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Logbuch (Early Draft)

von

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Memoiren

Persönliches Logbuch,

 

Seit meinem Aufbruch sind nun bereits schätzungsweise fünf Tage vergangen.

Genau kann ich es nicht sagen, da mein Zeitgefühl seitdem ich die Nebelwand durchquert habe etwas getrübt ist. Ich weiß nicht, wie lange ich unterwegs war, bis sich die Nebelschwaden gelichtet haben. Ich weiß nur, dass ich irgendwann sehr, sehr müde wurde. Als ich wieder zu mir kam, trieb ich auf offenem Meer und als hätte die Orientierungslosigkeit nicht gereicht, wurde ich auch noch von einem Seemonster angegriffen.

 

Mein Schiff sank an Ort und Stelle. Beinahe wäre das auch für mich das Ende gewesen, hätte diese Piratenbande mich nicht aus dem Wasser gefischt. Mehr als mein Name und die Kleider die ich am Leib trug, sind mir nicht geblieben, also habe ich ihnen als Dank meine Dienste angeboten. Diese Leute verstehen was vom Feiern und ich konnte sie mit meinen Darbietungen erheitern.

Der Käpt’n scheint besonderen Gefallen daran zu haben. Jedenfalls hört er interessiert zu, während seine Crew sich mehr oder weniger leise unterhält oder einzelne Piraten Zwischenrufe reinbrüllen.

 

Demnächst sollten wir an einer Insel anlegen, dort werde ich die Lage sondieren und überlegen, wie ich meine Reise fortsetzen soll. Ohne Karte, Schiff und Mannschaft werde ich definitiv nicht weit kommen, es sei denn…

Freizeitpark-Pirat

„Sag mal, wie hast du es eigentlich alleine mitten auf die Grand Line geschafft?“, holte der Vize-Kapitän die junge Möchtegern-Schriftstellerin aus ihrer Trance raus. Gemächlich setzte er sich auf das kleine Fass, welches als Hocker diente, und zündete sich eine Zigarette an.
 

Die Angesprochene blickte auf um den Vize-Kapitän mit einem besonnenen Lächeln zu begegnen. „Ich bin einfach drauf los. Den kleinen Kahn konnte ich locker alleine steuern.“
 

Das Schiff war winzig, alt und marode gewesen. Für ein paar hundert Goldstücke hatte sie dem alten Käpt’n Dread die olle Schaluppe abgekauft. Eigentlich war es ein Wunder, dass es nicht schon im Hafenbecken abgesoffen war.
 

„Von dem Punkt wo wir dich aufgelesen haben war jegliches Land mindestens sieben Seetage entfernt“, informierte er sie zweifelnd.
 

Kiara stutzte. „So lange bin ich doch noch gar nicht unterwegs.“
 

„Klingt als seist du vom Himmel gefallen“, kommentierte der Kapitän belustigt, welcher sich nun ebenfalls zu ihnen an den runden Tisch gesellte. Er stellte seine Flasche Bier ab und stützte sich auf den Arm um die Schiffbrüchige eingehender zu betrachten. „Du hast uns gestern so tolle Geschichten erzählt, aber noch nichts von dir. Wie heißt du und woher kommst du?“
 

Es stimmte. Sie hatte noch nicht viel von sich Preis gegeben. Dass sie zur abendlichen Unterhaltung lieber die Geschichten von den Abenteuern ihres Vaters zum Besten gab, als ihre eigenen lag daran, dass sie selbst bis jetzt kaum nennenswertes erlebt hatte.
 

Dass sie bis jetzt völlig vergessen hatte sich vorzustellen war ihr nun allerdings ein wenig peinlich.
 

„Oh, ähm. Ich bin Kiara. Freut mich und danke nochmal für die Rettung“, kam es daher wie aus der Pistole geschossen. Hölzern streckte sie die Hand aus, um die des rothaarigen Kapitäns zu schütteln.
 

„Kiara also. Freut mich deine Bekanntschaft zu machen. Du kannst mich Shanks nennen“, stellte der Piratenkapitän sich nun ebenfalls vor und drückte ihre Hand ein wenig ungeübt. „Und das ist Ben Beckman.“
 

Ein Nicken vom Vize.
 

„Geboren wurde ich auf Mêlée Island“, verkündete Kiara wahrheitsgetreu. „Meine Eltern und ich haben immer mal wieder die Insel gewechselt, aber im Grunde ist das meine Heimat.“
 

Der Käpt’n rieb sich den angedeuteten Kinnbart. „Mêlee? Noch nie davon gehört.“
 

Kiara hob unbehelligt die Schultern. „Fünf Tage von hier entfernt.“
 

Der Vize und sein rothaariger Kapitän warfen sich argwöhnische Blicke zu.
 

„Könntest du uns auf einer Karte zeigen, wo deine Insel liegen soll?“, fragte der Vize langsam.
 

„Klar.“
 

Als die Karte vor ihr ausgebreitet da lag, begann Kiaras eben noch versprühtes Selbstbewusstsein rapide zu schwinden. Sie kannte doch ihr Insel-Areal. Doch weder von der Stelle, wo sie aufgesammelt wurde, noch sonst irgendwo konnte sie ihre Heimat finden. Zwei Münzen dienten als Wegpunkte. Eine an ihrem Fundort und eine an ihrer derzeitigen Position.

Wo Kiara die Münzen so betrachtete, wirkten sie seltsam fremd. Prägung und Größe unterschieden sich komplett zu den Goldstücken, die sie kannte.
 

„Also, ich bin Richtung Süden gesegelt. Das bedeutet, wenn wir von diesem Ort ausgehen…“ Sie fuhr mit dem Finger von der Fund-Münze gen Norden. Nichts. Weit und breit keine Insel in der Nähe. „Sagen wir drei oder vier Tage…“
 

„Dann landest du im Calm Belt“, unterbrach der Vize.
 

„Im was?“, fragte Kiara irritiert.
 

„Die Grand Line wird von zwei Meereszonen umgeben, die sich Calm Belt nennen. Da weht kein Wind. Selbst wenn deine Insel dort liegt, mit Segeln kommst du nicht weit und wegen der Seekönige wärst du schon viel früher drauf gegangen.“
 

Kiara starrte die Karte angestrengt an, als müsse sie nur lange genug hinsehen, damit ihre Heimat auftauchte. Auch die anderen Ecken der Karte suchte sie ab. Keine Namen, keine bekannten Formen. Das konnte doch nicht stimmen. „Aber… hier muss irgendwo eine ganze Inselgruppe sein. Mêlée, Booty, Plunder… Hier fehlen einfach über zehn Inseln.“
 

Der Kapitän schüttelte langsam und beinahe mitleidig den Kopf. „Noch nie davon gehört“, wiederholte er.
 

„Ich würde euch ja eine Karte zeigen, aber…“ Sie seufzte. Die lag irgendwo auf dem Meeresgrund.
 

„Na, halb so wild. Jetzt bist du hier und das ist die Hauptsache“, verkündete der Käpt’n aufmunternd.
 

„Hattest du ein bestimmtes Ziel?“, erkundigte sich der Vize.
 

„Nee, nur wohin der Wind mich treibt.“
 

„Das wäre ja fast ein Fall für berühmte letzte Worte gewesen“, lachte der Kapitän. „Aber bist du nicht ein bisschen zu jung um alleine auf Reisen zu gehen?“
 

„Hey, ich bin Zwanzig und immerhin schon seit ein paar Jahren auf See.“, empörte sich Kiara.
 

„Echt? Zwanzig? Ich hätte dich auf Vierzehn geschätzt, aber dieser Mantel macht dich auch lächerlich klein und … flach.“ Der Käpt’n prustete hinter seiner hervorgehaltenen Hand.
 

Mürrisch zupfte Kiara ihren blauen Armeemantel zurecht. Sie hatte schon länger überlegt, ihn anpassen zu lassen, da er zwei oder drei Nummern zu groß für sie war. Als sie ihn bekam, hatte sie gehofft noch ein bisschen reinzuwachsen. Aber da tat sich seit langer Zeit nichts mehr.
 

„Aber er ist nicht schlecht, wenn man Pirat spielen möchte.“ Das amüsierte Grinsen des Kapitäns zog sich weiter in die Breite.
 

„Ich bin ein Pirat“, erwiderte Kiara trocken. „Mit Zertifikat.“
 

Der Kapitän versuchte sie ernst anzuschauen, brach dann aber binnen weniger Sekunden in schallendes Gelächter aus.
 

Kiara presste die Lippen zusammen. Sie wusste nicht, ob sie sich noch mehr entrüsten oder beleidigt verziehen wollte.
 

„Deine Geschichten waren ja ganz unterhaltsam, aber das echte Piratenleben spielt nicht so“, erklärte der Vize so ruhig er konnte, auch wenn seine Mundwinkel bereits minimal nach oben zuckten.
 

„Wieso? Seeschlachten, Schwertkämpfe, Beute abstauben – was soll daran so anders sein?“ Kiara legte die Stirn in Falten. Die beiden wollten sie doch nur an der Nase herumführen.
 

Der Käpt’n schlug währenddessen erheitert und immer noch lachend mit der Hand auf die Tischplatte.
 

„Dieses Beleidigungsfechten, von dem du sprachst…“, brach der Vize an. Beiläufig schnippte er die restliche Kippe über Bord.
 

„Ja. Man fechtet und man wirft sich gegenseitig Sprüche an den Kopf. Wer die besseren Konter hat und den Gegenüber damit aus dem Takt bringt und entwaffnet hat gewonnen und kriegt seine Beute“, erklärte Kiara sachlich. Was sollte daran bitteschön komisch sein?
 

Der Vize hob kritisch eine Augenbraue. „Welcher Mann lässt sich einfach seine Schätze nehmen und akzeptiert das?“
 

„So sind halt die Spielregeln. Es gibt doch einen Piraten-Kodex, oder?“
 

„Ja schon in gewisser Hinsicht, aber…“
 

„Spielregeln passt doch“, unterbrach der Kapitän seinen Vize und wischte sich eine angedeutete Lachträne aus dem Auge. „Klar wäre es schön, wenn alles immer so komplett gewaltfrei ablaufen würde, aber das klingt mir doch sehr nach Freizeitpark-Piraterie.“
 

„Bei uns klappt es halt so“, beschwichtigte Kiara und verschränkte missmutig die Arme.
 

„Was ist mit Kopfgeldern? Als Pirat bist du doch bestimmt etwas wert“, feixte der Rothaarige.
 

„Also Gesucht-Plakate haben wir schon, aber eher selten“, überlegte die Angesprochene.
 

„Kein Dead Or Alive? Gesucht für Zehnmillionen Berry?“
 

„Huh? N-nein, eher so… Gesucht wegen vorsätzlicher Beschädigung eines Holzbeines und Überziehung der Leihfrist eines Buches.“ Kiara geriet ins Stocken. Das klang wirklich nicht sehr gefährlich, geschweige denn nach etwas, wofür man tot ausgeliefert werden sollte. Und dann auch noch für Zehnmillionen was-auch-immer. „Anfertigung und Benutzung einer Voodoopuppe?“, setzte sie nun noch unsicher hinterher.
 

„Kein Morden, Plündern und Brandschatzen?“
 

Kiara schüttelte kleinlaut den Kopf.
 

„Du bist wirklich ein Freizeitpark-Pirat“, gröhlte der Kapitän dieses Mal laut auf.
 

Nachdem er sich von seinem nächsten Lachanfall beruhigt und er tief durchgeatmet hatte, unterbreitete der Rothaarige ihr einen Vorschlag. „Wir setzen dich auf der nächsten Insel ab und dann versuchst du dich am besten von Ärger fern zu halten.“
 

Das war anfangs zwar ihr Plan gewesen, aber nun kamen ihr Zweifel. „Wie komme ich nach Hause, wenn es angeblich nicht existiert?“
 

Der Käpt’n zuckte mit den Schultern. „Tja, das ist dann wohl Pech, würde ich sagen. Aber immer noch besser als tot zu sein.“
 

„Und wenn ich deiner Mannschaft beitrete?“, platzte Kiara hervor. „Vielleicht könnten wir die Tri-Islands mit meiner Hilfe finden und du bist damit der erste, der sie nach langer Zeit wiederentdeckt?“
 

Der Rothaarige beugte sich verhängnisvoll zu ihr. „Es ist hier draußen gefährlicher als du dir vorstellen kannst“, warnte er.
 

Kiara waren die drei Narben über dem Auge des Kapitäns nicht zum ersten Mal aufgefallen. Jetzt kamen sie ihr noch ehrfürchtiger vor. Auch bemerkte sie, dass der Rothaarige stets nur seinen rechten Arm nutzte zum Gestikulieren und Greifen. Der linke Arm wurde von seinem schwarzen Umhang verhüllt und Kiara schwante böses.
 

„Ich bin dem Tod jetzt schon zweimal von der Schippe gesprungen, ich komm klar“, sprach sie mit fester Stimme und versuchte ihren Blick wieder auf seine beiden Augen zu fokussieren.
 

„Kannst du dich auch ohne Beleidigungen verteidigen?“, fragte er und musterte sie eingehend.
 

Kiara atmete tief ein, straffte Schulter und Rücken und baute sich so gut sie konnte auf. „Natürlich.“
 

„Alles klar, dann lass uns dein Können auf die Probe stellen. Wenn du verlierst, wanderst du über die Planke.“

Eignungsprüfung

Die Bretter des Decks knarrten unter Kiaras Stiefeln, als sie sich in Position begab. Da sie ihr Entermesser beim Schiffbruch verloren hatte, wurde ihr freundlicherweise eine neue Klinge gestellt.

Normalerweise übte sie sich gerne in der Kunst des Schwertkampfes, aber selten stand tatsächlich etwas auf dem Spiel. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, in die kalten Monsterverseuchten Fluten zurück springen zu müssen.
 

Sie sollte gegen ein Crewmitglied antreten, ein kräftig gebauter Kerl mit Glatze und Piercings. Nach dem ersten blockierten Hieb wurde ihr klar, dass ihr nicht nur die Planke sondern auch abgetrennte Körperteile drohten, wenn sie sich nicht voll in den Kampf reinhängte.
 

Der Stil war ihr völlig neu und sie hatte kaum Gelegenheit sich auf die Bewegungsabfolge ihres Gegners zu konzentrieren.

Kiara wich dem Schwert öfter mit vollem Körpereinsatz aus, als mit dem eigenen Säbel zu kontern. Mehr als einmal verfehlte die Klinge nur um Haaresbreite, während sie überfordert zurückwich.
 

Ihr Herz raste und sie fürchtete, ihre Beine könnten unter ihrer eigenen Last zusammenbrechen. Mit einem Mal wurde alles ganz still um sie herum, lediglich ein Pfeifen drang durch ihre Ohren.

Sie konnte ihn nicht entwaffnen, sie konnte nicht flüchten, ihr blieb nur der Angriff und die Hoffnung, dass er aufgab bevor sie es tat.
 

Sie spürte wie sie das Schwert mit beiden Händen fest packte, einen Schrei ausstieß und versuchte seine Verteidigung zu durchbrechen. Ihr Gegner war schnell und stark, zwar konnte sie ihn einige Schritte zurücktreiben, doch er parierte jeden ihrer Schläge.

Und dann duckte er sich weg und ihre Klinge schnitt sich in den Mast und blieb stecken.
 

Verzweifelt zog und zerrte sie am Griff in der Hoffnung es noch rechtzeitig zu lösen, da hob der Glatzköpfige erneut bedrohlich seine Waffe. Mit voller Wucht schmiss sich Kiara gegen ihn und rammte ihren Ellbogen in seinen Bauch. Sie hörte ihn ächzen und landete kurz darauf mit ihm auf den Brettern. Sein Schwert klirrte neben ihnen zu Boden. Wenn sie es schnell genug ergreifen konnte- doch er packte ihre Handgelenke und rollte herum, damit er sie festpinnen konnte. Kiara wandte und wehrte sich, doch konnte sie weder Arme noch Beine befreien.
 

„Das reicht, danke“, tönte die Stimme des Kapitäns und durchdrang selbst ihren Tinnitus.
 

Es war vorbei. Sie hatte versagt. Der Glatzkopf erhob sich und zog sie schwungvoll mit auf die Beine. Dann ließ er sie los, grinste verhohlen und klopfte ihr kumpelhaft gegen den Rücken.

Kiara war verwirrt. Sollte er sie jetzt nicht festhalten und zur Planke führen oder so etwas in der Art?
 

Der Rothaarige trat heran und besah sich die schwer atmende Möchtegern-Piratin. „Das war ja fast so unterhaltsam wie deine Geschichten.“
 

Sie schluckte, auch wenn ihr Mund sich wie eine Staubwüste anfühlte. Ob sie noch verhandeln konnte? Offenbar brachte sie ihn doch zum Lachen, da wäre es doch eine Verschwendung, wenn er sie-
 

„Willkommen an Bord der Rothaar-Piraten.“
 

Einen Augenblick lang starrte Kiara den Kapitän nur entgeistert an. Dann fiel ihr ein, dass sie wieder Luft holen sollte.

„Aber- ich hab- hä?“
 

„Du hast dich gut geschlagen“, kam es von einem Crewmitglied.
 

„Ja, voll reingehangen!“, stimmte ein anderer zu.
 

„Ehrlich gesagt hätte ich es beinahe früher abgebrochen. Aber dann hast du mich doch noch überrascht“, gestand der Kapitän.
 

„Mit meiner Kampf-oder-Flucht Reaktion?“, keuchte Kiara.
 

„Man gewöhnt sich daran“, meinte der Rothaarige heiter und legte seinen Arm um ihre Schultern. Dann wandte er sich dem Rest seiner Crew zu.
 

„Leute, heißen wir Kiara mit einer ordentlichen Feier in unserer Bande willkommen!“

Sake aus dem Westblue

Es war Kiara ein Rätsel, wie eine einzige Piratenbande so viel Alkohol in sich aufnehmen konnte. Mit jeder Stunde wurde der Pegel lauter und die Stimmen lallender, die Crew torkelte über das Deck oder übergab sich über die Reling. Auch betrunken spielten die Musiker gar nicht so schlecht, sodass hin und wieder ein ordentlicher Shanty angestimmt werden konnte.
 

Kiara saß erneut auf ihrem kleinen Fass am provisorischen Tisch und traute sich nicht aufzustehen, aus Angst aufgrund von fortgeschrittener Gleichgewichtsstörung und Wellengang nach wenigen Metern auf die Nase zu fallen. Zur Feier des Tages hatte der Kapitän den guten Sake aus dem Lager geholt. Stolz erzählte er ihr, dass es sich um Reiswein aus seiner Heimat handelte und schenkte ihr immer wieder ein.
 

„Ich war schon überall auf der Welt und kann mit Fug und Recht behaupten, dass das der beste Sake ist, denn du jemals trinken wirst“, predigte Shanks und half dem Glas gerne den Weg zu ihrem Mund zu finden.
 

„Dann ist ja gut, dass das mein erster ist“, nickte Kiara und schlürfte die Flüssigkeit schnell ab, bevor etwas verschüttet wurde.
 

„Hast du noch nie getrunken?“ Der Kapitän sah sie mit großen, ungläubigen Augen an.
 

„Doch, aber sowas haben wir nicht. Bei uns trinkt man Grog“, erklärte sie bewusst langsam, um nicht über ihre Worte zu stolpern.
 

„Was soll das sein?“
 

Kiara hielt kurz Inne um zu überlegen. „Also eigentlich heißer Rum mit Zucker und Wasser. Aber die Drei Schrecklich Wichtigen Piraten in meiner Heimat meinten, dass da auch Kerosin, Schmierfett und Schwefelsäure drin sei. Ich glaub, die haben mich verarscht.“
 

Shanks lachte auf. „Und was machen die Drei Schrecklich Wichtigen Piraten bei euch sonst noch, außer junge Damen auf den Arm zu nehmen?“
 

„Die stellen die drei Prüfungen, um Pirat zu werden“, erklärte Kiara fachmännisch.
 

„Ihr müsst Prüfungen bestehen um Piraten zu werden?“, stutzte der Rothaarige.
 

„Du hast mir doch auch eine Prüfung gestellt“, beschwichtige Kiara.
 

Ein wissendes Lächeln breitete sich auf den Lippen des Kapitäns aus. „Im Grunde schon.“
 

„Siehst du! Dann bist du auch ein schrecklich wichtiger Pirat“, verkündete Kiara laut lallend.
 

Fünf weitere Gläser Sake-Aus-Der-Heimat-Des-Kapitäns und die junge Piratin hegte Schwierigkeiten den Kopf mehr als zwanzig Zentimeter über der Tischplatte zu halten. Die Nacht war inzwischen hereingebrochen und die Sterne funkelten am Firmament. Gerne hätte sie die Aussicht bewundert, doch war sie zu beschäftigt damit ihren Kopf zu stabilisieren und die Kontrolle über ihren Magen zu behalten.
 

„Wo willst du eigentlich schlafen?“, drang die Stimme des Rothaarigen an ihr Ohr.
 

Mehr als ein „Hm?“ brachte sie vorsichtshalber nicht heraus.
 

„Na ja, du kannst natürlich beim Rest der Mannschaft schlafen, aber es sind halt alles Kerle“, suggerierte er.
 

„Hm.“ Sie war nicht sicher ob sie die Richtung mochte, in die das Gespräch einzuschlagen schien. „Mir egal, ich kann fast überall pennen.“
 

Ein spitzbübisches Grinsen huschte über Shanks‘ Lippen. „Wenn das so ist, in meinem Bett ist noch ein Plätzchen frei“, raunte seine Stimme nun gefährlich nah an ihrem Ohr.
 

Kiara wandte ihren Kopf ihm zu und stellte fest, dass Shanks tatsächlich nur noch wenige Zentimeter entfernt war. Sie spürte eine Hand um ihre Taille wandern.
 

„Hast du mich deshalb abgefüllt?“, murrte sie unbeeindruckt.
 

„Ach was, das hätte ich dir auch nüchtern angeboten.“
 

Er war wirklich nah. Zu nah. Sie konnte alles an ihm riechen. Nicht nur den Alkohol-Atem, sondern auch seine Haare, seine Kleidung, seine Haut… Und Himmel strahlte er Wärme aus. Wann war er überhaupt herangerückt?
 

„Ich hab‘ eher an eine Hängematte an ‘nem ruhigen Ort gedacht“, wich sie aus und versuchte etwas Abstand zwischen sie zu bringen, doch die Hand an ihrer Taille hielt sie fest an Ort und Stelle.
 

„Was hat eine Hängematte was mein Bett nicht hat?“, hakte Shanks beflissen nach.
 

„… Privatsphäre?“
 

„Niemand würde sich grundlos in meine Kabine trauen“, konterte er viel zu schnell.
 

Kiara zog die Augenbrauen zusammen. „Bitte sag mir nicht, dass du mir erlaubst zu bleiben, nur damit ich deine Bettgenossin werde.“
 

Fast ein wenig gekränkt richtete Shanks seinen Rücken gerade. „Nein. Sowas würde mir niemals einfallen.“
 

Dieses Mal hoben sich Kiaras Augenbrauen prüfend. Shanks fand sein spitzbübisches Grinsen wieder und lehnte sich erneut zu ihr hin.
 

„Es ergibt sich nur so wunderbar.“ Seine Hand löste sich von ihrer Taille, wanderte aber schnurstracks ihren Rücken hinauf und erreichte mit der federleichten Berührung seiner Fingerspitzen ihren Nacken. Kiara schauderte augenblicklich. „Und immerhin sitzt du noch hier, also…“
 

Ihr war nicht bewusst, dass Aufstehen eine Option war. Natürlich wollte sie ihren neuen Kapitän nicht am ersten Tag verärgern oder kränken. Ganz so unangenehm empfand sie seine Aufmerksamkeit nicht, das musste sie sich zugestehen. Außerdem klang die Aussicht auf ein vernünftiges Bett gar nicht so schlecht. Kiara ertappte sich dabei das Angebot in Erwägung zu ziehen.
 

„Unter einer Bedingung“, hörte sie sich sagen. Shanks unterbrach das sanfte Kraulen und sah sie aufmerksam an. „Wir schlafen nicht miteinander. Nicht heute und nicht in Zukunft.“
 

Aus den Augenwinkeln konnte sie beobachten, wie seine Schultern enttäuscht ein wenig sanken.
 

„Und wenn du deine Meinung änderst?“, bohrte er nach.
 

„Das sag ich dir dann“, entschied sie. Man sollte schließlich nicht alles in Stein meißeln.
 

Sie erkannte ein Funkeln in den Augen des Rothaarigen. Er nickte.

„Einverstanden.“
 

Und natürlich musste auf das geschlossene Abkommen angestoßen werden.

Fleischwunde

Als sie später in der Nacht erfolgreich irgendwie torkelnd und sich gegenseitig stützend in die Kapitäns Kajüte gefunden hatten, erkannte Kiara drei grundsätzliche Wahrheiten.
 

Nummer Eins: Sie hatte sich noch nie auf einen Typen eingelassen – und schon gar nicht so schnell.
 

Nummer Zwei: Das Bett in der Ecke der Kajüte war definitiv nicht für zwei Personen ausgelegt.
 

Nummer Drei: Sie war eigentlich verdammt schüchtern.
 

Während Shanks sich aus Umhang und Hemd pellte, stand Kiara drucksend mitten im Raum und führte einen inneren Monolog, wie viele Kleidungsstücke sie wohl ablegen sollte. Sie stimmte gerade mit sich selbst überein, dass die Stiefel zumindest ein guter Anfang wären, als ihr Blick auf den bandagierten Armstumpf fiel, welcher sich ihr nun offenbarte.
 

„Ist das frisch?“, fragte sie und kam sich dabei unglaublich blöd vor. Sie wollte nicht starren, aber so etwas hatte sie noch nie gesehen.
 

Shanks drehte sich verwundert zu ihr und folgte dann ihrem Blick. „Vor drei Wochen. Von einem Seekönig abgebissen.“
 

Kiara presste die Lippen zusammen. „Tut mir leid.“
 

Er zuckte mit den Schultern. „Ist schon gut. Ich habe ihn gerne für einen guten Zweck hergegeben.“ Nachdenklich strich er über die Bandagen, beinahe so als musste er sich selbst erneut über den Zustand vergewissern.
 

„Du bist Linkshänder… gewesen, oder?“, fragte Kiara leise. Seine Bewegungen wirkten teilweise unbeholfen, nicht routiniert und sein Schwert hing noch immer an seiner rechten Seite.
 

Überrascht hob Shanks die Augenbrauen. „Das hast du gut erkannt.“
 

„Wenn du mal jemanden brauchst, der für dich was aufschreibt, sag Bescheid. Meine Handschrift ist zwar bestimmt nicht die schönste, aber immerhin leserlich.“ Sie wusste nicht genau, warum sie ihm das anbot, aber sie konnte sich vorstellen, dass es nicht leicht für ihn war, egal wie fröhlich er die ganze Zeit grinste.
 

Shanks lächelte sie warm an. „Danke, ich werde es mir merken.“ Langsam ließ er sich auf den breiten Holzrahmen des Bettes nieder und schlüpfte aus den Sandalen. Anschließend sah er sie erwartungsvoll an.

„Hast du vor in voller Montur zu schlafen? Ich mache wirklich nichts, was du nicht möchtest. Du kannst es dir also ruhig bequem machen.“
 

Irritiert sah Kiara an sich herab. Sie war so von seinem Arm abgelenkt gewesen, dass sie sich kein Stück gerührt hatte. Zudem war sie in ihrer Überlegung keinen Schritt weiter gekommen. Während sie Mantel und Stiefel ablegte, zog sich Shanks auf die Matratze und ließ sich in die Kissen fallen. Letztendlich entledigte sie sich noch ihrer Strümpfe und dem weiten Leinenhemd, entschlossen, dass Hose und Leibchen ausreichen sollten und kletterte geschwind in das schmale Bett.
 

Neben sich konnte sie Shanks leise lachen hören. „Du bist ja tatsächlich flach.“
 

„Ich kann auch auf dem Stuhl schlafen“, fauchte sie ihm entgegen.
 

Bevor sie jegliche Anstalten dergleichen machen konnte, schlang sich ein schwerer, starker Arm um ihren Oberkörper und zog sie an die warme Brust des Rothaarigen. Mit Genugtuung vergrub er das Gesicht in ihrem Schopf.
 

„Ich bin dankbar, dass du da bist“, murmelte er gedämpft.
 

Die Anspannung aus Kiaras Schultern, der sie sich gar nicht mehr bewusst war, löste sich.
 

„Gute Nacht, Shanks.“

Morgenstund

Trübes Tageslicht brach durch die schmuddeligen Fensterscheiben und tauchten die hölzerne Kajüte in warmes Morgenrot. Leise murrte Kiara im Halbschlaf und streckte sich ein wenig. So entspannt und erholsam hatte sie seit Tagen nicht mehr geschlafen. Der Versuch sich rumzudrehen scheiterte allerdings, da immer noch etwas Schweres über ihrem Oberkörper lag und sie fest im Griff hielt.
 

Langsam blinzelte Kiara die Augen auf. Sie erkannte die Kabine des Kapitäns und obwohl ihr Schädel brummte wie ein Wespennest erinnerte sie sich an den gestrigen Abend. Bei dem schweren Etwas handelte es sich um den Arm des Kapitäns, welcher sich eng um sie geschlungen hatte. Sie spürte seine warme Haut an ihrer. Seine Hand drückte ihren Rücken fester an seine Brust. Kiara nahm einen tiefen Atemzug und biss sich kontrolliert auf die Wange.
 

„Shanks“, murmelte sie argwöhnisch.
 

„Hmm?“, ertönte ein zufriedenes Brummen hinter ihr.
 

„Nimm die Hand aus meinem Hemd.“
 

„Oh. Vzzun.“ Kam die beinahe unverständliche Antwort.
 

In Windeseile schlängelte der Arm aus ihrer Kleidung hervor. Die Hand wollte er aber trotzdem nicht bei sich behalten und tastete stattdessen nach ihrer. Kiara seufzte billigend und verhakte ihre Finger. Seine Hand war ganz schön groß im Vergleich zu ihrer eigenen.
 

„Gu’n Mor’n“, vernahm sie erneut ein Brummen hinter sich.
 

Etwas Warmes legte sich auf ihren Nacken. Aber sie hielt doch seine einzige Hand? Heißer Atem strömte über ihre Haut. Augenblicklich spannte sich Kiara an.
 

„Bist du wach?“, fragte Kiara etwas lauter, nur um sicher zu gehen.
 

Sie spürte wie seine Lippen weiter zu ihrer Halsbeuge wanderten. Das Gefühl auf ihrer Haut, kitzelte und irritierte sie so sehr, dass sie zusammenzuckte und ihren Ellbogen dabei in die Brust ihres Bettgenossen stieß. Ein gedämpftes Stöhnen erklang.
 

„Jetzt ja.“
 

„Lass das. Das kitzelt“, bat sie direkt.
 

Die Gewichtsverteilung änderte sich und ließ die Matratze wanken. Im nächsten Moment fand sich Kiara auf dem Rücken wieder und ein roter Haarschopf tauchte in ihrem Blickfeld auf, das verschlafene, schelmische Grinsen ihres Kapitäns gleich hinterher.
 

„Es kitzelt? Aber es ist nicht schlecht?“, fragte er raunend.
 

„Lass uns doch erstmal besser kennenlernen“, schlug Kiara zaghaft vor.
 

Der Rotschopf neigte sein Gesicht behutsam runter zu ihrem Kiefer. „Das tun wir doch gerade.“
 

Entschieden fasste die junge Piratin ihren Kapitän mit einer Hand ins Gesicht, die andere an sein Schlüsselbein und schob ihn von sich. Er verzog verwirrt die Miene, das war nicht die Berührung die er sich erhofft hatte.

Ihr Herz pochte viel zu heftig und die erröteten Wangen konnte sie wohl ebenfalls nicht leugnen.
 

„Betrunken warst du verständnisvoller.“
 

Shanks betrachtete sie für eine Weile eingehend. Dann nickte er langsam.
 

„Ich wusste nicht, dass du das auch ausschließt. Aber du hast recht. Immerhin habe ich dir versprochen nichts zu tun, was du nicht möchtest.“ Eine leichte Schmolllippe zeichnete sich ab. „Aber du solltest auch deutlicher machen, wenn du etwas nicht möchtest. Ich mein, du bist doch noch Jungfrau, oder? Die muss man immer so ein bisschen in die gewisse Richtung anstupsen.“
 

Perplex öffnete sich Kiaras Mund um etwas zu erwidern. Aber ihr Gehirn konnte nicht schnell genug verarbeiten, worauf sie zuerst auf welche Weise reagieren sollte. Stattdessen schnaufte sie nur halb lachend, halb gereizt.
 

Eine Augenbraue zuckte gefährlich in die Höhe. „Hast du gut erkannt.“
 

Vorsichtig erhob sich der Kapitän und räusperte sich. „Ich glaub, das ist der Zeitpunkt, wo ich mal nach dem Rest der Crew sehen sollte?“
 

„Wir können weiterreden, nachdem ich einen Kaffee hatte“, zeigte sich Kiara ein bisschen versöhnlicher.

Insgeheim fand sie das Bett zu bequem um es aufzugeben.
 

Shanks zog sein Hemd von dem Holzstuhl und machte sich an die Arbeit es sich anzuziehen. „Tut mir leid, wenn ich dir zu sehr auf die Pelle gerückt bin“, gab er ruhig von sich.
 

„Entschuldigung ist akzeptiert, Käpt’n.“
 

„Das tut fast ein bisschen mehr weh als der Ellbogen.“
 

Ihre Mundwinkel kräuselten sich leicht. „Gut.“
 

Wenige Zeit später stand Kiara mit einer Tasse Schwarzen Tee an die Reling gelehnt und ließ den Blick über die morgendliche See schweifen. Sie war ruhig und schimmerte beinahe romantisch.

Das bunte Treiben der Crew spielte sich auch leicht verkatert genauso wie die letzten Tage ab.
 

„Seit langem mal wieder eine Frau an Bord und sie zeigt einem die Kalte Schulter.“
 

Kiara wurde hellhörig. Aus den Augenwinkeln sah sie ein paar Männer Seile sortieren und aufrollen. Die Arbeit war ihnen zu eintönig, sodass sie sich dabei rege unterhielten ohne Sorge um die Lautstärke ihrer Worte.
 

„Dem Boss geht wohl das Feuer aus.“ Stolz auf das Wortspiel zu der kalten Schulter stieß er seinen Kollegen mit dem Ellbogen an, sodass diesem davon prompt ein paar Schlingen vom Seil aus der Hand fielen.
 

Er nahm es ihm nicht so übel, wie man meinen sollte. Die Zeit für ihr Gerede war ihm zu gut für schlechte Laune und so setzte er bloß nach. „Sein Charme wirkt bei den jungen Dingern anscheinend nicht mehr. Der hat wohl Flaute.“
 

„Oder es hat noch nie gewirkt. Wer weiß, was der Boss für Seemannsgarn erzählt“, wagte der dritte zu spekulieren und presste die Lippen zusammen, um ein halbwegs ernstes Gesicht zu machen und nicht gleich loszuprusten.
 

Interessiert wandte sich das Gesprächsthema zu den Herrschaften um, stützte den Kopf ab und lauschte sehr offensichtlich dem neusten Kaffeeklatsch.
 

Angestachelt von der Annahme seiner Kumpane, überlegte der nächste was eine mögliche Erklärung sein konnte.

„Vielleicht ist er in Wahrheit ein Softie. Neuerdings ganz zahm nur mit Kuscheln ohne Anfassen.“
 

Alle drei hoben die Augenbrauen, als seien sie einem Geheimnis dicht auf der Spur.
 

Dann jedoch zog einer von ihnen die Brauen tief zusammen, sodass sich Falten auf seiner Stirn bildeten. „Bei so einem Brett ist aber nicht viel mit soft.“
 

Lautes Gackern schallte über das Deck.
 

„Ey ihr Tratschtüten, ich kann euch hören!“, ließ Kiara verlauten, der das nun doch etwas zu bunt wurde.
 

Das Gelächter verstummte und die drei Männer wandten sich zu ihr um. Einen Moment starrten sie ohne die Miene zu verziehen, dann zeigte sich erneut der Schalk in ihren Augen und breit grinsend traten sie ein Stück auseinander, um sie in ihre Gesprächsrunde einzuladen.
 

„Hast du etwas dagegen einzuwenden?“, kam es von einem zurück.
 

Herausfordernd trat die Angesprochene ein paar Schritte auf sie zu und wollte gerade ganz tief in ihren Beleidigungstrickkistensack greifen um einen geeigneten Konter hervorzukramen, als sich eine bekannte Stimme hinter ihr meldete.
 

„Mit dem Alter lernt man einfach sich Zeit zu lassen und genügsamer zu werden. Wenn ihr euch erstmal genug die Hörner abgestoßen habt, kommt ihr vielleicht ebenfalls zu dieser Erkenntnis“, verkündete der Kapitän bedachtsam.
 

„Siehst du, kein Softie. Er ist einfach nur alt“, erklärte der eine fachkündig seinem Nebenmann und tippte ihm mit den Ellbogen in die Seite. Das Glucksen in seiner Stimme verriet sein Amüsement.
 

„Demnächst hängt er die Piraterie an den Nagel um sich eine Altersresidenz zuzulegen“, setzte der andere hinzu und wieder begannen sie bei der Vorstellung laut zu Gackern.
 

Kiara schmunzelte den Rothaarigen belustigt an. „Du hast deine Bande voll im Griff, wie ich sehe.“
 

Verlegen rieb sich Shanks den Nasenrücken. „Nun, es war einen Versuch wert.“
 

Nach einem kurzen Kopfschütteln wandte sich Kiara wieder ihrem Tee zu, um ein paar Schlücke zu trinken. Er hatte gerade die perfekte Temperatur um sich nicht mehr die Zunge zu verbrühen.
 

„Ich wollte mich noch einmal entschuldigen wegen vorhin.“ Shanks lehnte sich ebenfalls an die Reling, den Blick auf das Meer gerichtet. „In meiner Traumvorstellung waren wir doch ein bisschen weiter gekommen und ich war nicht ganz imstande es im restalkoholisierten Halbschlaf von der Realität zu unterscheiden. Es war nicht richtig, wie ich mich verhalten habe und es tut mir leid.“
 

Sie nickte langsam. Die Geschehnisse schienen die letzten paar Stunden tatsächlich an ihm genagt zu haben. „Das bedeutet mir viel und ich nehme die Entschuldigung gerne an. Danke, Shanks.“
 

„Tja, nie wieder Sex“, tönte der ungefragte Seitenkommentar.
 

„Klappe zu, sonst gibt‘s zwei Wochen Toilettendienst“, warnte der Kapitän streng.
 

Kleinlaut gingen die drei ihrer Arbeit woanders nach.
 

„Ich denke wir haben noch genug Zeit uns gegenseitig kennenzulernen“, wiederholte Kiara noch einmal bedächtig. Sie hatte ehrliches Interesse daran. Und nicht nur wegen dem bequemen Bett.

Kennenlernen

Es war bereits der vierte Abend in Folge, an dem die Crew eine Party veranstaltete. Was überhaupt gefeiert wurde war schwierig nachzuvollziehen, jedoch schien jeder noch so kleine Grund gut genug zu sein um darauf anzustoßen. Kiara erinnerte das Verhalten an die Fasching-feiernden Piraten auf Booty Island.
 

Sie selbst hingegen entschuldigte sich und zog sich bereits früh von der ausgelassenen Gesellschaft zurück. Nach einem Tag voller Schwertkampftraining hatte sie einfach keine Energie mehr übrig um ansatzweise mit der Meute mitzuhalten. Stattdessen entzündete sie die Kerzen in der Kapitänskabine um für ausreichend Beleuchtung zu sorgen. Anschließend durchstöberte sie das großzügige Bücherregal, welches in der Schiffswand eingelassen war, nach etwas entspannender Lektüre. Etwas verstohlen nahm sie mit dem auserkorenen Buch am massiven Schreibtisch Platz und fühlte sich selbst ein bisschen wie ein Käpt’n.
 

Ihr war es für ein paar ruhigere Stunden vergönnt in die Geschichte einer Revolution einzutauchen. Kurz bevor die Erzählung einen ihrer Höhepunkte erreichte, wurde die Kabinentür aufgestoßen und laute, schwungvolle Musik drang in die Gemächer ein.
 

„Hier steckst du“, kam es überrascht vom Kapitän. Der musste ihre Ankündigung im Trubel völlig überhört haben.
 

„Hab ich doch gesagt“, erwiderte Kiara etwas hilflos.
 

„Mensch, ich hab dich schon vermisst. Da draußen geht die Post ab und du hast dich hier verschanzt.“ Sein Gang verriet ihr, dass er sich bereits ein paar Krüge Bier hinter die Binde gekippt hatte. Kaum hatte er den Schreibtisch erreicht, stützte er sich mit der Hand darauf ab. Es wirkte relativ lässig, aber vermutlich wollte er einfach nur seinem Gleichgewicht zu etwas Stabilität verhelfen. Das frivole Grinsen fror kurzzeitig ein, nachdem er sie kurz gemustert hatte. „Oder geht’s dir nicht gut?“
 

Unbekümmert schüttelte Kiara den Kopf. „Alles gut. Ich brauchte nur mal eine Auszeit.“

Es war ganz angenehm gewesen, einfach eine Weile für sich zu sein. Keine Mannschaft um einen herum, die ständig wuselten, quatschten oder sich zum Spaß rauften und kein Kapitän der sie mit seiner bloßen Anwesenheit von jeglichen klaren Gedankengängen ablenkte.
 

Der Kapitän schien erleichtert zu sein. Dann fiel ihm das Buch unter ihren Fingern auf. „Liest du gerne?“
 

Kiara lächelte. „Kommt drauf an. Manchmal kann ich ein Bücherwurm sein.“
 

Der Rothaarige nickte anerkennend. „Schmöcker so viel du möchtest. Meine Bibliothek steht dir offen.“
 

Draußen an Deck wurde ein neues Lied angestimmt. Wer auch immer die Trompete spielte, er legte besonders viel Gefühl in seine Melodie. Sie verlieh Kiara ein angenehmes Kribbeln welches über ihren Rücken wanderte. Auch die anderen Crewmitgliedern schienen davon angetan zu sein. Pfiffe und Applaus mischten sich unter das Lied. Die restlichen Musiker ließen nicht lange auf sich warten und stiegen beschwingt mit ein.
 

Kiara konnte nicht anders, als den Fuß im Takt zu wippen. Kurzerhand nahm sie das nächstgelegenste Stück Papier welches sie auf dem Schreibtisch finden konnte und legte es als Lesezeichen zwischen die Seiten des Buches. Voller Tatendrang stand sie auf. „Hast du Lust zu tanzen?“
 

Shanks‘ Augen leuchteten bei ihrer Aufforderung. Zu gerne nahm er ihre Hand und führte sie in die Mitte des Raumes, damit sie genügend Platz hatten. Ein Arm weniger sollte kein Hindernis für sie darstellen. Kiara hielt seine Hand mal mit ihrer linken, mal mit ihrer rechten, mal mit beiden Händen während sie ausgelassen durch die Gegend tanzten. Er drehte sie spaßeshalber ein paar Mal um ihre eigene Achse und dann noch einmal anders herum, damit ihr nicht schwindelig wurde. Sie schüttelten Schultern und Beine, ließen die Hüften kreisen und übertönten vor lauter Lachen beinahe die wunderbare Musik.

Als großen Abschluss ließ Shanks es sich nicht nehmen seinen Arm um ihre Taille zu schlingen und sie nach hinten zu dippen. Aus Reflex umschlang sie seinen Hals, um Halt zu finden, während ihr Fuß vom Boden abhob und beinahe waagerecht in der Luft hing, um ihre Körperspannung zu bewahren.
 

Der kleine Schock brachte Kiara dazu noch lauter und erleichterter zu lachen. Es war ein wunderbar befreiendes Gefühl und sie grinste noch immer über beide Ohren, als Shanks sie zurück in die Senkreche zog. Dieser nutzte die Gelegenheit und ihre Position aus, um die Umarmung für einen kurzen Moment zu vertiefen.
 

Ehe sie sich vollkommen voneinander lösen konnten, strich der Rothaarige ihren Arm entlang um ihre Hand wieder in seine zu nehmen. Mit einer fließenden Bewegung hob er ihre Knöchel zu seinem Mund und platzierte einen feinen Kuss auf ihnen.
 

„Vielen Dank für den Tanz“, hauchte er gegen ihre Finger und hielt dabei unbeirrt den Blickkontakt aufrecht.
 

Und da ging der letzte klare Gedanke dann auch wieder flöten. Die Konsistenz ihrer Knie verwandelte sich in Pudding und Kiara fürchtete, dass sie jeden Augenblick nachgeben könnten.
 

„Ich sollte mich setzen“, haspelte sie und stolperte beinahe als sie sich auch nur umdrehen wollte.
 

Glücklicherweise hatte Shanks sie schnell im Griff gehabt. „Hoppala, nicht so stürmisch. Komm, ich helfe dir.“
 

Bedacht ließ er sie auf den breiten Bettrahmen niedersinken und nahm den Platz neben ihr ein.
 

„Du bist mit deiner Zuwendung wirklich extrovertiert“, kommentierte Kiara noch leicht außer Atem.
 

„Wenn ich meine Zuneigung zeigen kann, möchte ich das auch tun“, stimmte Shanks zu.
 

Es entging Kiara nicht, dass er extra nah genug an ihr saß, dass sich ihre Schultern berührten konnten. Etwas unbeholfen lehnte sie sich in seine Seite und spürte prompt wie Shanks seine Hand an ihre Schulter legte.
 

„Ist das eigentlich ein Dauerzustand oder flaut das nach ein paar Wochen ab, wenn das Interesse schwindet?“, fragte sie neugierig.
 

Der Rothaarige neigte den Kopf um sie eingehender betrachten zu können. „Bevor wir unseren derzeitigen Kurs gesetzt haben, lagen wir ein Jahr lang am Hafen des Windmühlendorfs. Dort ist eine äußerst liebenswürdige Kneipenbesitzerin. Ich habe mich bis zur Abreise bemüht ihr jeden Tag zu zeigen, dass sie ein wundervoller Mensch ist und ich sie sehr schätze und mag“, erzählte er ruhig.
 

Kiara musste schmunzeln und die Vorstellung allein trieb ihr eine leichte Röte in die Wange. „Das ist sehr süß.“
 

Überrascht hoben sich die Brauen des Kapitäns, doch dann atmete er amüsiert auf. „Manch andere Frau würde sich jetzt eifersüchtig zeigen“, bemerkte er.
 

Sie winkte ab. „Es wäre utopisch zu glauben, die absolut einzige Frau im Leben eines Piraten zu sein. Vor allem bei deiner“, sie pausierte und beäugte ihn, während sie nach einem passenden Wort suchte, „Überzeugungsarbeit“, schloss sie schließlich. „Wenn ihr eine gute Zeit hattet und alles einvernehmlich geschah, warum sollte ich es jemandem vergönnen?“
 

Shanks malte mit seinen Fingerspitzen kleine kreisförmige Muster auf Kiaras Schulter. „Ich falle wohl etwas mit der Tür ins Haus?“, schätzte er.
 

Kiara legte den Kopf schief. „Warum eigentlich? Lädst du direkt jede Frau ein mit dir das Bett zu teilen?“, fragte sie neugierig.
 

„Nicht jede. Aber… Viele. Ja.“
 

„Einfach nur zu deiner Bespaßung?“, hakte sie weiter nach.
 

Dieses Mal ließ sich der Kapitän mehr Zeit um seine Antwort zu formulieren. „Ich würde sagen, eine Hand wäscht die andere. Ich biete ein Bett, Privatsphäre, Ruhe und Gesellschaft. Und ich profitiere ebenfalls davon, natürlich.“
 

„Also quasi das Privileg des Kapitäns. Du hast etwas zu bieten, du hast das Sagen und du nimmst die Frau in deine Obhut, bevor ein anderer kommen kann.“
 

Der Rothaarige nickte anerkennend.
 

„Und wenn sie sich ziert, versuchst du sie von ihrem Glück zu überzeugen“, vollendete Kiara ihre These.
 

Das Kraulen pausierte kurzweilen, als Shanks die Hand für eine abwehrende Geste hob.
 

„Was nicht heißt, dass ich mich aufdrängen möchte, keineswegs. Wärst du zum Beispiel komplett abgeneigt gewesen, hätte ich dir meine Kabine trotzdem angeboten aber ich hätte bei der Crew geschlafen. Oder wenn du wirklich Vierzehn gewesen wärst“, wandte er ein. Seine Hand suchte erneut den Kontakt zu ihrer Schulter. „Und solange zwei erwachsene Menschen damit einverstanden sind, wieso nicht? Zu zweit ist es doch schöner als allein. Oder wie siehst du das?“
 

Kiara konnte eigentlich nur zustimmen. Sie hätte auch nichts dagegen einzuwenden gehabt, die Nächte für sich zu verbringen, aber seine Nähe war beruhigend – in den meisten Fällen jedenfalls – und das Kuscheln war auch ganz angenehm.
 

„Ich bin beruhigt, dass es wohl ein bisschen tiefgründiger zu sein scheint, als einfach nur die nächstbeste abzuschleppen“, sagte sie schließlich.
 

„Andersherum gefragt: Was bewegt dich dazu meine Annäherungsversuche zu gewähren?“, fragte Shanks nun offen.
 

Die Angesprochene schürzte nachdenklich die Lippen. „Ich hab nichts dagegen“, antwortete sie wahrheitsgetreu. „Und wenn du nicht gewesen wärst, wäre ich inzwischen Fischfutter. Also ist es wohl auch ein bisschen eine Art meine Dankbarkeit auszudrücken? Mir ist es recht und es macht dich offenbar glücklich, also ein Gewinn für beide Seiten.“
 

Shanks ließ bedröppelt seine Schultern sinken. „Das klingt als würdest du es einfach aushalten.“
 

Sie wandte den Kopf hinauf um in sein Gesicht zu sehen und schmunzelte warmherzig. „Nein, ich mag es wirklich.“



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