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Nachhilfe

von

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Diese Therapiestunden bei Connors Vater waren die Hölle. Nicht, dass Anton jetzt ein schlechter Mensch gewesen wäre, oder ein Pfuscher (sofern ich das beurteilen konnte), aber er arbeitete Stück für Stück mit mir auf, was damals im Club passiert ist. Das war härter als gedacht. Er gab mir die nötige Zeit, um mich wieder zu beruhigen, und auch Pausen, die ich brauchte, aber ein Zuckerschlecken war es dennoch nicht. Ich fragte mich außerdem, warum er und Connor so verschieden aussahen. Anton war klein, dunkelhaarig, untersetzt und besaß dunkelbraune Augen, die einen fast schon zu röntgen schienen. Die Ähnlichkeit zu Olivia war unbestreitbar, aber zu seinem Sohn… Dieser bog gerade in jenem Moment auf den Parkplatz vor der Praxis ein. Ich öffnete die Beifahrertür und stieß beim Einsteigen einen erschreckten Laut aus.
 

„Was ist mit dir passiert?“, fragte ich entsetzt. Connor sah aus als wäre er in eine handfeste Schlägerei geraten.
 

„Lange Geschichte“, wiegelte er ab. „Wie war es bei Papa?“
 

„Wie immer – anstrengend. Wo hast du das her?“ Ich deutete auf sein blau angelaufenes Kinn.
 

„Willst du gar nicht wissen. Hast du Hunger?“, versuchte Connor abzulenken.
 

„Nein, ich will wissen, woher du diese Verletzung hast. Ich war nicht mal zwei Stunden weg.“
 

„Danny, das willst du wirklich nicht wissen. Belassen wir es einfach dabei, dass ich zum Teil selbst schuld daran bin, okay?“
 

„Das ist kindisch“, entgegnete ich trotzig. „Du bist mein Freund und ich will jetzt wissen woher diese Schramme stammt.“
 

Eben jener Freund seufzte genervt und trippelte unruhig auf dem Lenkrad herum. Das war ein sicheres Zeichen dafür, dass Connor nervös war.
 

„Caleb hat mich besucht.“
 

„Was?“
 

„Ja, er ist wohl nicht ganz glücklich darüber, dass du bei mir bist, oder mit mir zusammen. Wie auch immer…“ Connors Tonfall war ähnlich gleichgültig wie wenn man jemanden nach dem Wetter fragte.
 

„Er hat dir eine gewischt? Wie Nicky?“
 

„Scheint so, hm? Ich darf mir also gar nichts drauf einbilden? Bin wohl nicht der Erste, der mit Calebs Faust Bekanntschaft gemacht hat?“ Das Glucksen verwandelte sich in ein schmerzverzerrtes Zischen als Connor die Mundwinkel anhob.
 

„Nein“, schüttelte ich den Kopf. „Nicky hat er am Anfang auch eine geknallt. Ich habe ihm dafür die Reifen zerstochen.“
 

„Sowas kannst du?“
 

„Natürlich. Ich sehe nur so harmlos aus“, entgegnete ich schwach grinsend. „Tut es sehr weh?“
 

„Es gibt angenehmere Dinge, aber geht schon. Wenn es bis übermorgen nicht besser ist, werde ich Mama einfach fragen, ob sie es sich mal ansehen kann.“
 

„Das klingt einigermaßen vernünftig.“ Ich wusste ehrlich gesagt nicht, was ich darauf antworten sollte. Warum hatte Caleb denn wieder so einen Bock geschossen? Dass er Connor nicht mochte wusste ich, ihm aber eine reinzuhauen… Ich war irgendwie sauer auf meinen großen Bruder.
 

„Du hast meine Frage mit dem Essen noch nicht beantwortet“, riss er mich aus meinen Gedanken.
 

„Keinen Hunger.“
 

„Warum?“
 

„Weil ich sauer auf Caleb bin.“
 

„Lass gut sein, Danny. Er sorgt sich einfach um dich.“
 

„Das weiß ich, aber es ist dennoch nicht in Ordnung, wenn er dich verprügelt.“
 

„Ich habe mich schon revanchiert, keine Sorge. Er ist einfach ein wenig überfordert, denke ich.“
 

„Wenn ich jedem eine reinhauen würde, nur weil ich überfordert bin…“
 

„Bei deinen Ärmchen wäre das wohl kaum schmerzhaft.“
 

Connor machte Bekanntschaft mit meinen Ärmchen, die ihm gegen die Schulter boxten, was ein lautes „Au“ zur Folge hatte. Ich war schlaksig und durch die harte Stallarbeit sicher alles andere als ein Schwächling. Das bekam er jetzt auch zu spüren.
 

„Ist ja gut, ist ja gut. Du hast keine Ärmchen. Du bist ein großer starker Teenager. Besser?“
 

„Ein wenig“, schmunzelte ich zufrieden. „Ich habe aber wirklich keinen Hunger.“
 

„Liegt an der Therapie, hm?“ Connor nahm seinen Blick kurz von der Straße und schaute mich einfühlsam an. „Papa meint aber, dass du dich sehr gut schlägst.“
 

„Ihr redet über mich?“ Ich wurde im Sitz immer kleiner. Mir war das noch immer furchtbar peinlich, auch wenn Anton meinte, mich träfe keine Schuld. Ich hätte mich ja irgendwie wehren können, Widerstand leisten, irgendetwas machen...
 

„Natürlich. Papa weiß, dass du einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben bist.“
 

„Das heißt, er weiß, dass du dich in mich verliebt hast?“
 

Connor schob die Lippen nach innen und verengte die Augen ein wenig. Die Tachonadel kletterte in einem ungesunden Tempo nach oben.
 

„Nein, Papa weiß nichts davon. Genauso wenig wie Mama oder Olivia.“
 

„Du machst also ein Geheimnis aus mir?“ Das tat weh. Zuerst Nicky, dann Connor, der mich wie ein kleines Geheimnis behandelte. Wir waren zwar nicht offiziell zusammen, aber gestern erst hatte er mir noch gesagt, dass er mich gerne als seinen Freund vorstellen würde, dabei tat er das nicht mal vor seinen Eltern.
 

„Nein.“ Connor öffnete den Mund, um noch etwas anzufügen, schloss ihn dann aber.
 

„Nein?“, hakte ich nach, nachdem wir gut fünf Minuten mit Schweigen verbracht hatten.
 

„Ich mache kein Geheimnis aus dir, Danny, ich will nur, dass du dir ganz sicher bist, dass du mit mir zusammen sein willst.“
 

„Und wenn ich mir schon ganz sicher bin?“
 

„Bist du es denn?“
 

Ich hätte lügen müssen, wenn ich ja gesagt hätte. Connor hatte zweifelsohne viele Vorzüge und er liebte mich abgöttisch, das war mir mittlerweile bewusst, nur ich hing immer noch an Nicky. Nicky war mein bester Freund vor Connor gewesen, dann meine große Liebe. Die Bombe war erst vor Kurzem geplatzt. Ich wusste selbst nicht was ich wollte, wie ich es wollte, wen ich wollte und wie die ganze Sache weitergehen sollte.
 

„Ich weiß es nicht“, gestand ich leise.
 

„Genau deswegen hänge ich es noch nicht an die große Glocke. Es würde mich freuen, sehr sogar, nein, ich wäre der glücklichste Mensch, wenn du mich wirklich lieben würdest, Danny, nur kann ich das von dir nicht verlangen.“ Er klang dabei niedergeschlagen, traurig, fast schon enttäuscht. Das wiederum verschaffte mir ein schlechtes Gewissen und ich legte meine Hand auf die von Connor am Lenkrad.
 

„Ich habe einfach wirklich keine Ahnung, Connor. Ich mag dich ja, sehr sogar, das weißt du. Du bist der beste Freund, den man sich wünschen kann.“
 

„Freund, ja. Ich fühle mich ein wenig wie… ach lassen wir das.“
 

„Wie denn?“, wollte ich wissen, auch auf die Gefahr hin, dass ich mich noch schlechter fühlte.
 

„Weißt du denn, wie der magische Pfirsich vom Baum der ewigen Jugend gepflückt wird?“
 

„Nein?“
 

„Vor langer Zeit, als noch Götter und Magie die Welt beherrschten, da lebte eine Zauberin im alten China. Sie war wunderschön. Ihr Haar so schwarz wie Ebenholz, ihre Augen von einer süßen Schwärze, ähnlich den deinen. Ihr Name ist schon längst vergessen und ich habe ihn auch, trotz intensivster Recherche, nicht herausfinden können, aber egal. Jedenfalls war sie zwar wunderschön und sehr mächtig, nur konnte selbst sie nicht den Zahn der Zeit aufhalten. Sie alterte, zwar langsamer als andere Frauen, aber sie wurde alt. Ihr wunderschönes Haar ergraute, die makellose Haut verblich, wurde faltig. Kein Zauber dieser Welt konnte den Alterungsprozess stoppen, ihn nur verlangsamen. Doch es gab etwas, nämlich den magischen Pfirsich vom Baum der ewigen Jugend. Er stand in einer Parallelwelt voller Gefahren und Prüfungen. Nur wer alle Prüfungen meisterte, durfte sich einen Pfirsich pflücken. Die Zauberin war aber zu schwach oder zu eitel oder einfach zu vorsichtig, um sich selbst den Herausforderungen zu stellen. So verzauberte sie immer wieder Männer, die sie vorausschickte, ihr einen Pfirsich zu bringen. Viele scheiterten, doch einem gelang es. Er war ein junger Shaolin und wirklich verliebt in sie. Keine Prüfung war zu schwer, keine Herausforderung zu groß. Er schaffte es bis vor den Baum, der ihn auslachte, verhöhnte, dass es viele vor ihm versucht hätten. Der Shaolin entgegnete, er habe es bis zum Baum geschafft und er hätte sich den Pfirsich verdient. Der Baum antwortete, dass er in der Tat das Recht besitze, sich den einen Pfirsich zu nehmen. Am Baum aber hingen tausende Früchte, einer appetitlicher als der andere. Der junge Mönch erkannte, dass nur einer der wahre Pfirsich sein konnte. Dies bestätigte ihm auch der Baum.“
 

„Und wie hat er den richtigen Pfirsich gefunden?“
 

„Er hat den Baum den Flammen übergeben. Der letzte Pfirsich, der an der Krone hängt, ist jener, der ewige Jugend verspricht.“
 

„Aber dabei wird der Baum doch zerstört?“
 

„Ja, und er hat richtig entschieden, denn als die Zauberin davon erfuhr, war sie außer sich. Sie verwandelte den Mönch einen Hasen und ließ ihn zurück.“
 

„Warum? Sie war doch damit ewig jung?“
 

Connor lächelte gequält: „Nicht ganz. Der Pfirsich hielt nur eine bestimmte Zeit lang, ich glaube 1.000 Jahre.“
 

„Das begreife ich nicht. Was hat das mit uns zu tun?“
 

„Ich weiß noch nicht, wer ich in der Geschichte bin, der Mönch oder die Zauberin.“
 

„Was?“
 

„Vergiss es einfach.“ Connor beugte sich zu mir herüber und stahl sich einen Kuss, bevor ich etwas tun konnte. „Wir sind da. Wenn du dich ein wenig geduldest, kann ich dir Pfannkuchen machen. Ich habe übrigens noch einen neuen Ego-Shooter besorgt.“
 

Ich nickte abwesend und folgte Connor in die Wohnung. Die Geschichte mit dem Mönch und der Zauberin kapierte ich nicht. Was hatte das wirklich mit uns zu tun? War Connor der Mönch? Der Hase? Die Zauberin? Wer war ich? Warum musste sich mein Freund immer so geschwollen ausdrücken? Ich unterdrückte einen frustrierten Laut und pflanzte mich aufs Sofa.



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