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Gegensatz und Vorurteil

- Ehemals Schubladenmagnet -
von

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~ 22 ~

 

Joshuas POV

 

„Ich weiß nicht, was mit mir los ist”, jammere ich. Ein bisschen fühlt es sich nach einem Déjà-vu an, wie ich hier sitze, das Bierglas in der Hand und Olli die Ohren vollheule. Nur, dass wir diesmal nicht in der Kneipe, sondern im Probenraum sitzen. Die anderen sind schon weg, nur wir zwei sind geblieben.

„Du bist verknallt”, analysiert der Wuschelkopf ganz richtig und liegt doch ziemlich daneben.

„Ja, ich weiß.” Ich werfe die Arme in die Höhe und haue dabei fast mein Getränk um, kann das Glas in letzter Sekunde aber noch retten. „Das ist ja auch nicht das Problem. Im Gegenteil. Ich sollte doch eigentlich scharf auf Paul sein und das bin ich ja auch, aber immer wenn ich das Gefühl habe, er will mehr, dann macht mein Kopf dicht-”

„Moment mal, willst du jetzt mit mir über Sex reden?”, fragt Olli in einer undefinierbaren Mischung aus perplex und abwehrend.

„Ja Mann!”, rufe ich verzweifelt aus. „Mit wem denn sonst!? Sophie kann Paul nicht leiden, die fällt raus. Mit meiner Schwester?” Ich lache hysterisch auf. „Die blöden Ziegen haben letztens ohne Vorwarnung Kondome und Gleitgeltütchen auf uns geschmissen. Und unsere Mutter stand dahinter im Flur und hat nur gelacht. Gelacht! Ich hatte schon Angst, Paul würde nie mehr bei uns zu Besuch kommen wollen, so peinlich war ihm das.” Und mir auch. Und okay, dass ich ein paar der Tütchen zufällig bei ihm im Nachtschrank gefunden habe, auf der Suche nach Taschentüchern, erwähne ich lieber mal nicht.

Olli prustet los und verschwendet dabei nun seinerseits den wertvollen Gerstensaft. „Haben sie nicht gebracht!”, presst er lachend hervor.

„Dooooch!”, jaule ich selbst in meinen Ohren jämmerlich und sinke tiefer in meinen Sessel. „Wie kommt man nur auf so Ideen?” Unnötige Frage, meine Familie hat durch die Bank weg einen an der Klatsche. Aktuell kann ich Nathan gut verstehen, der sich in trotziger Teenagerart versucht so weit wie möglich von uns zu distanzieren.

„Wie geil”, lacht Olli weiter. Er pattet mir besänftigend die Schulter, als ich schmolle. Ja, ich schmolle, aber ich bin verzweifelt, verdammt noch mal, und der Arsch macht sich über mich lustig! „Okay, okay. Ich höre ja schon auf.” Skeptisch hebe ich eine Braue, als er dennoch weiterhin leise giggelt. Es dauert etwas, bis er in den Ernst der Lage zurückfindet. „Dann reden wir halt über Sex. Aber vorher brauche ich noch ein Bier.” Er ext den Rest seiner Flasche, steht auf und holt zwei weitere Biere aus dem kleinen Kühlschrank. Eins davon reicht er mir, doch ich stelle es vorübergehend zur Seite, während mein Kumpel einen tiefen Schluck nimmt. „Schieß los.”

„Es ist nicht so, dass gar nichts gelaufen wäre bisher”, seufze ich frustriert. „Ein bisschen fummeln hier und da und auch mal einen Handjob gab es schon. Aber alles darüber hinaus?” Ich streiche mir eine Strähne zurück.

„Er ist noch ziemlich unerfahren oder? Da ist ein langsames Tempo doch gar nicht verkehrt?” Olli versteht mein Problem offensichtlich noch nicht.

„ER will. Nur ICH kriege es nicht auf die Kette!”, platze ich ziemlich deutlich heraus. „Schlimm genug, dass wir quasi nie wirklich alleine sind. Bei mir zu Hause ist leider irgendwie immer jemand und wenn wir bei ihm sind...” Ich seufze, diesmal resigniert. „Da ist die Stimmung irgendwie immer komisch. Und ich habe immer das Gefühl, er will nur mit mir rummachen um sich selbst abzulenken, aber das ist doch keine gute Voraussetzung für das erste Mal. Oder?” Verunsichert sehe ich den Älteren an und warte, während dieser grübelnd ins Leere starrt. Meine Finger nesteln am durchweichten Papier der Glasflasche herum, die Fusseln kleben bereits überall an meinen Oberschenkeln.

„Hmm...”, brummt der nur nach einiger Zeit, dann ist wieder Stille. Der Kühlschrank brummt. Draußen hupt ein Auto. Wirklich still ist es hier ehrlich gesagt nie. Fällt nur sonst nicht auf, wir machen üblicherweise genug eigenen Lärm. „Kann es einfach sein, dass du dir zuviel Druck machst?” Das ist seine Erkenntnis?

„Danke, auf die Idee bin ich selbst noch gar nicht gekommen”, ätze ich sarkastisch, verdrehe die Augen und verstecke mein Gesicht anschließend hinter meinen Handflächen.

„Motz nicht, ich versuche nur dir zu helfen.” Ein kumpelhafter Schlag trifft meine Schulter und lässt mich fast aus dem Sessel kippen.

„Ey!”

„Nix 'ey'. Mach dich mal locker.” Jetzt klingt er fast wie Nathan. Ich linse durch meine Finger hindurch zu ihm. „Denk lieber darüber nach, was dich blockiert. Hast du Angst ihm das erste Mal zu versauen oder davor, es nicht zu bringen? Letzteres glaube ich nicht, dafür gibt es zu viele, die ich offensichtlich sofort wieder ranlassen würden. Und ganz ehrlich? Das erste Mal ist immer komisch und oft auch scheiße. Ich hab keine Ahnung von schwulem Sex, aber da wird das kaum anders sein, als zwischen Männlein und Weiblein.”

„Natürlich will ich, dass es schön wird”, brummel ich vor mich hin. Die Erinnerung an meine sonstige Umtriebigkeit ist nicht wirklich ermutigend.

„Schön ist aber relativ. Klar, deine Schwestern sollten sich nicht die Ohren an deiner Tür plattdrücken können. Aber ist es bei ihm zu Hause wirklich so schlimm, oder erfindest du nur Ausreden? Er will ja scheinbar, wenn ich dich richtig verstanden habe.”

Jetzt bin ich an der Reihe mit Grübeln. „Ich will aber nicht nur mit ihm schlafen, weil er sich ablenken will. Nicht, wenn er noch unerfahren ist zumindest.”

„Und wenn du eine Situation schaffst, wo er keinen Grund hat sich ablenken zu wollen? Dann brauchst du kein schlechtes Gewissen haben, kannst dich entspannen und drauf einlassen.”

„Wie denn? Ein Hotel kann ich mir nicht leisten.” Nicht, dass ich den Gedanken nicht schon gehabt hätte.

„Muss ja auch nicht. Aber überlege dir doch was anderes. Zum Beispiel...”

 

~*~

 

Ich drücke mit zitterndem Finger auf den Klingelknopf. Das Schellen hallt im Haus wieder und dröhnt in meinen Ohren. Ich streiche meine feuchten Hände an meinem kurzärmligen Hemd ab und verfluche mich im gleichen Moment. Während ich den Schaden versuche zu richten, geht die Tür auf und Paul steht vor mir. Seine wunderschönen blauen Augen mustern mich, Hitze steigt mir in die Wangen und nur mühsam unterdrücke ich das nervöse Nesteln an den Hemdknöpfen. Das Gefühl, overdressed zu sein, verschwindet schlagartig als der Blonde mich anlächelt und leise „Wow” haucht.

Erleichtert erwidere ich das Lächeln und beuge mich vor. Unsere Lippen treffen sich und das Kribbeln in meinem Inneren, welches mich seit Stunden begleitet, bekommt die positive Note freudiger Aufregung. So nah an ihm werde ich von einer angenehmen Duftnote umwabert. Ich nehme einen tiefen Atemzug voll Paul und einem Parfum, welches er noch nie zuvor aufgetragen hat. Die Mischung ist mein persönliches, neues Ambrosia, so viel ist sicher.

„Hi”, hauche ich.

„Hey”, erwidert er ebenso leise.

Wir stehen da, wie die zwei verknallten Trottel die wir sind. Ich traue mich nicht zur Seite zu schauen, aus Angst, um uns herum könnten rosa Herzchen aufsteigen. Irgendwann ersticke ich noch an meinem inneren Kitsch, aber nicht heute. Heute habe das nicht eingeplant und wehe etwas torpediert meine Pläne. Einzig über den Ausgang des Tages lasse ich mit mir verhandeln, da will ich uns keinen Druck machen.

„Bereit?”, frage ich.

„Bereit!” Bestätigend hebt sich Paul den kleinen Rucksack auf die Schulter und tritt vollends zu mir

nach draußen. Er trägt wie ich Cargohosen, wenn auch in beige, die ich noch nie an ihm gesehen habe. Das dunkle Poloshirt steht ihm fantastisch und ist so anschmiegsam, dass ich meine Augen gewaltsam von seinem Oberkörper hin zu seinem Gesicht lenken muss, mich daran erinnernd, was ich geplant habe.

 

Wir nehmen den Bus bis wir fast aus der Stadt hinaus sind. Der ruhige Vorort geht nahtlos in ein Waldgebiet über, ab hier werden wir zu Fuß unterwegs sein.

„Verrätst du mir jetzt, was wir vorhaben?”, fragt Paul neugierig, interessiert die Umgebung beobachtend. Ich hatte ihn vorab nur darüber informiert, dass wir etwas ähnliches wie Wandern machen würden.

„Ja. Geocaching.” So ausgesprochen, kommt mir die Idee doch wieder doof vor und ich warte angespannt auf seine Reaktion.

Der Blonde schaut überrascht aus, lächelt dann aber erfreut. „Klingt cool! Habe ich noch nie gemacht.”

„Ich auch nicht”, gebe ich kleinlaut zu und stimme in sein Lachen ein.

„Okay, was machen wir jetzt?”

„Wir machen eine Art kleine Schnitzeljagd. Ich habe die Koordinaten für unsere erste Etappe bekommen.” Ich halte mein Handy so hoch, dass er die Karte und den von mir darauf bereits markierten Zielpunkt sehen kann. „Ich denke, wir folgen erstmal dem Hauptweg hier, der führt uns in die ungefähre Richtung. Oder was meinst du?”

Paul besieht sich nur kurz die Karte, ehe er nickt. „Dann lass uns los.” Beschwingt geht er los, ich folge schnellen Schrittes, bis ich auf gleicher Höhe bin.

Der Kies unter unseren festen Schuhen knirscht leise und überdeckt doch beinahe schon den verstummenden Lärm der Stadt hinter uns. Wie allgegenwärtig das nie abschwellende Rauschen eigentlich ist, fällt mir immer erst in den seltenen Augenblicken auf, wo ich ihm einmal entkommen kann.

Mein Freund atmet tief durch und schließt für einen Moment zufrieden die Augen, er muss nichts sagen damit ich weiß, dass es ihm ähnlich ergeht.

Je länger wir gehen, desto mehr fällt die unangenehme Last des Schweigens von mir ab und ich beginne die Stille zu genießen. Ich mag die Stadt, so ist das nicht, aber das Rauschen der Blätter und das Zwitschern der Vögel hat etwas seltsam entspannendes an sich. Ich erwische mich sogar dabei, genervt zu gucken, als eine Gruppe laut schnatternder Wanderer an uns vorbeikommt, vergesse meinen Ärger jedoch schnell wieder, als sich Paul beim Versuch Platz zu machen gegen mich lehnt. Meine Hand zuckt unwillkürlich in Richtung seines unteren Rückens, doch ich halte mich zurück.

Der Weg windet sich gemächlich durch den dichter werdenden Wald. Ab und an kontrolliere ich unsere Route auf meinem Handy, bis wir zu einer unauffälligen Kreuzung kommen. Ich halte Paul das Gerät erneut entgegen.

„Meinst du, wir sollten hier lang?” Ich frage nicht nur, weil ich uns nicht alleine in die Irre führen möchte.

Er besieht sich die Karte, scrollt ein bisschen und zoomt mal hier hin, mal da hin, was man auf modernen Smartphones halt so macht. Ich starre währenddessen verzückt auf seine Unterlippe, wie sie in nachdenklicher Manier zwischen die Zähne gezogen und nur langsam wieder entlassen wird.

„... okay?”

Ich zucke ertappt zusammen und nicke bejahend, hoffend, jetzt nichts Falsches gemacht zu haben.

Zumindest wenden wir uns dem Weg zu, den ich in der Vorbereitung bereits ausgesucht hatte.

Hier ist es deutlich schmäler und wir sind gezwungen, enger beieinander zu gehen. Nicht, dass es uns stören würde. Immer mal wieder berühren sich unsere Arme im Gehen. Ich überlege hin und her, zögere, bis sich auf einmal eine warme Hand in meine schiebt. Noch während er unsere Finger miteinander verschränkt, lächelt Paul mich offen an.

Über mich selbst schmunzelnd drücke ich seine Hand, streiche mit dem Daumen kurz über seinen Handrücken. Olli hat Recht, vielleicht sollte ich mich einfach mal entspannen und alles auf mich zukommen lassen.

 

Ich kann es kaum glauben, aber die erste Etappe legen wir, bis auf kurze Abstimmungen über die Richtung, tatsächlich schweigend zurück. Wir kommen an einem großen Felsen auf einer Lichtung aus.

„Na typisch, die Christen waren vor uns hier”, brumme ich und deute auf das große Holzkreuz und die vielen Grabkerzen drumherum unter einem überstehenden Felsstück. Zuerst guckt Paul verwirrt, lacht dann aber zum Glück doch über meinen unterirdischen Witz.

„Schlimm, nicht wahr? Überall wo man hinkommt haben die ihre Markierungen.” Er zwinkert mir verspielt zu und sieht sich dann neugierig um. „Hier soll also irgendwo eine Kiste versteckt sein?”

„Ja, soweit ich verstanden habe. Wahrscheinlich eher eine Art Brotbox oder so.” Ich checke noch einmal die Hinweise des Erstellers, finde aber nichts Konkreteres.

„Dann lass uns mal suchen.” Motiviert klatscht er in die Hände.

„Ich glaube hier vorne wäre zu auffällig, das würde doch jeder Spaziergänger sofort sehen”, überlege ich laut.

Zustimmend brummt der Kleinere und geht langsam um das Felsgebilde herum. Ich folge ihm mit ein wenig Abstand und suche die oberen Lücken ab, während er weiter unten und auf Brusthöhe schaut.

„Ich glaube, da ist was.” Ich deute auf eine Vertiefung im Gestein über uns.

„Hmm...” Kurz scheint er noch zu überlegen, dann klettert Paul flinker als ich es erwartet hätte hinauf, wo er sich auf dem Vorsprung niederkniet und in die Lücke greift. „Bingo!”, ruft er von oben. Ich folge ihm schnell die wenigen Meter hinauf, allerdings nicht gerade, sondern über eine Art natürlichen Weg am Fels entlang.

„Schau mal!” Er hält mir eine einlaminierte Karte entgegen.

„Das scheinen neue Koordinaten zu sein.” Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche und tippe die Zahlen in die vorgesehen Felder ein.

„Und ein Hinweis.” Paul setzt sich neben mich auf die angewärmte Oberfläche und sieht mir über die Schulter. Wieder umweht mich sein Duft, und ich vertippe mich ungeschickt. Sein Kichern vibriert durch unsere aneinandergeschmiegten Leiber bis in meine Knochen. Sein Arm streift mich, als er mit einem Finger auf den Hinweis deutet. „Was könnte das heißen?”

„'Unter dem Dritten wirst du es finden.'”, lese ich vor. Schulterzuckend verleihe ich meiner Ratlosigkeit Ausdruck. „Keine Ahnung. Vermutlich kapieren wir es erst, wenn wir da sind.”

„Hmpf.” Jetzt klingt sein Brummen frustriert. Er nimmt mir die Karte ab und dreht sie in den Händen. „Sonst nichts”, stellt er unzufrieden fest. „Wie weit ist es ungefähr bis da?” Erneut lehnt er sich halb auf mich um einen genaueren Blick auf das Display in meiner Hand zu erhaschen. „Geht ja”, befindet er und springt auf. Schnell verstaut er Karte und Box wieder an ihrem Platz. Noch bevor ich wirklich davon träumen kann, ihn unten heldenhaft in Empfang zu nehmen, die Hände an seinen Hüften und so, und mit einem hinreißenden Kuss belohnt zu werden, ist er schon zusammen mit meiner Träumerei auf dem Boden der Tatsachen angekommen. „Los, komm.” Grinsend sieht er zu mir hoch.

„Ja ja, ich komm ja schon.” Seufzend erhebe auch ich mich und klettere zu ihm nach unten. Dort wende ich mich in die neue Marschrichtung, die mein kleiner Feldwebel auserkoren hat.

„Hey, du hast was vergessen!”, tönt es hinter mir.

„Was denn?” Verwundert wende ich mich um, da legen sich zwei Arme um meinen Nacken und das Gewicht daran zieht mich hinab. Überraschend und absolut willkommen legen sich seine Lippen auf meine, während sich unsere Körper perfekt aneinanderschmiegen.

„Das”, haucht Paul atemlos, als wir uns aus Luftmangel wieder voneinander trennen.

„Stimmt, wie konnte ich das vergessen”, raune ich heiser.

Hand in Hand setzen wir unseren Weg fort.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  z1ck3
2023-08-03T19:49:14+00:00 03.08.2023 21:49
Definitiv ein super Date! Knuffig
Von:  Arya-Gendry
2023-07-27T12:32:16+00:00 27.07.2023 14:32
Wieder ein gutes Kapitel. ;)


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