des Glockenturms hockte ein Pokémon, so majestätisch, wie ich es noch nie in meinem Leben gesehen hatte: Seine Federn schienen in den sieben Farben des Regenbogens zu leuchten, der gerade über uns in all seiner Schönheit ruhte. Der stolze Vogel beobachtete uns neugierig und hatte dabei seine riesigen Schwingen an den Körper gelegt. Der goldene Kamm auf seinem Haupt glich einer Krone und in den roten Pupillen brannte ein warmes Feuer.

„Woah“, murmelte ich und starrte nach oben. „Ist das…?“

„Komm mir jetzt ja nicht mit deinen Märchen von dieser Sage.“ Caleb klang zur Abwechslung einmal selbst ein wenig verunsichert.

„Doch! Das muss Ho-Oh sein. Ganz sicher! Der Wächter des Himmels. Schau doch!“

Ich deutete um uns herum. Der Schnee war geschmolzen.

„Reiner Zufall.“

Ho-Oh kreischte laut und senkte seinen Hals zu uns herunter. Es schaute Caleb tief in die Augen. Dieser griff nach meiner Hand und drückte sie fest. Ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen: Soviel zu „Mich lässt das alles kalt“. Das Vogelpokémon tat das Gleiche bei mir und ich hatte das Gefühl mich nicht mehr bewegen zu können. Wie gelähmt stand ich da und kostete die Minuten der Wärme und Stille aus, Calebs Hand auf meiner und den legendären Vogel vor mir. Ho-Oh reckte den Kopf in die Höhe, kreischte laut und schwang sich dann wieder in die Lüfte. Es brach auf, gen Osten und zog einen Regenbogen hinter sich her. Die Wolken brachen auf und Sonnenstrahlen überfluteten das Land. Der Weg, den Ho-Oh entlangflog, taute auf, wie auch gesamt Teak City von der Last des Winters befreit wurde. Ich starrte dem Pokémon nach und wurde erst aus meinem Bann befreit als Caleb an mir rüttelte.

„Connor?“

„Ja?“, schüttelte ich den Kopf und lächelte verträumt.

„Du hast da was.“

„Hm?“

Ich folgte Calebs Fingerzeig und griff in meine Kapuze. Stutzend betrachtete ich das Geschenk, das ich sogleich vorsichtig in beide Hände bettete. In meinen Handflächen lag eine einzelne Feder. Sie leuchtete genauso wie Ho-Oh selbst – eine Buntschwinge, so wie sie im Schrein aufbewahrt wurde! Ehrfürchtig betrachtete ich sie einen Moment lang, bevor ich die Feder in Calebs Haare steckte und kicherte.

„Hey, lass das“, schnaubte er genervt.

„Sch, sonst machst du sie kaputt. Hör auf.“ Ich schnappte mir seine Hände und küsste ihn erneut. „Der Legende nach sollen nur Menschen mit einem reinen Herzen in der Lage sein Ho-Oh zu rufen. Meine Liebe zu dir scheint wohl ausreichend gewesen zu sein, Caleb. Unsere Liebe hat den Winter vertrieben. Er stirbt endlich und kommt nächstes Jahr wieder zurück. Der Zauber ist gebrochen. Darum sind wir zusammengekommen“, hauchte ich ihm zu und schob seine Arme in meinen Nacken, wo er sie zusammenlegte.

„Spinner“, sagte er und lächelte dabei angedeutet.

„Ich liebe dich, Caleb.“

„Ich dich auch, Connor.“

Und dieses Mal war es, der mich küsste.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück