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Boston Boys - Fragmente

Kurzgeschichten zur Boston Boys Reihe
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
CN: Drogenkonsum (erwähnt) Komplett anzeigen

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Samsa – Februar 2017

Brummend griff ich nach meinem Handy. Was zur Hölle? Es musste noch mitten in der Nacht sein.

Mir blieb jedoch keine Zeit, nach der Uhrzeit zu sehen. Sobald klar war, dass Tino mich anrief, nahm ich ohne weitere Verzögerung ab. »Was ist passiert?«

Kerzengerade saß ich im Bett und lauschte auf die lauten Hintergrundgeräusche. Nein, das klang nicht nach einer Party, also vermutlich kein betrunkener Anruf. Ein Hosentaschenanruf?

»Isaac?«, hörte ich Tinos Stimme nach einer Weile, in der auch die Hintergrundgeräusche etwas abgenommen hatten. Er klang ... erschöpft?

»Ja, ich bin dran. Was ist los?« Hatte er mich beim ersten Mal nicht gehört?

»Isaac, bist du zu Hause? Kann ich ... Verdammt, vergiss es!« Er machte ein Geräusch, bei dem ich nicht einordnen konnte, ob er weinte oder Schmerzen hatte.

Das machte mir neben seinem Gestammel noch viel mehr Angst. So hatte ich ihn bisher nicht erlebt. Unruhig stand ich auf und lief im Zimmer auf und ab. »Tino, hey! Was brauchst du?«

»Nichts, schon gut. Du hast deutlich klar gemacht, dass du mich nicht bei dir haben willst. Ich ... Ich hab nicht nachgedacht. Du bist mir nur als zweites eingefallen, weil Nick gerade im Urlaub ist. Tut mir leid, ich hätte nachdenken sollen, bevor ich anrufe. Gute Nacht. Ich meld mich morgen oder so.«

»Tino, stopp! Nicht auflegen!« Im Hintergrund hatte ich etwas gehört, was mir in Verbindung mit seinem Gestammel wirklich Sorgen machte: Sirenen. »Hör zu: Fahr mit der T zum Roxbury Crossing. Ich hol dich dort ab.«

»Nein, schon gut. Ich find eine andere Lösung.«

Ich seufzte. »Tino, komm schon. Du brauchst eine Unterkunft für die Nacht, oder? Deshalb hast du angerufen. Du kannst bei mir bleiben.«

Diesmal klang er schon etwas besser, widersprach aber trotzdem: »Aber du willst nicht, dass jemand zu dir in die Wohnung kommt.«

»Gerade biete ich es dir aber an. Du musst wirklich keine Angst haben, das anzunehmen.« Ich konnte mir das Schmunzeln nicht verkneifen. Selbst jetzt noch dachte er an meine Gefühle. Aber das war wirklich kein Problem. Nicht bei ihm.

Die Erleichterung war ihm deutlich anzuhören. »Danke.«

»Wir sehen uns gleich. Und sei bitte vorsichtig.«
 

Nervös lief ich in meiner Wohnung auf und ab. Natürlich hatte Tino um diese Zeit vor der verschlossenen Bahnstation gestanden. Daher wartete ich nun, dass er mit dem Taxi bei mir ankam.

Doch er ließ sich wirklich Zeit. So lang war der Weg doch auch nicht.

Noch einmal ging ich im Kopf durch, ob ich alles getan hatte, was mir möglich war. Ich hatte die Couch für Tino fertig gemacht, falls er direkt schlafen wollte, hatte alle Küchenschränke nach essbaren Snacks abgesucht und tatsächlich ein paar gefunden, außerdem hatte ich noch etwas Tee gefunden, konnte ihm also auch das oder Kaffee anbieten, falls er es brauche. Was tat man sonst noch in so einer Situation?

Mir blieb keine Zeit mehr, mir weiter darüber Gedanken zu machen. Es klingelte und ich hastete zur Tür, um Tino hereinzulassen. Da mal wieder der Türöffner kaputt war, musste ich bis nach unten laufen.

Tino sah müde aus, völlig erledigt und in sich zusammengesunken. Es lag kaum Körperspannung in seiner Haltung.

Mit einem »Hey« zog ich ihn fest an mich.

Er ließ sich gegen mich fallen und ihm entrang statt einer Antwort ein erschöpftes Seufzen. Nur sehr leicht legten sich seine Arme um mich.

Ein leichter Brandgeruch hing in der Perücke, vermischte sich mit einem Hauch Alkohol und Weed. In Verbindung mit den Hintergrundgeräuschen beim Telefonat und der Kleidung, die er trug, konnte ich mir etwa ausmalen, was passiert war.

Nach einer Weile ließ ich ihn los, stellte dabei sicher, dass er auf eigenen Beinen stand. »Komm mit hoch.«

Seine Reaktion bestand lediglich aus einem Nicken. Langsam stapfte er hinter mir die Treppen hoch.

In meiner Wohnung angekommen, wollte er sich direkt auf die Couch fallen lassen, doch ich hielt ihn auf. »Gib mir mal deine Klamotten. Ich wasch sie für dich.«

Wieder folgte er stillschweigend der Aufforderung, setzte sich dann auf die Kante der Couch und zog die Decke über sich.

Ich brachte Tinos Sachen nur ins Bad, da ich die Waschmaschine um die Zeit nicht mehr anstellen wollte und auch nicht bei allen Klamotten wusste, ob ich sie einfach so dort reinwerfen konnte. Die Perücke hing ich behelfsmäßig über die Duschstange.

Dann durchsuchte ich meinen Schrank im Schlafzimmer nach liegengebliebenen Sachen meiner Freunde, die Tino passen könnten.

Während der ganzen Zeit ging mir Tinos leerer Blick und sein fragloser Gehorsam nicht aus dem Kopf. Ich kannte diese Reaktion von mir selbst, doch es war schwer auszuhalten. Sobald er gemerkt hatte, dass ich mich um ihn kümmerte, hatte etwas in ihm abgeschaltet und verließ sich darauf, dass ich das Richtige tat. Er hatte nicht einmal protestiert, als ich ihm sagte, er sollte sich ein Taxi nehmen. Hätte ich gewusst, dass er vorher auf einer Party war, hätte ich ihn abgeholt.

Es half nichts. So sehr es mich auch ärgerte, nun war es geschehen. Tino war angekommen und ich konnte nur hoffen, dass unterwegs nichts passiert war.

Wie vermutet fand ich nur ein paar Shirts von Lance und Roger, doch es war besser als nichts. Bis Tinos Sachen gewaschen waren, würde es reichen.

»Ich hab hier noch ein Shirt von Roger, falls du dir etwas überziehen möchtest.« Ich hielt es ihm hin.

Er nickte und zog es über. Zwar war es etwas eng um seine Brust, aber das schien ihm nichts auszumachen. Vielleicht dachte er morgen schon anders darüber ...

»Möchtest du noch etwas Trinken? Oder essen?«

»Wasser«, kam die knappe Antwort mit heiserer Stimme.

Es war nicht viel, aber es machte mir Hoffnung, dass Tino nicht ganz abgeschaltet hatte.

Ich holte ihm eine Flasche aus dem Kühlschrank und stellte sie ihm gemeinsam mit einem Glas auf den Tisch.

Für einen Moment sah ich Tino einfach nur an, der sich nicht rührte, dann entschied ich, ihn zumindest etwas zum Reden zu bringen. Jedoch so wenig wie nötig. »Möchtest du schlafen? Oder etwas schauen?«

Er sah kurz nach links und rechts neben sich auf der Couch, als wäre ihm gerade erst aufgefallen, wo er war, dann sah er zu mir. »Schlafen ... vielleicht; wenn es geht.«

»Ja, du siehst aus, als könntest du das gebrauchen.« Ich lehnte mich zu ihm vor, strich durch seine Haare und als er mit leeren Augen zu mir aufsah, küsste ich ihn leicht. »Das Bad ist ganz am Ende des Flurs. Mein Schlafzimmer ist links davon, falls du noch was brauchst. ... Du darfst aber auch gern an alle Schränke gehen, wenn du was suchst.«

Er legte seine Hand auf meine, die ich gerade von seiner Wange nehmen wollte, und hielt sie leicht fest. »Kannst du noch eine Weile hierbleiben? Vielleicht, bis ich eingeschlafen bin?«

»Ja.«

Ich wartete, dass er sich hingelegt hatte, dann setzte ich mich auf die Armlehne an seinem Kopfende. Sanft kraulte ich durch die Haare an seiner Schläfe und lauschte seinem Atem. Es dauerte gar nicht so lange wie befürchtet, bis Tino einschlief. Vermutlich half der Alkohol.

Erst als ich sicher war, dass Tino davon nicht wieder aufwachte, stand ich auf. Vorsichtig deckte ich ihn noch einmal richtig zu, bevor ich mich auf den Weg in mein Schlafzimmer machte. Die Türen ließ ich dabei nur angelehnt. Er sollte kein schlechtes Gewissen haben, mich notfalls zu wecken.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  chaos-kao
2023-05-24T07:37:12+00:00 24.05.2023 09:37
Es ist schön auch einmal Samsas fürsorgliche Seite kennen zu lernen. Sonst ist es ja immer eher er, der umsorgt werden muss, da es ihm nicht gut geht. Es ist schön zu lesen, dass es auch mal andersrum ist, auch wenn es natürlich scheiße ist, dass es Tino so schlecht geht. In meinem Kopf laufen gerade die unterschiedlichsten Szenarien was passiert sein könnte. Ich bin gespannt, ob es noch aufgelöst wird und ob ich ansatzweise damit richtig liege.
Antwort von:  Vampyrsoul
30.05.2023 14:18
Samsa hatte ja genug Gelegenheit zu lernen, wie es geht. Ich meine, er macht da in dem Moment auch nichts anderes als einfach imitieren, was andere für ihn getan haben und hoffen, dass es reicht.


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