Gute Nachtgeschichte
âAsh, ich habe gesagt, du sollst den Laptop ausschalten und ZĂ€hne putzten. Ich bringe Oli ins Bett, danach möchte ich dich in deinem vorfinden.â
Cole schloss die ZimmertĂŒr hinter sich. Pubertierende MĂ€dchen waren so Ă€tzend sein. Heute spielte er den Babysitter. Seine Eltern waren bei Freunden eingeladen.
Oli war kein Problem. Er war acht Jahre alt und tat alles, was Cole sagte. Der Junge schaute zu seinem groĂen Bruder auf. Cole selber war mit acht ganz anders gewesen.
âFertig, GroĂer?â, fragte Cole, beim Betreten des Zimmers. Oliver lag brav in seinem Bett. Das Licht war ausgeschaltet, die einzige Lichtquelle war die kleine Sternenlampe auf dem Nachttisch.
âJa. Ich habe ZĂ€hne geputzt, siehst du?â Der Junge prĂ€sentierte seine sauberen BeiĂerchen.
âDie sind so sauber, die blenden einen.â Spielerisch hielt Cole seine Hand vor die Augen, als wĂŒrde er sie schĂŒtzen. Oli lachte.
Cole deckte seinen kleinen Bruder ordentlich zu und setzte sich dann auf die Bettkante. Mit einem kurzen Blick checkte er, ob alles da war, was Oliver brauchte. Eine Flasche Wasser auf dem Nachttisch, das Fenster war gekippt und der Kuschelaffe in Olis Arm.
âGute Nacht, GroĂer. Schlaf gut.â Kurz streichelte der Blondschopf seinem kleinen Bruder ĂŒber den Kopf und wollte sich dann aus dem Zimmer zurĂŒckziehen. Oliver hatte andere PlĂ€ne.
âErzĂ€hlst du mir noch eine Geschichte?â
âEine Geschichte?â Verwundete sah Cole Oli an.
âBist du dafĂŒr nicht zu alt? Ich dachte, du liest vorm Einschlafen?â
âJa, wenn Mum mich ins Bett bringt, aber du erzĂ€hlst immer so tolle Geschichten. Bitte, Cole!â
Unsicher kratzte sich der Blondschopf am Kopf. Das letzte Mal hatte er Oliver vor zwei Jahren eine Gutenachtgeschichte erzÀhlt. Jetzt hatte er keine Idee.
âWas möchtest du denn hören?â
âEine Weihnachtsgeschichte. So eine, wie die Geschichten, die Dad schreibt.â Ihr Vater war Horrorautor. Seine Eltern wĂŒrden Cole lynchen, wenn er seinem kleinen Bruder so eine Geschichte erzĂ€hlte.
âGroĂer, ich glaube das ist nicht das richtige zum Einschlafen.â
âOch, bitte Cole. Ich krieg keine Angst, versprochen. Ich bin Acht und glaube nicht mehr an Monster unterm Bett. Ich weiĂ, das sind nur Geschichten.â Verdammt, wie sollte er seinem kleinen Bruder bei dem Blick was ausschlagen? Er fand schon etwas, was fĂŒr Olivers Alter geeignet war, und was seinen kleinen Bruder nicht nachts zu ihren Eltern ins Bett kriechen lieĂ.
âOkay, mach mir mal Platz.â Damit legte sich der Blondschopf neben seinen kleinen Bruder.
âDu weiĂt doch, dass Tristans Familie Nikolaus feiert?â
âJa, am 6. Dezember.â
âGenau. Der heilige Nikolaus kommt, um den Kindern eine Belohnung in die Stiefel zu fĂŒllen. Aber nur den Kindern, die artig sind. In manchen LĂ€ndern kommt der Nikolaus allerdings nicht alleine.â
Coles Stimme wurde immer gedÀmpfter. Hinein mischte sich ein mystischer Klang.
âEr wird begleitet vom Krampus, der sich den Kindern annimmt, die unartig waren. Er soll von riesiger Gestalt sein. Statt auf FĂŒĂen schreitet er auf Hufen des Wegs entlang. Sein Unterkörper ist der einer Ziege. Schreckliche Klauen zieren seine Finger. Eine Teufelsfratze ist sein Gesicht, mit langen scharfen FangzĂ€hnen. Seine roten Augen funkeln dĂ€monisch. Er wird begleitet von fiesen Gesellen, die nur Unruhe stiften.â Oliver hatte sich die Decke eine wenig höher gezogen.
âWas macht er mit den Kindern, die unartig sind?â
âDie Kinder, die nicht hören möchten und den Geist von Weihnachten nicht ehren, nimmt er in seinem Sack mit. Wo er sie hin bringt, das weiĂ niemand genau.â
Cole war Oli ganz nah gekommen. Eine kurze Pause und mit einem Wahhh, packte er seinen kleinen Bruder und kitzelte ihn.
âAufhören... lass das!â Oli und Cole lachten zusammen, bis der Ăltere seine HĂ€nde wegzog. âUnd jetzt schlaf schön.â Liebevoll streichelte er nochmal den Kopf seines kleinen Bruders. Ein Kuss auf die Stirn, dann schaltete Cole das Licht aus und verlieĂ das Zimmer. Zeit, die Zicke ins Bett zu schicken.
Es war mitten in der Nacht, als jemand Cole aus seinem Schlaf rĂŒttelte. MĂŒde schaute der Blondschopf auf. Zwei gestalten standen vor seinem Bett. Eine GroĂe und eine Kleine. Er schaltete das Licht an. Seine Augen brauchten eine Weile, bis sie erkannten, wer ihn geweckt hatte.
âMum? Was ist los. Warum stehst du mit Oli hier?â
âDas ist dein Problemâ, schnaubte seine Mutter und verlieĂ das Zimmer. Oli schaute seinen groĂen Bruder verlegen an. Seinen Stoffaffen im Arm.
âWas ist los, GroĂer?â
âIch kann nicht schlafen, ich hab Angst, dass der Krampus mich holt.â Shit, jetzt konnte er die Reaktion seiner Mutter verstehen.
âOli, warum sollte er dich mitnehmen?â
âIch hab letztens zwei Kekse aus der Dose geklaut, obwohl Mum es mir verboten hatte. Ich wollte bei Mum und Dad schlafen, aber als ich ihnen erzĂ€hlt habe, wieso ich nicht schlafen kann, nahm Mum mich mit zu dir. Kann ich bei dir schlafen?â Cole war zu mĂŒde seinem kleinen Bruder zu erklĂ€ren, dass der Krampus ihn nicht wegen zwei Keksen mitnehmen wĂŒrde. Oder, dass er gar nicht existierte. Der Blondschopf hob seine Bettdecke und machte Platz. Oli krabbelte zu Cole ins Bett.
âIch beschĂŒtze dich, vor allem. Auch vorm Krampus.â Aneinandergekuschelt schliefen die beiden BrĂŒder ein. Kurz vorm Einschlafen schwor sich Cole, er wĂŒrde nie wieder Gruselgeschichten erzĂ€hlen.